Vor dem Eingang zur Ausstellung hängt ein längliches Plakat mit einer langen Liste deutscher Wörter lateinischen Ursprungs. Darunter sind Klassiker wie Mauer (von muris), Palast (von palatium) und Kreuz (von crux), aber auch weniger offensichtliche Kandidaten wie Büchse (von puxis), Kachel (von cacculus) oder Socke (von soccus).
Davor auf dem Boden eine Landkarte, in der Europa die Form einer bekrönten Königin mit langem Gewand. Holland und Italien sind die Arme, Spanien der Kopf, Osteuropa ist ganz unten auf dem Gewand. Schwer zu sagen, aus welcher Zeit das stammt, aber wohl kaum aus der klassischen Antike. Dazu erscheinen zu moderne Namen wie Cracouia oder Lithvania oder Moscovia. Unter Italia steht Welschland. Was mag nur Megalopolis sein? Oder Sarmantia? Warum die Karte hier abgebildet ist, darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht um die Kontinuität zu betonen, die in der Verwendung lateinischer Namen auch noch nach dem Ende des Römischen Reichs besteht.
Das Stadtmuseum nimmt sich der Rezeption des Untergangs des Römischen Reichs an. Wie haben spätere Epochen den Untergang des Reichs verarbeitet? Dabei ist es interessant, wie viele Reiche den Anspruch gestellt haben, Nachfolger des Römischen Reichs zu sein: Das Byzantinische Reich, das Römische Reich Deutscher Nation, das Russische Reich und sogar, nach der Eroberung Konstantinopels, das Osmanische Reich.
Am Eingang drei Kästen, in die man seinen Wahlzettel werfen darf: Was hat zum Untergang des Römischen Reichs geführt? Die Barbaren? Die Dekadenz? Das Christentum? Alle drei Kästchen sind etwa gleich voll, mit einem kleinen Vorsprung für die Dekadenz. Bei der, finde ich, kommt es darauf an, was man darunter versteht. Wenn es das dekadente Leben der Bürger ist, kommt das kaum in Frage, denn das würde nur die wohlhabende Oberschicht betreffen. Wenn Dekadenz der Zerfall der staatlichen Organisation ist, dann schon eher. Das deutete sich ja vorher schon an, mit der Reichsteilung unter Diokletian und den Soldatenkaisern und den Kinderkaisern. Nicht zur Abstimmung steht hier, dass es gar keinen Untergang gab, jedenfalls nicht, wenn man den auf 476 datiert, die Absetzung von Romulus Augustulus durch Odoaker. Das Reich existierte ja weiter, in Form des Byzantinischen Reichs, als Ostrom. Aus dessen Sicht hatte sich mit der Absetzung von Romulus Augustulus nichts grundlegend verändert. Hier wird auch betont, dass diese Absetzung in der Zeit kaum Beachtung fand, wohl aber in späteren Zeiten, wie hier an einigen Gemälden illustriert.
Der Vorläufer der Eroberung Roms durch die Barbaren war die Plünderung Roms durch Alarich 410. Ein Augenzeuge der Plünderung war Augustinus, und der ging auf die Vorwürfe der Nichtchristen ein, das Christentum sei an allem schuld, indem er De Civitate Dei schrieb, die Darstellung des perfekt organisierten christlichen Staats.
Auch Sagen, die keinen direkten Bezug zu Rom haben, nehmen das Thema seines Untergangs auf: die Nibelungensaga (mit dem Untergang des Burgunderreichs), die Artussage und eine nordische Sage.
Der Dietrich von Bern der Sage erinnert an Theoderich, der Odoaker besiegte. Dabei steht Dietrich für Theoderich und Bern für Verona. Verona ist vertreten mit einem Relief aus S. Zeno (das ich seinerzeit besichtigt habe), auf dem das Römische Theater als Residenz Theoderichs erscheint. Es wurde bis ins 19. Jahrhundert als solche bewundert und besichtigt. Die Sache hat nur einen Haken: Theoderich residierte gar nicht in Verona, sondern in Ravenna!
Das Osmanische Reich ist in der Ausstellung vertreten durch ein Porträt Mehmets II., mit Pelzkragen, mächtigem Turban und kostbarem Teppich (XVI). Auf einer Medaille ist er in römischer Tradition dargestellt auf einem Triumphwagen mit der Nike in einer Hand und einem Seil, an dem er die besiegten Völker hinter sich herzieht, in der anderen!
Das Russische Reich ist vertreten mit einem historisierenden Gemälde (XIX), das die Taufe Wladimirs in Kiew darstellt. Das Russische Reich übernahm das byzantinische Hof- und Krönungszeremoniell und führte den Titel Zar (von Cäsar) für den Imperator ein. Moskau nannte sich „Das Dritte Rom“.
Ein besonderes Schmuckstück der Ausstellung ist das Runenkästchen von Auzon (VIII), ein figurenreiches Elfenbeinkästchen mit Szenen auf allen Seiten, die schwer unter einen Hut zu bekommen sind: die Gründung Roms, die Plünderung Jerusalems, die Anbetung der Könige und die Verheiratung einer nordischen Königstochter!
Dann kommt eine große Sitzstatue von Friedrich II. In der verschmelzen römische und germanische Elemente: römisches Gewand, aber Krone statt Lorbeerzweig.
Bei Humanismus und Reformation gabelt sich die Ausstellung: Links sieht man die Abkehr von Rom, rechts die Sehnsucht nach Rom. Die spiegelt sich wider in römischen Veduten wie der vom Forum Romanum von Piranesi (XVII). Sie zeichnet ein nostalgisches Bild des Forums. Es wird zwar Campo Vaccino genannt, trägt aber die Zeichen der alten Größe: ein Brunnen, Arkaden, ein Tempel, eine Kirche, das Kolosseum, die Fassade eines Palasts, in einer Zusammenstellung, die es historisch so vermutlich nie gegeben hat. Da muss man schon genau hinsehen, um die Ochsenkarren und die weidenden Kühe zu bemerken.
Das wiedererwachte Interesse an Rom bezeugt eine Serie von Bronzemünzen mit den Porträts römischer Kaiser. Sie wurden Karl IV. von Petrarca übergeben, als eine Art Mahnung, an die römische Tradition anzuknüpfen.
Genauso wie Petrarca gehörte Dante zu den Befürwortern des Wiederauflebens des Römischen Reichs, aber Dante hatte dabei das Römisch-Deutsche Reich im Sinn, während Petrarca ein neues Reich unter italienischer Führung im Sinn hatte.
Auf der anderen Seite, der Seite der Befürworter der Abkehr von Rom, steht die Germania des Tacitus im Vordergrund. Tacitus wurde als Kronzeuge für das genommen, was man als gesellschaftliches Ideal sah: Das echte, unverfälschte Leben des mit der Natur verbundenen Volks, abseits der städtischen Dekadenz. Dabei wurde Tacitus im Sinne von frühnationalen Vorstellungen interpretiert, teils mit aggressiv nationalen Tönen.
Dazu passt die (teils von Luther betriebene) „Verwandlung“ von Arminius in Hermann. Der wird mehrmals von Luther lobend erwähnt. Luther ist hier mit einer Statue vertreten, in der er das aufgeschlagene Neue Testament präsentiert, in seiner Übersetzung.
Als Gegenstück zu den Porträts römischer Kaiser, die Petrarca dem Kaiser übergab, hat man auf dieser Seite die illustrierten Viten von zwölf (teils historischen, teils sagenhaften) deutschen Königen, den „Urkönigen“. Die Kunst bezieht Stellung gegen Rom.
Ein besonderes Ausstellungsstück ist ein Originalbrief Raffaels an Leo X. In dem Brief beklagt er die Kalkgewinnung aus den Ruinen der römischen Ruinen und spricht sich für deren Erhaltung aus. Da erweist er sich als vollendeter Humanist und als Vorläufer der Romantiker und heutiger Denkmalschützer.