Schleierhaft

Warum heißt der Graue Star eigentlich Grauer Star? Das hat sich wahrscheinlich jeder schon mal gefragt, der die Diagnose gehört hat. Haben die Stare oder gar die Stars etwas damit zu tun? Nein, weder noch. Der Graue Star kommt von starr und bezieht sich auf den starren Blick, den man Patienten mit dieser Krankheit attestierte. Zugrunde liegt mittelhochdeutsch starra plint, Blindheit durch Erstarrung.

Der medizinische Terminus ist Katarakt. Das Wort bezeichnet das Augenleiden, aber auch einen Wasserfall. Was war zuerst da? Die Bedeutung ‚Wasserfall‘ war die ursprüngliche, das tertium comparationis der Schleier, der sich bei herabstürzendem Wasser bildet und der Schleier, der sich vor dem Auge bildet, wenn man dieses Augenleiden hat. Die Araber nennen die Erkrankung heute noch ‚Weißes Wasser‘. Man meinte früher, es würde etwas über die Pupille fließen.

Kunstmaler mit Katarakt malen mit zunehmender Krankheit in dumpfen, weniger kontrastreichen Farben, z.B. Turner, der nachgewiesener Weise den Grauen Star hatte. Das Wort kam aus dem Lateinischen ins Deutsche, ist aber ursprünglich griechisch. Das griechische Wort ist Maskulinum, das lateinische Femininum. Das schlägt sich im heutigen deutschen Gebrauch nieder: Katarakt in der Bedeutung ‚Wasserfall‘ ist Maskulinum, Katarakt in der Bedeutung ‚Augenleiden‘ ist Femininum! Auch andere Sprachen haben das Wort in beiden Bedeutungen übernommen, darunter Englisch und Spanisch, aber ohne Genusunterscheidung. Das griechische Wort bedeutete ursprünglich ‚Fallgitter‘ oder ‚Tor‘. Der dynamische Aspekt des Herabstürzens war verantwortlich für die Bedeutung ‚Wasserfall‘. Die in King Lear erwähnten Katarakte sind, oberflächlich betrachtet, Teile des tosenden Sturms, können aber auch als Verweis auf Lears Blindheit verstanden werden.

This entry was posted in Etymologie, Medizin, Natur and tagged , , , , , . Bookmark the permalink.