5. Juni (Donnerstag)
Hat Slowenien einen Zugang zum Meer? Gar nicht mal so leicht zu sagen.
Eins ist klar: Man weiß verdammt wenig über dieses Land im Herzen Europas. Das soll sich ändern in den nächsten Tagen. Dazu muss man aber erst mal dahinkommen.
Ein, gelinde gesagt, gesprächiger Taxifahrer bringt uns zur Bushaltestelle, und von dort geht es bequem mit dem Bus zum Flughafen. Zwischendurch gibt es noch eine freundliche Begrüßung durch den Freund, dem wir den Tipp mit dem Bus zu verdanken haben. Der nimmt ihn jeden Morgen.
Noch einen Tipp gibt es kurz vor der Ankunft durch eine freundliche Mitfahrerin: Eine Haltstelle weiter fahren! So steigen wir direkt am Flughafengelände aus.
Der Abflugsteig befindet sich am äußersten Ende des Flughafens. Hier ist noch kein Mensch, und es gibt weder Cafés noch Läden in dem ganzen länglichen Gang.
Der Flug wird aufgerufen als Flug nach Ljubljana auf Englisch, aber nach Laibach auf Deutsch. Das ist in Österreich auch weiterhin der offizielle Name von Ljubljana. Und geschichtlich die Form der ersten schriftlichen Erwähnung der Stadt im Mittelalter.
Die Flugnummer heißt auf Deutsch LG 5-6-8-1, auf Französisch LG 56-81.
Wir steigen in eine bunt bemalte Propellermaschine ein. Alles pünktlich zur Abfahrt bereit, aber dann kommt eine Durchsage, dass sich der Abflug verzögert, und prompt erscheinen ein paar Techniker an Bord. Ob wir vielleicht gar nicht fliegen und erst auf eine neue Maschine warten müssen? Nach zwanzig Minuten gehen die Techniker von Bord. Muss man beunruhigt sein? Wohl nicht, die Techniker lächeln, genauso wie die Stewardessen.
Zum Start nehmen wir unendlich lange Anlauf und kommen dabei an dem großen Cargo-Flughafen vorbei. Ich erfahre, dass in diesen Flugzeugen auch Pferde und Pferdemist transportiert werden. Muss guter Dünger sein.
Und ich erfahre, dass, entgegen der Intuition, der Start im Flugzeug gefährlicher ist als die Landung. Bei uns geht aber beides gut.
Am Ende des Flugs wissen schon ein bisschen mehr über Slowenien als vorher. Der Name der Stadt Ljubljana ist vom Namen des Flusses abgeleitet, der Ljubjanica. Dass der Name so etwas wie ‚Liebende‘ bedeutet, von ljubiti, ‚lieben‘, abgeleitet, ist wohl eine nachträgliche, historisch unzutreffende Erklärung. Dazu passt die Schreibweise des Landes als Slovenia. Funktioniert sowieso nur im Englischen.
Welche Städte gibt es noch außer Ljubljana? Ich kenne sonst nur noch Maribor. Das liegt an der Bahnstrecke von Zagreb nach Triest, und hat von daher einen Standortvorteil.
Einen gewissen Anspruch auf Ruhm hat auch noch, wie ich aus sicherer Quelle erfahre, eine Stadt namens Novo Mesto. Sie ist nämlich die Heimatstadt der Ehefrau des Präsidenten eines großen Landes. Novo Mesto bedeutet ganz einfach ‚Neustadt‘, also letztlich dasselbe wie Newton, Nowgorod oder Neuville.
Die Ljubljanica mündet, noch im Stadtgebiet von Ljubljana, in die Save. Die verbindet gleich drei Hauptstädte miteinander: Belgrad, Zagreb, Ljubljana.
Slowenien hat eine lange Grenze mit Kroatien und auch eine lange mit Österreich, dazu eine kurze mit Ungarn und eine ganz kurze mit Italien. Klagenfurt, Zagreb und Triest liegen in Grenznähe.
Nach dem Zerfall Jugoslawiens hat man sich ganz betont dem restlichen Europa zugewandt und von den Teilrepubliken Jugoslawiens abgewandt. Slowenien hat auch schon 2007 den Euro eingeführt.
Slowenien hat gerade mal die Fläche von Sachsen-Anhalt und gerade mal zwei Millionen Einwohner. Ist daran gemessen aber eine gute Sportnation: Basketball, Reiten, Skifahren und natürlich der Radsport. Vor allem sind die Slowenen aber begeisterte Kletterer. Natur steht hier überall ganz groß im Kurs.
Dann fällt uns die Flagge Sloweniens ins Auge, eine Trikolore mit den französischen Farben, aber horizontal, wie die von Holland, aber mit anderer Anordnung der Farben. Im Wappen sieht man eine Burg und drei Wellen für die Flüsse.
Hat Slowenien nun Zugang zum Meer oder nicht? Ja und nein. Auf der Karte ist es kaum zu erkennen, aber zwischen Triest und Kroatien gibt es einen kurzen Küstenstreifen, gerade mal 49 Kilometer lang. Aber hat man auch Zugang zum Meer? Darüber gibt es einen Rechtsstreit mit Kroatien. Während sich Slowenien auf ein Gesetz beruft, das dem Land einen Zugang zum Meer gewährt, beruft sich Kroatien auf eine internationale Regelung, nach der das Gewässer bis zur italienischen Grenze ganz zu Kroatien gehört. Ein Gericht hat Slowenien Recht gegeben, aber Kroatien ist in die Berufung gegangen.
Einzelne Wörter aus dem Slowenischen kann man gut aus dem Russischen ableiten, vor allem gängige Substantive und Zahlen: most = Brücke, polje = Feld, reka = Fluss, cerkev = Kirche, gora = Berg, = dva = zwei, tri = drei. Auch grad taucht auf, das wir aus Stalingrad oder Wolgograd kennen und auf Russisch ‚Stadt‘ bedeutet. Hier heißt es ‚Burg‘.
Viel Kopfschmerzen bereitet die Aussprache: Wie spricht man trg aus, das Wort für ‚Markt‘ oder ‚Marktplatz‘? Unser Apartment ist am Vodnikov trg. Dem Reiseführer zufolge wird Krka, ein Städtename, Gurk ausgesprochen. Oder ist das nur der alte deutsche Name des Ortes?
Beim Anflug auf Ljubljana bestätigt sich gleich ein Charakteristikum von Slowenien: Alles ist grün. Und gebirgig. Selbst die Landepiste ist auf zwei Seiten von Wäldern begrenzt.
Am Flughafen geht alles ganz schnell. Die Koffer sind schon vor uns da! Hermanita hat gerade noch Zeit, mich auf ein weißes Pferd aufmerksam zu machen, das hier auf einem Sockel in der Ankunftshalle steht. Ein Verweis auf die Lipizzaner. Die sind hier ebenso wichtig wie in Österreich.
Der Flughafen ist erstaunlicherweise nicht nach Jože Plečnik benannt, dem allgegenwärtigen Architekten, dem wir in den nächsten Tagen auf Schritt und Tritt begegnen werden, sondern nach Jože Pučnik, einem Regimekritiker, der unter Tito sieben Jahre im Gefängnis saß und später im Exil war. Er konnte seiner eigenen Trauung nicht beiwohnen und wurde von seinem Bruder vertreten. 1989 kehrte er zurück und wurde Vorsitzender einer sozialdemokratischen Partei. Obwohl er nie allerhöchste Staatsämter belegte, gilt er hier als „Vater der Unabhängigkeit“.
Draußen ist es warm, bewölkt, etwas schwül. Der Bus kommt vorzeitig, so als ob er nur auf uns gewartet hätte. Der Preis für die Fahrt ins Zentrum beträgt gerade mal 3,30 € pro Person.
Es geht zügig über eine moderne Autobahn, mit grünen Hinweisschildern, wie in Österreich. Dann kommt eine Abbiegung auf eine breite, verkehrsreiche Straße, die ins Zentrum führt. Die Bauten erinnern an selige sozialistische Architekturvorlieben, aber die Geschäfte sind durch und durch „westlich“. Wir sehen Hinweisschilder auf Lidl, Kärcher und DM.
Vor dem Busbahnhof reiht sich auf den Bussteigen ein ganzes Heer von Fernbussen auf, die in alle Teile des Landes und auch ins Ausland fahren, sogar nach Dortmund!
Der Busbahnhof ist in einem schönen, ehrwürdigen Gebäude untergebracht. Wie kommt man von hier in die Innenstadt? Mit dem Taxi? Die junge Frau hinter dem Schalter schüttelt den Kopf: zu Fuß. Einfach immer geradeaus. Nebenbei erklärt sie mir noch mit einem Lächeln, wie man trg ausspricht. So was wie terg oder tirg, mit einem kaum anklingenden Vokal.
Vom Busbahnhof aus führt uns Hermanita Richtung Innenstadt und dann über die Fußgängerzone zum Ziel. Sehr hübsch hier, von den ersten Metern an hat man eine ganz andere Atmosphäre als auf der großen Einfallsstraße.
Von weitem sehen wir die doppelten Türme einer Kirche und hoch oben auf dem Berg die Burg.
Hermanita sieht an verschiedenen Stellen den Drachen, das Wappentier Ljubljanas. Geht auf eine Legende zurück.
Wir kommen durch die Mala ulica, die ihren Namen sehr zu Recht trägt: ‚Kleine Straße‘.
Dann kommen wir auf einer Fußgängerbrücke über den Fluss, nicht gerade ein reißender Strom und vermutlich kanalisiert, aber hübsch ist.
An der gegenüberliegenden Häuserwand steht Vodnikov trg. Wir sind da! Aber wo ist unser Haus? Da geht gerade vor uns ein großes hölzernes Tor auf. Das ist es!
Etwas verloren stehen wir in der Durchfahrt zu einem Innenhof. Die Beschreibung war ganz schön kompliziert. Prompt kommt ein junger Mann und zeigt uns den Weg. Dann geht es eine Treppe rauf und über einen Gang in einen Flur. Wohin jetzt? Links scheint nicht zu stimmen. Also rechts. Dort befindet sich eine Tür mit einem Zahlenschloss. Wir geben die Zahl ein, aber es tut sich nichts. Dann drücken wir einfach in der gegenüberliegenden Wohnung die Klinke runter, und die Tür geht auf! Das Apartment ist nicht verschlossen. Die Zahlenschlösser sind für die Türen, die sich für uns von selbst geöffnet haben.
Kurze Orientierung, Koffer auspacken, und dann geht es schon los. Wir machen einen kleinen Spaziergang, auf gut Glück. Der erste Eindruck ist positiv.
Direkt vor dem Haus ist der Marktplatz. Die meisten Stände haben schon eingepackt, aber an einigen gibt es noch Obst und Gemüse.
An einem Getränkeautomaten kann man Milch ziehen. Die wird in verschiedenen Sprachen beworben, auch auf Deutsch: Frische Kuhmilch.
Wir fragen kurz bei der Touristeninformation nach. Die befindet sich am Fluss, auf dieser Seite, gegenüber einer Brücke und einem langgezogenen Laubengang. Das ist die Verlängerung der Markthalle. Die doppeltürmige Kirche, die wir vorher gesehen haben, ist die Kathedrale. St. Nikolas. An der Eingangstür ein modernes Bronzerelief mit lauter Nikoläusen.
Etwas schwierig gestaltet sich die Suche nach einem Supermarkt. Es gibt reichlich Straßencafés. Andenkenläden, Juweliere, Verkaufsstände, Eisdielen, aber keinen Lebensmittelladen. Radwege gibt es reichlich, auch Briefkästen gibt es an jeder Ecke, ebenso wie moderne Bronzeskulpturen.
Irgendwann taucht am Ende doch ein kleiner Lebensmittelladen auf, mit einem passenden Namen: Mercator. Hier decken wir uns mit dem Nötigsten ein. An der Kasse lernen wir dann auch, wie man auf Slowenisch Danke sagt: Hvala.
Auf dem Weg sind wir an einem modernen Universitätsgebäude vorbeigekommen, an dem Sigmund Freud University steht. Auf Englisch. Sie ist eine Zweigstelle der Wiener Universität.
Dann lassen wir uns in einem Straßencafé nieder, direkt am Fluss. Es gibt Erdinger Weißbier, mit dem passenden Glas, und ein Union und ein Laško. Beide werden in Slowenien, in derselben Stadt gebraut.
Der Kellner ist heftig tätowiert, ebenso wie die jungen Frauen am Nebentisch. Die rauchen E-Zigaretten. Man sieht kaum jemanden mit gewöhnlichen Zigaretten.
Die Passanten, vor allem die Frauen, sind gut gekleidet, mit schicken Kleidern und Schuhen. Die Promenade ist breit und wird auch reichlich von Radfahrern genutzt.
Auf der anderen Seite des Flusses hörte man viel Englisch, hier fast ausschließlich Slowenisch.
Dann kommt eine ganze Gruppe beleibter Männer mit roten Trikots und Radfahrerhosen. Sie sprechen eine andere Sprache. Hört sich ganz entfernt nach Schwedisch an, aber identifizieren kann ich sie nicht. Auf Anfrage erfahre ich: Es ist Norwegisch!
Auf der anderen Seite des Flusses sieht man durch die Zweige nur ganz schemenhaft ein Emblem. Sieht wie Aldi aus. Aber darunter steht Hofer. Hermanita weiß die Antwort: Es ist Aldi. Der heißt in Österreich auch Hofer.
Auf dem Rückweg kommen wir dann noch an einem Spar vorbei und entdecken eine Bäckerei gleich unten neben der Pforte in unserem Haus.
6. Juni (Freitag)
Hermanita hat schon einen frühen Rundgang gemacht. Die meisten Brücken sind Fußgängerbrücken, aber es gibt auch eine Autobrücke im Zentrum. Die Innenstadt ist mit Poldern abgeschirmt. Auf dem Markt schon wieder ein riesiges Angebot an Obst und Gemüse aus einheimischem Anbau, darunter auch Aprikosen und Erdbeeren. Vor dem Marionettentheater, ganz bei uns in der Nähe, stand schon eine Schlange.
Außerdem ist ihr aufgefallen, dass man hier gar keine E-Bikes sieht. Und sie hat irgendwo das Schild Karitas entdeckt.
Beim Frühstück entdeckt sie lachende Gesichter, die hier in die Stuhllehnen eingeritzt sind.
Auf dem Weg zum Treffpunkt für den Stadtrundgang kommen wir an einem weiteren Marktplatz vorbei. Hier werden freitags unter dem Motto Odprta Kuhna, ‚Offene Küche‘, an Essständen Speisen aller Art angeboten: Paella und Falafel, slowenische Wurst, slowenische Teigtaschen, Spanferkel, Burek, Focaccia, koreanische, japanische, indische Gerichte. Man isst im Stehen. Vor dem Markt ein Spruchband mit dem Wort für Guten Appetit in einer Unzahl von Sprachen.
Es wimmelt auf den Straßen nur so von Menschen, Einheimischen und Touristen.
Die Führung startet pünktlich. Unsere Führerin, Natascha, ist eine vollschlanke Frau mit Damenbart, die ihre Sache ausgezeichnet macht. Sie spricht fließend Deutsch, war vor kurzem auf einer längeren Reise durch Deutschland. Unter den Gästen sind neben Deutschen auch Österreicher und Schweizer.
Der legendäre Teil der Stadtgeschichte knüpft an den Argonauten-Mythos an und lässt Jason bei seiner Flucht mit dem Goldenen Vlies Station in Ljubljana machen.
Die Stadt lag ursprünglich, in der Vorgeschichte, weiter südlich, am Schutz eines Sees, an einer durch den Bernsteinhandel bedeutenden Stelle. Aber dann drang das Wasser des Sees durch den Karstboden in den Untergrund ein, und man siedelte, um 3.500 v. Chr., hierher über. Hier gab es Schutz durch Burg und Fluss.
In einem Moor in der Umgebung hat man das, wie es heißt, älteste Rad der Welt gefunden, zusammen mit einer Achse. Es muss sich also um das Rad irgendeines Gefährts gehandelt haben. Das Rad wird nur alle zehn Jahre für wenige Tage ausgestellt.
Ab 600 v. Chr. wurde die Gegend von Kelten besiedelt. Dann kamen die Römer. Die blieben bis 451. Nahmen dann aber Reißaus angesichts der Hunnen und gründeten eine neue Stadt im heutigen Kroatiens.
Auf die Hunnen folgten die Awaren. Die sprachen eine Turksprache. Ob im Zusammenhang damit dann auch eine slawische Sprache hierherkam, verstehe ich nicht ganz.
Gegen die Awaren wurden die Bayern um Hilfe angerufen. Die machten die Einführung des Christentums zur Bedingung, und wo sie einmal hier waren, blieben sie auch gleich. Die Stadt kam dann bald zum Reich Karls des Großen.
Später war Slowenien dann als Herzogtum Krain Teil des Habsburgerreichs. Wenn es so geblieben wäre, wäre Slowenien heute das 10. Bundesland Österreichs.
Nach dem 1. Weltkrieg kam Slowenien zum Königreich Jugoslawien, nach dem 2. Weltkrieg zur Republik Jugoslawien. Seit 1991 ist man unabhängig. Klein, aber zufrieden, Man habe die Alpen, das Meer und die Pannonische Tiefebene. Das sei doch schon was.
Dann erfährt man noch – an einem sonnigen Tag wie heute fast unvorstellbar – dass Ljubljana 190 Tage pro Jahr Nebel hat. Die beiden Flüsse und die Berge sorgen dafür. Die warme Luft unten trifft auf die kalte Luft von oben.
Nach der Tour de Force durch die Geschichte des Landes setzen wir uns in Bewegung. Während der Erklärungen von Natascha habe ich Gelegenheit, auf ein paar Besonderheiten ihres Deutschs zu achten. Sie spricht von Kinderheit, zögert zwischen das Antwort und der Antwort, und baut Sätze wie Das unsere Kinder kennen nicht. Verstehen tut man praktisch alles.
Wir überqueren die dreispännige Fußgängerbrücke, Tromostovje, und kommen auf den unregelmäßigen, etwa dreieckig angelegten Hauptplatz von Ljubljana, den Prešerenplatz, nach dem Erdbeben von 1895 neu gestaltet.
Vor uns das Urbanč, das erste Kaufhaus der Stadt, im Stil der Wiener Sezession, neben uns die Hauptapotheke, dahinter das vornehmste Hotel der Stadt.
Es hat „nur“ vier Sterne, da es kein Schwimmbad hat, zur Zeit seiner Errichtung war das noch nicht angesagt. Jetzt kann man kein Schwimmbad mehr anlegen, da das Haus unter Denkmalschutz steht.
Hier steigen die offiziellen Gäste der Stadt ab. Kohl, Genscher, Ute Lemper haben hier schon gewohnt und auch Kurz, der österreichische Bundeskanzler. Dessen Name löste hier viel Vergnügen aus, denn kurac ist im Slowenischen ein ziemlich derbes Wort für ‚Penis‘.
Am Ende der Brücke steht das Denkmal für Prešeren, den slowenischen Nationaldichter. Er absolvierte ein Jurastudium, hatte aber keine Lust auf die Juristerei und verlegte sich aufs Dichten. Und auf das Leben eines Bohème mit viel Vergnügen und wenig Arbeit. Als Weltbürger fand er in dem provinziellen Ljubljana aber keinen Anklang und vereinsamte. Seine große Liebe, Julija, wollte nichts von ihm wissen. Ihren Namen hatte er in dem Akrostichon eines Gedichts verewigt. Um ihr näher zu kommen, machte er ihrer Haushälterin Avancen. Mit ihr hatte er drei uneheliche Kinder. Sie verließ ihn aber dann. Er starb an Leberzirrhose.
Abgeschlossen wird der Platz von der Franziskaner-Kirche Mariä Verkündigung, ein frühbarocker Bau, in Rosa gefasst. Die Fassade geht auf den Platz hinaus, mit den beiden Türmen im Osten.
Der Name Plečnik, dem wir in den nächsten Tagen immer wieder begegnen werden, fällt hier zum ersten Mal, im Zusammenhang mit der Fußgängerbrücke, der Tromostovje. Plečnik bekam den Auftrag, die existierende Brücke zu erweitern. Über die ging der ganze Verkehr von einer Seite der Ljubljanica zu anderen, einschließlich Straßenbahn. Bei der wachsenden Bevölkerung war sie dem nicht mehr gewachsen. Plečnik erweiterte die Brücke nicht, sondern fügte zwei weitere hinzu, die aber nicht gerade verlaufen wie die alte Brücke, sondern schräg auf das andere Ufer führen. Er stattete die beiden neuen Brücken mit einer Brüstung mit lauter kleinen Säulen aus. Zur Abrundung des optischen Eindrucks entfernte der die Brüstung der mittleren Brücke und stattete sie mit derselben Brüstung wie die neuen aus. Die Brüstung der alten Brücke, darauf legte er immer besonderen Wert, wurde dann an einer anderen Brücke wiederverwendet.
Wir gehen von hier eine schmale Straße runter, die vom Prešeren-Platz ausgeht. Ganz am Anfang der Straße ein Haus, das früher einen Laden beherbergte. Der wurde von der Mutter Julijas betrieben, einer geschäftstüchtigen Witwe, die alles tat, um Julija nicht in den Armen Prešerens zu sehen, des nichtsnutzigen Dichters. Sie machte aus dem Einzelhandel eine ganze Ladenkette und wurde steinreich. An der Fassade des Hauses ist heute eine Büste Julijas angebracht. Ihr Blick geht auf den Platz, dahin, wo das Denkmal von Prešeren steht.
Von hier aus geht es zum Kongressplatz. Der Platz hat seinen Namen vom Kongress der Heiligen Allianz, der hier 1821 stattfand, zwischen Österreich, Russland und Preußen, dem Laibacher Kongress. Später spielte der Platz eine Rolle, als 1918 nach einer Demonstration auf diesem Platz die Unabhängigkeit von Österreich und die Gründung des Staates der Slowenen, Kroaten und Serben ausgerufen wurde. Dann hielt Tito hier eine Rede vom Balkon des Universitätsgebäudes. Und schließlich markierte 1988 eine Demonstration den Beginn der slowenischen Unabhängigkeitsbewegung.
Auf diesem Platz stand ursprünglich ein Kapuzinerkloster. Das wurde von den Franzosen plattgemacht. An seiner Stelle trat ein Park mit Kastanienbäumen. Die wiederum wurden von Plečnik bei der Neugestaltung des Platzes durch die heutigen Platanen ersetzt.
Am Rande des Platzes wird eine Bühne aufgebaut, für das in Kürze beginnenden Ljubljana-Festival. Es wird jedes Jahr mit Carmina Burana eingeweiht.
Wir kommen zur Schusterbrücke. Warum ist die so breit? Weil hier früher die Metzger ihre Verkaufsstände hatten. Die Fleischabfälle konnten dabei praktischerweise gleich in der Ljubljanica entsorgt werden. Das stieß König Leopold böse auf, als er eines Tages im August Ljubljana besuchte. Der Gestank und die Fliegen und das blutgetränkte Wasser waren ihm zuwider. Er veranlasste die Metzger, ihre Stände abzubauen und weiter flussabwärts aufzubauen. Dafür bekamen sie auch ein Entgelt. Die Metzger machten ein doppeltes Geschäft, da sie ihre Stände jetzt an die Schuster verkauften.
Wir kommen in eine schmale Gasse im Zentrum. Dort zeigt uns Natascha, dass man an den Bauten gut ablesen kann, dass es ursprünglich eine Begrenzung auf dreiachsige Häuser gab. Zwischen denen mussten Luftlöcher gelassen werden, damit das Feuer bei einem Brand nicht auf die Nachbarhäuser übergreifen konnte. Als die Luftlöcher mit dem Aufkommen der Bauten aus Stein nicht mehr benötigt wurden, kauften findige Hausbesitzer die Nachbarhäuser und bauten die Luftlöcher zu, so dass ein größeres Haus entstand. Das kann man an den Fassaden noch gut ablesen.
Ein Fenster eines Hauses ist halb geöffnet, und zwar schräg nach unten. Sieht kurios aus. Durch diese besondere Öffnung treten die Seitenscheiben des Fensters aus der Fassade hervor, schließen nicht mit ihr ab. Das hatte einen ganz praktischen Zweck. Auf diese Weise hatte man mehr Sonne. Die Sonne kam nicht nur von vorne, sondern auch von der Seite. Das nutzt man für Reifung der Blaubeeren. Aus denen wird ein bekannter örtlicher Likör gemacht.
Dann erreichen wir das Rathaus mit seiner originellen Fassade mit Balkon. Davor der Flüsse-Brunnen. Allegorische Figuren repräsentieren die drei Flüsse des Landes Krain, Save, Ljubljanica und Krka. Der Brunnen hat einen dreieckigen Grundriss, in Form des Dreiblatts des alten Stadtsiegels.
Der italienische Künstler, Francesco Roba, stellte die Flüsse als männliche Wesen dar. Im Italienischen ist, wie im Deutschen, das Wort Fluss Maskulinum. Im Slowenischen ist Fluss aber Femininum. In der Vorstellung der Slowenen müssten die Flüsse durch weibliche Allegorien dargestellt werden.
Das Land Krain war ursprünglich eine Mark des Herzogtums Kärnten, wurde dann als Markgrafschaft selbständig und schließlich als eigenständiges Herzogtum Teil des Königreichs Österreich-Ungarn.
In das Atrium des Rathauses will Natascha nicht mit uns gehen. Zu viele moderne Eingriffe, das sei nichts.
Stattdessen spricht sie vom aktuellen Bürgermeister, Zoran Jankovic. Der ist beliebt wegen seiner Freundlichkeit, seiner Zugewandtheit und vor allem deshalb, weil er so viel für Ljubljana getan hat, sagt sie. es habe zwar Korruptionsvorwürfe gegen ihn gegeben, aber damit könne sie leben. Korrupt seien sowieso alle, aber solange er Gutes tue, die Stadt voranbringe, wichtige Neuerungen einführe, sei das in Ordnung.
Slowenien hat, erfahren wir, das größte Süßwasservorkommen Europas. Anfangs, als man gerade die staatliche Unabhängigkeit erlangt hatte, erteilte man Konzessionen für Wasserentnahme an drei Länder, darunter Saudi-Arabien. Das Wasser wird in Flugzeugen von Slowenien nach Saudi-Arabien geschafft. Laut eines späteren Gesetzes darf es Konzessionen dieser Art jetzt nicht mehr geben. Das Wasser verbleibt bei den Slowenen.
Zum Schluss kommen wir zum Glockenschlag am Marionettentheater an. Jeweils zur vollen Stunde treten zwei Gestalten aus slowenischen Märchen, von Trompetenstößen begleitet, aus der Mansarde hervor. Die beiden sind auch als Puppen im Puppentheater vertreten.
Für die Seilbahn auf die Burg bekommen wir die Karten in die Hand gedrückt. Da will sie nicht mit uns rauffahren. Sie hält von der Modernisierung der Burg nichts. Die Restaurants seien gut, aber teuer. Die Burg lohne sich in erster Linie wegen der Aussicht.
Nach einer Pause zu Hause, die ich dringender brauche als Hermanita, fahren wir auf die Burg rauf, mit einer hochmodernen Standseilbahn. In die Kabine passen ca. 40 Passagiere. Die Glasplatten des Dachs können schräg geöffnet werden, so dass für Frischluftzufuhr gesorgt ist.
Oben ist es nicht so schlimm, wie die Führerin meinte. Man hat ein paar ältere Teile gut eingefügt in die moderne Umgestaltung. So kann man zwischen den Betonwänden Teile des ursprünglichen Felsens sehen.
Die Aussicht von der Aussichtsplattform ist schön, aber auf den ersten Blick können wir gar nichts erkennen. Allenfalls ein originelles, treppenförmiges Hochhaus, das wir am Tag der Ankunft gesehen haben.
Dann merken wir, dass man von der Aussichtsplattform, auf der alle stehen, weniger von der Innenstadt sieht als von einem Fenster daneben. Jetzt erkennen wir die Kathedrale, den Marktplatz, die Markthallen. Den Fluss kann man nur erahnen. Wieder sieht man, wie gebirgig und wie grün es um die Stadt herum ist.
Man kann die Kapelle besichtigen. Dort hat man Fresken bewahrt, die schwer zu datieren sind. Sie sehen ganz und gar nicht christlich aus, meiste sind es Wappen von Adelsfamilien, die abgebildet sind, alle mit deutschen Namen. Eine wunderschöne, kleine Orgel steht auf der Empore.
Dann kann man noch das ehemalige Gefängnis besichtigen. Winzige Zellen mit dicken Holztüren und eisernen Gittern und Verschlüssen. Das Gefängnis wurde 1815 hier eröffnet, als modernere Formen des Strafvollzugs aufkamen. Es wurde nach dem Erdbeben 1895 wieder geschlossen und dann 1915 als Lager für Kriegsgefangene wieder eröffnet. Erst waren die meisten Gefangenen Serben, später dann Italiener.
In einem Schaukasten sieht man Knöpfe, kleine, schön gestaltete Knöpfe, die von den Kriegsgefangenen hergestellt wurden. Dahinter das Material, aus dem sie hergestellt wurden.
Wir drehen noch eine Runde und fahren dann wieder runter. Unten gehen wir über die Drachenbrücke, die einzige Brücke des Zentrums mit Autoverkehr. Die Brücke ist eine der ersten im Sezessionsstil errichteten Brücken überhaupt. Vier bronzene Drachen an den Enden bewachen sie und schlagen mit den Flügeln, wenn eine Jungfrau vorbeikommt.
Von der anderen Seite aus sehen wir uns die Markthallen von hinten an. Nur von dieser Seite sieht man, dass sie zweistöckig sind. Die Verkaufshallen befinden sich oben. Das untere Stockwerk ist wohl nur vom Fluss aus zu erreichen. Hier wurden die Waren vermutlich per Schiff angeliefert.
An der zentralen Stelle, wo wohl früher ein Landesteg war, hat Plečnik, um eine besondere optische Wirkung zu erzielen, in den beiden Stockwerken unterschiedliche Säulen angebracht, niedrigere, dickere in einem Stockwerk, schlankere, höhere in dem anderen.
Es ist viel los, es wimmelt nur so von Einheimischen und Touristen. Das Wetter lädt aber wirklich zum Flanieren ein. Es ist sonnig und warm, 27°. Und der Himmel ist fast wolkenlos. Wir kommen zur dreispännigen Brücke und fragen uns, wohin wohl die Treppen führen, die unten zum Wasser hin verlaufen. Zum WC! Die Treppen waren ursprünglich Gerberbrücken.
Wir gehen eine breite Einkaufsstraße runter, auf der wir bisher noch nicht waren. An deren Ende stößt sie auf eine breite Straße mit Autos und Bussen. Von hier aus kann man den „Wolkenkratzer“ sehen, ein kompakt aussehender, quadratischer, zwölfstöckiger Bau, der damals, in den dreißiger Jahren, das höchste Gebäude Südeuropas war. Es stimmt, auch wenn ich anfangs Zweifel angemeldet habe.
Auf dem Rückweg machen wir Halt bei Spar für einen kleinen Einkauf. Beim Ausgang merken wir, dass es hier gar keine Kassiererinnen gibt. Bei den Selbstbedienungskassen bleiben wir zweimal hängen, aber glücklicherweise kommt beide Male sofort jemand heran, um zu helfen: Erst nimmt die Kasse unseren Zahlwunsch nicht entgegen, dann können wir nicht zahlen, weil wir die Artikel nach dem Scannen bereits eingepackt haben.
Draußen wollen wir uns erkundigen, ob am Sonntag geöffnet ist. Nein, sonntags geschlossen. Nedelja, das Wort für ‚Sonntag‘, ist ganz anders als im Russischen, bei den übrigen Wochentagnamen lässt sich die Verwandtschaft meist gut erkennen. In nedelja steckt das Wort für Woche drin, genauso wie in ponedelnek, Montag.
Dann gibt es an einem Stand am Fluss ein Eis zu dem stolzen Preis von 2,50 € pro Kugel. Schmeckt aber gut. Beim Bezahlen erfahren wir dann, wie man auf Hvala antwortet: Prosim.
7. Juni (Samstag)
Vodnik, der Namensgeber unseres Platzes, war ebenfalls Dichter. Außerdem Lehrer, Journalist und Linguist. Das waren vielseitige Männer damals. Er hat wohl besondere Verdienste um die Förderung des Slowenischen. Auf den Porträts sieht er aus wie einige unserer Romantiker wie Kleist oder Novalis. Kommt auch zeitlich gut hin.
Auf den slowenischen Euromünzen begegnen uns die Lipizzaner und Prešeren und Plečnik. Der ist mit einem Entwurf für ein Parlamentsgebäude vertreten, der nie verwirklicht wurde. Originell, ein hoher, spitz zulaufender Turm, dem man das Parlamentsgebäude nicht ansieht. Auf der 1-Cent-Münze ist ein Storch zu sehen.
Heute steht als erstes die Bootsfahrt auf dem Programm. Bei herrlichem Sonnenschein geht es flussabwärts unter den bereits bekannten Brücken her in grüne Vororte. Je weiter man raus kommt, umso breiter und unregelmäßiger wird der Fluss.
Hinter uns sitzt ein Ehepaar, das ständig quatscht, und zwar immer dann, wenn eine Erklärung kommt. In den Pausen sind sie still.
Es kommen uns nur Paddelboote und andere Ausflugsschiffe entgegen, alle klein, alle mit wenigen Passagieren.
Das Ufer ist bestanden von Trauerweiden. Auch für die hat der unermüdliche Plečnik gesorgt. Bei den kleinen Säulen der dreispännigen Brücke hat er die Bewohner von Ljubljana mit ins Boot genommen. Die haben die Säulen glatt gerieben, so dass sie wie Marmor aussehen.
Nach der Bootstour machen wir an der Metzgerbrücke, die ganz modern ist und erst 2010 entstand, ein Photo von den monumentalen Figuren von Adam und Eva, überlebensgroß. Sie stammen von Jakov Brdar, einem anerkannten zeitgenössischen Künstler. Die Szene stellt vermutlich den Moment der Vertreibung aus dem Paradies dar. Adam hat voller Scham sein Gesicht mit einem Arm bedeckt, Eva sieht flehentlich gegen Himmel. Ihre Körper sind nicht unversehrt, sie sind verwundet, verletzt, es fehlen Partien von Haut und Fleisch. Sie haben einen Preis für ihren Verrat zahlen müssen.
Diese Skulpturen passen zu den zahlreichen kleineren Skulpturen desselben Künstlers von deformierten Wesen, alle entlang der Uferstraße angebracht.
Dann geht’s zur Kathedrale. Deren Hauptfassade kann man leicht übersehen, die befindet sich in einer schmalen Gasse. An der Eingangstür wird in einem Bronzerelief die ganze Geschichte Sloweniens dargestellt. Man sieht Bodenfunde, Reiterheere, eine Taufe, die Burg und einen Bischof. Zum Verständnis müsste man eine Erklärung haben.
Im Süden sind in die Längswand des Seitenschiffs mehrere Steinskulpturen in Nischen eingelassen, darunter ein Josef mit Kind auf dem Arm, eine eher seltene Darstellung, die uns im Laufe des Tages nochmal begegnen wird.
Der Nebeneingang liegt hier, an der Einkaufsstraße. Wieder gibt es ein modernes Bronzeportal. Oben sind die Köpfe der Bischöfe der Kathedrale dargestellt. Bei der Tür öffnet sich nur der untere Teil, man betritt die Kathedrale unter den Köpfen der Bischöfe hindurch.
Hier wird Eintritt genommen: 3 € pro Person. Auf einem Aushang sieht man, wie häufig hier Messe gelesen wird: an Wochentagen sechsmal, an Feiertagen in der Woche siebenmal, an sonntäglichen Feiertagen achtmal.
Hermanita sieht mit geschultem Blick, dass hier am Altar gerade „abgeräumt“ wird, der Küster trägt Kelch und andere Messgeräte in die Sakristei. Es hat tatsächlich gerade eine Messe stattgefunden.
Die Kirche ist von einem italienischen Architekten nach dem Vorbild von Il Gesù errichtet worden, und es mangelt nicht an barocker Pracht. Man weiß gar nicht, wohin man zuerst schauen soll.
Im Westen eine prächtige Orgel, an der Vierung zwei weitere, farbige Orgeln, davon eine direkt über der Kanzel. Wir fragen uns, wie man überhaupt auf diese Orgelbühnen gelangen kann.
An der Wand des nördlichen Seitenschiffs eine beleuchtete, große Christusfigur am Kreuz. Daneben ein Photo, in Schwarz-Weiß. Es stellt Gregorij Rožman dar, einen Bischof, der für seine kontroverse Rolle während des 2. Weltkriegs bekannt ist. Er war überzeugter Antikommunist und bekämpfte sowohl die Nazis als auch die kommunistische Opposition im eigenen Land.
Die Kuppel ist nachträglich eingebaut worden und ersetzt die ursprüngliche Scheinkuppel. Sie ist ganz mit farbenfrohen Fresken bemalt, ebenso wie das gesamte Mittelschiff. Man verrenkt sich den Hals, um die Motive zu erkennen. Zu meiner Enttäuschung finde ich keinen Nikolaus. In dem Zusammenhang erinnert mich Hermanita an das Getreidewunder, der bekanntesten Nikolauslegende.
Auch unter den vier Heiligen, deren Statuen in der Vierung stehen, ist kein Nikolaus zu sehen.
Ganz im Westen hat man einen Stein mit einem phantastischen Gesicht aus der alten Kathedrale in die Wand eingelassen. Das ist für mich beinahe das schönste Stück der Ausstattung.
Wo wir gerade in der Nähe sind, gehen wir noch ins Atrium des Rathauses, das Natascha uns vorenthalten hat. Es ist ganz sehenswert. Der Innenhof ist mit moderner Sgraffito-Technik geschmückt. An einer Wand sieht man die Skizze des Stadtplans vom Ljubljana des 17. Jahrhunderts. Oben links in der Ecke hat der unbekannte Künstler das Porträt einer Frau angebracht. Er hat sie hinter Gitter gesperrt.
Vorne neben dem Eingang sind Preise ausgestellt, die Ljubljana in den letzten Jahren bekommen hat. Besonders gefällt mir der Preis für Ljubljana als „Grüne Stadt“, einer ganz feinen goldenen Figur. Aus den erhobenen Armen von Menschen wachsen Äste hervor.
An der gegenüberliegenden Wand hängt ein wunderbares modernes Gemälde, das mit tollen Hell-Dunkel-Kontrasten das Konzert darstellt, eine Symphonie von Mahler, das zur zwanzigjährigen Wiederkehr der Staatsgründung von Slowenien auf dem Platz direkt hier vor dem Rathaus abgehalten wurde. Die Zuschauer und Musiker sieht man nur als kleine, helle Punkte vor dem dunklen Nachthimmel.
Dann geht es zum Kongressplatz. Hier suchen wir, am Ende erfolgreich, nach einer vergoldeten Statue. Sie stelle Emona dar, heißt es. Mit dem Namen verbindet sich die römische Geschichte Ljubljanas.
Auf dem Platz findet sich etwas überraschend ein riesiger Schiffsanker. Er erinnert daran, dass Jugoslawien 1954 durch die Abtretung der Zone B durch Italien den Küstenstreifen zur Adria bekam. Der wurde dann später zum Streitobjekt zwischen Slowenien und Kroatien.
Wir kommen über einen großen, in der Mitte leeren Platz mit nüchternen, grauen Großbauten sozialistischer Prägung zu drei Seiten. An einem der Gebäude eine ganze Serie von heroischen Figuren, voller Pathos. Erst am nächsten Tag erfahre ich, dass das das Parlamentsgebäude ist.
Am Rande des Platzes auf einer steinernen Empore ein einsamer Rufer, ein Mann mit Bart, der auf sein nicht vorhandenes Publikum einredet.
Dann geht es zu den etwas weiter, in einem ruhigen Viertel gelegenen Botschaften. Die deutsche und die amerikanische Botschaft befinden sich in unmittelbarer Nähe voneinander, beide in villenartigen Gebäuden, die amerikanische natürlich größer und prachtvoller.
An dem Gitter vor der Deutschen Botschaft wird Werbung für Chemnitz gemacht, und im Innenhof steht ein Berliner Bär mit Lederhose und einem bunten Hemd, das aus vielen Einzelteilen besteht und wahrscheinlich für Vielfalt stehen soll.
Auf dem Gelände zwischen den beiden Botschaften befindet sich ein Fachwerkhaus. Dort ist ein Kindergarten untergebracht. Der bestbewachte Kindergarten der Welt, heißt es hier.
In der Nähe gibt es ein wunderbares Gartencafé, aber da wird gerade für eine Hochzeit eingedeckt. Wir gehen weiter und finden ein schönes Plätzchen unter Sonnenschirmen gegenüber der Oper. Hier gibt es Kaffee und Kuchen und Wasser. Als die Rechnung kommt, sind wir überrascht. Das alles gibt es für 10,90 €.
Am Nebentisch eine junge Slowenin, die pausenlos spricht und in ihrem Freund einen bewundernswert geduldigen Zuhörer hat.
Auf der anderen Straßenseite zieht eine Hare Krishna Prozession vorbei und dann eine Gruppe junger Frauen beim Junggesellenabschied.
Plötzlich öffnen sich die Flügel über den hinteren Sitzen eines auf der anderen Straßenseite parkenden Teslas. Zwei Männer am Nebentisch lachen, als sie unsere überraschten Gesichter sehen. Sie haben die Schlüsselgewalt über das Auto.
Wir gehen stadtauswärts Richtung Plečnik-Haus. Es wird, sobald man die Innenstadt verlässt, einsam und grün. Der Weg führt durch unbekannte schmale Gassen und an Schrebergärten vorbei.
Dann kommen wir zu einer Brücke über den schmalen Kanal, der ganz Ljubljana umfließt. Die Brücke ist natürlich von Plečnik entworfen worden. Die Birken auf beiden Seiten der Brücke gehören auch zu dem Entwurf. Warum ist die Brücke so breit? Hier sollte nach Plečniks Vorstellungen der Markt stattfinden, mit Marktständen auf beiden Seiten. Daraus wurde aber nichts.
Wir kommen zu Plečniks Haus. Die Führung beginnt in einer halben Stunde. Bis dahin können wir im Garten warten und uns auf Liegestühlen ausruhen.
Dabei sehe ich mir meine Reisenotizen von 2015 an. Damals bin ich zum ersten Mal durch Slowenien gekommen. Der einzige Halt war in Kobarid. Das ist gerade mal 100 Kilometer von hier entfernt. Zu meinem Entsetzen lese ich, dass ich schon damals Hvala gelernt habe. Alles wieder vergessen. Schon damals konnte man hier mit Euro bezahlen, in Kroatien noch nicht.
Die Führung beginnt an dem Modell des Hauses. Wir sind nur zu viert, außer uns zwei Männer, die untereinander Französisch, aber auch sehr gut Englisch sprechen.
Plečnik, Sohn eines Schreiners und in eine tief religiöse Familie hineingeboren, war ein schlechter Schüler. Er verließ die Fachschule, an der er studierte, ohne Abschluss, machte dann eine Schreinerlehre in Graz. Dann ging er nach Wien. Dort entdeckte Otto Wagner sein Talent und förderte ihn. Er blieb zehn Jahre in Wien, wirkte dann zehn Jahre in Prag und erhielt dann einen Ruf an die neu gegründete Universität für Graphik und Design hier in Ljubljana, seiner Heimatstadt.
Plečnik hatte einen Bruder, der Priester war, einen weiteren unverheirateten Bruder, und er selbst heiratete auch nie. Einzig seine Schwester gründete eine Familie, und einer ihrer Söhne sorgte nach Plečniks Tod dafür, dass alles so erhalten blieb, wie es war.
Plečnik beabsichtigte, hier mit der ganzen Familie zu leben. Deshalb erweiterte er das Haus durch einen Turm, dann einen Anbau und dann durch einen weiteren Anbau. Der diente nur dazu, ihn vor neugierigen Blicken zu schützen. Alles um das Haus herum war pure Natur.
Aus dem Plan wurde nichts. Einzig einer seiner Brüder wohnte eine Zeitlang hier, zog dann aber fort, und Plečnik bewohnte das ganze Anwesen nur zusammen mit seiner Haushälterin, er im Turm, sie im Anbau. Der Bruder, der sehr gesellig war und gerne mit seinen Freunden lustige Abende mit lauter Musik verbrachte, hielt es hier nicht lange aus. Plečnik war sehr eigen, hatte seine Macken und war alles andere als gesellig. Er legte Wert darauf, in Ruhe gelassen zu werden.
An dem Modell kann man die Anlage gut erkennen, und praktischerweise kann man die Dächer abnehmen und ins Innere gucken. Dabei kommt wunderbarerweise auch der Turm zum Vorschein, den wir draußen gar nicht gesehen haben. Er ist halb in das Haus integriert.
Schon der kleine, lichte Empfangsraum spricht Bände. Die Besucherbank ist aus Holz und schräg, so dass die Besucher es nicht lange aushielten. Außerdem konnte man sie abschrecken, indem man das Glasdach bei Regen öffnete und bei Hitze schloss.
Plečnik war sehr fromm, und so sieht man schon hier im Empfangsraum ein großes Christuskreuz und eine große Statue des Hl. Josefs, seines Namenpatrons, auch hier wieder mit dem Jesuskind auf dem Arm.
Ganz anders eine große antike Vase, die irgendwo in einer Ecke steht. Sie war ein Geschenk Titos, als Dank für einen Bau, den Plečnik auf dessen Urlaubsinsel errichtet hatte.
Die antiken Säulen, die den Raum zu stützen scheinen, haben keinerlei statische Funktion. Sie stammen von einem anderen Projekt und sind hier einfach wiederverwendet worden.
Wir kommen in die Küche. In der Ecke ein Waschbecken, auch das wiederverwendet. Es stammt von einem Friedhof und passt sich mit seiner ovalen Form nicht nur sehr gut hier ein, sondern hat auch noch einen christlichen Bezug, weil es die Form eines Fisches hat.
Der Boden und die Fensterbänke des Raums sind aus einer Mischung aus Marmor, Granit und Zement gemacht. Das Material, das sich daraus ergibt, ist haltbar und strapazierfähig, schwarz-weiß-grau gemustert.
Hier hat sich Plečnik einen Samowar einbauen lassen, damit er sich selbst Kaffee zubereiten konnte, ohne die Haushälterin sehen zu müssen. Über dem Samowar sind mehrere kupferne Kaffeetassen zu sehen, für türkischen Mokka.
Plečnik verlor keine Zeit. Schon beim Frühstück begann er, zu arbeiten. Dafür hatte er einen Stuhl entworfen, der sowohl eine ausklappbare Schreibplatte hatte als auch ein Fach unter dem Sitz, in dem Pläne aufbewahrt werden konnten.
Im nächsten Stockwerk befindet sich in einem schmalen Raum eine Badewanne. Hier war früher das Schlafzimmer. An dem Boiler hat Plečnik, nachdem die Haushälterin mal einen Fehler gemacht hatte, eine Schritt-für-Schritt-Anweisung hinterlassen, damit sich der Fehler nicht wiederholt.
Hermanitas Frage, wie man das Badewasser aus der Badewanne bekam, kann unsere Führerin nicht beantworten.
Das Bett steht jetzt im Arbeitszimmer, damit man gleich an den Schreibtisch konnte, wenn man einen Gedankenblitz hatte. Über dem Bett eine Lampe, die man mittels einer Schnur weiter runterziehen konnte, wenn man im Bett arbeiten wollte.
Das Bett ist schmal und sicher für zwei Personen ungeeignet. Es gab wohl einmal eine Frau, die Plečnik Avancen machte, aber die wurde von ihm abgewiesen.
Der Schreibtisch, mit allem, was darauf liegt, ist ein wunderbarer Anblick, könnte ein modernes Kunstwerk sein. Lampe, Tassen, Zollstock, Lineal, Dreieck, Pinsel, Fläschchen, Tintenfass, Bürstchen. Dazu hat man als Ergänzung Plečniks Zwicker, seinen Hut und ein Kreuz gelegt.
In einer Schachtel liegen ordentlich nebeneinander jede Menge Bleistiftstümpfe. Plečnik warf nichts weg.
Außerdem stehen auf dem Tisch mehrere Aschenbecher. Plečnik rauchte viel, filterlose Zigaretten.
Auf dem Schreibtisch liegt auch ein Tennisball. Keineswegs für Sport gedacht, denn Plečnik verachtete Sport. Der Tennisball war, wie einer der beiden anderen Besucher sofort errät, zum Spielen mit dem Hund da.
Im nächsten Stock befindet sich Plečniks Atelier. Hier gibt es einen großen Schreibtisch mit Stühlen für seine Schüler und einem besonderen Stuhl für den Meister.
Auf dem Tisch liegt eine Abhandlung über Kunst: Die Baukunst Konstantinopels. Von Cornelius Gurlitt.
Eine Büste von Plečnik ist das Werk einer Schülerin, die er erwischt hatte, als sie während des Unterrichts eine Zeichnung von ihm anfertigte. Als Strafe musste sie die Büste fertigen.
Oben steht das Modell eines Mausoleums, das Plečnik für Prešeren, den Nationaldichter, errichten wollte. Aus dem Projekt wurde nichts. In abgespeckter Form wurde daraus dann das Tempelchen für Tito, wofür er später die antike Vase erhielt.
An der breiten Fensterfront kann man hier erkennen, dass man sich in einem Turm befindet. Die Rundungen lassen besonders viel Licht in den Raum.
Zum Schluss gehen wir in den Wintergarten runter, durch dessen Fenster man direkt in den Garten blickt. Der Boden besteht aus ganz unterschiedlichen Marmorplatten, der türlose Eingang ist nur eine Öffnung in der Wand. Bei den Fenstern wird in diesem Raum ein bestimmter Effekt erzielt, denn die feinen Holzstreben, die die vielen Glasscheiben zu tragen scheinen, sind tatsächlich nicht aus Holz, sondern aus Beton.
Die Führung endet hier, und wir sind froh, sie mitgemacht zu haben.
Die letzte Station für heute ist die Universitätsbibliothek, genauer gesagt, deren Lesesaal. Den kann man nur Samstagnachmittag besichtigen. Die Fassade des Gebäudes ist sehr originell, mit roten Backsteinen oben und mit unregelmäßig angebrachten unregelmäßigen Steinen unten, die das Ganze wie ein Gewebe aussehen lassen.
Der Lesesaal ist eine Enttäuschung. Oben sieht man Bücherregale mit ziemlich unscheinbaren Büchern mit grauen und braunen Einbänden. Man kann nicht oben rauf, erkennt kein System und steht etwas ratlos unten rum.
Einzig der grandiose Aufgang zur Bibliothek mit einer säulenbestandenen Marmortreppe mit einem Spiel von Hell und Dunkel ist sehenswert.
Am Abend gehen wir raus, um einen kleinen Einkauf zu machen. Sonntags sind die Geschäfte alle geschlossen, bis auf ein paar Bäckereien.
Auf dem Weg zum Supermarkt kommen wir am Bügeleisenhaus vorbei. Das hat seinen Namen von seinem Vorgänger, einem bei dem Erdbeben zerstörten Bau. Natürlich war es Plečnik, der mit dem Neubau beauftragt wurde, und er ließ sich eine originelle Lösung einfallen für das kleine Grundstück zwischen zwei schräg auf den Platz zulaufenden Straßen. Der Bau, grau, mit viel Glas, verjüngt sich zum Platz hin, läuft dann aber nicht spitz zu, sondern ist am Ende abgeflacht. An der Längsseite kann man am besten die unterschiedlichen Fensterreihen erkennen, die trotzdem ein schönes Ensemble bilden. Alles ist etwas unregelmäßig, und man kann gar nicht so leicht erkennen, ob es zwei oder drei Stockwerke gibt.
Obwohl wir uns ein paar Lokale herausgesucht hatten, bleiben wir dann einfach an Vodinokows Hram hängen, einem Lokal gleich um die Ecke von unserer Unterkunft, mit Blick auf die Talstation der Standseilbahn und auf das Marionettentheater. Dort erscheinen zur vollen Stunden wieder, von Musik begleitet, die beiden Gestalten. Bei denen handelt es sich um Martin Krpan und Kobilica, seinem treuen Pferd. Martin Krpan ist Schmuggler von Beruf, er schmuggelt „englisches Salz“, ein Euphemismus für Schießpulver. Die beiden sind bekannt für ihre Geschicklichkeit und ihren Erfindungsreichtum.
Ich frage die Kellnerin nach der Bedeutung von hram, bekomme aber keine befriedigende Antwort. Sie sagt, es bedeute so was wie ‚Ort der Zusammenkunft‘. Ich hatte auf ‚Tempel‘ getippt. Später sehe ich, dass es im Internet eine lebendige, sehr kontrovers geführte Diskussion über die Bedeutung von hram gibt. Einige halten ‚Tempel‘ für richtig, andere lehnen es rundweg ab. In Slowenien gebe es sowieso keine Tempel. Ihre Eltern hätten das Wort im Sinne von ‚Speisekammer‘ benutzt.
Man sitzt hier schön, die Bedienung ist freundlich, alle sprechen Englisch, die Speisekarte ist viersprachig und Hermanita kann von ihrem Platz aus die beiden Figuren sehen, die zur vollen Stunde oben am Marionettentheater erscheinen, und die Gruppen, die auch jetzt noch in der Seilbahn von der Burg runterkommen.
Das Essen ist hervorragend, auch wenn wir nicht sicher sind, ob Hermanita wirklich das bestellte Gericht, Wildragout, bekommen hat. Auf jeden Fall ist das Fleisch ganz zart. Sie bekommt dazu ein Radler, das auch so heißt und aus Österreich kommt. Statt mit Zitronensaft ist es mit Grapefruitsaft gemacht. Ich bekomme Bier zu meiner hervorragenden Pilzsuppe und den Krainer Würsten, mit slowenischen Kartoffeln serviert, einer Mischung aus Bratkartoffeln und Kartoffelpüree, eine Art Bratkartoffelstampf.
Hinterher gibt es noch einen Likör, den wir erst nicht identifizieren können. Es ist Walnusslikör.
8. Juni (Pfingstsonntag)
Die Sonne geht in Ljubljana 15 Minuten früher auf und 15 Minuten früher unter als zu Hause.
Wie bei uns, geben die Autokennzeichen auch hier Auskunft über die Herkunft. LJ steht für Ljubljana, KR für Kranj (dem ehemaligen Krainburg), MB für Maribor.
Unser erster Weg führt uns zur Touristeninformation. Das Mädchen hinter dem Schalter hat keine Ahnung. Ihre Antwort gibt nur das wieder, was schon in meiner Frage steckte. Dann guckt sie im Internet nach, was ich auch schon nachgeguckt habe. Damit gebe ich mich nicht zufrieden. Sie fragt einen älteren Kollegen. Der bestätigt: Das Nationalmuseum hat morgen, am Montag, geöffnet.
Als ich am Nachmittag noch mal nachfrage, bleibt mir das Mädchen wieder beide Antworten schuldig. Sie kann das außergewöhnliche Hochhaus, von dem ich ihr ein Photo zeige, nicht identifizieren (fragt mich, wo ich das gesehen hätte, als wenn man damit der Antwort näher käme) und kennt noch nicht einmal die beiden Gestalten, die stündlich am Giebel des Marionettentheaters erscheinen. Sie kann wahrscheinlich nur Broschüren verteilen.
An der dreispännigen Brücke ist jetzt, am Morgen, noch nicht viel Betrieb, und wir können ganz ihre originelle Gestaltung auf uns wirken lassen. Der Blick durch die unzähligen Säulen hindurch auf beiden Seiten von allen drei Brücken hat was, ebenso wie die schräg zulaufenden Seitenbrücken. Wenn man auf ihnen steht, glaubt man, sie seien gerade.
Am Ende der Brücke steht das Denkmal für Prešeren. Über ihm schwebt eine nackte oder halbnackte Muse, die bei der Aufstellung des Denkmals einen kleinen Skandal verursachte.
Wir gehen die Uferstraße entlang, vorbei an jetzt schon vollbesetzten Lokalen, in denen junge Slowenen sich ein Brunch servieren lassen.
Stadtauswärts geht es zum Friedhof, Žale, wieder einmal auf den Spuren von Plečnik. Der Friedhof einer Pfarrei sollte zum Zentralfriedhof von Ljubljana umgestaltet werden, und man holte Plečnik, nachdem man mit dem Entwurf eines anderen Architekten nicht zufrieden war.
Seit dem Vortag macht sich Hermanita schon Gedanken darüber, wie wir über die Gleise kommen und hat genau austariert, welches der beste Weg ist. Ich wäre einfach auf gut Glück drauflosgegangen. Wir kommen dann auch tatsächlich auf dem kürzesten Weg durch eine Unterführung.
An deren Ende steht eins der Hochhäuser, das wir von der Burg aus gesehen haben, das, das wie ein Drahtgeflecht aussieht. Von nahem sind die Fenster aber doch größer als man von der Burg aus glaubt. Etwas weiter sieht man die Spitze des farbenfrohen treppenartigen Hochhauses.
Jetzt ist der Friedhof ausgeschildert, aber es ist nicht klar, ob wir den Hinweisen für Autos folgen sollen oder ob es einen besseren Fußweg gibt. Der Routenplaner des Handys gibt uns zwischenzeitlich die Information: Heute geschlossen. Kann ein Friedhof an einem Tag geschlossen sein? Ich meine ja, Hermanita meint nein.
Wir müssten auch an dem Stadion vorbeikommen, aber das zeigt sich nicht, obwohl es ausgeschildert ist.
Dann kommen wir hinter einem Kreisverkehr auf einen baumbestanden Weg, an dessen Ende man schon die Friedhofspforte sieht. Geöffnet!
Wir kommen an und setzen uns erst einmal auf eine Bank. Hermanita meint, wir seien falsch hier, dies sei der Eingang zu dem alten Friedhof, nicht zu dem von Plečnik gestalteten. Die Hinweise sind alle nur auf Slowenisch und schwer zu entziffern, und die alten Frauen, die hier auftauchen, sprechen kein Englisch. Die Informationsstelle ist geschlossen.
Dann kommt ein Mann auf den Eingang zu. Ja, sagt er uns voller Überzeugung, dies sei der Haupteingang, und dies sei der von Plečnik gestaltete Teil.
Der Friedhof ist groß, die Wege sind symmetrisch angelegt, die Gräber sind klein und liegen eng beieinander, die Grabsteine sind sehr unterschiedlich. Unter den Namen fallen mir Medved auf, ‚Bär‘, Kovac, ‚Schuster‘ und Novak, ‚Neuer‘.
Die meisten Gräber haben Körperbestattungen. Abseits der Hauptachse gibt es aber auch eine ganze Reihe von Urnengräbern.
Einige Gräber haben Grabplatten, andere Kies und wieder andere Blumenbeete, und einige haben eine Kombination von zweien. Das sieht ganz originell aus, wenn ein Grab diagonal durchschnitten ist, mit Blumen auf der einen und Kies auf der anderen Seite.
Den Hinweisen zufolge gibt es einen deutschen, einen österreichischen, einen italienischen, einen jüdischen und noch einen Teil, den wir nicht identifizieren können. Wir finden aber nur ein etwas pathetisches österreichisches Monument und ein paar deutsche Namen auf den Grabsteinen. Deutlich abgesetzt ist der italienische Teil, ein Soldatenfriedhof mit einheitlichen kleinen Kreuzen, ganz von Gräsern überwuchert.
Wir haben inzwischen das Ende der Mittelachse erreicht, aber von Plečnik ist weit und breit nichts zu sehen. Dies ist ein Friedhof, den man ohne großen Kunstverstand anlegen kann und der auch nichts mit den Beschreibungen zu tun hat, die wir von dem Friedhof gelesen haben. Etwas verloren stehen wir in der Gegend herum. Da kommt Hermanita auf die gute Idee, eine Familie nach dem Weg zu fragen, indem sie auf die Photos aus dem Reiseführer zeigt. Zurück, heißt es, in die andere Richtung!
Als wir wieder an der Allee ankommen, sehen wir links von uns spielende Kinder vor einer weißen Kirche. Und dann kommt der ganze von Plečnik gestaltete Komplex. Wir sind vorher daran vorbeigegangen. Hermanita hatte recht, wir waren auf dem alten Friedhof. An der Seite ist ein Eingang, aber der ist verschlossen, und dann kommen wir zum Haupteingang: Zu! Der Friedhof ist tatsächlich sonntags geschlossen! Montag wäre der richtige Tag gewesen.
Wir gehen einmal ganz herum, man bekommt zumindest einen Eindruck. Das ganze große Eingangsportal, ganz in Weiß, mit vielen Säulen und Durchblicken, ganz im Stil der italienischen Renaissance, sieht nicht wie der Eingang zu einem Friedhof aus. An der Seite ist es dann verspielter, da befinden sich originelle Steinmuster an den Fassaden und Bilder von Heiligen im Stil der Nazarener.
Plečnik wollte einen Friedhof für alle machen, nicht nur für Christen, auch für Andersgläubige und auch für Atheisten und Selbstmörder. Für die verschiedenen Gruppen hat er jeweils eine eigene Kapelle gebaut. Schade, dass uns das alles entgeht.
Der Rückweg ist beschwerlich, es fängt an zu regnen und es ist schwül, und das Ethnologische Museum, in dem wir vorher ein schönes Gartencafé gesehen haben, ist verschwunden.
Am Ende kommen wir doch wieder an die Ljubljanica, an die Drachenbrücke. Dann geht es an der Uferpromenade entlang, wo wir am Ende ein schönes kleines Café irgendwo im Souterrain finden. Hier sitzt man schön, und dafür nehmen wir auch die gesalzenen Preise für Pfannkuchen mit Beeren, Tiramisu, Orangensaft und Kaffee in Kauf.
Jedenfalls bekommt man hier wenigstens eine Gegenleistung, nicht für die dämliche Kurtaxe, die wir bei dem Vermieter hinterlassen müssen, 3,13 € pro Person und Tag!
Wenn wir nach Hause kommen, kann ich mich ganz auf Hermanita verlassen. Sie kennte beide Zahlencodes auswendig. Dafür plagt sie sich noch mit dem Namen der Ljubljanica.
Am Nachmittag machen wir noch einen Bummel durch die Innenstadt und entdecken immer wieder Ecken, die wir noch nicht gesehen haben, obwohl sie ganz in der Nähe sind. Hermanita führt uns zu einem dreieckigen Platz in der Altstadt, in dessen Mitte eine Herkulesstatue steht.
An der Straße, die von hier zur Burg raufführt, kann man vier Häuser sehen, die sich von denen rechts und links von ihnen unterscheiden. Diese, noch auf das Mittelalter zurückgehenden Häuser sind giebelständig, die barocken Häuser daneben sind traufständig. Wunderbar! Architekturgeschichte am konkreten Beispiel.
Etwas oberhalb die von Plečnik außen umgestaltete Kirche St. Florian. Er ließ den ursprünglichen Eingang zumauern und öffnete einen neuen Eingang am Ende einer Treppe mit den unvermeidlichen Säulen. Am ursprünglichen Eingang steht jetzt eine Statue von Nepomuk, ein Kreuz in der Hand haltend. Darunter ist die Szene dargestellt, wie er von grimmig aussehenden Soldaten kopfüber eine Brücke hinuntergestürzt wird.
In der Mitte der kleinen Kreuzung hat der Mann, der für die Weihnachtsbeleuchtung von Ljubljana zuständig ist, einen Kronleuchter aufhängen lassen! Ein kurioses Bild.
Neben der nächsten Kirche, Jakobus, soll eine Marienstatue stehen. Von der ist aber zu Hermanitas großer Enttäuschung nur noch die Säule da, ohne Maria. Die hat man vermutlich wegen Restaurierung vom Sockel geholt.
Wir setzen uns in ein Café auf die Hauptstraße der Fußgängerzone, gleich in der Nähe des Rathauses. Hier sitzt man sehr schön, hier herrscht keine Hektik, kein Betrieb. Wir recherchieren ein paar Sachen, wollen noch versuchen, irgendwann an die Stelle zu kommen, wo die Ljubljanica in die Save fließt. Und ich wollte gerne das Fohlenfleisch probieren, für das Ljubljana bekannt ist. Das scheint es aber nur an einem Imbissstand zu geben, und da gibt es nur Burger. Die Bewertungen im Internet schwanken zwischen überschwänglicher Begeisterung und schärfster Missbilligung.
Das Internet erklärt auch, das cesta, das in vielen Straßennamen vorkommt, auch ‚Straße‘ bedeutet, genauso wie ulica, die aber eher für städtische Straßen gebraucht wird. Eine Parallele zu road und street.
Hermanita hat gesehen, dass in die winzige Gasse gegenüber immer wieder ganze Touristengruppen reingehen. Das macht neugierig. Die ganze Gasse runter läuft eine schmale Rinne, in die lauter Menschenköpfe eingefügt sind, oben wenige, dann mehr, dann wieder wenige. Am oberen Ende ist ein kleiner Brunnen, von dem aus man Wasser durch die Rinne laufen lassen kann. Die Bedeutung der Skulptur als Symbol des menschlichen Lebens erschließt sich uns nicht so ganz.
Unten am Fluss ist wieder Gott weiß was los, oben ruhiger und schöner gewesen. Aber die Leute gehen da hin, wo auch schon alle anderen sind.
Hermanita achtet wieder auf alle möglichen Details, die ich mir entgehen lassen würde, wie die unbequemen Hochstühle in einer Bar, die dünnen, doch wohl unbequemen Sandalensohlen der eleganten Frauen, die Blumenkästen, die so hoch an den Häuserwänden hängen, dass man sich fragt, wie die wohl gegossen werden können. Heute Morgen am Friedhof hat sie sich gefragt, wie die Gräber angesichts der großen Abmessung des Friedhofs gegossen werden können.
Auf dem Rückweg essen wir an demselben Stand von gestern noch mal ein Eis. Die 2,50 € kommen uns inzwischen fast preiswert vor. Wir haben schon Stände gesehen, wo die Kugel 3,10 € und sogar 3,60 € kostet.
9. Juni (Montag)
Der Pfingstmontag ist hier kein Feiertag, wohl aber der Ostermontag.
Vom Dom her gibt es jeden Morgen schönes Glockengeläute, und wohl auch von einer anderen Kirche. Heute höre ich auch einmal den Trompeter vom Marionettentheater.
Dass Slowenien und die Slowakei gelegentlich verwechselt werden, weiß man. Kein Wunder: Die Slowenen nennen ihre Sprache slovenščina, die Slowaken bezeichnen ihre Sprache als slovenčina, die slowakische Bezeichnung für das Slowenische ist slovinčina, die slowenische Bezeichnung für das Slowakische ist slovaščina! Die Sprachen sind zwar miteinander verwandt, aber nicht so eng wie das Slowenische mit dem Kroatischen und das Slowakische mit dem Tschechischen.
Als vor ein paar Jahren innerhalb von zwei Tagen die Ministerpräsidenten beider Länder zurücktraten, gab es allerhand Durcheinander.
Hermanita landet am Morgen einen Coup, in dem sie in einer Buchhandlung die slowenische Version eines Kinderbuchs findet, ein perfektes Geschenk für jemanden, der dieses Buch in allem möglichen Sprachen sammelt. Auf Slowenisch hat sie es bestimmt noch nicht.
Das Wetter ist mächtig umgeschlagen, über Nacht. Die Sonne versteckt sich, und wir sind bei 15°. Ich bin mit Shorts und T-Shirt nicht sonderlich passend angezogen.
Es geht zum Nationalmuseum, während Hermanita zum Tivoli geht, dem großen Stadtpark.
Um ins Nationalmuseum überhaupt reinzukommen, drehe ich erst eine Runde um das riesige Gebäude, da die Beschilderung unklar ist. Dann muss ich mich von einem Gärtner beschimpfen lassen, als ich auf der Suche nach dem Eingang ins Lapidarium gerate, das man angeblich gratis besichtigen kann und das in einem modernen Glasgebäude untergebracht ist. Dann kommt noch die wenig einladende Begrüßung durch das Mädchen an der Kasse. Aber es lohnt sich.
Vor dem Eingang in die eigentlichen Ausstellungsräume trifft man in dem Gang auf ein Boot, einen Einbaum. Es ist neun Meter lang und, wie der Name sagt, aus einem einzigen Baumstamm gemacht. Dieses Boot stammt aus der späten Bronzezeit, aus dem späten 9. Jahrhundert vor Christus! Dieser Bootstyp hatte weite Verbreitung und wird über die Jahrhunderte hinweg in fast gleicher Form immer wieder vorgefunden, bis ins Mittelalter hinein.
Dann kommt das berühmteste Ausstellungsstück des Museums. Man kann es leicht übersehen, es wird in einer kleinen Vitrine in einer Ecke aufbewahrt. Es ist ein Musikinstrument, das älteste der Welt, wie hier behauptet wird. Es ist zwischen 50.000 und 60.000 Jahre alt.
Bei dem Instrument handelt es sich um eine Flöte, im Grunde nichts anderes als der Vorläufer unserer Blockflöte. Nur ein Teil des Instruments ist erhalten. Man sieht zwei von ursprünglich vier Löchern, drei oben, eins unten.
Diese Flöte wurde vom Neandertaler hergestellt und verrät bereits ein klares Verständnis von Musik und Noten. Im Hintergrund erklingt Musik auf einem nachgebauten Instrument. Die erste Melodie klingt etwas eintönig, aber gleichzeitig mysteriös. Die zweite Melodie lässt schon viel Variation erkennen.
Erst suche ich vergeblich nach Informationen über das Material, aus dem die Flöte gemacht wurde, dann finde ich sie doch noch. Die Flöte, 1995 gefunden, wurde aus dem Oberschenkelknochen eines Höhlenbären gemacht!
Dann kommen Hämmer und Äxte aus der Steinzeit. Die Stiele, die vermutlich aus Holz waren, sind nicht erhalten. Die Schneiden sind hier zu einem schönen Bild vereint, ganz viele, in der Form eines Parallelogramms. Wichtig ist, dass die Instrumente zum Fällen von Bäumen verwendet wurden, was ein Hinweis auf Sesshaftigkeit ist. Wir befinden uns in der Jungsteinzeit.
In der Bronzezeit kommen Waffen aus Bronze erst relativ spät auf. Die Waffen sind oft gleichförmig und in großer Zahl vorhanden. Interessant ist, dass die Fundstellen im Fluss ganz ungleichmäßig verteilt sind, mal gibt es viele an einer Stelle, dann lange gar keine. Daraus schließt man, dass es sich um Kultstätten handelte, in denen die Waffen geopfert wurden.
Die Entwicklung von Eisen war ein großer Durchbruch in der Menschheitsgeschichte. Es war besser, haltbarer und härter als Holz, Quarz, Kupfer und Bronze. Allerdings war die Herstellung nicht einfach. Man benötigte dafür eine Temperatur von sage und schreiben 1530 Grad.
Unter den ältesten Goldfunden ein besonders schönes Schmuckstück, eine Art Diadem, sichelförmig. Die Durchbohrungen an den Enden zeigen, dass es getragen wurde. Das wertvolle Material und die vielen konzentrischen Kreise auf dem Schmuckstück lassen vermuten, dass es in den Kontext der Sonnenanbetung gehört.
Dann kommen die ältesten Nachweise von Schrift, eine Inschrift auf einer Situla, eingeritzt. Im Original kaum zu erkennen, aber man hat daneben auf einem Schild die Schrift wiedergegeben, und man kann tatsächlich einige Buchstaben erkennen! Es handelt sich also um eine alphabetische Schrift, um das phönizische Alphabet oder eine Variante davon. Was die Inschrift bedeutet, weiß man nicht, vermutlich handelt es sich um zwei Eigennamen. Es war wohl eine Widmung von der Art „Von Hinz für Kunz.“ Wir befinden uns im 3. bis 4. Jahrhundert vor Christus.
Dann kommt die Römerzeit, mit Fibeln, Münzen, Kämmen, Öllämpchen, Ringen, Spiegeln, Ohrringen und riesigen Eisennägeln aus einem Stadttor. Die Römer hatten hier eine komplette römische Stadt, mit Stadtmauer, Stadttoren, Cardo Maximus und Decumanus Maximus, Forum und dem schachbrettartigen Straßenmuster.
Erst jetzt wird mir klar, dass Emona, das Wort, das in den letzten Tagen immer wieder gefallen ist, ganz einfach der römische Name von Ljubljana ist. Die römische Stadt befand sich etwas außerhalb der heutigen.
Emona ist also nicht der Name der goldenen Statue. Die aber taucht hier auch auf. Sie zeigt einen Mann mit Toga, auf einem hohen Sockel stehend. Das war ein Grabdenkmal und stand, wie bei den Römern üblich, am Wegesrand außerhalb der Stadt. Aber: Wo ist die Statue? Wo ist das Original?
Dann gibt es Glaswaren aus der Römerzeit, erstaunlich viele. Das Glasblasen wurde im 1. Jahrhundert erfunden und verbreitete sich dann schnell. Hier gibt es erstaunlich gut erhaltene Gefäße zu sehen, Teller, Schüsseln, Gläser. Bei einigen fragt man sich, ob es Gebrauchsgegenstände waren oder Dekoration. Auf jeden Fall lässt sich ein Geschmackswandel erkennen: Die frühen Gefäße sind bunt, in späteren Jahrhunderten setzt sich ein blasses Blaugrün durch.
Am Ende ermüdete das Römische Reich in den vielen Kämpfen gegen die Awaren, Araber, Perser und Slawen. Es kam zur Reichsteilung und zum Untergang des Westreichs. Auf das folgte das Frankenreich. Die Franken bekamen es mit den Magyaren, den Arabern, den Wikingern und den Slawen zu tun. Wie und woher die hierher kamen, ist mir immer noch nicht klar. Ausgestellt sind von den Slawen hergestellte, äußerst modern aussehende eiserne Zangen, Schlüssel, Hammer und Steigbügel aus einem Hort aus dem 9. Jahrhundert. Damals gab es wohl einen Aufstand der Slawen gegen die Franken. Aus diesem Hort stammt auch verkohlter Weizen, der hier in einem Schälchen mit Weizenkörnern präsentiert wird.
Zum Schluss gibt es noch eine Kuriosität, ein kompliziertes Holzgestell, dem man seine Bestimmung nicht ansieht. Es ist eine Tierfalle. Sie wurde über einer Mulde in der Erde angebracht. Wenn ein ausreichend schweres Tier sich darin verfing, öffnete sich eine Tür und die Falle schnappte sich den Fuß des Tieres. Wenn das Tier versuchte, sich zu befreien, geriet es nur noch tiefer in die Mulde. Nicht gerade tierfreundlich, aber als Erfindung sehr gelungen. Den Menschen war der eigene Hunger näher als das Tierwohl. Diese Art von Falle hatte eine lange Verbreitung und blieb über Jahrhunderte unverändert. Damit schließt sich der Kreis zum Einbaum vom Anfang.
Ich treffe mich mit Hermanita in einem Café am Kongressplatz. Wir bestellen einen Kakao und fragen uns, wie der sich wohl von der heißen Schokolade unterscheidet, die weiter unten auf der Karte steht.
Der Kellner sagt laut und vernehmlich Dober dan. Das entspricht russisch Dobry den. Im Polnischen ist die Reihenfolge umgekehrt: Dzién dobry.
Ein Musiker spricht uns auf Italienisch, ein Bettler auf Deutsch an.
Selbst zum Kakao gibt es, wie bei jeder Bestellung, ungefragt ein Glas Wasser dazu, eine Sitte, die ich aus Griechenland kenne und Hermanita aus Österreich.
Der Kellner hat in seinem Portemonnaie Schächte für die Münzen, wie sie früher die Schaffner gehabt haben.
Hermanita ist zum Tivoli gegangen. Auch der war gar nicht so weit wie geglaubt. Ein weitläufiger Park mit einem See, der komplett von blühenden Seerosen bedeckt war. An verschiedenen Stellen Bronzeskulpturen berühmter Slowenen des 20. Jahrhunderts, teils stehend, teils auf Parkbänken sitzend. Das Schlösschen, in dem es auch eine schöne Ausstellung geben soll, war, dem Namen getreu, geschlossen.
Am Abend geht’s ins Hiša pod gradom, einem Lokal in einer Ecke, die wir noch gar nicht kennen, obwohl es gerade mal zehn Minuten entfernt ist. Gegenüber hässliche Hochhäuser, aber vor der in einem hübschen Haus untergebrachten Gaststätte kann man schön sitzen. Es wird allmählich etwas wärmer, und das Lokal füllt sich, mit Einheimischen und Touristen.
Es gibt Salat und wieder Radler mit Grapefruit, diesmal aus heimischer Produktion. Und hervorragendes Wildschwein mit Preiselbeeren und Gemüse und Štrulki, Quarkstrudel, gerollt, eine typische Zutat der slowenischen Küche. Echt lecker.
Hermanita erzählt, dass es in Ljubljana auch eine Zeitlang so einen Krawalltourismus gegeben habe. Kann man sich gar nicht vorstellen. Hier ist alles so bieder und gesittet. Der Krawalltourismus hat sich woandershin verzogen, seitdem Ljubljana nicht mehr von Billigfluglinien angeflogen wird. Und, so darf man vermuten, seitdem es nicht mehr so billig ist.
Hermanita wundert sich, wie sauber hier alles ist, kein Kaugummi, keine Kippen, keine Pommesschalen auf dem Boden. Das sei bei uns ganz anders.
Ich erzähle von meiner Jugoslawienreise aus längst vergangenen Tagen, meiner ersten Auslandsreise überhaupt.
10. Juni (Dienstag)
Überall auf den Straßen stehen Container herum, in denen die Anwohner ihren Müll deponieren, säuberlich geordnet nach Papier, Plastik, Glas, Biomüll und Restabfall. Diese Container gehen tief in die Erde, heißt es. Slowenien sei inzwischen bei einer Recycling-Quote von 68% angekommen. Und die Müllhalden meldeten Schwund an.
Slowenien hat nach der Unabhängigkeit seine eigene Währung gehabt, den Tolar. Das ist das slowenische Wort für den Taler. Der löste den Dinar ab und wurde seinerseits nach nur 16 Jahren vom Euro abgelöst.
Bei der Einführung der Euromünzen gab es eine Auseinandersetzung mit Österreich, allen voran mit Kärnten, in der Person von Jörg Haider. Der protestierte energisch gegen die Abbildung des Fürstensteins auf einer der Münzen. Der Fürstenstein stehe für Kärnten und für nichts anderes.
Keinen Protest gab es gegen den Lipizzaner auf einer anderen Münze. Das Gestüt Lipica befindet sich nämlich in Slowenien. Die Lipizzaner sind von Geburt aus schwarz, das weiße Fell bekommen sie erst nach ca. fünf Jahren. Ihre stämmige Statur haben sie „von Natur aus“, die Eleganz von den Araberpferden, mit denen sie gekreuzt wurden.
Hermanita quält der Anblick der verdorrten Pflanzen in dem Blumenkasten, an dem wir täglich mehrmals vorbeikommen, wenn wir aus der Wohnung gehen oder zurückkommen. Auf der Erde zwischen den Blumen stehen Aschenbecher, die gelegentlich geleert werden. Auch Kaffeebecher werden hier abgestellt. Auf dem Geländer uns gegenüber werden die Pflanzen gepflegt.
Wir machen uns auf den Weg zum Bahnhof. Heute steht der Tagesausflug nach Triest auf dem Programm.
Die Luft ist noch ein bisschen frisch, aber ganz angenehm. Im Laufe des Tages wird es immer wärmer.
An der Metzgerbrücke, unweit von Adam und Eva, stehen auch ein Satyr und Prometheus, auch sie etwas „angeschlagen“. Sie repräsentieren die beiden Seiten der menschlichen Natur, die zivilisierte und die animalische Seite des Menschen, Weisheit, Erfindungsgeist, Fortschritt und Sinnlichkeit, Lüsternheit, Zügellosigkeit. Nicht umsonst trägt der Satyr hier (und anderswo) einen Schwanz.
Immer wieder, wie jetzt auch auf dem Weg zum Bahnhof, ist mir an Gebäuden das Wort Lekarna aufgefallen. Es bedeutet nicht ‚Arzt‘ oder ‚Arztpraxis‘, wie ich meinte, sondern ‚Apotheke‘. Läuft aber sprachlich auf dasselbe hinaus. Das polnische Wort für Arzt ist lekarz, das schwedische ist läkare. Hängen alle miteinander zusammen. Worauf man aber nicht ohne weiteres kommt: Auch unser Nachname Lachmann ist damit verwandt. Ein Lachmann war ein Arzt, eine Art Heilpraktiker.
Auf dem Weg zum Bahnhof bemerkt Hermanita, dass die Radfahrer hier keinen Helm tragen. Tatsächlich sehen wir so gut wie keinen mit Helm.
Am Bahnhof ist viel Betrieb und es herrscht ziemliches Durcheinander. Welcher Bus fährt wohin? Fahrpläne scheint es keine zu geben, jedenfalls für unser Busunternehmen nicht. Am Ende steigen wir in den richtigen Bus ein. Beim Einstieg muss man seinen Ausweis vorzeigen, aber der Kontrolleur begnügt sich mit einem für uns beide.
Es geht sofort auf die Autobahn. Die ist hervorragend, ganz ebenmäßige Fahrbahn, es geht zügig, aber ohne Hektik voran. Eine Maut gibt es nicht, weder hier noch in Italien.
Unterwegs blickt man auf die kahlen Berge in der Ferne und die tiefen, bewaldeten Täler neben der Strecke.
Irgendwann ruft Hermanita „Hier muss es doch Vieh geben!“, und prompt erscheinen weiße Kühe auf einer Weide am Wegesrand.
Die Entfernung ist ca. 100 Kilometer. Die Grenze kommt erst sieben Kilometer vor Triest. Der italienische Name ist Trieste, der slowenische Trst.
Dann kommt plötzlich ganz unten das Meer in Sicht, die Küste, der Hafen, die Stadt. Sie sieht riesig aus, ist aber auch nicht größer als Ljubljana, gut 200.000 Einwohner.
Am Bahnhof in Triest stehen wir etwas verloren herum. Nichts ausgeschildert. Wir versuchen uns zu orientieren, aber werden auf Nachfrage in eine andere Richtung geschickt.
Dann kommen wir an den Canale Grande. An einer der Brücken stoßen wir auf die Statue von Joyce, die wir so gar nicht zu suchen brauchen. Joyce lebte lange in Triest, wo er sich als Englischlehrer durchschlug.
Dann kommen wir direkt auf einen riesigen Platz zu, den wir für die Piazza dell’Unita d’Italia halten, der es aber gar nicht ist. Der ist offensichtlich noch größer. Unglaublich. Schon hier, entlang des Canale Grande, steht eine Reihe von Palästen, einer prächtiger als der andere. Die meisten haben eine einheitliche Geschosshöhe und Geschosszahl, vier größere und eine kleinere oben Etage, vermutlich fürs Personal.
An der Stirnseite des Platzes, auf den wir kommen, steht eine riesige katholischen Kirche und daneben die serbisch-orthodoxe.
Dann kommen wir zu der noch größeren Piazza dell’Unità d’Italia, mit dem immensen Palazzo del Governo an der Stirnseite. An der Längsseite das Hotel Duchi d’Aosta, an dessen Stelle schon in der Antike das Hospitium Magnum stand, ein Wohnquartier für römische Soldaten.
Gegenüber ein ebenso großes Gebäude, in dessen Erdgeschoss sich das Caffè dello Specchio befindet. Hier kommt man hin in Triest, wenn man was auf sich hält.
Vor dem Palazzo del Governo ein Brunnen mit vier Figuren und vier Flüssen, die die vier Kontinente darstellen. Das Gesicht des Nils ist verhüllt, weil seine Quelle nicht bekannt war.
Was uns entgeht auf der Suche nach einer Flasche Wasser, ist der Supermarkt hier auf dem Platz. An solch exponierter Stelle darf er keine Werbung nach außen machen und kann deshalb leicht übersehen werden. Es ist ein weiterer Spar-Markt. Hier in Italien heißt die Kette Despar. Das entspricht dem ursprünglichen holländischen Namen, ein Anagramm aus der Devise der Kette. Das Emblem von Spar, eine stilisierte Tanne, rührt daher, dass spar auf Holländische ‚Tanne‘ bedeutet.
Dieser ganze Teil der Stadt, mit großen Plätzen und regelmäßig verlaufenden Straßen, ist das Ergebnis einer Stadterweiterung unter Maria Theresia. Man legte die Salinen trocken und schuf so neuen Raum.
Wir kommen in das Cavana-Viertel, in der Altstadt. Was cavana bedeutet, ist nicht so leicht rauszubekommen, es bezeichnet wohl eine typische venezianische Art des traditionellen Hausbaus und ist vermutlich mit den Wörtern für ‚Höhle‘ verwandt, caverna und cava.
Hier in der Altstadt geht man durch schmale, unregelmäßige Gassen, der Unterschied zur Theresianischen Stadt könnte größer nicht sein.
Hier setzen wir uns in ein einfaches Café. Es gibt Kaffee und Wasser. Dringend benötigt, denn Hermanita, gestern unterzuckert, ist heute ausgetrocknet. Danach geht es aber wieder besser.
Die Kellnerin bekundet schon durch ihre Bewegungen ihre Unlust und schafft es, unsere Blicke und Gesten beständig zu ignorieren. Mit einigen der Stammgäste, lauter Einheimische, wechselt sie ein paar Worte, während sie mit provozierender Langsamkeit Tassen und Gläser einsammelt.
Wir spazieren weiter die Gassen entlang und sehen unterwegs ein Schild, das ein ganz besonderes Eis bewirbt. Die Kugel kostet 6 €.
Dann kommen kleine Lebensmittelläden mit schönen Auslagen und einem Schild, auf dem ich kein Wort verstehe: Puzzone di Moena e Fontina. Erst nach meiner Rückkehr gibt es die Erklärung: Moena und Fontina sind zwei Orte, die für ihren Käse bekannt sind, und puzzone heißt wohl so was wie ‚Stinkkäse‘.
Bei einem Senegalesen, der gerade dabei ist, seinen Verkaufstand abzubauen, findet Hermanita einen Gürtel.
Der Senegalese weist uns auch den Weg zu der Statue, die wir suchen. Nur ein paar Meter weiter schreitet Italo Svevo durch die Altstadt seiner Heimatstadt, Buch in der Hand, Hut auf dem Kopf, so wie er es immer getan hat, denn seine Schritte gehen Richtung Bibliothek.
Italo Svevo hieß eigentlich Aron Hector Schmitz. Sein Vater stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Familie aus Österreich, seine Mutter aus einer ebenfalls wohlhabenden jüdischen Familie aus Triest. Mit 12 wurde er von seinem Vater in ein Internat nach Deutschland geschickt. Er sollte Kaufmann werden, und dafür waren Deutschkenntnisse nützlich.
Er versuchte sich später an der Schriftstellerei, hatte überhaupt keinen Erfolg und war drauf und dran, aufzugeben. Dann lernte er hier in Triest Joyce kennen. Der war begeistert von seinen Büchern und animierte ihn, weiterzumachen. Und Svevo wurde zu einem der bekanntesten Schriftsteller seiner Zeit. Ich habe vor Jahren eine kuriose phantasiereiche Novelle von ihm gelesen, Il cavalliere inexistente.
Er wählte den Namen Italo Svevo, um die beiden Leitlinien seines Lebens widerzugeben: Er war Italiener und Schwabe!
Seine Statue steht an der Piazza Attilo Hortis, mit einem schönen kleinen Park mit exotischen Bäumen. Die Namen des Platzes folgen der historischen Entwicklung: Die Franzosen benannten sie nach der siegreichen Schlacht von Lützen, die Österreicher nach der siegreichen Schlacht von Leipzig, die Italiener nach Attilo Hortis, einem italienischen Politiker und Patrioten. Seine Statue steht in der Mitte des Platzes.
Es geht rauf in wieder ein anderes Viertel. Hier ist es ganz ruhig. Die Kathedrale liegt erhöht, so erhöht, dass wir der Mittagshitze Tribut zollen müssen und es nicht bis ganz nach oben schaffen.
Auf dem Weg nach unten passieren wir einen römischer Torbogen, Teil der alten Stadtmauer. Sieht gut aus, man blickt durch ihn nach unten in das Stadtviertel.
Dann kommt eine große barocke Kirche, etwas vernachlässigt, und gleich daneben eine schöne romanische Kirche, leider verschlossen. Sie wird jetzt von der protestantischen Gemeinde genutzt.
Unterwegs habe ich Photos gemacht von Pizze Piazze und von der Via del Figo, dem Feigenweg. Hier sieht man schön die regelmäßige Korrespondenz von Italienisch und Spanisch: forno > horno, figlio > hijo, figo > higo.
Am Hafen liegen neben dem Kreuzschiff eine ganze Reihe von Segelbooten, und eins, mit durchsichtigen Segeln, läuft gerade in den Hafen ein.
Hier eine Filiale der Kette Eataly, kein sonderlich originelles, aber passendes Wortspiel. Es gibt genau die italienische Aussprache von Italy wieder, mit dem /i/ von Miete statt dem von Mitte.
Wir kommen auf die Piazza della Borsa, einem unregelmäßigen, großen Platz mit einem monumentalen Bau an einer Seite. Das ist nicht die Börse, wie ich vermutet hatte, sondern die Handelskammer. Davor eine weitere Bronzestatue, wieder ein Schriftsteller. Er sitzt auf einer Bank vor dem Gebäude und liest. Es ist Gabriele d’Annunzio, eine der schillerndsten, umstrittensten, merkwürdigen Figuren der italienischen Literatur.
Die Suche nach einer Buchhandlung gestaltet sich schwierig, aber am Ende werden wir in einer Galerie hier an der Piazza della Borsa fündig. Oben steht jede Menge von Büchern von Svevo, aber nicht das Buch, das ich suche. Ein Verkäuferin führt mich nach unten, und da ist es: La coscienza di Zeno, Svevos bekanntestes Buch. Der Originaltitel ist zweideutig, denn coscienza kann sowohl ‚Gewissen‘ als auch ‚Bewusstsein‘ bedeuten.
Erholung gibt es bei Kaffee und Kuchen, in einem Café mit Blick auf den Hafen. Anne entdeckt eine Spirale an der Decke mit lauter unterschiedlichen kleinen Kaffeetassen. In diesem Café gibt es Kaffee von Illy. Erst nach meiner Rückkehr erfahre ich, dass das ein Familienunternehmen ist, das hier, in Triest, seinen Sitz hat und auch von hier stammt.
Am Bahnhof steht eine Statue von Elisabetta. Das ist Sissy. Sie ist umgeben von Gestalten rechts und links, rechts Menschen aus dem Volk, mit Kindern, links wohl Sagengestalten. Das Monument wurde in der antideutschen Atmosphäre der Zeit nach dem 1. Weltkrieg vom Sockel genommen, auf dem es gerade ein paar Jahre gestanden hatte. Sissy hatte Triest unzählige Male besucht. Erst vor wenigen Jahren ist das Monument wieder an seine alte Stelle gekommen.
In Ljubljana kommen wir an einem Lokal vorbei, in das man schon wegen des Namens mal gehen sollte, Es heißt Gostina Stari Tislerija, also ‚Alte Tischlerei‘.
11. Juni (Mittwoch)
Wir fragen uns, welche Figuren in unseren Träumen auftreten. Manchmal sind es klar identifizierbare Menschen mit Namen, ein Sohn oder eine Nachbarin. Manchmal sind es berühmte Menschen, auch mit Namen, eine Fernsehansagerin oder ein Bischof. Und dann gibt es Personen, mit denen man im Traum vertraut ist, die aber keinen Namen haben und die man am nächsten Morgen nicht benennen kann.
Im Laufe der Tage habe ich immer wieder Plakate gesehen, auf denen angesichts der israelischen Aggression in Gaza zum Befreiungskampf für Palästina aufgerufen wird. An einem Café steht: Svoboda Palestini – Free Palestine.
Heute, am letzten Tag der Reise, geht es ins Stadtmuseum. Auf dem Weg dorthin kommen wir an einer modernen Mahler-Skulptur vorbei, die wir bisher immer übersehen haben. Mahler hat mehrmals Konzerte in Ljubljana dirigiert.
Dann entdeckt Hermanita einen exotischen Baum mit auffällig großen Blättern und länglichen Schoten. Es handelt sich um einen Trompetenbaum. Oben sieht man seine weißen Blüten.
In die Franziskaner-Kirche gehe ich alleine. Sie sieht überhaupt nicht wie eine Franziskaner-Kirche aus, außen nicht und innen erst recht nicht. Das liegt daran, dass sie ursprünglich eine Augustinerkirche war. Seit 1784, als die Augustiner verbannt wurden, sitzen die Franziskaner hier.
Es ist innen ziemlich duster, aber die Augen gewöhnen sich daran und es wird immer heller. Ein schönes, mattes Licht kommt von den Lampen, die an langen dreigliedrigen Ketten vor den Seitenaltären von der Decke herunterhängen.
Für den Laien nicht erkennbar ist die Kirche das Ergebnis eines Wettbewerbs zwischen einer italienischen und einer österreichischen Bautraditionen. Jedenfalls sind dem verschiedene Veränderungen geschuldet, darunter das mit bunten Fresken bemalte, ehemals weiße Gewölbe im Mittelschiff.
Auch außen, vor allem an der Fassade, gab es zahlreiche Veränderungen. Und irgendwann kamen die beiden Türme dazu, die hier ungewöhnlicherweise im Osten stehen.
Die Kirche schließt im Osten gerade ab. Das liegt an den baulichen Vorgaben. Die Kirche stößt draußen auf dem Platz auf das Loreto-Haus.
Man würde einen ganzen Tag brauchen, um sich die Statuen und die Gemälde von Engeln und Heiligen in der Kirche anzusehen. Stellvertretend sehe ich mir ein Gemälde in einer Seitenkapelle an, das den Hl. Franziskus beim Empfang der Stigmata durch den heranfliegenden Christus zeigt. Zu den Seiten des Gemäldes die Statuen von Ludwig und Elisabeth, im klassischen Sinne, weiß, ernsthaft, würdig.
Die Franziskaner kamen schon 1233 nach Ljubljana. Sie ließen sich in den Außenbezirken der Stadt nieder. Erst 1221 war der Orden gegründet worden bzw. hatte die päpstliche Genehmigung dazu erhalten, die ihm zunächst verweigert worden war. Dem Papst war die Ordensregel zu streng! Noch zu Franziskus‘ Lebzeiten gab es Auseinandersetzungen über die Interpretation der Ordensregel. Daraus resultierten die heute noch existierenden drei unabhängigen Orden, die Minoriten, die Franziskaner und die Kapuziner. Im Laufe der Jahrhunderte machte sich die Kirche gewisse Eigenheiten der Franziskaner zu eigen, darunter das Angelus-Gebet.
Dann kommen wir zum Stadtmuseum. Hier geht es freundlicher zu als im Nationalmuseum.
An die klassizistische Fassade erinnern innen nur noch die Treppen, Konsolen und Pfeiler der Eingangshalle. Alles andere ist modernisiert.
Die Ausstellung beginnt oben, mit einer originellen Einleitung. Man kommt in einen abgedunkelten Raum und glaubt, auf einen Bildschirm oder ein Gemälde zu blicken. Tatsächlich sind die Statuen und Bilder echt, hintereinander und seitwärts versetzt, so dass man fast alle auf einen Blick sehen kann.
Es handelt sich ausschließlich um Personen, die dargestellt sind, alle haben was mit der Geschichte Sloweniens zu tun: Augustus, Papst Pius VI., Tito, der Römer mit der Toga und natürlich Plečnik. Aber auch ein unbekanntes Mädchen mit einem Vögelchen ist vertreten, ebenso wie eine Schnitterin.
Dann taucht man in die Geschichte Ljubljanas ein. Zeugnisse für die Besiedlung des Moors in dieser Gegend sind schon 120.000 bis 40.000 Jahre alt. Danach bildeten sich Wälder aus, es wurde wärmer, das Moor wurde zum See.
Dann kommt das berühmteste Ausstellungsstück des Museums, das Rad. Dass es nur eine Kopie ist, macht nichts. Es ist etwas mehr als die Hälfte erhalten. Erstaunlicherweise hat es bereits Speichen. Die Achse ist aus einem Stück und ganz erhalten. Man kann auch als Laie sehen, dass die Erbauer erstaunliche Fähigkeiten gehabt haben müssen. Die dicken geschnitzten Enden der Achse passen perfekt in die Nabe des Rads. Es ist vielleicht nicht das älteste Rad, aber die älteste gut datierte Rad-Achsen-Kombination. Man schätzt sie auf 3.340 – 3.030 vor Christus.
Aus der frühen Bronzezeit ist der Helm einer vermutlich hochstehenden Person erhalten. Der Helm war eine Grabbeigabe. Neben dem Mann wurden in einer Urne die Reste seines eingeäscherten Pferds begraben!
Sehr schön, ebenfalls aus der Bronzezeit, eine Gürtelschnalle, breit, aus Bronze. Man kann die Abbildungen in groben Zügen erkennen: Man sieht einen Jäger mit Pfeil und Bogen auf einen vor ihm stehenden Hirsch zielen. Hinter ihm sein Hund in Lauerstellung.
Auf einem Pergament sieht man die erste schriftliche Erwähnung von Ljubljana, von 1112. Der Text spricht von einer Stelle iuxta castrum Leibach. Wenig später taucht die Stadt in einem anderen Dokument als Luwigana auf. Auch hier wird die Fiktion von der Bedeutung ‚Geliebte‘ aufrechterhalten, aber in einer Schautafel gibt es einen Verweis auf lateinisch aluviana, ‚Schwemmland‘. Eine viel überzeugendere Herleitung des Namens.
Ab 1335 gehörte Ljubljana zu Habsburg. Die Stadt hatte drei Märkte und lag etwas abseits des Flusses.
Drei Münzen, die man aus der Zeit gefunden und für echt gehalten hat, haben sich als Fälschungen erwiesen. Es wurde Blei statt Silber verwendet!
Eine mittelalterliche Gründung war auch die Kirche, die später zur Kathedrale wurde. Das Patrozinium, Nikolaus, war gut gewählt. Nikolaus ist der Patron der Fischer und Schiffer.
Ein schönes Ausstellungsstück aus der Neuzeit ist ein hölzerner Rollstuhl, mit breiter Lehne und hohen Rädern. Der Rollstuhl wurde von einem der Bürger von Ljubljana, der an Gicht litt, für ihn selbst entworfen.
Das 18. Jahrhundert sah mit der Aufklärung auch die slowenische Erneuerung. Es wurde immer mehr auf Slowenisch publiziert, es entstanden Vereinigungen zur Förderung des Slowenischen, man beschäftigte sich mit der Geschichte der Stadt.
Im 19. Jahrhundert machte man sich daran, das Flussbett zu vertiefen und die Gegend zu entwässern. Das rettete vermutlich die Stadt, indem es sie vor Überschwemmungen schützte.
Keinen Schutz gab es gegen das Erdbeben von 1895. Danach entstand eine neue Stadt und es begann das goldene Zeitalter des Bürgertums.
Die Treue zum Haus Habsburg verkehrte sich nach 1918 in ihr Gegenteil. Man sieht den monumentalen Kopf einer Statue von Franz-Joseph, mit dem charakteristischen Backenbart. Nach dem Krieg wurde die Statue gestürzt.
Dann kommen Photos von Tito und der Befreiung von der deutschen und italienischen Herrschaft: Long live Marshal Tito! heißt es auf einem Banner.
Aus der Kriegszeit sind nebeneinander drei Objekte dargestellt, die für die Zeit stehen: in der Mitte eine Partisanenmütze, rechts die typische gestreifte Kopfbedeckung eines Häftlings, der nach Dachau deportiert wurde, und links eine Milchkanne. In der wurden geheime Dokumente geschmuggelt.
Am Schluss der Ausstellung sieht man einen Zastava, einen Kleinwagen aus der Zeit der Republik Jugoslawien, der ab 1955 produziert wurde. Er ähnelt einem Fiat. Zastava bedeutet ‚Fahne‘.
Nach der Besichtigung gehen wir in das Museums-Café. Es gibt Kaffee und Kuchen, mit einem ordentlichen Schokoladenanteil am Kuchen. Wasser gibt es nicht nur unaufgefordert dazu, es wird sogar nachgeschüttet.
Die Slowenen lieben krumme Preise. Eine Briefmarke kostet 2,06 €, ein Mitbringsel 10,11 € und die Kurtaxe 3,13 €.
Hermanita lässt sich nicht lumpen und kauft mir eine Tasse mit Slowenien-Motiv. Eine bleibende Erinnerung an die Reise.
Jetzt erfahre ich in der Touristen-Information doch noch etwas zu dem besonderen Hochhaus, dem Situla-Tower. Es ist ein gemischtes Wohn-, Büro- und Geschäftshaus. Es erfährt seine besondere Wirkung durch die bronzefarbenen Aluminium-Platten an der Fassade, die man verschieben kann. Dadurch kann eine gleichzeitig wechselnde und gleichbleibende Wirkung erzielt werden.
Hermanita führt uns noch einmal zu der Gasse mit der merkwürdigen Skulptur mit den Menschenköpfen, über die das Wasser durch eine Rinne nach unten fließt. Oben gibt es ein Zitat von Rilke: “Dass es mir zum Beispiel niemals zu Bewusstsein gekommen ist, wie viele Gesichter es giebt. Es giebt eine Menge Menschen, aber noch viel mehr Gesichter, denn jeder Mensch hat mehrere. Da sind Leute, die tragen ein Gesicht jahrelang. Natürlich nutzt es sich ab, es wird schmutzig, es bricht in den Falten, es weitet sich aus wie Handschuhe, die man auf der Reise getragen hat.“
Hermanita hat einen Frisör entdeckt. Dort gibt es ein originelles Angebot: einen Haarschnitt für 15 € in 15 Minuten. Sollte der Frisör länger brauchen, bekommt man Rabatt!
Es ist aber zu voll, eine ganze Reihe von Kunden wartet noch darauf, an die Reihe zu kommen, und so ziehen wir weiter. Wir gehen zum Essen tatsächlich in die Stara Tislerija.
Hier sitzt man geschützt im Innenhof, abseits des Verkehrs und abseits der Menschenmengen im Zentrum. Neben uns in Blumenkästen Lavendel, Paprika, Chili.
Wir erfahren, dass tislerija nicht ‚Tischlerei‘ heißt, sondern so was wie ‚Hütte‘. Die Verbindung zum deutschen Wort Tischler dürfte trotzdem da sein, durch das Holz. Hier an dieser Hütte war ursprünglich eine Raststätte für Reisende, mit einer Versorgungsstation für Pferde.
Wir bestellen einen Salat, Feldsalat mit Bohnen und Ei, mit Kürbiskernöl angemacht, Strjulki und Bograc, eine Art Eintopf, der in einem schönen Kupferkessel serviert wird. Bograc ist ursprünglich der Name dieses Kessels. Das Gericht enthält Fleisch, Gemüse und Kartoffeln und ist ein Gedicht: saftig, zart, schmackhaft.
Die Reise geht ihrem Ende entgegen. Wir haben Glück, für’s Wochenende ist auch für Deutschland gutes Wetter angesagt, sonnig und warm.