27. August (Sonntag)
Es war nicht geplant, aber es geht Punkt 7 Uhr los. Auf den Glockenschlag. Es ist kühl, von dem klassischen Sommertag, der angekündigt war, keine Spur. Regen hängt in der Luft, aber es regnet nicht. Für eine Radtour vielleicht gar nicht schlecht.
Es ist noch still um diese Zeit. Auf den ersten Radfahrer treffe ich erst nach sieben Kilometern. Oder er auf mich. Ohne erkennbare Mühe fährt er vorbei und ist nach wenigen Momenten hinter der nächsten Biegung verschwunden.
In einer Bäckerei in Ruwer gibt es Zwetschgenkuchen. Brauche ich nicht. Habe ich selbst. Selbstgebackenen.
Auf die Mosel stoße ich erst in Schweich, nach vierzehn Kilometern. In Ehrang wird an diesem Morgen eine Bombe entschärft, und so habe ich den Moselradweg, um den es doch geht, gleich auf der ersten Strecke umfahren. Wohl dem, der so gut informiert (worden) ist.
Von Schweich an geht es auf der rechten Seite der Mosel entlang, gleich am Flussufer. In Longuich kommt der erste Photostopp. Hinter einer geschwungenen Brücke steigt Dunst auf, von einem Sonnenstrahl erhellt, und die Brücke selbst spiegelt sich im Wasser.
In Detzem mache ich ein weiteres Photo, wegen des Ortsnamens. Er bezeichnet die Entfernung von Detzem von Trier, in römischen Meilen gemessen: zehn. Das Gegenstück dazu ist Quint: fünf.
In Detzem fahre ich an der Schleuse vorbei. Die wurde mir einmal von kompetenter Seite erkärt. Sie vertritt einen von drei Schleusentypen.
Dann kommt ein sehr schönes Stück. Die Mosel macht einen großen Bogen, Weinberge erst auf der anderen, dann auf dieser Seite. Ein schöner Anblick, der in Erinnerung bleibt: Aus den Weinbergen guckt der schöne, hölzerne Dachreiter einer Kapelle hervor.
Gänse, Angler, Eichhörnchen und eine dicke, schwarz-weiß gescheckte Katze. Dann noch eine, die diese übertreffen will: schwarz-weiß-braun.
Zwischendurch entschwindet die Mosel dem Blick, dann kommt sie wieder. In Leiwen wird ein Ausflugsschiff mit Proviant beladen. Spezialitäten-Stübchen, Biergarten, Weingut, Straußwirtschaft, Dorfcafé. Irgendwo kann man Weinstöcke mieten. Am Rand steht: Leasing.
Die erste Pause mache ich in Neumagen, im Dorfcafé. Es ist neun Uhr, der erste Sonnenstrahl kommt heraus. Ein Mädchen läuft barfuß über den Platz, Brötchen und Zeitung in der Hand. Eine Horde Motorradfahrer braust durch den beschaulichen Ort.
In dem Café gibt es von der freundlichen Bedienung einen guten Milchkaffee. Draußen sitzen Holländer mit dem Frühstück. Drinnen ein Schild: “Wir haben kein W-LAN. Macht es wie vor 1995: Redet miteinander.”
Auf der Terrasse wird – auf Französisch – darauf aufmerksam gemacht, dass man keine selbstmitgebrachten Sachen verzehren darf: “Il est strictement interdit …”
Der Ort ist ausgesprochen schön. Am Rande der Durchgangsstraße steht eine Kopie des Neumagener Weinschiffs. Das wir ihnen abgeluchst haben. Man vergisst angesichts des Motivs leicht, dass es sich um ein Grabmonument handelt. Noch nie aufgefallen waren mir die beiden “Augen” am Bug des Schiffes. Sie sollen Unheil abwenden.
Am Ortsende übersehe ich ein Schild und fahre etwas verloren hin und her. Über die Bundesstraße kann man nicht, und die Bundesstraße entlang darf man nicht. Erst als ich wieder in den Ort zurückfahre, merke ich den Fehler. Die Strecke ist gut ausgeschildert, sehr gut sogar, gelegentlich sogar mit Pfeilen auf dem Pflaster, aber verfahren kann man sich trotzdem, auch mit Karte, jedenfalls, wenn man mit meinem Orientierungssinn ausgestattet ist.
Nach Neumagen habe ich eine Zeitlang eine sechsköpfige Radlergruppe vor mir, lauter Männer, mit Satteltaschen. Sie zwingen mich dazu, langsam zu fahren. Das ist gar nicht schlecht. Aber als sich dann eine Lücke ergibt, fahre ich doch vorbei.
Es geht durch Piesport. Das ist der größte Weinbauort an der Mosel. Da hätte ich falsch gelegen. Am anderen Ufer muss die römische Kelteranlage sein, die wir vor Jahren mal besichtigt haben, aber ich verpasse sie.
Hinter Piesport verläuft der Radweg direkt parallel zur Bundesstraße. Nicht so schön. Ich bin selbst überrascht, wie sehr mich der Autolärm stört.
Wieder eine sechsköpfige Radlergruppe, wieder lauter Männer. Ohne Gepäck. Sie überholen mich, sind aber nur unwesentlich schneller, und ich kann mich an sie dranhängen. Wir fahren an einer Fußgängerbrücke vorbei, die genau parallel zum Weg steht. Plötzlich ruft einer von ihnen: Halt. Wir hätten die Fußgängerbrücke rauf gemusst. Das Schild ist leicht zu übersehen. Ich habe Glück gehabt. Ich wäre glatt hier vorbeigefahren.
Irgendwann geht es durch einen idyllischen Ort direkt an der Mosel. Hier sind die Straßennamen auf Platt: Engels Gaasje.
Die Burg ganz oben am Berg kündet Bernkastel an. Hier ist viel los. Überall hört man holländisch. Ich habe mein Nahziel erreicht: 66km. Aber es ist erst halb zwölf. Also fahre ich noch ein bisschen weiter.
Eine Pause auf einer Bank am Wegesrand. Gleich vor der Wehener Sonnenuhr. Die zeigt die WOZ an, die Wirkliche Ortszeit. Da muss man 32 Minuten addieren, um auf die MEZ zu kommen. Momentan wird hier aber gar nichts angezeigt. Ohne Sonne keine Sonnenuhr.
Weiter geht’s. Hoch über dem Tal eine unvollendete Brücke. Ein Träger scheint in der Luft zu liegen. Das ist der berühmte Moselaufstieg, eines der umstrittensten Projekte der letzten Jahre.
Jetzt kommt bis Traben-Trabach eine schöne Strecke. Von der Bundesstraße keine Spur, auf der anderen Seite ein weites Tal mit Hügeln am Ende, hier Wald und ein paar Reben.
Dann kommt Traben-Trabach. Es war im 19. Jahrhundert der größte Weinexportort Europas nach Bordeaux! Das stattliche Brückentor kündet von dem Wohlstand, den der Wein brachte.
88 km. Und inzwischen ist es ein Uhr geworden. Die Pausen sind länger geworden, die Geschwindigkeit lässt nach. Eigentlich reicht es, aber ich will lieber in einem kleinen Ort absteigen. Aber auf einmal gibt es keine Ferienwohnungen, Fremdenzimmer, Gästezimmer, Pensionen mehr. Es geht in der Mittagshitze eine ziemlich öde Strecke entlang, bis Enkirch. Da fahre ich ein bisschen durch den gottverlassenen Ort, ohne was zu finden. Also geht es noch ein Stück weiter. Nach Burg.
Im Ort drei vergebliche Versuche, Unterkunft zu bekommen: Nr. 1 öffnet nicht, Nr. 2 (in einem alten Haus mit Straußwirtschaft) bekommt die Zimmer nicht gemacht: Nr. 3 vermietet keine Zimmer mehr (das Schild hängt aber weiter an der Fassade). Dann komme ich noch mal an der “Moselfischerei” vorbei. Die haben auch Zimmer. Was mir beim ersten Mal gar nicht aufgefallen war. Und sie haben noch genau eins für eine Nacht frei. 45 € inkl. Frühstück! Ein ganz modernes, frisch renoviertes Zimmer. Optimal.
Am Ende sind es, eher unfreiwillig, 100 km geworden, etwas zu viel für einen ungeübten Fahrer. Die Beine sind schwer geworden, und der Sattel ist im Laufe des Tages immer härter geworden. Gott sei Dank wird mir in der Moselfischerei von dem gesprächigen Kellner eine große Flasche Mineralwasser in einem Kübel serviert, der das Wasser kalt hält.
Der Kellner kommt aus der Nähe von Heppenheim. Das sei ja gleich hinter der Grenze. Er ist schon mal bei Vettels zuhause gewesen. Die Mutter kennt er ganz gut. Aber inzwischen seien die alle ziemlich hochnäsig geworden. Kein Wunder, bei jeder Gelegenheit käme mal eben jemand von Mercedes oder BMW mit einem Sportwagen vorbei. Kleines Gastgeschenk. Das sei ja Werbung für die.
Am frühen Abend gehe ich in die Straußwirtschaft: Flammkuchen, ein Glas Wein, Kaffee. Man sitzt hier wunderbar, unter einer Pergola mit Weinranken und dicken Bündeln blauer Trauben. Sechs, sieben Tische, alle besetzt. Alle trinken Wein, nur der Winzer nicht. Der trinkt Weizen.
Die Straußwirtschaften wurden schon unter Karl dem Großen eingeführt. Solche Schankbetriebe, dem Weingut angeschlossen, hatten als Signal einen Kranz oder einen Strauß am Eingang. Aber es gab Auflagen: Die “sechste Jahreszeit” durfte nur vier Monate dauern.
28. August (Montag)
Wieder hängt Regen in der Luft, obwohl es viel später ist. Aber dann kommt die Sonne durch, und es wird warm. Sehr warm.
Nach kurzer Fahrt kommt Bünderich und damit die hoch oben gelegene Marienburg. Sie ist heute eine Tagungsstätte des Bischofs. Die Kirche weiß, wo es schön ist.
In Zell kommt die erste Moselüberquerung. Es wäre die zweite gewesen, nach Schweich, hätte ich nicht am Anfang die Umleitung genommen.
Inmitten des Kreisverkehrs gleich vor der Brücke steht, mit einem Bein auf einem Weinfass, ein riesiger Kater, Weinglas in der Hand. Eine Anspielung auf den berühmtesten lokalen Wein: Schwarzer Kater. Einer von vielen klangvollen Namen: Trittenheimer Apotheke, Großer Herrgott, Bernkasteler Doctor, Erdener Treppchen, Piesporter Goldtröpfchen, Kröver Nacktarsch.
Café am Weg mit dem Namen „Café Moselblick”. Dafür gibt es keinen Preis für Originalität. Jeder Ort scheint mindestens zwei davon zu haben. Schon besser: „Letzte Aalräucherei vor der Autobahn“.
Kurz vor Alf kommt fährt man unter einer Brücke her, einer Doppelbrücke, oben Zugverkehr, unten Autoverkehr. Es ist die erste ihrer Art in Deutschland. Sieht heute unschuldig aus. Aber der Grund für den Bau war militärischer Natur: Es ging um die Anbindung von Lothringen ans Reich.
Dann kommt Bremm und kurz dahinter der Calmont (mit der nicht gesicherten Etymologie ‚heißer Berg‘) mit den steilsten Weinbergen des Landes. Bei einem Photo von so einem steilen Weinberg komme ich ins Gespräch mit einem Paar von der Donau. Sie sind hellauf begeistert von ihrer Tour. Sie wechseln öfter die Seite, folgen nicht dem offiziellen Moselradweg. Aber ob das viel ändert? Die Bundesstraße verläuft hier an beiden Ufern. Auch von Trier sind sie hellauf begeistert. Das hätten sie nicht gedacht, dass da so viele römische Kostbarkeiten zu sehen sind. Sie kennen nicht nur Porta und Kaiserthermen, sondern haben sich auch das Deckengemälde im Dommuseum angesehen.
Wie es komme, dass ausgerechnet jemand von der Donau für die Mosel schwärmt, will ich wissen. Den Donauradweg sind sie auch schon mal gefahren, bis nach Wien, aber da lohne sich nur das österreichische Teilstück durch die Wachau.
Unten am Hang des Weinbergs steht ein Gerät, das modernen Winzern das Leben an den Steilhängen erleichtert: die Monorackbahn. Damit werden nicht nur Trauben transportiert, sondern auch Mulch und Natursteine für die Trockenmauern. Die beiden sind am Vortag oben entlang der Steilhänge gewandert, von Bremm nach Eller, und da sind sie auf einen Winzer gestoßen, der ihnen nicht nur einen Wein angeboten hat, sondern sie auch in der Monorackbahn mitgenommen hat. Ein echtes Erlebnis. Es werde einem fast schwindelig angesichts der Steile.
Um 11 Uhr mache ich auf einem Autoparkplatz Pause. Da habe ich erst 35 km hinter mir. Es geht langsamer voran als gestern. Als ich da sitze, kommt ein Auto vorgefahren und hält vor dem Abfalleimer. Eine Frau steigt aus, holt einen großen Müllbeutel aus dem Auto und deponiert ihn in dem Abfalleimer. Und das Auto fährt wieder davon. Kein Wunder, dass die Abfalleimer überfüllt sind.
Vor Cochem kommt schon die hoch gelegene Burg des Ortes in Sicht, eine historisierende Angelegenheit des 19. Jahrhunderts. Viele Besucher glauben da wohl, im Mittelalter zu sein. Cochem ist der meistbesuchte Ort an der Mosel. Das merkt man. Hier kommt man selbst mit dem Rad kaum durch.
Dann kommt eine unerwartete Hürde: Baustelle. Umleitung. Auch für Fahrräder. Es geht steil in den Weinberg hinauf, mit sehr schönem Blick von oben ins Moseltal hinunter, aber zu viel für meine nachlassenden Kräfte. Ich schiebe. Oben treffe ich auf ein Paar aus Sachsen. Die sehen sich ganz ratlos um und sind dann froh, zu erfahren, dass sie unten wieder auf den Radweg treffen.
Dann geht es steil runter, und ich komme in ein idyllisches Dorf, Klotten, mit schönen Fachwerkbauten. Auf einer Terrasse bestelle ich die klassische Kombination Kaffee und Wasser, so weit wie möglich von den anderen Gästen weg sitzend. Ich bin ins Schwitzen gekommen. Beim ersten Kaffee, den ich bestelle, ist die Milch sauer. Der Kellner entschuldigt sich und bringt einen neuen Kaffee mit neuer Milch. Auch die ist sauer. Jetzt ist auch der Kellner sauer, macht aber einen dritten Versuch. Alles in Ordnung.
Dann geht es an der Mosel entlang. In Fankel gibt es, dem Radführer zufolge, nichts zu sehen. Vielleicht ändert sich das ja mit der nächsten Auflage.
In Treis geht es zum zweiten Mal über die Mosel. Jetzt kommt eine unschöne Strecke, die Mosel ist fern, die Bundesstraße nah, kein Halteplatz weit und breit. Es geht an einem schier unendlichen Campingplatz entlang, jetzt wieder näher an der Mosel. Zelte scheint es nur noch als Verlängerung von Wohnwagen zu geben. „Richtige“ Camper scheint es nicht mehr zu geben.
Dann kommt auf der anderen Seite der Straße eine Parkbank in Sicht, wenigstens ein paar Meter von der Straße entfernt. Hinter einer Kapelle. Ich setze mich hin und attackiere mein Fresspaket: warmes Wasser und Brote mit zerlaufendem Käse. Ein holländisches Ehepaar kommt ebenfalls, aber sie verstecken sich hinter der Kapelle, statt sich zu mir zu setzen.
Es geht weiter, aber der nächste Ort, der auftaucht, ist uncharmant und ich entscheide, noch weiter zu fahren, als ich auf einem Schild sehe, dass es nur noch fünf Kilometer nach Brodenbach sind. Kindheitserinnerungen werden wach. Tolle Jugendfreizeit in den Sommerferien, in der Jugendherberge. Burg Thurant, Ehrenburg – magische Namen! Und dann gab es hier Verwandte, mütterlicherseits. Hatten die nicht eine Pension oder eine Kneipe? Oder war das in Alken? In einer Kneipe in Brodenbach hatte ich als Jugendlicher eine prägende Erfahrung gemacht, meine erste Begegnung mit einem Spielautomaten: 20 Mark gewonnen, und am Ende mit leeren Händen ins Bett gegangen.
Ich schiebe das Rad durch den Ort, finde aber keine Unterkunft. Ich komme an einer schönen, unregelmäßigen, weiß verputzten Kirche vorbei, mit einem schönen, gestuften Turm. Das kann aber nicht die Pfarrkirche sein. Die ist in einem sechseckigen Bau aus Sichtbeton, nach dem Vorbild einer Kathedrale in Tokio gebaut!
Am Ufer mache ich eine kurze Pause. Ich bilde mir ein, noch die Stelle zu erkennen, an der ein Onkel seine Angel auswarf und uns das ganze Prozedere erklärte.
Auf der anderen Seite liegt Alf. Heute gibt es eine Brücke. Damals eine Fähre. Und hier spielte sich eine Szene ab, die einem heute noch die Kehle zuschnürt. Eine Frau, wohl unsere Urgroßmutter, arbeitete auf der einen, wohnte auf der anderen Seite. Eines Tages sah sie von ihrer Arbeitsstelle aus, am anderen Ufer ihr Wohnhaus in Flammen stehen, mit dem Wissen, dass ihre Tochter in dem Haus war. Sie musste auf die Fähre warten, um an das andere Ufer zu kommen. Die Geschichte ist wohl gut ausgegangen, aber das Gefühl der Verzweiflung, der Ohnmacht, der Verlassenheit vermittelt sich auch heute noch, nach Generationen.
Heute fahre ich über die Brücke ans andere Ufer, nach Alf, einem Straßendorf, das nichts Besonderes zu bieten hat außer einer Tankstelle, und an der gibt es eine große Flasche mit kaltem Wasser. Die tröstet mich darüber hinweg, dass ich keine passende Unterkunft finde. Ich fahre auf der Seite weiter, klingele an einer Pension an, aber da sind alle Zimmer belegt. Auf der anderen Seite, der, von der ich ursprünglich kam, liegt ein sehr schöner Ort, und das ist, wie sich auf Nachfrage herausstellt, Alken, das ich auf dieser Seite vermutet hatte. Also geht es zurück über die Brücke. In Alken finde ich nach kurzer Suche ein Gästezimmer, und da gibt es eine Übernachtung für den unschlagbaren Preis von 25 €. Frühstück inbegriffen!
Es ist früher Nachmittag, ich habe 80 km hinter mich gelegt, und am nächsten Tagen werden es nur noch 40 km sein.
Der Umweg hat sich gelohnt. Alken ist einer der schönsten Moselorte. Und hat praktischerweise auch einen Supermarkt. Dort mache ich einen ungewöhnlichen Einkauf: Tageszeitung und Eiskonfekt. Beides konsumiere ich am Ufer in der Sonne sitzend. Dabei hält die Tageszeitung nicht viel länger als das Eiskonfekt. Deren thematische Brisanz zeigt sich in Artikeln wie dem mit der Überschrift „Hunde nur alle zwei Wochen waschen.“
An drei Stellen stoße ich dann auch auf den Namen der Vorfahren. An einem verschlossenen Souvenirgeschäft steht ein Schild mit der Aufschrift: „Pakete bitte bei Familie Schunk abgeben.“ Etwas weiter in den Ort hinein stoße ich auf das Weingut Matthias Schunk. Und oben, an der Kirche, stoße ich auf eine Tafel mit der Inschrift: „An dieser Stelle starb Heinrich Schunk.“ Der scheint sich den Ort seines Ablebens gut ausgewählt zu haben. Zur einen Seite erstreckt sich der Kirchhof mit Grabsteinen, zur anderen Seite steht das Beinhaus, in dem sich hinter einem Gitter Knochen und Totenschädel stapeln.
Die Kirche stammt aus dem 11. Jahrhundert. Da hat man sie hier oben wohl auch als eine Art Trutzburg errichtet, in einiger Höhe von dem unberechenbaren Fluss. Von hier oben hinunter sieht man auf private Gärten, in denen auch Wein angebaut wird.
Wieder unten sehe ich an einem Eckhaus einen Stein, an einer Kordel befestigt. Der dient der Wettervorhersage, nach dem Motto: Stein bewegt sich = windig, Stein ist weiß = Schnee und (mit unorthodoxer Orthographie) Stein schlägt Scheibe ein = stürmig.
29. August (Dienstag)
Am Ortseingang von Alken weist ein Schild auf die Partnerorte Alkens hin, einem in Belgien, einem in Dänemark. Wie heißen die? Alken und Alken. Später stellt sich heraus, dass es etymologisch zwei Alken gibt, ein keltisches und ein lateinisches.
Hoch über dem Ort thront die Burg Thurant, lang gestreckt statt hoch. Ihr auffälligstes Merkmal: Sie hat zwei Bergfriede. Das hat seinen Grund: Die Burg wurden von Welfen erbaut, aber dann von den Erzbischöfen von Köln und Trier in einer konzertierten Aktion belagert und erobert. Danach teilte man die Burg der Einfachheit halber auf, in einen Trierischen und einen Kölnischen Teil. Daher zwei Bergfriede.
Es geht relativ früh los, an der Mosel entlang und dann, dem Tipp der Wirtin folgend, über eine Brücke auf die andere Seite. Das muss ein Missverständnis gewesen sein oder es war einfach ein schlechter Tipp. Es kommt eine wenig ansehnliche Strecke, zwischen Mosel und Bundesstraße, entlang. Obwohl die heutige Strecke kurz ist, wird sie mir lang.
Dann, vor Winningen, gibt es eine gibt es zwei Möglichkeiten, eine kürzere und eine längere. Ich wähle die kürzere, und das ist eine gute Entscheidung. Es geht in die Weinberge hinein, und die bieten gleich nach Winningen ein wunderbares Bild: terrassenförmig angelegt, ganz unregelmäßig, anders als an anderen Orten der Mosel.
Der Ort selbst ist beflaggt, blau-rot. Bei der ersten Fahne überlege ich noch, was für ein Land das sein könne, dann wird es klar, dass es die Flagge des Ortes ist. Es ist geflaggt für das bevorstehende Weinfest.
Dann kommen die ersten Vororte von Koblenz. Wieder geht es über die Moselbrücke und dann direkt auf das sonnenbestrahlte Deutsche Eck zu, auf einem sehr schön angelegten Radweg am Rande einer Parkanlage. Es ist noch früh. Am Deutschen Eck tauchen die ersten Touristen auf. Hier wird Englisch gesprochen, sonst ist im Verlauf der Mosel Holländisch die wichtigste Sprache.
Ich überquere die Mainzer Straße, bin aber noch nicht am Ziel. Jetzt kommt zum krönenden Abschluss noch ein langer Aufstieg. An dessen Ende aber Unterkunft mit allen Schikanen. Für lau.