25. Februar (Samstag)
Nach kurzem Flug aus dem kalten Hunsrück in vielversprechende 10° und Sonne. Vom Flughafen mit dem Bus zu stattlichen Preisen in die Stadt. Im Bus treffen sich zufällig ein Student und eine Studentin, die sich von einer französischen Landeskundeübung an der Universität Mainz kennen. Er muss noch weiter nach Perpignan, was früher auch ein Zielflughafen von Ryan Air war, aber dann aufgegeben wurde.
In der Stadt weiter mit einer hypermodernen Straßenbahn durch das Antigone-Viertel, das Resultat eines umstrittenen modernen Architektur- und Städtebauprogramms, einer Idee von Ricardo Bofil, einem Stadtviertel mit Sozialwohnungen in neoklassischen Gebäuden mit Säulen, Giebeln und Kapitellen, und gleichzeitig eine Erweiterung der Stadt Richtung Lez, dem Fluss, an dem früher das Zentrum lag. Halb gelungen: besser als die Tristesse der üblichen Sozialwohnungsarchitektur, aber auch kalt und etwas einschüchternd, und trotz der Variation irgendwie einförmig. Der Name soll, wie bei anderen Gebäudekomplexen, offensichtlich für das Fehlen der Antike in Montpellier entschädigen, ein Manko Montpelliers im Vergleich zu den Konkurrenten in der Nachbarschaft, vor allem Nîmes.
Im Zentrum erst vergeblich nach Ibis gesucht, dann im falschen Ibis, dem besseren, gelandet, dann Eingang zu unserem Ibis nicht gefunden. Am Ende dort wenig freundliche und wortkarge Begrüßung, und ein Zimmer, wie es spartanischer nicht sein kann. Aber ausgezeichnete Lage, in kurzer Entfernung zum Zentrum und zum Bahnhof. Gleich hinter dem Ausgang des Hotels liegt ein moderner dreieckiger Platz mit Geschäften, an dessen Stirnseite der Zugang zu einem hypermodernen Einkaufszentrum liegt, dem Polygone, das wir vorher aus der Straßenbahn am Rande von Antigone gesehen haben.
Am Abend, ein wenig abseits von der Place de la Comédie, dem Zentrum Montpelliers, das Restaurant L’Entrecote gefunden. Auf unsere Frage nach der Karte gibt es nur ein erstauntes Gesicht: Eine Karte gibt es nicht, alle bekommen das gleiche: Entrecote vom Rind mit Pommes Frites und Salat. Eine clevere Idee, die viel Arbeit und Aufwand erspart. Es scheint auch anzukommen. Allmählich füllen sich die beiden Stockwerke des gemütlichen, wenn auch ziemlich einförmig eingerichteten Lokals. Ein Schnellimbiss der besseren Klasse. Neben uns ein Amerikaner, der als einziger im ganzen Lokal Bier trinkt, später aber auf Wein umschwenkt. Die Pommes Frites sind ganz dünn, und auf riesigen Schüsseln wird ständig Nachschub für alle aufgetragen. Das Fleisch ist rot und ganz zart und schmeckt hervorragend. Ebenso der Wein, der Gorge Rouge heißt, und aus dem Bild auf dem Etikett kann man schließen, dass das ‚Rotkehlchen’ heißt.
26. Februar (Sonntag)
Beim guten Frühstück scheint noch die Sonne, aber das soll nicht lange so bleiben. Bei der Touristeninformation bekommen wir freundliche Auskunft und melden uns für die Stadtführung am Nachmittag an. Vorher ist noch Zeit, ans Meer zu fahren, auch wenn sich die Sache als etwas kompliziert entpuppt. Es geht erst mit der Straßenbahn bis an die Endstation, und dann mit dem Bus weiter nach Carnon.
Unterwegs kommen wir an ganz regelmäßig bepflanzten Feldern vorbei, die uns ein Rätsel aufgeben: Für Weinstöcke sind sie zu knorrig und für Oliven zu niedrig, und eine andere Erklärung fällt uns nicht ein.
Schon vor der Ankunft am Meer kommen wir an Wasser vorbei. Die Erklärung: Es handelt sich um étangs, um längliche Seen aus Meerwasser, die sich zwischen das eigentliche Festland und den Küstenstreifen geschoben haben.
In Carnon steigen wir als einzige aus. Inzwischen haben sich die Wolken verdichtet, und bald fallen die ersten Regentropfen. Das verstärkt den Eindruck, dass man an der Nordseeküste ist, wozu auch die Dünen und die Wellen beitragen. Am Strand ist es erstaunlich voll. Es wimmelt nur so von Joggern und Hundebesitzern, aber auch ganz normalen Spaziergängern, die hier ihren Sonntagsspaziergang absolvieren so wie bei uns die Spaziergänger im Wald. In der Ferne, fast gegenüberliegend, am Ende der Bucht, sieht man den umstrittenen Ferienkomplex La Grande Motte mit pyramidenförmigen Bauten, ein umstrittenes Projekt, bei dem der französische Staat mit Maffiamethoden Grund und Boden erwarb und die Planung vorantrieb. Das Projekt verfolgte die Absicht, die Urlauberströme nach Spanien aufzuhalten und im Land zu halten. Mit Erfolg. Die Pyramidenform wurde u.a. deshalb gewählt, um jeder Wohnung dieselbe Sonnenscheindauer zu gewährleisten, so als handele es sich dabei ausgerechnet hier um Mangelware.
Am Ende unseres Strandgangs sehen wir eine Möwe, die sich ganz ruhig und dekorativ auf das Ende eines Stegs aus Felsbrocken gesetzt hat und zum Photographieren einlädt.
Bei der Rückfahrt mit dem Bus ein Anflug von Wiedersehensfreude, als dieselbe Busfahrerin uns zurückfährt. Wir merken jetzt, dass wir eher umsteigen können, was auch alle anderen machen und was erklärt, warum wir bei der Hinfahrt ganz allein waren.
Beim Warten auf den Beginn der Stadtführung noch ein bisschen in den in der Touristeninformation herumliegenden Prospekten gelesen. Dabei auf das dreisprachige Faltblatt des Hotel Ulysse gestoßen, dessen deutscher Teil ein sprachliches Juwel ist: Das Hotel befinde sich, werden wie belehrt, „in einer üppigen Umgebung“, es wird „einen des angenehmsten Aufenthalts erleichtern“ die Möbel „sind gemacht mit einem ursprünglichen verarbeiteten Eisen und der Qualität des gegebenen accomodations“. Daneben die rätselhafte Formulierung, die Räume hätten „Farbfernsehen, Telefon und Ministab“. Was zum Teufel ist ein Ministab? Dann fällt der Groschen. Da hat jemand in einem Wörterbuch das Wort bar nachgeschlagen. Etymologisch besteht sogar ein Zusammenhang!
Die Stadtführung ist auf Französisch. Wir sind die einzigen, die nicht Französisch als Muttersprache sprechen und außer einigen Kanadiern die einzigen Ausländer. Die Führung wird angesichts dieser Konstellation und des Enthusiasmus der Führerin auch zu einem Sprachtest. Was jedoch – dafür sorgt schon die ständige Wiederholung – klar wird, ist, dass Montpellier ganz „extraordinaire“ ist.
Montpellier wurde im 10. Jahrhundert gegründet und wuchs schnell zu einer bedeutenden Stadt heran. Sie war im Spätmittelalter die drittgrößte französische Stadt nach Paris und einer weiteren Stadt, die die Stadtführerin erraten lässt. Keiner schafft es: Rouen! Heute ist Montpellier Nummer 20 und hat 240.000 Einwohner. Der schnelle Aufstieg lag daran, dass die Stadt einerseits am Pilgerweg nach Santiago, andererseits am Salzweg lag und über den schiffbaren Fluss Kontakt zum Meer hatte.
Auf der Place der Comédie, wo die Führung beginnt, ein Schild mit einem unbekannten Piktogramm: Skating untersagt!
Warum der Platz auch L’œuf heißt, ist alles andere als offensichtlich, auch wenn man im Pflaster die Form eines Eies farbig markiert hat. Der Platz ist eher rechteckig. Seinen offiziellen Namen erhält er von dem Gebäude an der Stirnseite, einem Bau, der genau der Pariser Opéra nachempfunden ist. Überhaupt scheint man sich sehr zu bemühen, alles Provinzielle durch Nachahmung Pariser Vorbilder vergessen zu lassen. Die repräsentativen Häuser um den Platz herum, heute fast ausschließlich Gastronomie, könnten genauso gut in Paris stehen.
Anders wird es, sobald man in die schmalen Gassen abseits des Platzes kommt. Hier verströmt die Stadt noch einen Hauch von Mittelalter. Die Stadtführerin weist auf ein modernes Modegeschäft hin, hinter dessen Schaufensterscheibe man noch ein gotisches Gewölbe erkennen kann, eine sehr nüchterne, schmucklose Gotik. Das gilt auch für die Renaissancefassaden der Häuser, an denen wir vorbeikommen. Auf alles Dekorative, alles Spielerische wird verzichtet. Alle Häuser sind aus Stein, was einfach daran liegt, dass es keine Wälder in der Nähe gibt.
Die Grand Rue, die allerdings mittelalterlich schmal ist, durchzieht das alte Zentrum etwa von Nord nach Süd. Sie war die wichtigste Pilgerstraße im Mittelalter. Von ihr gehen Handwerkerstraßen wie die Rue de l’Argenterie ab. Hier ist alles sehr gut restauriert, ein Ergebnis der Zeit von Malraux als Kultusminister, der den Abriss verhinderte. Die Kanadier erweisen sich als gute Amis und fragen, was denn hier die Miete kostet. Antwort: So viel wie in Paris.
Die Frage stellen sie passenderweise gerade dort, wo wir in der Rue Guilhem vor dem Haus stehen, in dem Jacques, der Sohn der Verbindung von Marie mit Pedro de Aragón, der erste Spross der Gründerdynastie, geboren wurde, und zwar 985. Wenn es stimmt und belegt ist, muss es eines der ältesten noch existierenden Geburtshäuser überhaupt sein.
Dann kommen wir zu einem schönen frühneuzeitlichen, sakral aussehenden Gebäude mit einem polygonalen Abschluss, ovalen Fenstern und einer Laterne auf einer Kuppel, und keiner kann erraten, welche Funktion das Gebäude hatte. Es war das anatomische Amphitheater der Universität. Hier wurden Leichen seziert zu einer Zeit, als das noch als unschicklich galt.
Die Führerin verweist auf Plätze, in deren Mitte nichts steht. Dort standen früher Kirchen, und sie sind alle den Zerstörungen in den Revolutionskriegen zum Opfer gefallen. Montpellier hatte protestantische Studenten aus Holland, der Schweiz und Deutschland angezogen, die hier den neuen Glauben verbreiteten und die Stadt so zu einer Zielscheibe der katholischen Restauration machten. Tatsächlich gibt es so gut wie gar keine Kirchen aus dem Mittelalter. Auch das, was so aussieht, wie St. Roch, die Kirche des lokalen Helden unter den Heiligen, ist es nicht. Sie ist neugotisch.
Gegenüber der Kirche ein Haus, dessen komplette Fassade in trompe d’oeil Technik ausgemalt ist: Treppenstufen führen zum Eingag, Blumenkübel stehen vor dem Haus, hier guckt ein Mädchen, dort eine Frau aus einem Fenster, auf der Treppe spielen Kinder, hier liegt ein Hund, dort eine Katze, einige Fenster sind offen, andere geschlossen, andere haben Vorhänge oder Gardinen, und oben an der Fassade spiegelt sich die Fassade der Kirche: Alles falsch! Das ist meisterhaft gemacht, und der Effekt ist großartig. Und so dauert es auch lange, bis einer von uns das einzig richtige Fenster entdeckt, mitten drin, etwas nach hinten versetzt. Das Komische ist, dass wir die Szene glauben, obwohl sie ganz unrealistisch ist. Sie ist viel zu bunt und lebendig für eine typische Szene in europäischen Innenstädten, aber sie entspricht unserem Prototyp dessen, wie so eine Szene auszusehen hat.
Die Rue des Soeurs Noires ist benannt nach einem Orden, der hier nach der katholischen Restauration unter Ludwig XIII installiert wurde. Daneben das Black Sisters’ Café.
Die Rue du Bras de Fer, im heimeligsten Teil der Innenstadt gelegen, führt über eine Treppe und durch ein Tor am Ende dieser Treppe zur höchsten Stelle der Stadt und öffnet sich auf einen Platz, auf dem sich der völlig modernisierte Markt nach Art der Märkte französischer Städte befindet. Hier sind nach der Modernisierung nicht nur traditionelle Stände untergebracht, sondern auch Virgin Megastores.
Auf dem Place Notre Dame des Tables befanden sich in verschiedenen Epochen drei Kirchenbauten, die alle zerstört wurden, der letzte in der Revolution. Unter dem Platz befindet sich die Krypta der Kirche.
Kurz dahinter die jüdische Mikwe, das Ritualbad der Juden, eins der wenigen erhaltenen in Frankreich. Eine unterirdische Treppe führt zum Bassin hinunter, denn die spirituelle Waschung in Form der völligen Immersion musste im Grundwasser vorgenommen werden. Dass man es dann mit den strengen Vorschriften doch nicht so genau nahm, zeigen Löcher in der Decke, durch die Regenwasser eindringen und das Bassin in Zeiten der Trockenheit auffüllen konnte.
Dann geht es wieder ans Tageslicht und über eine Straße mit ganz gerader Streckenführung, einer Art Möchtegern-Champs-Elysée, zum Triumphbogen, von Ludwig XIV errichtet, der sich darauf auch gebührend feiert. Er selbst erscheint als Herkules, und die allegorische Vereinigung von Ozean und Meer in einem Medaillon erinnert an den in seiner Herrschaft abgeschlossenen Bau des Canal du Midi. Der Triumphbogen steht am Eingang zur mittelalterlichen Stadt, und jenseits davon erstreckt sich die barocke Erweiterung mit einem Wasserschloss des Sonnenkönigs.
Durchgefroren und hungrig finden wir Wärme und Burger bei McDonalds. Anschließend gibt es noch eine nicht sehr frische Waffel mit künstlicher Sahne in einem der verrauchten, dunklen Cafés mit verschlissenen Plastiksofas am Rande der Comédie.
27. Februar (Montag)
Auf dem Weg zum Bahnhof kommen wir durch einen kleinen, gepflegten Park, der eine Naturskulptur der besonderen Art bietet: Auf einen hier aufgestellten Felsen tröpfelt ständig Wasser und sorgt dafür, dass der Stein immer stärker bemoost wird.
Daneben ein kleines Monument mit einer pathetischen Inschrift, die aber nicht einem Menschen gewidmet ist, sondern dem Wein, genauer gesagt, den amerikanischen Weinstöcken, die nach der Reblausplage den Wiederaufbau der Weinkulturen in Europa ermöglichten. Die Ironie der Geschichte liegt darin, dass die Weinstöcke natürlich ursprünglich aus Europa nach Amerika gekommen waren. Um das Monument herum hat man zu allen Seiten Weinstöcke eingepflanzt. Es sind die, die wir gestern bei der Fahrt nach Carnon gesehen haben. Es handelte sich tatsächlich um Wein.
Die Fahrt nach Nîmes erweist sich als schwierig. Als wir am späten Vormittag am Bahnhof ankommen, ist die Zeit der kurzen Abstände für die Züge vorbei, und der Fahrkartenautomat stellt sich genauso blöd an wie der von Mailand. Dann stelle ich mich ebenso blöd an und sehe bei meiner verzweifelten Suche nach dem Gleis nicht die Anzeige, auf der man uns in großen roten Lettern informiert, dass das Gleis erst 20 Minuten vor Abfahrt des Zuges bekannt gegeben wird.
Die Wartezeit erlaubt noch einen kurzen Besuch in der kleinen Bahnhofsbuchhandlung, wo es für 3 € eine kommentierte Ausgabe eines Stücks von Molière gibt. Lasse ich mir nicht entgehen.
In Nîmes angekommen, geht es über einen überdimensional breiten Boulevard, auf dem so gut wie kein Verkehr ist, Richtung Innenstadt. Es ist sonnig, aber kalt, und am Ende des Boulevards gibt es in einem einigermaßen gemütlichen Café eine riesige Auswahl an Tee. Mit großer Expertise und Detailfreude werden die verschiedenen Sorten beschrieben. Den Tee gibt es dann aber in Teebeuteln. Das Café hat als weitere Besonderheit außerhalb des etwas schäbigen WC einen Spiegel, der an einer Schräge angebracht ist. Man muss sich bücken und zurücklehnen, um sich sehen zu können.
Zuerst ein Spaziergang durch die wie ausgestorben wirkende Innenstadt, vorbei an der Maison Carée und dem gegenüber liegenden Museumsbau von Foster, der Elemente des antiken Baus aufnimmt, u.a. die Säulen an den Seiten und der überdachte Vorraum vor dem Eingang zum Tempel bzw. Museum.
Dann über mehrere gewundene, teilweise sehr steile Wege durch den Jardin de la Fontaine auf ein Plateau, wo ein wehrhaft aussehender Turm oder wenigstens dessen Reste stehen, die Tour Magne. Zu unserer Überraschung stellt sich heraus, dass er römisch ist. Er gewährte einen guten Überblick über diesen Teil der Via Domitia, die von Italien nach Spanien führte, aber seine wichtigste Funktion war: Eindruck schinden. Die nach Nîmes Hineinkommenden sollten von vornherein merken, mit welch großartiger Stadt sie es zu tun hatten.
Der schöne, eher südländisch wirkende Park ist eine Mischung aus englischem Landschaftspark und französischen Barockgarten. Erst auf dem Rückweg kommen wir an den Haupteingang, hinter dem sich eine große Esplanade mit mehreren Bassins erstreckt.
Vor dem Park ist eine Fontäne so angebracht, dass sich die Sonne jetzt in der Mittagzeit im Wasser bricht. Dadurch entsteht ein „künstlicher“ Regenbogen, der sich beim Vorübergehen erst langsam abzuzeichnen beginnt, dann ganz deutliche Konturen gewinnt und dann wieder schwächer wird und sich schließlich wieder auflöst.
Als wir wieder in die Stadt kommen, ist dort das Leben wieder erwacht. Auf dem Weg sehen wir an allen möglichen Stellen im Boden eingelassen ein skulpiertes Krokodil, das an einen Baum gefesselt ist. Das war in der Antike das Symbol für die Unterwerfung Ägyptens durch Rom und ist jetzt eine Art Wahrzeichen von Nîmes geworden. An einem schönen Platz in der Altstadt finden wir schließlich die Originalskulptur und auch ein kleines Café, in dem es Crèpes gibt. Auch hier, wie in Montpellier, tun Einheimische das, was sonst nur Touristen tun und sitzen ungeschützt draußen, obwohl es alles andere als warm ist.
Dann zum Amphitheater, das hier Arena heißt. Heutzutage werden dort Stierkämpfe ausgetragen. Der Zufall will es, dass ich hier schon zweimal war, zum ersten Mal mit 19. Ob es wohl noch ein Monument in einer fremden Stadt gibt, das ich schon so oft besichtigt habe?
Die Spiele, wie sie in der Arena abgehalten wurden, kamen im 2. Jh. BC auf. In anderen Zivilisationen gab es Spiele dieser Art nicht.
Augustus war nicht der Gründer der Stadt, sondern erhob sie in den Rang einer Kolonie. Der Name ist von dem gallischen Gott Nemausus abgeleitet.
Besondere Bedeutung erlangte Nîmes mit der Herrschaft des aus Nîmes stammenden Antoninus Pius.
Der Sand in der Arena wurde gewendet, um den Blutgeruch zu dämpfen. Die Plätze waren nicht reserviert. Es gab ein großes Gedränge nach dem Einlass.
Die Kämpfe wurden zuerst auf dem Forum, dann im Zirkus, und dann erst in den eigens dafür errichteten Arenen abgehalten. Der Name Amphitheater erklärt sich aus der Form, der Verbindung von zwei Theatern zu einem Ganzen. Der Name Arena kam erst XII auf. Es gab zwei Grundtypen in der Konstruktion, das an einem Hang gelegene Amphitheater und das frei stehende. Nîmes gehört zum zweiten Typ. Da es Steinbrüche in der Nähe gab, konnte man auf den Hang verzichten. Als Besonderheit von Nîmes gilt die perfekte Symmetrie des Baus.
Das Amphitheater faste 24.000 Zuschauer, die durch die Vomitorien ein- und ausgelassen wurden, wie in einem modernen Stadion.
Die Vinatores, die gegen Tiere kämpften, waren nicht so berühmt wie die Gladiatoren, aber wurden für ihre Tapferkeit bewundert. Sie setzten sich manchmal sogar auf die Tiere und ritten auf ihnen.
Zwischen den Tierkämpfern und den Gladiatoren betraten die Todgeweihten die Arena. Sie kämpften gegen Tiere und gegeneinander. Diese Wettkämpfe waren weniger beliebt.
Die zunehmende Brutalität der Spiele war ein Kennzeichen ihrer Dekadenz, die schließlich dazu führte, dass sie eingestellt wurden. Nicht so sehr, wie immer geglaubt wird, wegen der christlichen Kritik an ihrer Brutalität. Das war der Kirche ziemlich egal. Die Kritik basierte nicht auf Mitleid mit den Opfern und Kämpfern, sondern darauf, dass die Spiele, ebenso wie das Theater, vom Gottesdienst ablenkten – eine sinnenfeindliche, puritanische Kritik.
Die Gladiatoren wurden nicht oft getötet, schon deshalb, weil das für den Editor kostspielig gewesen wäre. Er musste dem Ausbilder die Kosten ersetzen. Der Editor entschied, ob der Gladiator am Leben bleiben durfte, nicht mit der typischen Geste, wie man sie aus Hollywoodfilmen kennt, mit erhobenem oder gesenktem Daumen, sondern – vermutlich – mit einer Geste, bei der der Daumen entweder von der Hand verdeckt wurde (soll leben) oder ausgestreckt wurde (soll sterben).
Nach der Rückkehr gibt es Abendessen in einem der Lokale am Platz Notre Dame des Tables. Drinnen ist es fast kälter als „draußen“, wo man unter einer Plastikplane und an Heizöfen sitzt. Der Kellner reagiert mit Unverständnis auf meine Frage, ob es sich um einen trockenen Wein handele. Rotweine seien nie trocken.
28. Februar (Dienstag)
Am Vormittag ist noch Zeit für einen Rundgang durch die Stadt mit kurzem Blick in St. Roch und eine Besichtigung von Notre Dame des Tables bzw. zum Einkauf.
In der völlig nichtsagenden Kirche St. Roch gibt es eine Tafel, die über die Biographie von St. Roch Auskunft gibt, dem Heiligen, der hier in Montpellier allgegenwärtig ist. Kein Wunder, er stammte aus Montpellier. Auch der Hauptbahnhof ist nach ihm benannt.
St. Roch wurde 1348 in Montpellier geboren, zur Zeit der Pest, der hier über einen Zeitraum von drei Jahren täglich 500 Menschen zum Opfer fielen.
Roch war ein gängiger Vorname, aber in seinem Fall war es der Nachname. Wohl einer der wenigen Heiligen, die beim Nachnamen genannt werden.
Montpellier war eine Kaufmannsstadt und eine Art Stadtstaat mit Universität.
Roch wurde in Notre Dame des Tables getauft. Er war reich und gebildet und hatte eine spezielle medizinische Ausbildung genossen, als er mit 17 Waise wurde. Er verschenkte seinen ganzen Besitz und machte sich als Pilger auf den Weg nach Rom. Mehrere wundersame Heilungen wurden ihm zugeschrieben, aber bei diesen mögen ihm seine medizinischen Kenntnisse mehr zugute gekommen sein als die Magie. Nach mehreren Stationen kam er nach Rom, wo er von Gui von Montpellier aufgenommen und protegiert wurde. Nachdem er einen Kardinal geheilt hatte, kam er mit Papst Urban V in Kontakt, den er als Kind bei der Einweihung der Kathedrale von Montpellier gesehen haben muss.
Auf dem Rückweg wurde er selbst von der Pest befallen, aber geheilt und zog weiter, bis er als Spion verhaftet wurde und fünf Jahre in Voghera im Gefängnis verbrachte. Dort starb er, und dort ist er begraben.
In der Nähe des Universitätsviertel mit seinen riesigen, finsteren Gebäuden, die durch Blendläden in Form von Holzlatten fast fensterlos aussehen, steht die Kathedrale, auch eine massive Struktur mit einem Vordach, das auf überdimensional hohen Säulen steht.
In Notre Dame des Tables gibt es einen sehr freundlichen Empfang durch einen jungen Mann und eine moderne Führung durch die wenigen erhaltenen Teile der Krypta, die hier weniger ihrer selbst willen denn als Ort für einen Kurzlehrgang durch die Stadtgeschichte zugänglich gemacht worden ist. Der Name der Kirche stammt aus dem 13. Jahrhundert und erklärt sich aus den Tischen, die die Händler in den Nischen der Außenmauern aufgestellt hatten. Da sie eine Station auf dem Jakobsweg war, nahm die Kirche Pilger auf, die hier nicht nur beteten, sondern auch aßen und schliefen. Dieser Kirchenbau wurde im 16. Jahrhundert in den Religionskriegen zerstört, nach dem Edikt von Nantes wieder aufgebaut, im 17. Jahrhundert wieder zerstört, wieder aufgebaut und dann Ende des 18. Jahrhunderts wieder zerstört, immer durch menschliche Gewalt, nicht durch Naturgewalten. Danach hat man es aufgegeben.
Montpellier bestand ursprünglich aus Montpellier, und Montpelliéret, die einem Grafen bzw. einem Bischof unterstanden. Die beiden Teile kamen im 13. Jahrhundert zusammen und wurden durch eine gemeinsame Stadtmauer geschützt. Ihren Höhepunkt hatte die Stadt, als sie zu einer Art Republik, einem Stadtstaat wurde, nachdem Pedro de Aragón, der Schutzherr, der, dem sich die Bürger unterstellt hatten, um ihre eigenen Freiheiten zu bekommen, gestorben war. Die Stadt lockte Studenten, Professoren, Kaufleute und Bürger an und wuchs auf die Zahl von 30.000 Einwohnern. Montpellier hatten außer seiner guten Lage als Handelsstadt Sicherheit und Freiheiten zu bieten und hielt das Monopol auf den Handel mit der Substanz, mit der die Farbe Scharlachrot produziert wurde. Die Schildlaus, aus der man den Farbstoff gewann, ist in den Kieferbäumen der Umgebung beheimatet. Damit wurden Tuche gefärbt, die dann übers Land und übers Meer vertrieben wurden. Der wachsende Reichtum der Stadt entging den französischen König nicht, und Philipp der Schöne holte sie schließlich heim ins Reich. Damit war die Glanzzeit Montpelliers zu Ende.
Nach Besichtigung und erfolgreichem Einkauf kann man am Mittag auf der geschützten Place de la Comédie tatsächlich ohne zu frieren draußen Kaffee trinken und den Straßenmusikern zuhören.
Wie bemerkenswert das ist, merken wir erst nach dem Rückflug. Am Flughafen müssen wir den Wagen vom Schnee befreien und uns dann durch den frisch fallenden Schnee des Hunsrück kämpfen.