30. September (Donnerstag)
Baden-Baden hieß früher Baden. Ganz einfach. Da es in Baden lag, fügte man dann, um es von anderen Orten gleichen Namens zu unterscheiden, das zweite Baden hinzu. Es diente also der Unterscheidung, ähnlich wie bei Oldenburg in Oldenburg, aber eben mit dem Bindestrich versehen. Die Umbenennung in Baden-Baden erfolgte erst 1931! Den größeren Teil seiner Geschichte hieß Baden-Baden also nicht Baden-Baden! Aber auch der Name Baden war irgendwann neu gewesen. Er ist zum ersten Mal in einer spätmittelalterlichen Urkunde des Markgrafen von Baden erwähnt.Die Römer, die hier schon die heißen Quellen entdeckten, nannten den Ort Aquae Aureliae.
Zu den Kuriositäten Baden-Badens gehört, dass die österreichische Kaiserin Elisabeth, die eigenwillige Sissi, hier mit einem Gefolge von 36 Personen auflief und gleich ihre eigene Kuh mitbrachte, um täglich frische Milch zu bekommen und dass der Urgroßvater des Fürsten Albert von Monaco hier in der heutigen Sparkasse zur Welt kam und dass das beste Bier Brasiliens Baden-Baden heißt. Ein Grund mehr, da mal hinzufahren.
Mein Hotel, ganz zentral gelegen, ein bisschen abseits des Augustaplatzes, scheint sich immer mehr über das Viertel auszudehnen. Zu dem Hotel gehören auch Zimmer, die vermietet werden, sowie Ferienwohnungen und eine weitere Dependance, die sich „Residenz“ nennt, alle in verschiedenen Gebäuden in unmittelbarer Nachbarschaft untergebracht. Dazu das Hotel selbst, das wiederum einen Ableger in einer Seitenstraße hat, in dem ich untergebracht bin.
Die Frau an der Rezeption ist Russin, und das Mädchen, das beim Frühstück bedient, auch. In der Stadt hört man auch überall Russisch. Das knüpft irgendwie an die Tradition des 19. Jahrhunderts an, wo all die berühmten Russen Gäste in Baden-Baden waren. Im Stadtpark sehe ich zufällig eine Büste von Turgenjew, und später a einer Häuserfassade ein modernes Relief von Gogol. Und im Theater läuft ab nächste Woche Verbrechen und Strafe, also Dostojewskis Roman als Bühnenwerk unter neuem Titel. Auch wenn der näher am original ist, für mich klingt Schuld und Sühne immer noch „besser“.
Obwohl die Anfahrt nach Baden-Baden schon gestern war, beginnt die Reise – wenn man sie überhaupt so nennen kann – erst heute, und die Freizeit eigentlich erst nach dem Termin beim SWR. Dessen Gelände ist eine einzige Baustelle. Die normale Einfahrt ist sogar für Autos gesperrt. Für mich nicht, ich bin zu Fuß unterwegs. Auf dem Gelände entstehen überall neue Gebäude, darunter ein riesiges neues Medienzentrum. Auch auf den Zufahrtswegen wird überall gebuddelt. Ich habe mich früher schon gewundert, wie groß das Gelände ist, aber es scheint eine langfristige Planung zu sein, und man kann nun problemlos erweitern. Zu tun gibt es genug. Neben dem Fernsehsender betreibt der SWR vier Radiostationen und Das Ding und SWR Info.
Auf dem Weg zum SWR komme ich an Brenners Park Hotel vorbei, wo ich diesmal nicht abgestiegen bin. Dabei gibt es ein Zimmer schon für läppische 500 € pro Nacht. Frühstück nicht inbegriffen. Da muss man noch mal 55 € drauflegen.
Der Weg hinauf zum Sender ist mir schon irgendwie vertraut von früheren Besuchen. Überhaupt habe ich alles schon mal gesehen, irgendwie, aber nicht im Zusammenhang, und mir fehlt mal wieder die Orientierung.
Noch vor dem Termin beim SWR ist genug Zeit für einen Spaziergang, durch den Stadtpark und an der Lichtenthaler Allee entlang. Dabei komme ich am Kurhaus vorbei und an dem, was man hier „Trinkhalle“ nennt, das historisierende Gebäude für die Thermalwasser-Trinkkuren.
Im dem riesigen Stadtpark geht es an der Oos entlang und über sie drüber. Der Name ist keltisch. Er gehört zu den archaischen Wörtern für Fluss, die einfach ‚Wasser‘ bedeuten. Neben der Oos gilt das auch für die Ouse und die Oise, für die Isar und die Isère, die Weser und die Weichsel. Und wir finden das Wort natürlich auch in Whisky, dem ‚Lebenswasser‘.
Auffällig im Stadtpark die vielen knorrigen Bäume, Bäume, von denen schon Turgenjew in einem Brief an einen Freund schwärmte. Aus dem kahlen Stamm eines abgestorbenen Baums hat man ein längliches Loch herausgeschnitten, durch das man auf die Innenstadt und eine Wasserfontäne sieht.
In der Touristeninformation bekomme ich einen kleinen Stadtführer und erfahre jetzt endlich, was es mit der neugotischen Kirche auf sich hat, die ganz in der Nähe des Hotels, am Augustaplatz, steht, und die mit ihren beiden spitzen Türmen ein richtiger Hingucker ist. Es ist die Evangelische Stadtkirche, und die heißt offensichtlich auch so.
Der Augustaplatz ist benannt nach Augusta, der Gemahlin Wilhelms I. Die beiden kamen vierzig Jahre lang hierher, erst in seiner Zeit als Kronprinz, dann als König, dann als Kaiser. Die Kaiserallee ist danach benannt.
In dem Stadtführer ist von den drei Blütezeiten der Stadt die Rede. Die erste war die der Römer, die zweite begann nach der Verlegung der Residenz der Markgrafen hierher (1473), ins Neue Schloss, zwei Jahre, nachdem der Kaiser zur Kur nach Baden gekommen war, die dritte beginnt, als die europäischen Fürsten und Diplomaten beim Rastatter Kongress (1797) die Stadt als Sommerresidenz für sich entdeckten. Das einschneidendste Ereignis war aber wohl der Stadtbrand von 1689, nachdem die Franzosen die Stadt besetzt hatten. Der Brand legte fast die ganze Stadt und die Burgen der Umgebung in Schutt und Asche. Das sieht man bis heute. Es gibt kein mittelalterliches Viertel, keine gotische Kirche, kein mittelalterliches Rathaus. Das Stadtbild wird beherrscht von den vielen repräsentativen Häusern der Neuzeit, klassizistischen und neobarocken Gebäuden und Gebäuden aus der Gründerzeit.
Nach dem Termin beim SWR suche ich ein Café im Zentrum. Gar nicht so leicht. Das Wetter ist ein Traum, und da, wo ein bisschen Sonne ist, ist alles besetzt. Wenn man sich umsieht, wer da so rumsitzt, kann man sich fast jung fühlen.
Am Ende lande ich im Café König, das ich von einer früheren Gelegenheit kenne und mit dem ich schöne Erinnerungen verbinde. Sonst ist es schwer, hier einen Platz zu finden, aber das Karree vor dem Café, auf dem die Tische stehen, liegt im Schatten, und jetzt suchen die Leute die letzten Sonnenstrahlen der letzten warmen Tage des Jahres in anderen Cafés. Es gibt Kaffee und einen ausgezeichneten Kuchen. Der freundliche Kellner ist auch Russe und unterhält sich mit seinen russischen Stammkunden auf Russisch. Erst nach der Rückkehr nach Trier werde ich durch eine Frage darauf aufmerksam, dass es keine russischen Lokale gibt in Baden-Baden. Das wäre doch mal eine Geschäftsidee.
Bevor ich meinen Rundgang beginne, kaufe ich ein paar Postkarten und bei der Gelegenheit einen Bleistift. Ich staune nicht schlecht, als ich bezahle: Der Bleistift, der unter „Geschenkartikel“ läuft, kostet 3,95 €. In Baden-Baden, das werde ich noch öfter erfahren, kann es nicht schaden, eine gut gefüllte Brieftasche bei sich zu haben.
Der Startpunkt meines Rundgangs ist der Leopoldsplatz, ziemlich laut, obwohl schon zur Fußgängerzone gehörend (aber die Stadtbusse fahren hier her), mit einem modernen Brunnen im Zentrum.
Von hier aus geht es die Sophienstraße hinauf, eine Alleenstraße mit einem breiten Mittelstreifen für Fußgänger. Etwa auf halber Höhe der Reiherbrunnen. Zwei Reiher zu den Seiten picken mit ihrem Schnabel in ihrem Gefieder herum, der dritte, zentral am hinteren Beckenrand postiert, hat die Flügel weit ausgebreitet. Aus seinem Schnabel fließt heißes Thermalwasser. Der Brunnen stand früher weiter oben, auf dem Willy-Brandt-Platz, wurde dort aber immer wieder von Autos angefahren. Also versetzte man ihn hierher, in diese verkehrsberuhigte Zone.
Am Ende der Sophienstraße biegt man links ab und kommt an einem italienisch aussehenden großen Gebäude vorbei, der Alten Polizeidirektion. Dann kommt man zu einem Platz und steht vor den hypermodernen Caracalla-Thermen. Der Redakteur des SWR hat sie empfohlen, er ist dort Stammgast. Warum die Thermen so heißen, erschließt sich einem nicht. Klingt etwas bombastisch. Oder hatte Caracalla etwa was mit Baden-Baden zu tun?
Vor den Thermen der obligatorische Brunnen. Auf dem Brunnenrand eine knieende entblößte weibliche Figur, ohne Arme. Hat sie irgendeinen Bezug zu den Thermen? Oder ist es nur eine Reminiszenz an antike Statuen, wie sie in der Neuzeit ans Licht kamen?
Rechts von den Thermen steht eine Kapelle, und hinter der Kapelle eine Skulpturengruppe, einer Ölbergszene aus rötlichem Sandstein, eine sehr schöne Gruppe, die viel älter ist als ich dachte, über 500 Jahre alt. Sie steht hier, weil sich früher hier der Friedhof befand, der, wie die Kapelle, zu einem Hospiz gehörte. Die alte Stadtmauer verlief genau hier, das Hospiz befand sich außerhalb der Stadt.
Die Skulpturengruppe zeigt die drei schlafenden Jünger, alle in einer anderen Position, einer halb liegend, seinen Kopf auf die Hand gestützt, die beiden anderen sitzend, einer mit dem Kopf an die Wand gelehnt, der andere halb nach vorne gebeugt, schlafend, ohne das Buch aus der Hand zu lassen. So was soll es ja geben. Jesus ist von ihnen abgewandt, mit betenden Händen, richtet seinen Blick gegen Himmel, aber die Mauer vor ihm scheint ihn daran zu hindern. Sowohl die Umgebung als auch die Figuren sind aus demselben Material gemacht, die Figuren scheinen mit ihrer Umgebung zu verschmelzen. Sehr schön, aber durch die Position hinter der Kapelle leider den meisten Blicken verborgen.
Wenn man wieder zurück und an den Caracalla-Thermen vorbeigeht, hat man von dem Weg aus einen Blick auf fünf der bedeutendsten Bauten Baden-Badens: auf das Rathaus, die Stiftskirche das Schloss hoch oben und auf das Friedrichsbad und das Frauenkloster vom Heiligen Grab hier unten. Das Frauenkloster wurde, gerade fertiggestellt, ein Opfer des Stadtbrands und wurde dann wieder aufgebaut. Es ist in Weiß gehalten, mit einem eher barocken Stilmix und kontrastiert mit dem Friedrichsbad, hundert Jahre jünger, im Stil der italienischen Renaissance errichtet, vermutlich Sandstein.
Das Friedrichsbad entstand in der zweiten Bade-Phase Baden-Badens. Das Glückspiel wurde nämlich nach der Gründung des Deutschen Reichs verboten, das Casino geschlossen. Baden-Baden verlor seine auswärtigen Gäste – dass man Frankreich besiegt und sich Elsass-Lothringen einverleibt hatte, trug auch nicht gerade zur Beliebtheit in Frankreich bei – und sah sich am Abgrund. Das war die Situation, in der man sich auf die alte Badetradition besann. Und eine neue Epoche begann.
Das Glücksspiel blieb lange verboten und wurde dann erst wieder 1933 erlaubt. Ich reibe mir die Augen, als ich das lese. 1933? Die Nazis haben das Glücksspiel erlaubt? Waren die etwa Zocker? Es passt überhaupt nicht zu ihrer Ideologie und auch nicht zu dem, was ich gerade jetzt in der Zeitung gelesen habe, nämlich dass sie Monopoly, kaum war die deutsche Version erschienen, wieder aus dem Verkehr gezogen haben.
Dann geht es über eine gerade, steile Treppe nach oben auf den Marktplatz. Hier steht das Alte Rathaus, und neben ihm steht die Stiftskirche, ganz und ganz von einem Bauzaun umgeben. Hier wird saniert. Warum, das sollte ich am nächsten Tag erfahren.
An der anderen Seite führt eine ähnlich steile Treppe runter auf den Jesuitenplatz. Dabei kommt man an einer monumentalen Bismarck-Statue vorbei, die gleich an der Seite der Treppe steht. Bismarck kam jahrelang nach Baden-Baden und sorgte dafür, dass er immer hier war, wenn auch der Kaiser hier war.
Auf dem Jesuitenplatz steht das Neue Rathaus. Ich kenne kein Rathaus, das so wenig wie ein Rathaus aussieht. Es sieht eher wie ein vornehmes mehrstöckiges Wohnhaus aus, aber auch das war es ursprünglich nicht. Ursprünglich war es das Kolleg der Jesuiten, wurde aber nach deren Ausweisung nochmals umgebaut. Ganz merkwürdig ist ein niedriges weißes Gebäude, das man davorgesetzt hat und das jetzt der Eingang zum Rathaus ist.
Von hier aus sind es nur ein paar Minuten über die Lange Straße zum Hotel. Nach einer kleinen Pause mache ich mich auf die Suche nach einem Lokal. Gar nicht so einfach. Entweder voll oder teuer. In einem italienischen Lokal in der Nähe des Hotels gibt es Wein nur in Flaschen, und die bewegen sich so um die 50 €. In einem Hotel ganz in der Nähe, mit einer verlockenden Speisekarte, fangen die Vorspeisen so bei 50 € an.
Am Ende lande ich wieder am Leopoldsplatz und komme von hier aus in die Luisenstraße. Dort erkenne ich das Garibaldi. Dort habe ich beim letzten Mal Panettone gekauft. Das Lokal war geschlossen, es muss zum Höhepunkt der Corona-Einschränkungen gewesen sein. Heute ist es hier rappelvoll. Keine Chance auf einen Tisch.
Aber daneben habe ich Glück, im Einhorn. Das Lokal hat seinen Namen von dem Einhorngäßchen, an dem es liegt. Ein Volltreffer! Es gibt Kürbis-Chili-Suppe, selbstgebackenes Brot mit Feigen und Walnüssen, sehr gute Penne und italienischen Wein. Und man kann problemlos bis zum Schluss draußen sitzen. Und morgen ist der 1. Oktober.
Auf dem Rückweg komme ich an einem erleuchteten Palais vorbei. Darin hat die Sparkasse ihren Sitz. Das ist also gemeint, wenn es heißt, der Urgroßvater des Fürsten von Monaco sei in einer Sparkasse zur Welt gekommen.
Dann bleibe ich noch vor einem Stadtplan stehen, um die Route von heute noch mal nachzuverfolgen. Dabei entdecke ich kuriose Namen: Seufzerallee, Hungerberg, Hasensprung, Türkenweg.
12. Oktober (Freitag)
Das Viertel, in dem das Hotel liegt, hat noch eine ganze Reihe von Familienbetrieben, einen Uhrmacher, eine Schuhreparatur, ein Strickmodengeschäft, aber auch umgewidmete Geschäfte. In einem der traditionellen Läden hat sich ein Tattoo-Studio eingerichtet. Es gibt auch ein paar heruntergekommene und leerstehende Geschäfte. Will nicht so recht zu den vornehmen Geschäften der nahen Innenstadt passen. In der Langen Straße heißt es an einer teuren Modeboutique: „Shopping is cheaper than therapy.“ Dass Shopping erst mal der Grund für die Therapie sein kann, wird nicht verraten.
An dem Briefkasten am Augustaplatz hat jemand auf den Schlitz geschrieben „Me(h)er Liebesbriefe“. Eine schöne Aufforderung, obwohl sich mir das Wortspiel nicht so ganz erschließt.
Der Rundgang am Morgen beginnt am Augustaplatz, quasi vor der Haustür. Dort hat man einen künstlichen See angelegt, weit verzweigt, mit einer hohen Fontäne im Zentrum und weiteren am Rand. Verrückt: Der ist mir noch nie aufgefallen. Immer, wenn ich hier war, war ich mit Gepäck, Abfahrtszeiten und der Suche nach Hotels beschäftigt. Der Augustaplatz ist vermutlich die zentrale Bushaltestelle von Baden-Baden.
Das schönste Photo hat die Fassade der Evangelischen Stadtkirche im Hintergrund und die Fontäne im Vordergrund. Die Sonnenstrahlen brechen sich im Wasser. Es ist noch kalt, aber der Himmel ist blau.
An der Fassade der Evangelischen Stadtkirche sieht man vier Figuren. Nicht rauszufinden, wer das ist, aber der Stadtführer spricht von vier Reformatoren: Calvin, Zwingli, Melanchthon, Luther. Die sollen aber in der Kirche sein, die Kirche ist aber verschlossen. Und die hier draußen sehen eher wie biblische Figuren aus. Aber das kann natürlich beabsichtigt sein. Wie dem auch sei, das mit den vier ist eine unglaubliche Zusammenstellung. Es ist so, als wenn in einer katholischen Kirche eine Statue von Luther neben der eines Papstes stünde.
Als ich ein Photo von der Fassade mache, fällt mir auf, dass die Kirche eine Hausnummer hat: 1.
Hinter der Kirche erfährt man durch eine Informationstafel, dass hier, auf diesem Platz, die Bücherverbrennung unter den Nazis stattgefunden hat, im Juni 1933. Betroffen waren jüdische, marxistische und pazifistische Autoren. Deren List ist lang und umfasst Marx, Max Brod, Stefan Zweig, Tucholsky, Remarque und Schnitzler neben vielen anderen und auch Heinrich Mann und Klaus Mann, aber nicht Thomas Mann!
Von hier aus sind es nur ein paar Schritte zum Stadtpark. Dort stehen Bäume aus aller Herren Länder, darunter Ginkos, Mammutbäume, Tulpenbäume, Korkeichen. Unter den wenigen Nadelbäumen ein schöner Baum mit einer schuppenartigen, rötlichen Rinde und mehreren dicht nebeneinander wachsenden Stämmen. Das ist eine Eibe. Kann mich nicht entsinnen, jemals eine gesehen zu haben. Da werde ich aber in den nächsten Tagen eines Besseren belehrt, als mir ein kenntnisreicher Freund eine Eibe zeigt, die an unserem Weiher steht. Er erklärt mir auch, dass es bei den Eiben männliche und (an den roten Früchten zu erkennende) weibliche Exemplare gibt. Die teilen also die Aufgaben, die sonst ein Baum übernimmt, auf zwei auf. Auch beim Ilex und beim Kiwi soll das so sein. Die Früchte der Eibe sind essbar, aber nur die, alles andere ist giftig, auch die Kerne.
Auch hier im Stadtpark wieder eine Fontäne. Die Sonnenstrahlen zaubern zusammen mit dem Wasser einen Regenbogen hinter der Fontäne.
Auch im Stadtpark liegt das Museum Frieder Burda, ein neuer Bau, aus weißen Kacheln und Glas. Über eine Brücke ist es verbunden mit der Staatlichen Kunsthalle, einem neoklassizistischen, nüchtern-sachlichen Bau, dessen Formen es aufgreift. An der Kunsthalle stimmt etwas nicht. Sie hat einen Mittelrisalit, und in dem befindet sich, am Ende einer Treppe, der Eingang. Rechts davon ein Flügel des Baus, aber der hat links keine Entsprechung. Vielleicht war der mal vorgesehen und ist nicht zur Ausführung gekommen. An seiner Stelle steht jetzt das Frieder Burda. Und stellt die Symmetrie her.
Vor dem Frieder Burda zwei moderne Skulpturen, beide von Joan Miró. Beide heißen Femme. Die eine besteht nur aus zwei Teilen, einem hohlen länglichen Rechteck unten und einem etwas schräg sitzenden Ei darauf. Erstaunlich, dass man in so stilisierten Formen einen menschlichen Körper erkennen kann. Irgendwie hat man auch die Vorstellung, dass es eher eine Frau als ein Mann sein könnte, aber wie die bewirkt wird, verstehe ich nicht. Bei der anderen Figur ist der Körper nicht hohl, und der Kopf ist nicht oval, sondern länglich, quer. Trotzdem durch die Position als Kopf zu erkennen. Der Kopf hat ein paar Streifen, die man als Augen oder als Lächeln deuten kann. Und der Körper hat zwei Ausbuchtungen, die man als weibliche Attribute erkennen kann, aber sie scheinen zu weit unten und hinten statt vorne zu sitzen. Etwas verwirrt ist man schon.
Ganz in der Nähe liegt die Trinkhalle, die man zuerst von der schmalen Querseite aus sieht. Dieser Anblick täuscht, täuscht vor allem über die Dimension des Baus hinweg. Der ist ein monumentaler, langgezogener Bau mit einer ebenso langen, offenen Wandelhalle hinter korinthischen Säulen, mit einem herausgehobenen Mittelteil. Die Wandelhalle hat eine prächtige Decke und vierzehn Wandgemälde, die Sagen aus der Region darstellen: Ein Graf springt vor seinen Verfolgern von einem Felsen ins Tal, Teufel und Engel predigen von zwei benachbarten Felsen in einer Schlucht, einem Markgrafen, der sich durch ein Gewitter bei der Jagd verirrt hat, bieten zwei Einsiedler ein Dach, bei der Jagd nach einem weißen Reh verfällt der Jäger dem Charme einer Felsenjungfrau und wird zum Einsiedler und Tierschützer, die Äbtissin des Klosters Lichtenthal legt die Schlüssel des Klosters in die Hände der Gottesmutter, und die blendet die angreifenden Schweden, die daraufhin abziehen müssen. Die Geschichte mit der Gastfreundschaft erinnert an Philemon und Baucis, die Zeus und Merkur, nachdem sie überall abgeblitzt sind, in ihrer bescheidenen Hütte aufnehmen. Irgendwie habe ich in Erinnerung, dass es in der Bibel eine ähnliche Szene gibt.
Von der Wandelhalle aus hat man einen schönen Blick in den Park, und die Sonne tut das ihrige, um den besonders schön zu machen. Der eigentliche Brunnenraum, in den man durch die Wandelhalle kommt, ist geschlossen.
Vor der Trinkhalle eine Büste von Wilhelm I. Den hätte es in Baden-Baden fast erwischt. Bei einem Spaziergang auf der Lichtenthaler Allee in Begleitung eines Diplomaten gab ein Passant zwei Schüsse auf ihn ab. Ein Schuss ging daneben, der andere war ein Streifschuss. Wilhelm wurde behandelt und zeigte sich schon am Abend dem jubelnden Volk vom Balkon seines Hotels. Man fragt sich unwillkürlich: Wäre die Geschichte anders verlaufen? Friedrich III. hätte noch 27 Jahre zum Regieren gehabt. Hätte er die Weichen anders stellen können?
Auf dem Weg zum Badischen Hof komme ich am Theater vorbei, einem schönen, neobarocken Bau. Ursprünglich wurde im Kurhaus Theater gespielt, aber da dort der Spielbetrieb immer mehr Raum einnahm, entschloss man sich zu diesem Neubau. Berlioz komponierte eigens für die Eröffnung eine Oper und dirigierte sie auch gleich.
Vor dem Theater eine moderne Skulptur, eine Doppelskulptur, aus Metall. Die eine besteht aus drei aufeinander gesetzten größeren Kegeln, mit der Spitze nach unten, die andere aus fünf kleineren Kegeln. Man denkt sich nichts dabei, aber erfährt durch die Plakette vor der Skulptur, dass es sich um die Darstellung von Menschen handelt, von Mann und Frau, und zwar ausgerechnet von Philemon und Baucis.
Dann mache ich mich zu einer Mission auf, die zum Scheitern verurteilt ist. Die Ursache ist ein Brand. Ich suche einen Brunnen, einen dreischaligen Thermalbrunnen. Der steht im Garten eines Hotels, des Badischen Hofs, am äußersten anderen Ende der Lichtenthaler Allee. Man soll ihn von außen einsehen können. Aber ach, als ich ankomme und das große Areal des Hotels umkreise, habe ich keine Chance, etwas zu sehen. Im Badischen Hof hat es gebrannt, und um das ganze Hotel herum zieht sich ein dichter Bretterzaun. Schade. Der Grund, warum ich diesen Brunnen suche: Er war lange Zeit das Kennzeichen des SWF im Fernsehen, damals, als man noch von Sendeanstalt zu Sendeanstalt umschalten musste, was immer eine Sendepause bedingte. In diesen Sendepausen sah man für jeden Sender ein typisches Bild, im Falle des SWF eben diesen Brunnen. Als ich ein Photo des Brunnens in dem Stadtführer sah, stellte sich die verloren geglaubte Erinnerung sofort wieder ein.
Ich sinniere darüber nach, was für ein Unglück es für das Hotel sein muss, ausgerechnet jetzt, nachdem man so lange unter Corona gelitten hat, wieder schließen zu müssen. Ein Mann, der mich bei der Umrundung des Bretterzauns anspricht, sagt, die Sanierung werde wohl zwei Jahre dauern.
Aus dem Augenwinkel sehe ich derweil Bauarbeiter, die Hinweisschilder mit der Aufschrift Impfzentrum entfernen. Die Impfzentren haben ausgedient. Es gibt keine nennenswerte Nachfrage mehr.
Auf dem Rückweg will ich mir noch das Festspielhaus ansehen, aber als ich davorstehe, denke ich mir: „Das ist doch ein Bahnhof!“. Stimmt auch, jedenfalls war es ein Bahnhof. Ursprünglich gab es eine Verbindung zwischen dem Bahnhof in Oos, an dem ich auch angekommen bin, und Baden-Baden. Und der war hier, wo ich jetzt stehe. Als die Strecke stillgelegt wurde, baute man die Bahnhofshalle in das neue Festspielhaus ein, als Eingangshalle. Das eigentliche Festspielhaus, die zweitgrößte Oper Europas nach der Pariser Bastille, liegt hinter der Bahnhofshalle.
Bei dem Gedanken an den Bahnhof in Oos kommt mir wieder der Busfahrer in Erinnerung, der mich gestern nach Baden-Baden chauffiert hat. Hinsichtlich der Automaten, an denen man seine Tickets entwertet, sagte er zu mir: „De zweide nämme, de ärschte isch kaputt.“
Es ist Zeit für das Stadtmuseum, wiederum am anderen Ende der Innenstadt gelegen, auch an der Lichtenthaler Allee, hinter der Kunsthalle.
In der unteren Etage gibt es Reminiszenzen an die Zeit des alten Casinos. In der Mitte des Raums ist ein großer Spieltisch aufgestellt, mit dem bekannten Roulette, aber auch einem weniger bekannten Pferderennen. Die Pferde laufen Runden und man setzt auf seinen Favoriten, ganz ähnlich wie auf der Rennbahn. Über allem thront die Figur der Fortuna. Die hat aber niemanden davon abhalten können, hier sein Glück zu versuchen. Tolstoi schreibt: „Bin heute Morgen krank. Bis sechs Uhr Roulette gespielt, alles verloren.“
In einer Vitrine bekommt man die Würfel, die Roulettekugel und die Spielkarten aus der letzten Spielesaison vor der Schließung des Theaters zu sehen, ebenso Glücksnadeln, die man sich ansteckte, um sich Fortuna günstig zu machen, sowie eine Abhandlung über das Roulettespiel.
Nach der Schließung des Casinos erlangte der Sport besondere Bedeutung. Fast alle Sportarten wurden von den Briten nach Baden-Baden gebracht: Tennis, Fußball, Golf. Alle wurden an der Lichtenthaler Allee gespielt, aber beim Fußball schritt die Stadt irgendwann ein. Zu viel Lärm, zu viele Raufereien.
Als Reminiszenz an die damalige Zeit hängt an der Wand ein Tennisschläger, kleiner und ovaler als die heutigen, mit einem Holzrahmen und Darm für die Bespannung.
Nicht von den Briten, sondern von den Franzosen wurde das Pferderennen nach Baden-Baden gebracht. In Iffezheim, damals noch ein Dorf, wurde eine Pferderennbahn gebaut. Auf einem Gemälde sieht man im Hintergrund die Pavillons für die Besucher der „höheren Stände“, aber im Vordergrund sieht man auch, an einfachen Tischen oder auf einem Heuwagen sitzend, Bürger, Soldaten, Bauern. Die Silhouette des Dorfs sieht man links mit Bauernhäusern und einer Kirche, rechts steht auf einer Erhöhung einsam ein Kapellchen.
Unter den Accessoires der Damen der vornehmen Stände ist hier ein schön gestaltetes Opernglas ausgestellt, ein seidener Fächer, ein Sonnenschirm, seidene Handschuhe und ein nadelartiges Instrument aus Elfenbein. Was kann das nur sein? Damit spreizte man die Handschuhe, damit man besser reinkam. Unter den Accessoires der Herren befinden sich ein Spazierstock, eine Pfeife und eine Schnupftabaksdose, alle mit Porträts von Fürsten.
Ein Hingucker ist die Reisetruhe der Großherzogin Stephanie, aus Nadelholz, mit Lackmalereien und Perlmuttbesatzungen. Bei den Reisetruhen, die Vorläufer unserer Koffer, kam es vor allem darauf an, dass sie stabil waren. Sie mussten einiges aushalten auf rumpeligen Wegen mit den Holzrädern der Wagen.
Im Obergeschoss wird die Zeit zurückgedreht, zurück zu den Römern in Baden-Baden. Es gibt römische Grabdenkmäler und Weihealtäre, ganz wie bei uns, wenn auch nicht so vielfältig. Unter den Götterstatuen ein reitender Jupiter, die typische Symbiose zwischen römischer und germanischer Tradition.
Dann gibt es einen Leugenstein zu sehen (III), einen rötlichen Stein mit Entfernungsangabe, ein Meilenstein. Er besagt, dass es von hier nach Sinzheim 4 Leugen weit ist, ca. 10 Kilometer. Der Leugenstein enthält eine Inschrift an Caracalla, unter seinem eigentlichen Namen: Marcus Aurelius Severus Antonius. Unter diesem Namen kennt ihn kein Mensch. Alle kennen ihn als Caracalla. Das bedeutet so viel wie „Kapuzenmantelmann“. Diesen Spitznamen erhielt er, weil er oft einen weiten Mantel mit Kapuze trug. Der blähte sich im Wind auf, wenn er durch die Gegend ritt.
Auch aus der Römerzeit ein Brunnenstein mit geöffnetem Löwenmaul (I). Oben zwei gehörnte Wesen mit Ziegenköpfen, die eine Kugel zwischen den Hörnern halten. Was das wohl bedeuten mag? Am Rand des Brunnensteins zwei bärtige Hermen. Mit der Bärtigkeit der antiken Götter war es so eine Sache. In archaischer Zeit herrschte eine gewisse Unregelmäßigkeit, an der Wende zur Klassik legten sie den Bart ab. Beibehalten wird der Bart vor allem bei Zeus und Poseidon. Sie hatten als Söhne des Chronos und Teilhaber des Weltregimes höchsten Götterrang. Bei Hermes variierten beide Darstellungen, mit einer Tendenz zu dem bartlosen Gott der Palestra und dem bärtigen Wegesgott. Der ist hier gemeint. Eine kuriose Randerscheinung ist, dass es heute ein Bartpflegemittel gibt, das Hermes heißt.
Auf einer Karte sieht man, wie unter Vespasian die Eingliederung Deutschlands in das Römische Reiche erfolgte. Daraufhin gab es einen Aufstand der Germanen (69). Unter Domitian erfolgte dann die Aufteilung Deutschlands in Germania Inferior und Germania Superior, mit der Hauptstadt Mainz. Dazu gehörte Baden-Baden. Trier sucht man hier vergebens. Das gehörte zur Provinz Belgica.
In Baden-Baden nahm das römische Siedlungsgebiet die heutige Innenstadt ein, nahm aber das Gebiet um die Oos aus.
In einer Bauinschrift steht eine Widmung an Caracalla. Hatte der doch eine besondere Beziehung zu Baden-Baden?
Dann kommt ein Zeitsprung und wir befinden uns mit einem Modell des Alten Schlosses in Hohenbaden, dem Namensgeber des Ortes (1100). In den nächsten Jahrhunderten wurde das Alte Schloss mehrfach umgebaut, aber dann erfolgte die Verlegung der Residenz in das stadtnahe Neue Schloss (1479).
Dann kommt ein Jahrhundert der Blüte Baden-Badens als Kurort, aber im Dreißigjährigen Krieg blieben die Kurgäste aus, der Ort wurde ausgezehrt. Und dann kam im Zuge der Belagerung der Stadt durch die Franzosen der große Stadtbrand. Die Stadt wurde zerstört, die Einwohner flohen in die Umgebung, der Markgraf Ludwig-Wilhelm, „Türkenlouis“, verlegte seine Residenz nach Rastatt, ordnete aber von Wien aus, wo er gegen die Türken kämpfte, an, die Einwohner sollten zurückkehren und sich in den Trümmern einrichten. Der hatte gut reden.
Hier im Museum sieht man aus dieser Zeit zwei Feuerlöscheimer aus Leder mit einem Griff aus Kordel. Kein Wunder, dass man damit dem Feuer nicht beikommen konnte. Man war ihm schlichtweg ausgeliefert. Auch zum Markgrafen Ludwig-Wilhelm gibt es einen aktuellen Bezug. Das Bockbier aus Rastatt heißt Türkenlouis.
Ausgestellt sind hier die Portalfiguren der abgebrannten Stiftskirche, aus Sandstein: Madonna mit Kind im Zentrum, Petrus und Paulus zu den Seiten. Die Figuren sind rußgeschwärzt, und Petrus hat seine Schlüssel verloren.
In einem Saal zur religiösen Entwicklung Baden-Badens ist von dem Kloster Lichtenthal die Rede, einem Zisterzienserkloster (XIII). Dort befand sich in der Fürstenkapelle die frühe Grablege der markgräflichen Familie. Das Kloster überlebte sogar die Säkularisation, wurde aber beschnitten, sowohl was die Zahl der Nonnen, als auch, was die Güter betrifft. 1815 wurde das Kloster mit der Einrichtung einer Grundschule für die Mädchen des Ortes betreut. Eine frühe Chance auf Bildung für die Mädchen.
In der Reformation war die Lage kompliziert. Die Fürstenfamilie hatte sich in zwei Zweige aufgespalten, von denen die eine katholisch blieb, die andere protestantisch wurde. Der katholische Zweig starb ohne Nachkommen aus, der andere Zweig übernahm, und Baden-Baden wurde protestantisch. Dann aber gab es die Gegenreformation und Baden-Baden wurde wieder katholisch. Jesuiten und Kapuziner wurden in die Stadt geholt, und das Kloster vom Heiligen Grab wurde gegründet. Auch hier wurde eine Mädchenschule eingerichtet. Das daraus erwachsene Gymnasium gibt es bis heute noch.
Meine Konzentration lässt nach, als es in das 20. Jahrhundert geht. Ich nehme nur noch wahr, was gerade ins Auge fällt. Dazu gehört eine merkwürdige Preistafel. Sie gibt die Preise für Nägel an. Die kosten von 0,50 RM bis zu 2 RM. Was es damit auf sich hat, erfährt man durch die Beschriftung: Man konnte für diese Summen, je nach Position, Nägel in ein hölzernes Rad mit dem gräflichen Wappen einschlagen lassen. Das war eine karitative Aktion. Der Erlös ging zu Gunsten der Kriegsgeschädigten und Hinterbliebenen des 1. Weltkriegs.
Aus der Zeit des 2. Weltkriegs gibt es eine Tafel aus Emaille für Bekanntmachungen der NSDAP, so eine Art frühes Schwarzes Brett. Die Partei bietet Hilfe und Rat an: Sprechzeiten, Geschäftsstellen und die Namen der Blockwärter konnten hier eingetragen werden. Die „Volksgenossen“ mögen nicht zögern, heißt es, sich an die Partei zu wenden. Die Nazis kümmerten sich um die Leute.
Aus der unmittelbaren Nachkriegszeit ein Stimmzettel, ein einfacher Stimmzettel für eine Volksbefragung mit zwei Optionen. Es ging um die Gründung des Landes Baden-Württemberg. Nach dem Krieg waren drei Länder entstanden: Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. Die drei sollten vereinigt werden. 1950 stimmten 83% dagegen, 1951 78%. Die Befragung hatte aber keine Gesetzeskraft, und andere Kräfte setzten sich durch. 1952 kam es zur Gründung des Landes Baden-Baden.
Zeit für eine Pause, auf der Terrasse des Cafés der Kunsthalle, mit Blick auf den Stadtpark und das Museum Frieder Burda. Nicht schlecht. Und der Kuchen ist von allerbester Qualität. Auch hier wieder gesalzene Preise. Am Nebentisch sorgt ein Mann, in lässiger Haltung, mit ins Haar zurückgeschobener Sonnenbrille, für Unterhaltung. Er telefoniert endlos mit einem Kollegen, laut und deutlich, so dass wir mitbekommen, dass er ein Flugzeug hat. Im Gespräch geht es um seine bevorstehenden Flüge. Es erfolgen Anweisungen zu einer Überprüfung einer Anzeige, die beim letzten Flug nicht funktionierte. Seine junge Freundin sitzt derweil am Tisch und muss sich das alles anhören.
Zeit für die Stadtführung. Passenderweise werden wir von einem Franzosen geführt, einem Elsässer, seit Jahrzehnten in Baden-Baden ansässig. Die Führung beginnt an der vierreihigen Kastanienallee am Kurhaus, die hier aus irgendwelchen Gründen unter dem Namen Kolonnaden läuft. Hier hielten ehemals die Kutschen, so dass die Casino-Gäste trockenen Fußes zu ihrem Ziel kommen konnten. Heute halten hier die Taxis.
In den Pavillons zu beiden Seiten der Kastanienallee befinden sich Juweliergeschäfte, Galerien und Boutiquen.
Wir erfahren, dass Baden-Baden jährlich 1,2 Millionen Besucher hat. 60% davon kommen aus Deutschland. Die größte Gruppe von Ausländern stellen die Russen, dann kommen die Araber, gefolgt von Schweizern und Franzosen.
Unsere erste Station ist das Kurhaus, mit seinen Kolonnaden das emblematischste Gebäude Baden-Badens, von Weinbrenner erbaut, nach dem von ihm abgelehnten Abriss der Stadtmauern. Das Kurhaus ist die zentrale Anlaufstelle Baden-Badens, auch Ausrichter von Spiel, Musik und Gastronomie. Das alles liegt in der Hand des Pächters.
Der erste Pächter war ein Franzose, Bénazet, ein rühriger Unternehmer und Mäzen. Er nutzte die Gunst der Stunde: In Frankreich war das Glücksspiel verboten worden. Er kam nach Baden-Baden und brachte seine unternehmerische Expertise aus Frankreich mit. Bénazet initiierte auch den Bau des Theaters, um hier Platz für das Casino zu schaffen, und gründete die Pferderennbahn in Iffezheim.
Im rechten Flügel des Kurhauses befindet sich das Casino, in dem linken Flügel befindet sich das Restaurant, ihm gegenüber befindet sich die Konzertmuschel, und vor dem Gebäude befinden sich alte Gaslaternen, die immer noch Abend für Abend per Hand entzündet werden.
Wenn Paris die Winterhauptstadt der europäischen Oberschicht war, war Baden-Baden die Sommerhauptstadt. Die Bahnlinie erleichterte die Sache. Baden-Baden lag genau auf halber Strecke zwischen Paris und Wien.
Von hier aus gehen wir zur Lichtenthaler Allee und zum LA8. Das ist der Name des neuen Kulturzentrums, von Lichtenthaler Allee 8 abgeleitet. Hier, in dem alten Sommerpalais einer schwedischen Königin, befindet sich u.a. ein modernes Museum für Kunst und Technik. Die aktuelle Ausstellung beschäftigt sich mit der Schifffahrt.
In dem Gebäude befinden sich auch die Büroräume von Frank Elstner. Der geht hier immer noch täglich ein und aus, wenn er nicht für seine Reportagen unterwegs ist. In Baden-Baden wohnen auch Tony Marshall und Thomas Gottschalk, der mit einer Redakteurin des SWR liiert ist.
Gegenüber dem Palais, im Park, hat man eine alte, absterbende Buche durch Eisenstäbe gestützt. Die Äste des tot wirkenden, horizontal liegenden Stamms finden ihren Weg in die Erde und, siehe da, es kommen neue Triebe zum Vorschein.
Dann stehen wir vor der Kunsthalle und dem Museum Frieder Burda. Der Führer fragt, ob jemand die aktuelle Ausstellung gesehen habe. Ein Ehepaar sagt ja, aber als gefragt wird, wie die Ausstellung ist, sagt der Mann, er enthalte sich jeden Kommentars. Fügt aber hinzu: „Das Gebäude ist sensationell.“
Der Führer sagt, der größte Renner der Kunsthalle sei eine Dalí-Ausstellung vor vielen Jahren gewesen. Und das Museum Frieder Burda habe vor kurzem einen Höhepunkt erlebt mit der Ausstellung eines vorher zerstörten Kunstwerks von Banksy. Ein anonymer Käufer hat das Kunstwerk, weltweit umworben, für Baden-Baden gesichert und dafür gesorgt, dass man es ohne Eintritt sehen konnte. Es kamen 30.000 Besucher.
Weiter Richtung Mitte des Parks hört man, wenn man ganz aufmerksam lauscht, das Geräusch einer U-Bahn. Was? U-Bahn in Baden-Baden? Mitten im Stadtpark? Es stellt sich heraus, dass es ein Kunstwerk ist, eine Installation. Im Park ist der Eingang zu einer U-Bahn-Station nachgebaut, und von dort hört man über Lautsprecher die Geräusche der durchfahrenden Züge.
Wir stehen mit dem Rücken zum Brenner Park Hotel, dem teuersten von Bade-Baden. Hier steigen Leute wie Obama, Beckham oder Clinton ab. Von dem stammt der Ausspruch „Baden-Baden is so nice you have to say it twice.“
Der Führer erklärt, wie es komme, dass Baden-Baden in Russland so bekannt ist. Es war so, dass die Markgräfin, Amalie, acht Kinder hatte, davon sechs Töchter, und die mussten alle unter die Haube gebracht werden. Das klappte gut. Amalie avancierte zur „Schwiegermutter Europas“. Zwei der Töchter, im zarten, aber heiratsfähigen Alter, schickte sie nach Petersburg, an den Hof Katharinas. Eine erfolgreiche Aktion. Eine der Töchter heiratete den Zarewitsch, den späteren Alexander I. Die andere kam zurück nach Baden und wurde dann erfolgreich nach Schweden vermittelt. Die Petersburger Hautevolee wurde durch die Heirat neugierig und kam nach Baden, um zu sehen, was es damit auf sich hatte. Das war der Beginn der engen russischen Beziehung zu Baden. Die Folge davon ist, dass heute in Russland kein Mensch Bescheid weiß, wenn man sagt, man komme aus Stuttgart, aber alle, wenn man sagt, man komme aus Baden-Baden.
Später verheiratete Napoleon, nachdem er aus der Markgrafschaft ein Großherzogtum gemacht hatte, eine seiner Töchter mit dem Großherzog. Das wiederum zog die Franzosen nach Baden: Victor Hugo, Berlioz, Delacroix, Offenbach.
Auf dem Augustaplatz erzählt unser Führer von einer Überschwemmung im Jahre 1998, als die Oos über die Ufer trat. Die Keller der Gebäude des Platzes wurden überschwemmt, darunter auch die Tiefgarage des Kongresshauses. Zu denen, die dort Stellplätze hatten, gehörten auch die Angestellten und die Leiter einer Firma, die hier ihren Sitz hat: eine Rückversicherung.
Wir folgen derselben Route wie ich gestern und gehen zuerst die Sophienstraße rauf. Von dem Reiher-Brunnen aus weist der Führer auf ein exklusives Schuhgeschäft, das sich hier befindet und vor kurzem einen Auftritt im Fernsehen hatte. Schuhe kosten hier um die 4.000 €. Allerdings gibt es gute Nachrichten: Im Schaufenster steht „Sonderangebot: 50% Rabatt“. Man kann die Schuhe also jetzt auch für schlappe 2.000 € bekommen.
Hier in der Sophienstraße wohnte auch Schukowksi, der russische Übersetzer Schillers und Goethes. Später sehe ich mir noch sein Denkmal an, etwas versteckt in der Nähe der Kunsthalle gelegen, eine Marmorbüste eines jugendlich aussehenden Mannes auf einem modernen Sockel, mit einer geflügelten Hand an der Seite. Schukowski wollte eine Übersetzung schaffen, die ihren eigenen Wert hatte und sich nicht zu nah an das Original hielt. Er schrieb auch die russische Zarenhymne.
Am Ende der Sophienstraße stehen auf dem Balkon des Wohnhauses, auf das wir zulaufen, die Wachsfiguren eines Ehepaars, das aus dem 19. Jahrhundert zu stammen scheint. Die habe ich gestern völlig übersehen. Es ist eine Anspielung auf Dostojewksi und seine Frau. Dostojewski verspielte hier im Casino sein gesamtes Geld und sogar seinen Ehering. Er ging dann nach Petersburg zurück, um von seinem Verleger zu erfahren, dass er pleite war. Daraufhin ging er nach Baden zurück, nistete sich in einer Wohnung in diesem Haus ein, verließ die Wohnung wochenlang nicht und schrieb den Spieler. Der wurde ein Erfolg und Dostojewski konnte wieder leben wie früher. Nur ins Casino ging er nicht mehr. Der Spieler spielt in Baden-Baden, obwohl es in dem Roman nicht so heißt.
Vor dem Friedrichsbad zitiert unser Stadtführer Mark Twain, dem Baden-Baden und der russische Einschlag nicht so behagte, der aber vom Friedrichsbad begeistert war. Er sagte: “After ten minutes you forget time, after twenty minutes, you forget the world.”Das Friedrichsbad war das Juwel unter den internationalen Bädern, wegen seiner Architektur, aber auch wegen des hohen Anspruchs an die Badekultur. Man durchlief beim Baden einen Parcours, wie ehemals in den römischen Thermen.
Im Zentrum der Fassade steht die Büste von Großherzog Friedrich, nach dem das Bad benannt ist. Daneben Statuen von Äskulap und Hygeia.
Von hier aus sieht man nach oben auf das Neue Schloss. Das gehört inzwischen einer Prinzessin aus Katar. Die wollte hier ein Luxushotel entstehen lassen, aber daraus wurde bisher nichts, auch deshalb, weil sie immer wieder mit dem Denkmalschutz aneinandergerät. Dort, wo sie die Tiefgarage für die Hotelgäste geplant hatte, laufen die zwölf Quellen von Baden-Baden zusammen. Sie kommen hier mit einer Temperatur von 40°-70° aus 2.000 Metern Tiefe nach oben. Von der Wärme profitiert die Natur. Hier wachsen Pflanzen, die man sonst nur im Mittelmeerraum findet. Auch das Schloss und die Stiftskirche profitierten von der Wärme. Sie brauchten nie eine Heizung, die heißen Quellen funktionierten wie eine Fußbodenheizung. Das rächt sich jetzt aber, zumindest bei der Stiftskirche. Die Feuchtigkeit und das Salz haben über die Jahre die Mauern und Pfeiler angegriffen, und jetzt steht eine langwierige teure Sanierung an.
Wir gehen noch zum Neuen Rathaus und von dort nach oben in einen versteckten Innenhof mit efeuberankten Fassaden. Hier war die alte Badekultur Badens beheimatet, in Privatwohnungen statt in eigens eingerichteten Bädern. Das Baden war beliebt, bekam aber im Laufe der Zeit auch einen etwas zwielichtigen Ruf. Die Behörden mussten immer wieder einschreiten und gewisse Auswüchse unterbinden. Heute ist hier Gastronomie angesiedelt. Es gibt einfache Gerichte und man sitzt sehr schön, abgeschirmt von dem Trubel, an einfachen Tischen. Vielleicht eine Option für später.
Die Führung endet in der Luisenstraße. Zum Schluss spricht unser Führer noch den Zweiten Weltkrieg an. Baden-Baden blieb unversehrt, im Gegensatz zu den benachbarten Gaggenau und Rastatt. Warum? Erstens einmal wohl deshalb, weil es keine Industrie gab. Aber andere Städte ohne Industrie hat es auch getroffen. Aber, so deutet es unser Führer, selber Franzose, an: Hatten die Franzosen vielleicht kein Interesse daran, die Stadt zu zerstören, von der sie schon wussten, dass sie ihr Hauptquartier werden würde?
Statt anderthalb Stunden hat die Führung zweieinhalb Stunden gedauert. Brahms fällt mal wieder aus. Es ist jetzt zu weit bis nach Lichtenthal, und meine Konzentration lässt ohnehin nach.
Also gibt es eine Pause im Hotel und dann Essen auf dem Jesuitenplatz, dem Neuen Rathaus gegenüber, in der Laterne, einem der traditionsreichsten Lokale Baden-Badens. Man kann draußen sitzen. Gegenüber, im Biergarten, geht es bayerisch zu, es gibt Löwenbräu und Blasmusik. Hier geht es badisch zu. Es gibt Kartoffelsuppe mit Kracherle (die macht das Rennen gegen die Flädlesuppe) und Maultaschen (die machen das Rennen gegen die Spätzle). Dazu gibt es badischen Wein. Alles erste Sahne.
Die meisten anderen Kunden essen hier Flammkuchen. Die gibt es die Speisekarte rauf und runter. In der englischen Version der Speisekarte heißen sie French pizza.
Die Kellnerinnen sind Rumäninnen. Eine spricht hervorragend Deutsch, sie hat die anderen unter ihre Fittiche genommen und instruiert sie auf Rumänisch.
Am Ende ist Ebbe im Portemonnaie. Ich muss mit der Kreditkarte bezahlen. Die zwei Tage in Baden-Baden fordern ihren Tribut.