Costa Rica (2024)

11. Dezember (Mittwoch)

Costa Rica ist vermutlich das einzige Land Mittelamerikas, mit denen Europäer was anfangen können. Ist auch als Reiseziel beliebter als die anderen Länder.

Costa Rica hat den Ruf, schön zu sein – und teuer. Was mir immer wieder gesagt wurde, wenn man erfuhr, dass ich nach Costa Rica reisen wollte.

Costa Rica lenkte auch die Aufmerksamkeit auf sich, und zwar weltweit, als man vor einigen Jahrzehnten, genau 1949, beschloss, die Armee einfach abzuschaffen. So ein Land kann sich glücklich schätzen.

Dass alles ist so teuer ist, gibt dem Namen Costa Rica eine ganz besondere Bedeutung. Bei der Fahrt hierher bekomme ich das gleich bestätigt: Ein Tellergericht in einem Selbstbedienungsrestaurant kostet 10 $!

Auf der Bierflasche der Marke Imperial steht Pura Vida. Es gibt kein Wort, das das Selbstverständnis, das Lebensgefühl der Ticos besser ausdrückt. Es wird, wie man liest, immer und überall verwendet und hat inzwischen auch die Bedeutungen ‚danke‘ und ‚bitte‘ angenommen.

In dem Lokal kann man, laut Schild am Eingang, mit Colón bezahlen, mit Dollar, mit Euro, mit der Visa- oder der Mastercard und mit einem Zahlservice per Handy. Nur eine Option ist durchgestrichen: der Córdoba. In die nicaraguanische Währung scheint man nicht viel Vertrauen zu haben.

Die Fahrt zieht sich hin und dauert am Ende 11 Stunden! Für die letzten 60 Kilometer brauchen wir anderthalb Stunden und für die letzten 10 Kilometer eine Dreiviertelstunde!

Es gibt zwischendurch die eine oder andere Haltestelle, zum Beispiel in Libertad, wo ein paar Fahrgäste aussteigen. Am Flughafen, weit vor der Stadt gelegen, steigen schon mehr aus. Man sieht ein hochmodernes Abfertigungsgebäude, mit viel Glas.

Überhaupt wirkt Costa Rica modern, moderner als man das von einem mittelamerikanischen Land erwarten sollte. Dafür sind die Straßen erstaunlich schlecht, genauer gesagt die Straßendecke.

Endlich angekommen, gilt es, ein Taxi zu finden. Vor dem Busbahnhof steht nur ein einziges. Der Fahrer verhandelt gerade mit einer großen, jungen Frau aus dem Bus. Es stellt sich heraus, dass sie zum Flughafen will! Sie hat nicht mitbekommen, dass wir dort gehalten haben! Die Arme!

Er scheint sie aber nicht dorthin fahren zu sollen, will mich aber auch nicht fahren. Lohne sich nicht. Zu kurz.

Dann fährt ein weiteres Taxi vor. Dem Fahrer ist es nicht zu kurz, vorausgesetzt, ich zahle 6 $. Unterwegs sagt er mir, genau die Strecke, an der wir jetzt entlang fahren, sei gefährlich, da solle man lieber nicht zu Fuß langgehen. Nein, auch tagsüber nicht.

Wir kommen zu der Unterkunft. Die kann man leicht finden aufgrund der genauen Beschreibung im Internet und man kann sie erkennen an der Silhouette eines blauen Stuhls, die an dem weißen Gitter vor dem Haus angebracht ist.

Die Vermieterin, Rita, eine kleine, ältere Dame, kommt sofort raus und öffnet das Tor. Sie führt mich ins Haus und weist mich in den Gebrauch der Schlüssel ein. Man braucht gleich vier verschiedene, zum Glück farblich gekennzeichnet.

Das Zimmer hat alles, was man sich wünschen kann und hat den Vorzug eines eigenen Bads.

Dann zeigt sie mir noch die Gerätschaften in der Küche. Da kann man alles nach Herzenslust benutzen, und Tee und Kaffee werden sogar den Gästen zur Verfügung gestellt. Und Wasser kann man aus dem Wasserhahn trinken!!

Am Kühlschrank hängen Bilder von Kindern. Das sind doch bestimmt die Enkelkinder. Ja, zwei Mädchen, aber die seien inzwischen schon groß.

Darüber alle möglichen Magneten, darunter welche von Städten, die sie bereist hat: London, Paris, Prag, ihr ganz besonderer Favorit. Auch in Deutschland ist sie gewesen, in drei Städten, Berlin, Hamburg und … München, helfe ich ihr auf die Sprünge. Ja, München.

Sie bestätigt, was der Taxifahrer gesagt hat. Keinesfalls in Richtung Busbahnhof gehen. Aber in die andere Richtung, Richtung Innenstadt, könne man tagsüber ohne Probleme gehen. Und auf demselben Weg gebe es Geschäfte.

12. Dezember (Donnerstag)

Ich habe das Gefühl, dass ich gestern gratis gereist bin. Bei der Buchung der Fahrkarte gab es Probleme, die Firma hat mich daraufhin angeschrieben und mir das elektronische Ticket zugesandt. Aber abgebucht wurde nichts, und auf dem Ticket steht unter Bezahlart Bar. An dem Schalter von Ticabus hatte ich schon meine 30 Dollar gezückt, aber der Mann, der die Unterlagen überprüfte und die Kofferlabels austeilte, wollte sie nicht haben. Nein, hier fielen keine Kosten an. Im Bus hat auch niemand Anstalten gemacht, das Geld einzufordern.

Es ist schlechtes Wetter angesagt, und Rita erzählt, sie hätten regelrechte Sturmfluten gehabt in den letzten Wochen, mit Erdrutschen an allen möglichen Stellen. Pura Vida. Deshalb hätte sie auch im Garten wochenlang nichts machen können. Jetzt warte man auf den Januar, dann komme die Trockenzeit.

Das Haus, erzählt sie, sei nach den Plänen ihres verstorbenen Mannes gebaut worden. Der war Ingenieur. Das Haus ist inzwischen 42 Jahre alt.

Seit 7 Jahren macht sie jetzt die Vermietung und ist hellauf begeistert. Tolle Begegnungen mit Leuten aus allen möglichen Ländern. Und viele kämen wieder. Pura Vida.   

Als ich aus dem Haus gehe, ist es ziemlich windig, und als ich mich dem Zentrum nähere, wird es richtig stürmisch. Den ganzen Tag kommt die Sonne nicht raus, aber wenigstens regnet es nicht. An einer Säule in der Innenstadt werden 24° angezeigt. Fühlt sich kälter an. 

Der Weg ins Zentrum ist alles anders als schön, Autowerkstätten und viele hermetisch abgeschlossene Häuser mit finster wirkenden Gittern. Nur die entlang der Bürgersteige gepflanzten Bäume, mit ungewöhnlichen Formen und dicken Blättern, sind ein Lichtblick.

Zwischendurch ein Hamburger-Imbiss und ein Supermarkt, der auch nicht gerade einladend aussieht, Mini Super Nico. Das Gitter am Eingang ist nur einen Spalt breit geöffnet. An der Wand ein Zettel mit einem Wohnungsangebot. Eine 1-Zimmer-Wohnung steht zur Vermietung an. 120.000 Colones, Strom und Wasser eingeschlossen.

An der nächsten Kreuzung ein Verkehrsschild, das das Abbiegen untersagt: no virar a la izqzuierda. Da würde man in Spanien vermutlich girar statt virar haben.   

Dann kommt ein fabrikähnliches Gebäude mit riesigen Geschäften, in denen es nur Ramsch gibt. Sieht jedenfalls von der Straße aus so aus.

Es wird städtischer und auch etwas lebendiger, aber von der Innenstadt ist noch nichts zu sehen. Der Weg ist weiter, als ich dachte.

Dann taucht direkt vor mir eine Bank auf, in einem turmartigen Hochhaus untergebracht, das gegenüber allen anderen Gebäuden drum herum heraussticht.

Hier kann man Geld wechseln. Aber leicht gemacht wird es einem nicht. Erst mal muss der Reisepass her. Die Angaben werden in den PC eingetragen. Dann wird die  momentane Adresse erfragt. Und dann die Telefonnummer. Geld gibt es immer noch nicht. Die Frau hinter dem Schalter verschwindet mit meinem Reisepass. Vermutlich muss sie ihn kopieren. Endlich kommt es dann zur Auszahlung. Für 100 $ gibt es 49.700 Colones. Die Umrechnung erfolgt so: Man lässt die letzten drei Stellen weg und multipliziert mit zwei, dann hat man den Gegenwert in Dollar. 7.000 Colones sind demnach 14 Dollar. Obwohl die Rechnung einfach ist, tue ich mich schwer mit den Geldscheinen.  

Irgendwie gelange ich am Ende doch ins eigentliche Zentrum, zunächst zu einem riesigen, gelb gefassten, prunkvoll geschmückten Gebäude, das so breit ist, dass man nur den Mittelteil auf das Photo bekommt. Es beherbergt das Hauptpostamt. Auch ein Philatelie-Museum ist hier untergebracht.  

Das Postgebäude liegt an der Kreuzung, an der Avenida 3 und Calle 2 aufeinandertreffen. Die Avenidas laufen von Ost nach West, die Calles von Nord nach Süd.

Irgendwie frage ich mich zum Teatro Nacional durch. Verpasse aber die letzte Führung um 10 Minuten. Heute Nachmittag ist das Theater geschlossen. Die freundliche Frau am Schalter verkauft mir aber eine Karte für die erste Führung morgen früh.

Das Theater hat ein schönes Café, im kolonialen Stil, mit Marmortischen und gefliestem Boden. Auf den Fensterbänken stehen Büsten von wem auch immer. Man könnte zur Not auch in Wien oder Paris sein.

Oder doch nicht. Denn das Deckengemälde zeigt, wenn auch im triumphalen Stil der Französischen Revolution, eine Frau mit der Fahne Costa Ricas. Daneben eine Figur, die einen Grundriss in der Hand hält. Vermutlich den des Theaters.

Costa Rica, in der Vergangenheit auch Mitglied der Zentralamerikanischen Republik, hat ebenfalls die Farben Blau und Weiß in der Flagge, aber dazu noch Rot.

Der Kaffee wird gefiltert, und zwar direkt am Tisch. Zum Kaffee bestelle ich ein Stück Kuchen, eine Feigentorte, Queque de Higo.

Die beiden im Reiseführer empfohlenen Museen, das Museo de Oro und das Museo Numismático, befinden sich gleich auf dem Platz neben dem Theater, der Plaza de la Cultura, sind aber leicht zu übersehen, weil sie unterirdisch sind.

Beim Eingang zu den Museen wird streng kontrolliert, und der Mann, der die Kontrolle durchführt, tut das im Stile eines Feldwebels. Aber die Verkäuferin der Eintrittskarten ist sehr freundlich.

Und die Museen sind eine Wucht! Das eine wie das andere. Ganz moderne Präsentation, tolle Exponate und gute Erklärungen.

Zuerst gibt es ein paar Ausstellungsstücke, die mit dem Gold nichts zu tun haben. Es gibt Werkzeuge aus der Steinzeit zu sehen, und dazu Erklärungen, ausgehend von den primitiven Menschen, Nomaden, die als Jäger und Sammler lebten und überlebten. Einen Einschnitt gab es vor 10.000 Jahren mit dem Aussterben der großen Tiere. Daher spezialisierten sich die Menschen auf die Jagd kleinerer Tiere, und gleichzeitig nahm die Vielfalt der gesammelten Früchte und Wurzeln zu. Vor 6.000 Jahren etablierte sich dann das jahreszeitlich bedingte Sammeln von Knollen, Früchten und Palmen. Das war schließlich die Grundlage für den eigenen Anbau.   

Die Metallverarbeitung, die sich in der Alten Welt unabhängig im Mittleren Osten, auf dem Balkan und auf der Iberischen Halbinsel entwickelt hatte, entwickelte sich hier vermutlich in ähnlicher Weise. Immer wieder verblüffend, wie so etwas geschieht.

Die ersten Objekte aus Gold stammen aus den ersten fünf nachchristlichen Jahrhunderten. Eine größere Spezialisierung bei der Produktion erlaubte dann die Schaffung der wunderbaren Objekte, die man hier ausgestellt sieht, wie ein Tier, das halb wie eine Katze, halb wie ein Hund aussieht, mit erhobenem Schwanz und hochstehenden Ohren und halb menschlichen Gesichtszügen.

Dann kommen winzig kleine, fein ausgearbeitete Figürchen, mit kompliziertem Kopfschmuck, mit mehrteiliger Halskette, mit einer Art Stiefelchen an den Füßen. Einer spielt eine Tröte. Auffällig die Schlitzaugen und die immer wieder kehrenden schneckenartigen Formen, die Schmuck sein oder die Ohren darstellen können. Unglaubliche Kunstfertigkeit!

Die frühen Objekte, wie eine orientalisch anmutende Mondsichel, haben eine glatte Oberfläche, dann kommen auch punzierte Objekte, wie eine dekorative Version des Schilds eines Kämpfers.

In einer anderen Vitrine ist der größte Klumpen Gold ausgestellt, der je in Costa Rica gefunden wurde. 2,3 Kilo. Wenn man den findet, hat man ausgedient bis auf seine alten Tage.

Die merkwürdigen Wesen, die auf kleinen Amuletten erscheinen und wie Kämpfer aussehen, sind in Wahrheit Kröten und Frösche. Warum sind die ein Motiv für die Künstler? Sie galten als Helfer der Bestatter und als Wächter der Verstorbenen. Sie wurden auch mit der Ankündigung von Unwettern und Klimaveränderungen verbunden. Wetterfrösche eben.

Dann geht es ins obere Stockwerk zu den Münzen. Die Zentralbank von Costa Rica, Banco Central de Costa Rica, wurde erst 1950 gegründet, heißt es. Aber das brachte keine großen Veränderungen mit sich, die alten Münzen und Scheine wurden weiterhin gebraucht. Einen größeren Einschnitt bedeutete die Inflation. Da wurden die niedrigen Münzwerte aus dem Verkehr gezogen und durch höhere ersetzt. Bis dahin war der höchste Wert einer Münze 50 Colones, jetzt 500 Colones.

Es wurden auch neue Geldscheine ausgegeben. Auf der Vorderseite ist die Fauna Costa Ricas vertreten: der Weißkopfaffe, das Kolibri, das Dreifingerfaultier, der Schmetterling, der Weißwedelhirsch. Auf der Rückseite Staatsmänner.

Den Indios waren Münzen völlig unbekannt. Ihre Wirtschaft beruhte auf Tauschhandel. Gehandelt wurde mit Kakaobohnen, Salz, Mais, Keramik, Baumwolle und Gold.

Interessant, dass auch nach der spanischen Eroberung und der Einführung von Münzen dieses System erhalten blieb und nicht nur von den Indios genutzt wurde. Denn Zugang zu Münzen zu haben, war einer kleinen oligarchischen Kaste vorbehalten.

Erstaunlich, wie sorgfältig schon die ersten Münzen auf dem amerikanischen Kontinent ausgegeben waren. Auf der Münze sieht man die Büste des Monarchen, eine Inschrift mit dem Namen des Herausgebers der Münze, die Angabe des Jahres der Prägung, die Angabe des Prägeortes, den Wert der Münze, die Initiale des Entwerfers der Münze und die Inschrift Rey de España y las Indias.

Daran knüpfte man später in Costa Rica an, mit der entsprechenden Anpassung von Symbolen: Tabakpflanze, Lorbeerblatt, Myrtenblatt.

Auch für die kurzlebige Zentralamerikanische Republik (1825-1837) wurden eigene Münzen geprägt. Interessant, dass sie auch später im Umlauf blieben. So schnell konnte man nach der Unabhängigkeit gar keine eigene Währung schaffen.

Als Costa Rica unabhängig wurde, führte man das Dezimalsystem ein, das das komplizierte spanische System ablöste, bei der die Zahl 8 von zentraler Bedeutung war. Es gab Escudos und Reales und eine dritte Einheit, die umgangssprachlich Pesos hieß, und dazu Céntimos für jede dieser Einheiten. Man wundert sich, wie sie damit zurechtgekommen sind.

Sowohl vor als auch nach der Unabhängigkeit wurde, wie das so oft geschieht, der Materialwert der Münzen immer geringer, weil man statt Gold und Silber Legierungen oder andere Metalle verwendete. Dabei kamen Münzen heraus, die so winzig klein sind, dass man sie selbst unter der Lupe in der Vitrine kaum erkennen kann.

Bei den Geldscheinen ist es eher umgekehrt. Man wundert sich, welch große Lappen ursprünglich verwendet wurden, wohl noch eine Nachwirkung der früheren Schuldscheine, der Vorgänger der Geldscheine. Wäre heute eher unpraktisch. Würden in kein Portemonnaie passen.

Zum Schluss gibt es noch eine Münzprägemaschine, eine vielarmige, schwarze Maschine der Marke Heidelberg, die hier lange im Einsatz war. Sie kam aus Deutschland.

Im Anschluss an das Museum kaufe ich in einem Supermarkt ein paar Kleinigkeiten. Vorsorglich habe ich eine Tragetasche mitgebracht. Rita hat gesagt, man gebe jetzt keine Tragetaschen mehr aus. Ganz stimmt das nicht, nur sind sie jetzt nicht mehr umsonst.

Ich frage mich zum Mercado Central durch, habe aber kein Glück dabei. Irgendwie drehe ich mich immer im Kreis. Ein Losverkäufer, der die Lose der Weihnachtslotterie – „Die beste Lotterie in ganz Costa Rica“ – auf einem Bauchladen vor sich her trägt, begleitet mich ein Stück. Dann frage ich Mutter und Tochter, und als die Mutter mit der Antwort ansetzt, wird sie von der Tochter unterbrochen, die die Erklärung auf Englisch abgibt. Gutes Englisch. „Yes, I work for a company.“

Ohne es zu wollen, komme ich zur Kathedrale. Eine schlichte Fassade. Innen ganz dunkel, nur von ganz hinten im Chor kommt durch eine Kuppel helles Licht. Die Kathedrale ist gebaut worden, nachdem der Vorgängerbau durch ein Erdbeben zerstört wurde. Damit dieses Schicksal dem neuen Bau erspart bleibt, hat man bei dem Neubau auf Stabilität geachtet. Das hat zur Folge, dass der etwas klobig wirkt.

Am Ausgang ist in einem kleinen Kolonialgebäude die Sendestation von Radio Fides untergebracht, Gottes eigenem Sender.

Wie die anderen Plätze der Stadt ist der Platz der Kathedrale nicht sonderlich schön. Das liegt an den bunt zusammengewürfelten Gebäuden, an der mangelnden Geschlossenheit des Platzes, vor allem aber daran, dass eine Seite des Platzes eine viel befahrene Straße ist.

Auf dem Kathedralplatz ein tempelartiger „Kiosk“, ein Geschenk von Somoza an San José.

Bei der erneuten Suche passiere ich ein Schuhgeschäft, dass mit seiner Rabattaktion wirbt: 365 Tage im Jahr.

Und dann komme ich an einem Unternehmen vorbei, das San José heißt. Der Name der Stadt geht zurück auf eine Einsiedelei, die dem Heiligen Josef geweiht war, hier, in einer unbesiedelten Gegend. Die Stadt entwickelte sich erst spät, und den Status einer Hauptstadt musste sie sich erst in langen Auseinandersetzungen mit der alten kolonialzeitlichen Provinzhauptstadt Cartago erstreiten.

Ich komme wieder in die Fußgängerzone. Hier hat man in der Mitte einen zweispurigen Radweg angelegt, in Blau gekennzeichnet. Aber die Farben verblassen. Kein Rad ist zu sehen. Die Fußgänger haben das Terrain nicht preisgegeben.

An einem Imbisslokal kaufe ich ein Stück Pizza. Für auf die Hand. An der Kasse mir gegenüber steht eine auffällig stark geschminkte junge Frau. Um den Hals hat sie eine Tätowierung, die wie ein Schandkragen aussieht, ein beliebtes altes Folterinstrument aus Metall.

Dann stoße ich auf ein originelles Straßenmusikerdenkmal, aus Blech. Ein Mann mit einer Gitarre, eine Frau mit einer Trommel, und neben ihnen ein dritter Musiker, der nur durch seine Sandalen vertreten ist.

Dann komme ich doch noch zum Mercado Central. Sieht unscheinbar aus, aber es lohnt sich, da mal durchzugehen. Es gibt Krippenfiguren und Schürzen, traditionelle Kleider und jede Menge Essstände,  Haushaltswaren und Spielzeug, Fisch und Fleisch, Putzgeräte und eine Tierhandlung mit Kaninchen, Fischen, Hühnern und Meerschweinchen. An dem Aquarium klopft ein Junge kräftig an die Scheibe und wird dabei von seiner Mutter unterstützt. Direkt da, wo an der Scheibe die Bitte steht, nicht an die Scheibe zu klopfen.

Mitten im Markt ist irgendwo eine Krippe aufgestellt, schon mit Jesuskind und allem. Weihnachtsdekoration sieht man in der Stadt nicht allzu viel, und sie ist nicht sonderlich auffällig.

Gegenüber der Krippe ein Kräuterstand. Der Verkäufer weiß ganz genau, was wogegen hilft. Mit seinen Kräutern kann man praktisch alles heilen: Diabetes, Nierenleiden, Cholesterin, Bronchitis, Gastritis. Ein Kraut ist extra für die Schönheit von Frauen verantwortlich. Für die Schönheit von Männern gibt es kein Kraut. Für die gibt es nur was gegen Prostata.

Als ich von dem Kräuterstand ein Photo mache, macht mich ein Mann darauf aufmerksam, dass ich einen Zettel verloren habe. Er hat eine Gitarre und einen Lautsprecher dabei und ist gerade dabei, seine Sachen aufzubauen, um hier zu singen. Welche Musik er denn mache? Von allem etwas. Aus Deutschland käme ich? „Ich kann ein bisschen Deutsch sprechen.“ Und dann intoniert er „So schön, schön war die Zeit.“ Und ich stimme mit ein: „Kein Gruß, kein Herz, kein Kuss, kein Scherz … So schön, schön war die Zeit.“

Zum Mercado Central gehört auch das Café 22. Dort wird noch (spätes) Mittagessen aufgetragen. Sieht gut aus. Ich begnüge mich mit einem Kaffee.

Wieder in der Fußgängerzone sehe ich gerade einen jungen Losverkäufer an, der etwas gelangweilt an der Chola lehnt, der Skulptur einer dicken Frau mit mächtigem Hinterteil. Ein Kameramann richtet seine Kamera auf mich, er will gar nicht mehr von mir ablassen. Dann kommt sein Kollege mit einem Mikrophon und fragt, ob er ein paar Fragen stellen könne. Costa Rica aus der Sicht des Touristen. Geht klar. Er fragt nach Sicherheit und Preisen. Und ich gebe artig Antwort.

Die beiden wissen aber auch nicht, wo die Skulptur ist, die ich suche. Das weiß keiner. Aber die Angaben aus dem Reiseführer sind ziemlich eindeutig. Zum Schluss hilft mir eine Polizistin, obwohl sie die Skulptur auch nicht kennt. Sie schickt mich wieder in die andere Richtung. Und erinnert mich daran, dass die geraden Straßen in einer Richtung verlaufen und die ungeraden in der anderen Richtung, von der Avenida 0 ausgehend. Also ist Calle 4 ein ganzes Stück von Calle 5 entfernt.

Unterwegs sehe ich eine Straßenkehrerin, auf deren Jacke steht Trabajamos para ustedes. Das Motto von Ticabus, das ich gestern gesehen habe, ist Viajamos por ustedes. Das kam mir Spanisch vor. Die alte und immer wieder auftauchende Frage im Spanischen, por oder para?   

An einer Ecke sehe ich das im neoklassizistischen Stil errichtete Gebäude der Firma Juan Knöhr Hijos. Die Firma wurde von einem deutschen Kaufmann gegründet. Der Reiseführer bezeichnet dieses Haus wegen des Gebrauchs von Beton als Beginn einer langen Liste von Bausünden in San José, aber es ist immer noch zehnmal besser als alles andere drum herum.

Jetzt habe ich sie doch gefunden, meine Skulptur. Sie steht hinter dem hohen Bankgebäude von heute Morgen. Es ist eine Gruppe von metallenen Figuren, die, vielleicht etwas stereotyp, aber eindringlich, die einfachen Bauern vom Land darstellt, die als die Essenz von Costa Rica gelten. Sie stehen etwas erhöht, auf einer Plattform, die man betreten kann, hinter- und nebeneinander. Ernste Gesichter, hier lächelt keiner in die Kamera. In einigen Gesichtern kann man Traurigkeit erkennen, in allen sieht man den täglichen Kampf ums Überleben abgebildet. Die meisten sind barfuß, alle tragen einfache Kleidung, die Frauen haben das Haar zu einem Zopf oder einem Knoten zusammengebunden. Erst auf den zweiten Blick sieht man in der hinteren Reihe ein Kind, das sich scheu an die Beine der Mutter lehnt. Eine eindrucksvolle Skulptur. Die lange Suche hat sich gelohnt.     

13. Dezember (Freitag)

Beim Kassensturz gestern Abend hatte ich das Gefühl, dass mir eine ganze Stange Geld fehlt. Hat vielleicht eine der Verkäuferinnen, denen ich bereitwillig mein Portemonnaie hingehalten habe, zu tief ins Portemonnaie gegriffen? Am Ende stellt sich heraus, dass wohl doch alles in Ordnung ist. Erstens habe ich mehr Geld ausgegeben als ich gedacht habe, zweitens habe ich den Wert der Münzen unterschätzt.

Rita, die Vermieterin, hat mir schon am ersten Abend gesagt, hier würde ich manchmal auf eine ungewöhnliche Aussprache von José stoßen, mit der Betonung auf der ersten statt auf der zweiten Silbe. Kenne ich auch aus Spanien. Im Internet gibt es eine ganze Menge dazu, Erklärungen und Diskussionen. Unter anderem geht es darum, ob man dann auch Jose statt José schreiben solle. Schwer zu entscheiden. Einige bemerken, was mir einleuchtet, dass die Variante mit der Betonung auf der ersten Silbe eher etwas Vertrauliches, Liebevolles hat. Andere erklären den Wechsel der Betonung mit zusammengesetzten Formen wie José Agustín oder José Ángel. Vor allem bei dieser letzten vermeidet man wahrscheinlich intuitiv die Betonung zweier aufeinanderfolgenden Silben. Rita vermutet wahrscheinlich nicht, was sie mit ihrer Bemerkung angestellt hat.  

Das schlechte Wetter hält an, und später fallen ein paar Regentropfen, aber kaum genug, um den Schirm aufzumachen.

Bei den Wegbeschreibungen werden hier oft Meterangaben verwendet: Oben abbiegen und dann 300 Meter geradeaus. Woher wissen die Leute das so genau? Ich vermute, jeder Block misst 100 Meter.

In der Fußgängerzone eine bunt angemalte Kuh. Gestern hat eine Mutter ihre ganz junge Tochter draufgesetzt. Wäre in schönes Photo gewesen.

Bei der Weihnachtslotterie geht der Endspurt los. Der Losverkäufer schreit sich die Seele aus dem Leib, indem er die Nummer ausruft, die er zu bieten hat: „Treinta y ocho, treinta y oooocho.“

Wenn die Fußgängerampel grün wird – oder besser weiß – ertönt ein Geräusch wie das von einer quakenden Ente.

An der Ecke der Plaza de la Cultura steht eine weitere Lotterieverkäuferin. Jetzt merke ich, dass das Brett, auf dem die Lose befestigt sind, entweder horizontal oder vertikal vor dem Bauch transportiert werden kann.

Am Teatro Nacional ist das Gitter noch verschlossen. Ich frage eine Frau, ob sie auch auf die Führung wartet. Sie versteht nicht ganz. Sieht wie eine Latina aus, ist aber angelsächsische US-Amerikanerin. Sie kommt aus Texas. Ist beruflich hier, eine Woche, heute gibt es frei für einen Tag San José.

Als geöffnet wird, erkennt der Wachmann von gestern mich noch. Er zeigt mir, wo im Foyer ich warten soll.

Am Ende sind wir eine ganz gemischte Gruppe, Schweizer, Franzosen, US-Amerikaner und ein vorlautes kanadisches Ehepaar. Alle sprechen Spanisch.

Der Kaffeeanbau in Costa Rica, im Jahrhundert zuvor begonnen, wurde ab 1837 zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige Costa Ricas. Die Kaffeebarone schickten ihre Söhne nach Europa, und die brachten europäische Traditionen mit zurück. Und so wollte man auch ein Theater nach französischem Vorbild bauen. Die Idee wurde dann verwirklicht, indem gegen Ende des Jahrhunderts eine Zusatzsteuer auf den Kaffee aufgeschlagen wurde.

Im Foyer sieht man eine Reihe von Marmorskulpturen. Zwei davon sehen aus, als wären sie aus Zement. Sie standen früher draußen, auf dem Dach des Theaters, und die Witterung hat ihnen ihren Glanz genommen. Das fällt besonders im Vergleich zu den anderen beiden auf, die immer hier im Foyer gestanden haben.

Die Skulpturen zeigen die Komödie und die Tragödie, den Tanz und die Musik. Die Tragödie ist männlich, sieht grimmig aus und hält einen Dolch in der Hand, die Komödie ist weiblich, sieht gelassen aus und hält ein Buch in der Hand. Zu ihren Füßen eine Maske. Tanz und Musik sind weiblich. Musik hält eine Leier in der Hand, zu ihren Füßen liegen eine Panflöte und eine Flaute. Die dynamischste Figur ist der Tanz. Die Figur ist in Bewegung. Ein Bein ist angehoben, das Kleid ist nach oben gerutscht, ein Arm ist angewinkelt, eine Brust ist entblößt. In der Hand hält sie Kastagnetten, zu ihren Füßen liegt eine Schellentrommel.

Alle Figuren wurden in Italien gefertigt, dann per Schiff, per Zug (den es damals tatsächlich gab!) und per Ochsenkarren nach San José gebracht.

Der Theatersaal selbst hat drei Ränge und eine Besonderheit: Es gibt keinen Orchestergraben! Das Parkett konnte und kann angehoben werden, so dass es auf die Höhe der Bühne gebracht wird. Die Bestuhlung wird dann rausgenommen, und auf dem Parkett nimmt das Orchester Platz!

So war es bei der Aufführung von Gounots Faust, mit dem das Theater 1897 eingeweiht wurde, in französischer Sprache.

Wir gehen nach oben, in das zweite Foyer, wo man sich in der Pause bei Sekt und Canapés zeigte. Drei Deckengemälde stellen den Morgen, den Tag und die Nacht dar.

Die Deckengemälde im Treppenhaus wurden einem italienischen Künstler anvertraut, der nie in Amerika war und dem Hörensagen nach malte. Die Gemälde zeigen Alltagsszenen. Dabei ist eine falsch herum wachsende Bananenstaude zu sehen, eine Kaffeeplantage am Meer und eine mit elektrischem Licht beleuchtete Straße, zu einer Zeit, als es das hier noch gar nicht gab!

Wir gehen in den zweiten Rang rauf. Hier gibt es Logen. Die ermöglichten die ungestörte Unterhaltung während der Aufführung und das zwischenzeitliche Verlassen der Aufführung, ohne dass man auffiel.

Das Theater hat eine Kapazität von 700 Zuschauern Maximum. Eine Eintrittskarte, etwa für das aktuell laufende Ballett, kostet 22.000 Colones, etwa 40 $.

Zum Schluss sehen wir uns noch die einzige Skulptur, die von einem costa-ricanischen Künstler geschaffen  wurde. Auch sie steht im Foyer im Eingang. Sie heißt Héroes de la Miseria und zeigt eine einfache Bauernfrau mit Kopftuch, die ihr Kind auf dem Schoß hält. Kam bei den Verantwortlichen nicht so gut an. Man wollte diesen Ausschnitt der Gesellschaft aus dem Theater fernhalten.

Eine interessante, wenn auch nicht sonderlich gute Führung. Danach bekomme ich in einem einfachen Lokal ein einfaches Frühstück, zu astronomischen Preisen, wie ich meine. Liegt aber nur daran, dass ich mich verrechnet habe.

Als ich aufbreche und nach dem Castillo Azul frage, merkt die Eigentümerin, dass ich als Tourist unterwegs bin und bietet mir ein Hotelzimmer an, für spätere Gelegenheiten. Da ich tatsächlich noch mal eins brauchen werde, lasse ich mir den Flyer geben, bin aber skeptisch. An der Tür stehen die Preise für 3 Stunden und für 12 Stunden Übernachtung. Ist das etwa ein Stundenhotel? Aussehen tut es danach nicht. Ich halte mir das erst mal in der Hinterhand, für den Fall der Fälle.  

Ich mache mich auf die Suche nach dem Castillo Azul und passiere dabei die Librería Lehmann. Bei der gibt es Produkte von Staedtler, Märklin und Tesa zu kaufen.

Für ein relativ reiches Land sieht man hier viele Bettler, einzeln an den Häuserwänden sitzend oder in Gruppen auf den Plätzen. Die an den Häuserwänden bleiben stumm, viele haben einen Zettel, auf dem sie ihre Not kundtun. Die auf den Plätzen sprechen einen immer an, und zwar auf Englisch, und schlimmstenfalls, wie das auch alle Straßenverkäufer tun, indem sie einen mit my friend ansprechen.

Beim Weitergehen sehe ich plötzlich lauter Schlüssel auf dem Boden liegen. Dann sehe ich, dass Schlüssel fest in den Bürgersteig verankert sind. Sie sind eine Werbeaktion des Schlüsseldiensts, der hier seinen Laden hat.

Auf dieser Straße sieht man das wilde Durcheinander bei der Bebauung der Stadt: abgrundtief hässliche, teils auch verkommene Nachkriegsgebäude Seite an Seite mit Kleinoden aus dem alten San José, mit modernen Bürohochhäusern und mit kleinen Häusern mit modernen und altertümlichen Geschäften.  

Auf der Suche nach dem Castillo Azul muss ich ganz schön vom Weg abgekommen sein. Das merke ich spätestens, als ich unter einer dunklen Brücke herkomme, in der es stark nach Urin riecht. Das Castillo Azul kennt kein Mensch, und selbst die Frage nach dem Museo Nacional verursacht verständnislose Blicke.

Nach der unsäglichen Brücke komme ich in ein Viertel, das durchaus richtig aussieht, aber nicht ist. Irgendwann stehe ich vor einem Gebäude, bei dem man glauben könnte, im Viktorianischen England zu sein.

Dies scheint eine Art Botschaftsviertel zu sein, nicht unschön, aber weitgehend menschenleer.

Am Rande eines Parks sehe ich einen kleinen Pavillon mit Kacheln, eine Art Brunnenhäuschen, gestiftet von der ehemaligen Schnapsfabrik. In deren Gebäude befindet sich jetzt ein Kulturinstitut. Die Schnapsfabrik wurde ursprünglich gegründet, um durch Verhinderung des unkontrollierten Schnapsbrennens etwas für die Volksgesundheit zu tun. Nebenbei, darf man vermuten, wurde damit auch Geld verdient.

Dann komme ich auf eine Promenade, die von der Republik Argentinien angelegt worden ist. Dort ein Denkmal für Carlos Gardel.

Im Parque España die Monumentalstatue von Juan Vázquez Coronado, dem eigentlichen Eroberer Costa Ricas und dem Gründer Cartagos. Man sieht ihn in voller Rüstung, das Schwert energisch vor sich haltend. Erinnert ein bisschen an Hermann den Cherusker.

Dann komme ich an der Mexikanischen Botschaft vorbei, in einer wunderschönen weißen Villa untergebracht. Hier wurde einst Geschichte geschrieben. Nach dem blutigen Bürgerkrieg wurde hier 1948 ein Waffenstillstandsabkommen ausgehandelt. Teil dieses Abkommens war die Übergabe der Macht an die Revolutionskoalition und die Entscheidung, die Armee abzuschaffen.

Dann komme ich doch noch in den Parque Nacional und damit meinem Ziel etwas näher. Der Parque Nacional ist ein richtiger Park, kein Platz, wie der Parque Central, mit vielen hohen Bäumen, die Schatten spenden würden, wenn die Sonne schiene.

Im Zentrum des Platzes ein Denkmal, hoch auf dem Podest. Es erinnert an die heroischen Unabhängigkeitskämpfe, an das Gefecht von Rivas, 1856, bei dem der Nationalheld Juan Santamaría, ein Mulatte, ums Leben kam, und an das Gefecht von Santa Rosa 1856. Da wird allerdings mächtig übertrieben. Das war eine Schießerei von gerade einmal einer Viertelstunde. Aber wenn es dem nationalen Selbstverständnis dient.

Die Schlachten bedeuteten den endgültigen Sieg über William Walker, den US-Amerikaner, der Costa Rica – wie das übrige Zentralamerika – unter Wiedereinführung der Sklaverei in die USA eingliedern wollte.

Mir dient das Denkmal als Motiv für das einzige gute Photo des Tages. Die Dramatik des Denkmals kommt bei dem Helldunkel des Himmels bestens zur Geltung.

Als ich gerade das Photo gemacht habe, fällt mein Blick auf einen verrückten Fahrradfahrer, der gerade im Gespräch mit einer Passantin ist. Sein unorthodoxer Auftritt hat auch ihre Aufmerksamkeit erregt. Er trägt einen Helm mit einer Grubenlampe, darunter eine Schirmmütze, und um die Brust etwas, das wie eine schusssichere Weste aussieht, alles ganz bunt. In einem Anhänger mit einem Gitter hinter sich her zieht er einen Hund mit Taucherbrille, Wikingerhelm und einem bunten Schultertuch. Auf dem Dach eine Gießkanne mit künstlichen Blumen und ein Korb mit künstlichen Blumen. Das ganze Gefährt, einschließlich der Räder, ist mit bunten Bändern verziert. Kann man den Mann ohne Übertreibung ein Original nennen. Er lässt sich gerne photographieren.

Jetzt komme ich der Sache wohl näher, passiere ein modernes Gerichtsgebäude und stoße dann auf die Plaza de la Democracia. Am Rande des Platzes das Castillo Azul. Von einer Burg hat es herzlich wenig, sieht eher aus wie eine italienische Villa mit Altan. In dem Castillo Azul residierte früher der Präsident des Landes, danach eine noch wichtigere Person, der Botschafter der USA. Heute ist es Regierungsgebäude.

Das etwas jüngere Pendant dazu ist die Casa Amarilla. Hier sitzt das Außenministerium. In seinem Inneren befindet sich ein Stück der Berliner Mauer.

Das wichtigste, größte und auffallendste Gebäude an der Plaza de la Democracia ist ein gelb gefasstes Gebäude mit Anklängen an eine mittelalterliche Burg. Darin befindet sich das Museo Nacional. Bis zur Auflösung der Armee war es Kaserne.   

Der Rückweg gestaltet sich einfacher. Ich gehe die Avenida 0 herunter, die breite Fußgängerstraße, und komme schnurstracks zur Plaza de la Cultura und dem Theater. Hier in der Nähe gibt es auch das Café Avenida Cero.

Auf der Avenida 0 kommen einem immer wieder Männer entgegen, die einem Zigarren verkaufen wollen. Und immer wieder kommt ein verlockender Duft aus einer Bäckerei.

Als ich schon fast zu Hause bin und vergeblich nach einem Hotel Ausschau gehalten habe, sehe ich doch noch eins, das Hotel San José. Kann man sich leicht merken. In Zeit von nichts ist ein Zimmer gebucht.

Dann hält ein Taxi am Straßenrand an, in der richtigen Annahme, dass ich irgendwohin chauffiert werden will. Ja, zum Busbahnhof. Zum Fahrkartenkauf. Zum Glück sage ich gleich dazu, dass die Busreise nach Quepos gehen soll. Nach Quepos fährt nämlich Tracopa, eine andere Buslinie, und die hat einen eigenen Busbahnhof!

Der Fahrer, Carlos, ist sehr nett, ein ganz besonnener Mann, nur nicht dann, wenn es ums Autofahren geht. Sobald der Wagen steht, drückt er auf die Hupe. Merkwürdigerweise zeitigt das auch meistens Wirkung.

Im Radio hat er einen Prediger laufen, mit dem typisch evangelikalischem Pathos. Ich schnappe aber ein Bild auf, das ganz schön ist: Wir können wissen, wie viele Samen in einem Apfel sind, aber wir können nicht wissen, wie viele Äpfel in einem Samen sind.

Während der Prediger weiter predigt, kommen wir passenderweise an einer Clínica Biblica vorbei. Was das wohl sein mag?

Am Busbahnhof angekommen, bietet Carlos mir an, auf mich zu warten. Die Wartezeit würde er nicht berechnen. Nehme ich gerne an. Der Fahrkartenkauf geschieht in Windeseile, und wir machen uns auf den Weg zurück. Dabei kommen wir an der Feuerwehr vorbei. Dort hat man den Feuerwehrleuten eine Skulptur gewidmet. Ein Feuerwehrmann seilt sich von oben ab, ein anderer hält ein gerettetes Kind im Arm.

Carlos setzt mich zu Hause ab und gibt mir noch seine Telefonnummer. Als ich den Schlüssel raushole, habe ich irgendwie das Gefühl, dass etwas fehlt. Mein Portemonnaie! Ich durchsuche alle Taschen – vergebens. Dann gehe ich noch mal ein paar Schritte zurück, und da liegt es – im Bordstein. Wieder mal Glück gehabt.

In der Küche stoße ich auf Ritas Tochter, besser gesagt, eine von ihnen. Sie waren bzw. sind zu Hause zu siebt! Sie spricht von ihren älteren und von ihren jüngeren Geschwistern. Zwei von denen und eine Nichte sind auf das Colegio Humboldt gegangen und sprechen Deutsch. Sie ist Physiotherapeutin. Ich sage ihr, die seien in Deutschland sehr begehrt. Ja, sagt sie, eine Cousine in Heppenheim sage ihr immer, sie solle doch kommen. Physiotherapeuten würden gesucht. Aber sie denkt, zu Recht, an die sprachliche Hürde, nicht nur für den Beruf, auch für den Alltag. Sie spricht Französisch und sieht ihre Zukunft in einem Land, in dem Französisch gesprochen wird.

Wir unterhalten uns über Sprache, über Kriege und das Militär und die Politik und über Auswanderung, über freiwillige, erzwungene und aus der Not geborene. Sie ist eine kluge Frau, tolle Unterhaltung.

14. Dezember (Samstag)

Das auffälligste Merkmal des Spanischen in Costa Rica ist der voseo. Auf einem Schild, das ist gestern gesehen habe, stand Elegí Pesá Pagá. Da ist es gleich dreifach vertreten, als Imperativ. Ich bin bestimmt nicht der einzige, der sofort an Argentinien denkt, wenn er vos hört. Bin ihm aber in Uruguay und in Paraguay auch schon begegnet. Mit Costa Rica hätte ich es nie und nimmer in Verbindung gebracht. Ich habe es aber immer nur gelesen, nie gehört. Mich hat auch niemand jemals mit vos angesprochen.

Es ist eine archaisierende Sprachform, die es früher in Spanien auch gab, die aber ausgestorben ist. Die klassischen Sprachen machten keine Unterscheidung, das Lateinische begnügte sich mit dem Du. Mit der sozialen Differenzierung im Mittelalter, dem Bedürfnis der Patrizier, sich von den Plebejern zu unterscheiden, kamen vor dem Beginn der Renaissance im Spanischen zwei weitere Formen auf, vos und usted neben . Der Ursprung von vos liegt im Feudalismus. Die feudalen Herren waren, im ganz wörtlichen juristischen Sinne,  mehr wert als die Plebejer. Das Wort eines Herren galt doppelt so viel wie das eines Plebejers. Daher ist die Anredeform vos, von vosotros, also Plural für eine einzelne Person, nur folgerichtig. Die Ausbildung einer dritten Form geht ebenfalls auf sozialen Wandel zurück: Der höhere Adel, die Adeligen bei Hof, unterschieden sich immer mehr von den anderen, den niedrigeren Adeligen, den hidalgos. Für die blieb vos erhalten, für jene kam usted auf. Das gebraucht man unter den Plebejern, aber auch der König, wird, abweichend von der Norm, manchmal geduzt, in den Komödien von Lope zum Beispiel. Auch im Quijote findet man Variation: Juana, Sanchos Frau, sagt vos zu ihm, er sagt manchmal vos, manchmal zu ihr. Zu Don Quijote sagt er usted, der sagt zu ihm.

Rita erzählt mir, heute sei Karneval. Ja, ein Umzug in der Innenstadt. Karneval? Im Dezember? Dann korrigiert sie sich. Es ist die Fiesta de las Luces.

Carlos holt mich pünktlich ab und schlägt vor, die beiden Fahrten, die ich geplant habe, in einem Abwasch zu erledigen. Wir fahren zuerst zum Busbahnhof. Jetzt ist wieder der andere Bahnhof dran. Dort bekomme ich meine Fahrkarte nach Cahuita. Meine Planung für Costa Rica ist etwas kompliziert ausgefallen.

Das geht ganz schnell, und Carlos setzt mich am Museo del Jade ab. Ein Gebäude, bei dem man eher an eine moderne Fabrik denkt.  

Hier werden Ausländer ordentlich zur Kasse gebeten: 16 $! Das sind europäische Preise.

Das Museum hat allerdings einiges zu bieten. Es ist nicht nur ein Museum über Jade, sondern ein Museum über Kulturgeschichte, und es hat eine geradezu unüberschaubare Fülle von Objekten, auf fünf Etagen ausgestellt. Stein und Keramik sind genauso vertreten wie Jade.

Die Jade kam aus Guatemala hierher, aus dem Tal des Montagua. Dort befindet sich eins der wichtigsten Jadevorkommen der ganzen Welt. Zuerst kamen einzelne, bearbeitete Teile nach Costa Rica, später das Material selbst, das dann hier bearbeitet wurde.

Eine für Costa Rica typische Form ist das, was hier als „Axt“ bezeichnet wird. Hat aber eher die Form einer Zunge. Ein solches Stück wurde mittels einer Schneidetechnik mit einem Faden (!) längs in zwei Teile geteilt. Auf jedem der beiden Teile hinterließ das eine Linie, eine Art Rinne. Solche Steine galten als besonders schön. 

Jade war ein wichtiges Material bei der Herstellung von Schmuck. Um die Vielfalt der Formen zu illustrieren, hat man hier eine Halskette ausgestellt, die aus nicht zusammengehörigen Gliedern besteht, Würfel, Zylinder, Kugeln, Kegel. Nicht alle sind grün, es gibt auch braune, graue und schwarze Jade. Außerdem können die Objekte matt sein oder glänzend.

Halsketten gibt es mit großen und kleinen Steinen. Man kann sich kaum entscheiden, welche schöner sind. Sie dienten nicht nur als Schmuck, sondern auch als Grabbeigaben.

Die Jade wurde aber auch für ganz praktische Zwecke eingesetzt, wie für die Spitze eines Bohrers und für Pfeilspitzen.

Ein Thema, dem sich die Ausstellung im Detail widmet, sind die Schamanen. Sie werden in verschiedenen Formen dargestellt, als Figuren und als Amulette. Die Amulette sind meist aus Jade, die Figuren meist aus Keramik. Eine Figur ist deutlich als Frau zu erkennen – eine Schamanin.

Die Schamanen nehmen häufig die Gestalt von Tieren an – vor allem die von Jaguar oder Eidechse – sind aber auch als „normale“ Menschen dargestellt, mit Kopfbedeckung, aber entblößtem Glied, Trommel und Rassel in der Hand und Masken, die die Form von Vögeln oder Säugetieren haben.

Ganz häufig vertreten sind Darstellungen von Männern in Denkerpose. Sie sitzen, stützen das Kinn auf die Hand oder die Ellenbogen auf die Knie.

Die zentrale Idee hier, und die zentrale Idee für das ganze Museum: Die Künstler stellten die Lebens- und Glaubenswelt der Eingeborenen dar. Und zwar mit erstaunlicher Kunstfertigkeit. Wenn man bei den Amuletten alle Kennzeichen des Schamanen auf ganz wenig Raum wiedergegeben sieht, muss man einfach beeindruckt sein.

Auch körperliche Missbildungen werden dargestellt: Buckel, Zwergenwuchs, Abszesse.

Zur Lebenswelt der Völker zählten auch die Feste. Ausgestellt sind winzige tanzende Figuren und  pfeifenähnlichen Geräte, durch die man halluzinogene Substanzen aufnahm. Auch Musikinstrumente sind vertreten. Wunderbar die winzigen Flöten, auf denen wiederum Figuren sitzen!

Tiere sind in allergrößter Vielfalt vertreten, oft als Gefäße. Dabei dient manchmal der Körper des Tieres selbst als Gefäß, manchmal tragen sie das Gefäß auf dem Rücken.

Ein Ausstellungsstück, das aus der Reihe fällt, ist eine Scheibe, mit rötlichem und bräunlichem Untergrund, aus Schiefer. Auf der Scheibe angebracht sind 16 Glyphen, in Grau. Es ist das einzige Ausstellungsstück, das Schriftzeichen hat. Die sind inzwischen alle identifiziert. Die „Botschaft“, wie das bei so alten Inschriften meist der Fall ist, ist nicht gerade transzendent. Sie besagt, dass die Scheibe ein Geschenk eines Herrschers zur Geburt seines Sohnes Puma Tortuga ist.

Die Bemalung der Keramik ändert sich irgendwann, und zwar so deutlich, dass auch das Laienauge es sieht. Das hat was zu tun mit der Ankunft von Völkern aus dem heutigen Mexiko, um 800. Die bedeutete das Ende der klassischen Periode. Die Keramik war vorher auch schon mehrfarbig, aber nicht so bunt wie jetzt. Und es gibt immer weniger unbemalte Flächen. Grob gesprochen wie der Unterschied zwischen Romanik und Gotik.

Nicht nur die Lebenswelt der Menschen, auch die Welt der Tiere ist in den Werken der Künstler der vorkolonialen Zeit vertreten, in Keramik, in Gold, in Jade. Reiher, Geier, Enten, Tukane, Quetzale, Coyoten, Krokodile, Kröten, Frösche, Leguane, Eidechsen – die ganze Vielfalt der Tierwelt Costa Ricas ist vertreten. In Gold sieht man winzige geflügelte Insekten, vermutlich Bienen, in Keramik einen schönen Becher mit dem langen Schnabel des Pelikans auf dem Gefäß, ebenfalls aus Keramik ein wunderbares Krokodil, dessen Schuppen die Verzierung des Gefäßes sind, aus Jade verschiedene Tiere, die kaum zu identifizieren sind. Wenn ich das richtig verstehe, dienten die wegen ihrer scharfen Kanten gleichzeitig als Schneidewerkzeug.

Eine Eule trägt vor ihrem Körper ein umgekehrtes Menschengesicht. Das ist eine Anspielung darauf, dass die Eulen dafür zuständig waren, die Verstorbenen ins Jenseits zu transportieren.

In der Beschriftung heißt es, die Tiere seien teils stilisiert, teils realistisch wiedergegeben. Realismus kann ich nirgendwo entdecken.

Ganz interessant der Totenkult. Dutzende von „Hockern“, mit schräger Sitzfläche, alle mit drei Füßen, sind hier ausgestellt. Bei den vermeintlichen Hockern handelt es sich um Mahlsteine, für praktische, vor allem aber wohl für rituelle Zwecke benutzt. Einige sind mit den Füßen nach oben ausgestellt, damit man die Verzierungen an der Unterseite sieht. Mit den Füßen nach oben wurden sie auch auf den in gerade liegender Haltung bestatteten Toten gelegt.

Eine ältere Bestattungssitte sah vor, dass die Reste des Toten – vermutlich in erster Linie die Knochen – in einem Bündel in der Erde vergraben wurden, zusammen mit Grabbeigaben aus Jade, Holz und Stein. Auch eine hier ausgestellte Halskette mit lauter gleichförmigen kleinen Menschenköpfen aus Knochen gehört dazu. Das Bündel wurde mit Fasern, Kordeln und Gewebe verschlossen. Sehr erfolgreich. Diese Bündel, zeitlich um das Jahr 500 v.Chr. zu verordnen, wurden im Golf von Nicoya im Schlamm eines Mangrovenwaldes gefunden. 30 Bündel, von Männern, Frauen und Kindern, die der Schlamm bewahrt hatte.

Erstaunlich explizit, wie man in einem weiteren Ausstellungssaal feststellen kann, die Darstellung der Sexualität: gebärende Frauen, kopulierende Paare, im Sitzen wie im Stehen, Männer, die an ihrem Gemächt herumfummeln, eine bunt bemalte weibliche Brust oder der männliche Phallus, gegebenenfalls mit Testikeln, als Ornamente. Tabus scheint es keine gegeben zu haben.

Zu den „Schönheitsoperationen“ gehörte die Manipulation der Zähne. Man fragt sich, wie das gemacht wurde, aber man sieht, sowohl an einem Gebiss wie an einer Keramik, dass die Schneidezähne verkleinert wurden, so dass viele mehr wachsen konnten.

Das ist uns fremd. Weniger fremd sind uns die Tätowierungen, und die gab es auch in Hülle und Fülle. Kleine Röhrchen mit eingeschnittenen Mustern sind hier ausgestellt, in großer Zahl. Mit denen wurden, weiß der Teufel wie, die Tätowierungen auf der Haut angebracht. Man sieht Keramikgefäße mit der Darstellung von Menschen mit Gesichtstätowierungen – Stirn und Wangen – aber man sieht auch Ganzkörpertätowierungen, Gesicht, Brust, Oberarme, Beine. Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Ob die heute Tätowierten wohl wissen, dass sie in einer uralten Tradition stehen?

Bei so vielen Anregungen verzeiht man dem Museum fast die 16 $ Eintrittsgeld.         

Ganz in der Nähe des Museum befindet sich ein Supermarkt, in dem es Geldautomaten gibt. Aber ich finde die Zeichen für Kreditkarten nicht. Eine junge Frau, die hinter einem Schalter sitzt, an dem es auch um Geld geht, begleitet mich und zeigt mir den Prozess. Alles perfekt, nur kann man hier wohl nur kleine Beträge abheben.

Die junge Frau erzählt, sie habe eine Freundin in Deutschland, eine deutsche Freundin. Spanischlehrerin. Die habe in der Schulzeit hier ein Austauschjahr verbracht, und der Kontakt habe sich gehalten!

Nach einem kurzen Frühstück im Café Colombia streife ich durch die Gegend. Das Wetter ist zu gut für das vorgesehene zweite Museum.

Ein Gebäude, das zwiespältige Gefühle auslöst, ist das Parlamentsgebäude. Sieht aus wie ein hoher Bunker, mit gräulichen Betonplatten auf 13-14 Stockwerken und nur ganz schmalen Lichtschlitzen. Sieht trotzdem beeindruckend aus, wenn man gegen den Himmel sieht.

Vor dem Museo Nacional die Statue, modern, in Bronze, eines Politikers, der nicht wie ein Politiker aussieht, José Figueres Ferrer. Er trägt eine schlapp sitzende Hose und abgelaufene Schuhe. Kein Jackett, keine Krawatte. Er hält auch nichts in der Hand.

Figueres ist eine bemerkenswerte Figur. Nach dem Bürgerkrieg wurde er zum Vorsitzenden einer provisorischen Junta, zu der Christdemokraten und Kommunisten gehörten – der „historische Kompromiss“, der in Italien nie gelang – und modernisierte die Verfassung, führte das volle Bürgerrecht und das Wahlrecht für alle ein, verstaatlichte die Banken und schuf den modernen costa-ricanischen Wohlfahrtsstaat. Und schaffte die Armee ab.     

In der Nähe des Parque Nacional ein bunt angemaltes Haus, starke Farben, einfache Formen, die ein Bild ergeben. Die Fenster und Türen sind sozusagen in das Bild mit einbezogen.

Etwas weiter das alte Bahnhofsgebäude. Von hier aus fuhren ursprünglich die Züge nach Puerto Limón. Der Zugverkehr an die Karibikküste wurde in den 1990er Jahren eingestellt, da ein Teil der Strecke bei einem Erdbeben zerstört und unter einem Erdrutsch begraben wurde. Seit 2005 arbeitet man an der Reaktivierung der Strecke.  

Im Park selbst die unvermeidliche Statue von José Martí und die Büste eines mexikanischen Präsidenten. Was hat der hier zu suchen? Nach der Loslösung von Spanien und noch vor der Gründung der Zentralamerikanischen Republik hat sich Costa Rica Mexiko angeschlossen.

Dann geht es ins Barrio Chino. Auf der Avenida 0 sind inzwischen Barrieren für den Umzug aufgestellt, von zahllosen Polizisten bewacht.

Am Eingang des Barrio Chino eine Skulptur, die drei Figuren zeigt, die sich um eine chinesische Säule herum gruppieren. Sie stehen für die kulturellen Errungenschaften Chinas. Eine Figur hält ein Buch in der Hand, eine eine Weltkugel und die dritte einen Kochtopf!

Dahinter die Kirche La Sociedad. Nichts Besonderes. Vor der Kirche, an Pfeiler angelehnt, zwei Figuren. Eine davon ist eine Heilige, die auf einem Propeller steht!

Ich gehe die Straße weiter runter und suche nach der Casa del Tornillo. Hier entlang der Straße reiht sich ein Lokal an das andere. Die Casa del Tornillo kennt keiner. Steht aber im Reiseführer. Hat an der Fassade eine große Schraube. Schließlich hilft mir ein Kalenderverkäufer. Die Casa del Tornillo gibt es nicht mehr. Gut zu wissen. Als ich zurückgehe, holt der Kalenderverkäufer mich plötzlich wieder ein und zeigt mir, wo das Haus früher stand!

Ich gehe zum Parque Morazán. Schöne Steinbänke, mit geschnitzten Löwenköpfen an den Enden. Auch hier eine ganze Reihe von Statuen und Büsten, darunter eine von Bolívar und die eines uruguayischen Politikers. Was dessen Verbindung zu Costa Rica ist, ist nicht herauszufinden.

Am schönsten in diesem Park aber eine moderne Skulptur, „El beso“, aus ganz glattem, schwarzen Material, das ein Liebespaar darstellt. Sie sitzen sich gegenüber, unbekleidet. Ihre Körper berühren sich ganz leicht. Sie hat ihn mit beiden Händen umarmt, er hat seine Hand auf ihren Hinterteil gelegt. Ihre Köpfe gehen aufeinander zu. Ihre Münder müssen sich im nächsten Moment berühren. Hier sind Zärtlichkeit, Innigkeit, Verbundenheit wunderbar ins Bild übertragen.

Zufällig komme ich an dem Gebäude vorbei, groß, ganz hübsch, in Altrosa, das mich dieser Tage an das Viktorianische England erinnert hat. Es ist ein Mädchengymnasium: Escuela de Mujeres steht oben an dem First.   

Nach einiger Suche finde ich auch noch die Casa Morazán. Dies war das Wohnhaus des berüchtigten Bananenbarons und Eisenbahnmagnaten Keith, von dem in der Geschichte Costa Ricas und ganz Mittelamerikas immer wieder die Rede ist.

Interessant gegenüber mehrere in bunten Kacheln dargestellte Alltagsszenen aus dem Leben der einfachen Leute, eine Marktszene, eine Verkaufsszene – Holz auf einem Ochsenkarren – eine Hochzeit, eine Briefszene. Man sieht ihn an einem Tisch sitzen und in der Ferne sie an einem Tisch sitzen. Sie schreiben sich gegenseitig und fangen ihre Briefe beinahe wortgleich an. Alle Kacheln haben Bildunterschriften. Die sind eine echte Herausforderung. Ich verstehe wenig, und bei der Marktszene gar nichts! Da sprechen die Leute aus dem Volk ihr ganz eigenes Idiom.

Auf dem Rückweg sehe ich auf der anderen Seite ein Schild, das auf einen öffentlichen Parkplatz hinweist. Parkeo Público. Das einst ungeliebte k findet immer mehr Eingang in die Orthographie, meistens in Eigennamen. Wirkt wohl cool, originell.

Ich komme an einem großen Lokal vorbei, das einen guten Eindruck macht und eine breite Speiseauswahl hat. Kann man hier mit der Kreditkarte bezahlen?  Ja, selbstverständlich! Und haben sie auch Bier? Ja, im Prinzip ja, sagt der freundliche junge Mann. Aber heute nicht. Heute nicht? Ja, wegen des Umzugs. Heute gilt die Ley seca. Alkoholausschank verboten.

Davon profitiert ein Lokal bei uns im Viertel. Das ist weit genug vom Zentrum entfernt und darf auch heute Alkohol ausschenken.

Als ich nach Hause komme, kniet Rita auf dem Boden, vor einem Heiligenbild. Im Hintergrund leise Musik. Sie betet. Sie betet für die Gesundheit ihres Enkels. Der hat keine lebensbedrohende Krankheit, aber eine Krankheit die ihm viel Pein bereitet, einen Art Hautausschlag. Der betrifft ihn an den Händen und um den Mund herum und hat den ganzen Rücken in Beschlag genommen.

15. Dezember (Sonntag)   

Rita geht am Morgen in die Kirche, wird aber rechtzeitig wieder da sein, um mich zu verabschieden. Was für eine Kirche? Die katholische. Ja, sie sei Katholikin. Es stimme, hier in Lateinamerika würden die Evangelikalen und andere freikirchliche Konfessionen immer beliebter. Das sei auch in Ordnung. Die katholische Kirche sei für die da, die drin bleiben wollen.

Ja, ihre Kinder seien zu selbständigem Denken erzogen worden. Zu Hause habe es immer Gespräche gegeben bei der großen Familie, und Kontroversen waren an der Tagesordnung. Die Kinder hätten ausdrücklich auch den Eltern widersprechen dürfen. Glückliche Kinder!

Zur Verabschiedung gibt sie mir ein Kärtchen und Süßigkeiten für unterwegs mit. Bin völlig baff.

Sie kommt mit raus, als Carlos vorfährt. Sie machen sich miteinander bekannt. Sie könne immer für Gäste einen zuverlässigen Taxifahrer gebrauchen, und wenn er mal einen Fahrgast hätte, der eine Unterkunft suche, hier sei eine.

Wir fahren zum Bahnhof, und Carlos erzählt mir, einer seiner Söhne lebe in Tschechien. Er sei als IT-Fachmann aus Costa Rica angeworben worden und sei inzwischen mit einer Arbeitskollegin, einer Philippinin, verheiratet. Inzwischen arbeite er schon nicht mehr bei der Firma, die ihn angeworben hat, sondern für die französische Eisenbahn. Es gehe ihm gut, er verdiene gut, aber die Preise seien auch entsprechend hoch.

Seine anderen Kinder mit Anhang hätten seinen Sohn mal dort besucht und seien danach auch nach Frankreich, Italien und in die Schweiz gereist.

Am Busbahnhof geht es ganz geregelt zu, und der Bus Richtung Quepos fährt pünktlich ab. Die Strecke ist flach, aber auf allen Seiten von Bergen umgeben.

Dann kommen wir an die Küste. Man hat einen wunderbaren Blick aufs Meer, aber nur kurz, dann geht es auf eine Landstraße abseits des Wassers.

Die Vegetation ist plötzlich anders. Bananen und Palmen und so dichtes Gewächs, dass die Zweige bis an die Scheiben des Busses heranreichen.

Dann kommen Palmölplantagen, kilometerweit, auf beiden Seiten der Straße, bis unmittelbar vor dem Ort. Die sind das Resultat einer vertrackten Entwicklung. Der Kaffeeboom stand am Anfang. Um den Kaffee in die weite Welt zu bringen, benötigte man eine Eisenbahnstrecke vom zentralen Hochland an die Küste. Das Projekt wurde 1871 einem US-amerikanischen Eisenbahntycoon anvertraut. Das Projekt endete beinahe in einem Desaster: Unfälle, Malaria, Kostenexplosion, Zahlungsunfähigkeit des Staates – es kam einiges zusammen. Das Projekt wurde aber am Ende abgeschlossen, 1890, aber die Betriebskosten konnten nie gedeckt werden. Bananen wurden zunächst am Rande der Eisenbahn als billige Nahrung für die Arbeiter angebaut. In seiner Not verschiffte der Investor eine paar Ladungen nach New Orleans, und die Amerikaner wurden wild auf die Bananen. Eine verlockende Geldquelle. Wälder der Tiefebene wurden in Bananenplantagen verwandelt, die Bananen übertrafen den Kaffee als erstes Exportgut Costa Ricas. Dann kam die Panamakrankheit, eine aggressive Pilzkrankheit, die die Bananen an der Wurzel angriff. Ein komplettes Desaster. Daraufhin verlegte man den Bananenanbau von der Karibik hierher, an den Pazifik. Aber auch hier schlug am Ende die Panamakrankheit zu. Dort, wo früher Bananen wuchsen, wachsen jetzt die Ölpalmen.

Wir kommen nach Quepos. Dort sehe ich gleich gegenüber dem Busbahnhof eine kleine Halle mit Geldautomaten. Es ist voll hier drin. Ich versuche mein Glück, bleibe aber irgendwo hängen. Ein junger Mann hinter mir bietet seine Hilfe an, aber ich bin erst ziemlich abweisend. Das sind die Situationen, wo man besonders vorsichtig sein muss. Aber er macht so einen netten Eindruck, dass ich sein Angebot am Ende doch annehme. Er führt mich durch den Prozess, und es stellt sich heraus, dass ich irgendwann nicht noch einmal auf die Schaltfläche Colones gedrückt habe. Das Geld kommt, ich bedanke mich, mit etwas schlechtem Gewissen wegen meines Misstrauens. Mein Koffer, den ich inzwischen aus den Augen verloren habe, steht auch noch am anderen Ende des Raums.

Ein Taxifahrer fragt, wo ich hinwolle. Er kennt das Haus und fordert genau den Betrag, den der Vermieter mir genannt hat. Der Taxifahrer ist sehr nett, sagt, viele seiner Kollegen kennten das Haus nicht, es sei nie ganz klar, was für einen Namen es habe. Das war mir bei der Buchung auch so gegangen. Er fährt extra von der Hauptstraße ab, um mir zu zeigen, wo ich am besten zu Fuß herlaufen kann.  

Wir kommen in ein richtig schönes Wohnviertel, aber da ist die Unterkunft leider nicht, sondern außerhalb, am Rande einer Durchgangsstraße. Der erste Eindruck ist fatal, man sieht nur einen heruntergekommenen Wellblechverschlag, aber die Unterkunft ist nebenan.

Wir sind kaum vorgefahren, schon erscheint Yoilin, die Gastgeberin, ein wahrer Wonneproppen. Sie führt mich die Treppe runter – steile Treppe ohne Geländer – und spricht dabei ununterbrochen. Am Ende der Treppe kenne ich schon ihren halben Lebenslauf.

Das Apartment ist phantastisch, mit eigenem Bad und voll eingerichteter Küche. Yoilin zeigt mir, wie man den Gasherd bedient. Man braucht keine Streichhölzer, die Flamme entsteht wie von selbst.

Alles ist mit Liebe zum Detail hergerichtet. Die Handtücher sind zu einer Schlange gefaltet und mit einer Sonnenblume geschmückt. In einer Obstschale ein Begrüßungsgruß und Äpfel und Bananen als Begrüßungsgeschenk. Auf dem Regal ein Blümchen, und im Badezimmer auch. Sogar die Umrandung des Spiegels ist mit einer Blumenkette geschmückt. Künstliche Blumen allesamt, aber schöne Details. Das Klopapier ist so gefaltet, dass man kaum wagt, es auseinanderzufalten.

Yoilin fragt nach meinen Plänen und bietet Vermittlung für Ausflüge an. Vor allem geht es um Manuel Antonio, den Nationalpark. Sie sagt, ich könne versuchen,  selbst eine Eintrittskarte zu lösen – auf jeden Fall vorher online buchen – aber es könnte sein, dass ich nichts bekommen würde. Die Reiseunternehmen kauften das ganze Kontingent auf, so dass man bei ihnen buchen müsse.

Sie zeigt mir einen Stadtplan von Quepos und spricht dabei unablässig. Ist mir alles ein bisschen viel, aber eins weiß ich jetzt definitiv: Quepos ist klein. Das betont sie immer wieder.

Sie zeigt mir, wo die Küstenpromenade ist, der malecón, und die Marina. Dort müsse ich mir unbedingt den Sonnenuntergang ansehen. Der beginne um 17.10.

Mit dem Schwimmen sieht es mau aus. Im Meer selbst kann man nicht schwimmen – wegen der Krokodile! Aber es gibt irgendwo eine Lagune, in die sie – angeblich – nicht reingehen. Schließfächer oder Aufbewahrungsorte gibt es nicht.

Am Nachmittag gehe ich in den Ort runter. Und verlaufe mich prompt. Der Weg ist gesäumt von aggressiv bellenden Hunden. Die sind nicht herrenlos, sondern unbeaufsichtigt. Ihre Herrchen rufen sie zur Ordnung, aber ohne Erfolg.

An einem Fluss ein Schild, das Yoilins Warnung bestätigt, zweisprachig: Krokodile, bitte nicht schwimmen, bitten nicht füttern.

Das Schild ist auch sprachlich interessant. Dem englischen crocodiles  entspricht das spanische cocodrilos. Da ist das r gewandert, hat sich einen neuen Platz gesucht. Metathese. Gibt es schon mal öfter. Haben wir auch in Brunnen und in frisch und in Bottrop.

Irgendwann komme ich dann doch zum Ufer. Schöne Sicht aufs Meer, aber ansonsten nichts Besonderes. Am Wasser ein Schild, das Verhaltensmaßregeln für den Fall eines Tsunamis gibt.

Die Marina ist das Gegenstück dazu, allzu fein herausgeputzt, mit Läden und Lokalen, die schon teuer aussehen. Im Wasser eine Yacht neben der anderen – alle strahlend weiß.

Als ich nicht so richtig weiß, durch welche Lücke ich zur Marina komme, gibt ein Mann mir nicht einfach Auskunft, sondern geht ein paar Schritte mit mir zurück, zeigt mir die Treppe, über die ich gehen muss und erklärt mir, welche Geschäfte und Restaurants dort zu finden sind.

Dann stoße ich auf den Supermarkt Pura Vida. Das ist aber nicht der, von dem Yoilin gesprochen hat. Dessen Name ist mir entfallen. In der Zwischenzeit habe ich aber meinen Einkauf in einem Minimarkt unterwegs gemacht, sündhaft teuer. Eine normale Konserve kostet 5 $!

Ganz in der Nähe ein Gebäude, nach oben strebend, hochmodern, in Silber und Blau, sieht wie der Sitz eines erfolgreichen Unternehmens aus. Es ist aber eine Kirche! Ganz oben ist der Name zu lesen: Iglesia la Luz del Mundo.

Zu Hause versuche ich, eine Eintrittskarte für den Parque Nacional Manuel Antonio zu kaufen. Es wird einem so schwer wie möglich gemacht. Für den Anfang kommt man erst gar nicht auf die Website des Parks, sondern auf Tourenanbieter, und auf deren Websites wird man immer wieder zurückgeleitet. Dann muss man ein kompliziertes Formular ausfüllen, einschließlich Adresse und Telefonnummer in der Heimat, Handynummer, Mailadresse und Reisepassnummer. Das Kontingent für einige Tage ist bereits ausverkauft, an andern Tagen gibt es nur zu bestimmten Uhrzeiten was. Und wenn man dann doch was gefunden hat, werden natürlich noch die Daten der Kreditkarte abgefragt. Als ich die Hoffnung schon fast aufgegeben habe, klappt es doch noch.

Überhaupt wird das Internet immer schlechter, man kommt fast nur noch auf kommerziell betriebene Seiten. Selbst Wikipedia ist runtergerutscht. Häufig bekommt man Angebote, nach denen man gar nicht gesucht hat. Man will zu einem Museum und bekommt eine Unterkunft angeboten. Und dann gibt es Suchanfragen, die positiv beantwortet werden, zum Beispiel nach Flügen oder Bussen, aber wenn man dann auf die Seite der Anbieter geht, stellt sich heraus, dass sie gerade für diese Strecke keine Angebote haben. Ich will nach Caracas, und sie schicken mich nach Miami.  

16. Dezember (Montag)

An der Tür des Apartments steht No Fumar en el departamento. Wieder was für meine Sammlung. Ich erinnere mich noch, wie mich das Wort departamento in Mexiko verwirrt hat. Wie um mir zu sagen, dass die Dinge in der Sprache immer etwas komplizierter sind als man meint, treffe ich im Laufe des Tages noch auf dieses Schild: Se alquilan apartamentos.

Es ist richtig heiß heute, zu Hause läuft die Klimaanlage, draußen läuft die Sonnencreme das Gesicht runter.

Der Weg zum Ort hat es in sich, nicht wegen der Hunde heute, sondern wegen der Autos. Die Straße ist eine Durchgangsstraße und hat keinen Bürgersteig und nicht einmal einen Seitenstreifen.

Diesmal komme ich auf einem etwas direkteren Weg in den Ort. Ich finde den Weg zum Busbahnhof und kaufe eine Karte für die Rückfahrt nach San José. Es gibt Verständnisschwierigkeiten, ich weiß nicht, was die junge Frau von mir will. Am Ende erweist sich, sie will wissen, ob ich die Fahrt in Quepos antrete. Das habe ich als selbstverständlich angenommen. Und dann bekomme ich die Höchststrafe: Statt mir den Preis zu nennen, zeigt sie ihn mir auf dem Taschenrechner.

Ich gehe weiter und werfe einen Blick in den Fluss, um zu sehen, ob ich ein Krokodil entdecken kann. Kein Ergebnis.

Und dann liegt plötzlich direkt vor mir auf dem Bürgersteig ein Leguan. Reglos. Kein kleines Tier. Aus der anderen Richtung kommt ein Mann, und der geht seelenruhig weiter. Ich wechsele lieber die Straßenseite.

Schon bevor man es sieht, riecht man das Meer. Das zeigt sich heute von seiner schönsten Seite. Durch die Zweige der Bäume, die man für Farne halten könnte, wenn sie keine Bäume wären, hat man einen phantastischen Blick in die Ferne.

Unten werden gerade Straßensperren abgebaut. Hier hat gestern ein Triathlon stattgefunden. Ich befinde mich 20 Meter vor dem Ziel. Wo die wohl geschwommen haben?

Auf einem Schild sehe ich einen Mangrovenwald eingezeichnet, gleich an der Küste. Ich frage ein Ehepaar, wie man dahin komme. Wir reden etwas aneinander vorbei. Dann klärt sich die Sache auf. Ich habe ein Detail übersehen: Der Mangrovenwald liegt auf einer Insel! Die beiden weisen nach rechts. Da hinten fahren die Boote ab.

Wo ich gerade dabei bin, frage ich gleich, wo man hier schwimmen kann. Nirgendwo. Hier könne man nicht schwimmen, hier sehe man nie jemanden im Wasser.

Ich folge ihrem Hinweis und komme zu einem schönen Lokal, der Bahía Azul. Der Kellner erklärt mir, wie ich zu der Anlegestelle komme. Ich muss eine schmale, abseits gelegene Straße runter. Da geht es irgendwann nicht mehr weiter. Eine winzige, spindeldürre ältere Frau kommt des Weges. Nein, ganz falsch. Ich müsse wieder zurück, und die ganze Strandpromenade entlang. Sie meint die Marina, versteht aber nach einigem Hin und Her, dass ich die Bootsanlegestelle meine. „Las lanchas“, sagt sie mit Bezug auf die Fähre. Da könne ich gleich mit ihr kommen. Sie fährt auch auf die andere Seite. Diese Fähre fährt gar nicht zu dem Mangrovenwald, aber egal, wenn ich schon einmal hier bin, fahre ich mit.

Die Fähre ist altertümlich, und ehe ich’s mich versehe, sind wir schon am anderen Ufer angekommen. Der Ort heißt El Cocal. Moment mal, davon hat Yoilin gesprochen.

Hier ist man in einer anderen Welt, alles ganz dörflich, einfach, ärmlich. Entlang einer Schotterpiste stehen kleine Häuser, die gerade gut genug sind, um darin zu wohnen.

An dem Gitter vor einem der Häuser hängt ein erstaunlich modernes Plakat, das für etwas wirbt, was ich nicht verstehe. Hat irgendwas mit Costa Rica und Nicaragua zu tun. Aber interessant ist es alle Male: Se paga 85 veses. Tica & Nico. Pago inmediato y vaz jugando tu suerte. Lateinamerikanische Orthographie: Wo ein c hingehört, steht ein s, wo ein s hingehört, steht ein z!

Am Ende der Schotterpiste ein Palmenhain, durch den man auf den Strand sieht. Der ist wunderbar, reiner Sandstrand, streckt sich hin, soweit das Auge blickt. Klares Wasser. Jetzt schwant mir was: Kann man hier schwimmen? Ist das der Ort, von dem Yoilin gesprochen hat? Aber im Wasser ist keiner, und am Strand auch nicht.

Ich frage eine Frau und einen alten Mann, die gemütlich auf Klappstühlen unter den Palmen sitzen. Ja, natürlich, hier könne man schwimmen. Nein, hier gebe es keine Krokodile. Hier kämen oft Leute zum Schwimmen hin.

Habe sowieso keine Ausrüstung dabei, aber lieber wäre mir ohnehin, wenn ein paar Badende da wären, damit die Krokodile wenigstens eine Auswahl hätten.

Zurück geht es mit der Fähre. Der Fährmann öffnet meine Wasserflasche. Mir fehlt die Kraft dazu.

Kurz danach sehe ich an einem Haus ein Schild, das ich nicht verstehe: Hay apretados. Und später, im Ort, ein Schild, auf dem Cabinas Alicia steht. Auch unklar. Könnte sich um Ferienwohnungen handeln, der Häufigkeit des Vorkommens nach zu urteilen.

Jetzt geht es zurück zur Bahía Azul. Sah zu verlockend aus, eine große, überdachte Terrasse unmittelbar am Meer. Zwei junge Frauen, die ich nach dem Weg frage, wollen mich in ein Taxi setzen und nach Manuel Antonio schicken. Schließlich stellt sich heraus, dass der Fehler bei mir liegt. Ich habe nach dem Agua Azul statt nach der Bahía Azul gefragt.

Am Eingang zu dem Restaurant noch ein interessantes Schild: prohibido fumar/vapear. Ein neues Wort, für das Rauchen von E-Zigaretten.

In der umfangreichen Speisekarte des Lokals stehen hintereinander Arroz con camarones und Camarones con arroz. Das ist 500 Colones teurer.

Ich nehme Reis nach Art des Hauses. Beim Bier stehen auf der Speisekarte keine Preise! Clever. Auf Nachfrage erfahre ich: 1.500 Colones. Für eine kleine Flasche Bier, 3 $! Wer lange durch Mittelamerika reisen will, sollte seinen Aufenthalt in Costa Rica kurz halten.

Das Tütchen mit Mayonnaise bekomme ich nicht auf. Als ich den Kellner um Hilfe bitte, bringt er mir eine Schere!

Der Himmel über dem Meer ist voller Vögel, Möwen im Vordergrund und ebenso große schwarze Vögel, die elegant durch die Luft gleiten, weiter hinten. Auf dem Geländer vor mir landet hin und wieder ein kleinerer schwarzer Vogel, wie eine Amsel, aber dünner und größer.

Im Ort suche ich nach einem Lokal, das mir gestern aufgefallen ist. Dort trinke ich einen Kaffee. Alle Kellnerinnen sind blutjung und schlank, alle sind uniformiert und alle sind tätowiert, und alle tragen eng geschnittene, um mindestens zwei Größen zu kleine Hot Pants.  

Meine Aufmerksamkeit gilt aber dem Schild an der Wand: Spanish in Costa Rica in 10 seconds: Hi = Pura Vida, I’m fine = Pura Vida, Thank you = Pura Vida, Yes = Pura Vida usw.

Auf dem Weg zurück finde ich dann endlich den Supermarkt, von dem Yoilin gesprochen hat: Palí. Brauche dringend Nachschub mit Wasser.

17. Dezember (Dienstag)

Seit Tagen frage ich mich schon, woher das komische Gefühl resultiert, das man empfindet, wenn man hier durch das Zimmer geht. Jetzt fällt der Groschen: Der Boden ist abschüssig. 

Beim Verlassen des Hauses stoße ich auf Yoilin. Das mit der Fähre zum Mangrovenwald könne ich vergessen, die gebe es nicht. Dorthin führen nur Ausflugsschiffe, für Touristen. Sie will sich nach den Preisen erkundigen.

Ja, in Cocal könne man schwimmen, aber das war nicht, was sie mir erzählt hat. Sie meinte den Parque Nahomi, hinter der Marina.

Dahin mache ich mich dann auch gleich auf den Weg. In der Innenstadt komme ich an einem SP vorbei. Das ist ein Servipagos, einer Stelle, wo man seine Rechnung für Strom und Gas und wohl auch für Telefon bezahlt. Das wird noch überall in Mittelamerika persönlich erledigt.

Immer wieder verblüffend die Immunität der Lateinamerikaner gegenüber dem Krach. Auch an diesem ganz normalen Vormittag in der Woche dröhnt aus jedem zweiten Geschäft laute Musik mit Werbesprüchen auf die Straße und die Aufforderung, unbedingt reinzukommen. Hier biete sich einem die Chance des Lebens.

Unten an der Uferpromenade stehen Polizisten, eine Frau und ein Mann. Oder sind es Soldaten? Sie tragen keine Waffen, nur einen Gummiknüppel und ein Funkgerät, aber auf ihren Westen steht Fuerza Pública. Sie stehen untätig in der Gegend rum. Sie erfüllen ihre Aufgabe vermutlich durch ihre pure Präsenz.

Etwas weiter auf der Promenade kommt mir ein hüpfender Mann entgegen. Der lacht mit seiner Freundin, die ihn begleitet. Im Pflaster ist Himmel und Hölle eingezeichnet, besonders schön, mit hellen Kreidefarben und Symbolen neben der „Leiter“.

Hinter der Marina muss ich abbiegen, in die falsche Richtung sozusagen, vom Meer weg. Dann kommt man zum Parque Nahomi – und ist sofort überwältigt. Blicke aufs Meer wie aus der Reisebroschüre.

Der Parque Nahomi ist nicht auf einer Insel, wie ich dachte, sondern auf einer Halbinsel gelegen. Die geht wie eine Landzunge ins Meer. An der Längsseite ist das offene Meer, an beiden Querseiten eine Bucht. Das Wasser  schimmert grün in der Sonne, die Wellen krachen an die Felsen und spülen die strahlend weiße Gischt an die Küste. Im Wasser schwarze Felsbrocken, oben Palmen, an den Steilhängen Bäume mit dichtem Laubwerk.

Eine städtische Gärtnerin, die gerade hier das Laub aufsammelt, bietet an, auf mein Handy und mein Portemonnaie aufzupassen.

Ja, hier könne man ohne weiteres schwimmen, hierher kämen die Krokodile nicht, versichert sie mir. Genauso ein Elternpaar, das gerade mit den Kindern aus dem Wasser kommt. Hoffentlich wissen die Krokodile auch, dass sie hier nichts zu suchen haben.

Mit dem Schwimmen ist es allerdings gar nicht mal so einfach. Der Strand ist voller Steine, das Wasser ist am Anfang ganz seicht, die Strömung spült einen immer wieder an den Strand zurück. Wer hat sich eigentlich den Namen Pazifischer Ozean ausgedacht, wenn der selbst hier in der Bucht so gewaltig ist? In der Schule hieß er sogar Stiller Ozean.

Statt Schwimmen muss man sich damit begnügen, auf den Wellen zu reiten. Und muss dabei aufpassen, nicht hinausgetrieben zu werden.

Außer mir ist keiner im Wasser, aber dann kommen ein paar Kajakfahrer in Sicht. Sie müssen Profis sein, mit großer Sicherheit steuern sie ihre Kajaks an den Strand. Und gehen über die Steine den Strand rauf, als wenn sie über einen Teppich liefen.

Dann taucht ein Gesicht im Wasser auf. Eine Schwimmerin nähert sich aus einiger Entfernung dem Strand, und dann sehe ich weiter draußen noch einen Kopf, schon am Ende der Bucht.

Oben im Park gibt es Fitnessgeräte. Ich suche mir das leichteste aus und lasse mich in der Sonne trocknen.

Die Gärtnerin hat bestens auf meine Sachen aufgepasst, und ich kann den Rückweg antreten.

Wieder stoße ich auf das Schild Se venden apretados. Diesmal mit Bild. Erst denke ich, dass es sich um Würste handelt, weil die Verpackungen so aussehen. Aber in einigen dieser „Würste“ verstecken sich Erdnüsse, in anderen Erdbeeren!

Am Ende der Innenstadt ein Pizzaservice. Ich nehme eine Pizza mit nach Hause. Und muss nachfragen, als die Frau hinter der Theke den Preis nennt. Habe ich richtig gehört? Ja. 25 $!!!!! Eine bleibende Erinnerung. Diese Quittung muss ich aufbewahren.  

Als ich mich die Straße raufquäle, lässt sich gleich neben mir auf einem Zaun ein Raubvogel nieder. Schwarzes Gefieder, breite Schwingen, ein bläulich-rötlicher Kopf. Vermutlich ein Geier. Lässt sich durch nichts beeindrucken und lässt sich ohne weiteres photographieren.

18. Dezember (Mittwoch)

Mit dem Linienbus geht es nach Manuel Antonio. Hier sind fast nur Ausländer an Bord. Am Wegesrand liest man Beach Front, Horse Riding, Welcome Center und Happy Hour.

Kurz vor der Einfahrt in den Ort kommt das Meer in Sicht und im Ort selbst ein Sandstrand – wie aus dem Bilderbuch.

Schlange stehen muss man auch dann, wenn man schon eine Eintrittskarte gebucht hat, aber an der Kasse geht es dann schnell.

Plastikflaschen darf man nicht mit reinnehmen. Die Affen grapschen danach. Davon profitieren die Straßenverkäufer. Sie bieten Wasser in Aluminiumflaschen an.

Es gibt verschiedene Pfade durch den Nationalpark. Einige davon enden an einem Strand, alle genauso toll wie der im Ort.

Die „Ausbeute“ an Tieren fällt mager aus, was auch daran liegt, dass ich blind dafür bin. Ein Führer zeigt seiner Gruppe eine Echse, ein Basilisk – „Das Weibchen!“ – auf einem Stein im Wasser sitzend. Alle sehen sie früher oder später, nur ich nicht.

Nicht zu übersehen sind die Kapuzineräffchen. Die turnen auch auf dem Gelände rum. Mütter tragen ihr Junges auf dem Rücken. Auf ein Photo bekommt man sie aber auch nicht, sie sind einfach ständig in Bewegung.

Genauso ein Tier mit buschigem Schwanz und langem Rüssel, vielleicht ein Waschbär, der ständig mit Fressen beschäftigt ist und sich von einer Pflanze zur anderen fortbewegt.

Später sieht man ganz oben auf einem Baum, halb vom Laub verdeckt, ein Faultier. Man erfährt etwas über den Unterschied zwischen Zweifingerfaultier und Dreifingerfaultier, eins nachtaktiv, eins tagaktiv. Das Dreifingerfaultier ist ständig auf den Bäumen. Es kommt nur runter, um seine Notdurft zu verrichten, alle acht Tage einmal! Es deponiert den Kot dann gleich unten am Baumstamm, als Dünger sozusagen.

Gut sehen kann man kleine Krebse mit auffallend roten Fühlern. Sie bewegen sich kaum, liegen eher teilnahmslos in der Gegend herum.

Besser als all das gefällt mir die Vegetation. Die Wurzeln der Bäume bilden Schaukeln, schlängeln sich am Boden entlang, wachsen von oben herunter.

Ein Baum mit auffallend glattem, rotbraunen Stamm, der schnurstracks in die Höhe wächst, gefällt mir besonders.

Man passiert auch einen Mangrovenwald. Merkwürdigerweise sieht man gerade hier vertrocknete Bäume.

Es gibt eine bestimmte Palmenart – das kann man hier wunderbar sehen – deren Bäume so dicht beieinander wachsen, dass sie eine fast undurchdringliche Mauer bilden. Dennoch versuchen einige Tiere, die Mauer zu durchdringen, um an die süßen Früchte der Palme zu kommen. Diese Palmengattung heißt Bactris, wie ich nach längerer Recherche im Internet herausfinde.  

Eine längere Erklärung gibt es zu den verschiedenen Formen von dem, was hier gambas heißt. Auch da dauert es was, bis ich das deutsche Pendant finde: Brettwurzel. Eigentlich zur Genüge bekannt, vor allem von den Kapokbäumen. Trotzdem interessant, hier mal eine Erklärung zu bekommen. Die Brettwurzeln, das sind die sternförmig um den Stamm angeordneten überirdischen Wurzeln, die wie Rippen aussehen. Sie können Mannshöhe erreichen und noch viel mehr. Sie dienen dem Baum als Stützpfeiler, sorgen dafür, dass es in die Höhe wachsen kann, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Das ist nötig wegen des sumpfigen Bodens der tropischen Regenwälder. Daher sieht man sie bei uns fast nie. Hier wird gambas ganz weit gefasst und bezieht sich auch auf die von oben herunterwachsenden Wurzeln, die wie Anker wirken. Aber auch auf dickere, rundliche Formen, die sich vom Stamm selbst wegbewegen.

Das schönte Photo des Tages ist am Ende nicht von eine Tier, sondern von einem Blatt – oder einem Pilz – der weiß und mit feinen roten und schwarzen Adern durchzogen ist.

Der beste Pfad ist einer, der zu einem Wasserfall führt, einem Wasserfall, den es gar nicht gibt, jedenfalls nicht zu dieser Jahreszeit. Auf diesem Pfad ist es ganz still, die hohen Bäume, das bunte Durcheinander, der dichte Bewuchs, lassen das Gefühl aufkommen, im Urwald zu sein.

Eine Französin macht mich, ganz leise sprechend, auf ein Tier aufmerksam, das sich im Gebüsch versteckt. Kein Eichhörnchen, aber so was von der Art, nur größer. Man hört die Knackgeräusche bis zu uns.

Auf dem Weg soll es Schlangen geben, ich bekomme aber keine zu sehen. Auf Schautafeln geht es um den Unterschied zwischen Giftschlangen und ihrem Pendant, den nicht giftigen Schlangen. Die heißen auf Englisch snakes, auf Spanisch culebras, habe runde Pupillen und große Schuppen, die anderen heißen vipers auf Englisch, víboras auf Spanisch, haben senkrechte Pupillen und kleine Schuppen. Gut zu wissen, werde mir das aber kaum merken können. Und dann ist da ja noch die Frage, was im Englischen mit serpents gemeint ist.

Am Ende gibt es den Wasserfall doch. Es hat wohl noch genug geregnet in den letzten Wochen.

In die einsame Betrachtung des Wasserfalls platzt ein US-amerikanisches Ehepaar herein, uralt. Sie sagt, sie bewundere die vielen Europäer, die so gut Englisch sprächen. Sie habe keine Fremdsprache nötig, verkündet sie stolz. Wo auch immer sie hinfahre, überall spreche man Englisch. Eine ganz schön beschränkte Sicht von Sprache, aber auf die Diskussion lasse ich mich natürlich nicht ein.

Am Ende gehe ich zum Strand runter und laufe durchs Wasser. Zum Abkühlen. Das geht tatsächlich, das Wasser ist erstaunlich kühl.

Auf dem Rückweg fällt mir im Bus die ingeniöse Vorrichtung des Busfahrers für Kleingeld auf. Muss wohl aus Schaumstoff sein, aber aus besonders festem Schaumstoff. In der Mitte befinden sich Spalten, in die die Münzen, fein säuberlich voneinander getrennt, gesteckt werden. Am Rand befinden sich kleine Kästchen, da gehen die Münzen erst mal alle durcheinander rein, um später geordnet zu werden.     

19. Dezember (Donnerstag)

In den Gesprächen hier ist jetzt oft von dem beginnenden Sommer die Rede. Der wird wohl mit der Trockenzeit gleichgesetzt. Die Regenperiode ist der Winter. Die Wörter Frühling und Herbst sind noch nicht gefallen.

Es ist schon Nachmittag, als ich heute den Fuß vor die Haustür setze. Ich gehe zur Marina runter. Im Hafen liegen die Yachten dicht an dicht. Ich sehe nur eine einzige, die sich irgendwann in Bewegung setzt.

Weit gehen kann man nicht, zur einen Seite beginnt das Revier des Yachtclubs, zur anderen ist der Durchgang verboten.

An der Promenade ersteht ein mehrstöckiges Haus mit Balkonen zum Meer hin. Wahrscheinlich ein Hotel. Dort wird auch jetzt noch gearbeitet.

Gleich hinter der Straße ist eine Yacht aufgebockt. Zur Reparatur oder Wartung vermutlich. Dahinter stehen in einem offenen Lager, fein säuberlich auf die Stockwerke verteilt, weitere Yachten, die darauf warten, dass sie an die Reihe kommen.

Ich esse ein Eis. Das schmeckt hervorragend. Italienische Qualität. Aber es hat auch seinen Preis. 2.800 für zwei Kugeln, 5,60 $.

Der Sonnenuntergang ist hier ein richtiger Event. Die oberen Terrassen der Lokale zu beiden Seiten füllen sich, und unsere Treppe wird auch immer voller.

Ein Ehepaar spricht mich an. Ob ich Englisch spreche. Ob ich ein anderes Wort für monkey kenne. Da kann ihnen geholfen werden.  „Apeman“ von den Kinks, von Anno Dazumal, dient als Gedächtnisstütze. „I don’t feel safe in this world no more / I don’t want to die in a nuclear war / I want to sail away to a distant shore / and live like an apeman.” Ich singe aber nur leise in mich hinein. Die beiden wollen auch noch den Unterschied zwischen monkey und ape wissen.

Sie haben eine Zeitlang in den USA gelebt, in New Jersey. Sie würden auch gerne mal wieder in die USA reisen, aber das mit dem Visum sei so kompliziert.

Hinter ihnen sitzen zwei Mädchen, Teenager. Ihre Töchter. Zwei Söhne haben sie auch. Die seien aber schon aus dem Haus. Gott sei Dank. Eins der Mädchen ist in Spanien gewesen. Malaga, Madrid und … das mit den Stierkämpfen. Sevilla? Ja, Sevilla. Hat ihr sehr gefallen, sagt sie, und sieht mich dabei mit einem offenen Lächeln an, wie man es von einem Teenager in Deutschland nie und nimmer bekommen würde. Die Reise war ein Geschenk zum 15. Geburtstag. Los quince.

Die Eltern reisen auch gerne, aber immer mit Pauschalreisen. Der Mann sagt, er könne sich das gar nicht vorstellen, dann komme man in eine fremde Stadt, und dann?

Costa Rica sei ein besonderes Land, wegen seiner Naturschönheit. Aber das würden die Leute von hier gar nicht richtig schätzen.

Das mit den Preisen sehen sie auch so, die seien wirklich hoch. Aber es gebe viele regionale Unterschiede. Da, wo sie wohnten, zwei Stunden von hier, sei es nicht so teuer. Aber Quepos sei eben ein touristischer Ort.

Wie von Yoilin prophezeit, beginnt der Himmel um 17.10 sich zu verfärben. Hinten erscheint ein erster roter Streifen. Aber der Sonnenuntergang ist eine halbe Sache. Wir sehen nicht nach Westen.

Vor uns tritt eine Tanzgruppe auf. Sehr schöne Kostüme, schwarz, mit Silberstreifen, und roten Bändern und Schärpen. Männer und Jungen mit Hüten, Frauen mit langen Kleidern. Sie sehen allesamt wie Sevillanos aus. Aber der Tanz passt nicht ganz zu den Kostümen, und die Musik, schlagerartig, passt weder zum Tanz noch zur Musik.

Lichter spielen auch hier in den Tropen eine große Rolle, obwohl die Dunkelheit die Weihnachtszeit nicht so bestimmt wie bei uns. Hier unten hat man einen riesigen Weihnachtsbaum mit Lichtern aufgestellt und ein paar andere ziemlich kitschige Figuren daneben. Das entspricht den ästhetischen Vorstellungen der Latinos. Den größten Applaus bekommen folgerichtig zwei Tänzerrinnen, die mit beleuchteten Flügeln auftreten.

Das etwas mulmige Gefühl, das ich hatte bei dem Gedanken, in der Dunkelheit am malecón entlang zu gehen, verflüchtigt sich in dem Moment, wo ich da bin. Es geht noch sehr familiär zu. Kinder auf Rollern sind unterwegs, Familien, Touristen, Liebespaare.

Die guacamayos machen einen unsäglichen Krach  in den Bäumen, aber sehen tut man sie nicht.

Im Supermarkt erklärt mir die Frau an der Kasse, dass ich auf die Flaschen Pfand zahlen müsse. Ob ich damit einverstanden sei. Offensichtlich ist das noch neu hier. Sie bittet mich, dass einem Amerikaner an der anderen Kasse zu erklären. Der ist ebenfalls erstaunt. Hat wohl kaum was anderes erwartet.  

20. Dezember (Freitag)

Am frühen Morgen schiebe ich meinen Koffer den Berg runter Richtung Busbahnhof. Jetzt kann man die zankenden guacamayos mit ihren langen roten Schwänzen und dem bunten Gefieder in den kolumbianischen Nationalfarben, nicht nur hören, sondern auch sehen. Über Tag verschwinden sie dann komplett.

Ich bin rechtzeitig, um am Busbahnhof noch ein Frühstück zu bekommen. Sehr freundliche Bedienung. Als sie das Frühstück serviert, fragt sie, ob ich Chili dazu haben wolle. Ist hier Standardfrage.

Der Bus soll um 7.30 abfahren, aber um diese Zeit ist noch nichts von ihm zu sehen. Ich hatte erwartet, dass er hier eingesetzt wird. Er kommt aber aus Manuel Antonio, mit einer halben Stunde Verspätung.

Dann, als wir abfahrbereit sind, gibt es Gerangel um die Sitzplätze. Zwei Frauen haben dieselbe Platznummer. Der Busfahrer, schon abfahrbereit, muss einschreiten. Es stellt sich heraus, dass die Fahrkarte von einer der Frauen für den 8.15 ist. Sie muss raus, dieser Bus sei voll, sagt der Fahrer. Jetzt muss er erst einmal den Koffer der Frau aus dem Kofferraum holen. Die Frau neben mir stellt fest, dass sie auch im falschen Bus sitzt. Sie rührt sich aber nicht. An der nächsten Haltestelle kommt prompt ein Mann, der den Platz für sich fordert. Komischerweise findet die Frau einen neuen Platz. Für mich ist das ein schlechter Tausch. Der Mann neben mir ist schwergewichtig und nimmt anderthalb Plätze ein. Und er führt unentwegt, aber wirklich unentwegt Telefongespräche.

Es geht langsam voran, wir haben Lastwagen vor uns, die wir nicht überholen können, und bleiben an Baustellen stehen. Immer wieder versuche ich, eine Entfernungsangabe nach San José zu finden und zu kalkulieren, ob ich dort den Anschluss noch bekomme.

Dann sind es irgendwann noch 20 Kilometer nach San José, dann 12. Als wir nach San José reinkommen, geht es zügig weiter, aber dann bleiben wir im Stau stehen. Dann geht es in ständigem Wechsel weiter, mal schnell, mal langsam, und genauso ändert sich meine Stimmung, zwischen Bangen und Hoffen. Zu allem Übel gibt es auch noch ein paar Haltestellen in San José, bevor wir zum Busbahnhof kommen. Jedes Mal, wenn wir abbiegen, bilde ich mir ein, die Stelle wiederzuerkennen. Da muss doch der Busbahnhof sein. Ist er aber nicht.

Als wir ankommen, ist es 11.45. Um 12.00 fährt der Bus nach Cahuita, aber nicht von diesem Busbahnhof.

Ich warte, bis mein Koffer frei ist und laufe zum Taxistand.  Wir kommen gut durch. Um 12.02 sind wir an dem Busbahnhof. In dem Moment fährt ein Bus aus der Halle raus, aber man kann nicht sehen, wohin er fährt.

Ich steige aus und werde von einem Taxifahrer angesprochen. Ich sage, ich wüsste nicht, ob ich am richtigen Busbahnhof sei und erzähle alles Geschehene. Er unterbricht mich und sagt, verdammt noch mal, sag, wo du hin willst. Cahuita. Das ist der Bus, der gerade rausgefahren ist. Er dirigiert mich zu seinem Taxi und sagt, den holen wir ein. Wir setzen uns ins Taxi und er holt sein Handy raus. Er spricht mit dem Busfahrer. Der sagt, der Bus sei voll, aber mein Taxifahrer sagt, ich hätte eine Fahrkarte. Ja, stimmt, ein reservierter Platz sei nicht eingenommen worden. Der Taxifahrer drückt auf die Tube. Schnell sagt er mir noch, er müsse 5.000 nehmen, denn wir würden den Bus nicht mehr innerhalb der Stadt einholen. Dann müsse er auf der Landstraße, la pista, weit rausfahren, um wieder in die Stadt zu kommen. Natürlich bin ich einverstanden, ich habe in Gedanken schon das Geld für eine weitere Übernachtung ausgegeben.

Wir überholen den Bus und kommen auf die pista. Dort bleiben wir an einer Haltestelle stehen. Der Taxifahrer winkt dem sich nahenden Busfahrer zu. Der ist schon auf der Überholspur, zieht aber rüber und nimmt mich auf. Koffer in den Kofferraum, und los geht’s!

Eine Frau muss den Platz räumen, den ich reserviert habe, aber sie muss wohl hinten im Bus noch einen Platz finden, das kann ich aber nicht sehen.

Neben mir eine junge deutsche Frau. Sie ignoriert mich, erwidert nicht einmal meine Begrüßung. Was für ein Unterschied zu den Leuten hier. Angesichts der langen bevorstehenden Fahrt nehme ich ein Buch von Nadine Gordimer raus. Und lese auf einer der ersten Seiten: „Like all the girls that age, she never looked at you.”

Als wir aus San José raus sind, ändert sich die Landschaft: hohe Berge in Nebelschwaden, bis zum Gipfel mit Bäumen bewachsen, Nieselregen. Es geht durch einen Tunnel.

Das ist die Hochebene. Als es dann auf die Küste zugeht, ändert sich wieder alles. Flache Strecke, Bananenplantagen. Die Bananenstauden sind hier kurz gehalten und kontrastieren mit den hohen, wild wachsenden auf der anderen Seite.

Wir kommen nach Puerto Limón. Dort liegt ein Kreuzfahrtschiff im Hafen.

Am Ortsausgang ein Friedhof, riesengroß, auf beiden Seiten. Alle Gräber sind weiß und ohne jeden Blumenschmuck.

Wir passieren verschiedene Flüsse, darunter den Río Banano.

Dann kommt das Meer in Sicht, dann verschwindet es wieder, dann kommt es in Sicht, dann verschwindet es wieder.

Am Straßenrand jetzt Kokosbäume, mit den Früchten ganz oben am Stamm, wie an den Stamm geklebt.

Wir fahren in einen kleinen, etwas verlassen aussehenden Busbahnhof. Irgendwo steht Cahuita. Zu meiner Überraschung bleiben die meisten sitzen. Ich steige mit einer Handvoll anderer Fahrgäste aus. Die nehmen ihren Koffer, aber ich finde meinen nicht. Ich frage den Busfahrer. Nein, dies hier sei noch nicht der Busbahnhof. Die Fahrt gehe noch weiter.

Ich setze mich wieder, aber dann schwant mir Böses. Wir sind auf der Landstraße. Und haben Cahuita hinter uns gelassen. Ich gehe nach vorne. Der Busfahrer sagt mir, ich solle hier aussteigen und auf der anderen Seite an der Bushaltestelle warten. Ich will mich beklagen, dass er mich nicht rausgelassen hat, aber er weist auf das Gepäckfach. Da steht Puerto Viejo drauf. In der Eile hat vorher an der Landstraße der Busfahrer den Koffer ins erste beste Fach gepackt, und diesem Busfahrer, seinem Kollegen, nicht Bescheid gesagt.

Ich stelle mich an die Haltestelle und gucke wie gebannt auf die ankommenden Autos, immer in der Hoffnung, dass entweder der Bus oder ein Taxi erscheint. Die Hunde in dem Haus hinter mir bellen sich die Seele aus dem Leib. Der Mann vor dem Haus lässt sich einfach nicht vertreiben.

Mir bleibt nichts anderes zu tun als zu warten. Und zu warten. Das Stehen wird mir selbst nach dem langen Sitzen mühsam.

Von der anderen Straßenseite kommt jemand herüber, ein Mann, Indio, Mulatte. Er wartet auch auf den Bus. Wann der denn komme. „Ahorita“, sagt er. Das lässt Schlimmes befürchten.

Wir kommen ins Gespräch. Er heißt Esmeraldo. Ist ein ganz lieber, einfacher Mann. Er arbeitet hier, wohnt aber in Cahuita. Sein Chef ist US-Amerikaner. Ob der denn Spanisch spreche? Nein. Und er, Esmeraldo, Englisch? Nein. Wie verständigen sie sich? „Mitad, mitad“, erklärt er.

Wie weit es denn aus Deutschland sei, will er wissen. Wie viele Stunden im Flugzeug? Und wie das so sei, oben im Flugzeug. Und wie das Flugzeug lande: So oder so? Das fragt er immer wieder.

Ob man von Deutschland aus auch in die Schweiz reisen könne, will er wissen. Ja, aber ist teuer. Und Russland? Er ist fast enttäuscht, dass es so weit weg ist.

Von dem Krieg in der Ukraine höre man ja nicht mehr so viel, meint er. Den Eindruck teile ich.

Und in Israel? Das Land, das die Israelis bombardierten, das sei doch ihr eigenes Land. Das sei doch alles dasselbe.  

Er erinnert mich an eine Passage bei Nadine Gordimer, die ich vorher im Bus gelesen habe: „How I would have hated to be him, working all his life in the fields wearing sacks. When you think like this about someone he seems something you could never possibly be, as if it’s his fault, and not just the chance of where he happened to be born. At the same time I had a crazy feeling I wanted to tell him something wonderful, something he’d never dreamed would happen, something he’d fall on his knees and thank me for.”

Inzwischen ist es dunkel geworden. Genau das, was ich vermeiden wollte wegen der Suche der Unterkunft.

Dann kommt der Bus. Ich hieve meinen Koffer die Stufen hoch. Esmeraldo ist vor mir eingestiegen. Ein Mann in der ersten Reihe sagt mir, ich solle mich neben ihn setzen. Und nimmt ungefragt meinen Koffer auf seinen Schoß, als der Busfahrer sagt, ich könne ihn nicht im Gang stehen lassen.

Ich habe Schwierigkeiten, den Mann neben mir zu verstehen. Aber ich bin nicht der einzige. Eine Frau in der anderen Sitzreihe, die er ständig mit Fragen über Cahuita traktiert, versteht ihn offensichtlich auch nicht. Er ist vermutlich betrunken. Er kommt aus Nicaragua und kennt sich hier wohl auch nicht so gut aus. Immer wieder sagt er, wie viel man für so einen Koffer in Nicaragua zahlen müsse.

Wir kommen nach Cahuita, zum Busbahnhof. Der ist jetzt noch verlassener als vorher. Ein Taxi ist nirgendwo in Sicht. Und jetzt?

Dann höre ich plötzlich eine Stimme hinter mir. Ein Mann bietet mir an, mich zu chauffieren. Er sieht nicht wie ein Taxifahrer aus, und sein Auto auch nicht nach Taxi. Aber er kennt die Straße, La Unión. Und sagt mir sofort, wie man dahin komme. Bohemian Monkey, den Namen des Hauses, kennt er nicht.

Er stellt sich als unheimlich netter Mann heraus. Brabbelt ohne Unterlass. Er heißt Chiky. Seine Tochter habe ein Stipendium in Europa gehabt und dort 50 Länder besichtigt. Er selbst sei nicht einmal in Nicaragua oder Panama gewesen. Arbeite nur von morgens bis abends. Ich könne ihn zu jeder, wirklich jeder Tages- und Nachtzeit anrufen. In zehn Minuten sei er da.

Die andere Tochter wohnt noch bei ihm. Aber wenn die auch aus dem Haus sei, dann würden er und seine Frau auch anfangen, zu reisen. 2 Kinder habe er also? Ach was, 7. Die anderen sind alle schon versorgt.

Inzwischen sind wir von der Landstraße abgebogen und auf eine unbeleuchtete Schotterpiste gekommen. Wir biegen noch mal ab, und dann sieht man im Scheinwerferlicht an der weißen Mauer Bohemian Monkey. Chiky nimmt sich meines Koffers an und sagt mir, ich solle aufpassen, nicht in die Pfützen treten.

Wir stehen vor einem großen Tor. Die Schlüsselbox, von der die Rede war, ist nicht zu sehen. Ich gehe mal in die eine, mal in die andere Richtung. Kein Erfolg. Chiky lässt sich die Telefonnummer geben und ruft den Vermieter an. Anrufbeantworter. Dann eilt er um die Ecke. Da hinten sind lauter Leute, sagt er, trägt meinen Koffer dahin und verschwindet.

Ich frage die Leute, alle ausländische Touristen, nach Bohemian Monkey. Nein, das sei nicht hier, das sei um die Ecke. Da, wo ich vorher war. Was nun? Ich stehe mit dem Koffer und dem Rucksack im Dunkel ratlos hier in der Gegend herum. Zurücklaufen in die Stadt? Eine Unterkunft suchen? Aber es sah dort gar nicht so aus, als gebe es welche.

Dann kommt mir in den Sinn, mal an dem Tor zu ziehen. Es ist offen! Ich gehe in den Hof. Irgendwo brennt ein Licht. Durch das Fenster sehe ich zwei Chinesen beim Kochen. Der Mann kommt raus und begleitet mich um die Ecke. Da sei das zweite Apartment.

In dem Moment hört man die Stimme von Daniel, dem Vermieter, von oben. Er komme runter. Er erscheint, mit bloßen Oberkörper, über und über  tätowiert. Er betreibt sein eigenes Tätowierungsstudio hier auf dem Grundstück, wie ich am nächsten Tag sehe.

Er ist Ami und spricht wie selbstverständlich Englisch mit mir. Und bestätigt den schlechten Eindruck, den er bei der ganzen vorherigen Kommunikation gemacht hat: Kein Wort zur Begrüßung, keine Frage, wie ich angekommen bin, keine Erklärungen zu dem Apartment. Was für ein Unterschied zu San José, was für ein Unterschied zu Quepos, was für ein Unterschied zu Rita, was für ein Unterschied zu Yoilin!

21. Dezember (Samstag)

Auf dem Tisch im Wohnzimmer ein dicker Ordner. Den öffne ich. Ergebnis: lauter kommerzielle Angebote, kein Wort über das Apartment.

Da muss ich wohl durch durch den Regen. Ich habe weder Geld noch was Essbares  im Haus. Nass wird man auf jeden Fall bei diesem Regen, da nutzen auch die vereinten Kräfte von Regenjacke und Regenschirm nichts.

Dabei geht es auf dem ersten Teilstück, der Schotterpiste, noch ganz gut. Die nimmt das Wasser einigermaßen auf, und die Pfützen kann man umgehen.

Rechts hübsche kleine Häuser, in die man praktisch reingucken kann. Sie sind vermutlich alle an Touristen vermietet.

Links das Gegenprogramm. Da verbirgt man sich hinter geschlossenen Mauern und geschlossenen Toren.

An der Straße angekommen, sehe ich rechts ein Lokal, besser gesagt zwei, ein kleines, ein Café, und ein großes, ein Restaurant. Ich steuere das Café an und bestelle ein Frühstück. Ich bin der einzige Gast.

Kann man mit der Kreditkarte bezahlen? Ja, aber dann kommen 13% Mehrwertsteuer drauf, erklärt die junge Frau. Bei Barbezahlung entfällt die.

Ob das mit dem Regen um diese Jahreszeit normal sei, will ich wissen. Nach kurzem Zögern sagt sie ja.

Sie gibt die Bestellung auf. Ihre Mutter macht die Küche, sie die Bedienung.

An beiden Gebäuden gibt es breite Regenrinnen. Die tun ihren Zweck. Auf das Dach prasselt der Regen herab.  

Ich frage, wie man ins Zentrum komme. Mit dem Bus am besten, sagt sie, und deutet auf eine Haltestelle. Verkehrt der häufig? Ja, sagt sie, jede Stunde. Aber dann kann ich ja gleich zu Fuß gehen. Stimmt auch wieder.

Wo ich denn untergebracht sei, fragt sie. In La Unión. Oh, da wohnt sie auch. Aber den Bohemian Monkey kennt sie nicht. Hat sie auch nichts verpasst.

Inzwischen weiß ich auch, dass sie Wendy heißt. Sie sagt, sie könne mich in die Stadt fahren. Ihre Mutter überlasse ihr ihr Auto. Aber, hat sie denn was in der Stadt zu erledigen? Nee, nur so, sagt sie, weil es doch so regne.

Ich nehme ihr Angebot an. Unterwegs erklärt sie mir, wie ich zurückkommen kann. Bei den Taxis sei Vorsicht geboten. Warum? Die würden den Ausländern immer zu viel Geld abnehmen. Ich hätte 3.000 bezahlt, sage ich. Das sei zu viel, 1.500 sei der gängige Preis. Aber dann erfährt sie, dass das am Abend war. Dann sei der Preis in Ordnung.

Man könne auch am Strand entlang in die Stadt kommen, sagt sie, aber vorläufig bin ich froh, dass ich erst einmal den Weg über die Landstraße finde.

Sie zeigt mir, wo der Supermarkt ist und setzt mich vor der Bank ab. Und wiederholt noch mal, wie schon vorher im Café, wo es überall Apotheken gebe. Sehe ich so mitgenommen aus?

Die Straße vor der Bank hat sich inzwischen in einen Bach verwandelt. Man muss da durchwaten. Die Schuhe werden dabei natürlich klatschnass. An der Seite sehe ich eine ältere Frau, eine Einheimische. Die hat Badelatschen an. Gute Lösung.

Am Geldautomaten bestätigt sich, dass mit meiner zweiten Kreditkarte etwas nicht stimmt. Ich konnte im Café damit nicht bezahlen und bekomme jetzt auch kein Geld. Als es auch mit der ersten Kreditkarte auf Anhieb nicht klappt – irgendwas mit dem Magnetband – sehe ich das vorzeitige Ende der Reise vor mir. Aber im zweiten Anlauf klappt es.

Ich versuche, eine Fahrkarte für die Rückfahrt nach San José zu kaufen, aber der Mann am Schalter hat kein Wechselgeld, und die Aktion muss abgeblasen werden. Er ist ganz verstimmt darüber, dass ich es nicht klein habe.

Die Kommunikation an den Fahrkartenschaltern ist immer besonders schwer. Die Scheibe ist voll geklebt mit Preislisten und Hinweisen, und man sieht den Mann hinter der Scheibe nicht. Das Sprechloch ist ganz unten, und man muss sich runterbeugen, um sich verständlich zu machen. Das macht der Mann aber nicht. Er steht und spricht gegen die Scheibe.

Der Supermarkt ist gut sortiert und adressiert eindeutig auch ausländische Kundschaft. Hier gibt es Schweizer Käse zu kaufen und italienischen Käse, zu indiskutablen Preisen, und eine ganze lange Regalwand entlang gibt es nur Chips. Das billigste Shampoo kostet 10 $, aus den USA importiert.

Ich decke mich mit dem Nötigsten für zu Hause ein, vor allem Wasser. Statt Äpfeln und Birnen gibt es Guave, Mango und Banane.

Jetzt wird mir auch endlich klar, was es mit der Soda auf sich hat, der man hier immer wieder begegnet, in den unterschiedlichsten und meist unpassenden Zusammenhängen. Es ist ein Markenname! Soda ist u.a. ein Hersteller von Keksen!

Ein Taxi ist nirgendwo zu entdecken, also schleppe ich mich und meine Tüten nach Hause. Der Weg ist glücklicherweise zu bewältigen, aber ich bin nass bis auf die Haut, und der Rucksack ist auch nass. Am schlimmsten sind die Schuhe. Die werden bis zur Abreise nicht mehr trocken.

Schlechte Aussichten für die nächsten Tage: Regen, Regen, Regen. Die Playa Negra die Playa Blanca, der Parque Nacional Cahuita, der Fahrradverleih – alles für die Katz. Dabei hab ich bei der Buchung darauf geachtet, dass alles ganz nah ist. Habe mich aber nie um das Wetter gekümmert. Bin um eine Illusion ärmer und um eine Erfahrung reicher.

22. Dezember (Sonntag)

Die Liste der Präsidenten Costa Ricas ist erstaunlich gleichförmig. Schon seit den 50er Jahren erreichen alle Präsidenten das Ende ihrer Amtszeit, aber keiner wird wiedergewählt. Immer kommt ein neuer Präsident ins Amt. Es gibt zwei Ausnahmen, Ausnahmen von Politikern, die zweimal Präsident waren, aber mit großen Zeitabständen zwischen ihren Amtszeiten, in einem Fall 20 Jahre. Diese beiden sind auch wirklich besondere Fälle. Der eine ist Figueres, das ist der, der Costa Rica zu einem modernen Wohlfahrtsstaat gemacht hat. Dessen Statue habe ich in San José vor dem Museo Nacional gesehen. Der andere ist Oscar Arias Sanchez. Der hat in den 70er Jahren einen Friedensplan für ganz Mittelamerika ausgearbeitet.  Der beinhaltete Meinungsfreiheit, freie Wahlen, nationale Gespräche zur Friedenssicherung, die Einstellung der Unterstützung der Guerilla-Bewegungen in den Nachbarländern. Auch seine Opposition gegen die Unterstützung der USA für die Contras spielte eine Rolle. 1987 erhielt er den Friedensnobelpreis.

Einige der Präsidenten entstammen nicht der klassischen Politiker-Kaste. Unter ihnen befinden sich Schriftsteller, Musiker, Künstler. Die beiden letzten Präsidenten haben ein Doktorat im Ausland aufzuweisen, in Sussex bzw. Harvard. Was natürlich auch bedeutet, dass sie der Elite des Landes entstammen.

Die drei Jahrzehnte nach dem Bürgerkrieg gelten als das Goldene Zeitalter Costa Ricas. Die Bevölkerung duplizierte sich, die Bananenproduktion multiplizierte sich, die Kaffeepreise stiegen, es wurden neue Wirtschaftszweige eingeführt wie die Fleischproduktion. Aber nicht alles war golden am Goldenen Zeitalter. Die Industrialisierung verursachte ökologische Schäden, große Waldgebiete wurden abgeholzt, es setzte eine Landflucht ein, und die Bauern, die vorher ein karges, aber genügendes Auskommen hatten, landeten im Prekariat.  Als dann die Kaffeepreise dramatisch fielen, kam es zu dem ungewöhnlichen Bündnis von Unternehmertum und Umweltschützern. Man „erfand“ den ökologischen Tourismus. Und präsentierte sich der Welt als leuchtendes Vorbild im Umgang mit der Natur.

Merkwürdigerweise habe ich bisher – muss an meiner Reiseroute liegen – weder Tabak- noch Kaffeeplantagen gesehen. Der Tabak wurde eingeführt, nachdem die Kakaoproduktion, die die eigentliche Stärke des Landes war, im Laufe des 18. Jahrhunderts zum Erliegen kam.

Die Spanier hielten wenig von Costa Rica. Es erschien ihnen als das ärmste Land Mittelamerikas. Viele Siedler, die hier ankamen, zogen enttäuscht weiter. Das beeinflusste auch die weitere Entwicklung. Statt großer Latifundien wie in den Nachbarländern wurde hier die Landwirtschaft auf kleinen Höfen betrieben.

Machtpolitisch war Costa Rica unbedeutend. Das wiederum verminderte die Rolle des Militärs. Die Abschaffung der Armee war zwar ein Meilenstein, aber einer, der nicht so schwer zu erreichen war. Außerdem störte das Militär bei dem inzwischen lukrativ gewordenen Schmuggelhandel. 

23. Dezember (Montag)

Am Morgen hört es plötzlich auf, zu regnen. Sofort mache ich mich auf die Socken. Zuerst geht es zu Wendy. Aber die hat die Stühle hochgeklappt. Weihnachtsferien? Ich traue mich auf den Hinterhof und gucke in die Küche des Restaurants. Da sieht man im Halbdunkel einen Mann und eine Frau. Beide antworten freundlich auf meine Fragen: Ja, das Café habe heute geschlossen. Wegen Weihnachten? Nein, weil heute Montag ist. Und sie, im Lokal? Heute geöffnet. Und morgen? Café geöffnet, Restaurant geschlossen. Und am 1. Weihnachtstag? Beide. Beide was? Beide geöffnet!

Verhungern werde ich also nicht. Bis hierher kommt man auch bei dem dicksten Regen.

Dann geht es in die umgekehrte Richtung, zum Meer runter. Dahin ist es auch nicht weit. Kein Mensch ist unterwegs. Noch hat keiner gemerkt, dass es aufgehört hat, zu regnen.

Das Meer hört man, bevor man es sieht. Die Wellen donnern heran. Das Meer hier ist deutlich lauter als es in Quepos war. Warum, weiß ich nicht.

Die Playa Negra hat ihren Namen verdient, wenn sie auch streng genommen vielleicht eher dunkelbraun ist. Der ganze Strand liegt voller Geröll. Lädt nicht gerade zum Schwimmen ein. Aber ob man sich bei der stürmischen See überhaupt ins Wasser trauen würde?

Dann geht es parallel zum Meer entlang, aber jetzt stellen sich kleine Ferienhäuschen zwischen den Weg und das Meer, und dann ein Wald zwischen den Weg und das Meer. Hier kann man durch die Blätter aufs Wasser sehen.

Dann kommen zu beiden Seiten Lokale und Tourenanbieter. Hier ist alles auf den Tourismus ausgerichtet. Aber es hält sich in Grenzen. Keine großen Hotelbauten, keine Reisebusse, keine Gruppen.

Die Straße führt direkt zum Parque Nacional Cahuita. Auch der ist nur wenige Gehminuten entfernt. Ich gucke auf den Himmel und gehe dann kurzentschlossen rein. Wo ich schon einmal da bin.

Nur bis zum Fluss, sagt der Mann am Eingang mit warnender Stimme. Der Wanderweg, von dem im Reiseführer und im Internet die Rede ist, ist gesperrt. Auf der linken Seite, zum Meer hin, mehrere umgestürzte Baumriesen.

Tiere sind keine zu sehen, aber der Park gefällt mir gut, besser als der in Manuel Antonio. Der Park ist kleiner, der Weg ist ein Sandweg, mit vielen Wurzeln, zu  den Seiten hin nicht begradigt, und man spürt das Meer hier viel intensiver als in Manuel Antonio.

Von dem Weg aus blickt man immer wieder auf die Playa Blanca. Auch die verdient ihren Namen, obwohl sie streng genommen eher sandfarben ist. Hier liegt nicht so viel Geröll am Strand, und die Wellen kommen nicht ganz so stürmisch an. Trotzdem wird auch an einer Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Schwimmen hier gefährlich ist.

Wunderschön wieder die Bäume, so dicht beieinander, so dicht am Wegesrand, so unbotmäßig durcheinander. An einer Stelle sieht man ganz besonders schön, wie sich mehrere Bäume der gleichen Art zum Meer hin verbeugen. Sie suchen das Licht.

An einer Stelle mit einem unheimlichen Wurzelgeflecht hat man eine Bank aufgestellt, auf der man sich photographieren lassen kann. Ich frage zwei Passanten, ob sie das übernehmen für mich. Wir sprechen Spanisch miteinander, aber ich habe das Gefühl, dass sie Deutsche sind.  

Alleine ist man hier nicht. Es sind schon viele Gruppen mit Reiseführer unterwegs, allerdings kleine Gruppen, aber weil es nur diesen einen Weg gibt, stößt man immer wieder auf welche.

Immer wieder, innerhalb und außerhalb des Parks, sieht man Schilder, auf denen man gebeten wird, keinen Müll zu hinterlassen. Hier steht auf einem Schild la naturaleza no sabe que hacer con la basura usted si.

Schließlich kommt man zu dem Fluss und dem Ende des Weges. Hier ist ein breiterer Strand, und hier sind auch viele Leute am Strand, aber keiner im Wasser.

Hinter dem Fluss ist ein Mangrovenwald. Auf einem Schild wird auf die Bedeutung der Mangrovenwälder hingewiesen, einmal als Nahrungsquelle und dann als Auffanglager für Sedimente.

Auch hingewiesen wird auf die Vögel des Parks. Als besonders wichtig gelten der Strandläufer und die Bachstelze. Die legen, obwohl sie so klein sind, bis zu 14.000 Kilometern zwischen Brutstätte und Wohnort zurück. In Cahuita legen sie eine Pause ein.

Zu sehen bekommt man die Vögel allerdings nicht, nur ein paar fischende Vögel auf dem Wasser am Eingang zum Park, vermutlich Reiher.

Kurz vor dem Ausgang gibt es dann aber doch noch einen Affen zu sehen, in einem Baum über unseren Köpfen. Ich halte ihn erst für ein Faultier, weil er sich so wenig bewegt, aber das liegt daran, dass er ununterbrochen mit Fressen beschäftigt ist.  

Am Ausgang des Parks gehe ich links, und in Windeseile bin ich am Busbahnhof. Da kommt man diesmal trockenen Fußes hin. Und jetzt klappt es auch mit dem Fahrkartenkauf. 10 $, das ist für die lange Strecke ziemlich günstig. Anders der Supermarkt, wo für drei Artikel – kein Kaviar und kein Champagner – 20 $ draufgehen.

Als ich meine Waren auf das Band legen will, greift plötzlich jemand in meinen Einkaufswagen. Nanu? Es ist eine Angestellte. Sie legt für mich die Waren auf das Band, verpackt sie und legt die Tüten wieder in den Einkaufswagen.

Ich frage sie, ob sie morgen geöffnet hätten. Ja, den ganzen Tag. Und übermorgen? Auch.

Auf dem Rückweg komme ich an einem Tourenanbieter vorbei, der auch Fahrräder im Angebot hat. Es ist nicht mehr als ein Schuppen. Die Jungs müssen erst den Opa herbeirufen. Ein Schwarzer. Hier in Cahuita gibt es mehr Schwarze als woanders in Costa Rica. Das sind die Nachkömmlinge der Afrikaner, die für die Arbeit auf den Bananenplantagen geholt wurden.

Ja, Fahrräder verleiht er. 5.000 pro Tag. Wohin man denn hier fahren könne. Bis zur Playa Negra. Na ja, nicht gerade eine Tour de France Etappe. Mal sehen. Wann er denn morgen öffne, will ich wissen. 6.30. Wegen der Pferde. Die müssen gefüttert werden. Auf denen bietet er Ausritte für Touristen an.

Ich frage noch nach einem Ausflug zu einer indigenen Siedlung, die er im Programm hat. Ja, aber der Weg dahin sei praktisch unpassierbar nach all dem Regen. Da wolle er ehrlich sein. Das danke ich ihm. Und frage noch, ob das mit dem vielen Regen normal sein. Nein, sagt er ganz entschieden.

Auf einer Wiese sehe ich auf dem Rückweg Hühner herumlaufen, lauter verschiedene Rassen. Zu welchem Haus gehören sie wohl? Zu einer Kirche! Oder wenigstens einer Kirchengemeinde, in einem normalen Wohnhaus untergebracht. Über dem Eingang die stilisierte Darstellung von Bibel, Kreuz und Taube. Darüber steht  Asambleas de Dios.

Dann komme ich an der vermutlich einzigen Skulptur vorbei, über die Cahuita verfügt. Aber die ist gar nicht schlecht. Stellt einen Gitarrenspieler dar, sitzend, Gitarre im Arm. Bullige Hose, Schlapphut, klobige Schuhe, ausdrucksstarkes Gesicht. Alles ist nur in groben Zügen dargestellt, auch die Gitarre. Die scheint viersaitig zu sein. In einer Inschrift liest man, dass es sich um Ferguson handelt. Mit vollem Namen heißt er Walter Gavitt Ferguson Byfield. Ich erinnere mich, dass Rita in San José von einem Café Ferguson gesprochen hat. Er gilt als einer der wichtigsten Liedermacher Costa Ricas und als „König des Calypsos“. Geboren wurde er in Panama, kam aber schon mit zwei Jahren nach Cahuita, das damals nichts war als ein Fischerdorf. Cahuita ist Thema mehrerer seiner Lieder. Und er wurde zum Ehrenbürger Cahuitas ernannt. Die Meeresluft scheint ihm gut bekommen zu sein. Er wurde 103.

In der Nähe das seltene Bild blühender Bäume. Oder Sträucher. Nebeneinander einer der knall gelb blüht und einer, der lachsrot blüht. Schön. 

Und auf der Schotterpiste zanken sich drei Geier um einen Leckerbissen, den einer von ihnen aus der Mülltonne herausgefischt hat. Ein anderer sucht weiterhin in dem Müll herum, in einer eisernen, überquellenden Tonne. Weitere Geier auf der Wiese. Dann setzt sich einer direkt vor mir auf einen Pfahl und tut mir den Gefallen, sein Gefieder aufzuplustern. Für Photo. 

Dann verpasse ich die Abbiegung Richtung Landstraße, bin aber in der richtigen Richtung. Ich komme aber an eine Stelle, die komplett überflutet ist. Gerade jetzt, wo die Schuhe wieder trocken sind. Nee, da suche ich lieber einen anderen Weg.

Dabei verlaufe ich mich dann gehörig. Komme noch an einer Stelle an der Playa Negra mit einer roten Fahne vorbei und bei Brigitte Tours & Lodging, im Reiseführer hoch gepriesen. Sie bietet praktisch alles an, was man sich denken kann, auch Nachtwanderungen. Auch bei diesem Wetter?

Am Ende klappt es dann doch, und ich kann die Sachen zu Hause ablegen, bevor ich zu dem Restaurant gehe. Hier wird ein Essen serviert, auf einer tabla, das wunderbar aussieht, aber nicht ganz so gut schmeckt. Es gibt kleine Fleischstücke, Rippchen oder Speck, dazu ganz fein geschnittenen Salat und patacones, so was wie Reibekuchen aus Kochbananen. Schmecken nach nichts, werden aber aufgewertet durch die drei verschiedenen Soßen, die in Schälchen dazu serviert werden.

Trockenen Fußes und zufrieden erreiche ich dann wieder meine Unterkunft.    

Jetzt habe ich auch herausgefunden, worum es sich bei den ominösen apretados handelt. Das ist Eiscreme! Und zwar Eiscreme, die in der Familie hergestellt wird, um das Budget aufzubessern. Die apretados werden in längliche Plastikschläuche verpackt. Deshalb habe ich zuerst an Würste gedacht! Und das erklärt auch das Nebeneinander von Erdbeere und Erdnuss. Offensichtlich handelt es sich um eine neuere Geldquelle, und um etwas, das man nur hier in Costa Rica kennt. Die Bezeichnung erklärt sich aus der wörtlichen Bedeutung von apretar, ‚drücken‘, ‚spannen‘.

24. Dezember (Dienstag)

Am 24. Dezember 1914 trauten sich bei Ypern zwei deutsche Soldaten aus den Schützengräben heraus. Sie hatten sich vorher mit den Engländern auf der anderen Seite, gerade mal 100 Meter entfernt, durch Pfeifen und Zurufe notdürftig verständigt. Die deutschen Soldaten gingen mit erhobenen Armen ganz vorsichtig auf den englischen Schützengraben zu. Da kamen auch zwei englische Soldaten heraus und gingen ihnen entgegen. Man tauschte Zigaretten und Zigarren aus und schnitt sich gegenseitig Uniformknöpfe ab, als Erinnerung. Dann begannen die Engländer in ihrem Schützengraben englische Weihnachtslieder zu singen, die deutschen Soldaten antworteten mit deutschen Weihnachtsliedern, und als die Engländer Silent Night intonierten, fielen die Deutschen mit Stille Nacht ein.

Habe mich aus gegebenem Anlass an diese bewegende Passage aus Robert Graves‘ Autobiographie Good-bye to All That erinnert. Er hat es selbst miterlebt. Im folgenden Jahr, 1915 – ein zweites Weihnachtsfest im Schützengraben – gab es dann von den Heeresleitungen strikte Anordnungen, diese Form von Verbrüderung zu unterlassen. Die Soldaten hatten im Feind plötzlich den Mitmenschen entdeckt, und das konnte den Befehlshabern nicht passen.

25. Dezember (Mittwoch)

Jesus wurde in Nazareth geboren. Er wuchs ja auch in Nazareth auf und er hieß auch Jesus von Nazareth. Bei zwei der Evangelisten taucht das Wort Bethlehem gar nicht auf. Die beiden anderen „verlegten“ den Geburtsort nach Bethlehem aus ideologischen Gründen. Es musste die Prophezeiung des Propheten Mischa aus dem Alten Testament in Erfüllung gehen, der künftige Messias stamme aus der Stadt Davids. Und Nazareth hatte darüber hinaus keinen guten Ruf („Was kann schon Gutes aus Nazareth kommen?“). Die beiden Evangelisten, bei denen die Geburt überhaupt Thema ist, widersprechen sich überdies. Bei Matthias lebte die Familie dort, bei Lukas mussten sie wegen der Volkszählung dorthin.

Ist Jesus gottähnlich oder gottgleich? Wenn man diese Frage für unwichtig hält, ist man in guter Gesellschaft. Kaiser Konstantin fand das auch. Aber seine Zeitgenossen fanden das nicht. Sie stritten sich bis aufs Messer über diese Frage, und keine der beiden Seiten gab ein Jota nach. Denn um das Jota ging es, das Jota in  ὁμοιούσιος (homoioúsios), das in ὁμοούσιος (homooúsios) fehlt. Wenn man als Laie die Bibel liest, hat man durchaus das Gefühl, dass Jesus irgendwie untergeordnet ist. Er lässt sich schließlich von seinem Vater auf die Welt schicken und er spricht zu ihm wie zu jemandem in der Chefetage. Dann wäre er nicht „eines Wesens mit dem Vater“. Im Grunde ist das schon die erste Abspaltung vom strikten Monotheismus, wie ihn das Judentum kennt. Und mit dem Heiligen Geist käme dann noch ein dritter „Gott“ dazu. Und wenn Jesus Mensch ist, auch wenn er Mensch und Gott gleichzeitig ist, ist er wesensverschieden mit dem Vater. Und aus der Menschwerdung resultieren dann noch weitere Fragen: Was war eigentlich mit Jesus, bevor er auf die Erde kam? Gab es ihn dann schon? Als Jesus? Oder als Teil Gottes? Das sind alles laienhafte Fragen, die Theologen, die sich damit beschäftigen, sind nicht zu beneiden, denn die Sache ist noch viel komplizierter.

26. Dezember (Donnerstag)

Ausgerechnet heute, am Abreisetag, scheint die Sonne. Aber bald versteckt sie sich schon wieder hinter den Wolken.

Chiky kommt nicht zur verabredeten Zeit. Ich schreibe ihm, ich ginge schon mal die Schotterpiste runter und dann zur Landstraße, aber er taucht nicht auf. Ich gehe zu Fuß.

Am Busbahnhof sehe ich an der Wand hinter mir einen Aufkleber. Von einem deutschen Fußballverein. Rot-Weiss Essen. Der Tag fängt ja gut an.

Der Bus kommt mit einer halben Stunde Verspätung. Und ist schon voll. Einige sitzen vor den Türen oder stehen im Gang. Wenn man eine Fahrkarte hat, hat man das Recht auf einen Sitzplatz, aber auf keinen bestimmten. Ich bekomme den unbequemsten Sitz im ganzen Bus. Eine Pein für die Knie. Und für den Rücken. Neben mir keine schmächtige Frau, sondern ein großer, athletischer Mann, ein Ami. Der passt hier noch weniger rein, aber er kann seine Füße auf den Gang stellen.

Der Himmel zieht sich weiter zu. Und es wird deutlich kühler.

Wir passieren die Orte Cairo, Germania, Mercedes, Babilonia, Francia, Bristol, Matina und Venecia. Und  Guápiles und Guácimo. Denen liegt, genauso wie Guadalquivir und Guadalupe arab. wadi zugrunde, ‚Fluss‘.  

Glücklicherweise kommen wir zügig voran, aber nur bis zu den Bergen, 50 Kilometer vor San José. Dann hat die Qual ein Ende, nach viereinhalb Stunden.

Als wir in den Busbahnhof einfahren, sehe ich aus dem Bus, wie mir ein Mann draußen zuwinkt. Es ist der Busfahrer von der Aufholjagd dieser Tage! Er fährt mich zum Hotel. Und sagt mir netterweise, morgen bräuchte ich kein Taxi, zu dem anderen Busbahnhof könne ich zu Fuß gehen.

Kaum bin ich im Hotel, schon fängt es in Strömen an zu regnen.

Später gehe ich in ein nicaraguanisches Lokal hier in der Nähe. Keine Offenbarung. Und wieder der Unterschied zwischen den Preisen laut Speisekarte und dem Preis auf der Rechnung. Aus 5.600 wird 6.888. Aber wenigstens gibt es eine richtige Rechnung.

Auf dem Tisch ein Zettel mit dieser Notiz: No se separan cuentas. Es wird nicht aufgedröselt, was jeder einzelne konsumiert hat, man zahlt gemeinsam. Nicht vorgesehen ist das, was im Englischen go Dutch genannt wird.

Dann in einer kleinen Bäckerei einen guten Milchkaffee bekommen und ein Teilchen, das weniger wegen seines Geschmacks als wegen seines Namens gefällt: borrachos. Der Name kommt wohl daher, dass in das Rezept eigentlich Wodka oder Likör gehört. Davon ist aber hier nichts zu schmecken. Und eigentlich sollte das Teilchen weich sein und nicht hart wie dieses hier.

An der Theke liegen hinter Glas die verschiedenen Waren, und alle sind gekennzeichnet, darunter auch die Donas.

Ich frage die Frau hinter der Theke nach Sinpe. Das ist, wie ich schon vermutet habe, ein nationales Zahlsystem. Erfordert ein Konto bei einer Bank in Costa Rica. Funktioniert per Handy. Ich habe schon gesehen, dass damit bezahlt, aber auch, dass auf das Konto eingezahlt wurde. 

Auf dem Rückweg entdecke ich dann noch auf einem Schild eine Besonderheit beim Gebrauch von ser und estar, dem ewigen Thema der spanischen Grammatik: La entrada al local es en el edificio nuevo. Ist auf jeden Fall der gängige Gebrauch, aber schwer zu erklären.

27. Dezember (Freitag)

Das Museo Nacional, das damals dem guten Wetter zum Opfer gefallen ist, öffnet um 8.30. Kurz danach bin ich schon da. Und kann an der Kasse noch mit den übrig gebliebenen Colones bezahlen.

Der Weg ins Museum hinein führt durch einen Schmetterlingsgarten, mit hohem Dach. Hier flattern sie wie wild durcheinander. Auf den ersten Blick sieht man nur die großen, schwarz-blauen Schmetterlinge, echte Prachtexemplare. Auf ein Photo bekommt man sie nur, wenn sie sich setzen, und dann klappen sie sofort ihre Flügel zu, und die dunkle Unterseite kommt zum Vorschein. Da ist man ganz enttäuscht. Bis man genauer hinsieht. Die Rückseite, mit ihren Kreisen und Linien, ist nämlich genauso schön wie die Vorderseite, nur nicht so auffällig! Und gar nicht mausgrau. Beinahe eine Lektion fürs Leben.

Später entdeckt man auch kleinere, schwarzgelbe Exemplare. Auch die sind schön, aber die großen dominieren einfach die Szene.

Irgendwo steht ein Teller in der Gegend herum, mit irgendwas darauf, was entfernt an Speise erinnert. Darauf sitzen drei Schmetterlinge, unbewegt. Daneben ein Schild mit einer Erklärung. Ich halte das für eine Installation mit didaktischen Zwecken. Dann sehe ich plötzlich, dass einer der Schmetterlinge ganz langsam einen Fühler bewegt. Die sind echt! Was hat es damit auf sich? Die großen Schmetterlinge ernähren sich nicht nur vom Nektar, sondern auch von verfaultem Obst! Und von dieser Delikatesse hat man ihnen hier einen Teller bereitgestellt.

Man erfährt auch etwas über den Unterschied zwischen Tagesschmetterlingen und Nachtschmetterlingen, Nachtfaltern sozusagen. Die haben viel unauffälligere Flügel, andere Fühler und robustere Körper. Vor allem der Kontrast bei den Fühlern ist interessant. Die Form ist anders, sie gehen einfach geradeaus, und die Qualität ist auch anders, sie sehen haarig aus.

Die gesamte Zeit der Metamorphose, von der Larve über die Raupe und die Puppe bis zum Schmetterling, dauert mindestens drei Wochen und kann bis zu zwei Monaten dauern. Dafür ist die Lebensdauer doch etwas mickrig. Selbst hier, wo sie keine Fressfeinde haben, beträgt die Lebenserwartung nicht mehr als drei Monate.

In der Ausstellung selbst geht es mit Mahlsteinen los, einige davon so schön verziert, dass sie wohl nur rituellen Zwecken gedient haben können. Einer sieht aus wie ein Tisch mit herabhängender, gehäkelter Decke, einer hat vorne einen Tierkopf, der wie aus Fischer-Technik gemacht aussieht.

Die Mahlfläche ist mal gerade, mal gekrümmt, vermutlich nach dem Material, das bearbeitet wurde. Das war in der Regel Mais, konnte aber auch Kakao sein oder Chili oder Reis. In den rituellen Mahlsteinen ist diese Unterscheidung wohl beibehalten worden.

Bei den Statuen ragt die eines Kriegers heraus, mit dem Schädel eines Besiegten in der einen, mit der Axt in der anderen Hand. Es scheint weitgehend unbekleidet zu sein, trägt aber eine eng anliegende Mütze auf dem Kopf und ein verziertes Band um die Hüfte herum.

Mehrfach vertreten sind liegende Frauenfiguren, mit offenliegender Scheide. In den Oberkörper ist eine Art Schüssel eingearbeitet. Man vermutet, dass dort Kräuter vermischt oder verbrannt wurden in Zeremonien, die der Fruchtbarkeit dienten.

Auch vertreten ist eine menschliche Figur mit einem tierisch anmutenden Kopf und einem geschwollenen Bauch. Man glaubt, dass es sich um die Darstellung einer Missbildung oder einer Krankheit handelt.

Im nächsten Raum gibt es Gold zu sehen, in rauen Mengen. Große Platten und Gehänge und kleine und kleinste Figuren als Verzierungen. Herrlich ein Krokodil, das mit einer Kette zwischen Maul und Vorderbeinen diszipliniert worden ist.

Eine menschliche Figur ist ausgestellt, an der illustriert wird, wie ein Indio sich mit Gold schmückte: ein Schild vor der Brust, ein breites gestanztes Band um den Hals, ein gestanzter Gurt um die Hüfte, ein Armring, zwei Medaillons an der Schulter, ein Ohrring und ein Piercing mit einem waagerechten Stab an der Nase.

Das Gold repräsentierte Macht und soziale Hierarchie, wurde aber auch im Tauschhandel und zur Wiedergutmachung  eingesetzt und wurde als Prestigeware geraubt. Es hatte aber auch, vor allem in der Darstellung von Tieren, vor allem von Vögeln, eine religiöse Funktion, denn die Religion der Indios war animistisch. Sie glaubten, die Elemente der Natur hätten ihr eigenes Leben und spezielle Kräfte.

Aus der Kolonialzeit gibt es interessante Objekte aus dem Leben der Kolonialisten zu sehen, darunter kleine Tabakspfeifen mit einer austauschbaren Spitze. Die wurde vermutlich je nach Art des Tabaks eingesetzt.

Interessant eine Schautafel, die über die Speisefolge eines normalen Tages berichtet. Leider wird nicht gesagt, ob das für die Indios oder für die Kolonialisten gilt. Oder vielleicht für beide. Es beginnt mit dem Mahlen von Mais für das Frühstück um 4 Uhr morgens. Um 8 Uhr gibt es gesüßtes Wasser. Dann folgt das Mittagessen, um 10 Uhr: Tortillas und Fleisch, vielleicht auch Kartoffeln.  Nachmittags gibt es Kakao, und um 5 Uhr folgt das Abendessen mit einem Topf Fleisch. Vor dem Schlafengehen um 7 Uhr gibt es noch mal heißen Kakao.

Sehr schön ein verzierter „Schrank“, eher eine Truhe, hier senkrecht stehend präsentiert mit offenen Türen. Sehr schön verziert mit Ornamenten und den Figuren zweier Erzengel. Der Schrank war ursprünglich ein Schrein für eine religiöse Figur.

Am besten aber der Ochsenkarren, über und über bunt bemalt, Seitenwände, Räder und Deichsel, für mich eine Erinnerung an eine spanische Sendung aus Zeiten vor dem Internet. Die Sendung bezog sich ganz spezifisch auf  Costa Rica und den Stolz der Bauern auf die Ochsenkarren. Die Arbeit der Ochsenkarrenführer wurde inzwischen auch als immaterielles Erbe der Menschheit von der UNESCO anerkannt.

In den Ochsenkarren wurde, bis zur Einführung der Eisenbahn, der Kaffee aus dem zentralen Hochland nach Puntarenas an der Küste transportiert. Die Hin- und Rückfahrt dauerte 10-12 Tage. Auf der Rückfahrt wurden Waren transportiert, die gerade im Hafen angekommen waren.

Im nächsten Saal geht es um Costa Rica in Zeiten der Industrialisierung. Eine afrikanische Maske steht für den Import afrikanischer Sklaven als Folge des Mangels einheimischer Arbeitskräfte. Sie wurden auf den Plantagen eingesetzt, in der Landwirtschaft, vor allem aber im Haushalt. Da die Sklaverei erblich war, war der Preis für einen Sklaven hoch, besonders für die Frauen.

Eine schöne Zeichnung mit drei jüngeren Personen steht für die Zusammensetzung der Bevölkerung aus Schwarzen, Weißen und Mestizen.

Mit dem Bau der Eisenbahn kamen Arbeitskräfte aus aller Welt. Einem Zensus von 1892 zufolge waren am stärksten vertreten Nicaraguaner, Spanier, Kolumbianer, Salvadorianer, Deutsche, Italiener und Chinesen (in dieser Reihenfolge). Erstaunlich die insgesamt geringe Zahl, es mögen wohl 6.000 gewesen sein. Und Costa Rica hatte insgesamt gerade mal 246.000 Einwohner! Heute sind es gut 5 Millionen.

Zu dieser Zeit war Costa Rica längst selbständig. Dafür stehen die Flagge und das Wappen des Landes. Die Flagge in ihrer heutigen Form stammt aus dem Jahr 1848, kurz nach der Erlangung der Unabhängigkeit. Die Zugabe von Rot zu den zentralamerikanischen Farben Blau und Weiß ist als eine Konzession an die Fahne Frankreichs und die Ideale der Französischen Revolution zu verstehen.

Interessant die Entwicklung des Wappens, das hier in seiner dritten Version von 1848 zu sehen ist, als Gemälde, auf Holz und Gips. Das heutige Wappen unterscheidet sich von diesem in verschiedenen Details: Aus 5 Sternen, die für die Provinzen des Landes stehen,  sind 7 geworden, die Waffen sind durch Kaffeepflanzen ersetzt worden, und aus den Vulkanen steigt jetzt Rauch heraus!

Etwas genauer sehe ich mir eine Replik des Nationaldenkmals an, das ich im Parque Nacional gesehen habe, hoch auf einem Sockel stehend. Hier kann man es besser erkennen. Vorne sieht man den fliehenden William Walker und einen am Boden liegenden toten Soldaten, hinten sieht man die Figuren, die für die verbündeten mittelamerikanischen Staaten stehen, Guatemala mit einer Axt, El Salvador mit einem Schwert, Honduras mit Pfeil und Bogen. Im Zentrum, alle überragend, natürlich Costa Rica, Nicaragua in seinen Armen stützend.

Zur jüngeren Vergangenheit des Landes gibt es Photos von der ersten Fußballnationalmannschaft Costa Ricas, die sich für eine WM qualifizierte, 1990, von der ersten promovierten Indigenen, von der ersten Präsidentin der Republik und von der Nobelpreisurkunde von Oscar Arias. Aus nicht ganz verständlichen Gründen ist auch ein Stück aus der Berliner Mauer ausgestellt.  

Draußen auf dem Innenhof hat man Steinkugeln aufgestellt. Die stammen alle aus der vorkolumbianischen Zeit und sind schon deshalb bemerkenswert, weil sie so rund sind. Muss man erst mal hinkriegen. Was man aber auf den ersten Blick gar nicht sieht: Sie haben alle Reliefs in die Oberfläche eingearbeitet. Die kann man je nach Wetter und Lichteinfall deutlicher oder weniger deutlich sehen. Ich kann nicht mehr als ein paar Linien erkennen. Tatsächlich stellen diese Linien auf einem Stein das Profil eines Tapirs da, mit Schnauze, mandelförmigem Auge, gekurvtem Rücken, kleinem Schwanz und vier Pfoten. Der Tapir ist Teil der Kosmovision der indigenen Völker.

Mir fällt ein ganz besonderer Baum auf, unten viel Holz, ein bisschen wie Bambus, aber aus anderem Holz und eher kreuz und quer wachsend. Und oben ganz grün. Noch nie gesehen. Was das wohl sein mag? Eine Putzfrau, die ich befrage, weiß es auch nicht, aber sie ringt lange mit ihrem Gedächtnis. So endet die Reise nach Costa Rica mit einem Fragezeichen.

Oder doch nicht. Denn auf dem Rückweg komme ich an der Skulpturengruppe vor der Bank vorbei, Los Presentes. Und bekomme am Ende doch noch ein Photo von mir, zwischen den Figuren stehend. Doch noch ein Ausrufezeichen.

„Du musst das ja auch alles erst einmal verarbeiten“. Das ist ein Kommentar, den ich immer wieder höre. Aber nur von Deutschen. Kann es sein, dass das eine interkulturelle Besonderheit ist? Wird dieser Satz nur im Deutschen benutzt? Gibt es in anderen Sprachen überhaupt eine Entsprechung? Ich bin selbst immer überfragt. Ich weiß nicht, was ich verarbeiten muss, und wenn ich es wüsste, wüsste ich auch gar nicht, wie. Ich reise einfach weiter.