Friedrich Spee wurde hier geboren, in Kaiserswerth, und nicht in Trier, wie ich dachte. Dort hat er nur ein paar Jahre als junger Mann und die letzten Jahre vor seinem Tod verbracht. Die Friedrich-Spee-Gesellschaft ist auch hier in Kaiserswerth ansässig, und im Zentrum gibt es eine Friedrich-von-Spee-Straße. Ob mit oder ohne von scheint eher willkürlich zu sein.
Wer sich über Friedrich Spee in Kaiserswerth wundert, wundert sich erst recht über Florence Nightingale in Kaiserswerth. Aber die hat hier wirklich ihre Ausbildung zur Krankenschwester gemacht, gegen den Willen ihrer vornehmen Familie, die so etwas als ihrem Stande nicht würdig empfand. Die Legende hat die Wirklichkeitihres Wirkens etwas verzerrt, denn ihre Aufgabe war in erster Linie der Aufbau einer funktionierenden Krankenversorgung, die Organisation der Abläufe, die Sicherung von Nachschub, und erst in zweiter Linie der direkte Kontakt mit den verletzten oder erkrankten Soldaten. Sie war eine Macherin, eine Managerin. Und zwar eine sehr erfolgreiche. Auf unserem Rundgang durch Kaiserswerth stoßen wir nicht auf sie. Vielleicht hat sie ihre Ausbildung in der Diakonie gemacht, dem evangelischen Gegenstück zur katholischen Caritas. Die wurde, wie ich jetzt erfahre, hier, in Kaiserswerth, von dem Ehepaar Fliedner gegründet, im 19. Jahrhundert. Die Gebäude der Diakonie nehmen einen ganzen Straßenzug ein, auf dem Kaiserswerther Markt, der lang gestreckten Geschäftsstraße des Zentrums, die sich hier in zwei Teile teilt. Auf dem nördlichen Teil befindet sich die Diakonie. Die ganze Gebäudestrecke ist in zwei gleichmäßige Teile geteilt durch eine etwas erhöht liegende, weiß getünchte Kirche, der man ansieht, dass sie evangelisch ist. Eine zweiläufige Treppe führt zu dem Eingang mit einem erhöhten Abschluss, barock, aber einfach. Wir erfahren auf einer der Schautafeln, dass die Diakonie ursprünglich ein Asylantenheim war, obwohl nicht ganz klar ist, was damals unter Asylanten zu verstehen war. Das Krankenhaus, das der Diakonie angeschlossen ist, heißt Florence-Nightingale-Krankenhaus. Also doch wenigstens eine Spur.
Kaiserswerth trägt seinen Namen zu Recht: Hier waren die Kaiser am Werk. Sie errichteten hier eine Pfalz. Der eigentliche Erbauer war Heinrich II. Diese Pfalz wurde später von Friedrich Barbarossa ausgebaut (der im übrigen auch in Kaiserslautern eine Pfalz errichten ließ). Der verlegte eine Zollstation von Holland hierher, und diese Zollstation bestand jahrhundertelang, die Grundlage für den Reichtum Kaiserswerths. Der Ort entwickelte sich um die Pfalz herum und wurde später zur Stadt erhoben. Das kaiserliche Erbe erklärt auch, warum auf dem Stadtwappen, auf das wir immer wieder stoßen, ein doppelköpfiger, schwarzer Adler auftaucht. Der zierte schon im Mittelalter das Wappen der Stadt. Das Kreuz, das er auf der Brust trägt, ist kurkölnisch.
Das alles erklärt den Kaiser in Kaiserswerth, aber es erklärt nicht Kaiserswerth. Der zweite Wortbestandteil ist nicht so offensichtlich wie der erste. Er ist abgeleitet von dem althochdeutschen Wort werid, ‚Insel‘. Wir befinden uns also auf der ‘Insel des Kaisers’. Aber: Wo ist die Insel? Keine Spur davon. Die Erklärung: Die Insel gibt es nicht mehr. Sie wurde früher gebildet von dem Rhein und einem Nebenarm des Rheins, der einen Winkel bildete. Dieser Nebenarm wurde zugeschüttet von Angreifern, die es auf die Burg abgesehen hatten. Und das alles nur, um den Bischof von Münster zu befreien! Und weg war die Insel! Fehlt noch ein kurioses Detail, das dem Ganzen den Gipfel aufsetzt: Der Nebenarm des Rheins war kein natürlicher Nebenarm, sondern zum Schutz der Burg künstlich angelegt worden!
Zu der gelangen wir zuerst, über eine schön angelegte Allee. Es sind zwar nur noch Ruinen erhalten, und es ist nicht ganz einfach, das, was man sieht, in Einklang zu bringen mit dem, was man auf Abbildungen sieht, die die alte Burg darstellen, aber was an Ruinen übrig geblieben ist, ist beachtlich. Vor allem die Höhe der Anlage – sie umfasste drei Stockwerke – kommt noch voll zur Geltung.
Von oben sieht man auf den Rhein und die gegenüberliegende Rheinseite, die linke. Hier verkehrt tatsächlich noch eine Fähre. Auch heute ist sie in Betrieb. Der Blick rheinaufwärts wird pointiert durch eine moderne Skulptur, die man hier vor der Burg aufgestellt hat. Sie zeigt einen Menschen in stark stilisierter Form. Was für eine Bewandtnis es mit der Skulptur hat, erfährt man nicht.
Die Grundmauern der Burg sind aus unbearbeiteten, großen Granitsteinen, durch Zement zusammengehalten. Man sieht aber auch Wände aus Sandstein und aus Ziegelsteinen. Auffällig ist ein runder Turm mitten in der Anlage. Er beherbergte ursprünglich die Burgkapelle und wurde später, als bei einem Umbau eine neue Kapelle hinzukam, zum Brunnen umgebaut. Hört man auch nicht alle Tage.
In die Umfassungsmauer der Kaiserpfalz sind Grabsteine eingelassen. Auf einem lesen wir, dass der „achtbare Petter Duckdorff“ im Alter von 63 Jahren, „im Herrn erschlaffen“ sei. Kein Rechtschreibfehler, sondern Zeichen für die Verlängerung des Vokals. Der verlängerte Vokal wurde früher, jedenfalls in vielen Varianten des Deutschen, durch einen Doppelkonsonanten angezeigt. Das sieht man auch an Petter, dem Vornamen des achtbaren Mannes. Deshalb ist ein Schäffer ein Schäfer genauso wie ein Guttenberg ein Gutenberg und die Utta eine Uta ist.
Von der Kaiserpfalz kommen wir zur Stiftskirche, einer dreischiffigen, flachgedeckten Basilika mit auffällig niedrigen Seitenschiffen. Von wann die verschiedenen Bauteile stammen, ist schwer zu sagen. Die Glasfenster sind modern, ihre Form eher romanisch. Der Raumeindruck ist nicht überwältigend, aber das Licht kommt an diesem sonnigen Tag gut zur Geltung.
Von der Ausstattung ist ein goldener Reliquienschrein im Chor das wertvollste Stück. Dummerweise ist der Chor abgeschlossen und man kann ausgerechnet diesen Schatz nicht aus der Nähe ansehen. Aus der Distanz sieht er aus wie der kleine Bruder des Dreikönigsschreins in Köln. Der Schrein beherbergt die Reliquien des Hl. Suitbert, einem angelsächsischen Missionar, der im Gefolge von Willibrord auf den Kontinent kam. Dem ist die Existenz Kaiserswerths zu verdanken. Er gründete hier das Kloster und war dessen erster Abt. Über sein abenteuerliches Leben weiß man etwas durch Bedes berühmte Geschichte. Sein Anliegen brachte ihn aus Irland nach England, nach Rom und zu den Franken und Sachsen. Es ging hin und her. Was er allein an Reisen in diesen gefährlichen Zeiten hinter sich gebracht hat, ist beeindruckend. Zum Heiligen wurde er durch die Bekehrung fränkischer Stämme, die zwischen Ruhr und Lippe angesiedelt waren. Dabei konnte er auf die Unterstützung von Pippin zählen.
Zur Ausstattung der Kirche gehört auch ein fünfeckiger Taufstein, der von Löwen bewacht wird, die das Aussehen von Hunden haben. Im südlichen Seitenschiff eine Kreuzigungsszene mit einem zu groß geratenen Kreuz, und im nördlichen Seitenschiff ein schöner Christus, ganz spärlich bekleidet, ausgezehrt, mit gesenktem Kopf und weit ausgebreiteten Armen. Das Kreuz fehlt. Die Figur hängt vor einer vergoldeten Wand.
Auf dem Stiftsplatz befinden sich Spees Geburtshaus und andere historische Häuser, ein schönes Ensemble. An der Außenwand der Kirche, im Osten, ist ein großes Bronzerelief angebracht, in Erinnerung an Spee. Im Zentrum des Reliefs stützt Spee eine in Ketten gelegte Frau, die als Hexe verurteilt worden ist. Er beugt sich über sie. Das Relief hat so viele Szenen und Figuren, dass wir immer wieder was Neues entdecken, u.a. die Folterwerkzeuge der Hexenprozesse, die Stiftskirche selbst, das Emblem des Jesuitenorden und einen Stern. Der steht für Suitbert, und dem Stern begegnet man hier in Kaiserswerth immer wieder.
Wir kommen zum Kaiserswerther Markt. Hier gibt es einen Friseur, der einfach Friseur heißt, einen anderen Friseur, der Hairlich heißt, und eine Buchhandlung, die Lesezeit heißt. Die Straße hat auf beiden Seiten historische Häuser mit schönen Fassaden. Die meisten sind aus einem dunklen Backstein gebaut. Eins von ihnen beheimatet das Restaurant Im Schiffchen, ein Restaurant der Spitzenklasse. Die Speisekarte hört sich aber gar nicht abschreckend an, und die Preise sind hoch, aber nicht astronomisch.
Auf der gegenüberliegenden Seite steht ein Haus mit Giebel, in dessen Fassade mit Ankersplinten die Jahreszahl der Erbauung eingelassen ist. Das Haus war das ehemalige Zollhaus, und als Erinnerung daran sieht man in einer Nische an der Ecke des Hauses eine Figur, die mit einem Anker und einem Geldbeutel ausgestattet ist, Erinnerung an die einträgliche Zollstation, die Kaiserswerth vom Mittelalter an über Jahrhunderte Reichtum verschaffte. Das scheint auch heute noch zu sein, obwohl das Zentrum teils auch gediegen und teils sogar bäuerlich aussieht.
Wir gehen bis zum anderen Ende des Kaiserswerther Markts, bis zu einer Brücke, unter der man Wasser vermutet, aber keins findet. Beides hat seinen Grund: Hier verlief ehemals der Nebenarm des Rheins, und der markierte die Stadtgrenze, und auch heute noch markiert die Brücke das Ende der Altstadt.
Nach der Besichtigung machen wir Rast in einem schön gelegenen Biergarten, unter Bäumen, direkt am Rhein. An den Preisen merkt man, das Kaiserswerth auch heute nicht gerade ein Armenviertel ist.