Römische Impressionen

Moderne Städteplaner fordern, in den Innenstädten müsse es Sitzplätze geben, die so nahe aneinander liegen, dass eine alte Person ohne Mühe von einem zum anderen gelangen kann. In Rom gibt es keine Sitzplätze. Die Touristen begnügen sich mit den Mauervorsprüngen an den Kirchen oder mit Treppenstufen vor den Monumenten. Es gibt auch kaum Fußgängerzonen. Eine Ausnahme ist die Via della Conciliazione, auf der man wunderbar vom Petersplatz direkt zur Engelgsburg flanieren kann. Auch am Tiber entlang gibt es ein paar schöne Gehwege.

Erschwert wird die Orientierung dadurch, dass viele Straßen keine Strapßenschilder haben. Trotzdem ist Rom gut zu Fuß zu erkunden. Hinter jeder Ecke gibt es was Neues zu entdecken.

Außerdem kann man sich gut mit den städtischen Bussen bewegen. Sie kommen in kurzen Intervallen, sind billig und haben bequeme Sitze. Die städtische Busgesellschaft, von der sie betrieben werden, heißt Atac! Das steht auf allen Bussen!

Ein älterer Mann im Bus liest ein Buch, einen Roman, ein Kind liest ein Buch über erste Erlebnisse beim Angeln. Alle anderen sehen auf ihr Handy, auch wenn die Fahrt am Kolosseum vorbeiführt. Die Afrikanerinnen sprechen so laut in ihr Handy, dass es auch die Passagiere auf den letzten Sitzen hören. Sie werden nur übertroffen von den Krankenwagen, die den ganzen Vormittag durch die Gegend fahren.

Eine junge Asiatin telefoniert während der Fahrt. Ihr Handy ist mit einer kleinen Kette an ihrer Handtasche befestigt und mit einem Aufladekabel mit der Powerbank in ihrer Handtasche verbunden. Eine Frau mittleren Alters wedelt sich mit einem Fächer zu, einem Fächer der traditionellen Art. Alle anderen, meist jüngeren Alters, sieht man mit den kleinen elektrischen Fächern über die Straßen gehen. Vor allem die Asiatinnen sind gut damit ausgerüstet. Man sieht auch viele Sonnenschirme, ganz dünne, von der Art, wie sie in unserer Kindheit auf die Torten gesetzt wurden.

Immer mehr Italiener können immer besser Englisch, und man wird immer wieder auf Englisch angesprochen. Aber die Unsitte, die man aus Griechenland oder Schweden kennt, wo auf Englisch geantwortet wird, wenn man in der Landesprache fragt, hat sich noch nicht bis Italien verbreitet. Man verweist emphatisch darauf, dass man sich in Italien befinde, und bekommt die Antwort auf Italienisch.

Die meisten Menschen, vor allem abseits der ganz großen Touristenattraktionen, sind erstaunlich freundlich, wenn man nach dem Weg fragt, zeigen sich nicht genervt von den ewigen Touristen mit den immergleichen Fragen. Die Italiener sind allerdings viel freundlicher als die Kioskbesitzer aus Indien oder Pakistan.

Immer wieder bemerkenswert, wenn man Rom besichtigt, ist die Form, wie sich die Kirche der antiken Tradition bemächtigt hat. Es fängt damit an, dass der Papst bis heute den Titel Pontifex Maximus der römischen Kaiser trägt, den Titel des höchsten Priesters des antiken Staatskults. Oben auf der Trajanssäule, die mit mehr als 2000 Figuren die erfolgreichen Schlachten des Kaisers darstellt, thront nicht Trajan, sondern Petrus. Und das Pantheon ist stehen geblieben, weil es in eine Kirche verwandelt wurde, genauso wie die Porta Nigra und das Parthenon. Es ist Maria und allen Märtyrern geweiht und ist die Quelle unseres Allerheiligen-Tags. Das schließt an das Pantheon der Antike an, jedenfalls an die christliche Interpretation des Namens: Pantheon – alle Götter.

Die Religion spielt auch eine Rolle beim Erhalt der Reiterstatue von Mark Aurel. Man glaubte, es wäre Konstantin und schonte ihn, weil er den Christen die Ausübung ihrer Religion gestattet hatte. Ist die Statue nun die eines Feldherrn oder die eines Philosophen? Man hört beide Deutungen. Mark Aurel ist nicht als Soldat dargestellt, und seine erhobene Hand sieht wie eine friedliche und freundliche Geste aus. Aber zu seiner Zeit wurde er hauptsächlich aufgrund seiner militärischen Verdienste geschätzt. Und unter den den Vorderhufen des Pferds befand sich einst die Figur eines Königs mit gebundenen Händen, ein Besiegter aus den Kriegen Mark Aurels.

Kein Weg vorbei geht in Rom an dem Denkmal für Vittorio Emanuele. Das sieht man von überall aus. Das ist nicht unbedingt schön und passt auch gar nicht so richtig, aber gibt wohl am besten eine Vorstellung davon, wie die Rom in der Antike ausgesehen haben muss. Der war der erste König von Italien, trotzdem nennt er sich Vittorio Emanuele II, wohl als Reverenz für seinen Vater.

Die schlimmste aller Sehenswürdigkeiten Roms ist der Trevi-Brunnen, ein Opfer seines eigenen Erfolgs. Hier geht es nur darum, ein Selfie zu machen, kein Mensch interessiert sich für den Brunnen. Geschweige denn für den Palazzo dahinter. Es geht nur um das Photo. Man müsste die Touristen mal fragen, welche Figuren man in dem Brunnen sieht, die meisten würden es vermutlich nicht wissen. Erst recht nicht, dass es unterirdisch einen Gang gibt, den man besichtigen kann, mit den Resten einer römischen Wasserleitung. Von hier unten wird der Trevi-Brunnen mit Wasser versorgt. Der Name des Brunnens erklärt sich aus den drei Straßen, Tre Vie, die hier aufeinandertreffen.

Inzwischen darf man in den Trevi-Brunnen keine Münzen mehr werfen – Gott sei Dank! Man kann nicht einmal an den unmittelbaren Brunnenrand heran, es sei denn, man ist mit einer Führung unterwegs. Das Gedränge ist unerträglich.

Viel schöner zu besichtigen ist der Vier-Flüsse-Brunnen an der Piazza Navona. Hier verteilen sich die Besucher viel besser, es gibt kein Gedränge, der Platz ist riesengroß. Die vier Flüsse, die der Brunnen allegorisch darstellt, stehen für die vier damals bekannten Kontinente: Der Nil, die Donau, der Ganges, der Rio de la Plata. Vermutlich wusste man von dem Amazonas noch nicht viel. Der Nil hat, wie in anderen Brunnen, sein Gesicht verhüllt, der Tradition zufolge, weil seine Quellen unbekannt waren. Hier in Rom heißt es, er verhülle sein Gesicht, um sich nicht die Bausünde von Berninis Konkurrent Borromini ansehen zu müssen, die Kirche Sant’Agnese in Agone. Der Name des Platzes leitet sich von den hier stattfinden antiken Wettkäpfen ab, dem der Platz auch seine ovale Form zu verdanken hat. Das griechische agon, ‘Wettkampf’, liegt dem Namen zugrunde. Ob es Zufall ist, dass das Patrozinium der Kirche ausgerechnet Sant’Agnese in Agone ist?

Der Vier-Flüsse-Brunnen und der Trevi-Brunnen sind hervorragend restauriert worden, genauso wie das Kolosseum. An vielen anderen Monumenten wird gearbeitet, und außerdem entsteht mitten im historischen Zentrum eine neue U-Bahn-Linie. Das bedeutet: Baustellen überall, vor allem um das Forum Romanum herum.

Wie der Trevi-Brunnen alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, so tut das auch das Kolosseum. Das geht auf Kosten des wunderbaren Konstantin-Bogens, gleich daneben, mit toll erhaltenen Reliefs und Skulpturen.

Auch beim Kolosseum eine sprachliche Kuriosität. Es heißt nicht Kolosseum, weil es so kolossal ist, sondern weil hier, in Neros städtischem Landschaftspark, eine kolossale Statue stand. Die niemanden anderen als Nero darstellte.

Auf dem Weg zu Santa Maria Maggiore drängt uns ein afrikanischer Verkäufer billigen Schmuck auf, alles umsonst, ein Geschenk, bloß kein Geld. Dann versucht er, eine persönliche Bindung aufzustellen. Ob wir schon mal in Afrika gewesen seien, er habe einen Freund in Berlin, er spreche auch Spanisch. Am Ende bekommt er sein Geld für den Flitterkram. Immerhin zeigt er uns den Weg.

Das linke Eingangsportal von Santa Maria Maggiore ist die Porta Santa. Dieses Jahr geöffnet, da wir uns in einem Jubeljahr befinden. Da werden die Sünden vergeben. Das erste Jubeljahr gab es 1300, dann alle 50, dann alle 33, jetzt alle 25 Jahre. Das Jubeljahr hat nichts mit dem Jubel zu tun, sondern mit dem Jovel, dem jüdischen Widderhorn. Mit dem wurde das Jubeljahr eingeleitet. In der jüdischen Tradition wurden keine Sünden vergeben, sondern Schulden getilgt. So weit wollte die Kirche wohl nicht gehen.

In der Kirche links eine Schlange, die zum Grabmal des argentinischen Papstes führt. Man erwartet, dass man in eine Seitenkapelle geleitet wird, aber dann ist man da, ehe man sich’s versieht, schon da. An der Wand ein Kreuz, auf dem Boden ein Licht und der Name Franciscus. Das ist alles. So schlicht, wie er immer war.

Wir machen eine Pause und essen einen leckeren Kuchen und ein unübertrefflich leckeres Eis. Schon zum zweiten Mal gibt es in einem großen Café nur eine einzige Toilette, für Männer und Frauen. Da muss man natürlich Schlange stehen. Die Toilette ist schäbig, und überall liegt Papier herum.

Die Preise sind gesalzen, aber so einen Nepp wie in Venedig oder Florenz gibt es in Rom nicht.

Unterwegs stoßen wir bei der Frage nach dem Weg auf eine Dominikanerin. Sie nimmt sich Zeit und gibt uns perfekte Auskunft. Sie kennt München und Mannheim und Tokio Hotel, und erkennt sofort den argentinischen Akzent. Wir verabschieden uns wie gute Freunde.

Das Gegenteil des Trevi-Brunnens ist die Ara Pacis, der Friedensaltar des Augustus, in der Nähe des (ebenfalls in Restaurierung befindlichen) Mausoleum des Augustus. Hier ist kein Mensch, und man kann sich den Altar in aller Ruhe aus unmittelbarer Nähe ansehen und dieses Meisterwerk der Bildhauerkunst betrachten. Den Altar erreicht man über zehn Stufen. Man sieht Reliefs von Prozessionen, von Äneas beim Opfer, von der Göttin Tellus, der Mutter Erde, und ihren Kindern. Man sieht Rankenwerk aus Efeu, Lorbeer, Wein, und dazwischen allerhand geflügelte Tiere.

Man weiß nie so recht, was man von den römischen Kaisern halten soll, zu unzuverlässig sind die antiken Bewertungen, zu unterschiedlich die modernen Bewertungen, aber an Augustus und der langen Friedenszeit, die er eingeleitet hat, da scheint echt was dran zu sein. Paradoxerweise steht der Friedensaltar auf dem Marsfeld und wurde, nachdem die einzelnen Teile in alle Winde zerstreut waren, mit Bruchstücken in Museen in Rom, Wien und Paris und bei Privatleuten, ausgerechnet in dem gewalttätigsten Jahrhundert, dem 20., wieder zusammengebaut, und zwar auf Geheiß von Mussolini. Den sieht man in einem Film, wie er voller Stolz den Friedensaltar einem prominenten Gast präsentiert – Adolf Hitler.

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