Malaga (2018)

27. November (Dienstag)

Malaga ist, wie Cádiz, eine phönizische Gründung, und damit eine der ältesten Städte Spaniens. Auch der Name ist phönizisch: Malaka, ‘Königin’. Wohl wegen der reizvollen Lage an der spanischen Küste. Dass ich das wenige Tage vor der Abreise lese, ist reiner Zufall und hat nichts mit der Vorbereitung der Reise zu tun.

Malaga habe ich bisher immer links liegen lassen. Es war nichts als der Umschlagplatz für Touristen, die es an die sog. Costa del Sol zieht. Nichts für mich. Jetzt sind es ein paar Zufälle, die es zum Reiseziel machen. Um mich bewegen, mein Urteil zu korrigieren. Malaga lohnt sich.

Beim Anflug sieht man kahle, grauschwarze Berge unter sich, dann Berge mit einzelnen Bäumen. Dann kommen die ersten Zeichen der Zivilisation: einzelne, sich den Berghang heraufziehende Häuser, mit gleichmäßigen Abständen untereinander. Keine Gruppenbildung. Sieht wie eine Kette mit weit auseinanderliegenden Gliedern aus. Dann kommt das Meer in Sicht; die langgezogene Küste und dann der Hafen von Malaga, durch Landzungen auf zwei Seiten geschützt.

Der Flughafen macht den trügerischen Eindruck, klein und veraltet zu sein. Beim Rückflug kommen wir dann in die moderne Abflughalle und haben allen Grund, diesen Eindruck zu korrigieren. Auf dem Flugfeld ist es mäßig warm, und die Sonne scheint.

Mit einem modernen Zug geht es für einen sehr niedrigen Preis in die Innenstadt. Die Suche nach dem Hotel gestaltet sich dann etwas schwierig, hauptsächlich wegen einer großen Baustelle an einer der wichtigsten Boulevards des Zentrums. Später finden wir heraus, dass die Bahnstation, die eher einer U-Bahn-Station gleicht, nur wenige Minuten vom Hotel entfernt ist.

An einer Ecke, an der wir versuchen, uns zu orientieren, fällt mein Blick auf eine Plakette, die in die Außenwand eines modernen Hochhauses eingelassen ist. Hier gedenkt die Stadt eines Mannes, der bei einer Demonstration für die Unabhängigkeit Andalusiens zu Tode kam, 1979. Da wird es einem ganz anders: für die Unabhängigkeit Andalusiens sterben – was für ein sinnloses Opfer, jedenfalls von heute aus betrachtet.

Auf der anderen Seite kommen aus einem Baum mit dichtem Blattwerk Vogelstimmen, laut, in der Art von Papageien. Aber man bekommt die Vögel nicht zu sehen, obwohl es ziemlich viele sein müssen. In den nächsten Tagen dann immer dasselbe. Einmal bekommen wir einen ganz flüchtigen Blick auf einen der Vögel, als er gerade aus dem Baum fliegt: grün, mittelgroß. Vielleicht Wellensittiche? Erst später bekommen wir die Vögel dann ganz zu sehen, vor einer Bahnstation, wo sie in aller Ruhe, auch angesichts der Reisenden, Krümel vom Straßenpflaster aufpicken. Erst nach der Reise erfahre ich aus berufenem Mund, um welche Vögel es sich handelt: Halsbandsittiche. Als wenn das nicht schon kompliziert genug wäre, heißen sie auf Spanisch cotorras de Kramer. Im Spanischen bezeichnet cotorra auch eine ‘Quasselstrippe’. Kein Wunder, wenn man sie hier zetern hört.

Bei der weiteren Suche nach dem Hotel kommen wir in die Fußgängerzone, an deren äußersten Rand. Eine kurze, breite, sonnenbeschienene Straße mit hohen Pappeln auf beiden Seiten, ganz in der Nähe des Hotels, und die Sträßchen um sie herum vermitteln einen so schönen Eindruck, dass man sich auf die Tage in Malaga freut.

Das Hotel ist einfach und funktional und hat nichts Besonderes zu bieten, aber die Lage, ein paar Schritte von der Markthalle entfernt, ist nicht zu übertreffen. An der Rezeption antwortet man uns auf Englisch, obwohl wir Spanisch gesprochen haben. Das ist neu für mich. Das Frühstück, in der Eingangshalle serviert, soll 14 € kosten – pro Person. Nein, danke.

Es ist immer noch hell und mäßig warm, und wir erkunden bei einem Spaziergang die Umgebung des Hotels. Schräg gegenüber ist die Markthalle, der Mercado de Atarazanas. In den Haupteingang hat man ein altes maurisches Stadttor eingebaut, das man um zwanzig Meter von seinem ursprünglichen Standort verschieben musste. Es ist weiß und hat die typische Form eines Hufeisens. Auf der gegenüberliegenden Seite hat man am Hintereingang ein großes, leuchtendes Fenster in tiefen, intensiven Farben eingefügt, mit Darstellungen der Sehenswürdigkeiten von Malaga. Man erkennt den Turm der Kathedrale, die Burg, das römische Theater.

Von hier aus sind es nur ein paar Schritte zur wichtigsten Einkaufsstraße, der Marqués de Larios. Sie wird uns in den nächsten Tagen immer wieder Orientierungspunkt sein. Sie verläuft schnurgerade von der Plaza de la Marina zur Plaza de la Constitución. Auf der Larios gibt es fast nur noch Geschäfte von internationalen Ketten, gehobene Preisklasse. Später erfahren wir den Grund dafür.

Neben einem Café au der Larios, dem Lepanto, gibt es einen winzigen Laden, in dem Süßigkeiten verkauft werden. An der Geschäftsfront wird für polvorones und mantecados geworben. Da ich die Frage, was das ist, nur sehr unzureichend beantworten kann, wollen wir es probieren. Nach etwas Verwirrung landen wir in dem Café nebenan. Es ist noch warm genug, um draußen zu sitzen. Es handelt sich um kleines, ovales, staubtrockenes Gebäck, das vor allem während der Weihnachtszeit gegessen wird. Beide unterscheiden sich nur geringfügig, und der Name mantecado deutet auf eine wichtige Zutat bei beiden: Schmalz.

Die gesamte Marqués de Larios, vom Anfang bis zum Ende, hat eine durchgehende Weihnachtsbeleuchtung, wie ein Decke mit Tonnengewölbe, das sich tief an den Seiten herunterzieht. Jetzt ist es noch hell, und wir erfahren, dass es erst am Freitag losgehen soll mit der Beleuchtung.

Wir gehen rauf bis zu der schönen Plaza de la Constitución. Die hieß früher Plaza Mayor, und das bestätigt meinen Verdacht, dass ein dreistöckiges Haus, das fast die gesamte Breitseite einnimmt, früher einmal das Rathaus war. Auch hier stehen, direkt vor dem ebenfalls dreistöckigen Haus an der Stirnseite, die hohen, etwas schief gewachsenen Palmen, wie wir sie vorher in der Nähe des Hotels gesehen habe. Die haben was. Auf der anderen Seite des Platzes stehen Orangenbäume voller Früchte.

Der jetzige Name des Platzes bezieht sich auf die Verfassung von 1978. In Erinnerung daran sind vor dem Café Central Bleiplatten in den Boden eingelassen. Jede einzelne reproduziert die Titelseite einer Tageszeitung, regional oder national, von dem Tag nach der Volksabstimmung über die Verfassung, einer Abstimmung, bei der die Verfassung mit großer Mehrheit, mit größer als erwarteter Mehrheit, angenommen wurde.

Der Platz hat zwei ältere Gebäude, ganz am Rande, da, wo der Platz bereits in eine Gasse übergeht. Eines davon, mit einem schönen achteckigen Dach, ist das ehemalige Jesuitenkolleg. Daneben, mit einem schönen Innenhof, ein Haus, in dem eine Wirtschaftsvereinigung mit dem Namen Amigos de España untergebracht ist.

Wir gehen in die Gasse am Jesuitenkolleg. Hier gibt es überall kleine Geschäfte und Lokale. Sofort ins Auge fallen ein eher feines Restaurant mit dem Namen Mafia und eine Pizzeria mit dem Namen Mala Pizza. Ob die Werbestrategien wohl verfangen?

Wir landen am Abend in einer Taverne in der Nähe der Kathedrale, der Casa Lola. Tolles Ambiente, freundliche Bedienung und leckere Tapas: Patatas bravas, Gambas a la plancha, Pimientos (kalt, mariniert), Churrasco de pollo und eine kleine belegte Brotscheibe mit einem Wachtelei obendrauf, eine Besonderheit der Casa Lola mit einem besonderen Namen: Cojonudo.

Als wir zurückgehen, ist in der Marqués de Larios dann die Weihnachtsbeleuchtung an. Die Straße ist voll, es ist wohl der erste Tag und noch ein Probedurchlauf, alle sehen nach oben und bestaunen das “Kunstwerk”. Man ist hin- und hergerissen, es ist eigentlich übertrieben, aber doch auch schön anzusehen und nicht übermäßig kitschig, vor allem wegen der unzähligen winzigen, weißen Leuchten, die das Fundament bilden. Es gibt keine Darstellung von Rentieren und ähnlichem Weihnachtszeug, das einzig Gegenständliche sind ein paar Fenster zu den beiden herabhängenden Seiten der Dekoration. Kurios der Kontrast: An den Laternenpfählen, an denen die Weihnachtsbeleuchtung befestigt ist, hängen noch blühende Geranien.

28. November (Mittwoch)

Die Sonne geht fast zur gleichen Zeit auf wie zuhause, aber fast anderthalb Stunden später unter. Morgens sieht es immer so aus, als würde sie gar nicht herauskommen, dann tut sie das aber doch, und so ab zehn bringt sie volle Leistung. Gegen Mittag ist es dann in der Sonne so warm, dass man die Jacke auszieht und im T-Shirt weitergeht. Sobald die Sonne abends einen Abflug macht, wird es kalt.

Auch heute, in der Alcazaba, sollen wir wieder auf diese Orangenbäume stoßen, voll behangen mit leuchtenden Früchten. Die vermeintlichen Orangen könnten Pomeranzen sein, wie ich später aus berufenem Mund erfahre, bittere Zitrusfrüchte mit dicken Schalen. Das würde erklären, warum sie hängen bleiben und nicht gepflückt werden.

Ganz in der Nähe des Hotels bekommen wir in der ersten Etage eines Cafés ein leckeres, einfaches Frühstück, für gerade mal fünf Euro zusammen.

Auf dem Weg zur Alcazada kommen wir an einer merkwürdigen Skulptur vorbei, Ave Quiromántica, einer Bronzefigur, in rundlichen Formen, trotz ihrer Einfachheit auf den ersten Blick etwas verwirrend: Der Körper eines Vogels geht in eine menschliche Hand über. Einige Teile gehören nur zum Vogel, andere nur zur Hand, aber einige Teile gehören zu beiden: Die Innenfläche der Hand ist der Rumpf des Vogels, die Finger sind die Schwanzfedern des Vogels, der Daumen der Flügel.

Wir kommen zum Domplatz. Dort steht eine Lehrerin mit den Schülern einer Sprachschule. Sie gibt Erklärungen ab. Sie macht ihre Sache sehr, sehr gut: Trennt Wörter und Satzteile durch Pausen, macht redundante Äußerungen, hebt wichtige Wörter hervor, weist auf die Kathedrale. Als wir da sind, erklärt sie gerade, warum die Kathedrale La Manquita heißt: “Una torre – de la catedral – se terminó – la otra no. La catedral – tiene – sólo – una torre. Por eso – se llama – la Manquita.

Der Domplatz ist der zweite schöne Platz Malagas, mit dem Bischofspalast, in Rostrot und Gelb gefasst, als auffälligstem Gebäude. Die riesige, mit Nägeln beschlagene Holztür am Eingang hat einen Klopfer, der sehr hoch angebracht ist. Ein junger Mann klopft an, und es wird ihm Einlass gewährt.

Auf dem Weg zur Alcazada kommen wir an dem Museo Revello de Toro vorbei. Ich bin nicht in der Lage, zu erklären, was es mit dem Stier auf sich hat, welchen Sinn der Name des Museums haben könnte. Später stellt sich heraus, dass Revello de Toro ein Eigenname ist, und zwar der eines noch lebenden Malers aus Malaga.

Beim Aufgang zur Alcazada verpassen wir das römische Theater. Als wir wieder zurückkommen, sehen wir es. Es ist in den Hang eingebaut, die rückwärtige Felsenwand dient als äußere Begrenzung und Stütze der Sitzreihen. Von denen sind noch einige erhalten, ebenso wie die Orchestra und die Bühne. Von den Sitzreihen aus blickt man heute auf Hochhäuser. In der Zeit der Römer blickte man vermutlich aufs Meer, eine eher bessere Kulisse. Kurioserweise wusste man bis nach dem Krieg gar nichts von dem Theater, es war unter Bauschutt vergraben.

Die Alcazada ist eine Mischung aus Palast und Festung. Sie liegt auf dem Berghang. Weiter oben liegt eine weitere Festung, Gibralfaro. Der Name verweist auf den Felsen und auf den Leuchtturm oder das Leuchtfeuer, das ursprünglich von hier aus Signale sandte. Wie Alcazada und Gibralfaro zueinander stehen, ist nicht zu erfahren.

Dass die Alcazada von unten aus so schön aussieht, verdankt sich letztlich einer strategischen Entscheidung: der Hanglage und den versetzt in gleichmäßigen Abständen auf den Hang gebauten quadratischen Türmen, die heute dem Besucher Spalier stehen. Auch der Weg hinauf ist einfach schön. Er ist mit kleinen Steinen gepflastert, immer wieder passiert man ein Hufeisenportal, am Wegesrand blühende Zierpflanzen. Erst nach der Heimkehr erfahre ich auf Nachfrage, worum es sich handelt: Wandelröschen mit orangefarbenen und roten Blüten, ein Hibiskus, ein chinesischer Eibisch mit großen rosafarbenen Blüten, ein Kartoffelstrauch mit blauen Blüten. Einer schöner als der andere – und alle sehr photogen.

Auf den Plateaus, die immer wieder dazwischen gelagert sind, Springbrunnen und Orangenbäume, mit wechselnden Aussichten auf die Stadt und den Hafen.

Außer uns sind vor allem Schulklassen unterwegs, meist kleine Kinder, von denen uns einige staunend ansehen, andere uns auf Englisch begrüßen. Es geht sehr laut zu, aber auch sehr diszipliniert. Jedenfalls wird den Anweisungen der Lehrer sofort Folge geleistet.

Oben hat man einige Räume und Höfe erhalten oder restauriert, und man bekommt einen Hauch von Alhambra-Gefühl. Ob die arabischen Bauten einfach verfielen? Oder wurden sie zerstört?

Ein schmaler Weg führt von der Alcazaba zum Gibralfaro, aber der ist gesperrt. Schade einerseits, andererseits egal, wir bekommen einen zweiten Spaziergang durch die Sonne, nachdem wir erst ganz nach unten zurückgekehrt sind. T-Shirt-Wetter.

Auf dem Weg nach oben sieht man in die Stierkampfarena hinunter. Da stehen lauter Autos drin. Warum, bleibt offen.

Der Gibralfaro diente bis zum 19. Jahrhundert als Militärlager. Oben gibt es eine Mauer, die die gesamte Festung umfasst. Wir interessieren uns aber weniger für die nasridische Verteidigungstechnik als für den Kiosk, an dem es Tapas und frisch gezapftes Bier gibt. Wir bestellen Empanadas und Frikadellen. Man sitzt wunderbar draußen an Tischen unter einem schützenden Dach. Ganz oben auf dem Berg. Als wir gehen, ruft die Kellnerin uns hinterher: “!Adió, grasia!” Wir sind in Andalusien.

Auf dem Rückweg durch jetzt bereits bekannte Straßen fragen wir uns: Kann es wirklich sein, dass wir erst gestern um diese Zeit angekommen sind?

Am Nachmittag lernen wir ein anderes Malaga kennen, eher unfreiwillig, Folge eines Missverständnisses. Wir haben ein Symbol auf der Karte falsch gelesen, als Leuchtturm. Das hatte aber nur die Form eines Leuchtturms, zufällig, und bezeichnete ein Museum.

Wir kommen an einer großen Baustelle entlang der Straße vorbei, einer Baustelle, auf die wir schon gestern auf dem Weg zum Hotel vorbeigekommen sind. Es ist die geplante U-Bahn Malagas, ein offensichtlich ewiger Streitapfel zwischen Stadt und Land, zwischen Ayuntamiento und Comunidad. Es geht unter anderem darum, ob die U-Bahn unterirdisch oder überirdisch verlaufen soll, jedenfalls hier, im Zentrum. Der Streit hat sich so weit ausgedehnt, dass der Bau eine Zeitlang ganz zum Erliegen gekommen ist. Jetzt scheint es aber wieder voran zu gehen.

Wir gehen an dem Guadalmedina entlang, dem Fluss Malagas. Dann geraten wir in einen lauten, unansehnlichen, heruntergekommenen Stadtteil, der aber ganz in der Nähe der Altstadt liegt. Abblätternde Fassaden, leere Geschäfte, verfallende Häuser, Schmierereien, lose Bordsteinplatten. Die einzigen Geschäfte, die noch offen sind: Spielhallen und Sexshops. Dazwischen eine Apotheke. Die hat in diesem Kontext auch ihre Existenzberechtigung. An der Fassade ist das Wort für Apotheke in mehreren Sprachen angebracht, darunter: Apoteke. Dann taucht auf einmal eine typische spanische Bar auf, mit Tischen draußen, an denen ganz gewöhnliche Menschen sitzen und Kaffee trinken, eine Reminiszenz an die Zeiten, als das Viertel noch in Ordnung war.

Der Weg zieht sich in die Länge, und langsam wird uns klar, dass das mit dem Leuchtturm ein Versehen war. Wir fragen ein junges Paar nach dem Weg zum Leuchtturm: “Sabéis dónde se encuentra el faro?” Der Mann antwortet: “El camino de la farola? Por allí.” Immer geradeaus. Ich stutze. Ist faro nicht Maskulinum? Erst später im Internet klärt sich die Sache auf: In der Standardsprache Maskulinum, in Malaga Femininum!

Dann kommt ein Riesenrad in Sicht. Das haben wir bisher noch gar nicht gesehen, in den nächsten Tagen sehen wir es dann immer wieder aus verschiedenen Richtungen. Es dreht sich, aber man kann kaum einen Kunden erkennen

Vom Riesenrad an ist es nicht mehr so schäbig, und es wird auch wieder lebendiger. Bald kommen wir an den Hafen. Der Leuchtturm, weiß, ziemlich gedrungen, kommt am anderen Ende des rechtwinkligen Hafenbeckens in Sicht.

Der Weg dorthin ist ausgesprochen schön. Es geht den Paseo de las Sorpresas entlang, eine moderne Erweiterung der Uferpromenade, den Muelle 2, unter einer 400 Meter langen, strahlend weißen Pergola, in fließenden Formen, die einen Teil des Sonnenlichts abhält, einen Teil durchlässt. Schön und funktional gleichzeitig.

Am Ende des Paseo de las Sorpresas steht ein Kubus aus leuchtenden, farbigen Quadraten: das Centre Pompidou Malagas, eins der Museen, die Malaga zu einer echten Museumsstadt macht.

Dann biegt man rechtwinklig nach rechts ab, und es geht weiter über die alte Uferpromenade, den Muelle 1. An dessen Ende steht der Leuchtturm, und hinter dem Leuchtturm kommt man schon nach wenigen Minuten an der Strand und das offene Meer.

Als wir zurückkommen, wird es langsam dunkel. Im Zwielicht suchen wir eine Statue, den Cenachero. Eine sehr hilfsbereite Familie, mexikanisch aussehend, aber in Marbella wohnend, hilft uns bei der Suche. Erst wissen sie auch nicht so richtig Bescheid, aber dann verfolgen sie uns quasi und zeigen uns den Weg, jenseits der Hauptstraße, in einen kleinen Park.

Die Suche lohnt sich. Es ist wirklich eine gelungene Skulptur. Sie zeigt einen typischen traditionellen malagüeño. Der Cenachero ist ein ambulanter Fischverkäufer. Meist verkaufte er Sardellen (boquerones), aber auch Anchovis (anchoas). Bei der Gelegenheit erfahren wir, dass Boquerones auch der Spitzname der malagüeños ist.

Der Cenachero trägt selbstgebastelte Weidenkörbe, die zu beiden Seiten an Stricken von seinen Schultern herabhängen. Er hat kräftige Oberarme und nackte Füße. Das Hemd spannt und kräuselt sich da, wo die Stricke herunterhängen. An seinem Bauch spannt sich eine Binde, ein Kleidungsstück, auf das wir hier mehrmals noch stoßen werden. Auf dem Kopf trägt er eine lässig in den Kopf geschobene Mütze. Er sieht stolz aus, und sein Blick hat etwas Herausforderndes. Sehr schön. Leider werden die Photos bei den Lichtverhältnissen nicht so gut.

Am Abend landen wir nach langer Suche in Bar, ein kleines Stückchen abseits des touristischen Zentrums. Die Speisen, die auf der langen Theke ausgelegt sind, sehen verlockend aus, aber dann sind die Tapas nicht so schmackhaft wie sie aussehen.

29. November (Donnerstag)

Zeit für Picasso. Schließlich ist er ein Sohn der Stadt Malaga. Wir haben das Geburtshaus ins Visier genommen.

Neben unserem Hotel ein Geschäft, das seine Kunden auf seine Fremdsprachenkenntnisse hinweist: We speack your language.

Auf dem Weg zum Frühstück kommen wir an einem Lokal mit dem Namen Lo Güeno vorbei. Wohl eine Anspielung auf eine volkstümlich, vielleicht andalusische Aussprache von bueno. Später führt unser Weg an der Taberna Er Quesada vorbei, vermutlich eine Anspielung auf die /l/-/r/-Verwechslung, auch wohl ein Phänomen des andalusischen Spanisch.

Frühstück gibt es in La Canasta, gleich an der Plaza de la Constitución. Man muss unten eine Nummer ziehen, was wir übersehen, aber die Kunden sehen es uns nach. Man bestellt unten, sitzt aber oben auf einem schmalen Balkon mit einem wunderbaren Blick auf den Platz, auf die Palmen, die sonnenbeschienenen Fassaden und das achteckige Dach des Jesuitenkollegs.

Auf dem Weg zum Museum, in einem belebtem Teil der Fußgängerzone, fällt unser Blick auf das Geschäft Las Carcasas, ganz modern, mit direktem Einblick in das Innere von der Straße aus. An den Wänden hängen, säuberlich aufgereiht, kleine rechteckige Gegenstände, alle von gleicher Größe. Wir fragen uns, was das wohl sein könnte. Erst denken wir an Taschenbücher, dann an Schmuckkladden. Aber warum sollten die so auffällig ausgestellt sein? Und warum sollte es ein Geschäft geben, dass sich nur diesem einen Artikel widmet? Das ist es aber tatsächlich, nur handelt es sich nicht um Taschenbücher und nicht um Schmuckkladden, sondern um Schutzhüllen für Handys! Ob carcasa mit engl. carcass verwandt ist? Das wäre wirklich eine verrückte Bezeichnung.

Ganz in der Nähe ist die Plaza del Siglo. Die haben wir gesucht. Denn hier steht wiederum eine Skulptur, ein silbernes Gerüst runder, sich kreuzender Eisenstangen: Panda rhei. Tatsächlich ist hier alles ‘im Fluss’. Die Skulptur, heißt es, sei sieben Meter hoch und stehe an einem Platz, auf den sieben Straßen, eher Sträßchen wohl münden. Wir kommen bei der Zählung nur auf sechs, aber sei’s drum. Ob die Zahl Sieben auch einen Bezug zu dem Thema der Skulptur hat, wissen wir nicht.

Wir biegen von dem belebten Platz in eine schmale, menschenleere Gasse ab. Deren Namen lese ich als Calle Bertas, es ist aber die Calle Beatas. Auch hier stoßen wir unverhofft auf eine Skulptur, die von unserer Seite kaum als solche zu erkennen ist, an der Einmündung einer anderen Gasse. Man sieht nur drei gleichförmige Hundeköpfe, die aus einer flachen, niedrigen Steinplatte herausgucken. Neugierig geworden, gehe wir ein paar Stufen in die niedriger gelegene andere Gasse hinunter, und siehe da: Dort befindet sich der Hauptteil der Skulptur: Diana im Bade. Diana stürzt sich mit Kopfsprung in den Brunnen, neben ihr ihre Gefährtinnen. Etwas weiter entfernt sieht ein Mann zu. Das ist Aktaion, der unerlaubterweise zuguckt. Typisch Mann. Und das hat er dann davon: Diana bespritzt ihn mit Wasser, und er verwandelt sich in einen Hirschen. Und jetzt ergeben auch die Hunde auf der anderen Seite ihren Sinn: Es sind Aktaions Hunde, die ihren zum Hirsch mutierten Herrn zerreißen.

Am Ende der Gasse befindet sich links die Diskothek Rocking Beatas. Da lassen es die Seligen so richtig abgehen.

Dann kommt die Plaza de la Merced, eine kuriose Mischung aus Platz in volkstümlichem Viertel und Platz als Zentrum touristischer Belange. Der Platz ist benannt nach dem nicht mehr existierenden Kloster La Merced, entspricht aber sonst, wie man auf Photographien sehen kann, weitgehend dem Platz, den Picasso kannte.

Im Zentrum des Platzes eine Pyramide. Sie wurde errichtet in Erinnerung an den General Torrijos und seine 48 Gefährten, die unter Fernando VII. als Rebellen hingerichtet wurden, hier in Malaga, aber auf einem anderen Platz. Die Pyramide thront auf zwei Blöcken, von denen der obere ein bisschen versetzt aufliegt, Folge eines Erdbebens. Unter den Blöcken befindet sich eine Krypta. Dort wird die Asche von Torrijos aufbewahrt.

An einer Ecke des Platzes, unter Bäumen, auf einer Parkbank, sitzt unauffällig – Picasso. Man erkennt ihn sofort: der runde Kopf, die breite Nase, das schüttere Haar. Wenn man nicht wüsste, dass es Picasso ist, würde man wohl nicht auf einen Künstler tippen. Er könnte genauso gut Besitzer eines Krämerladens an dem Platz oder ein Postbeamter sein. Sehr subtile Gesichtszüge hat er nicht. Seine Erscheinung ist aber ganz lässig. Er trägt Sandalen und einen Arbeitsanzug. In der einen Hand hält er eine Tafel, in der anderen einen Stift oder ein Stück Kreide.

Das Eckhaus gleich dahinter ist sein Geburtshaus, jetzt zum Museum umgebaut. Das Verhältnis von Picasso zu Malaga war nicht sehr innig. Er verbrachte die ersten elf Jahre seines Lebens hier, kam danach noch einmal zurück, als er um die zwanzig war, und dann nie wieder. Umgekehrt war das Verhältnis von Malaga zu Picasso auch nicht gerade innig. Lange wollte man von ihm nichts wissen, und ein Picasso-Museum wurde erst eingerichtet, nachdem es in Paris und Barcelona und anderswo längst eins gab.

Das kleine Museum ist im ersten Geschoss untergebracht. Leider erfährt man nicht, ob die Familie das ganze Haus oder nur diese eine Etage bewohnte und ob man Mieter oder Eigentümer war.

In der Diele sieht man kleine Porträts, in Schwarz und Weiß, von Picassos Vater und Mutter und von Picasso als Kind. Er war das erste Kind seiner Eltern, es folgten zwei Schwestern, von denen die eine mit acht Jahren starb.

Picasso selbst hätte seine Geburt fast nicht überlebt. Der Onkel, der Bruder des Vaters, der Arzt war, wurde herbeigerufen und rettete ihm das Leben. Picasso erhielt sieben Vornamen, der Sitte entsprechend, derzufolge viele Namenspatrone viel Schutz bedeuteten: Pablo Diego José Francisco de Paula Juan Nepomuceno María de los Remedios Cipriano de la Santísima Trinidad. Erstaunlich, mit wie viel Naivität – oder Gottvertrauen – populäre Vorstellungen ausgestattet sind. Der erste Vorname, Pablo, war der des Onkels, der ihm das Leben gerettet hatte. Sein erster Nachname war Ruiz, und die ersten Gemälde signierte er mit P. Ruiz. Den nicht spanisch klingenden Nachnamen Picasso stammte vom Großvater mütterlicherseits. Der war Italien

In dem rekonstruierten Wohnzimmer steht auf dem Boden ein größeres Gemälde des Vaters, eine Straßenszene, eine Art Innenhof, ohne Menschen, aber mit Tauben auf dem Boden. Die Tauben blieben auch für Picasso ein Leben lang ein wichtiges Motiv.

Picassos Vater war Maler, Kunstlehrer und Leiter eines kleinen Kunstmuseums, war also mit Kunst in verschiedenen Varianten vertraut. Und hatte so verschiedene Quellen des Broterwerbs. Die Familie war nicht arm, aber auch nicht wohlhabend, und in der Krise des Jahrhundertendes wurde es knapp. Die wirtschaftliche Situation bedingte auch den Umzug nach Coruña, obwohl der Vater dort nur eine Kunstlehrerstelle hatte.

An der Wand das erste Gemälde Picassos, kleinformatig, einen Stierkämpfer darstellend. Auch das ein Motiv, dem er lebenslang treu blieb.

In dem angrenzenden länglichen Raum sind ein paar persönliche Objekte ausgestellt, darunter das Taufkleid Picassos. Die Taufkleider der Zeit machten keinen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen. Über dem Saum ein von der Mutter gesticktes P. Daneben ein Hemd. Auch hier auffällig die Binde, die sich quer über den Bauch zieht.

In dem Raum sind auch Gemälde ausgestellt, die Picassos Vater von anderen Malern geschenkt bekam, darunter drei sehr schöne Ansichten vom Hafen von Malaga.

In der Diele eine Capa española, ein Geschenk einer seiner Frauen. Die trug er immer wieder im weiteren Verlauf seines Lebens. Picasso blieb Spanier, auch wenn er den größten Teil seines Lebens in Frankreich verbrachte.

Ein weiteres wichtiges Motiv blieb für Picasso das Meer, hier repräsentiert durch einen Keramikteller mit stilisierten Booten.

Wir machen uns wieder auf den Weg in die eigentliche Altstadt. Auf dem Weg kommen wir am Restaurante Tato vorbei. Ich muss das Wörterbuch bemühen. Die Bedeutung will mir einfach nicht in den Sinn kommen: ‘kleiner Bruder’.

In der Altstadt kaufen wir einen Fächer. In einem Geschäft, das wir am Vorabend gesehen haben und das wir jetzt nur wiederfinden, weil wir uns an den Namen der Straße erinnern. In den Ecken und Winkeln der Altstadt verläuft man sich leicht.

Nicht mehr finden wir die Churrería, vor der am Abend zuvor die Kunden Schlange standen. Aber die Eigentümerin des Fächer-Geschäfts gibt uns einen Tipp: Gleich in der Seitengasse befindet sich eine gute Churrería. Besser hätten wir es nicht treffen können.

Die Churrería ist einfach eingerichtet, und wir sind fast die einzigen Kunden. Kein Wunder: Um ein Uhr wird geschlossen. Dann geht es erst um fünf weiter. Leuchtet ein: Das ist wohl die einzige Zeit des Tages, zu der kein Mensch, jedenfalls kein Spanier, auf die Idee kommen würde, churros zu essen.

Bei der Bestellung machen wir eine schöne sprachliche Entdeckung: Die Kellnerin fragt uns, ob wir jeweils zwei oder jeweils drei churros haben wollten: “¿Dos y dos o tres y tres?” Mit der offenen andalusischen Aussprache und dem Wegfall des /s/ klingt das echt witzig und ist für Uneingeweihte kaum verständlich.

Ich habe, ohne Rücksprache, leichtsinnigerweise drei bestellt, in der Annahme, dass es die dünnen, herzförmigen churros sein würden, die sonst gängig sind. Aber in Andalusien gehen die Uhren anders. Hier sind es lange, dicke Stangen, nicht gebogen, sondern gerade. Sie schmecken himmlisch, genauso wie die dickflüssige Schokolade, besser als die in Jerez und die in Galicien, die ich in den letzten beiden Jahren probiert habe. Und wir werden beide mit der riesigen Portion fertig.

Am Nachmittag machen wir einen Spaziergang über den Paseo del Parque, parallel zum Paseo de las Sorpresas und zum Hafen verlaufend. Hier stehen riesige exotische Bäume. Einer davon sieht aus, als hätte er einen Pelz. Die Äste mit dem dichten Nadelwerk schlingen sich direkt um den Stamm.

Dann geht es in den Parque Pedro Luis Alonso, gleich nebenan, eine Art Gegenprogramm, mit kleinen, gepflegten Blumenrabatten. Der Park liegt gleich neben dem Rathaus. Hier sehen wir die zweite Statue, die einen typischen malagüeño darstellt, den Biznaguero, einen Blumenverkäufer. In der einen Hand hält er einen Jasmin-Strauß, die andere Hand ist an das Ohr gelehnt, und der Blick geht nach oben. Auch hier ist alles, wie bei dem Cenachero gestern, sehr fein gearbeitet, vor allem wieder die Kleidung.

In der Nähe der Kathedrale kaufen wir an einem Kiosk Ansichtskarten und Briefmarken. Das Porto kostet 1,45 €! Unter den Ansichtskarten ist eine, die ein wunderbares Panorama darstellt: Man sieht die Altstadt und dahinter den Hügel, auf dem sich die Tore der Alcazada hinaufziehen. Das muss einiger Entfernung oder aus der Luft aufgenommen sein. Selbst kommen wir nie in den Genuss dieser Ansicht.

Später geht es dann endlich in die Kathedrale, an der wir schon ein Dutzend Mal vorbeigekommen sind. Hier wird ordentlich abkassiert. Als Gegenleistung gibt es einen sterbenslangweiligen Audioguide. Von der Baugeschichte erfährt man so gut wie gar nichts, außer der ziemlich nichtssagenden Aussage, dass verschiedene Stilarten vertreten sind. Der Raumeindruck erinnert jedenfalls eher an einen Bau der Renaissance als an die Gotik, ist also eher zeitgemäß, anders als Sevilla oder Granada. Was mit dem maurischen Vorgängerbau passiert ist, der riesengroß gewesen sein muss, davon erfährt man gar nichts.

Stattdessen wird ein Seitenaltar nach dem anderen abgearbeitet. Wir ermüden bald und geben auf, zumal die Beschreibung auch noch schlecht vorgetragen ist. Die ganze Sache erinnert mich an die Kathedrale von Cádiz. Hätte nicht gedacht, dass es irgendwo noch mal so schlimm sein würde.

Das einzig interessante Detail ist der Glockenturm, in dem der Organist mit seiner Familie gewohnt haben soll. Er wollte allzeit in der Nähe seiner Orgel sein. Später, von außen, versuchen wir uns zu einigen, in welchem Stockwerk diese Wohnung gelegen haben könnte.

Schön sind an der Kathedrale die Fassade und der Blick in den Chor mit dem dahinterliegendem Kapellenkranz, in den man durch die doppelstöckigen Arkaden gleich hinter dem Altar hineinsehen kann.

Am Abend landen wir nach etwas zögerlicher Suche wieder in der Casa Lola, da zwei der Lokale, auf die wir es abgesehen hatten, geschlossen sind. Wieder gibt es die wunderbar schmeckenden Oliven. Die Nachfrage, was diese Art von Oliven von den anderen unterscheidet und ob es die Art oder die Zubereitung ist, führt nicht viel weiter. Der freundliche, rundliche Ober sagt lediglich, sie würden sie von einem kleinen Laden direkt neben dem Corte Inglés beziehen. Das ist nicht so hilfreich, aber ich habe die Frage vermutlich auch nicht richtig gestellt.

30. November (Freitag)

Frühstück gibt es heute in der Bar gleich neben dem Hotel, einer typisch spanischen Bar. Es ist voll, und wir sind die einzigen Fremden. Leider haben sie abends nicht geöffnet. Sonst könnte man hier auch mal essen. Würde sich schon wegen der Namen der Gerichte lohnen: Patata a la pobre, Huevos rotos, Ensalada Piparrana, Lágrimas de pollo.

Wir gehen noch mal Richtung Kathedrale. Da steht, gleich nebenan und sogar noch auf dem Gelände der Kathedrale, eine gotische Kirche, Sta. María, mit einem schönen plateresken Portal. Sie muss eine der ältesten Kirchen Malagas sein.

Wieder kommt die Sonne raus. Man muss ihr nur Zeit lassen. Dann ist es richtig schön warm, bis die Sonne untergeht. Dann wird es kalt. Aber es bleibt trocken. Wir bekommen in all den Tagen keinen Tropfen Regen ab.

Wir machen heute einen Strandspaziergang, immer der Strandpromenade entlang, die man nur etwa auf halber Distanz für einen Moment verlässt. Die Strände haben unterschiedliche Namen, gehen aber eigentlich ineinander über: La Malagüeta, La Caleta, Pedregalejo, El Palo. Der Sand verfärbt sich: Mit zunehmender Distanz von der Stadt wird er dunkler. Insgesamt ist die Strecke sieben Kilometer lang.

Wir gehen aber nicht gleich in Malaga am Strand los, sondern machen einen kleinen Umweg, um auf den Englischen Friedhof zu gehen. Auf dem Weg dorthin kommen wir an der Stierkampfarena vorbei. Dann geht es ein Stück des Weges unter einer schönen Baumarkade entlang.

Von der Straße aus hat man immer wieder zwischen den Häuserreihen einen Blick auf das Meer, sonnenbeschienen, mit Palmen im Vordergrund und Schiffen im Hintergrund und ein paar weißen Wölkchen am Himmel.

Auf der anderen Straßenseite eine Apotheke: 365 días abierto. Dann finden wir, auf Nachfrage, den Englischen Friedhof, an dem wir schon vorbeigelaufen sind, auf der anderen Straßenseite.

Der Friedhof liegt etwas erhöht. Man betritt ihn, indem man unten an einem Wärterhäuschen vorbeigeht. Hier wohnte die Familie Alcaide, die über Generationen Wärter des Friedhofs war.

Von oben konnte man früher vermutlich aufs Meer blicken. Jetzt ist der Blick durch Hochhäuser versperrt. Der Friedhof ist der erste protestantische Friedhof Spaniens, aber auch Katholiken ließen sich hier begraben. Er wurde errichtet auf Initiative von William Mark, dem britischen Konsul von Malaga. Bis dahin wurde die Toten in heimlichen nächtlichen Aktionen an den Strand geschafft und stehenden Fußes im Sand verbuddelt. Sie wurden dann von den Wellen ins Meer gespült. Mark setzte sich dafür ein, diesen unwürdige Sitte abzuschaffen. Die Stadt Malaga gab ihm dann dieses Stück Land außerhalb der Stadt, um einen Friedhof zu errichten. Er selbst ist auch hier begraben.

Etwa im Zentrum steht eine Kapelle, ursprünglich ein Pavillon, der 1891, mit der Religionsfreiheit, zur Kirche umgewidmet wurde. Das Patrozinium ist natürlich St. George.

Begraben sind hier unter anderem

der Mann, a) der das erste Hotel in Torremolinos errichtete

Jorge Guillén, der spanische Dichter der 28er-Generation

Gerald Brennan, der britische Historiker (“Un amigo de España”)

William Boyd, ein verwegener britischer Offizier, der Torrijos bei seinem Aufstand unterstützte und nach dessen Scheitern hier am Strand standrechtlich erschossen wurde. Er war der erste, der hier bestattet wurde

Es gibt auch ein Monument für die Opfer der Havarie der Gneisenau, eines deutschen Schiffes, das hier vor der Küste sank, weil der Kapitän eine Wetterwarnung nicht beachtete. Mehrere malagüeños, die zur Rettung eilten, kamen dabei ums Leben.

Ganz in der Nähe dieses Monuments fällt unser Blick auf eine kleine Grabplatte, angebracht über dem Grab einer Frau, mit der Inschrift: “Here lies Stephanie Hespeler, Then Boultbee, then Freeze, then Benn. So many men, never The Man. Arg-h, men!”

Derart inspiriert gehen wir zur Strandpromenade runter. Ein wunderbarer Spaziergang, immer am Meer entlang. In Pedregalejo, einem kleinen Ort, dessen Name uns immer wieder entfällt, machen wir eine kleine Kaffeepause. Mit Hilfe des Internets können wir ein anderes sprachliches Rätsel klären: Immer wieder haben wir in den letzten Tagen in Cafés gesehen, dass es Café con pitufo gibt. Pitufo? Kommt mir bekannt vor. Hieß das nicht ‘Schlumpf’? Stimmt. Aber hier in Malaga, und nur in Malaga, bezeichnet es auch ein kleines belegtes Brötchen. Das war die Idee eines Bäckers, der neben dem größeren, härteren bocadillo ein weicheres, kleineres Brötchen für Kinder anbieten wollte und das mit dem Bild eines Schlumpfs bewarb, der so ein Brötchen, ein pitufo, in der Hand hielt.

An einem modernisierten Stück der Strandpromenade gibt es auch einen Radweg. An Laternenmasten hängen Wahlplakate für die bevorstehenden Landtagswahlen, aber nur von Podemos und von Vox, der neuen rechtsgerichteten Partei. Podemos kommt modern und etwas unverbindlich daher, mit anonymen fröhlichen jungen Menschen, die einer besseren Zukunft entgegen zu schreiten scheinen. Vox hat, schon durch die Wahl der Nationalfarben auf dem Plakat, eine klar zentralistische Botschaft, und die lautet für diese Wahlen: Andalucía por España.

Die Strandpromenade ist schön angelegt und bequem. Zur Linken tauchen immer wieder Lokale auf, deren Namen meine Aufmerksamkeit beanspruchen: El cabra (Maskulinum – keine Ziege, sondern ein Fisch, der Sägebarsch), Cazorla (ein Ort in Jaén), Los cuñao (Versuch, andalusische Aussprache zu imitieren, nicht ganz konsequent), Gabi (im Spanischen ein Männername), El Zagal (Hirtenbursche).

Gelegentlich tauchen Häuserreihen auf, darunter einige ganz kuriose Häuser: schmal und zweistöckig, wobei der vordere Teil des zweiten Stocks als Balkon freigelassen ist. Eins davon steht zum Verkauf. Das wär’ doch was! Nie mehr Schnee schippen, nie mehr Wintermäntel.

Zur anderen Seite, zum Stand hin, immer wieder Grills, auf denen die berühmten espetos zubereitet werden, Sardinenspieße, ein Gericht, das zur klassischen kulinarischen Tradition Malagas gehört. Es sind flache Holzspieße, mit vier oder fünf sich nach oben wölbenden Sardinen quer übereinander. Die Spieße liegen nicht im Feuer oder darüber, sondern stecken in dem Sand neben der Glut.

Auf der Seite zum Meer hin erscheinen immer wieder schön verzierte Kacheln, auf denen kurze Gedichte angebracht sind, die alle etwas mit dem Thema Meer zu tun haben. Alle stammen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und der Weg ist hier nach ihnen benannt: Paseo de la Generación del 27.

Dann, als wir schon fast glauben, vorbeigelaufen zu sein, ganz am Ende des letzten Strandes, kommen wir doch noch an unser Ziel: El Tintero, ein Lokal, das in beiden Reiseführern angepriesen wird. Und zwar zu Recht. Wir sind noch ein bisschen zu früh, aber allmählich, so ab zwei, kommt Leben in die Bude. Die Jahreszeit sorgt dafür, dass die langen Tischreihen nicht komplett gefüllt sind, und dafür, dass nur Spanier hier sind, meist in Gruppen von sechs bis acht. Alle sitzen draußen. Dass im Sommer hier auch Touristen verkehren, sieht man an dem Schild vor dem Eingang ins Lokal, das darauf hinweist, dass das Betreten des Lokals ohne Schuhe oder im Badeanzug nicht erlaubt ist.

Die Besonderheit des Tintero: Man bestellt nicht, sondern wartet auf die Kellner, die mit verschiedenen Tellern eines Gerichts durch die Reihen gehen und es anpreisen:

“!Aguacate!” – “!La sepia!” – “!La verde, la que no engorda!” – “!Calamares!” -“!Boquerones!” – “La concha fina!”. Ein echtes Spektakel. Das den Fußweg auch gelohnt hätte, wenn er nicht ohnehin so schön gewesen wäre. Mir kommt die Vorstellung in den Sinn, mal die ganze Mischpoke hierher einzuladen und ein Fest zu feiern.

Als wir nach der Rechnung fragen, werden die Zahlen einfach auf der Tischdecke notiert und zusammengezählt.

1. Dezember (Samstag)

Auf dem Weg zum Picasso-Museum kommen wir an einer weiteren Dependance der Taberna Lola vorbei. Dort wird Werbung für Vermut al grifo gemacht. Tatsächlich steht im Schaufenster ein Fässchen, aus dem man Wermut zapfen kann.

Im Picasso-Museum sieht man ganz frühe, kleinformatige Bilder, teils auf Holz. Picassos Kommentar dazu lautet, er habe nie Kinderzeichnungen gemacht. Es stimmt, wenn man diese Bilder zum Maßstab nimmt. Er hat von vornherein wie ein Erwachsener gearbeitet.

Überhaupt gehören Picassos Kommentare, klug, unkonventionell, treffend, oft provokativ, zu dem Besten, was das Museum zu bieten hat. Dazu gehört auch eine Polemik gegen die enseñanza académica und ihr Ideal der Schönheit. Das sei falsch, der Parthenon, die Venus, alles falsch. Nur der Instinkt zähle.

Erstaunlich die Variation im Material, das Picasso bearbeitete: Öl, Holzkohle, Bleistift, Bronze, Ton, Tinte, später auch Zeitungspapier, Gips, Metall und vieles andere.

Ein Zitat Picassos, die Konzeption des Kunstwerks betreffend, spricht mir aus der Seele. Es ist auch auf Literatur anwendbar: Das Bild werde nicht von vornherein konzipiert, es ändere sich mit der Entstehung und es ändere sich auch mit dem Betrachter und der Zeit.

Kuriose Entdeckung bei der Beschriftung einer Vorzeichnung zu den Drei Grazien: Was auf Englisch Indian ink heißt, heißt auf Spanisch Tinta china.

In einem längeren Zitat finde sich der Satz, den ich nur in gekürzter Form kenne: „Ich suche nicht, ich finde.“ In dem längeren Zitat hört er sich nicht so präpotent an. Ein gutes Beispiel dieser Idee ist eine Skulptur, die sich an der Stirnseite eines Saals befindet: ein Stierkopf. Ich wäre fast schon achtlos in den nächsten Saal weitergegangen, bin dann aber doch noch näher getreten und habe mir die Beschilderung durchgelesen und dabei die entscheidende Entdeckung gemacht: Die Skulptur besteht aus einem waagerecht angebrachten Fahrradlenker (für Stirn und Hörner) und einem senkrecht angebrachten Fahrradsattel (für das Gesicht).

Aus der Nachkriegszeit zwei nebeneinander hängende Frauenporträts, stark stilisiert, mit unnatürlichen Farben und schematischen Gesichtszügen. Beide Porträts sind sehr sehr ähnlich, und man macht sich unwillkürlich daran, sie auf Unterschiede abzuklopfen, z.B. eine rote Gesichtshälfte gegenüber einer Grünen Gesichtshälfte.

Es gibt surrealistische Gemälde wie ein Stillleben mit drei Igeln. Die sind waagerecht, ohne jede Perspektive, auf den Grund gemalt, als lägen sie auf dem Boden, bestehen aber nur aus Kreisen, von denen nach außen Strahlen abgehen.

Porträts gibt es auch auf Keramik, kunstvoll gemacht, mit ganz wenigen Strichen entsteht ein ganz charakteristischer Kopf. Mit über 80, sagt Picasso lakonisch (aber auch etwas anmaßend) habe er endlich gelernt, wie ein Kind zu malen.

Gesichter von Müttern versucht er so darzustellen, wie sie sich dem Kleinkind zeigen. Das Gesicht erscheint dem Kleinkind groß, mit hervorstechenden Gesichtszügen, anders als allen anderen.

Der Krieg ist nicht als solcher präsent, aber es gibt während der Kriegszeit viele Motive, die sich indirekt darauf beziehen, wie in einem Gemälde, in dem ein Kater mit lüsternem Blick einen Hahn verschlingt.

Am Schluss der Ausstellung ist von Picassos heimischem Zoo die Rede. Zu Recht, denn Tiere tauchen in den Werken immer wieder auf. Picasso konnte Menschen mögen oder nicht mögen, aber er mochte alle Tiere. In Bateau-Lavoir hielt er drei siamesische Katzen, vier Hunde, einen Macao, eine Schildkröte und eine domestizierte weiße Ratte. Die hielt er in einer Schreibtischschublade.

Nach dem Museum trinken wir auf der Plaza de los Mártires einen Kaffee. Die Kirche, nach der der Platz benannt ist, ist eine von vier Kirchen, die noch von den Katholischen Königen errichtet wurden. An der Backsteinfassade befinden sich zwei farbenfrohe Mosaike mit der Darstellung der heimischen Märtyrer, Paula und Ciriaco. Aus dem ersten Stock dröhnt Lautsprechermusik, Weihnachtslieder mit andalusischen Rhythmen. Wenn man keine Textfetzen verstünde, käme man nicht auf die Idee, dass es sich um Weihnachtslieder handelt.

Am Nebentisch zwei Männer, die Englisch sprechen. Alles andere als Standard-Englisch. Schottisch? Irisch? Ich frage, und merke dass ich einen Volltreffer gelandet habe: Einer ist Schotte, einer Ire.

Beim Kaffee lerne ich das wunderbare Wort Kujambels, eine Kunstwort für jede beliebige Währung, deren Namen man nicht kennt: 120 ruandische Kujambels. Das Wort ist Wikipedia bekannt, nicht aber dem Duden.

In der Larios befindet sich ein elegantes Bekleidungsgeschäft, der Name stilvoll in Schwarz und Weiß über dem Eingang: Scalpersa. Der letzte Buchstabe hat die Form eines Totenkopfs.

Nur wenige Schritte vom touristischen Zentrum entfernt befindet sich ein volkstümliches, uriges Viertel, in das man nicht so ohne Weiteres gelangt. Dank des Reiseführers finden wir trotzdem hin. Der lässt uns einen Links- und einen Rechtshaken machen und schickt uns zwei Gassen entlang, die Calle Mosquera und die Calle Nosquera. Und schon sind wir da. Wie in einer anderen Welt. Wir landen im Entre Varales, einem rustikalen mesón. Großartig. Was für eine Atmosphäre! Es ist voll und laut, die Gäste sitzen in größeren Gruppen an langen Tischen und lassen sich Tapas kredenzen. Wir finden nur einen Platz an einem kleinen, erhöhten Platz an der Theke. Trotz des Betriebs behalten die Kellner die Ruhe und Übersicht und sind außerdem freundlich. Die Tapas haben Dimensionen, die anderswo als raciones durchgehen würden. Wir bestellen Setas Roquefort, Pollo al curry, Ensaladilla rusa und einen Surtido de Mariscos. Alles sehr schmackhaft. Dazu gibt es reichlich Bier, das Ganze für 16 €.

Die Kneipe ist nicht nur voller Menschen, sondern auch voller Objekte. Überall steht, liegt, hängt etwas herum, bunt gemischt. Es gibt aber einen roten Faden: Objekte (und Photos), die etwas mit der Prozession der Karwoche zu tun haben, und zwar mit der Prozession einer bestimmten Bruderschaft, einer cofradía, und zwar der dieses Viertels. Dieser Bezug erklärt auch den merkwürdigen Namen des Lokals: Entre Varales. ‘Zwischen Stangen’. Die Stangen, die gemeint sind, sind die, mit deren Hilfe der Altar bei der Prozession auf den Schultern der Träger ruht.

Am Abend gehen wir noch mal in dieselbe Gegend und probieren ein weiteres Lokal aus. Auch da tolle Atmosphäre. Die Kunden verteilen sich auf den eigentlichen Schankraum, auf den Raum vor dem Tresen und auf die Tische in der Gasse vor den Mauern der Häuser. Trotzdem muss man Geduld mitbringen, um einen Platz zu erwischen. Hier lässt allerdings das Essen etwas zu wünschen übrig.

Am Nachmittag muten wir uns noch ein zweites Museum zu, das Museo Carmen Thyssen. Dort gibt es eine Führung, allerdings nur auf Spanisch. Sie soll 70 Minuten dauern, dauert aber am Ende 120 Minuten. Das ist so oder so zu viel, aber erst recht bei dieser Vortragsart: ohne Unterbrechungen, ohne Zögern, ohne Fehlstarts, ohne jegliche Unsicherheit und mit großem Tempo. So geht es von Bild zu Bild. Der Mann ist absolut kompetent und rhetorisch begabt, aber er mutet uns einfach zu viel zu. Man ist schon froh, wenn es im Aufzug von einem Stock zum anderen geht und man einen Moment verschnaufen kann.

Am interessantesten, auch deshalb, weil sie am Anfang steht, die Dauerausstellung. Da findet sich meistens Genremalerei, meistens aus dem 19. Jahrhundert. Die Themen sind oft erkennbar spanisch. Da darf natürlich der Stierkampf nicht fehlen, darunter zwei sehr originelle Darstellungen. Auf einem Gemälde blickt man, von außen sozusagen, vom hinteren Rand der Loge, durch die Zuschauer hindurch auf den Platz, aber dort sieht man weder Stier noch Stierkämpfer, sondern nur das Pferd. Das eigentliche Geschehen, dem einige der Zuschauer der Loge aufgeregt folgen, spielt sich außerhalb unseres Blickwinkels ab. Man kann nur spekulieren, was die Zuschauer veranlasst, aufzuspringen und wild zu gestikulieren. Es ist, als wäre man genau in diesem Moment dabei. Die Zuschauer auf der anderen Seite des Platzes sieht man nur als Punkte oder Flecken, ganz flüchtig, genauso wie eine auffällige weißgekleidete Frauenfigur ganz im Vordergrund, die sich vom Geschehen abwendet. Ganz hinten ist die Stadtsilhouette von Malaga zu erkennen.

Auch das andere Stierkampfgemälde ist impressionistisch, aber hier sind wir mitten im Geschehen, einem blutigen Geschehen. Es ist der Moment, wo der Stier in die (damals noch ungeschützte) Flanke des Pferdes stößt. Der Reiter ist im Begriff, abgeworfen zu werden, andere versuchen, den Stier abzulenken. Weiter rechts wird jemand weggetragen, vermutlich der getroffene Torero. Rote und rosarote Punkte im Zentrum des Geschehens kontrastieren mit den graubraunen Tönen, in denen die Zuschauer, direkt hinter der niedrigen Bande, ganz schemenhaft dargestellt sind. Bei diesem Bild macht uns der Führer auf eine maltechnische Besonderheit aufmerksam. Man sieht eine übermalte Figur vor der Bande, gleich rechts neben dem zentralen Geschehen mit dem Stier. Diese Figur erscheint jetzt weiter rechts. Der Maler hatte wohl eingesehen, dass das Bild die Balance verlor, dass zu viel auf einmal in der Mitte des Bildes konzentriert war, so dass es sich entschloss, diese Figur nach rechts zu verschieben.

Als Kontrast zu den Genreszenen gibt es einige Landschaftsbilder. Fast immer ist das Meer beteiligt. Es geht darum, Natur darzustellen, aber auch darum, sie verfremdend zu dramatisieren, einem romantischen Impuls folgend. Das wird sehr deutlich bei einem Gemälde vom Hafen Malagas, das auf den ersten Blick ganz “normal” aussieht. Auf den zweiten Blick erkennt man Felsen im Wasser, die es im Hafen von Malaga gar nicht gibt. Außerdem ist das Meer stärker aufgewühlt, der Effekt der Gezeiten viel größer als es in Malaga der Fall ist. Auf einem anderen Gemälde sieht man eine Küstenlandschaft mit dem Felsen von Gibraltar. Hier hat der Maler Gibraltar um zwanzig Kilometer verschoben, um es in sein Bild zu bekommen.

Bei den Genreszenen im engeren Sinne sind es oft die Innenhöfe populärer Quartiere, die die Szenerie abgeben. Oft beeindruckend die Fülle der Details: eine bunte Pflanze, die aus den Fugen der Hauswand hervorwächst, ein Käfig mit einem Kanarienvogel an der Wand, eine Nachbarin, die sich neugierig über das Geländer ihres Balkons beugt, um mitzukriegen, was sich unten abspielt. Klassische Ingredienzien sind Gitarrenspieler, Tänzerinnen in langen Kleidern, tönerne Blumentöpfe, Ranken an den Häuserwänden, Gitter vor den Fenstern, zum Trocknen aufgehängte Wäsche. Das wirkt irgendwie lieblich, aber keineswegs kitschig. Immerhin ist hier das Leben der ganz normalen Leute, wenn auch leicht stereotyp, Gegenstand der Kunst.

Etwas aus dem Rahmen fällt das Titelbild der Ausstellung, das Porträt einer jungen Frau. Auch hier sieht man das Besondere nur, wenn man es weiß: Die junge Frau ist in traditioneller andalusischer Kleidung zu sehen, trägt aber im Kontrast zu dieser Tradition das Haar kurzgeschnitten nach Pariser Mode.

Als wir uns am nächsten Morgen aus Malaga verabschieden, hat es immer noch keinen Tropfen Regen gegeben. Und die Frage, ob sich Malaga lohnt, beantworten wir ohne Zögern mit Ja.