Der Untergang des Römischen Reichs (1)

Die Römer hatten einen riesigen Bedarf an Holz. Holz für den Bau von Wagen, Holz für den Schiffbau, Holz für die Brücken, Holz fürs Heizen. Allmählich wurden die Wälder immer dünner. Die Römer reagierten. Sie starten eine Aufforstungsaktion im großen Stile. Dabei wurden Platanen verwendet. Die passten sich ans Klima an und wuchsen schnell. Heute gilt: Wo es Platanen gibt, waren die Römer.

Das ist eine der interessanten Erkenntnisse der Ausstellung zum Untergang des Römischen Reichs, nach bewährtem Rezept organisiert: drei Museen, ein Thema, drei Ansätze.

Im Landesmuseum hat man allerhand für die Ausstellung zusammengetragen: Grabsteine, Skulpturen, Gürtelschnallen, Fibeln, Mosaike, Münzen, Helme, Fesseln, Schmuck. Die kommen aus Köln und Mainz, aber auch aus Ravenna und dem Vatikan, aus Serbien und aus Slowenien.

Am weitesten angereist ist ein Gemälde aus Australien, ein riesiges Gemälde, das den Kaiser Honorius zeigt, wie er seine Tauben füttert – statt sich um die Regierungsgeschäfte zu kümmern. Eine Anspielung auf die Dekadenz der römischen Führungselite als Grund für den Untergang des Reichs.

Eine Skulptur aus Athen, die eine römische Göttin darstellt, ist anschließend “bearbeitet” und der christlichen Ideologie angepasst worden: Man hat ihr ein Kreuz in die Nase geritzt.

Unter den Münzen gibt es einen n ganz besonderer Fund: Ein reicher Römer hatte, für schlechtere Tage (in Erwartung einer Inflation), seinen großen Vorrat aus Münzen, aus einer Silberlegierung gefertigt, in einem Tonkrug in der Erde vergraben. Aus nicht bekannten Gründen grub er den Schatz später nie wieder aus. Vielleicht hatte er die Stelle vergessen – zur Freude der Archäologen.

Auf einem Steinblock ist eine längere Inschrift angebracht, eine Art Tabelle. Es ist ein kaiserliches Preisedikt. Für über 1000 Waren wurde ein Höchstpreis festgesetzt.

Eins der Gesetze des 12-Tafel-Gesetzes untersagte die Bestattung innerhalb der Stadtmauern. Auch die Einäscherung wurde verboten, und die Zugabe von Grabbeigaben. Diese letzte Regelung wurde aber manchmal umgangen. Dem ist das Diatretglas zu verdanken, das vielleicht wertvollste Exponat des Landesmuseums. Es ist ein Schmuckglas, in der Form eines größeren Bechers, und ist mit einem Blütennetz überzogen. Das ist nicht, wie man meinen könnte, später aufgesetzt worden, sondern aus demselben dicken Glas geschnitten wie das Glas selbst. Eine unvorstellbare Arbeit, bei der der kleinste Fehler fatal wäre.

Der Grund für die Wahl von Trier als Residenz war einmal die Entfernung von der Grenze am Rhein, dann das Tal, das Moseltal, das sich hier ausweitet wie sonst kaum irgendwo, aber auch die vier Flüsse, die hier in die Mosel münden: Saar und Ruwer, Kyll und Sauer.

Ganz phantanstisch ein Klappstuhl, ganz modernen Prinzipien folgend, aber aus Silber und fein ziseliert, mit Verzierungen an den Stuhlenden.

Erstaunlich, dass sich auch Alltagsgegenstände erhalten haben, wie ein Eimer aus Holz und Bronze (III).

Ein Glanzstück der Ausstellung ist ein Stein, in den konzentrische Ringe und alle möglichen Symbole und Zahlen eingelassen sind. Man steht ziemlich ratlos davor, aber der Stein hat es in sich. Es ist die älteste erhaltene Berechnung des Datums des Osterfests nach der Einführung der neuen Zeitrechnung, mit dem Geburtsjahr Christi als Wendepunkt.

Der allmähliche Weg in den Untergang wird in der Ausstellung sinnlich erfahrbar gemacht, indem die Räume, vom Eingang bis zum Ausgang, immer dunkler werden. Am Ende landet man in einem ganz dunklen, schwarzen Raum.

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C’est bon

Ein gängiges Schimpfwort für Deutsche im Französischen ist boche. Das Wort ist abgeleitet von caboche, ‘Dickschädel’, ‘Holzkopf’. Das wurde zu boche verkürzt und mit der Vorsilbe al für ‘deutsch’  versehen, alboche, und dann wiederum zu boche verkürzt. Eine deutsche Firma machte sich das selbstironisch in einer Werbekampagne in Frankreich zu eigen mit dem Slogan C’est bien, c’est bon, c’est Bosch.

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Mann, oh man!

Wörter bedeuten nicht das, was sie zu bedeuten scheinen, wenn man sie „beim Wort nimmt. Die Bedeutung von Wörtern ist reine Konvention. Das ist ein Gemeinplatz, eine ganz banale Erkenntnis. Diese Erkenntnis wird von denen in den Wind geschlagen, die im Sinne von ideologischen Vorgaben die Sprache verändern wollen, wie es diejenigen tun, die das Pronomen man durch frau ersetzen oder ergänzen wollen. Eine Kolumne in einer Sprachzeitschrift (Der Sprachdienst 65/2021: 232-233) beschäftigt sich jetzt mit genau diesem spezifischen Wort, dem indefiniten Personalpronomen man. Etymologisch ist man tatsächlich mit Mann verwandt, aber es hat, im Gegensatz zu dem Substantiv, seine ursprüngliche geschlechtsneutrale Bedeutung bewahrt, einfach deshalb, weil es in erster Linie eine syntaktische Funktion hat, kein Bedeutungsträger ist. Das Benutzen von frau hat genau den gegenteiligen des gewünschten Effekts. Es betont den Kontrast und gibt damit man eine männliche Bedeutung, die es gar nicht hat. Es ist bezeichnend, dass diese Puristen nicht bemerken, dass man auch in jemand, niemand und jedermann steckt. Das fällt ihnen aus guten Gründen nicht auf: Diese Wörter haben ebenfalls eine syntaktische Funktion, ihre Bedeutung ist verblasst. Sie sind neutral.

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Frau Finke und Herr Strauß

Adler, Schwan und Specht, Geier, Habicht und Hahn sind nur einige wenige, prominente Beispiele von Vogelnamen, die Familiennamen sind. Aber das sind längst nicht alle: Storch, Strauß und Star gehören dazu genauso wie Kleiber, Kiebitz und Gimpel. Und natürlich der Vogel selbst. Aber auch weniger prominente Namen wie Spielvogel und Grasmück. Auch der unverdächtige Gauck gehört dazu, ein anderes Wort für den Kuckuck. Wie einflussreich die Vogelnamen für unsere Familiennamen sind, macht man sich erst klar, wenn man die Liste ansieht. Viele Vogelnamen treten in Varianten auf: Fink, Finke und Finck, Falk und Falke, Raab und Raabe. Die Gründe für die Benennung können ganz unterschiedlich sein: Ähnlichkeiten im Aussehen oder Verhalten, Aufzucht oder Handel mit den Vögeln, Hausnamen, die zu Familiennamen wurden. Aber es gibt auch Vogelnamen, die gar keine sind, jedenfalls nicht in ihrem Ursprung. Einige sind verballhornte Rufnamen, wie Burgard, der zum Bussard wurde, Ulrich, der zum Uhl wurde, Johann, der zum Hahn wurde. Ein und derselbe Name kann unterschiedlich motiviert sein: der Strauß kann nach Blumen, nach dem Laufvogel, nach einem Strauch oder nach Streit (vgl. einen Strauß ausfechten) benannt sein. (Beier, Ulf: Familiennamen nach Vogelnamen, in: Der Sprachdienst 65/2021:220-226)

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Genial?

In einem von Carolin Dweck durchgeführten Experiment absolvierten zwei Studentengruppen nicht allzu schwere Mathematikaufgaben. Die erste Gruppe wurde anschließend für ihr Talent gelobt, die zweite für ihren Fleiß und ihre Ausdauer. Im zweiten Teil des Experiments gab es schwerere Aufgaben. Die, die für ihren Fleiß gelobt worden waren, zeigten Biss und schrieben passable Ergebnisse. Die anderen, die sich etwas auf ihr Talent einbildeten, schmissen die Flinte schnell ins Korn und scheiterten häufiger. Das vielgelobte Talent, der genetische Zufallsfaktor, spielt eine geringere Rolle als man allgemein denkt. So war Einstein, der Inbegriff des Genies, kein besonders guter Mathematiker. Er besaß aber einen Riecher für die richtigen Fragestellungen. Und Durchhaltevermögen.  (Wehr, Marko: „Philosophie – so findet man den Weg zum Glück“, in: Aula, SWR 2: 15/08/2021)

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Friedliche Kommunikation

Einer der Gäste einer Talkshow im deutschen Fernsehen sollte damals, 1983, Michael Kühnen sein, Mitbegründer der Aktionsfront Nationaler Sozialisten und prominenter Star der Neonazi-Szene. Kühnen war gerade erst aus dem Gefängnis entlassen worden, nach drei Jahren Haft wegen Verbreitung von Neonazi-Propaganda. Der Rundfunkrat von Radio Bremen debattierte die Einladung, mit dem Ergebnis, dass Kühnen kurz vor der Sendung ausgeladen wurde. Er sah sich die Talkshow zu Hause an. Ein anderer Gast der Sendung war Erich Fried, Dichter der Linken, Freund von Rudi Dutschke, Jude, in Wien geboren, nach London emigriert. Seine Großmutter starb in Auschwitz, sein Vater wurde von Nazis zu Tode getreten. In der Sendung sprach sich Fried vehement gegen die Ausladung aus und warb für das Gespräch. Die Neonazis hätten teils ganz ehrliche, wenn auch verderbliche Ansichten. Nach der Sendung nahm Kühnen mit Fried Kontakt auf. Es entwickelte sich zwischen ihnen eine Korrespondenz, die bis 1984 dauerte. Da litt Fried schon an Krebs. Ein Jahr später starb er. Fried ertrug während dieser Zeit das Leugnen des Holocausts durch Kühnen und Verse zum Muttertag, die er von Kühnen bekam, gedichtet von Adolf Hitler. Er besuchte Kühnen auch im Gefängnis. Sein persönliches Projekt, Kühnen vom Holocaust zu überzeugen, scheiterte, aber er ließ sich nicht beirren. Frieds Freunde und sein Verleger sahen das als Irrsinn an. Aber warum eigentlich? Warum soll es ein Verdienst sein, Andersdenkende vom Gespräch auszuschließen? (Camman, Alexander: „Einstweilen alles Liebe! Dein Erich“, in: Die Zeit 6/2021: 49)

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Da steckt Musik drin

Musik macht klug. Musik macht klüger. Diese Annahme hat dazu geführt, dass in zwei Bundesstaaten der USA jedes neugeborene Baby mit einer Mozart-CD beglückt wird. Doch die Sache hat einen Haken: Die Annahme stimmt nicht. Es gibt keinerlei wissenschaftliche Grundlage dafür. Seit Jahrzehnten versuchen Forscher (meist selbst Musiker), den allgemeinen Bildungseffekt des Musikunterrichts zu belegen. Seit Jahrzehnten polemisiert Glenn Schellenberg, ein kanadischer Psychologe (selbst Musiker) dagegen. Sein wichtigster Einwand: Es wird, wie so oft, Korrelation und Kausalität verwechselt. Erstaunlich, wie viele Wissenschaftler nicht immun sind gegen diesen methodischen Bazillus. Wenn ein Kind, das Musik spielt, ein größeres Abstraktionsvermögen, bessere Sprachfähigkeiten oder bessere Noten in Mathematik hat, dann liegt das nicht zwingend daran, dass es Musik macht. Die Transferleistungen sind nicht durch die Musik zustande gekommen. Wer Klavier spielt und bessere Noten hat, ist vielleicht einfach allgemein leistungsbereiter. Oder stammt aus einem Elternhaus, in dem Wert auf Bücher und anregende Gespräche gelegt wird. Ein weiteres methodisches Problem ist der Faktor Langzeitwirkung. Forscher vergleichen Kinder, die Musik machen mit Kindern, die keine Musik machen, aber sie können kaum beobachten, wie sich die Musik im Laufe der Jahre auswirkt. Dennoch wird in unzähligen Studien immer wieder der Zusammenhang behauptet. Besonders unkritisch zeigen sich, Schellenberg zufolge, Hirnforscher, wenn es um ihre Methode geht. Sie neigen dazu, ihre Studien mit EEGs und Kernspintomographen zu untermauern. Aber mit beeindruckenden Apparaturen lassen sich nicht so ohne Weiteres objektive Sachverhalte messen. Und man kommt leicht zu falschen Ergebnissen, wenn man Talent und Durchhaltevermögen “herausrechnet”, weil man nicht weiß, wo sie im Gehirn sitzen. (Drösser, Christoph: “Macht Musik wirklich klüger?”, in: Die Zeit 53/2019: 39.)

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Tageslichttauglich

“Eine kleine Nachtmusik” ist nicht der eigentliche Titel von Mozarts Stück. Der lautet Serenade Nr. 13 für Streicher in G-Dur. Die Nachtmusik hat sich zwar eingebürgert, beruht aber auf einem Missverständnis: Serenate ist von sereno, ‘fröhlich’, abgeleitet, nicht von sera, ‘Abend’. Die Musik ist also tageslichttrauglich.

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Mit dem Auto ins Schleudern gekommen

In einer Fernsehsendung sagt ein Verkehrspsychologe, der Deutsche sei nicht Autofahrer, sondern das Auto selbst. Das könne man auch Aussagen wie „Ich stehe da hinten“ ableiten, in denen der Autofahrer sich nicht auf sich, sondern auf sein Auto beziehe. Das ist natürlich hanebüchener Unsinn Es handelt sich um einen ganz normalen metonymischen Gebrauch von Sprache. Schlussfolgerung auf die Verfassung des Sprechers oder gar „des Deutschen“ lässt die nicht zu. Das sieht man schon daran, dass die gleiche Aussage sich auch auf ein Fahrrad beziehen könnte. Niemand würde deshalb auf den Gedanken kommen, dem Sprecher zu unterstellen, er sei ein Fahrrad. „Du bist Zweiter“ auf der Tribüne der Galopprennbahn oder „Du musst ins Gefängnis“ bei Monopoly lassen nicht den Schluss zu, der Sprecher identifiziere den Angesprochenen mit einem Pferd oder einem Spielstein. Und außerdem: Wenn die Schlussfolgerung des Verkehrspsychologen richtig wäre, müsste dieser Sprachgebrauch exklusiv im Deutschen und nicht in anderen Sprachen zu finden sein. Das dürfte kaum der Fall sein.

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Auf der Insel des Kaisers

Friedrich Spee wurde hier geboren, in Kaiserswerth, und nicht in Trier, wie ich dachte. Dort hat er nur ein paar Jahre als junger Mann und die letzten Jahre vor seinem Tod verbracht. Die Friedrich-Spee-Gesellschaft ist auch hier in Kaiserswerth ansässig, und im Zentrum gibt es eine Friedrich-von-Spee-Straße. Ob mit oder ohne von scheint eher willkürlich zu sein.

Wer sich über Friedrich Spee in Kaiserswerth wundert, wundert sich erst recht über Florence Nightingale in Kaiserswerth. Aber die hat hier wirklich ihre Ausbildung zur Krankenschwester gemacht, gegen den Willen ihrer vornehmen Familie, die so etwas als ihrem Stande nicht würdig empfand. Die Legende hat die Wirklichkeitihres Wirkens etwas verzerrt, denn ihre Aufgabe war in erster Linie der Aufbau einer funktionierenden Krankenversorgung, die Organisation der Abläufe, die Sicherung von Nachschub, und erst in zweiter Linie der direkte Kontakt mit den verletzten oder erkrankten Soldaten. Sie war eine Macherin, eine Managerin. Und zwar eine sehr erfolgreiche. Auf unserem Rundgang durch Kaiserswerth stoßen wir nicht auf sie. Vielleicht hat sie ihre Ausbildung in der Diakonie gemacht, dem evangelischen Gegenstück zur katholischen Caritas. Die wurde, wie ich jetzt erfahre, hier, in Kaiserswerth, von dem Ehepaar Fliedner gegründet, im 19. Jahrhundert. Die Gebäude der Diakonie nehmen einen ganzen Straßenzug ein, auf dem Kaiserswerther Markt, der lang gestreckten Geschäftsstraße des Zentrums, die sich hier in zwei Teile teilt. Auf dem nördlichen Teil befindet sich die Diakonie. Die ganze Gebäudestrecke ist in zwei gleichmäßige Teile geteilt durch eine etwas erhöht liegende, weiß getünchte Kirche, der man ansieht, dass sie evangelisch ist. Eine zweiläufige Treppe führt zu dem Eingang mit einem erhöhten Abschluss, barock, aber einfach. Wir erfahren auf einer der Schautafeln, dass die Diakonie ursprünglich ein Asylantenheim war, obwohl nicht ganz klar ist, was damals unter Asylanten zu verstehen war. Das Krankenhaus, das der Diakonie angeschlossen ist, heißt Florence-Nightingale-Krankenhaus. Also doch wenigstens eine Spur.

Kaiserswerth trägt seinen Namen zu Recht: Hier waren die Kaiser am Werk. Sie errichteten hier eine Pfalz. Der eigentliche Erbauer war Heinrich II. Diese Pfalz wurde später von Friedrich Barbarossa ausgebaut (der im übrigen auch in Kaiserslautern eine Pfalz errichten ließ). Der verlegte eine Zollstation von Holland hierher, und diese Zollstation bestand jahrhundertelang, die Grundlage für den Reichtum Kaiserswerths. Der Ort entwickelte sich um die Pfalz herum und wurde später zur Stadt erhoben. Das kaiserliche Erbe erklärt auch, warum auf dem Stadtwappen, auf das wir immer wieder stoßen, ein doppelköpfiger, schwarzer Adler auftaucht. Der zierte schon im Mittelalter das Wappen der Stadt. Das Kreuz, das er auf der Brust trägt, ist kurkölnisch.

Das alles erklärt den Kaiser in Kaiserswerth, aber es erklärt nicht Kaiserswerth. Der zweite Wortbestandteil ist nicht so offensichtlich wie der erste. Er ist abgeleitet von dem althochdeutschen Wort werid, ‚Insel‘. Wir befinden uns also auf der ‘Insel des Kaisers’. Aber: Wo ist die Insel? Keine Spur davon. Die Erklärung: Die Insel gibt es nicht mehr. Sie wurde früher gebildet von dem Rhein und einem Nebenarm des Rheins, der einen Winkel bildete. Dieser Nebenarm wurde zugeschüttet von Angreifern, die es auf die Burg abgesehen hatten. Und das alles nur, um den Bischof von Münster zu befreien! Und weg war die Insel! Fehlt noch ein kurioses Detail, das dem Ganzen den Gipfel aufsetzt: Der Nebenarm des Rheins war kein natürlicher Nebenarm, sondern zum Schutz der Burg künstlich angelegt worden!

Zu der gelangen wir zuerst, über eine schön angelegte Allee. Es sind zwar nur noch Ruinen erhalten, und es ist nicht ganz einfach, das, was man sieht, in Einklang zu bringen mit dem, was man auf Abbildungen sieht, die die alte Burg darstellen, aber was an Ruinen übrig geblieben ist, ist beachtlich. Vor allem die Höhe der Anlage – sie umfasste drei Stockwerke – kommt noch voll zur Geltung.

Von oben sieht man auf den Rhein und die gegenüberliegende Rheinseite, die linke. Hier verkehrt tatsächlich noch eine Fähre. Auch heute ist sie in Betrieb. Der Blick rheinaufwärts wird pointiert durch eine moderne Skulptur, die man hier vor der Burg aufgestellt hat. Sie zeigt einen Menschen in stark stilisierter Form. Was für eine Bewandtnis es mit der Skulptur hat, erfährt man nicht.

Die Grundmauern der Burg sind aus unbearbeiteten, großen Granitsteinen, durch Zement zusammengehalten. Man sieht aber auch Wände aus Sandstein und aus Ziegelsteinen. Auffällig ist ein runder Turm mitten in der Anlage. Er beherbergte ursprünglich die Burgkapelle und wurde später, als bei einem Umbau eine neue Kapelle hinzukam, zum Brunnen umgebaut. Hört man auch nicht alle Tage.

In die Umfassungsmauer der Kaiserpfalz sind Grabsteine eingelassen. Auf einem lesen wir, dass der „achtbare Petter Duckdorff“ im Alter von 63 Jahren, „im Herrn erschlaffen“ sei. Kein Rechtschreibfehler, sondern Zeichen für die Verlängerung des Vokals. Der verlängerte Vokal wurde früher, jedenfalls in vielen Varianten des Deutschen, durch einen Doppelkonsonanten angezeigt. Das sieht man auch an Petter, dem Vornamen des achtbaren Mannes. Deshalb ist ein Schäffer ein Schäfer genauso wie ein Guttenberg ein Gutenberg und die Utta eine Uta ist.

Von der Kaiserpfalz kommen wir zur Stiftskirche, einer dreischiffigen, flachgedeckten Basilika mit auffällig niedrigen Seitenschiffen. Von wann die verschiedenen Bauteile stammen, ist schwer zu sagen. Die Glasfenster sind modern, ihre Form eher romanisch. Der Raumeindruck ist nicht überwältigend, aber das Licht kommt an diesem sonnigen Tag gut zur Geltung.

Von der Ausstattung ist ein goldener Reliquienschrein im Chor das wertvollste Stück. Dummerweise ist der Chor abgeschlossen und man kann ausgerechnet diesen Schatz nicht aus der Nähe ansehen. Aus der Distanz sieht er aus wie der kleine Bruder des Dreikönigsschreins in Köln. Der Schrein beherbergt die Reliquien des Hl. Suitbert, einem angelsächsischen Missionar, der im Gefolge von Willibrord auf den Kontinent kam. Dem ist die Existenz Kaiserswerths zu verdanken. Er gründete hier das Kloster und war dessen erster Abt. Über sein abenteuerliches Leben weiß man etwas durch Bedes berühmte Geschichte. Sein Anliegen brachte ihn aus Irland nach England, nach Rom und zu den Franken und Sachsen. Es ging hin und her. Was er allein an Reisen in diesen gefährlichen Zeiten hinter sich gebracht hat, ist beeindruckend. Zum Heiligen wurde er durch die Bekehrung fränkischer Stämme, die zwischen Ruhr und Lippe angesiedelt waren. Dabei konnte er auf die Unterstützung von Pippin zählen.

Zur Ausstattung der Kirche gehört auch ein fünfeckiger Taufstein, der von Löwen bewacht wird, die das Aussehen von Hunden haben. Im südlichen Seitenschiff eine Kreuzigungsszene mit einem zu groß geratenen Kreuz, und im nördlichen Seitenschiff ein schöner Christus, ganz spärlich bekleidet, ausgezehrt, mit gesenktem Kopf und weit ausgebreiteten Armen. Das Kreuz fehlt. Die Figur hängt vor einer vergoldeten Wand.

Auf dem Stiftsplatz befinden sich Spees Geburtshaus und andere historische Häuser, ein schönes Ensemble. An der Außenwand der Kirche, im Osten, ist ein großes Bronzerelief angebracht, in Erinnerung an Spee. Im Zentrum des Reliefs stützt Spee eine in Ketten gelegte Frau, die als Hexe verurteilt worden ist. Er beugt sich über sie. Das Relief hat so viele Szenen und Figuren, dass wir immer wieder was Neues entdecken, u.a. die Folterwerkzeuge der Hexenprozesse, die Stiftskirche selbst, das Emblem des Jesuitenorden und einen Stern. Der steht für Suitbert, und dem Stern begegnet man hier in Kaiserswerth immer wieder.

Wir kommen zum Kaiserswerther Markt. Hier gibt es einen Friseur, der einfach Friseur heißt, einen anderen Friseur, der Hairlich heißt, und eine Buchhandlung, die Lesezeit heißt. Die Straße hat auf beiden Seiten historische Häuser mit schönen Fassaden. Die meisten sind aus einem dunklen Backstein gebaut. Eins von ihnen beheimatet das Restaurant Im Schiffchen, ein Restaurant der Spitzenklasse. Die Speisekarte hört sich aber gar nicht abschreckend an, und die Preise sind hoch, aber nicht astronomisch.

Auf der gegenüberliegenden Seite steht ein Haus mit Giebel, in dessen Fassade mit Ankersplinten die Jahreszahl der Erbauung eingelassen ist. Das Haus war das ehemalige Zollhaus, und als Erinnerung daran sieht man in einer Nische an der Ecke des Hauses eine Figur, die mit einem Anker und einem Geldbeutel ausgestattet ist, Erinnerung an die einträgliche Zollstation, die Kaiserswerth vom Mittelalter an über Jahrhunderte Reichtum verschaffte. Das scheint auch heute noch zu sein, obwohl das Zentrum teils auch gediegen und teils sogar bäuerlich aussieht.

Wir gehen bis zum anderen Ende des Kaiserswerther Markts, bis zu einer Brücke, unter der man Wasser vermutet, aber keins findet. Beides hat seinen Grund: Hier verlief ehemals der Nebenarm des Rheins, und der markierte die Stadtgrenze, und auch heute noch markiert die Brücke das Ende der Altstadt.

Nach der Besichtigung machen wir Rast in einem schön gelegenen Biergarten, unter Bäumen, direkt am Rhein. An den Preisen merkt man, das Kaiserswerth auch heute nicht gerade ein Armenviertel ist.

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Das Leben ein Traum

Kein Tier kann ohne Schlaf überleben. Schlaflosigkeit, wenn künstlich herbeigeführt, macht krank und führt im schlimmsten Fall zum Tod.

Das Schlafbedürfnis der Kleinsten ist dabei am größten. Babys haben den Schlaf so nötig, dass sie sich beim schlimmsten Lärm tief schlafen. Die REM-Phase ist bei jüngeren Tieren in der Regel aktiver als bei älteren Tieren und dauert länger.

Warum wir überhaupt schlafen, darauf gibt es keine schlüssige Antwort. Oft wird das Bedürfnis nach Ruhe als Grund angeführt, aber das Gehirn ist während des Schlafs alles andere als ruhig. Wir sprechen im Schlaf, wir schlafwandeln, wir träumen. Und nicht nur derjenige, der am Tag aktiv war, schläft, sondern auch derjenige, der den ganzen Tag auf dem Sofa verbracht hat. Der Schlaf scheint andere Funktionen zu haben. Vielleicht geht es eher um das Aufräumen im Kopf. Der Tagesrhythmus ist dazu von biochemischen Prozessen bestimmt, nicht von dem Grad der Erschöpfung. Vereinfacht gesagt: Wir schlafen, weil es dunkel wird.

Die Länge des Schlafs variiert im Tierreich sehr. Giraffen schlafen nur etwas zwei Stunden pro Tag, Fledermäuse schlafen bis zu zwanzig Stunden pro Tag. Elefanten kommen mit fünf Stunden aus, aber der Anteil der Traumphasen ist bei ihnen sehr hoch, höher als beim Menschen. Vögel schlafen um die zehn Stunden, aber nicht am Stück. Mauersegler schlafen im Flug. Vom Beginn ihres ersten Flugs an verbleiben sie mehr als zwanzig Monate in der Luft. Dabei trinken sie, fangen Insekten, lieben sich und schlafen.

Enten schlafen in Gruppen. Dabei haben die, die außen positioniert sind, ein Auge geschlossen, eins geöffnet. Im Laufe der Nacht wechseln sie die Position, im doppelten Sinne: Sie drehen sich um, so dass das jeweils andere Auge geschlossen bzw. geöffnet ist, und sie tauschen mit Enten, die im inneren Kreis waren und die jetzt die Wache übernehmen, während sie beide Augen schließen können. Auch Meeressäuger schlafen halbseitig. Und junge Wale schlafen gar nicht. Sie müssen es erst lernen.

Augenlider sind eine relativ neue Erfindung der Evolution. Sie sind die Voraussetzung fürs Träumen. Nur Säugetiere, Vögel und Reptilien haben Augenlider. Stachelhäuter, Fische, Krebse haben keine Augenlider, auch Schlangen nicht. Sie können deshalb die Augen nicht schließen. Bestimmte Reptilien wie Frösche können allerdings die Augen komplett einfahren. Sie schlafen, aber sie träumen nicht.

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Schleierhaft

Warum heißt der Graue Star eigentlich Grauer Star? Das hat sich wahrscheinlich jeder schon mal gefragt, der die Diagnose gehört hat. Haben die Stare oder gar die Stars etwas damit zu tun? Nein, weder noch. Der Graue Star kommt von starr und bezieht sich auf den starren Blick, den man Patienten mit dieser Krankheit attestierte. Zugrunde liegt mittelhochdeutsch starra plint, Blindheit durch Erstarrung.

Der medizinische Terminus ist Katarakt. Das Wort bezeichnet das Augenleiden, aber auch einen Wasserfall. Was war zuerst da? Die Bedeutung ‚Wasserfall‘ war die ursprüngliche, das tertium comparationis der Schleier, der sich bei herabstürzendem Wasser bildet und der Schleier, der sich vor dem Auge bildet, wenn man dieses Augenleiden hat. Die Araber nennen die Erkrankung heute noch ‚Weißes Wasser‘. Man meinte früher, es würde etwas über die Pupille fließen.

Kunstmaler mit Katarakt malen mit zunehmender Krankheit in dumpfen, weniger kontrastreichen Farben, z.B. Turner, der nachgewiesener Weise den Grauen Star hatte. Das Wort kam aus dem Lateinischen ins Deutsche, ist aber ursprünglich griechisch. Das griechische Wort ist Maskulinum, das lateinische Femininum. Das schlägt sich im heutigen deutschen Gebrauch nieder: Katarakt in der Bedeutung ‚Wasserfall‘ ist Maskulinum, Katarakt in der Bedeutung ‚Augenleiden‘ ist Femininum! Auch andere Sprachen haben das Wort in beiden Bedeutungen übernommen, darunter Englisch und Spanisch, aber ohne Genusunterscheidung. Das griechische Wort bedeutete ursprünglich ‚Fallgitter‘ oder ‚Tor‘. Der dynamische Aspekt des Herabstürzens war verantwortlich für die Bedeutung ‚Wasserfall‘. Die in King Lear erwähnten Katarakte sind, oberflächlich betrachtet, Teile des tosenden Sturms, können aber auch als Verweis auf Lears Blindheit verstanden werden.

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Ein Hingucker

In Luxemburger Wörtern taucht gelegentlich der Buchstabe <ë> auf. Er wurde anstelle des ursprünglichen <ö> eingeführt, um einen Laut zu bezeichnen, der irgendwo zwischen denen von <ö> und <e> angesiedelt ist. Natürlich findet sich das Trema auf dem <e> auch in anderen Sprachen wie dem Französischen. Am häufigsten vertreten ist es im Albanischen, wo es der häufigste Buchstabe überhaupt ist. Im Deutschen taucht es höchstens in Eigennamen wie dem Nachnamen Piëch auf und ist ein Indiz dafür, dass die ursprüngliche Aussprache anders war als die assimilierte deutsche Aussprache heute. Das Trema hat hier seine „eigentliche“ Funktion, die Funktion der Trennung der Vokale. Anders ist es bei Mme. de Staël, bei der der Buchstabe keinen Laut vertritt. Bei den englischen Brontës ist es eine reine Spielerei. Die Geschwister wollten den ursprünglich Bronte geschriebenen Namen irgendwie aufwerten, cooler wirken lassen. Das <ë> ist weder historisch relevant noch für die Aussprache. Im Luxemburgischen, dem Ausgangspunkt dieser Bemerkungen, hat der ungewöhnliche Buchstabe seinen prominentesten Platz im Namen des Landes, Lëtzebuerg.

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Milkman

The protagonist of Milkman is not a milkman. Nobody quite knows why he is called Milkman. There is also a real milkman, a character who is gaining protagonism as the story develops. To distinguish him from the other milkman, he is referred to as real milkman. After some dramatic events, in which both milkmen are affected by acts of violence, it is revealed that the first milkman is called milkman because his name is Milkman. First, the narrator is puzzled but then she starts thinking: Butcher‘s a name, Sexton‘s a name. And so is Weaver, Hunter, Roper, Cleaver, Player, Mason, Thatcher, Carver, Wheeler, Planter, Trapper, Teller, Doolittle, Pope and Nunn. Why shouldn‘t Milkman be one? (Burns, Anna: Milkman. London: Faber & Faber, 2018: 304)

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Bestimmung

Die Stimme eines Menschen gibt uns Hinweise auf das Alter des Sprechers, aber die sind nicht so zuverlässig wie die Hinweise durch das Aussehen. Die Experimente, so weit es zuverlässige Experimente gibt, zeigen, dass man sich bei einem Photo im Schnitt um sechs Jahre verschätzt, bei der Stimme um zehn Jahre. Aber die Stimme verändert sich definitiv mit dem Älterwerden. Die Stimmlippen schließen nicht mehr so gut, die Stimme wird rauer. Und sie wird tiefer. Die Stimme von Männern, die im Stimmbruch um eine Oktav tiefer geworden ist, wird im Alter wieder höher. Die Stimme von Frauen, die sich während der Pubertät nicht ändert, sinkt mit wachsendem Alter, vor allem nach den Wechseljahren. Zusätzlich bewirken kognitive Veränderungen, dass wir langsamer sprechen. (Drösser, Christoph: “Stimmt’s”, in: Die Zeit 19/2020: 33)

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Geheimschrift

Astrid Lindgren, die ausgebildete Sekretärin war, schrieb ihre Manuskripte in Kurzschrift. Erst wenn sie ganz zufrieden war, tippte sie sie ab. Deshalb gibt es in diesen Texten kaum Korrekturen. Bis heute können viele ihrer Manuskripte nicht gelesen werden. Bei einer erfahrenen Stenotypistin wie Lindgren ähneln die Zeichen der Kurzschrift einer Geheimschrift. (Hörnlein, Katrin: Pippis Erben”, in: Die Zeit 19/2020: 53-54)

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Zeigt her eure Knie

Nicht alle Menschen haben sie: die Fabella. Es handelt sich um ein kleines, rundes Knöchelchen in der Kniekehle. Immer mehr Menschen, heißt es, besäßen heute eine Fabella. Das legt eine Untersuchung aus dem Jahr 2019 nahe. Die untersuchte Studien aus den letzten 150 Jahren und sah, dass in denen immer häufiger von der Fabella die Rede war. Aber, wie so oft in der Forschung, werden Ergebnisse, besonders wenn sie Aufmerksamkeit erregen, weil sie verblüffend sind, falsch dargestellt. Wenn in den untersuchten Studien vermehrt von der Fabella die Rede ist, heißt das noch nicht, dass mehr Menschen eine Fabella haben. Es kann einfach sein, dass sie mehr Beachtung gefunden hat. Das verschweigt die Studie (oder erwähnt es nur ganz am Rande). Und das führt zu falschen Schlussfolgerungen. Was den ästhetischen Reiz des Knies angeht, hatte Coco Chanel eine besonders dezidierte Meinung: Nicht eine von hundert Frauen habe ein schönes Knie, befand sie. Nicht schwer zu erraten, wie sie zum Minirock stand. (Rezec, Oliver: “Das große Osterrätsel ist gelöst”, in: Süddeutsche Zeitung 96/2020: 57)

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Gesundschrumpfen?

Als das Weströmische Reich unterging, blieb das Oströmische Reich bestehen. Und nicht nur das. Es verstand sich als einzige Großmacht, höchstens von Persien in seiner Hegemonie bedrängt. Zu dem Reich gehörten im Jahre 600 noch Antiochia, Karthago, Alexandria und auch Rom selbst, sowie sämtliche Mittelmeerinseln! Und Konstantinopel selbst war eine prächtige Stadt mit Hunderttausenden von Einwohnern. 200 Jahre später sah das ganz anders aus. Das Reich war auf ein Viertel seines ehemaligen Territoriums zusammengeschrumpft, reduziert auf Griechenland, Kleinasien und Süditalien. Doch gerade das war seine Rettung. Aus einem unregierbaren Reich wurde ein viel kleineres, homogeneres Staatswesen geworden, mit einem höchst effizienten System der Verteidigung und einer überschaubaren Verwaltung. Dieses System hielt sich noch Jahrhunderte. (Käppner, Joachim: “Betet, meine Kinder”, in: Süddeutsche Zeitung 96/2020: 51)

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Yid

Yid is a word used to refer to supporters of Tottenham Hotspur because many of their supporters are (believed to be) Jewish. The word has an entry in the OED and a variegated history. Yid war originally a Jiddish word used by Jews to refer to themselves. A neutral word. From the 1930s onwards, it began to gain negative connotations and was used by non-Jews to refer to Jews, in a derogatory way. This is, at least approximately, the way it is used by supporters of other football clubs to refer to the Spurs supporters (though one could argue that the racial undertones are not relevant here). It has become a nickname, as the OED calls it. And, as has happended to other words in recent decades, it has now been reclaimed by its former victims. In a response to the hostile word used by supporters of other clubs, Spurs supporters (some of them) have begun to use it themselves, thus allieviating the word of its charge. In a recent survey amongst Spurs supporters, 33% of respondent said they used the word regularly, though almost half of them said the word should be used less or not at all. Amongst Jewish Spurs supporters, 16% said the word should be used less, 26% said that it should be used not at all, but 58% said they did not object at all to the use of the word. The fact that the word was included in the OED spurred a lot of protest, a protest which is based on false assumptions about dictionaries (and probably language). The headline of the Guardian article says it all. (Murphy, Lynne: “The point of dictionaries is to describe how language is used, not to police it”. The Guardian: https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/feb/17/dictionaries-language-tottenham-hotspur-oed-y-word-definition (accessed 24/04/2020)

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Biber miber

Im Türkischen kann man die Form falan filan einem Substantiv hinzufügen, wenn noch andere Dinge dazugehören, man diese aber nicht ganz genau benennen kann. Das bedeutet so etwas wie ‘und dergleichen’, ‘solche Sachen’, ‘so ein Zeug’, ‘und so weiter’. Wenn man Salat und so ein Zeug noch besorgen will, spricht man von salata falan filan. Man kann sich auch mit einer der beiden Formen begnügen, aber dann hat man keine freie Auswahl. Die richtet sich nach der türkischen Vokalharmonie. Es muss also salata falan heißen, aber, wenn es sich um Paprika handelt, biber filan. Auch für Personen (und deren Anhang) kann man das benutzen: Merve filan, ‘Merve und so’. Es gibt noch eine weitere Form, dasselbe auszudrücken, und zwar durch eine Reimdoppelung. Dabei wird das Wort wiederholt, bekommt aber im Anlaut ein /m/. So kann man von domates momates sprechen oder von biber miber.

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Simple, pero no fácil

Im Libanon lässt sich alles erklären und nichts verstehen. Schöne Formulierung, in einem Zeitschriftenartikel gefunden. Der (scheinbare) Widerspruch von erklären und verstehen bringt eine Spannung in den Satz, die ihn von einer alltäglichen Formulierung unterscheidet. Ähnlich in einer Radiosendung, in der im Zusammenhang mit Apollo 13 von erfolgreichem Scheitern die Rede war- successful failure. Oder in einem Rezept für die spanische Fabada im Internet. Da heißt es, eine Fabada zu machen, sei einfach aber nicht leicht – simple, pero no fácil.

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Monduntergang

Bei Vollmond gepflückte Äpfel verrotten schneller als die zu anderen Zeiten gepfückten, bei Vollmond gefälltes Holz ist besser als das zu anderen Zeiten gefällte. Immer wieder hört man diese Behauptungen. Im Fernsehen werden zwei Experimente gezeigt – sehr einfach bei den Äpfeln, aufwändig beim Holz – die beides überzeugend widerlegen. Aber dann kommt eine wissenschaftliche Studie, die belegt, dass man bei Vollmond schlechter schläft. Seit Jahren mache ich mir keine Freunde, wenn ich das als Unsinn bezeichne. Aber jetzt kommen Wissenschaftler und belegen diese These. Und sind selbst überrascht von dem Ergebnis. Sie hätten sich die Daten immer wieder angesehen, aber es gebe kein Vertun: Bei Vollmond waren die Probanden fünf Minuten später eingeschlafen, fünf Minuten eher aufgewacht und hatten um 30% kürzere Tiefschlafphasen gehabt. Doch dann sieht ein anderer Wissenschaftler sich die Ergebnisse an und stellt fest: Bei den Vollmond-Probanden war das Durchschnittalter viel höher als bei den anderen. Und alte Menschen schlafen eher etwas schlechter (meines Erachtens deshalb, weil sie tagsüber, oft ohne es zu merken, schon mal ein Nickerchen machen). Wieder das alte Lied: Es gab eine Korrelation zwischen zwei Faktoren, keinen Kausalzusammenhang! Der kritische Wissenschaftler führte dann ein eigenes Experiment durch, mit 200 Probanden und viel mehr Schlafstunden als bei dem ursprünglichen Experiment. Und einer ähnlichen Altersstruktur bei beiden Gruppen. Ergebnis: kein Unterschied! Der Mythos wird sich trotzdem halten. Was sind schon Fakten gegen die eigenen Erfahrung, gegen die eigene Wahrnehmung, gegen die eigene Überzeugung? Ich werde mir weiterhin keine Freunde machen, wenn die Rede auf das Thema kommt. Es sei denn, ich halte die Klappe.

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Schaltstelle 23

Der Mensch hat 23 Chromosomenpaare in seinem Erbgut. Und auf das 23. kommt es an, wenn es um das Geschlecht geht. Man hat zwei X-Chromosomen oder ein X-Chromosom und ein Y-Chromosom. Zwei X-Chromosome zu haben ist ein Vorteil: Gibt es in einem Chromosom in einem Gen einen Defekt, kann der durch das andere ausgeglichen werden. Bei Säugetieren, und eben auch beim Menschen, haben die Weibchen zwei X-Chromosome. Das bedeutet auch eine längere Lebenserwartung: Frauen leben weltweit etwas viereinhalb Jahre länger als Männer. Auch bei anderen Tieren ist das der Fall. Extreme Beispiele sind die Deutsche Schabe und die Breitfuß-Beutelmaus. Weibliche Schaben leben ca. 200 Tage, männliche nur ca. 25 Tage, bei den Mäusen sterben die Männchen nach ca. elf Monaten, die Weibchen werden bis zu drei Jahre alt. Es gibt aber auch Tiere, bei denen die Männchen zwei X-Chromosome haben. Dazu zählen Vögel und Schmetterlinge. Hier hat das Männchen eine längere Lebenserwartung, aber ihr Vorteil an Lebenszeit ist geringer. Er liegt nur bei ca. 7%. Das 23. Chromosom erklärt also nicht alles, auch die unterschiedliche Lebenserwartung bei den Menschen nicht. Eine weitere Rolle spielt der Lebensstil. Frauen gehen weniger Risiken ein, trinken weniger Alkohol, ernähren sich vernünftiger. Aber auch die Selektion spielt eine Rolle. Männer verbrauchen viel mehr Energie im Kampf um eine Partnerin. Der zehrt an den Kraftreserven. Und geht auf die Gesundheit. (Regel, Nadine: “Doppelt hält besser”, in: Süddeutsche Zeitung 63/2020: 23)

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Mythenmacher Wissenschaftler

Affirmative citation bias – ein etwas sperriger Begriff, aber was er bezeichnet, ist wichtig. Der Begriff wurde geprägt von einem norwegischen Philosophen aus Lillehammer, Kåre Letrud. Es geht, vereinfacht gesagt, um die Wissenschaftsgläubigkeit der Wissenschaft. Wissenschaftler neigen dazu, an etablierten Erkenntnissen festzuhalten. Der Aufhänger für Letruds These ist die Literatur zum Hawthorne-Effekt. Es gab drei Studien, die die Stichhaltigkeit der Untersuchungen zum Hawthorne-Effekt in Zweifel zogen. Die Datenlage war einfach nicht solide genug. Diese Studien wurden wiederum zitiert von anderen Wissenschaftler, aber als Bestätigung des Hawthorne-Effekts! Obwohl sie gerade das Gegenteil aussagten! Eine der Studien wurde insgesamt 196 mal zitiert, dabei 155 mal falsch, als Bestätigung des Hawthorne-Effekts. Wie kommt das? Haben die Wissenschaftler die Studien falsch verstanden? Oder erst gar nicht gelesen? Und gedacht, ach, da ist vom Hawthorne-Effekt die Rede, also kann ich die Autoren als Gewährsleute für den Hawthorne-Effekt zitieren. Oder haben sie die Studien gelesen, waren aber so sehr auf eine positive Bewertung des Hawthorne-Effekts gepolt, dass sie ihre Vor-Urteil in den Text hineingelesen haben? Wie dem auch sei, nicht nur Laien, auch Wissenschaftler sind offensichtlich beteiligt an der Verbreitung wissenschaftlicher Mythen. Letrud geht es hierbei nicht so sehr um den Hawthorne-Effekt selbst als um die Rezeption der Literatur zum Hawthorne-Effekt innerhalb der Wissenschaft. Der Hawthorne-Effekt selbst ist davon nicht unbedingt betroffen. Er ist benannt nach der Hawthorne-Fabrik in Cicero, Illinois. Dort wurde in den Zwanziger Jahren untersucht, ob die Lichtverhältnisse Auswirkungen auf die Arbeitsleistung hatte. Es stellte sich heraus: Die Arbeitsleistung stieg bei verbesserten Lichtverhältnissen. Aber: Die Arbeitsleistung stieg auch bei der Kontrollgruppe, bei denen die Lichtverhältnisse dieselben wie vorher waren. Und: Als man in der Experimentalgruppe zu den alten Lichtverhältnissen zurückkehrte, blieb die Arbeitsleistung weiterhin erhöht. Schlussfolgerung: Die Arbeitsleistung stieg nicht aufgrund der verbesserten Lichtverhältnisse, sondern durch die Präsenz der Forscher und weil die Arbeiter wussten, dass sie Teil eines Experiments waren. Das erhöhte ihre Motivation. Menschen, und das ist ein großes Dilemma für solche Untersuchungen, verändern ihr Verhalten, wenn sie wissen, dass sie beobachtet werden. “Mythen der Wissenschaft” in: Forschung aktuell: Deutschlandfunk: 10/02/2020

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Engagement überflüssig

Deutsche Soldaten sind heute – nach dem Krieg lange Zeit undenkbar – an zahlreichen Auslandseinsätzen beteiligt, u.a. in der Westsahara, in Mali, am Horn von Afrika, in Jemen, im Sudan, im Südsudan, in Afghanistan und im Kosovo. Die Stimmen werden, in Deutschland und außerhalb von Deutschland, immer lauter, die mehr “Engagement” von Deutschland fordern. Aber die Erfahrungen der großen militärischen Aktionen der letzten Jahrzehnte spricht dagegen. Mit militärischen Mitteln waren die Ziele nicht zu erreichen, auf einen schnellen Sieg folgte anhaltendes Chaos, was als überschaubare Mission begann, endete in jahrelangen blutigen Auseinandersetzungen. Nach dem Sturz Gaddafis herrschen in Libyen bis heute katastrophale Zustände, ebenso wie im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins; der Angriff auf den Irak 2003 war ein verlogen begründeter Angriffskrieg, die Massenvernichtungsmittel, die den Krieg legitimieren sollten, wurden nie gefunden; die Begründung, der Krieg in Afghanistan dämme den Terrorismus ein und erhöhe die deutsche Sicherheit, war ein taktisches Konstrukt, die Wirklichkeit hat diese Behauptung Lügen gestraft; humanitär begründete Bombenangriffe fordern zivile Opfer, die als “Kollateralschäden” verbucht werden. Im Nachhinein wird noch deutlicher, was von Anfang an klar war: Die Entscheidungen, sich nicht zu beteiligen, waren richtig, die Entscheidungen, sich zu beteiligen, waren falsch:

  • 1990: Helmut Kohl kauft sich mit horrender Summe von der Beteiligung am ersten Irak-Krieg frei
  • 1999: Gerhard Schröder entscheidet sich für eine militärische Intervention im Kosovo, einem Krieg ohne UN-Mandat
  • 2001: Gerhard Schröder entscheidet sich für die Teilnahme Deutschlands am Krieg in Afghanistan
  • 2003: Gerhard Schröder verweigert die Teilnahme am Krieg gegen Saddam Hussein, misstraut der amerikanischen Begründung für den Krieg von Anfang an
  • 2011: Angela Merkel verweigert deutsche Beteiligung am NATO-Einsatz in Libyen

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Gibt es im Deutschen nicht

Sahra Wagenknecht wurde als Sarah Wagenknecht geboren. Oder zumindest unter diesem Namen ins offizielle Geburtenregister eingetragen. Ihre Mutter hätte, wegen des iranischen Vaters, die persische Form Sahra bevorzugt, aber eine couragierte Hebamme wusste das zu verhindern, mit dem Argument, das gebe es im Deutschen nicht. Sarah Wagenknecht benutzte aber die persische Form ihr Leben lang, auch an Schule und Universität. Das ging immer glatt. Bis sie ein Mandat im Europaparlament erhielt. Da wurde die doppelte Namensführung zum Problem. Was Sarah Wagenknecht zum Anlass nahm, eine Namensänderung zu beantragen. So wurde aus Sarah Wagenknecht doch noch Sahra Wagenknecht.

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Nachtschwärmer

Im 17. Jahrhundert wurde die Nacht, die bis dahin terra incognita gewesen war, durch die verbesserten Formen der Beleuchtung, neu erschlossen. Die Straßenbeleuchtung wurde heller und kontrollierbar, die Festbeleuchtung heller und glanzvoller. In den europäischen Metropolen bildete sich das Nachtleben heraus. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren die Feste noch bei Tageslicht gefeiert worden. Das änderte sich jetzt. Parallel dazu ergab sich eine Verschiebug des Tagesablaufs nach hinten. Man kann diese Zeitenverschiebung am deutlichsten an den Mahlzeiten ablesen. In einer französischen Sittenschilderung von 1801 heißt es, die Franzosen hätten vor 200 Jahren ihre Hauptmahlzeit noch um 12 Uhr eingenommen. Heute, heißt es, speisten der Handwerker um 2 Uhr, der Kaufmann um 3 Uhr, der Angestellte um 4 Uhr, der Unternehmer um 5 Uhr, der Minister um 6 Uhr. Die unterschiedlichen Tagesabläufe entwickelten sich also entlang einer sozialen Skala. Je später der Tag begonnen wurde, umso höher der soziale Rang. Früh aufstehen, früh zur Arbeit zu gehen, früh zu Bett gehen wird zu einem Erkennungszeichen der einfachen Leute. Der späte Tagesablauf war ein Privileg der Bessergestellten, und so wie sich der Adel durch spätere Zeiten vom Bürgertum absetzte, so setzte sich das Bürgertum durch spätere Zeiten von den Kleinbürgern und Handwerkern ab. Der Adel ging am Abend ins Theater oder in die Oper. Dann folgten das Soupée. der Spielsalon, der Ball oder das Bordell. Gegen drei Uhr morgens begegneten die Nachtschwärmer auf dem Heimweg den Frühaufstehern, die auf dem Weg zur Arbeit waren. (Schivelbusch, Wolfgang: Lichtblicke. Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main: Fischer, 2004: 133-137)

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Religiöse Alphabetisierung

In einer Realschule im südlichen Münsterland gibt es konfessionsübergreifenden Religionsunterricht. Er wird abwechselnd von katholischen und von protestantischen Lehrern unterrichtet. Um das zuwege zu bringen, bedurfte es eines eigenen Vertrags zwischen dem Kultusministerium, der evangelischen Landeskirche und den katholischen Bistümern. Auch konfessionslose und muslimische Schüler können an dem Religionsunterricht teilnehmen. Dabei gilt es, Ängste zu überwinden. Ein muslimischer Schüler glaubte, die Bibel nicht anfassen zu dürfen, weil es nicht das Heilige Buch war. Der Schulleiter sieht den konfessionsübergreifenden Unterricht als “religiöse Alphabetisierung”. Viele der Schüler wissen nicht, welcher Konfession sie angehören oder ob sie getauft sind. Eine Schülerin äußert sich positiv über den Unterricht. Dort lerne man was über die Religion, zum Beispiel “über das Evangelium und das … Katholium”.

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Die Milch macht’s

Der höchste Energiebedarf beim Konsum von Tee ergibt sich ganz am Ende, beim Kochen des Wassers. Dieser Vorgang fällt mehr ins Gewicht als der Anbau und die Verarbeitung des Tees. Und der Transport spielt die geringste Rolle. Dessen Bedeutung wird häufig überschätzt. Der Transport erfolgt meistens per Schiff, in großen Containern, und auf die Menge Tee bezogen macht das wenig aus. Das gilt auch für konventionell hergestellten Tee. Loser Tee ist besser als Beuteltee, aber die Unterschiede sind nicht groß. Was aber richtig reinhaut, ist die Milch. Deren Herstellung verbraucht rund fünf mal so viele Ressourcen wie der Tee selbst. Selbst wenn es nur ein kleiner Schuss Milch ist. (“Tee oder Kaffee? Was ist besser für Umwelt und Klima?”, in: Umwelt und Verbraucher, Deutschlandfunk: 30/10/2019)

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Ein echter Liberaler?

Klar ist: Vargas Llosa liebt die Kontroverse, nichts läge ihm ferner als ein unreflektiertes Abnicken der Thesen anderer. Und das war wohl auch einer der Hauptgründe, warum er schließlich zum Liberalismus fand – denn für einen echten Liberalen, so Vargas Llosa, gebe es eben keine unumstößlichen Wahrheiten: „Ein Liberaler ist sich bewusst, dass wir nicht alle Lösungen kennen und dass nicht sicher ist, ob unsere Antworten immer die besten und richtigsten sind, nicht einmal, dass sich überhaupt Antworten finden lassen auf all die Fragen, die wir uns zu so vielen unterschiedlichen Dingen stellen. […] Ein Liberaler ist ‚in mancher Hinsicht im Grunde ein Skeptiker‘, einer, der selbst jene Wahrheiten, die ihm am teuersten sind, als vorläufig ansieht. Eben diese Skepsis in Bezug auf das Eigene erlaubt ihm, sich gegenüber anderen Überzeugungen und Anschauungen tolerant und versöhnlich zu zeigen, sosehr sie auch von den eigenen abweichen.“

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Die vier Ks

An die digitalen Medien knüpft sich die Hoffnung auf eine wahre Bildungsrevolution. Und so wird viel Geld in die Anschaffung von Technik gesteckt. Die digitalen Medien sollen Kreativität, kritisches Denken, Kollaboration und Kommunikation fördern, die 4 Ks. Aber ob sie das tun, dafür fehlt jede empirische Basis. Und auch das bildungstheoretische Fundament (sie gelten für den Papst ebenso wie für einen Mafiaboss). Entscheidend ist: Ein schlechter Unterricht wird durch die digitalen Mittel nicht besser. Worauf es letztlich ankommt, ist die Qualität des Unterrichts, das Verhältnis von Lehrer und Schüler, die Form der Präsentation der Inhalte, der Umgang mit Fehlern, der Platz für selbständiges Denken, das Schaffen von Neugier, ein Niveau, das Schüler nicht überfordert (oder unterfordert). Alles andere sind letztlich Nebensächlichkeiten: die Gestaltung der Klassenräume, der Zeitpunkt der Einschulung, der Zeitpunkt des Unterrichtsbeginns, die Sitzordnung im Klassenraum usw. In der Abschlussklasse jeder Schulform besteht, so hat die Forschung festgestellt, kein signifikanter Zusammenhang zwischen Einschulungsalter und Notendurchschnitt. Und doch beherrschen diese Fragen die öffentliche Diskussion. Entscheidend aber ist: Was Kinder und Jugendliche lernen, muss so vermittelt werden, dass es ihnen etwas bedeutet. Mit oder ohne digitale Medien. (Zierer, Klaus: “Nicht ablenken lassen!”, in: Die Zeit 30/2019: 58)

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Allzweckwaffe fürs Denken

Der Brite Tony Buzan suchte während seines Studiums nach einem Werkzeug, mit dem er die Inhalte des Studiums festhalten und ordnen konnte: Denken, Analysieren, Problemlösen und Kreativität sollte es miteinander verbinden. Das Denkmuster, das dahinter stand, nannte er radiant thinking, und das Werkzeug, das er entwickelte, trat als Mindmap seinen Siegeszug an, wurde gar zur vierten Kulturtechnik neben dem Lesen, Rechnen und Schreiben ernannt. Das Mindmap wurde zu einer Allzweckwaffe, schön bunt, letztlich aber stumpf als Denkwerkzeug, jedenfalls in der Form, in der es heute angewandt wird, in Seminarräumen wie in Büroetagen. Alle Elemente sind letztlich willkürlich um einen Kern angeordnet, und es wird eine Übersichtlichkeit vorgetäuscht, die es nicht gibt. Die Mindmap täuscht eine Ordnung vor, wo es um bloße Assoziationen geht, vereinfacht komplexe Onthologien zu Baumdiagrammen. Auf die Lust am unerschrockenen Denken kommt es bei der Mindmap nicht an. Für den Widerspruch, für den Konflikt des Denkenden mit sich selbst und der Welt lässt das Mindmap keinen Platz. (Neumann, Peter: “Mindmap”, in: Die Zeit 32/2019: 40.

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Pestmaske

Die Karnevalsmaske in Venedig ist ein Abkomme der Pestmaske. Die wurde von Ärzten und Helfern getragen und trug allen drei vermuteten Ursachen der Pest Rechnung: Die Maske selbst schützte vor den Partikeln, die die Pest verbreiteten, der Schnabel (der einen Schwamm enthielt) schützte vor dem Wind und das Augenpflaster vor dem Blick. In Venedig erfolgte zum ersten Mal die Absonderung der Pestkranken, sie wurden im Lazzaretto Vecchio auf der Pestinsel untergebracht. Auch die Festspiele von Oberammergau wurden 1634 eingeführt als rituelle Handlung zur Verhinderung weiterer Ausbrüche der Pest. Sie war bis dahin endemisch geworden, d.h. sie brach immer wieder aus. Die Überlebensrate hing von der Art der Pest ab: Die Lungenpest überlebenden 60% der Erkrankten, die Beulenpest 40% und die septische Pest so gut wie keiner. Überlebende waren immun gegen die Krankheit. Auch heute ist die Pest noch nicht völlig verschwunden. Jedes Jahr fordert die Pest ca. 180 Tote. In der Literatur fand die Pest auch ihren Niederschlag, ganz prominent bei Boccaccio, Poe und Camus.

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Gesunde Dicke

Nicht das Gewicht an sich sei wichtig für die Gesundheit, argumentieren drei Ernährungsmediziner in einer Radiosendung, sondern das Gewicht als Indiz von wenig Bewegung. Dicke, die sich bewegen, können kerngesund sein. Nur eins der vielen differenzierten Urteile der Sendung. Wohltuendes Antidot gegen volkstümliche Vereinfachungen. Gilt auch für die Nahrungsaufnahme. Nicht das, was ich auf den Teller packe, ist entscheidend, sondern das, was das in meinem Körper bewirkt. Ein Pfund Tomaten kann in einem Körper eine andere Wirkung haben als in einem anderen. Eigentlich einleuchtend. Aber oft übersehen. Bei Gicht soll man die Harnsäure reduzieren. Aber bei jemandem, der viel Kaffee oder Alkohol trinkt, kann eine geringe Menge Harnsäure mehr Unheil anrichten als bei jemandem, der weniger Kaffee oder Alkohol trinkt. Auf die Wechselwirkung kommt es an. Völliger Unsinn, hieß es, sei die von Journalisten gerne unters Volk gebrachte Vorstellung, man können Krebs aushungern. Überhaupt gibt es kaum eine haltbare These zur Verbindung von Krebs und Ernährung. Eher schon für die Verbindung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Ernährung. Aber selbst da ist höchste Vorsicht geboten vor schnellen Schlüssen. Ein Kausalzusammenhang wäre nur schwer nachzuweisen und würde langwierige, kostspielige Experimente erfordern. Und für die ist auf diesen Gebieten viel weniger Geld da als für Forschungen zu Pharmaka. Da hat die Pharmaindustrie ihre Finger drin. An Forschung zur Ernährung ist nicht viel zu verdienen.

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Ist mir auch passiert

Als Christian Ude seine spätere Ehefrau, Edith Welser (näher) kennenlernte, war er 25, Student und unverheiratet. Sie war acht Jahre älter, verheiratet und sechsfache Mutter. Es war eine Faschingsfeier. Er war als Robespierre verkleidet, mit einer langen schwarzen Perücke. Sie war als Opfer dieser Revolution verkleidet und trug ein Nachthemd. Sie verliebten sich. Irgendwann nahm Ude all seinen Mut zusammen und rief ihren Ehemann an. Der lud ihn sofort zum Spaghetti-Essen ein. Im Laufe des Gesprächs bekannte Ude, dass er sich in Edith verliebt habe. Der Ehemann sagte: “Kann ich verstehen, ist mir auch passiert.” Man arrangierte sich und zog die Kinder gemeinsam groß. Zehn Jahre später, 1983, heirateten Christian Ude und Edith Welser. Sie sind bis heute verheiratet. Wenn Ude gefragt wird, was er sich dabei gedacht habe, antwortet er: “Nichts. Hätte ich mir etwas dabei gedacht, hätte ich es nicht getan.”

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Be(ob)achtung

Auf Wattebäuschen, die er mit Tabaksaft und Parfüm getränkt hatte, reagierten sie nicht. Sie hatten offensichtlich kein Riechorgan. Auch auf die Trillerpfeife seines Enkels Bernard hatten sie nicht reagiert. Sie mussten taub sein. Aber als er sie in ihren Töpfen auf das Klavier setzte, zogen sie sich sofort in ihre Höhlen zurück, als seine Frau auf dem Klavier das hohe C spielte. Sie mussten die Schwingungen und Erschütterungen durch den Resonanzboden des Klaviers gespürt haben. Auch einen glutroten Schürhaken hatte er ihnen, zum Entsetzen von Frau und Enkel, vorgehalten, um sie auf Wärme zu testen. Für die Beobachtung ihres Liebesspiels musste er sich Zeit nehmen. Es dauerte eine Stunde und zwanzig Minuten. Dass sie sich überhaupt miteinander vergnügten, war keine Selbstverständlichkeit, denn er hatte unter dem Mikroskop gesehen, dass jedes Individuum sowohl mit Hoden als auch mit Eierstöcken versehen waren. Sie könnten also auch ihre Eizellen mit den eigenen Spermien befruchten. In der Regel zogen sie aber das aufwändige Liebesspiel vor. Auf Kohlblätter und Zwiebel standen sie, auch der Meerrettich gehörte zu ihren Lieblingsspeisen, nur noch übertroffen vom Grün der Karotte. Natürlich führte er auch Buch über ihre Exkremente, zählte die Exkrementkügelchen und rechnete hoch, wie viel Fläche sie im Laufe eines Jahres damit bedecken könnten. Bei all den Beobachtungen hatte er sie liebgewonnen und erkannt, dass es auch bei ihnen feine Unterschiede in Farbe, Beweglichkeit und Hübschheit gab. Seinen Intelligenztest hatten sie mit Bravour bestanden: Papierschnitzel, die er ihnen hinlegte, fassten sie mit ihren Lippen an den Spitzen Enden und zogen sie mit der schmalen Seite voran in ihre Höhlen. Erstaunlich, was man alles mit Regenwürmern anstellen kann. Vorausgesetzt, man heißt Darwin. (Jerger, Ilona: Und Marx stand still in Darwins Garten. Berlin: Ullstein, 2018: 16-36)

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Glasklare Ergebnisse?

Ein Versuch mit 30 Studenten liefert weniger belastbare Ergebnisse als einer mit 3000. Aber: Wo bekommt man die 3000 her? Und: Wo bekommt man Probanden her, die keine Studenten sind? Man will ja schließlich repräsentative Ergebnisse. Und: Wie kann feststellen, ob die Ergebnisse einer in den USA durchgeführten Studie auch in Japan gelten? Das sind Probleme in allen Geisteswissenschaften, und die führen oft zu unsauberen Ergebnissen. Die Psychologie hat sich jetzt entschlossen, sich den Problemen der eigenen Disziplin zu stellen. In einem Mega-Projekt, Many Labs 2, wurden Forschungsergebnisse überprüft, und es stellte sich heraus, dass mindestens die Hälfte aller Erkenntnisse keiner Überprüfung standhielt. Zu den überprüften Thesen gehörte diese: Wer einige Minuten lang in einer Power-Pose verharrt, fühlt sich anschließend tatsächlich selbstsicherer und agiert risikofreudiger. O sancta simplicitas! Im Nachhinein ist man überrascht, dass solch eine simple Botschaft überhaupt Eingang in die Fachliteratur fand. Einfache Botschaften sind meist mit einem Haken versehen: Sie stimmen nicht. Noch hanebüchener diese These: Wer in den Experimenten nach einem Test mehr büffelte, hatte vorher bessere Ergebnisse. So eine in dem renommierten Journal of Personality and Social Psychology veröffentlichte Studie eines gewissen Daryl Bem. Kein Wunder, dass diese beiden Studien keiner Überprüfung standhielten. Aber nicht nur solch bizarre Studien waren betroffen, sondern auch wesentliche Ideen des Fachs. Zum Beispiel ließen sich auch einige Priming-Effekte nicht wiederholen, also die Idee, das winzige, unterschwellige Reize das Verhalten beeinflussen, dass z.B. der Gedanke ans Altern einen langsamer gehen lässt. Wie kommt es dann, dass es dieser Mega-Studie bedurfte, um solche Ergebnisse zu falsifizieren oder überhaupt auf den Prüfstand zu stellen? Müsste das nicht ohnehin geschehen? Die Antwort liegt in der Logik des Wissenschaftsbetriebs: Neue, überraschende, antiintuitive Ergebnisse lassen sich leichter publizieren. Replikationen sind langweilig. So lehnte das Journal of Personality and Social Psychology mehrere Forscher ab, die die versucht hatten, Bems Ergebnisse zu replizieren und erwartungsgemäß scheiterten. Was folgt aus all dem? Bedeutet das eine Krise der Psychologie, eine Krise der Wissenschaften gar? Nicht unbedingt. Größere Transparenz bei der Vorbereitung und Durchführung der Studien ist gefragt. Sie soll verhindern, dass Hypothese und Auswertung im Laufe des Versuchs in die gewünschte Richtung angepasst werden. Internationale Zusammenarbeit ist gefragt, um mehr als lokale Ergebnisse zu liefern. Und die Bereitschaft der Fachjournale, “langweilige” Replikationsstudien zuzulassen. Scheitert die Replikation einer Studie, muss das nicht unbedingt heißen, dass die Originalstudie wertlos war. Auch die Replikationsstudie kann danebenliegen. Aber dennoch fruchtbar sein und zu weiteren Überprüfungen führen. Und zu einer grundlegenden Skepsis gegenüber glasklaren Ergebnissen führen. (Herrmann, Sebastian: “Steile Thesen, nichts gewesen”, in: Süddeutsche Zeitung 277/2018: 35)

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Balance-Akt

Während einer Zugfahrt in der Zeitung einen Artikel über die Geschlechterrollen in der Natur gelesen (Knauer, Roland: “Sie ist hier der Boss, in: Welt am Sonntag 49/2018: 20-21) Demzufolge gibt es in der Natur, was die Geschlecherrollen angeht, kein festes Schema. Es gibt alle möglichen Varianten, je nach Lebensraum gibt es Lösungen, maßgeschneidert, immer in Verfolgung des einen, übergeorndeten Ziels: dem größtmöglichen Fortpflanzungserfolg. Albatrosse sind sich ein Leben lang treu. Allerdings trifft man sich auch nur alle zwei Jahre am Nistplatz. Nur wenn der Partner dort nicht auftaucht, wird neu gebalzt. Bei den Gorillas wacht das Alpha-Männchen über einen weiblichen Harem. Er muss seine Vormachtstellung gegen jüngere Rivalen verteidigen. Auch der stärkste Gorilla hält das nur ein paar Jahre durch. Beim Grillkuckuck ist es anders. Da hält sich das Weibchen einen männlichen Harem. Die Männchen sind auch für das Brüten und die Aufzucht zuständig. Bei den Tüpfelhyänen herrscht das Matriarchat. Die Weibchen sichern sich ihre Macht durch Seilschaften. Die Männchen müssen mit Beginn der Geschlechtsreife auswandern. Bei den Seepferdchen sind die Rollen vertauscht: Die Männchen werden trächtig. Dazu spritzt das Weibchen nach der Balz die Eier in die Bauchtasche der Männchen. Bei den Schimpansen ist der Boss in der Regel ein Männchen, bei den Bonobos ein Weibchen. Sie scheinen friedlicher miteinander umzugehen als die Schimpansen und ihre Konflikte oft durch Sex zu entschärfen. Und das, obwohl Schimpansen und Bonobos genetisch sehr ähnlich und außerdem die nächsten Verwandten des Menschen sind. Man erklärt den Unterschied durch die Lebensbedingungen: Die Bonobos leben südlich des Kongo-Beckens, wo der Urwald viel reichhaltiger ist als im Norden. Unter solch üppigen Bedingungen konnten sich die weniger aggressiven Männchen durchsetzen, die eher den Kontakt zu den hochrangigen Weibchen pflegen. Was aus all dem für den Menschen folgt, sagt der Artikel nicht. Jedenfalls kann man froh sein, dass eine Variante sich bei uns nicht durchgesetzt hat: Bei den Hyänen hat das Weibchen eine stark vergrößerte Klitoris, was dem Männchen im entscheidenden Moment einen schwierigen Balanceakt auf dem Rücken des Weibchens abverlangt, in dessen Verlauf er leicht unverrichteter Dinge nach hinten in den Staub herunterpurzeln kann.

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Waldarbeiter

Die Eiche dominierte unsere Wälder jahrhundertelang, bis die Buche übernahm. Nachdem die Gletscher nach der letzten Eiszeit vor 12.000 Jahren geschmolzen waren, wuchsen zunächst Haselnuss und Erlen. Die wurden bald von der Eiche verdrängt. Und die wiederum von der Buche. Die hatte im Süden überlebt, da, wo das Eis nicht hinkam. Von da aus hatte sie sich bis in das Herz des Kontinents ausgebreitet. Vor tausend Jahren war Deutschland zu zwei Dritteln von Buchenwäldern bedeckt. Im Mittelalter wurden fast alle Bäume gefällt: Werften, Köhlereien, Glasfabriken – alle brauchten Holz. Dann propagierte der sächsische Förster Hans Carl von Carlowitz eine neue Strategie: Es sollte immer nur so viel Holz entnommen werden wie nachwächst. Er prägte das Wort Nachhaltigkeit. Das war kein ökologisches, sondern ein öknomisches Konzept. Dem ist es zu verdanken, dass Deutschland heute über eine große Waldfläche verfügt. (Habekuss, Fritz: “Eine Welt wie vor tausend Jahren”, in: Die Zeit 47/2018: 39-40)

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Mythos Marshall-Plan

In Großbritannien waren bis 1953 Lebensmittel rationiert. Man erhielt sie auf Lebensmittelmarken. In Deutschland war die Rationierung längst aufgehoben. Deutschland begann zu florieren. Dabei hatte Großbritannien den größten Anteil von dem Geld aus dem Marshall-Plan erhalten. Aber die britische Industrie war veraltet. Die deutsche war erstaunlich gut durch den Krieg gekommen. Entgegen dem eigentlichen Vorhaben, und entgegen der späteren Propaganda, war es den Alliierten nicht gelungen, die deutschen Industrieanlagen zu zerstören, und die waren bei Kriegsbeginn auf dem neuesten Stand. Die Alliierten hatten stattdessen Nazi-Deutschland durch Bombardierung der Innenstädte in die Knie gezwungen. Vom Marshall-Plan profitierte ganz Westeuropa, aber in keinem Land hatte er so viel Wirkung wie in Deutschland. Deutschland profitierte von seiner konkurrenzfähigen Industrie, aber auch davon, dass die Soldaten der Besatzungmächte hier waren und Geld ausgaben und deutsche Produkte kauften. Die Amerikaner setzten ihre ganze Propagandemaschine ein, um die Deutschen glauben zu machen, sie handelten aus Nächstenliebe. Das wirkt bis heute nach. Aber wahr ist das natürlich nicht. Ganz und gar nicht. Das meiste Geld aus dem Marshall-Plan für Deutschland floss gar nicht nach Deutschland, sondern ging an amerikanische Farmer, die damit die ihre Waren in Deutschland verkaufen konnten. Welche Waren? Zu 70% Tabak und Baumwolle. Bei der Baumwolle gab es sogar Probleme. Die deutsche Textilindustrie trat in den Streit, weil die Baumwolle aus den USA, die sie abnehmen sollte, teurer war als die ägyptische. Was die absurde Folge hatte, dass die amerikanische Baumwolle von der Bundesregierung subventioniert werden musste! Frankreich bekam tatsächlich Geld aus dem Marshall-Plan. Aber nur deshalb, damit Frankreich auf weitere Reparationszahlungen von Deutschland verzichtete. Die deutsche Industrie sollte blühen, damit amerikanische Waren abgenommen werden konnten!

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Plagegeister

Die zoologischen Namen von Tieren sind meist von einer nichtssagenden, langweiligen Neutralität. Eine Ausnahme bildet die Stechmücke: Culex molestus. Das ist mal eine Bezeichnung von erfrischender Parteilichkeit. Ganz aus der Sicht des Menschen gesehen. Vielleicht eignet sich der Name auch für gewisse Unterarten der Spezies Mensch: Socius molestus, Vicinus molestus, Auriga molestus, Argentarius molestus, Querulosus molestus, Babulus molestus … Dass hier keine spezifisch weiblichen Formen auftauchen, muss nichts zu sagen haben.

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Leben im Untergrund

Viele Arten sterben aus. Das hören wir oft genug. Aber nicht so oft hören wir, dass auch neue entstehen. Ein Beispiel dafür bietet die Stechmücke. Die hat sich in der Londoner U-Bahn ausgebreitet, seit deren Eröffnung 1863. Das Resultat: Sie unterscheidet sich genetisch inzwischen grundlegend von ihrem oberirdischen Pendant. So sehr, dass sie  sich nicht mehr miteinander fortpflanzen können. Der klassische Beweis, dafür dass eine neue Art entstanden ist. Verständlicherweise unterscheiden sie sich auch in ihrem Verhalten: Die oberirdischen leben von Vogelblut und halten Winterschlaf, die unterirdischen halten keinen Winterschlaf und ernähren sich nicht von Vogelblut. Vögel kommen unten in der U-Bahn nicht so häufig vor. Ist auch nicht nötig. Die Mücken haben Tausende von Passagieren, an deren Blut sie sich laben können. Auch die Mücken der unterschiedlichen U-Bahn-Linien entwickeln sich unterschiedlich. Die Mücken der Bakerloo-Line haben ein anderes Erbgut als die der Victoria-Line. Kein Wunder: Sie kommen kaum in Kontakt miteinander. Dafür müssten sie am Oxford Circus umsteigen. (Blage, Judith: “Die Mücken der Bakerloo-Linie”, in: Süddeutsche Zeitung 259/2018: 39)

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Romantische Pragmatiker

Leoparden sind anpassungsfähige Tiere, anpassungsfähiger als andere Raubtiere. In Mumbai pendeln sie mittlerweile zwischen Wald und Stadt. Ihr angestammtes Habitat ist der Wald, ein großer Nationalpark, auf drei Seiten von der Stadt (und auf einer von einem Fluss) begrenzt. In die Stadt kommen sie meist nachts. Still und heimlich. Menschen greifen sie so gut wie nie an, nur, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlen. Sie haben es auf andere Opfer angesehen: die Hunde. Davon gibt es im Mumbai ca. 68,000. Die meisten herrenlos, herumstreunend. Die gibt es in so großer Zahl, weil die Müllberge von Mumbai sie mit reichlich Nahrung versorgen. Für die Leoparden eine willkommene Beute. Warum Hunde? Im Wald gibt es reichlich Beute: Hirsche, Hasen, Schweine, Affen. Aber: Die sind schwer zu jagen. Die Hunde nicht. Es gibt reichlich davon, oft auf einen Haufen, und sie sind es nicht gewohnt, gejagt zu werden. Da sind die Leoparden ganz Pragmatiker und entscheiden sich für die leichte Beute. Und sie tun den Menschen nebenbei einen Gefallen: Die Hunde sind Träger von Tollwut. Mehrere Hundert Menschen sind in den letzten Jahren an Tollwut gestorben. Die Zahl der Hunde zu reduzieren, liegt also im Interesse des Menschen. Aber Vorsicht: Die Leoparden könnten sich anstecken, und selbst Träger der Tollwut werden. Es gibt aber noch einen zweiten Grund, warum die Leoparden in die Stadt kommen, und das gibt der ansonsten eher rational zu erklärenden Geschichte eine schöne, geheimnisvolle Note: Die Leoparden kommen nachts in die Stadt, zu zweit. Suchen sich ein lauschiges Plätzchen im Garten, machen es sich gemütlich und tun dann das, was auch ein menschliches Paar abends an einem lauschigen Plätzchen im Garten tun könnte. (Vgl. Perras, Arne: “Besucher in der Nacht”, in: Süddeutsche Zeitung 259/2018: 38)

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Der kleine Unterschied

Und wenn dann mal wieder eine Sache propagiert wurde, die nur Frauen können, dann nahmen wir das resigniert hin, beschämt ob unserer Unfähigkeit. Wir waren nicht nur naturhaft unmoralisch, gewalttätig, egoistisch, asozial und gefühlskalt, wir waren auch unfähig, unfähig zum Multitasking. Nur Frauen konnten das. Sie konnten mit der Freundin telefonieren und gleichzeitig ein Gedicht auswendig lernen, sie konnten einen Geschäfsbrief schreiben und gleichzeitig Arabisch lernen, sie konnten ein Regal aufbauen und gleichzeitig Hausaufgaben mit den Kindern machen, und sie konnten im Zweifelsfalle auch jede mögliche Kombination von drei solchen Dingen bewältigen. Schließlich heißt es ja Multitasking. Männer konnten das nicht. Immer schön eins nach dem anderen. Und Fußball gucken und gleichzeitig Bier trinken galt nicht als Multitasking. Aber jetzt kommt eine frohe Botschaft: Forscher im Fachjournal Psychological Science betonen, der Mensch sei nicht zum Multitasking geboren – und zwar weder Frau noch Mann. Das Gehirn sei nicht in der Lage, mehrere kognitiv fordernde Aufgaben gleichzeitig zu erledigen. Die Aufmerksamkeit springe dabei ständig hin und her, und man erledige keine der beiden Aufgaben so gut, wie man es könnte, wenn man eine nach der anderen in Angriff nähme. Klingt überzeugend. Erklärt aber nicht, warum wir Fußball gucken und Bier trinken können – gleichzeitig.

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The world according to Pinker

The world is not as bad as we think it is. That, in a nutshell, is Steven Pinker’s principal argument. And he substantiated it in his Frankfort talk with an impressive amount of data. His main line of argument is as follows: The world is actually improving but we hardly take notice of this, for we are subject to what he calls the Availability Bias and what he calls the Negativity Bias. That is to say, more bad news than good news is available to us and newspapers and other media tend to focus on what is not good instead of what is good. A plane crash is news, all the planes that never crash aren’t.
Life expectancy, infant mortality, prosperity, peace, safety, knowledge, quality of life, education, in all these areas has the world improved since the Enlightenment (and, by implication, through the Enlightenment). To be more specific, people worldwide have now more leisure time than they used to have in the past. The number of hours dedicated to household work (the least popular of all activities) has dramatically decreased since the 1950s. As a result, mothers (and fathers) today spend more time with their children than in the past. Contrary to popular belief, crime rate has also decreased. We are less likely today to become victim of a crime. Even the risk of being hit by lightning has decreased. There are more democracies today and fewer dictatorships, and the death penalty has been abolished at a rate which, if it continues, will mean that it will have disappeared completely within a few decades. Illiteracy has decreased, and the number of poor people worldwide is going down at a rate of several tens of thousands daily! Actually, people are even happier than they were in the past. Happiness is a result of prosperity. People in richer countries are happier than people in poorer countries, and the rich in poorer countries are happier than the poor in poorer countries. As a result of increasing prosperity, people are happier now than they ever were in the past.
All this is substantiated by data, and Pinker regales his audience with an endless series of graphs during the talk, in such quick succession that you hardly have a chance to look at them in detail.
Pinker is well aware that you are likely to be accused of “naive optimism” (he does not consider himself an optimist) or “US-can-doism” if you point out how the world is becoming a better place. But he argues that pessimism is worse, as it is likely to trigger fatalism, terrorism, and the call for a “strong man” who alone can fix things.
All this is very well, and Pinker certainly has a point. However, one would have liked to ask some critical questions. To begin with, what about the sources for the data? Are there really any reliable figures which say how many people died of a flash of lightning 200 years ago? Who has gathered all these figures? Even today, is there any international body which could provide reliable figures – worldwide?
Secondly, Pinker has a way of choosing his time periods to suit his argument. He claims, for example, that the death toll in wars has gone down, proving his point with the number of deaths per day of war since the Second World War. That may well be true. But why choose the last 70 years or so and not look at the last century as a whole? Surely this would prove the opposite. The two world wars have claimed more victims than any wars till then.

Similarly, Pinker has a way of choosing the right area. Whenever Latin America is quoted, the figures come from Chile, and in South East Asia his favourites are South Korea, Singapore and Taiwan. Surely the picture would change if he focussed on Bolivia or Venezuela or on Cambodia or Bangladesch.

Finally, there is the question of definition. Pinker assumes for most of the Western World, including the US, complete literacy. What does that mean? It is well known that there are lots of functional illiterates in many industrialized countries. The fact that you have had schooling does not mean that you can actually read and write. And surely not everyone attends school in the so-called civilised countries. Similar problems occur when it comes to speaking of dictatorships, of crime, of happiness.
Still, when all is said and done, a stimulating talk, a stimulating thought. Even if one does not subscribe to Pinker’s view that nuclear power stations and genetically modified food mean progress. And even if one does not share his – well – optimism.

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Linksruck

Daimler und Benz sind sich nicht persönlich begegnet. Das mag man kaum glauben, schon deshalb, schon wegen des alten Firmennamens Daimler-Benz. Aber die Fusion wurde später vollzogen.

Benz, der als Karl Friedrich Michael Wailand (fälschlich für Vaillant) ins Taufregister eingetragen worden war, hatte seine erste Fabrik in Mannheim,die Benz & Cie. Da war er, verärgert über eine Patentklage Daimlers, ausgestiegen und hatte eine neue Firma gegründet, in Ladenburg, Carl Benz Söhne. Hier, in Ladenburg, in der Fabrikhalle, befindet sich heute das Museum, in dem man das alles erfährt.

Am Rande der Fabrikhalle ist ein Raum mit Möbelstücken zeitgemäß hergerichtet, so wie zu der Zeit, als Benz hier seine Entscheidungen traf. Der Raum zeigt die gediegene Atmosphäre der Gründerzeit. Es heißt, dass Benz sich hierher heimlich mit seinen Söhnen zurückzog, um Karten zu spielen. Seine Frau durfte nichts davon wissen. Wenn sie sich näherte, musste einer der Angestellten rufen “Die Fee flattert ins Haus”. Daraufhin widmeten sich die Männer wieder der Arbeit.

In der Fabrikhalle sind, neben Paraphernalia wie einer Zapfsäule, Straßenschildern, Werbeplakaten, Verkehrszeichen, Fahrzeuge ausgestellt, die von Benz hergestellt wurden und, um sie herum gruppiert, alle möglichen Fahrzeuge anderer Unternehmen, meist emblematische Fahrzeuge wie der VW-Käfer (mit Brezelfenster), das T-Modell von Ford, ein Rennwagen von der Avus usw.

Die echten Hingucker sind aber die ersten Autos, sofern sie diesen Namen verdienen. Das allererste ist ein dreirädriges Gefährt, der Patentwagen Nummer 1, mit ganz dünnen Reifen. Mit ihm wurde 1886 die erste Fahrt unternommen, wohl die erste Fahrt mit einem motorgetriebenen Fahrzeug überhaupt, in Mannheim. Daneben steht der Wagen, der Patentwagen Nummer 3, schon etwas größer und mit breiteren Reifen ausgestattet, aber immer noch ein Dreirad, mit dem die erste Fernfahrt unternommen wurde, 1888, von Mannheim nach Pforzheim. Die unternahm nicht etwa Benz, sondern seine Frau Bertha, mit ihren Söhnen. Pforzheim war ihre Heimatstadt, und die Kinder wollten, so heißt es, ihre Oma besuchen (tatsächlich war es wohl eine Werbefahrt für den Wagen, der nicht so viel Anklang beim Publikum gefunden hatte). Das musste heimlich geschehen, ohne, dass der Vater es wusste, und so brach man am Morgen auf, als der noch schlief. Es waren insgesamt 106 Kilometer. Aufgetankt wurde unterwegs bei einem Apotheker!

Alle frühen Autos haben das Lenkrad auf der rechten Seite. Dann, ab Mitte der zwanziger Jahre, beginnt das Lenkrad, auf der linken Seite zu erscheinen. Das Museum gibt folgende Erklärung: Die Kutscher auf den Pferdewagen saßen auf der rechten Seite, damit sie die Fahrgäste auf der linken Seite herauslassen konnten, so, dass sie nicht durch den Straßenmatsch laufen mussten, sondern gleich auf den Gehsteig absteigen konnten, mit Hilfe des Kutschers, der ihnen die Tür aufhielt und die Hand reichte. Also hatten auch die ersten Automobile den Fahrersitz rechts. Dann wurde es aber immer deutlicher, dass die Gefahren auf der anderen Seite lauerten: Straßengräben und entgegenkommende Fahrzeuge. Die stießen oft aneinander, weil die Fahrer die Breite des entgegenkommenden Fahrzeugs nicht richtig einschätzten. Also verlegte man den Fahrersitz nach links.

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Erhaltungstrieb

Das Wort Mumie leitet sich vom persischen mūm ab. Das bezeichnete keine Mumie, sondern eine natürliche wachsartige Substanz. Das Wort wurde dann auf die Mumie übertragen, einfach, weil, wie man fand, beide ähnlich aussahen. Das erfährt man in der Mumien-Ausstellung im Reiss-Engelhorn-Museum in Mannheim.

Es gilt, zwischen natürlichen, zufällig entstandenen Mumien und künstlichen, absichtlich erstellten Mumien zu unterscheiden. Natürlich entstehen Mumien in extremen Gegenden: Sandwüsten, Salzwüsten, Eiswüsten, aber auch Mooren. Im Moor ist es zwar feucht, aber es fehlt der Sauerstoff, der zur Verwesung von Leichen führt. Aber auch auf Dachböden und in Kellern finden sich manchmal Mumien. Man stellt sich vor, wie es ist, wenn man unverhofft auf so eine Mumie stößt.

Ich erinnere mich an den Ratskeller in Bremen, an St. Michan’s Church in Dublin und an die Kapuzinergruft in Palermo. An allen drei Orten habe ich im Laufe der letzten Jahre natürlich entstandene Mumien gesehen.

In der Ausstellung sieht man ein Frettchen, einen Marder, eine Hyäne, eine Ratte, eine Schwalbe, eine Fledermaus – alle mumifiziert. Als Kontrast dazu wird der natürliche Prozess der Verwesung anhand eines Singvogels gezeigt, in verschiedenen Phasen. Wie lange da dauert, wird leider nicht gesagt. Ein halbes Jahr?

Aus dem Moor wird eine menschliche Mumie gezeigt, die besonders durch das erhaltene Haar auffällt, zwei geflochtene Zöpfe!

Eine besondere Attraktion ist das “Paar von Weerdinge” (NL), zwei Mumien, plattgedrückt, schwarzbraun, die ganz eng beieinander liegen, so, wie sie auch gefunden wurden. Fast sieht es aus, als würden sie sich umschlingen. Man denkt unwillkürlich an ein Paar, an Mann und Frau. Aber es sind zwei Männer! Das hat man an den Barthaaren ablesen können.

In der Nähe zwei ägyptische Mumien, ohne “Verpackung”. Auch hier handelt es sich um zwei Männer, was bei einem von beiden unschwer zu erkennen ist.

Dann eine ägyptische Mumie mit gekreuzten Armen. Das war ein Zeichen, das bis zum Neuen Reich königlichen Mumien vorbehalten war, später aber nicht mehr so restriktiv gehandhabt wurde. Das willkürliche Zeichen erhält seine Bedeutung erst aus der Entstehungszeit.

Eine Inka-Mumie ist auf den ersten Blick gar nicht als eine Mumie zu erkennen. Sie versteckt sich hinter einem Kleiderbündel, der äußere Umhang verziert mit einer Kordel, einer Muschel, einem Fuchsschwanz und verschiedenen Schnüren. In dem Bündel befindet sich die Mumie eines siebenjährigen Jungen. Man weiß von ihm, dass er durch Wanzenstiche ums Leben gekommen ist!

Dann wieder eine nackte Mumie, auch aus Peru, eine Frau mit gekreuzten Händen und gekreuzten Schenkeln. Wieder das Kreuz, wie bei der ägyptischen Mumie. Zufällige Übereinstimmung? Die Bedeutung kennt man nicht. Die Frau hat eine auffällig deformierten Schädel. Man rückte den hässlichen Schädel, wie ihn die Natur geschaffen hatte, mit Bändern und Brettern zu Leibe. Das kann einerseits einem Schönheitsideal entsprochen haben, kann aber andererseits auch Ausweis hoher gesellschaftlicher Stellung sein.

Eine mumifizierte Nonne aus Bratislava, bei der sogar der Name bekannt ist, Terezia Sandor, sieht man in vollem Ornat (XVIII). Bei ihr wurde das Herz entnommen. Warum, weiß man nicht, vielleicht aus Furcht, bei lebendigem Leib begraben zu werden.

Bei einer weiteren Nonne, Rozalia Tridentin (XVIII), befindet sich am Fuß ein verschnürtes Päckchen. Es enthält mumifizierte Finger. Die könnten von ihr selbst stammen (eine Hand ist nicht ganz erhalten). Was für eine Bewandtnis es mit den Fingern hat, weiß man nicht. Eine der vielen geheimnisvollen, rätselhaften Erscheinungen, die diese Ausstellung zu etwas ganz Besonderem machen.

Aus der Ming-Dynastie in China ist die Statue eines Mönchs im Schneidersitz zu sehen. Drinnen befindet sich die Mumie, von verschiedenen Lagen Textil umhüllt. Es hat keinerlei erkennbare Behandlung des Körpers stattgefunden, Warum die Mumie erhalten ist, ist nicht geklärt. Es gab allerdings in China Mönche, die sich der Selbstmumifizierung widmeten. Schon zu Lebzeiten reduzierten sie ihre Nahrungs- und Wasseraufnahme und nahmen entwässernde Substanzen zu sich. Vielleicht handelt es sich hier um einen Fall von Selbstmumifizierung.

Der Ötzi ist in der Ausstellung persönlich nicht vertreten, wohl aber virtuell. Auf einer Konsole gibt es Abbildungen und Informationen. Man weiß, dass der Ötzi braune Augen hatte, etwas 45 Jahre alt war und einen Bart trug. Er hat sich von Emmer ernährt, dem Urweizen. Er war kein Vegetarier, aber Fleisch machte nur den kleineren Teil seiner Nahrung aus. Milch kann er nicht in großen Mengen zu sich genommen haben, da er laktoseintolerant war. Er hatte einen hohen Cholesterinspiegel. Sein Körper wurde erst mit Schnee bedeckt und dann in Eis eingefroren. Das Eis schmolz dann, neuer Schnee fiel auf den Körper, und am Ende war er wieder im Eis eingeschlossen. Als man ihn fand, war ganz und gar nicht klar, aus welcher Epoche er stammte, ob er überhaupt alt war. Jetzt weiß man, dass er im Neolithikum lebte. Er starb keines natürlichen Todes, sondern wurde ermordet. In seinem Körper steckt eine Pfeilspitze.

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Marx 4

Auch das Dommuseum stellt zum Marx-Jubiläum aus. Die Ausstellung hat allerdings zu Marx einen bestenfalls indirekten Bezug. Es wird moderne Kunst ausgestellt, die das Thema Arbeit in der einen oder anderen Weise darstellt. Man kann allenfalls das Thema Entfremdung als Marxsche Anleihe verstehen.

Aber auch der Bezug zum Thema Arbeit wird nicht immer klar, wie bei einem der kuriosesten Exponate, einem fingierten archäologischen Fund von 320 n. Chr., den Objekten, alle noch in einer Sandschicht eingehüllt, die Helena auf ihrem Weg nach Jerusalem bei sich hatte: GPS, Laptop, Lippenstift, Revolver. Der dient dazu, Widerstände zu überwinden, die sich ihr beim Einsacken der Nägel und Holzstücke vom Kreuz entgegenstellen sollten.

Das Thema Arbeit taucht in vier Photographien auf, die schwere oder unwürdige Arbeitsbedingungen heute darstellen, außerhalb der westlichen Welt. Auf zwei Photographien sieht man Erntearbeiter, beide, nicht ohne Stolz, mit einem Bündel Sellerie vor ihrem Feld posierend, der eine vor einem eher unaufgeräumten Feld in eher schäbiger Kleidung, der andere, adrett gekleidet, vor einem Feld, in dem alles in Reih und Glied steht. Die eigentliche Bewandtnis der Photos macht erst der Titel deutlich: Suppengemüse: 0,99 Cent.

Auf den beiden anderen Photos sieht man einen Jungen auf einer brennenden Müllhalde. Das ist nicht etwa ein zufällig ausgebrochenes Feuer, sondern ein absichtlich gelegtes Feuer. Es dient dazu, die Einzelteile der Geräte auf der Müllhalde zu trennen und so die “Ernte” zu erleichtern. Der Junge hält einen Motor oder Kanister hoch, den er gerade geerntet hat. Er trägt ein Trikot des FC Barcelona mit der Aufschrift UNICEF. Auf dem Photo daneben, noch bedrohlicher aussehend, zwei asiatische Frauen in einem schlecht beleuchteten Raum voller Müll. Ihre Aufgabe ist es, den Müll zu sortieren.

In einem anderen Raum ein Gemälde, das eine indische Näherin darstellt. Beim genaueren Hinsehen entpuppt es sich als dreidimensional. Das Gemälde ist aus Stoffresten gemacht. Dahinter eine Tapete. Darauf, so sieht es auf den ersten Blick aus, längliche Kartuschen, die sich an den Enden berühren. Beim genaueren Hinsehen merkt man, dass eigentlich eine Näherin dargestellt ist, die eine Faden abbeißt.

Als Gegengewicht sozusagen gibt es Photographien von Robotern, eine Straßenszene, auf der ein spazierender Roboter Aufmerksamkeit erregt, eine andere, in der die Leute einfach uninteressiert weitergehen. Dazwischen eine Photographie mit einem Roboter in einem Arbeitszimmer, am Schreibtisch sitzend. Hinter ihm erahnt man eine Gittertür. Die schließt den Raum ab, in den er abends, nach Verrichtung der Arbeit, eingesperrt wird. Dem Roboter gegenüber steht ein weiterer Schreibtischstuhl. Der ist bezeichnenderweise leer.

In einem Durchgang läuft ein Film, einer der ältesten Filme überhaupt, wenn nicht der älteste. Er zeigt Arbeiter beim Verlassen einer Fabrik. Die Fabrik ist die der Brüder Lumière, die auch den Film gedreht haben. Der Film besteht aus einer Reihe hintereinandergeschalteter Photographien. Das ist so gut gemacht, dass es “echt” aussieht. Die Arbeiter, unter ihnen viele Frauen, verlassen die Fabrik in schnellen Schritten, dicht nacheinander und nebeneinander. Die Frauen sind so gut gekleidet, mit langen Kleidern und breiten Hüten, dass man kaum glaubt, sie kämen aus einer Fabrik. Sie könnten genauso gut aus der Kirche kommen.

In der Nähe des archäologischen Funds steht eine Skulptur, ein Mann, dessen Torso aus Kohlestücken besteht. Als Kopf dient ihm ein schwerer Motor. Erstaunlich, wie leicht der Motor die grobe Form des Kopfes wiedergibt. Von dem Motor hängen Kabel herunter, die dem Mann über das Gesicht laufen. Die Skulptur ist Minotaurus betitelt. Er ist der Minotaurus des Industriezeitalters.

Am Schluss der Ausstellung das rekonstruierte Arbeitszimmer von Nell-Breuning, dem Antipoden von Marx und gleichzeitig sein Adept. Das Arbeitszimmer ist aus Pappmaché gemacht und gibt die Wirklichkeit leicht verzerrt wieder: Der Schreibtischstuhl ist übergroß, das Bett zu klein. Die Platte und die Füße des mächtigen Schreibtischs bestehen aus großformatigen Büchern. Auf dem Schreibtisch steht eine Schreibmaschine, nicht aus Pappmaché, eine Schreibmaschine des Fabrikats, das Nell-Breuning benutzte. Mittels elektronischer Impulse huschen Buchstaben und Blätter über die Wände. Man hört das mühsame Klappern der Schreibmaschine und die Stimme Nell-Breunings, der langsam, leise, mit Überlegung über die “soziale Marktwirtschaft” und ihre Grenzen doziert und einen Platz für die Kultur einfordert.

Nell-Breuning, der keineswegs der Erfinder, sondern ein Entwickler der katholischen Soziallehre war, wäre vielleicht ein besseres Thema für die Ausstellung gewesen und hätte einen klareren Bezug zu Marx gehabt. Nell-Breuning hatte sich immer wieder auf Marx berufen.

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Ganz natürlich?

In einem Radiovortrag geht es um das selbstständige Lernen. Im “Stationenlernen”, einer Form des sog. “schülerzentrierten Unterrichts”, bestimmen die Schüler selbst über das Tempo, die Reihenfolge und den Umfang ihrer Arbeit an den einzelnen Stationen. Der schülerzentrierte Unterricht erfreut sich großer Beliebtheit, u.a. deshalb, weil er eine Form ist, der immer größeren Heterogenität der Schulklassen gerecht zu werden. Anleitungen für den schülerzentrierten Unterricht finden sich oft in Ratgebern für Praktiker, von Praktikern geschrieben. Die Begründungen für die Unterrichtspraxis greifen aber oft zu kurz oder schließen die Theorie ganz aus und haben keinerlei empirische Grundlagen. Theorieanleihen werden gemacht bei popularisierten Darstellungen der Hirnforschung und nicht aus der Erziehungswissenschaft. Das Gehirn interessiere sich nur für persönlich Relevantes und lerne nur dann, wenn der Aufwand sich subjektiv lohne, heißt es. Die Lernumgebung müssten persönliches Interesse wecken und einen Anschluss an die Lebenswelt der Lernenden herstellen. Der Rekurs auf die Hirnforschung dient also in erster Linie der Legitimation handlungsorientierter und schüleraktivierender Lernformen. Wie sich Lernen tatsächlich vollzieht, wird dadurch aber nicht erklärt, und dass das Lernen selbständig verlaufen soll und kann scheint keiner weiteren Begründung zu bedürfen. Das selbständige Lernen erscheint schlicht als natürliche Form des Lernens. Welche Belege haben wir aber, dass die Kinder, die die verschiedenen Stationen des Stationenlernens (zum Thema Brücken) durchlaufen haben, tatsächlich etwas gelernt haben? Die Kinder haben ihre Arbeitsaufträge erledigt und sie auf ihren Laufzetteln abgehakt. Ob die inhaltsbezogenen Kompetenzen, die der Lehrplan vorsieht, tatsächlich erworben wurde, weiß man nicht. Die Kinder haben zwar ausgefüllte Arbeitsblätter in den Händen und selbstgebastelte Brücken, aber haben sie etwas über deren Konstruktionsprinzip verstanden? Haben sie Transferfähigkeiten entwickelt? So die Argumente einer Freiburger Pädagogin in dem Radiovortrag (Nicole Vidal: “Relevanz neurowissenschaftlichen Wissens für die pädagogische Praxis und Theoriebildung”, in: Aula, SWR 2: 30/09/2018). Mir persönlich scheint hier ein zentrales Problem berührt zu sein, ein Problem, das nicht nur für den schülerzentrierten Unterricht gilt, sondern auch für andere Lernformen: Lernerfolg wird vorausgesetzt, ohne Nachweise. Tun wird mit Lernen gleichgesetzt. Dass man sich mit etwas beschäftigt, heißt aber noch lange nicht, dass dabei “etwas herauskommt”. Das weiß jeder, der mal mit stupidem Fleiß seitenweise Fachliteratur gelesen hat oder jeder, der mal eine Seite Vokabeln gelernt hat. Ob und wann etwas “hängenbleibt”, wann es tatsächlich “Klick” macht, ist oft nicht einmal im Nachhinein zu entscheiden, geschweige denn, vorauszusagen. Lernen ist eine verdammt komplizierte Angelegenheit.

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Landhunger

Man mag es kaum glauben, aber der Kolonialbesitz Deutschlands war der drittgrößte aller europäischen Mächte: Togo, Kamerun, Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Neuguinea, die Marschallinseln, die Karolinen und die Marianen und das deutsche Gebiet um Tsingtao in China gehörten dazu. Dabei dauerte die Kolonialherrschaft gerade mal drei Jahrzehnte, und anfangs wollten gar keiner von Kolonien sprechen. Das Reich überließ es Privatleuten, das Land zu erschließen. Gemessen an der knappen Zeit richteten die deutschen ein enormes Maß an Unheil an. Willkürliche Gewalt gegen die Bevölkerung, Zwangsarbeit, eine rassistische Rechtsprechung, sexueller Missbrauch gehörten zum Alltag. Die Männer, die sich dort breitmachten, waren meist solche, die zuhause zu den Verlierern zählten: Sorgenkinder, schwarze Schafe aus Adelsfamilien, Büregliche, die in der adeligen Gesellschaft zuhause keine Aufstiegschancen hatten. Das Nebeneinander von Schwäche und Gewalttätigkeit trag dann besonders zutage, als es dem Ende zuging, zwischen 1914 und 1918. Zu wirtschaftlichem Gedeihen und zivilisatorischem Fortschritt hat der deutsche Kolonialismus nirgendwo beigetragen. Das Ziel war die Etablierung von Absatzmärkten und der Abbau von Rohstoffen. Zu einem würdigen Umgang mit den Opfern haben wir bis heute nicht gefunden. Zu wenig gerät die deutsche Kolonialherrschaft ins Bewusstsein angesichts der Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. (Staas, Christian: “Der Untergang”, in: Die Zeit 40/2018: 20-21)

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Ins Schwimmen geraten

Seit 20 Jahren beschäftigt sich der Wuppertaler Sportwissenschaftler Theodor Stemper mit der Frage der Schwimmfähigkeit der Deutschen. Ob deren Schwimmfähigkeit in den letzten 20 Jahren abgenommen habe oder nicht, kann er nicht sagen. Dazu seien die Ergebnisse der Studien zu widersprüchlich. Auf den zweiten Blick nicht verwunderlich. Wie soll man das zuverlässig nachweisen? In den Medien gibt es dennoch regelmäßig einen Aufschrei über die nachlassende Schwimmfähigkeit. Öffentliche Bäder würden geschlossen, und immer weniger Kinder lernten schwimmen, heißt es. Und nicht nur das: Die Zahl der Ertrinkenden sei dadurch gestiegen. Daran ist fast alles falsch: Wenn die Zahl der Ertrinkenden steigt, muss das nicht an der sinkenden Zahl der Schwimmer liegen. Menschen, die ertrinken, sind in der Regel Schwimmer. Sie überschätzen sich, sie haben Alkohol getrunken, sie erleiden einen Herzinfarkt. Nichtschwimmer meiden das Wasser. Außerdem sind die Zahlen schlichtweg falsch: Die Zahl der Ertrinkenden ist von 1119 im Jahre 1970 auf 404 im Jahre 2017 gesunken! Und es befinden sich nicht besonders viele Kinder unter den Ertrunkenen. Woher kommt dann die Legende von der sinkenden Schwimmfähigkeit? Sie beruht allein auf einer Zahl der DLRG. Danach machen immer weniger Kinder das Schwimmabzeichen. Das hat natürlich wenig zu sagen. Viele Kinder, sagt Stemper, machten kein Abzeichen, könnten aber dennoch schwimmen. Aber das ist keine Nachricht wert. Die Medien beschwören lieber das schlimme Szenario. Dem liegt etwas zugrunde, was man Negativitätsbias nennt: Schlechte Nachrichten verkaufen sich einfach besser. (Spiewak, Martin: “Was nicht in der Zeitung steht”, in: Die Zeit 40/2018: 35-36)

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Pink it and shrink it

Frauen können, einer populären Vorstellung zufolge, mehr Farbnuancen unterscheiden als Männer. Jedenfalls können sie elaborierter darüber sprechen. Ein Mann sagt Blau, eine Frau sagt Veilchenblau, Schieferblau, Stahlblau, Taubenblau, Himmelblau. Auch Experimente belegen das. In einem Zeitungsartikel (Albrecht, Harro: “Pink als Wille und Vorstellung”, in: Die Zeit 34/2018: 29) wird eine internationale linguistische Umfrage zitiert, bei der Männer 7 Farben benannten, Frauen aber mindestens 29! Woher kommt das? Haben Frauen, wie der Artikel es nahelegt, ein “feineres Sensorium” für Farben? Falls ja, woher kommt das? Oder haben sie gelernt, mehr Unterschiede zu benennen? Und können gar nicht mehr Farbnuancen unterscheiden, sondern nur benennen? Manche Forscher beginnen die Spurensuche in der Urgeschichte. Sie unterwerfen jeder Verhaltensweise der Frage: Was bringt oder brachte sie dem Menschen? Bei den Farben wird so argumentiert: Die Frauen waren für das Sammeln von Früchten zuständig, und bei denen stand Rot für gehaltvolle, kalorienreiche Früchte, und die waren wertvoll und lecker, anders als das weniger begehrte grüne Beigemüse. Ist das ausreichend, um moderne Verhaltensweisen zu erklären? Ist das vielleicht der Nukleus, aus dem alles entstand? Und sind vielleicht auch Farbpräferenzen letztlich darauf zurückzuführen? Immer wieder ist die moderne Pink-Präferenz von Mädchen Gegenstand der Diskussion. Beliebt ist die These, dass pink = feminin das Ergebnis einer erfolgreichen Manipulation durch die kommerzielle Neuzeit sei. Die Werbung versteht es gut, die Farbpräferenzen emotional aufzuladen. Aber kommen die aus dem Nichts? Die These, es habe früher eine Zeit der Präferenz von Pink bei Jungen gegeben, ist zwar populär, aber für sie gibt es keinerlei Belege. Der rasende Trend zum Pink-Blau-Dualismus könnte nur die extreme Fortsetzung einer in der Vergangenheit liegenden, aus den materiellen Voraussetzungen abgeleiteten Präferenz sein. Minimale Unterschiede zwischen Männern und Frauen können sehr lange brauchen, um eine neue kulturelle Norm zu setzen.

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Patriotic apocrypha

“There, I guess King George will be able to read that!” are the words John Hancock, according to popular belief, used when he signed the Declaration of Independence, exubertantly scrawling his name in extra large letters under the text. Several paintings represent the scene like this, Hancock addressing the other men who had signed (or were going to sign) the Declaration. Actually, there was no one around he could have addressed. There was no dramatic group signing. Those who signed the Declaration did so over several days’ time, one after the other. Hancock most likely signed the Declaration in silence. (Keyes, Ralph: Quote Verifier. Who Said What, Where, and When? New York: St. Martin’s Griffin, 2006: 113-114)

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Proverbial wisdom

“Promises are like pie-crusts, made to be broken.” Many American politicians, but quite especially Ronald Reagan, were fond of quoting Lenin to this effect, insinuating that communists are not to be trusted. And as cynical as can be. Reagan thought he had read that Lenin had said this somewhere. As a matter of fact, Lenin had said “The promises like pie-crusts are leaven to be broken”, which he called “an English proverb”. Lenin’s point was not that he believed in what the proverb said but that his opponents did! The proverb actually first appears in an English text, Swift’s Polite Conversation, in the form of a comment by Lady Answerall: “I beg your pardon, my Lord, Promises and Pye-Crusts, they say, are made to be broken.” (Keyes, Ralph: Quote Verifier. Who Said What, Where, and When? New York: St. Martin’s Griffin, 2006: 174)

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Halewi Marx

1418 wurden die Juden vom Erzbischof aus Trier ausgewiesen. Viele ließen sich in den Dörfern der Umgebung, z.B. in Aach nieder. Ab 1620 wurden Juden wieder zugelassen, aber diesmal wurde ihnen nicht mehr der alte privilegierte Standort am Hauptmarkt zugewiesen, zentral gelegen, mit eigener Gerichtsbarkeit, sondern einer an der Weberbach, im Viertel der Tuchweber und Gerber, das wegen des Geruchs und wegen des Schmutzes nicht besonders angesehen war.

Der jüdische Friedhof Weidegasse ist nicht der älteste jüdische Friedhof Triers. Der älteste befand sich in der Nähe der alten Synagoge, an der Jüdemer Straße. Der Name ist Programm: Jüdemer bedeutet ‚Judenmauer‘! 

Die jüdischen Friedhöfe lagen, wie die römischen, immer außerhalb der Stadtmauern. Der Friedhof an der Jüdemer Straße wurde geschleift, als die Juden vom Bischof aus Trier vertrieben wurden. Der hatte, wie es heißt, rein „ideologische Gründe“. Die Juden hatten einfach nicht die richtige Religion.

Auf dem Boden dieses alten jüdischen Friedhofs entstand ein christliches Kloster. Von dem ist heute nur noch die Augustinerkirche erhalten. Bei den Ausgrabungen für die Viehmarktthermen kamen dann jüdische Grabsteine zum Vorschein. Die Christen hatten sie als Spolien für ihre Bauten benutzt.

Der jüdische Friedhof Weidegasse stammt aus der Zeit, als die Juden wieder zugelassen wurden. Der älteste Grabstein stammt von 1686, der letzte von 1922. Insgesamt sind heute noch 547 Grabsteine sichtbar. Dieser Friedhof wurde dann geschlossen – wegen Überfüllung. Der Grund war die Spanische Grippe. Die hatte ihren Tribut gefordert und war dafür verantwortlich, dass sogar die Gehwege zwischen den Gräbern belegt wurden. Die jüdische Gemeinde kaufte dann ein kleines Areal auf dem Städtischen Friedhof an der Paulinstraße.

Während der Nazizeit blieb der alte jüdische Friedhof unversehrt. Nach dem Krieg wurde die Umfassungsmauer erhöht. Trotzdem kam es zu Friedhofsschändungen, mit antisemitischen Parolen an der Friedhofsmauer und beschädigten oder umgeworfenen Grabsteinen.

Wenn man durch das Tor in der Begrenzungsmauer tritt, erkennt man sofort die Zweiteilung des Friedhofs: links traditionellere Gräber, rechts neuere, die der assimilierten Juden. Überall wachsen Gräser und Bodendecker, die sich teils der Grabsteine bemächtigt haben. Einige verschwinden komplett unter ihnen. Das entspricht der jüdischen Tradition.

Die Bestattung findet bei den Juden so bald wie möglich statt: am Morgen gestorben, am Nachmittag beerdigt. Das wird auf die Zeit des Auszugs aus Ägypten zurückgeführt. Da habe man immer weiter gehen müssen und habe sich nicht aufhalten können, wenn jemand starb. Man grub ein Loch, bestattete den Toten in einfachen Kleidern und legte einen Stein auf die Grabstelle. Daher soll die Tradition stammen, dass Juden noch heute kleine Steinchen auf Grabsteinen deponieren.

An der Erklärung stören mich zwei Dinge: Das schnelle Begräbnis gibt es auch bei Muslimen und bei Christen in Südeuropa, und die haben keine Wüste durchquert. Vielleicht hat die schnelle Beerdigung eher hygienische Gründe. Außerdem waren die Juden beim Auszug aus Ägypten ja nicht ständig unterwegs. Schließlich haben sie vierzig Jahre für die paar Kilometer gebraucht. Sie waren Nomaden und hielten sich so lange wie möglich in den Oasen auf, die sie erreicht hatten. So viel Bock scheinen sie auf das gelobte Land nicht gehabt zu haben.

Die jüdischen Frauen werden noch heute, sofern sie gläubig sind, in einfachen Leinentüchern beerdigt. Die jüdischen Männer im Tallit, dem Gebetsmantel, den sie bei der Bar Mitzwa bekommen. Deshalb muss der so groß sein! Hab’ ich mich schon immer drüber gewundert. Diese ganz einfache Bestattung gibt es noch bei einigen wenigen gesetzesgläubigen Juden, aber die meisten werden jetzt in einem Sarg bestattet. Allerdings ist es weniger ein Sarg im christlichen Sinne als eine einfache Holzkiste. So ist es auch hier auf dem Friedhof.

Die Gräber hatten ursprünglich Grabeinfassungen, die hier aber nicht mehr vorhanden sind. Sie verhinderten das Betreten des Grabs und hatten keinen Blumenschmuck. Die Grabsteine ließ man verwittern und auch dann liegen, wenn sie umgestürzt waren.

Was man als Laie nicht ohne weiteres erkennen würde, ist die Bedeutung der Embleme auf den Grabsteinen, obwohl sie sich sofort erschließen, wenn man die Erklärung hört: eine abgebrochene Stele (als Symbol für ein zu früh zu Ende gegangenes Leben), eine nach unten gerichtete Fackel, eine Mohnkapsel (für eine Droge, die einen in tiefen Schlaf versetzt). Auf einem Grabstein ist das „Auge Gottes“ angebracht, ein von einem Strahlenkranz umgebenes Auge, von einem Dreieck umschlossen, ein ursprünglich christliches Symbol, aber auch ein Symbol, das die Freimaurer verwandten.

Im strengeren Sinne jüdische Symbole sind die geschwungene Thora-Rolle, die einige Grabsteine bekrönt, sowie die betenden Hände, die Wasserkrüge und das Messer. Die betenden Hände sind das Kennzeichen der Rabbiner. Das sind keine Geistlichen. Sie können zwar einen Gottesdienst in der Synagoge leiten, aber das kann jeder erwachsene Mann. Die Rabbiner sind Rechtsgelehrte, Experten. Die segnenden Hände, mit gespreiztem Mittel- und Ringfinger, führen den aaronitischen Segen aus. Dabei wird der Buchstabe schin nachgebildet, kurz für ‚Allmächtiger‘. Die Nachkommen der Priester, die diesen Segen erteilten, den kohanin, erkennt man an Nachnamen wie Kahn, Kohn oder Kuhn. Das Messer ist das Beschneidungsmesser und deutet, zusammen mit Salbgefäßen, darauf hin, dass der Verstorbene mohel war, also die Beschneidung durchführte. Die wurde acht Tage nach der Geburt in einer religiösen Zeremonie durchgeführt. Die Vorhaut wurde mit wenigen Schnitten abgetrennt, wobei der Mohel Segenssprüche aufsagte und den Namen des Kinds nannte. Es bedurfte einer besonderen Ausbildung, um dieses Amt auszuüben. Die Leviten reichen den Rabbinern das Wasser während der Zeremonie. Daher der Wasserkrug. Familiennamen wie Levi, Löw oder Lavi zeigen die Abstammung von den Leviten an.

Ein Unterschied zwischen dem traditionellen Teil des Friedhofs links und dem modernen rechts ist der Gebrauch der Schrift: Links haben alle Grabsteine Inschriften in Hebräisch, rechts ist es entweder eine Mischung aus Hebräisch und Deutsch oder nur Deutsch, Ausweis der immer größer werdenden Assimilierung. Bei den Inschriften rechts gibt es gelegentlich Rechtschreibfehler. Da waren christliche Steinmetze am Werk!

Außerdem sind die Grabsteine rechts größer und aufwendiger gestaltet. Man könnte glauben, auf einem christlichen Friedhof zu sein. Hier gibt es auch gelegentlich, entgegen der jüdischen Tradition, Familiengräber.

Nach der aschkenasischen Tradition sind die Gräber in Ost-West-Richtung anzulegen. Dadurch blickt der Verstorbene, wenn er aufersteht, Richtung Tempelberg. Der Grabstein steht am Fußende des Grabes. Aber auch hier muss ein Wandel der Auffassung stattgefunden haben. Bei zwei Kindergräbern, in dem einen ein Junge, in dem anderen ein Mädchen, steht der Grabstein in einem Fall am Fußende, im anderen am Kopfende. Die beiden Grabsteine stoßen also mit dem Kopf aneinander.  

Jüdische Friedhöfe hatten auch immer eine Schandecke, für Selbstmörder (und wohl auch Verbrecher). Sie wurden zwar irgendwo in eine Ecke verbannt, aber immerhin wurde ihnen das Begräbnis auf dem Friedhof nicht verwehrt, wie bei den Christen. Wo sich die Schandecke dieses Friedhofs befindet, ist nicht bekannt.

Im alten Teil des Friedhofs sind die Großeltern von Marx bestattet, auf Grabsteinen mit einer hebräischen Inschrift. Marx’ Großvater war Rabbi und hieß Mordechai Marx Levy, seine Großmutter, Chaje Levofff, war die Tochter des Trierer Rabbiners Moses Lwow. Marx’ Vater, Heinrich Marx, konvertierte zum Protestantismus, um seinen Beruf als Rechtsanwalt voll ausführen zu können. Er ließ seine Kinder taufen. Bis zu seiner Konvertierung hieß er Heschel. Aus Heschel machte er Heinrich. Marx’ Mutter konvertierte erst viel später, warum, ist unklar. Marx ist ein sehr verbreiteter Name in dieser Region und deutet nicht auf eine Verwandtschaft mit KarlMarx hin. Es ist etymologisch eine Nebenform von Markus.

Auf diesem Teil des Friedhofs sind auch die Vorfahren von Marcel Proust begraben, in einem imposanten Doppelgrab. Prousts Großvater, Nathanael Bernkastel, knüpfte während der Zeit der Besatzung Kontakte nach Frankreich an und wanderte schließlich aus und ließ sich in Paris nieder. Prousts Großmutter, Adéle Bernkastel, verkehrte in mehreren literarischen Salons und gab ihrer Tochter, Prousts Mutter, eine gründliche humanistische Bildung mit.

Ein besonderes Schicksal ist verbunden mit dem Grab eines gewissen Siegfried Wolff. Er war Leutnant der Reserve und zog als Kompanieführer „für sein geliebtes Vaterland“ im Infanterieregiment in den Krieg. Er war Träger des Eisernen Kreuzes. Im Juni 1918 kam er, der einzige Sohn seiner Eltern, im Krieg ums Leben. Ein Eisernes Kreuz schmückte ursprünglich den Kopf des Grabsteins, wurde aber später entfernt. Sein Vater wurde mit 75 Jahren nach Theresienstadt deportiert und kam dort ums Leben. Den Sohn hätte dasselbe Schicksal ereilt, wenn er nicht gefallen wäre.

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Marx (2)

Am Treppenaufgang zur Ausstellung links eine Landkarte Europas, mit den Grenzen der Zeit von Marx und den heutigen Grenzen. Viele Dinge sind gleich geblieben, aber es gibt auch Unterschiede: Griechenland, Polen und Irland existierten (noch) nicht. Und im Osten gab es drei Großreiche: das Zarenreich, das Osmanische Reich und Kakanien.

Rechts eine Wand mit großflächigen Reproduktionen von Photos von Marx. Alle stammen aus der Londoner Zeit. Auf allen trägt er das Haar lang und hat einen Rauschebart. Es gibt kein Photo von ihm und Jenny. Wenn Frauen neben ihm posieren, sind es seine Töchter oder, in einem Fall, eine seiner Töchter neben der Tochter von Engels.

Die Ausstellung ist nicht im engeren Sinne über Marx Leben, sondern zeichnet die Stationen seines Lebens nach, eine ganze Menge, von Trier bis nach London. Dass er auch einmal in Algier war (um sich in dem milden mediterranen Klima von seinen vielen Leiden zu erholen), wusste ich nicht. Auf dem Rückweg war er sogar in Monte Carlo.

Es ist bezeichnend, dass Trier am Anfang steht, das kleine, provinzielle Trier mit gerade mal 10.000 Einwohnern, und London am Ende, die riesige, moderne Metropole, die größte Stadt Europas zu der Zeit. Sie hatte zu Zeiten von Marx schon fünf Bahnhöfe! Die verbanden sie mit allen Teilen Englands. Auf Gemälden – die meisten Exponate sind Gemälde – sieht man St. Pancras Station – romantisch in Abendlicht gehüllt, die Bahnhofshalle im Zwielicht fast verschwimmend, die Fassade wie eine gotische Kirche – und King’s Cross Station, geschäftig, mit großem Auflauf angesichts des Eintreffens der Königin.

Die meisten Exponate sind Bilder. Die nehmen Bezug auf die Lage in den verschiedenen Städten zu Marx‘ Zeiten. Für die Zeit in Trier steht ein Gemälde, das eine erwischte Reisigsammlerin im Wald zeigt. An ihrer Seite ihre weinende Tochter. Neben ihr ein Gendarm mit einem Notizbuch. Das Sammeln von Reisig, früher erlaubt, war von den Preußen unter Strafe gestellt worden. Das führte zu noch mehr Elend bei den Armen.

Die Franzosenzeit hatte für Trier Fortschritt bedeutet, hinsichtlich der Institutionen und hinsichtlich der Gesetze. Zum ersten Mal waren alle (Männer!) vor dem Gesetzt gleich. Hier ist eine Zeichnung von Goethe zu sehen, die die Freiheit feiert. Oben steht: Cette terre è libre. Im Hintergrund sieht man einen kleinen Ort: Schengen!

In der Preußenzeit wurde das alles rückgängig gemacht. Und es gab einen großen materiellen Rückschritt. Trier waren nach der Napoleonischen Zeit Absatzmärkte abhandengekommen.  Das beeinträchtigte die Lage der Kleingewerbetreibenden. Darunter litten auch die Winzer. Und die litten außerdem unter der Steuerlast. Weine aus dem Rheinland galten in Preußen als Auslandsprodukte und unterlagen hohen Zöllen. Dann schlug auch noch die Reblaus zu.Die Lage der Menschen wurde durch eine Schlacht- und eine Mahlsteuer noch verschlimmert. Viele lebten unter dem Existenzminimum, und in einigen Jahren waren 1.700 Menschen inhaftiert, von insgesamt 11.000!

Das führte zu Auswanderungen in großem Stil, von Trier aus u.a. nach Brasilien. Vor allem viele Winzer wanderten dahin aus. Auf einem Gemälde sieht man Auswanderer beim Aufbruch, auf einem anderen eine Amtsstube, in der man sich seine Papiere besorgen musste. Man benötigte einen Pass. Das bedeutete nicht dasselbe wie heute. Ein Pass war eher das, was man heute als Visum bezeichnen würde, aber man brauchte ihn nicht, um reinzukommen, sondern um rauszukommen! Die Länder wollten ihre Bürger behalten! Sie waren wichtig als Arbeitskräfte, als Erzeuger von Nachkommen, als Steuerzahler, als Soldaten. Rein kam man überall, ganz anders als heute. In einer Vitrine ist ein Pass ausgestellt, ein großformatiges Blatt Papier mit den üblichen Unterschriften und Stempeln.

Trier ist die kleinste Stadt auf Marx‘ Lebensweg, mit Ausnahme vielleicht von Bad Kreuznach. Dort heiratete er. Jenny war nach dem Tod des Vaters mit der Mutter dorthin gezogen. Auf der Hochzeitsreise, die ihn nach Bingen und Baden-Baden führte, kam er zum ersten Mal ins Ausland! Bingen gehörte zu Hessen.

Eine Bleistiftzeichnung zeigt den jungen Marx als Studenten in Bonn, mit 17. Er hatte schon mit 16 Abitur gemacht und Trier verlassen! Diese Bleistiftzeichnung ist die älteste erhaltene Darstellung von Marx.

Es gibt nur wenige Exponate mit direktem Bezug auf Marx. Eins davon ist ein Karzerbuch der Universität Bonn. Dort wird er, Carl Marx, zu einem Tag Karzer verurteilt, wegen „nächtlicher Ruhestörung”. Kurios, dass es bei der Schreibung des Namens noch keine Einheitlichkeit gibt. Außer Bonn gibt es zu der Zeit keine einzige Universität im Rheinland und in Westfalen!

In Bonn machte Marx, was man als Student so macht: Liebesgedichte schreiben, die Vorlesungen schwänzen, saufen, feiern, lärmen. Sein Vater sorgte dafür, dass die Sache bald ein Ende nahm, nach zwei Semestern. Er empfahl  Berlin als seriösen Studienort. Es ist genau das Gegenteil von dem, was man erwarten würde.

Tatsächlich wurde Marx in Berlin sofort zu einem ernsthaften Studenten, so sehr, dass der Vater sich jetzt sorgte, weil der Sohn nur noch die Bücher im Kopf hatte. Berlin war die erste Großstadt, die Marx kennenlernte, mit Fabriken, Palais, Paraden, Theater und 200.000 Einwohnern.

Entgegen der allgemeinen Vermutung musste Marx Berlin nicht wegen seiner politischen Einstellung verlassen, sondern weil er die Regelstudienzeit überschritten hatte! Promoviert wurde er dann in Jena, in Abwesenheit! Die Stadt hat er nie betreten!

Köln war, wie Trier, katholisch, liberal und antipreußisch. Wie sehr die Preußen diese Ideologie fürchteten, sieht man darin, dass sie den Rosenmontagszug verboten. Der war ihnen zu politisch.

In Paris lebten zu der Zeit, als Marx dorthin übersiedelte, 80.000 Deutsche, 8% der  Bevölkerung! Trotz der hohen Einwohnerzahl waren Teile der Stadt noch ganz ländlich. Auf einem Gemälde von Corot sieht einen Hügel mit Feldern, einem Felsen und einer Mühle: Montmarte!

In einer Schatulle ist ein Reiseschreibset aufbewahrt. Ob es von Marx selbst stammt, wird nicht ganz klar. Jedenfalls enthält es, säuberlich geordnet, Federn unterschiedlicher Stärke, zwei Tintenfässer und zwei Schreibstiele. So was muss Marx ständig bei sich gehabt haben. Bei Umzügen war man nicht zimperlich. Man schleppte den gesamten Haushalt mit. In der Regel fuhr Marx, mit dem Nötigsten ausgestattet, vor, und Jenny kam mit dem gesamten Haushalt hinterher.

Auf einem Gemälde sieht man ein Pfandleihhaus. Das hatte nichts Anrüchiges an sich. Man ging ins Pfandleihaus, wenn man einen Kredit brauchte, so wie man heute zur Bank geht. Auf dem Gemälde sieht man folgerichtig eine Familie aus dem Establishment, gut gekleidete, vornehm. Anders war es mit der Zwangsverpfändung. Auch die wird auf einem Gemälde illustriert. Die Zwangsverpfändung trat ein, wenn man seine Schulden endgültig nicht mehr bezahlen konnte. Das bedeutete dann auch den Verlust der Wohnung. Und genau das passierte bei Marx zu Beginn der Londoner Zeit: Die hochschwangere Jenny wurde mit mehreren kleinen Kindern auf die Straße gesetzt. Die Familie stand am Abgrund. Später wurde die Situation besser, durch verschiedene Erbschaften und durch die Unterstützung durch Engels. Aber die Klagen rissen nicht ab, aber es waren jetzt Klagen auf höchstem Niveau: Der Italienischlehrer will mehr Geld, wir können und den Klavierunterricht für Jenny nicht mehr leisten, der Preis für den Wein ist gestiegen usw.

Marx selbst und Jenny und die auf dem Kontinent geborenen Kinder waren staatenlos. Hier galt das ius sanguinis. Das galt nicht für die in England geborenen Kinder. Sie hatten die britische Staatsangehörigkeit. Hier galt das ius soli.

In einer Vitrine sieht man zwei Schreiben von Marx aus Brüssel an Trier, an den Oberbürgermeister, der gleichzeitig der Preußische Gesandte ist. Er benötigt Unterlagen für seine geplante Auswanderung in die USA. Daraus wurde nichts.

Ein aufgeschlagenes Exemplar der Rheinischen Zeitung liegt in einer Vitrine, mit einem eng gedruckten Text zu der Debatte in Preußen zum Holzdiebstahl. Geschrieben ist der Artikel „von einem Rheinländer“ – Marx. Er war Chefredakteur der Zeitung. Die Rheinische Zeitung wurde verboten, dann, nach der Revolution, als Neue Rheinische Zeitung wiedergegründet. Nach dem Niederschlag der Revolution wurde Marx aus Preußen ausgewiesen. Das letzte Exemplar der Neuen Rheinischen Zeitung, unmittelbar vor dem Verbot erschienen, ist ganz in Rot gehalten. Ein Exemplar ist in der Ausstellung zu sehen.

Vor der Ausweisung aus Brüssel landete Marx tatsächlich im Gefängnis – für eine Nacht. Zusammen mit Jenny, aber natürlich getrennt von ihr. Die war zusammen mit Wucherinnen und Prostituierten interniert. Marx lancierte die Sache geschickt und es kam zu einem öffentlichen Aufschrei, nicht so sehr wegen Marx, sondern wegen La Baronesse de Westphalie!

Für Manchester gibt es einen eigenen Raum, obwohl Marx nie dort wohnte. Er verbrachte aber lange Zeit dort, bei Engels, und in der Bibliothek. Kurz gesagt, wurde in Manchester aus dem Philosophen ein Wirtschaftswissenschaftler. Trotzdem hat Marx nie eine Fabrik von innen gesehen!

Hier gibt es auch ein Gemälde, das eine Fabrik mit hammerschwingenden Arbeitern zeigt. Hier ist alles hell, die Atmosphäre ist betriebsam, die Mühen der Arbeit und das Elend der Arbeiter bleiben verborgen. Hier wird die Industrialisierung gefeiert. Im Vordergrund, erst bei genauem Hinsehen zu erkennen, sitzt ein Mädchen mit einem Mathematik-Buch. Sie gehört zu den Gewinnern der Industrialisierung.

Daneben ein Bild, La Nena Obrera, das in der Zeit Furore machte. Ursprünglich großformatig, über zwei Meter lang, und so erfolgreich, dass der Maler,  Joan Planella, dieses zweite, kleinformatige Bild folgen ließ. Das erste war auf Ausstellungen in New York, Buenos Aires, Paris usw. gewesen. Das Bild zeigt eine Fabrikarbeiterin, eine absolute Neuheit. Die Malerei hatte früher Adelige, heute Unternehmer dargestellt, aber keine Arbeiter, und schon gar keine Frauen oder Kinder. Hier, bei der Nena Obrera, sind Kind und Frau gleichzeitig erfasst.

Von Algier, wo er von London aus hinreiste, um in dem milden Mittelmeerklima seine vielen Gebrechen zu kurieren, gibt es eine Tagebuchaufzeichnung von Marx, von der wir wissen, dass er einen Termin beim Photographen und einen beim Barbier hatte. In dieser Reihenfolge. Beim Barbier ließ er sich den Bart abnehmen. Wenn dieser Reihenfolge gibt es kein Photo des bartlosen Marx.

Die Hoffnung auf das milde Mittelmeerklima erwies sich als trügerisch. Es stürmte und regnete ununterbrochen. Danach ging die Reise nach Monto Carlo, ausgerechnet nach Monte Carlo. Marx (und Marxismus) und Montecarlo – kann man sich einen größeren Gegensatz denken?

Von den sieben Kindern von Marx und Jenny starben vier als Säugling oder im Kindsalter. Nur drei erreichten das Erwachsenenalter, drei Töchter. Sie hießen, um Verwirrung zu stiften, mit erstem Vornamen alle Jenny! Alle drei wirkten zu irgendeiner Zeit als Sekretärin oder Assistentin von Marx.

Nur zwei überlebten Marx. Jenny Caroline, die älteste Tochter, starb wenige Monate vor Marx an Blasenkrebs, im selben Jahr, 1883.

Jenny Eleanor, “Tussy”, eine aktive Sozialistin, hatte ein Nerenkrankheit, von der sie auch mehrere Kurauftenhalte nicht heilten. Sie hatte ein Verhältnis zu einem Mann, der ihr verheimlichte, dass er verheiratet war. Die Nachricht davon könnte der Auslöser ihres Suizids gewesen sein. Sie nahm sich im Alter von 43 Jahren mit Blausäure das Leben.

Jenny Laura war die sprachbegabteste von allen und übersetze u.a. Ibsen und Flaubert. Ins Deutsche, vermute ich. Im Alter war sie so sehr von der Angst vor Armut und Gebrechen geplagt, dass sie sich auch das Leben nahm – zusammen mit ihrem Ehemann, Paul Lafargue. Sie hatten in den Jahren des erzwungenen Exils alle drei Kinder verloren.

Am Ende der Ausstellung stößt man in der Form von Faksimiles, aber auch als elekrtonische Dateien auf etwas, das den etwas irreführenden Namen Confessions trägt. Es sind keine Bekenntnisse im eigentlichen Sinne, sondern die Antworten auf Fragebögen, die man Freunden gab, eine unterhaltsame Art, etwas von sich preiszugeben. Jenny hielt ein komplettes Confessions Book. Da liest man einige eher nichtssagende, aber auch sehr originelle Antworten: Ihre Heldin? – Meine Kaffeekanne. Ihre Lieblingsbeschäftigung? – Luftschlösser bauen. Auch Schlafen und Rauchen werden als Lieblingsbeschäftigung genannt. Und „Bettler anbellen“. Das ist der Fragebogen von Whiskey. So hieß der Hund der Familie Marx. Bei der Antwort auf die Frage nach dem persönlichen Motto, der persönlichen Maxime, gibt es zwei, die mir auffallen: Fais ce que voudras, arrive ce que pourra. – Tue, was du willst. Es kommt, wie es kommt. Und: Là où il y a de la gène il n’est pas de plaisir.

Es bleiben ein paar Rätsel, und es sind ein paar neue hinzugekommen durch die Ausstellung, die Führung durch die Ausstellung und die Lektüre der letzten Wochen: Marx wurde mit einer Arbeit über griechische Philosophen promoviert, war aber als Jurastudent eingeschrieben. Ging das? Welchen Doktortitel erhielt er? Warum konnte er in Jena promoviert werden, obwohl er dort nie war? Ist es in Gerücht, dass Marx zeitlebens ein Photo seines Vaters mit sich trug? Stimmt es, dass die Photographie noch gar nicht erfunden war, als Marx’ Vater starb? Kann es statt eines Photos nicht eine Zeichnung gewesen sein? Wie ist es mit der Ausweisung aus Preußen? Ist das ein Mythos? Ist Marx gar nicht ausgewiesen worden? Schließlich hat er den Austritt aus der preußischen Staatsangehörigkeit selbst beantragt. Aber kann er nicht auch als Staatenloser ausgewiesen worden sein? Haben sich Marx und Engels kein bisschen um die Lage der Arbeiter in der Fabrik von Engels gekümmert? Wie konnten sie das mit ihren Theorien vereinbaren? Wie war es mit Engels und Marx’ unehelichem Kind? Irgendwo steht, es stimme nicht, dass er die Verantwortung für das Kind übernommen habe, das sei ein Gerücht. Aber vielleicht ist damit nur gemeint, dass er es nicht adoptierte, wohl aber sich dazu bekannte, der Vater zu sein. Und was hat es mit der Konversion von Marx’ Vater zum Protestantismus auf sich? Dass er zum Protestantismus und nicht zum Katholizismus konvertierte, ist eine Verbeugung vor den Preußen, ein Akt des Opportunismus. Aber warum überhaupt die Konversion? Stimmt es, dass er sonst nicht als Rechtsanwalt hätte arbeiten können? Oder hätte er als Rechtsanwalt arbeiten, aber nicht Beamter werden können?

(“Karl Marx 1818-1883. Stationen eines Lebens”, in: Stadtmuseum Trier, 2018)

 

 

 

 

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Marx (1)

Beim Aufgang zu den Ausstellungsräumen erfährt man, dass Marx bereits mit 23 promoviert wurde, und zwar in Jena. Dass auch Paris zu seinen Stationen gehörte, noch vor Brüssel und London, nach Bonn, Berlin und Köln. Und dass er Staatenloser war. Seine preußische Staatsbürgerschaft, heißt es, habe er „abgelegt“, 1845. Man fragt sich, ob das nicht bei den weiteren Stationen im Ausland, aber nicht nur da, schwierig war.

Die Ausstellung macht es einem nicht leicht und ist nicht jedermanns Sache, wie ich bereits gehört habe. Man muss lesen und sich konzentrieren, dann lohnt es sich.

Ganz am Anfang stehen einige Ausstellungsstücke, die auf Borsig Bezug nehmen. Darunter eine Lokomotive im Kleinformat und eine große, bauchige Vase, auf der Borsig gefeiert wird. Die Eisenbahn gehört zu den Erfindungen, die das Leben der Zeit auf rasante Art veränderten. D Als Marx geboren wurde, gab es noch keine Eisenbahnen, jedenfalls in Deutschland nicht. Als er nach Berlin kam, gab es ein paar von den Briten betriebene Eisenbahnen mit britischem Personal! Borsig forderte daraufhin Stephenson heraus und gewann eine Wettfahrt. Danach wurden unter seiner Regie deutsche Lokomotiven gebaut.

Am besten lassen sich die Eindrücke anhand von konkreten Exponaten zusammenfassen. Unter denen befinden sich einige, die von Marx selbst stammen. Am Anfang liegt die Doktorurkunde aus. Im Original. Alles ist auf Latein, auch die Namen sind latinisiert. Die Urkunde beantwortet endgültig eine Frage, die ich mir schon länger gestellt hatte: Marx wurde, obwohl ursprünglich in Jura eingeschrieben, zum Dr. phil. promoviert.

Marx wurde in Jena promoviert, in Abwesenheit, ohne mündliche Prüfung! Das ist einer der Gründe, warum er das Jenaer Angebot annahm. Ein anderer ist, dass er seine Dissertation zwar fertig hatte, die aber auf Deutsch abgefasst war. Er hätte sie in Berlin noch übersetzen müssen. Es scheint, dass die Universitäten autark genug waren, das selbst zu entscheiden. In Berlin war ihm das Geld ausgegangen. Sein Vater war inzwischen verstorben, und die Mutter drehte den Geldhahn zu, zum Entsetzen des Sohnes. Sie fand, dass genug Geld in die Förderung des Lieblingskindes geflossen war, dass jetzt auch mal die anderen an der Reihe waren. Das leuchtete Marx überhaupt nicht ein.

In einem verdunkelten Raum hängt ein Porträt von Proudhon. Der war Orientierung für Marx, aber er war, wie er fand, in der These steckengeblieben, der notwendigerweise die Antithese folgen musste. Seine Replik auf Proudhon schrieb er eigens auf Französisch, aber Proudhon antwortete nicht. Der Titel enthält eine typische Marxsche Volte: Misère de la philosophie. Réponse a la philosophie de la misère de M. Proudhon.

Dann kommt eine Seite, handschriftlich, aus dem Kommunistischen Manifest. Es soll die einzig erhaltene Seite sein. Die handschriftlichen Seiten wurden peu à peu, so wie sie zum Drucker kamen, vernichtet. Diese eine Seite muss durch einen Zufall erhalten geblieben sein. Vielleicht kam sie noch einmal zurück, weil es Unklarheiten gab. Es ist eine kleine, eng beschriebene Seite mit Unterstreichungen und einigen Korrekturen, ohne Linienblatt geschrieben, in einer  sehr krakeligen Handschrift. Man fragt sich, wie der Drucker das lesen konnte. Irgendwo heißt es, die arme Jenny habe alle seine handgeschriebenen Texte in Schönschrift übertragen. Auch Schreibmaschinen gab es zu der Zeit noch nicht. Erst Tussie Marx besaß gegen Ende ihres Lebens eine Schreibmaschine.

Rechts und links von der handschriftlichen Seite Ausgaben des Kommunistischen Manifests aus verschiedenen Zeiten in verschiedenen Sprachen, auch in Esperanto und in Blindenschrift. Das Manifest soll unter Zeitdruck entstanden sein. Es war eine Auftragsarbeit. Im Allgemeinen gilt Marx als ein akribischer und ausführlicher Autor, dem Sarkasmus und Polemik nicht fremd waren.

Zensur gab es nicht nur in der Literatur, auch in der Malerei. Das wird hier durch ein Gemälde veranschaulicht, Im Kerker von Ludwig Knaus. Der Gefangene ist alleine in einem dunklen Verlies. Er trägt aber Kleidung des 16. Jahrhunderts, um von der Gegenwart abzulenken. Gleichzeitig ist aber eine Fahne ein Hinweis auf die Gegenwart.

In einer Vitrine steht ein verrostetes Eisenteil, wie ein übergroßer Tannenzapfen. Was kann das nur sein? Es ist eine Kartätsche, eine Streubombe. Solche Kartätschen wurden in Berlin bei der Niederschlagung des Aufstands von 1848 eingesetzt. Damit wurde nicht gezielt auf einen Aufständischen gefeuert, sondern wahllos in die Menge. Wobei es egal war, wer das Opfer war.

Bemerkenswert auch eine aufgeschlagene Kladde. Da sieht man Marx‘ Arbeitsweise. Beide Seiten der Kladde sind bis auf den letzten Zentimeter gefüllt mit Zeitungsausschnitten, handgeschriebenen Tabellen, Listen und Kommentaren, wieder in ganz kleiner Schrift. Von diesen Kladden soll Marx, thematisch unterschieden, mehr als 160 gehabt haben. Eine immense, gut organisierte Arbeit.

Die meisten Exponate beziehen sich eher auf die Zeit als auf Marx selbst. Gleich zu Beginn der Ausstellung sieht man ein Ölgemälde, ein Porträt (1848), von Adolf Menzel. Am dem ist zunächst nichts Besonderes zu merken. Die Besonderheit liegt in dem Porträtierten. Es ist ein Weber, einer Weber aus Schlesien, dort, wo der Weberaufstand stattfand. Dies soll das erste Porträt eines anonymen Arbeiters überhaupt sein. Auch in der Malerei bedeutete die Umwälzung eine neue Zeit.

In einer Vitrine sieht man Broschen und Tabakpfeifen mit den Porträts der Revolutionäre wie Blum und Hecker. Eine Art der politischen Meinungskundgebung. Die Namen sind unter den Porträts angebracht, außer bei Blum. Den erkannte man auch so, an seinen markanten Gesichtszügen.

In einem Saal geht es um die kommunikative Revolution des 19. Jahrhunderts. Keine Übertreibung, sie mit der heutigen zu vergleichen. Als Ausweis der neuen Techniken ist ein Lochstreifenstanzer ausgestellt. Er sieht aus wie ein Vorläufer des primitiven Computers. Er diente zur Übertragung von Morsezeichen. 1832 dauerte es noch 14 Tage, mit jemandem in New York zu kommunizieren, 1870 nur noch wenige Minuten. Es ist auch ein Originalteil der Kabels zu sehen, mit dem 1866 Europa und Amerika verbunden wurden, ein 3000 Kilometer langes Unterseekabel, das von The Great Eastern verlegt wurde. 1866 war es dann soweit. Die Verlegung des Kabels galt als achtes Weltwunder. Nicht zu unrecht.

In einem Gang sieht man ein Gemälde von Hasenclever, das, in den Worten eines Beobachters, die Lage der Arbeiter besser darstellt als tausend Worte. Düsseldorfer Arbeiter protestieren beim Stadtrat gegen ihre Entlassung. Drei ihrer Vertreter stehen vor den hohen Herren und übergeben eine Petition. Der Arbeiter, der die Petition übergibt, steht in gebührendem Abstand, hat aber, vorsichtig und doch selbstbewusst, einen Fuß auf den Teppich gestellt, der dem Revier der Arbeitgeber vorbehalten scheint. Eine Geste, die Würde und Anspruch der Arbeiter ausdrückt.

In einem anderen Saal steht ein Kaufladen (1880). Es gibt einen Tresen, auf dem Boden stehen Säcke und Fässer mit Schaufeln, hinter dem Tresen fein mit Keramikschildern bezeichnete Schubladen und alle möglichen Gefäße, auf dem Tresen eine Waage und daneben Gewichte. Eine Kasse ist komischerweise nicht zu sehen. Dafür aber Kehrblech und Handfeger, ein charakteristisches Detail! Die Bedeutung des Kaufladens erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Kaufläden gab es in Mittelstandfamilien. Deren Kinder wurden von früh auf „trainiert“, als Käufer und Verkäufer. Die industrielle Revolution hatte einen Überschuss an Waren hervorgebracht, zum ersten Mal in der Geschichte, und aus der Sicht der Kaufmannskaste ging es darum, den Konsum anzutreiben, auch Waren zu verkaufen, für die es eigentlich keinen Bedarf gab. Eine echte Revolution, deren Folgen wir erst heute in vollem Maße übersehen. Und unter der wir leiden. Marx hatte einen klaren Blick dafür.

Ein Raum ist ganz dem Kapital gewidmet. Verschiedene Exemplare des Buchs liegen aus, und an den Wänden erscheinen Zitate. Auch hier ein Einblick in Marx’ Arbeitsweise, die im wahrsten Sinne des Wortes Bände spricht: Als endlich der erste Band des Kapitals erschienen war und alle den zweiten erwarteten, machte sich Marx erst mal an die Revision des ersten Bandes. Er hatte so viele neue Daten, neue Erkenntnisse. Das Buch war alles andere als ein Verkaufsschlager und enttäuschte Marx’ Erwartungen auf ganzer Linie.

Von einer ganz anderen Art ist die Heilige Familie, von Marx und Engels. Es greift aktuelle Situationen und Ereignisse auf. Der vollständige Titel ist Die Heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik. Und der Untertitel lautet Gegen Bruno Bauer und Konsorten. Das Buch ist Ausweis des akribischen Vorgehens von Marx und Engels. Der Lohn eines Arbeiters in England belief sich zu der Zeit auf 11 Schilling. Schön und gut. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Marx und Engels arbeiteten heraus, dass 11 Schilling zwar der Durchschnittslohn eines Arbeiters war, dass aber der Lohn zwischen 1,5 Schilling und 40 Schilling variierte. Da stellt sich fast die Frage, was denn überhaupt ein Arbeiter sei.

Ähnlich mit der Kinderarbeit. Man denkt vermutlich an 14jährige oder 16jährige Kinder. Tatsächlich wurden aber auch Kinder von 5 Jahren (und darunter!) in der Industrie eingesetzt. Die ganz kleinen hatten die Aufgabe, den Staub unter den Maschinen, an denen die importierte Baumwolle gereinigt wurde, zu entfernen. Es hatte sich herausgestellt, das England und vor allem Nordengland das geeignete Klima hatte – relativ stabile Temperaturen, hohe Luftfeuchtigkeit das ganze Jahr über – um die Baumwolle zu reinigen. Das war lukrativer als er vor Ort zu machen, da, wo die Baumwolle geerntet wurde.

In einem Saal ist symbolisch eine Fabrikhalle nachgebaut, mit einem Fließband, auf dem statt Waren Begriffe transportiert werden wie Mehrwert. Alles ist Grau in Grau, ohne Tageslicht, eine bedrückende Atmosphäre. Als Emblem der neuen Zeit steht in einer Vitrine ein Wecker (1990). Nicht mehr die Natur bestimmt den Tagesablauf, sondern die Gesellschaft, die industrielle Produktion.

An der Seite ein Zitat von Marx: „Der römische Sklave war durch Ketten, der Lohnarbeiter ist durch unsichtbare Fäden an seinen Eigentümer gebunden.“

Am Rande dieses Raums eine Art Transparent, ein längliches Stofftuch mit einer Parole, Rot auf Weiß, zum Jahrestag eines Aufstands: „Rache für unsere Gemaſsregelten & Verfolgten. Hoch lebe die Social-Demokratie“.

In der Nähe ein besticktes, verziertes Stickbild, eines der wenigen Schmuckstücke aus den sonst kargen Arbeiterwohnungen. Auch hier ein Sinnspruch, mit den auf das ganze Bild verteilten Buchstaben, gar nicht so leicht zu entziffern: „Wir wollen den Frieden, die Freiheit und Recht dass Mensch (?) sei des anderen ???, dass Arbeit aller Menschen Pflicht und niemand es an Brod gebricht“.

Auch hier ein Marx-Zitat: „Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.“ Die Arbeiterbewegung hat sich nicht daran gehalten.

Zum Schluss gibt es einen Nachruf auf Marx, erschienen in Der Sozialdemokrat. Es ist ein ganzseitiger Nachruf auf der ersten Seite. Bemerkenswert, denn Marx hatte sich nie parteipolitisch gebunden oder gar engagiert.

Den Abschluss der Ausstellung, schon nahe dem Ausgang, bildet eine Büste von Marx mit dem weltweit vertrauten Anblick. Verwunderlich, dass das so ist, denn bei seinem Tod war er weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. An seiner Beerdigung nahm nur ein Dutzend Trauernde teil. Das änderte sich dann bald, und am ersten Jahrestag waren es bereits 6000, mehr als Highgate fassen konnte, so dass man nicht alle zulassen konnte. Das war das Resultat des Wirkens von Engels, der Marx bekannt machte, nicht nur sein Werk, sondern auch sein Bildnis.

Über der Büste steht ein Zitat von Marx aus den Confessions: “An allem ist zu zweifeln.” Das sei allen ins Buch geschrieben, die von einem geschlossenen Theorie von Marx sprechen. Er setzte immer wieder neu an, revidierte seine Thesen. Als der erste Band des Kapital erschienen war und alle auf den zweiten warteten, machte sich Marx erst einmal an die Revision des ersten Bandes!

Vor dem Ausgang können Besucher auf rote Zettel ihre Eindrücke von der Ausstellung notieren. Der allgemeine Tenor: hochaktuell! Viele Dinge, die Marx für seine Zeit konstatiert hat, können auf unsere Zeit übertragen werden. Ein paar kuriose Zitate: „Ein Bartträger – der erste Hipster“, „Ein Trierer Jung, „Ein deutscher Denker, der Weltgeschichte gemacht hat, ohne es zu wollen“ und: „Junge, komm bald wieder“.

(„Karl Marx 1818-1883. Leben, Werk, Zeit“, in: Landesmuseum Trier, 2018)

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Marx (3)

Das Karl-Marx-Haus, das Haus, in dem Marx geboren wurde (aber nur wenige Monate lebte) hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Lange wusste man gar nicht, dass es das Haus war, in dem Marx geboren wurde. Das fand man erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts heraus. Daraufhin erwarb die SPD das Haus (ein Prozess, der sich jahrelang hinzog, da so viele Parteien involviert waren) und machte es zu einer Gedenkstätte. Den Nazis war die ein Dorn im Auge. Sie enteigneten die SPD und brachten hier demonstrativ die Zentrale der Parteizeitung unter. Nach dem Krieg kam das Haus dann wieder an die SPD und wurde schließlich an eine Stiftung überführt. Brandt eröffnete hier 1968 das Karl-Marx-Museum, das dann regelmäßig von Politikern aus den Ostblockländern besucht wurde, bis zum Mauerfall. Seitdem sind es vor allem chinesische Politiker und chinesische Touristen, die das Geburtshaus besuchen.

Von dem alten, 1725 entstandenen Haus ist nicht mehr viel übrig. Das Haus wurde nach einem Brand verändert wiederaufgebaut, mit einem zusätzlichen Dachgeschoss und einer Erweiterung nach hinten hin. Von Marx und seiner Familie ist so gut wie gar nichts ausgestellt, einfach, weil nichts erhalten ist. Alle privaten Besitzstücke wurden längst weiterverkauft.

Eine kleine städtische Paradoxie besteht darin, dass das Karl-Marx-Haus nicht in der Karl-Marx-Straße steht, sondern in der Brückenstraße. Die Karl-Marx-Straße ist eine Verlängerung der Brückenstraße zur Mosel hin. Als man sich in Trier endlich entschied, eine Straße nach Marx zu benennen, konnte man sich nicht dazu durchringen, ihm eine Straße nahe der Innenstadt zu widmen. Heute befindet sich in der Karl-Marx-Straße – passenderweise? – das Trierer Rotlichtviertel.

Marx war eins von neun Kindern seiner Eltern. Von denen überlebten nur er und drei Schwestern. Das war nicht ungewöhnlich.

Die politische Situation stand unter dem Zeichen der Restauration. Die Freiheiten, die man in den zwei Jahrzehnten davor genossen hatte, wurden meist wieder zurückgenommen. Trier war ein Teil von Frankreich gewesen und die Trierer Franzosen. Das bedeutete auch, dass junge Männer aus Trier für den Kriegsdienst rekrutiert wurden und in den Napoleonischen Kriegen auf Seiten der Franzosen kämpften.

Trier hatte zu der Zeit von Marx’ Geburt gerade einmal 11.000 Einwohner. Die Armut war allgegenwärtig. Zwei Drittel der Bevölkerung lebte unter dem Existenzminimum. Mit dem Wiener Kongress und der Schließung der Grenze nach Frankreich war ein wichtiger Absatzmarkt weggefallen. Und die deutschen Kleinstaaten nahmen Zölle für die Einfuhr. Auch Trier, obwohl es zu Preußen gehörte, musste Zölle auf den Export von Wein nach Preußen zahlen. Für den Weinexport blieb in erster Linie England.

Dazu kamen Missernten. Die wichtigste wurde ausgelöst durch den Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien (1815). Der brachte Westeuropa ein “Jahr ohne Sommer”. Später kam für die armen Winzer noch die Auflage hinzu, nur noch Riesling anzubauen. Das hatte der Erzbischof dekretiert, um die Qualität des Weins zu verbessern. Das Problem: Vielen armen Winzern fehlten die Reben und sie mussten sie für teures Geld beim Adel oder bei der Kirche kaufen. Marx erlebte diese Armut hautnah, auch wenn er selbst einer privilegierten Familie angehörte.

An der Ecke zur Innenstadt, nur wenige Meter von dem Marx-Haus entfernt, befindet sich ein Haus mit einer Apotheke im Erdgeschoss. Das ist die Villa Venedig, einst ein Hotel. Hier übernachtete Marx bei einer seiner wenigen Besuche Triers. Er wollte mit allen Mitteln der Mutter aus dem Weg gehen. Die beschuldigte er – unberechtigterweise – ihm Geld vorzuenthalten, das ihm zustand.

In der Neustraße befindet sich, durch eine moderne Plakette mit dem Profil ihres Gesichts gekennzeichnet, das Elternhaus von Jenny. Marx kam mit ihr durch ihren Bruder in Kontakt, einem gleichaltrigen Schulkameraden. Die Kinder spielten zusammen. Dabei bestimmte Marx, einer späteren Notiz Jennys zufolge, immer, was gespielt wurde. Er war erfindungsreich und duldete keinen Widerspruch.

Jenny selbst hat nie eine Schule besucht. Sie war dennoch sehr gebildet. Das war ihrem Vater zu verdanken, Ludwig von Westphalen, einem preußischen Beamten. Er las mit seinen Kindern Literatur, deutsche, französische, englische, und förderte ihre geistige Entwicklung ganz allgemein. Davon profitierte auch Marx. An Wochenenden machte er Spaziergänge mit den Kindern und zeigte ihnen die allgegenwärtige Armut.

Jenny war adelig, Marx bürgerlich, Jenny war Protestantin, Marx Konvertit, vor allem aber war Jenny vier Jahre älter als Marx. Das war fast ein Hinderungsgrund für eine Verbindung. Die Familie von Westphalen hatte allerdings keinen Grundbesitz. Jennys Vater musste, im Gegensatz zu den “richtigen” Adeligen, für seinen Unterhalt arbeiten.

Schon in diesem Haus war Helene Demuth als Haushälterin angestellt. Jenny und Marx nahmen sie später mit. Sie blieb ein ganzes Leben lang bei ihnen. Sie konnte alles, kümmerte sich um alles. Jenny war ganz und gar unpraktisch: Nähen, Bügeln, Kochen waren Fremdwörter für sie.

Später, in London, bekam Helene Demuth ein Kind von Marx. Unehelich. Das wurde heimlich gehalten. In der Beziehung war Marx durch und durch Großbürger. Engels übernahm die Verantwortung und behauptete, er wäre der Vater. Das nennt man einen Freund! Ob Jenny etwas ahnte? Man weiß es nicht. Vielleicht wollte sie es nicht wissen. Das Kind wurde allerdings in Adoption gegeben. Auch der Schwester von Helene Demuth drehte Marx ein Kind an. Das wurde abgetrieben, und die Mutter starb bei dem Eingriff. Alles wurde natürlich unter den Tisch gekehrt. Wie muss es für Helene gewesen sein, für den Mann zu arbeiten, der letztlich den Tod ihrer Schwester zu verantworten hatte? Oder wusste sie von nichts?

Jenny galt als das “schönste Mädchen von Trier”. Marx muss Jenny beeindruckt haben, weil er einfallsreich, charmant, gesellig, intelligent war und wohl auch große erotische Anziehungskraft hatte. Aber trotzdem fragt man sich, wie sie es mit ihm all die Jahre aushielt.

Ganz in der Nähe befindet sich das Haus (oder die Stelle, wo sich das Haus ursprünglich befand), in dem Fischers Maathes, das Trierer Original, wohnte. Er war etwas jünger als Marx, aber wohl auch Schulkamerad. Er war nicht nur Witzbold, sondern auch politischer Aktivist, glühender Anhänger der Achtundvierziger Revolution. Nach der Niederschlagung der Revolution vergrub er kompromittierende Schriften im Trierer Weißhauswald.

Aber auch die Anekdoten, die man von ihm erzählt, haben teils eine soziale Komponente. Lehrer: “Wie, du kommst ungekämmt in die Schule? Hast du keinen Kamm?” Fischers Maathes: “Doch, aber ohne Zinken.” – Schulkamerad: “Wo hast du denn die tote Maus her?” Fischers Maathes: “Aus unserer Speisekammer. Die ist da verhungert.” Auch so kann man Armut charakterisieren.

In der Schule lernte man nicht nur Griechisch und Latein, sondern auch Englisch und Französisch. Davon sollte Marx später sehr profitieren. Offen ist die Frage, welches Deutsch er sprach. Es wird behauptet, im Hause Marx wäre bis zum Schluss, auch in London noch, Trierer Dialekt gesprochen worden. Jenny stammte zwar aus Preußen, war aber mit zwei Jahren schon nach Trier gekommen. Merkwürdig, sich die Thesen aus dem Kommunistischen Manifest im Dialekt vorzustellen.

Das Haus ist nur ein paar Schritte von der Jesuitenkirche (streng genommen Dreifaltigkeitskirche) entfernt. In den angrenzenden Gebäuden befand sich die erste Trierer Universität und später das Gymnasium, das Marx besuchte, sechs Jahre lang. Marx war ein guter Schüler, aber kein Überflieger. Bekannt geworden ist sein Abituraufsatz, in dem es um die Berufswahl ging. Man hat darin gedankliche Spuren seiner späteren Entwicklung sehen wollen. Erst jetzt hat ein findiger Forscher herausbekommen, dass Marx bei den Mathematikaufgaben im Abitur abgeschrieben hat – von Edgar von Westphalen.

In der Jesuitenkirche wurde Marx getauft. Die Jesuitenkirche wurde von beiden Konfessionen benutzt! Marx’ Vater war zum Protestantismus konvertiert, ohne Überzeugung, aus rein pragmatischen Gründen: Er hätte als Jude nicht als Rechtsanwalt arbeiten können. Seine Frau konvertierte erst viel später. Ihr fiel es bedeutend schwerer.

Auf dem Trierer Viehmarkt steht das Casino, ein klassizistischer Bau. Er ist inzwischen, seit dem Abzug der Franzosen, anderen, meist gastronomischen Zwecken zugeführt worden. Zur Zeit von Marx war es eben das Casino – hat nichts mit Casino im Sinne von Spielcasino zu tun, sondern war eine Art Begegnungs- und Bildungsstätte für die Trierer Elite, zunächst ausschließlich die männliche Elite. Später fanden auch Festlichkeiten mit Frauen hier statt, und ging das schönste Mädchen von Trier auf ihren ersten Ball.

Eine Art Vorgänger des Casinos war ein Lesekreis, fortschrittlich, liberal gesinnt, den der Erzbischof 1773 genehmigte, aber 1793, unter dem Eindruck der Revolutionswirren in Frankreich, zur Sicherheit wieder verbot. Dann kam, nach dem Wiener Kongress, eben das Casino. Gleiche Ausrichtung. Beide Väter, Marx und von Westphalen, nahmen lebhaft an den Aktivitäten teil und hielten auch eigene Vorträge und waren wohl auch an einem denkwürdigen Tag präsent, als es hier, in weinseliger Stimmung, zum Absingen der Marseillaise kam. Das Casino wurde vorübergehend geschlossen. Marx wuchs also in einer weltanschaulich liberalen Atmosphäre auf und hatte das Glück, von drei gebildeten, weltoffenen Männern geprägt zu werden: seinem Vater, Jennys Vater und dem Direktor des Gymnasiums.

Das eigentliche Elternhaus von Marx ist ein kleines, zweistöckiges Haus in der unmittelbaren Nähe der Porta. Hierher war die Familie gezogen, als Marx gerade ein halbes Jahr als war. Hier blieb er bis zum Abitur und kehrte nie wieder hierher zurück. Dieses Haus war kleiner als das Geburtshaus, aber es war kein Rückschritt, sondern eine Verbesserung: Früher hatte man zur Miete gewohnt, jetzt hatte man sein eigenes Haus.

Marx’ Mutter lebte hier bis zu ihrem Tod. Sie überlebte ihren Mann um 25 Jahre. Ihr Sohn hatte da noch 20 Jahre zu leben. Der Tod der Mutter scheint keine große Trauer bei Marx hinterlassen, wohl aber ein Gerangel um das Erbe ausgelöst zu haben. Marx verhielt sich nicht gerade feinfühlig.

In dem Hausrat befanden sich beim Tod der Mutter 8 Fuder Wein, eine ungeheure, fast unvorstellbare Menge für einen Privathaushalt. Man fragt sich, wo man all das Zeug gelagert hat. Eins ist klar: Gesoffen wurde ständig, und Wein war durchaus auch für Kinder an der Tagesordnung, auch als Arznei. In Karls Aufzeichnungen aus London geht es auch ständig um Wein, die Sorge um den zu Neige gehenden Vorrat und die Versorgung mit qualitätsvollem Wein.

Nur ein paar Schritte vom Elternhaus entfernt steht Triers letzte Errungenschaft: die Marx-Statue, ein Geschenk der Volksrepublik China an Trier zum 200. Geburtstag von Marx. Die Statue ist, wie sollte es anders sein, umstritten, aber es gibt natürlich gute Gründe dafür, dass Trier seinem berühmtesten Sohn seine Reverenz erweist, bei aller Diskussionswürdigkeit einiger seiner Thesen. Dass viele seiner Ansichten hochaktuell sind, ist kaum zu bestreiten.

Die Statue ist eher konventionell, entspricht den Marx-Darstellungen auf unzähligen Abbildungen. Sie hätte sicher auch so in der DDR stehen können. Die Statue ist nicht glatt und rund, sondern eher kantig, ganz der Persönlichkeit Marx’ entsprechend. Er hält ein großformatiges Buch unter einem Arm. Und er macht einen Schritt nach vorn, so wie für ihn der Sozialismus einen Schritt nach vorn bedeutete. Er wendet seinem Elternhaus (und Trier) den Rücken zu und geht von hier in die große, weite Welt.

Als kleinen Gag hat man, kurz vor der Einweihung der Statue, an der Ampel vor der Statue aus dem Fußgängermännchen ein Marxmännchen gemacht.

 

 

 

 

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Katzenjammer

Man soll bei einer Sorte bleiben, nicht durcheinander trinken, so vermeide man einen Kater, heißt es. Heißt es. Stimmt aber nicht. Dem Körper ist es egal, woher der Alkohol kommt. Aber die volkstümliche Vorstellung hält sich hartnäckig. Vermutlich deshalb, weil man sich anders verhält, wenn man bei einer Sorte bleibt: Man trinkt weniger. Aber wenn man dieselbe Menge Alkohol zu sich nimmt, ist es egal, ob der von Bier alleine oder von Bier und Schnaps kommt. Ein anderes populäres Rezept gegen den Kater ist die “gute Grundlage”. Die müsse geschaffen werden, durch reichliches und möglichst fettes Essen. Stimmt auch nicht. Auch hier fordert der Alkohol seinen Tribut, ganz egal, was man vorher gegessen hat. Allerdings: Wenn man eine gute Grundlage hat, dauert es länger. Der Alkohol wird länger im Dünndarm gebunden. Am Ende aber schlägt der Alkohol unbarmherzig zu, mit oder ohne Grundlage.

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Gluten oder Gluten?

Früher hieß es Gluten. Heute heißt es Gluten. Kein Unterschied? Doch. Die Betonung ist anders. Früher war die Betonung auf der ersten, heute ist sie auf der zweiten Silbe. Und mit dem Betonungswechsel  haben sich auch die Konnotationen verändert. Das Gluten war normal, es war weder gut noch schlecht, auf jeden Fall aber zweckdienlich. Es hielt den Teig zusammen. Heute ist es böse. Es muss unter allen Umständen gemieden werden. Überall findet man glutenfreie Produkte. Die meisten, die sie kaufen, brauchen sie nicht. Nur 1% der Bevölkerung hat eine Empfindlichkeit gegen Gluten. 25% glauben, sie zu haben. Sie tun damit in erster Linie der Lebensmittelindustrie einen Gefallen. Und sich selbst. Sie lenken  die Aufmerksamkeit auf sich. Sie werden beachtet.  Sie sind anders als die anderen, empfindlicher, etwas Besonderes (noch!).  Ein Zeichen unserer Zeit? Vielleicht. In früheren Zeiten konnte man nicht so wählerisch sein. Man war froh, dass es überhaupt etwas zu essen gab. Aber es gibt einen Vorläufer, eine literarische Figur, eine Figur in einem Theaterstück, das ganze Buhei vorwegnimmt: Molières Eingebildeter Kranker. Die Literatur eilt der Wirklichkeit voraus.

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Vor der Haustür

Statt auf Bäume stoße ich auf Bagger. Es wird gebaut im Park, umgebaut. Ein Teil des Parks fällt neuen Krankenhausgebäuden zum Opfer. Das Schöne muss dem Nützlichen weichen.  Der Baumparcours ist aber noch zum Teil begehbar. Es sind Bäume aus allen Teilen der Welt angepflanzt worden, jeweils einer, als Demonstrationsobjekt sozusagen.  Es ist jetzt keine günstige Jahreszeit, man sieht keine Blüten (mehr) und (noch) keine Früchte. Aber der Rundgang wird zu einer sprachlichen Entdeckungsreise. Die Bäume haben phantastische Namen: Schnurbaum, Zerreiche,  Rostbartahorn,  Taschentuchbaum, Götterbaum, Judasbaum, Teufelskrückstock. Wunderbar! Im Zentrum des Parks steht eine moderne Skulptur, der Brunnen des Lebens. Rund um den zentralen Pfeiler eine Figurengruppe. Eine Mutter, die ihre Hände noch beschützend um die Hüfte des sich von ihr abwendenden Kindes hält, es aber nicht mehr festhält, es in die Selbständigkeit entlässt. Auf der anderen Seite ein Junge, barfuß, mit bequemer Hose, der faulenzend herumsitzt, lächelnd, den Ellbogen auf Bücher gestützt, die Schulbücher vermutlich. Die Muße, das Nichtstun als eine der Bestimmungen des Menschen. Auf der anderen Seite ein alter Mann mit einem Buch in der Hand. Er liest. Er lernt. Life-long learning ist das Stichwort. Zu ihm krabbelt ein kleines Kind hoch, neugierig auf das Buch blickend. Wissensbegierde, Entdeckerfreude, dem Menschen von Natur aus mitgegeben. Und oben auf dem Brunnen steht eine Frau, die Flöte spielt. Die Muse. Die Kunst als im wahrsten Sinne höchste Bestimmung des Menschen. 23 Jahre habe ich gebraucht, um diesen Park zu entdecken. Er liegt, beinahe, vor der Haustür.

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Lammfromm

An die Wand gekettet, nackt, schlecht ernährt, Opfer von Schlägen und Vergewaltigungen – das wäre ihr Schicksal gewesen, wenn sie nach Bedlam gekommen wäre, das berüchtigte Londoner Irrenhaus, Bethlehem Hospital, später Gegenstand der gesellschaftskritischen Zeichnungen von Hogarth in The Rake’s Progress. Es war ihrem Bruder, Charles Lamb zu verdanken, dass ihr das erspart blieb. Sie kam in ein anderes Irrenhaus, nach Islington, wo sie besser behandelt wurde. Ihr Bruder kam für die Kosten auf. Und schon 1997, ein Jahr nach der Tat, wurde sie dort entlassen und konnte unter Aufsicht wieder in gewohnter Umgebung leben. Und dass, obwohl sie einen Mord begangen hatte! Sie hatte ihre Mutter getötet. Die hatte sie gescholten, weil sie ihre Magd zurechtgewiesen und aus dem Raum geschubst hatte. Mary hatte ein Messer in der Hand und stach auf ihre Mutter ein, eine Tat, in der sich jahrelange Frustration Bahn brach. Mary Lamb hatte in jeder Hinsicht Glück. Schon wenige Tage später befand ein Richter, dass es sich bei der Tat um geistige Umnachtung handele. Und dass sie später ein mehr oder weniger normales Leben führen konnte, grenzt an ein Wunder. Erstaunlich, wie rücksichtsvoll ihre Familie mit ihr umging – die Tat wurde in ihrer Gegenwart nie wieder erwähnt – und erstaunlich, wie gelassen Mary selbst mit ihrer Schuld umging. Sie befand, sie sie eine gute und treusorgende Tochter gewesen, “for the most part.” Den Namen ihrer Mutter erwähnt sie in ihrer Korrespondenz nur ein einziges Mal. Sie überlebte ihre Mutter um 40 Jahre. (Polowetzky, Michael: Prominent Sisters. Mary Lamb, Dorothy Wordsworth, and Sarah Disraeli. Westport, Connecticut und London: Praeger, 1996: 9-10)

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Minden

Was mich neugierig gemacht hatte: die Schiffsmühle. Ich hatte keine Ahnung, was das war. Aber Minden hat eine. Eine nachgebaute. Die letzte echte Schiffsmühle hatte Anfang des 20. Jahrhunderts den Betrieb eingestellt. Aber was war eine Schiffsmühle? Worauf bezieht sich der Wortteil Schiff? Das erfährt man bei der Besichtigung der Schiffsmühle: Eine Schiffsmühle ist eine Mühle, die sich auf dem Schiff befindet. So kommt die Mühle zum Bauern und nicht der Bauer zur Mühle. Die Schiffsmühle verrichtet ihre Arbeit an einer Stelle und macht sich dann auf den Weg zum nächsten Halt. So erklärt es uns ein junger Mann, der durch die Mühle führt. Die vielen technischen Details rauschen über die Köpfe seiner Zuhörer hinweg, aber sein Enthusiasmus ist einfach gewinnend. Er wirft die Mühle eigens für uns an. Roggen wird hier gemahlen. Er kommt als ganz feiner Staub unten in dem Beutel an. Das Mehl kann feiner oder gröber gemahlen werden, je nachdem, wie eng die beiden Mühlsteine aufeinander reiben. In den Schiffsmühlen wurde nicht nur Mehl gemahlen, auch Steine, die für den Bau zerkleinert wurden, landeten hier.

Die Schiffsmühle liegt an der Weser, nur ein paar Schritte vom Zentrum entfernt. Die Weser sieht wie ein richtiger Fluss aus, ist nicht kanalisiert. Und die Wege sind fast auf dem gleichen Niveau wie die Wasseroberfläche. Das ganze Gelände entlang der Weser ist voller Bäume, und dann taucht auch noch das auf, was man jetzt am dringlichsten benötigt: ein Café, mit Sitzplätzen draußen.

Vorher war ich in der Innenstadt gewesen. Auf dem schönen Marktplatz ein besonders prächtiges Haus im Stile der Weserrenaissance und ein besonders schönes Haus im Stile des Historizismus. Darin war eine alte Apotheke, und man sieht von außen noch die Regale und Schubladen mit Messingbeschlägen und Keramikschildern. Jetzt ist da ein Konfektionsgeschäft drin. Schrecklich!

In den anderen Straßen weitere Häuser im Stile der Weserrenaissance, von denen mehrere renoviert werden und nicht sichtbar sind. Ein besonders schönes Exemplar steht am Ende des Scharn, mit rechteckigen Fenstern in den Obergeschossen und rundbogigen Fenstern in den Giebelgeschossen. Vorgestellte Säulen teilen die Fassade in sechs Achsen, wobei die oberste Säule ein Fenster halbiert. Auf den Giebelkanten hocken nackte Gestalten.

Über die ganze Stadt verteilt moderne Skulpturen, meist ebenerdig: ein Junge, der aus seinem Mund in regelmäßigen Abständen Wasser in den Brunnen vor ihm spuckt; der Mindener Buttjer, eine Art Straßenjunge, barfuß, Mütze, Hände in den Taschen, Schlägermütze, Kopf schräg; und eine Statue von drei Figuren, fast ineinander verschlungen, mit einfachen, glatten, reduzierten Formen, die aber durch Gestik und Haltung als Vater, Mutter und Kind erkennbar sind. Schön.

In der Nähe des Buttjer ein Geschäft mit dem Namen Shirtladen. Man hört förmlich die entsetzten Proteste der Sprachpuristen. Aber es ist nichts anderes als Regierungsbildung. Darüber regt sich keiner auf.

An verschiedenen Stellen sieht man Firmennamen in antiquierter Schreibweise: Crane-Optic, Mindener Tageblatt.

Ohne zu suchen finde ich auch eine Reihe von kuriosen Shop Names: Haarmonie, Schöne Aussischten (Landschaftsarchitekt), Überschaubar, Bücherwurm, Das kleine Schwarze (mit einer Dependance für Dessous, die Na und? heißt).

Im Dom halte ich mich nur kurz auf. Erstaunlich der Kontrast zwischen dem sehr dunklen Chor und dem sehr hellen Hauptraum. Im nördlichen Seitenschiff eine bemerkenswerte Skulptur, die Erweiterung des Motivs der Anna Selbdritt um Annas Mutter, der legendären Emerentia. Hatte ich noch nie gesehen und noch nie von gehört. Die Figur hier ist vermutlich der Rest eines Schnitzaltars. Leider ist das Jesuskind verloren gegangen. So wird die Figur ihrem Namen Emerentia Selbviert nicht ganz gerecht.

An der Westwand liest man die Geschichte eines Menschen, der sein Kreuz loswerden will und sich ein anderes sucht. Erst fällt ihm eins ins Auge, das schön und glänzend ist, aber es stellt sich heraus, dass es aus Metall und viel zu schwer für ihn ist. Dann sieht er ein anderes, das leichter aussieht, aber als er es schultert, merkt er, dass Nägel aus dem Balken heraustreten, die sich ihm in die Schulter bohren. Die Suche geht immer weiter. Am Ende findet er eins, das passt. Als er es ansieht, merkt er, dass es sein eigenes Kreuz ist, das, das er loswerden wollte. Eine etwas simple Geschichte, aber sie verfehlt ihre Wirkung nicht.

Gleich am Morgen, genau zur richtigen Tageszeit, war ich in St. Martini gelandet. Zufällig. Die Stiftsallee hatte mich vom Hotel aus direkt auf das Stift hin geführt. Das ehemalige Stift, müsste es heißen. Es herrscht herrlicher Sonnenschein, und die einfachen, aber schönen Buntglasfenster kommen voll zur Wirkung. Die geometrischen Muster spiegeln sich auf dem Fußboden und auf den massiven Pfeilern.

Die Kirche hat keinen Turm. Der ist irgendwann, im Mittelalter, eingestürzt, dann neu gebaut worden und wieder eingestürzt, bis man es aufgegeben hat.

Die Kirche ist, typisch Westfalen, im Laufe ihrer Geschichte in eine Hallenkirche verwandelt worden, genauso wie der Dom. Sie sieht aber von außen ganz anders aus, geradezu “normal” im Vergleich zu dem Dom mit seiner ganz merkwürdigen Fassade mit dem Querriegel und den turmartigen oberen Geschoss. Im Norden sieht man an der Martinikirche auch die vor das Dach gesetzten Giebel, wie ich sie von früher aus dieser Gegend in Erinnerung habe.

Die Kirche hat ein paar sehenswerte Ausstattungsstücke, und man kann sich alles aus der Nähe ansehen, auch, was im Chor steht. Keine Alarmanlage, keine Verbotsschilder. Und ich bin ganz alleine. Es muss nicht immer der Louvre sein.

Vorne im Chor steht ein sehr schön verziertes, oben spitz zulaufendes Gerät aus Messing (XV). Auch beim zweiten Hinsehen kommt man nicht darauf, was es ist: ein Taufbecken. Der Unterbau hat eine eigenwillige Form mit Balustersäulchen und der Oberbau hängt an einem schwenkbaren Kranarm!

Das Chorgestühl ist eigentlich einfach, aber am hinteren Ende ist es bekrönt von zwei gefesselten Drachen links und zwei gefesselten Nashörnern rechts. Ein Nashorn in der Kirche! Ein schönes Photomotiv. Die beiden Tiere stehen für Zorn und Zwietracht, und die Fesseln dafür, wie man sie in den Griff bekommt.

Das auffälligste Ausstattungsstück ist die Kanzel, farbig gefasst, mit gemalter Holzmaserung und Marmorierung, mit allerlei Schnitzereien am Aufgang, am Kanzelkorb und am Schalldeckel. Den Schnitzereien liegt ein aufwändiges Programm zugrunde, das ich aber nicht ganz verstehe. Es heißt, man müsse die Kanzel von unten nach oben lesen. Das Programm erklärt auch die Anwesenheit von vier barbusigen, die dem Betrachter ihre Brust entgegenstrecken. Es müssen Sirenen sein oder Meerjungfern, und die entsteigen den Wellen unter ihnen und verbinden die heidnische Welt mit der christlich geprägten Welt weiter oben. So ähnlich. Auf dem Schalldeckel oben thront der triumphierende Christus, und er ist mit vier von Engeln verzierten Bögen mit vier Frauengestalten verbunden, die vier Tugenden repräsentieren: Weisheit (mit Doppelgesicht), Gerechtigkeit (mit Reichsapfel), Liebe (mit trinkendem Kind an der Brust), Hoffnung (als Tänzerin dargestellt). Leider kann man von unten nicht alle Details gut erkennen, und man möchte gerne noch mehr über die allegorische Sprache wissen: Warum verkörpert das Doppelgesicht die Weisheit?

Als ich später in der Innenstadt nach der Alten Münze frage, muss ich erstaunt feststellen, dass kein Mensch sie kennt, auch nicht die Straße, an der sie liegt. Am Ende stellt sich heraus, dass sie gleich hinter St. Martini liegt. Eine Verkäuferin aus einem Laden der Alten Münze gegenüber kann es kaum fassen: In Minden muss doch jeder die Alte Münze kennen. Es ist ein Quaderbau aus dem Hochmittelalter, wohl der älteste Profanbau der Stadt, und hat eine schön gestaltete Fassade. Der Name deutet darauf hin, dass Minden tatsächlich früher das Münzrecht gehabt hat. Heute beherbergt das Haus ein Restaurant, aber nicht deutsche Hausmannskost, sondern griechische!

Das ganze Viertel hier oben ist ausgesprochen sehenswert, mit schief stehenden Fachwerkhäusern an gekrümmten Gassen. Es hat etwas Heimeliges. In einem der Fachwerkhäuser ist auch das Stadtmuseum. Das wird auf dem Programm stehen, wenn es das nächste Mal nach Minden geht.

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Nicht im Bilde sein

Die sowjetische Fahne auf dem Berliner Reichstag – ein Bild für das Ende des 2. Weltkriegs, das sich dem kollektiven Gedächtnis eingeprägt hat: Hammer und Sichel statt Hakenkreuz. Das Photo suggeriert, es wäre genau in dem historischen Moment aufgenommen worden, dem Moment, wo die Sowjetarmee in Berlin eindrang und die Stadt unter ihre Kontrolle brachte. Das war aber schon Tage vorher geschehen. An dem Tag hatten sowjetische Soldaten zwar ein rotes Tuch, aber keine sowjetische Flagge und auch keine Fahnenstange. Erst dann flog der Photograph, Jewgeni Chaldej, nach Berlin. Er machte eine besonders gelungene Aufnahme, weil er das Brandenburger Tor im Hintergrund hatte. Die Idee mit der Fahne hatte er auch selbst und bat einen sowjetischen Soldaten, auf den Reichstag zu klettern und die Fahne zu schwingen. Alles war gestellt. Chaldej flog dann umgehend nach Moskau zurück. Als er das Bild unter die Lupe nahm, merkte er, dass der Soldat an beiden Armen eine Armbanduhr trug – eine musste gestohlen sein. Das würde einen schlechten Eindruck machen. Er machte sich also daran und retuschierte eine der Uhren weg.

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Saint Étienne

Ich stehe vor der Kirche in Saint Étienne Vallée Française und frage mich, wie wohl die Kirche von Saint Étienne Vallée Française heißt. Ja, wie heißt wohl die Kirche von Saint Étienne?

Der schönste Teil der Kirche ist der obere, steinsichtige Teil des Turms. Der muss romanisch sein, quadratisch, breit, gerade abschließend. Auch alles andere, auch innen, sieht romanisch aus, mit ganz leicht zugespitzten Rundbogenfenstern und einem Tonnengewölbe im Mittelschiff. Nur die langgezogenen, flachen Bögen, die das Mittelschiff von den Seitenschiffen abtrennen, deuten auf den barocken Ausbau hin, den es laut Inschrift gegeben hat. Offensichtlich hat der was mit dem Widerruf des Edikts von Nantes zu tun. Was genau verstehe ich nicht. Vermutlich wurden die Kapellen der Reformierten aufgelöst oder zerstört und die Gläubigen zwangskonvertiert. Also wurde eine größere Kirche erforderlich. Die Seitenschiffe wurden hinzugefügt, das Mittelschiff beträchtlich verlängert. In der Erklärung heißt es auch, die Kirche sei nie von den Protestanten angegriffen worden, ein Zeichen dafür, dass sie auch von ihnen, die hier die Mehrheit waren, geachtet wurde.

An der Straße befindet sich ein Schild, das den Stevenson-Trail zeigt. Er beginnt in Le Puy-en-Velay und endet in Alès. Saint Jean du Gard ist die zweitletzte Station. Stevenson hat diese gottverlassene Gegend durchwandert, mit einem Esel als Lastenträger, und hat darüber einen Reisebericht geschrieben. Die Tourismusindustrie der Cevennen nützt das weidlich aus.

In einer der Gassen um die Kirche herum gibt es einen Hinweis auf das Postamt, ganz versteckt im hinteren Winkel eines Grundstücks gelegen, das einen Kinderhort beherbergt. Es ist geöffnet. Die Atmosphäre ist die einer deutschen Amtsstube aus den sechziger Jahren. Die einzige Beamtin sitzt hinter einem Schalter. Es gibt hier nichts zu kaufen außer Briefmarken, und um die geht es mir. Die Beamtin ist sehr freundlich und spricht so, dass ich sie ohne Probleme verstehen kann. Die Briefmarken sind, wie fast überall, teurer als bei uns.

Es gibt einen kleinen Supermarkt, aber der hat französische Öffnungszeiten: Lundi au Samedi de 7h à 12h30 et de 16h à 19h30, Dimanche de 7h à 13h. Ich muss warten. In dem einzigen Café des Ortes mit dem schillernden Namen Un dimanche à la campagne bestelle ich einen Kaffee. Ich frage, ob es café au lait gebe, und bekomme, obwohl das bejaht wird, dann einen café longue, zu dem es etwas kalte Milch gibt. Nicht genau das, was ich erhofft hatte, aber wenigstens kann man sich hier aufwärmen. Und der Kaffee ist unschlagbar günstig: 1,50 €.

Wir haben gestern noch über die Nähe vom Französischen zum Italienischen gesprochen, und mir fällt jetzt das Wort für billig ein. Im Spanischen gibt es eine einfache Entsprechung, barato. Dagegen im Italienischen und im Französischen a buen mercato und bon marché.

Ich bin der einzige Gast. Die Toilette ist draußen auf dem Hof. Kein Klodeckel, aber immerhin Wasser. Der Weg führt vorbei an einer Art Küche, wo Ingredienzen für Speisen herumliegen, die hier wohl am Abend serviert werden, vermutlich Burger.

Als ich wieder ins Café komme, sind vier weitere Gäste eingetroffen. Die stehen an der Theke und überlegen, was sie bestellen sollen. Dann entscheiden sie sich: dreimal weiß, einmal rot.

An der Wand hängen zwei Räder eines alten Pferdewagens, deren Speichen als Aufbewahrungsort für Zigaretten dienen. Davor stehen ein Glas mit Korken von Weinflaschen und ein Becher mit Zuckertütchen. Weiter hinten steht der ausrangierte Teil einer Zapfanlage, darauf eine Würstchenzange und ein Putzmittel. Über der Theke ein Neonschild mit Bierreklame, und daneben ein Schwarz-Weiß-Photo, auf dem der Wirt vor der Theke posiert. Im hinteren Teil des Raums eine zusammengeklappte Stehleiter und eine Tiefkühltruhe mit den Emblem des französischen Äquivalents von Langnese. An der gegenüberliegenden Wand ein Fernseher, in dem Kloppo auf Englisch den Sieg seiner Mannschaft über Manchester City erklärt. Darunter eine alte, bräunliche Landkarte der Gegend, in der noch in altertümlicher Schreibweise von den Sevenes die Rede ist. Auf dem Tisch eine verstaubte Messingschachtel unbekannten Inhalts und eine Pappschachtel mit Spielkarten. In der Ecke ein vertrockneter Baumstamm als Schmuckelement, und am Ausgang ein runder Apparat, an dem man sich für einen Euro Nüsse oder Mandeln ziehen kann.

Der Boden ist belegt mit einem abgenutzten, roten Teppichboden, auf dem ein Ensemble unterschiedlicher Sessel und Stühle stehen. Noch bunter ist die Mischung aus Lampen an Wänden und Decken. Eine davon gibt in diesem Moment den Geist auf. Neben ihr lugt ein Elektrokabel aus der Decke. Ich verlasse das Café und bedauere, dass ich nicht zeichnen kann.

Neben dem Café steht auf einem Parkplatz eine bunt bemalte Ente mit dem Motto All you need is love zwischen Blumen auf dem Heck. Es gibt sie also noch. Auf der anderen Seite des Cafés stehen zwei vorsintflutlich aussehende Zapfsäulen. Ob sie noch in Betrieb sind?

Jetzt hat das Geschäft auf. Es gibt frisches Obst und Gemüse und ansonsten alles, was man so braucht, wenn auch in bescheidener Auswahl. An der Theke liegt bei Brot und Backwaren eine Art Stange. Ich erfahre, dass es ein sacristain aux amandes ist, ein Gebäck, eine regionale Spezialität. Als ich gerade überlege, wie man wohl Bon auf Französisch sagt, kommt mir die Verkäuferin zuvor, die meinen verwirrten Blick richtig deutet und fragt: „Ticket?“ Im Französischen gibt es ein englisches Lehnwort, wo wir ein französisches haben (das aber aus unerfindlichen Gründen in letzter Zeit dem Zettel weichen muss).

In einem immer geschlossenen Geschäft stehen im Schaufenster lokale Spezialitäten, vor allem Konfitüre. Aus Feigen, Zwiebeln und, natürlich, Kastanien.

Auf dem Weg in den Ort hinunter bin ich an verschiedenen vereinzelt gelegenen Gehöften vorbeigekommen. An einem weist ein Schild darauf hin, dass die Hunde friedfertig sind. Man wird aber gebeten, sie auf den Hof zurückzuscheuchen, damit sie einem nicht nachlaufen: Promeneurs: Chiens gentils, mais repoussez-les pour qu’ils ne vous suivent pas. Merci. Scheinen kontaktfreudige Hunde zu sein. Jedenfalls mache ich diese Erfahrung auf dem Rückweg. Zwei mächtige Hunde hängen sich an mich und begleiten mich bis ans Ziel. Er erfordert einige Telefonate und die Einschaltung des Rathauses, um einen von ihnen wieder zu seinem Herrchen zu bringen. Der ist dankbar, betont aber, dass es sich nicht um zwei Deutsche Schäferhunde handelt, sondern um einen Deutschen Schäferhund und einen Schweizer Schäferhund.

Besonders schön auf dem Weg sind die Mauern am Wegesrand, in früheren Zeiten von unendlich fleißigen Händen errichtet, um die Gegend bewirtschaften zu können. Zwischen den flach übereinanderliegenden, moosbewachsenen Schieferplatten findet sich immer wieder ein farbig schimmernder Granitbrocken, eigentlich der Statik geschuldet, aber auch was fürs Auge. An verschiedenen Stellen tröpfelt Wasser zwischen den Schieferplatten hervor. An anderen Stellen trifft man immer wieder auf kleinere Wasserfälle. Solche Mauern heißen, wie ich jetzt erfahre, im lokalen Dialekt bancels, und es gibt in der Nähe auch einen Ort, der Les Bancels heißt.

An einem Abhang steht ein offener, herrenloser Jeep, der so aussieht, als würde er im nächsten Moment den Hang hinunterrollen. Wer ihn warum hierhergestellt hat, bleibt offen.

Auf dem Rückweg hält ein Auto im Regen neben mir. Der Fahrer fragt freundlich, ob er mich mitnehmen könne. Ich schaffe es so gerade, ihm zu bedeuten, dass ich absichtlich zu Fuß gehe und kriege dann gerade noch, bevor er die Scheibe hochkurbelt, ein „Vous êtes très gentil“ hin.

Von unten, vom Dorf aus, hat man einen schönen Blick auf die Berge mit dunklen und hellen Wolken, zwischen denen der eine oder andere Sonnenstrahl hervorkommt. Ein fast mystisches Bild. Es entschädigt ein bisschen für die Kälte und den Regen. Beides hatten wir Mitte April hier, in den Cevennen, nicht mehr auf der Rechnung gehabt.

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Datumsgrenze

Der 23. April ist der Welttag des Buches, ein von der UNESCO ausgerufener Tag. Es ist der Feiertag des Schutzpatrons Kataloniens, Sant Jordi. An diesem Tag schenkt man einander traditionell eine Rose (Mann an Frau) oder ein Buch (Frau an Mann). Der 23. April ist das Datum des Todes von Shakespeare und Cervantes. Sie starben im selben Jahr! Aber sie starben zwar am selben Datum, aber nicht am selben Tag. Wie das? In England galt damals noch der julianische Kalender. Shakespeare starb also zehn Tage später als Cervantes!

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Redefreiheit

„Von diesem Balkon rief der Sozialdemokrat Phillip Scheidemann am 9. November 1918 die Deutsche Republik aus.“ So steht es auf einer Gedenktafel am Berliner Reichstag. Und in Geschichtsbüchern und Chroniken. Und so wird es an deutschen Schulen gelehrt. Das Problem ist: Es stimmt gar nicht. Es handelt sich um eine Blüte deutscher Erinnerungskultur. Populär, aber wissenschaftlich unhaltbar. Es gibt Photos, Tonaufnahmen und Berichte, aber keine davon ist stichhaltig, und die meisten entstanden erst später. Scheidemann selbst trug zur Entstehung des Mythos bei. In seinen Memoiren, zehn Jahre nach dem umstrittenen Ereignis entstanden, stilisiert er sich selbst zum Ausrufer der Republik. Da spielte er selbst schon keine Rolle mehr in der deutschen Politik. Und seine beiden wichtigsten Kontrahenten, Ebert und Liebknecht (der hatte wirklich eine Republik ausgerufen, die Räterepublik) konnten nicht mehr widersprechen. Sie waren bereits tot. Scheidemann selbst hatte die Rede 1921 in einem Erinnerungsbuch mit keinem Wort erwähnt. In einer Rede  von Carl Seevering, Sozialdemokrat, zum Jahrestag der Revolution 1928 ist von Scheidemann mit keinem Wort die Rede. Erst nach dem Krieg fasste die Legende Fuß. Was den Wortlaut angeht, ist in frühen Quellen davon die Rede, Scheidemann habe vom Sturz der Dynastie und der bevorstehenden Bildung einer neuen Regierung gesprochen. Von der Republik ist nicht die Rede. Was die Photos angeht, stellte sich Scheidemann nachträglich für eine Inszenierung in das Fenster der Reichskanzlei (nicht des Reichstags), zehn Jahre nach der Revolution. Und dann existiert noch ein Photo, auf dem der angebliche Scheidemann akrobatisch und schwindelfrei in Rednerpose acht Meter über dem Boden frei auf einer schmalen Balkonbrüstung steht. Es ist aber nicht zu erkennen, ob es sich dabei um Scheidemann handelt. Experten halten das Photo für eine Montage. (Machtan, Lothar: „Und nun geht nach Hause“, in: Die Zeit 15/2018: 21)

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Bettgeschichten

Der letzte Überlebende der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse ist Benjamin Ferencz. Er wurde in Transsilvanien geboren, als Kind einer jüdischen Familie. Als Rumäne. Seine Schwester wurde drei Jahre früher geboren, in demselben Bett. Als Ungarin. Ferencz amüsiert sich bis heute, dass Menschen so viel Wert auf Nationalitäten legen. (Willeke, Stefan: “Wer lügt, wird erschossen”, in: Die Zeit 14/2018: 12)

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Neustadt Altstadt

In der Altstadt von Speyer zeigt ein Schild die Schrannengasse hinunter Richtung Altstadt. Von der Altstadt Richtung Altstadt? Ja. Das, was man in Speyer Altstadt nennt, die Gegend weiter unten am Rhein, ist in Wahrheit 900 Jahre jünger als die eigentliche Altstadt um den Dom herum. Die neue Altstadt ist ein ursprünglich außerhalb der Stadtmauern gelegenes Viertel, das den Hahnenpfuhl einschloss, also eine Gegend, die eigentlich feucht war. Dies war das Viertel der Händler und Handwerker. Die Straßennamen deuten noch darauf hin: Färbergasse, Webergasse, Fischmarkt, Holzmarkt. Und die Schranne war der Bezirk der Metzger und bezeichnete eine Art mittelalterlicher Würstchenbude.

Die eigentliche Altstadt, das Viertel um den Dom herum, geht auf die erste Römersiedlung zurück. Die Römer waren klug genug, ihren Ort am Hohen Ufer, an dem erhöht gelegenen Nebenarm des Rheins anzulegen, dort, wo keine Überschwemmung drohte. Anfangs umfasste die Stadt nicht mehr als 250 Menschen, Soldaten, die die Römer aus dem hier ansässigen Stamm der Nemeter rekrutierten. Die Stadt wuchs dann mit großer Geschwindigkeit und hatte im Mittelalter immerhin 8000 Einwohner. Die römische Stadt hieß nicht Speyer. Sie hieß, wie so viele andere, Novis Magus, also so was wie ‚Neustadt‘, eine Bezeichnung, auf die auch Neumagen und Nijmegen zurückgehen. In der Spätantike bekam sie dann einen neuen Namen, aber es war immer noch nicht Speyer. Es war Civitas Nemetum, nach dem keltischen Stamm. Erst zu Beginn des Hochmittelalters kam der Name Speyer auf. Sein Ursprung ist ungewiss. Aber er verbreitete sich dann schnell und wurde in andere Sprachen übernommen. Die bewahren die ursprüngliche Form eher als das Deutsche, ohne Diphthong: Spire, Espira. Die Stadt wurde nicht zuletzt deshalb bekannt, weil sie, neben Worms und Mainz, eins der drei wichtigsten Zentren der frühen jüdischen Besiedlung in Deutschland war. Und der Name der Stadt hat dann auch seine Spuren hinterlassen, wo man ihn nicht vermuten würde: in dem Nachnamen Shapiro.

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Löwenherz

Richard the Lionheart – Richard Cœur de Lion Richard Löwenherz – Ricardo Corazón de León – Ριχάρδος ο Λεοντόκαρδος Rikard Lejonhjärta – Ричард Львиное Сердце – überall ist er bekannt, und überall mit dem gleichen Beinamen. Viel bekannter als die meisten anderen englischen Könige, und beliebter, jedenfalls beim Volk. Vielleicht auch wegen des suggestiven Beinamens. Aber woher kommt der? Der Legende zufolge tötete er einen Löwen, den Heinrich VI. in seine Zelle in Trifels sperren ließ. Diese Legende findet sich zum ersten Mal in dem mittelenglischen Versroman Richard Cœur de Lion (XV), 300 Jahre später. Er hatte aber in seinem Auftreten, in seinem Charakter etwas Kämpferisches, Beherztes. Feige war er nicht. Auf dem Hoftag in Speyer, wo er als Gefangener auftrat, hielt er eine flammende Rede und forderte die anderen Ritter mutig zum Zweikampf heraus. Am Ende musste Heinrich ihm die Versöhnung anbieten. Ließ ihn allerdings noch nicht frei, nicht, bevor es Lösegeld gab. Nur hieß das Lösegeld jetzt nicht mehr Lösegeld.  Seine Popularität steht im Gegensatz zu seiner Bewertung durch die Historiker. Die sehen ihn viel kritischer: gewalttätig, rebellisch, verschwenderisch, impulsiv, grausam. Und er war fast immer unterwegs, auf dem Kontinent, auf dem Kreuzzug, in Kämpfen und Schlachten. Und kümmerte sich nicht besonders um England (ob er Englisch sprach, ist umstritten). Bei einer Schlacht kam er auch ums Leben, mit 41, bei der Belagerung einer Burg. Acu hier hat sich eine Legende um ihn gebildet. Derzufolge verlief die Sache so: Der Kampf war längst entschieden. Aber Richard wollte sich vergewissern, ob alles glatt lief. Und wurde von dem einzigen Schützen, der noch auf der Burg stand, mit der Armbrust getroffen. Er wurde nur an der Schulter getroffen, aber er wusste, als erfahrener Kämpe, dass das sein Todesurteil war. Und zeigte Größe und Kaltblütigkeit: Er ließ seine Mutter kommen, setzte seinen Bruder John, mit dem er ständig Zwist hatte, zum Nachfolger ein und verzieh dem Armbrustschützen. Seine Mutter reagierte weniger gelassen auf den Tod des Sohnes. Sie ließ dem Todesschützen die Haut abziehen.

 

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Her mit der Kohle!

Debussys letzte Komposition hieß Die von der Glut der Kohle erleuchteten Abende. Sie umfasste nur 24 Takte. Die Komposition stammte aus dem Februar 1917. Debussy was verschuldet. Er konnte seine Schulden nicht mehr bezahlen. Einer seiner Schuldiger, ein gewisser Monsieur Tronquin, akzeptierte diese Komposition anstelle von Geld. Monsieur Tronquin war Debussys Kohlehändler. (Hagedorn, Volker: “Ich bin zerstört wie ein kleines Dorf”, in: Die Zeit 12/2018: 55

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Schlachtengeheul

Martin von Wolkenstein, am Wiener Hof aufgewachsen, wurde ungewollt einer der Zeugen der letzten Schlacht des Dreißigjährigen Kriegs, der Schlacht von Zusmarshausen. Wolkenstein schilderte die Schlacht in einer Lebensbeschreibung, die er im hohen Alter verfasste. Er hatte sich von dem bayerischen Oberbefehlshaber die Namen und Orte nennen und die Truppenstärken und die Aufmarschpläne erklären lassen, so dass er eine gute Vorstellung davon bekam, wo er wann gewesen war. Aber als er sich daran machte, die Schlacht zu beschreiben, wollten sich die Wörter aber einfach nicht einstellen, die Sätze sich einfach nicht fügen. Also stahl er sie woanders. In Grimmelshausens Simplizissimus fand er  eine Schilderung, die ihm gefiel. Die übernahm er. Und das, obwohl Grimmelshausen gar nicht die Schlacht von Zusmarshausen beschrieben hatte, sondern die von Wittstock. Das störte niemanden. Niemand bemerkte es. Was Wolkenstein aber nicht wissen konnte: Grimmelshausen hatte die Schlacht von Wittstock zwar erlebt, aber auch nicht selbst beschrieben. Er hatte die Beschreibung einem von Opitz übersetzten englischen Roman entnommen, dessen Autor selbst nie bei einer Schlacht gewesen dabei gewesen war.

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Kontrovers

Schreibt er seine Gedicht auf Latein oder auf Französisch. Das will Athanasius Kircher, Jesuit und Universalgelehrter, in einem (fiktiven?) Gespräch von Paul Fleming wissen. Der Dritte in der Runde ist Adam Olearius. Fleming hat sich als Arzt und Dichter vorgestellt. Die Antwort auf die Sprache der Gedichte ist so verwirrend, dass Kircher nachfragen muss: Wirklich, auf Deutsch? Wie kommt man denn auf so eine Idee? Fleming gesteht, dass das merkwürdig klingt. Er selbst habe frühre auch auf Latein geschrieben, aber jetzt versuche er es mit dem Deutschen. Das sei noch sehr ungelenk, eine Sprache, die erst noch im Erstehen sei, ein Wirrnis aus Dialekten. Und eine Sprache, die manchmal nicht das passende Wort parat habe. Dann greife man eben nach einem lateinischen, französischen oder auch italienischen Wort, um dieses Manko auszugleichen. Aber eines Tages werde auch das Deutsche erwachsen. Man müsse die Sprache nähren und pflegen, dass sie gedeihe. Das sei doch nur natürlich, dass man in seiner Sprache schreibe. Und üherhaupt, will er wissen: Ist es nicht komisch, dass wir drei hier, aus demselben Land kommten, Latein miteinander sprechen? (Daniel Kehlmann: Tyll. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 62018: 354-357)

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Im Glück gefangen

Ferdinand von Schierach, der Rechtsverteidiger, erzählt in einem Interview von Frauen in den USA, die Strafgefangene heiraten. Auch dann, wenn die zu 300 Jahren Haft verurteilt sind und kaum eine Aussicht haben, jemals freigelassen zu werden. Die freie Frau und der Strafgefangene führen eine glückliche Beziehung. Nur eins kann das Glück zerstören und die Beziehung scheitern lassen: Wenn der Strafgefangene frei kommt …

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Geschult

Wer auf dem Gymnasium war, weiß mehr über Wirtschaft als andere – und zwar, und darauf kommt es an, auch wenn es das Fach Wirtschaft an der Schule gar nicht gab. Er hat gelernt, zu lernen. Deshalb sind gebildetere Menschen besser für wirtschaftliche Entscheidungen im Alltag gerüstet als andere. Sie können besser entscheiden, ob ein Kredit günstig ist, was man zum Vermögensaufbau tun kann und welche Partei ihre Interessen besser vertritt. Sie haben also, ohne dass sie etwas “dazu können”, einen Vorteil, der einen anderen Vorteil, den sie haben, noch verstärkt. Denn gebildetere Menschen sind im Mittel auch wohlhabender. Reiche können also ihre Interessen besser durchsetzen als Arme. (Djahangard, Susan: “Und wer weiß was?, in: Die Zeit 7/2018: 26)

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Ausgerechnet

Ein Tischtennisschläger und ein Ball kosten zusammen 1,10 €. Der Schläger kostet 1 € mehr als der Ball. Wie viel kostet der Ball? Meine Antwort bei  dieser Testfrage in einer Umfrage war: 10 Cent. Das ist falsch: Wenn der Ball 10 Cent kostet und der Tischtennisschläger 1 Euro mehr, dann kostet der Tischtennisschläger 1,10 €, und die Gesamtsumme wäre 1,20  €. Also falsch. Viele andere haben auch die falsche Antwort in der Umfrage gegeben. Ein schwacher Trost. Die richtige Antwort ist: 5 Cent. Dann kostet der Tischtennisschläger 1,05 €, und die Gesamtsumme beträgt 1,10 €.  Warum lässt man sich da so leicht in die Irre führen?

 

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Werbefeldzug

Über einen Zeitraum von sechs Wochen wurden in einem Kino in New Yersey während der Vorführung des Films Picknick alle fünf Sekunden die Botschaften Drink Coca-Cola und Eat Popcorn eingeblendet, so schnell, dass die Zuschauer diese Botschaften bewusst nicht wahrnehmen konnten. Im Kino wurde danach 18,1% mehr Coca-Cola und 57,9% mehr Popcorn verkauft. Ein eindrücklicher Beweis für den Effekt der “unterschwelligen Werbung”.

Das Interessanteste an diesem Experiment ist, dass es nie stattfand. Alles war schlichtweg erfunden. Erstunken und erlogen. Der angebliche Trick mit der “unterschwelligen Werbung” war eine falsche Behauptung des Marktforschers James Vicary. Er wollte seiner schwächelnden Werbefirma Auftrieb geben. Es war Werbung für Werbung.

Das Experiment, das nie stattfand, ist noch aus einem weiteren Grund interessant: Die Menschen halten es offensichtlich für plausibel, dass man so manipuliert werden kann. Und bis heute wird immer wieder von dem Experiment erzählt, als ob es stattgefunden hätte. Dabei haben Werbepsychologen längst Experimente mit “unterschwelliger Werbung” durchgeführt und festgestellt: So funktioniert es nicht. (Kara, Stefanie: “Wir wissen nicht, was wir tun”, in: Die Zeit 5/2018: 31-32)

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Lovely day for a stout

Some time ago a colleague, checking a text I had written, spotted a spelling mistake in a passage in which I had referred to an advertising slogan: Guiness is good for you. The colleague pointed out the Guinness is spelt with double <n>. On the following day, I bought him a couple of bottles of Guinness. This is one of the few memorable instances where correction had both immediate and lasting effect: I have never misspelt Guinness since, and I think I never will. Then, the other day, rereading Heinrich Böll’s Irisches Tagebuch, I came upon a passage (p. 102) where another Guinness slogan is referred to: A lovely day for a Guiness. It contained exactly the same spelling mistake. Nobody had noticed. Böll and his editors, however, had a much better excuse for making this mistake: at the time of writing, Guinness was much less well known in this country than it is now.

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Hohes Gericht!

Ein paar herausfordernde Gedanken zur christlichen Religion (Fischer, Thomas: “Das Jüngste Gericht”, in: Die Zeit 53/2017: 12)

– Die Vertreibung aus dem Paradies und die Sintflut waren als Strafen unverhältnismäßig angesichts der begangenen “Sünden”. Ein bisschen Hurerei, und schon fällt Feuer vom Himmel.

– Viele Götter zu haben machte manches einfacher: eine(r) für die Krätze, eine(r) für die Ernte, eine(r) für die Jagd, eine(r) für die Fruchtbarkeit usw. Da weiß man, wo man dran ist und an wen man sich wenden muss. So konnte ich sicherstellen (oder wenigstens sicherstellen, alles getan zu haben), dass das Unglück ausbleibt, das Glück kommt, dass ich nicht hungrig, sondern satt bin. Dann kam die jüdische Religion und erklärte all diese Götter zum Teufelswerk. Das Christentum musste sie erst in Form von Engeln und Heiligen wieder heimlich importieren.

– Religion ist, wenn der Mensch sich fürchtet. Die Furcht ist Ursache und Ergebnis der Religion.

Wenn Gott mit Wundern und Katastrophen auf der Welt für Ordnung und Gerechtigkeit sorgt, dann muss man sagen, dass er das ohne großen Erfolg tut. Mangelnder Anbetungseifer kann vielleicht für eine Seuche oder Hungersnot verantwortlich gemacht werden, solange ich mit Schafherden über die Ebenen ziehe, aber nicht für Sklaverei, Krieg und Pest, für die Einteilung der Welt in Eigentümer und Habenichtse. Da kommt dann das Jüngste Gericht ins Spiel. Da wird für Gerechtigkeit gesorgt.

– Es wird zweimal Gericht gehalten über uns, nach unserem Tod und am Ende der Zeiten. Es gibt das Partikulargericht und das Jüngste Gericht. Wie das eine im Verhältnis zum anderen steht, ist nicht klar. Werden die vorläufig Verdammten dann endgültig verdammt? Und was geschieht mit ihnen bis dahin? Soll man sich das Partikulargericht so vorstellen, dass eine Zwischenlösung gefunden werden muss (eine Zwischenlösung für immerhin 206.000 Kandidaten täglich)? Und wo werden die zwischengelagert? Beim Jüngsten Gericht wird dann endgültig geschieden in Gut und Böse. Aber: nach welchen Kriterien? Die Gesetzestafeln, die Moses erhielt, sind nichts als allgemeine Grundregeln. Sie geben keine Auskunft darüber, in welchem Stadium man abtreiben darf, was unter Notwehr zu verstehen ist oder ob “humanitäre” Bundeswehreinsätze zu vertreten sind.

– Beim Jüngsten Gericht ist Gott Ankläger, Zeuge, Sachverständiger und Richter in einem. Und Vollstrecker. Das Verfahren flößt kein großes Vertrauen ein. Warum kann man sich nicht verteidigen? Oder von Experten verteidigen lassen?

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Selbstüberschätzung

Die Welt ist kompliziert. Zu kompliziert, als dass man sie als Laie verstehen könnte. Über die Welt zu berichten, bedeutet daher immer Vereinfachen. Die Herausforderung besteht darin, komplizierte Zusammenhänge für Nicht-Spezialisten verständlich zu machen. Und zugleich so genau wie möglich zu sein. Schwer genug. Doch selbst wenn dieser Spagat gelingt, ergibt sich daraus ein Dilemma: die Selbstüberschätzung. Wenn wir etwas verstehen, bilden wir uns ein, mehr davon zu verstehen, als wir es tatsächlich tun. Das belegten Psychologen um Lisa Scharrer von der Universität Münster in einem Experiment. Sie legten ihren Probanden Texte zu medizinischen Themen wie dem Salzkonsum vor, zu dem Zusammenhang von Chili im Essen und Blutdruck, zu dem Zusammenhang von veganer Ernährung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zu allen Themen gab es verschiedene Textversionen, populärwissenschaftliche und wissenschaftliche. Die Probanden bewerteten alle Texte als glaubwürdig. Aber die populär aufbereiteten Texten erzeugten bei den Lesern die Illusion, dass sie die Themen besser durchdrungen hatten als die wissenschaftlichen Texte. Der technische Jargon und die Detailgenauigkeit der wissenschaftlichen Texte förderten eine größere Anstrengung und waren ein Indiz für das eigene begrenzte Verständnis des Themas. Amerikanische Kognitionsforscher um Philip Fernbach beobachteten, dass das Gefühl von großem Durchblick sich gerade dann einstellt, wenn wenig vom Thema bekannt ist. Sie befragten Probanden zum amerikanischen Renten- und Gesundheitssystem, zum Emissionshandel, zur Steuergesetzgebung, zum Handel der USA mit dem Nahen Osten usw., Themen von frustrierender Komplexität. Viele Teilnehmer glaubten ein tiefes Verständnis der Themen zu haben. Erst als die Forscher nach Details zu den einzelnen Politikfeldern fragten, kippte das Bild. Die Illusion des Durchblicks zerplatzte. Erst jetzt wurde den Teilnehmern klar, wie wenig sie eigentlich wussten. Kein schönes Gefühl, und so reagierten viele Probanden ausgesprochen verstimmt, als sich herausstellte, dass sie keine Ahnung hatten! (Herrmann, Sebastian: “Die Wissens-Illusion”, in Süddeutsche Zeitung 284/2017: 18)

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Das Märchen vom Abendland

Das Abendland. Das Abendland gibt es nicht. Jedenfalls nicht in reiner Form. Das wird am besten sichtbar, wenn man auf die Geschichte des Wissens blickt. Eine nicht untypische Geschichte könnte so verlaufen: Im 9. Jahrhundert wurden im abbassidischen Bagdad Texte der antiken Medizin Von Hippokrates und Galen übersetzt, aus dem Griechischen ins Arabische. Von Bagdad gelangten sie ins muslimische Spanien, aus dem muslimischen Spanien ins christliche Spanien. Dort, an der Übersetzerschule von Toledo, wurden die vom Griechischen ins Arabische übersetzte Texte ins Lateinische übersetzt, oft mit der Hilfe von arabischsprachigen Juden. Sie erstellten (oft nur mündliche) Zwischenversionen in den romanischen Volkssprachen, die dann von den Gelehrten ins Lateinische übertragen wurden. So wurden sie dem Rest Europas zugänglich gemacht, in Paris oder Köln an der Universität gelehrt. Der Wissenschaftstransfer verlief also in einem weiten zeitlichen und räumlichen Bogen. Dabei wechselten die Texte oft dreimal die Sprache und viermal die Schrift. Die vier europäisch-orientalischen Schriften waren dabei beteiligt: griechisch, lateinisch, hebräisch, arabisch. (Seibt, Gustav: “Das Märchen vom Abendland”, in: Süddeutsche Zeitung 284/2017: 13)

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Renaissance = Wiedergeburt?

Renaissance – die ‘Wiedergeburt’, die Wiederentdeckung der Antike. Renaissance, das ist die Rückbesinnung auf die Schönheitsideale der Antike, die Wiedergewinnung des Wissens der Antike, wie sie vor allem in Italien wirksam wurde. Das ist die konventionelle Sicht, wie sie von Burckhardt und Michelet geprägt wurde. Das ist aber in verschiedener Hinsicht eine zu enge Vorstellung. Renaissance gibt es nicht nur in Italien (und vielleicht noch in Frankreich), sondern auch in England oder Polen oder Ungarn. Renaissance kommt nicht aus dem Nichts, erfolgt nicht mit einem Schlag, sondern zieht sich über eine Reihe von Jahrhunderten hin. Sie ist keine Zäsur, sondern eine Ligatur. So sieht es der Historiker Bernd Roeck in einer bahnbrechenden Studie zur Renaissance. Roeck betont vor allem das, was in der Renaissance neu war, das, wo die Renaissance nicht an die Antike anknüpfen konnte: beim Buchdruck, bei der Brille, bei der Horizontalen. Mit dem Buchdruck (mit beweglichen Lettern) bekam die Wissensvermittlung eine ganz neue Dynamik. Der Streit um unterschiedliche Auffassungen, in Athen und Rom auf kleine und begrenzte Gruppen beschränkt, wurde jetzt mit den Flugblättern und Streitschriften in die “ganze Welt” hinausgetragen. Die Brille, also das Schleifen von Linsen, der Antike unbekannt, ermöglichte einerseits das Fernrohr, andererseits das Mikroskop, und die sprengten den Wissenkanon der Antike. Die unerreichbar ferne und die unsichtbar kleine Welt wurden Teil des Wissens der Moderne. Und die Horizontale, Menschen, die sich auf derselben sozialen Ebene befinden und qua Vergemeinschaftung zu einer politischen Kraft werden, das ist ein weiteres Signum der Moderne, als Gegenmodell zu den vertikalen Modellen sowohl des Mittelalters als auch der Antike. (Münkler, Herfried: “Mit Buch und Brille”, in: Die Zeit 48/2017: 66)

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Schwärmerische Identifikation

Jerusalem stehe “über der Politik”, Jerusalem sei das”Herz des Herzens” der Juden. Die Stadt werde sechhundertmal in der Bibel erwähnt, keinmal im Koran. Und Jerusalem sei schon vor dreitausend Jahren “unsere Hauptstadt” gewesen. So argumentieren viele jüdische Intellektuelle und untermauern so den Herrschaftsanspruch Israels über ganz Jerusalem. Dabei unterschlagen sie aber, dass die Thora, das eigentliche Herz des Judentums, Jerusalem gar nicht erwähnt. Es glänzt durch Abwesenheit. Viele der hellsten Köpfe des Judentums haben ein ablehendes Verhältnis zu Jerusalem, genau so, wie es die Propheten hatten. Sie wissen, dass Jerusalem nicht die Stadt Gottes ist, sondern ein allzu menschlicher Ort der Geistlichen, Politiker, Könige. Jerusalem gewinnt erst an Bedeutung, nachdem die Israeliten einen König verlangen, so “wie ihn alle Völker haben.” Tatsächlich verbietet das jüdische Gesetz jede Herrschaft über Jerusalem vor der Ankunft des Messias. Insofern steht nicht nur Trumps Erklärung zu Jerusalem als alleiniger Hauptstadt Israels, sondern Ben Gurions Verkündung von Israels Unabhängigkeit in scharfem Widerspruch zur jüdischen Religion. (Boehm, Omri: “Jerusalem, unser Goldenes Kalb”, in: Die Zeit 53/2017: 44)

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Schwitzen wie ein Schwein

Schweine schwitzen nicht. Das bekommt einer der Protagonisten aus Robert Menasses Hauptstadt, Sohn eines Schweinebauern, von seinem Vater zu hören. Schweine schwitzen nicht, sagt der Vater dem Sohn in belehrendem Ton, also solle er gefälligst nicht diesen unsinnigen Ausdruck verwenden, schwitzen wie ein Schwein. Nur weil andere das sagen, brauche er diesen Unsinn ja nicht nachzuquatschen. Aber: Warum schwitzt man wie ein Schwein? Ist das nur so gedankenlos dahergesagt? Warum hat sich so ein Bild durchgesetzt, wenn es so offensichtlich schief ist? Dafür gibt es einen guten Grund, und der bleibt Menasses Schweinebauern, der seinen Sohn zurechtweist, verborgen: Schweiß bedeutet hier nämlich nicht ‘Schweiß’, sondern ‘Blut’. Man blutet wie ein Schwein. Das ist gemeint. Bei den Hausschlachtungen konnte man beobachten, wie stark die Schweine bluten, und ihr Blut wurde euphemistisch Schweiß genannt. Jäger sprechen noch heute vom Schweiß der gejagten Tiere, wenn sie ihr Blut meinen, und der Hund, der auf ein angeschossenes und blutendes Tier angesetzt wird, heißt Schweißhund. (Menasse, Robert: Die Haupstadt. Berlin: Suhrkamp, 2017: 120)

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Trump is a … rather unpleasant person

„Trump is a cunt“. So stand es auf einem Plakat, das Janey Godley, die britische Komikerin, hochhielt, als einsame Protestlerin, als Trump Turnberry eingeweiht wurde, Trumps luxuriöse Golfanlage in Schottland. Der Besitzer selbst, noch nicht Präsident, war angereist zur Einweihung. Godley hielt den ganzen Tag aus, obwohl sie Trump gar nicht zu Gesicht bekam. Die starke Sprache ihres Plakats stieß auf Kritik, aber Godley argumentiert, cunt sei in Schottland ganz gebräuchlich, alles sei cunt: das Wetter, das Essen, der Ehemann, die Politik. Die Polizisten, die ihr sagten, ihr Plakat sei beleidigend, überzeugte sie, indem sie sich auf ihr Recht auf freie Meinungsäußerung berief. Am Ende brachte sie einen der Polizisten sogar dazu, lächelnd zu sagen: „Trump is an unt“. Bei ihren Auftritten kriegt sie oft das ganze Publikum rum und redet die Zuschauer so lange heiß, bis alle im Chor den Trump-Spruch skandieren. (Kahlweit, Cathrin: „Mr. Nincompoop“, in: Süddeutsche Zeitung 284/2017: 3)

 

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Holland = Niederlande

Unter Paranomasie versteht man ein Wortspiel, das auf der zufälligen Klanggleichheit von Wörter beruht: Bistümer – Wüsttümer, Länder – Elender, Eile mit Weile, Wer rastet, der rostet, Lieber arm dran als Arm ab. Unter Prolepse versteht man die Vorwegnahme eines Attributs: destemplado instrumento. In der Botanik ist die Prolepse das vorzeitige Austreiben von Sprossen, in der Literatur die Vorwegnahme eines Ereignisses, ein Zeitsprung in die Zukunft. Unter Antonomasie, einer Form der Metonymie, versteht man die Verwendung einer Eigenschaft anstelle eines Namens: der Kerpener für Michael Schumacher. Unter Synekdoche versteht man den Ersatz eines Wortes durch ein Wort aus dem gleichen Begriffsfeld (mit pars pro toto als Sonderfall der Synekdoche): unser tägliches Brot für tägliche Nahrung ist so ein Fall, Holland für die Niederlande, der Baldachin des Eides (bei Calderón) für den Thron, vor dem man einen Eid ablegt, ein anderer. Auch Pluralis Majestatis („Wir, Benedictus PP XVI …“) und Pluralis Modestiae („Wir haben es geschafft“) gehören dazu.

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Unterrichtsausfall? Schlimm?

Unterrichtsausfall! Kaum eine politische Debatte, kaum ein Parteienstreit, kaum ein Elternabend, bei dem er nicht thematisiert und oft instrumentalisiert wird. Mit der Klage über Unterrichtsausfall und dem Versprechen, ihn zu reduzieren, ist einem der Beifall der Masse gewiss. Zahlen, die dann in die Debatte geworfen werden, eignen sich gut dazu, die Sache zu dramatisieren. Sie zu überprüfen kommt keinem in den Sinn. In letzter Zeit macht die Zahl von 10% Unterrichtsausfall die Rede. Jetzt meldet sich ein Kultusbeamter, Udo Michallik, zu Wort  (“Totalausfall? Unsinn!”, in: Die Zeit 42:77), der die Zahlen ins rechts Licht rückt. Zu den kolportierten 10% Unterrichtsausfall, zeigt er, gehören Unterrichtsstunden, in denen Projekstudien, Klassenfahrten und Prüfungen stattfinden. Das ist natürlich kein “Unterrichtsausfall”. Dazu kommen die Unterrichtsstunden, die durch einen Vertretungslehrer abgedeckt werden. Wenn man das alles abrechnet, bleibt noch ein Unterrichtsausfall von 2% übrig. Das ist ganz undramatisch. Wenn ich an meine eigene Schulzeit zurückdenke, sind mir manche Vertretungsstunden in besserer Erinnerung als die ganz gewöhnlichen Unterrichtsstunden. Dass sie stattfinden bedeutet ja noch nicht, dass man dabei etwas lernt.

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Die alten Fragen

“Geht Literatur aus dem Leben hervor oder aus anderer Literatur? Ist, was wir zu lesen bekommen, authentisch oder erfunden, wahr oder wahrscheinlich? Haben wir uns auf einen Erfahrungsbericht einzustellen oder auf ein Phantasiespiel? Schreibt hier jemand von sich oder für andere? Um etwas loszuwerden oder um etwas anzubringen? Um zu klagen oder um zu unterhalten? Zu erschüttern oder zu glänzen? Um Menschenunwürdiges anzuprangern, gar nach Veränderung zu rufen, oder nur um Menschenmögliches, besser: Menschenwirkliches erhellend, aber resigniert zum Bewusstsein zu bringen?” (Köhler, Hartmut: “Nachwort”, in: Lazarillo de Tormes / Klein Lazarus vom Tormes. Stuttgart: Reclam, 2006: 179)

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El delito mayor del hombre

Aunque sí nací, ya entiendo / qué delito he cometido. / Bastante causa ha tenido / vuestra justicia y rigor, /pues el delito mayor / del hombre es haber nacido. –  Obwohl ich, eben weil geboren, / schon verstehe, was ich beging. / Genügend Grund hatte / eure Gerechtigkeit und Strenge; / ist doch das größte Vergehen / des Menschen, dass er geboren ist. Sagt Segismundo (S. 14-17). Que tanto gusto había  / en quejarse, un filósofo decía, / que, a trueco de quejarse, / habían las desdichas de buscarse. – Es gebe ja so viel Vergnügen / am Klagen, hat ein Philosoph gemeint, / dass man, um nur ja klagen zu können, / das Unglück aufsuchen sollte. Sagt Rosaura (S. 10-11). ¡Qué pocas veces el hado / que dice desdichas miente, / pues es tan cierto en los males /cuanto dudoso en los bienes! – Wie selten das Fatum, / wenn es Unglück vorhersagt, doch lügt / es ist ja bei schlimmen Dingen so verlässlich / wie bei guten unzuverlässlich! Sagt Astolfo (S. 130-133). En batallas tales, / los que vencen son leales, / los vencidos los traidores. – In solchen Schlachten, / gelten die Sieger als loyal, / die Besiegten als Abtrünnige.  Sagt Basilio (S. 232-233). Eins waren die spanischen Barockdichter nicht: naiv. (Calderón de la Barca, Pedro: La vida es sueño / Das Leben ist Traum. Übersetzt und kommentiert von Hartmut Köhler. Stuttgart: Reclam, 2009)

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Teufelswerk

Wegen des Worts Oblate kommt es zu einem Missverständnis und fast zu einer Schlägerei: Herr Ewson, ein früher englischer Ex-Patriot, bittet eine Magd, ihm eine Oblate zu verschaffen, zum Briefsiegeln. Die Magd versteht überhaupt nicht, was gemeint ist, aber dann fällt ihr ein, dass man die Hostie doch auch Oblate nennt. Sie denkt sich, der Herr wolle mit der Oblate einen gotteslästerlichen Spaß treiben, und erinnert sich daran, dass der Pfarrer ohnehin gesagt habe, dass Herr Ewson ein Gottesleugner sei. Ausländer und Ketzer. Um das Missverständnis zu klären, holt Ewson sein Wörterbuch hervor und zeigt es der Magd. Er hat aber nicht bedacht, dass die gar nicht lesen kann. Schließlich redet er auf Englisch auf sie ein. Das versteht sie erst recht nicht und hält es für das sinnverwirrende Gewäsch des Teufels. (Hoffmann, E.T.A.: Die Elixiere des Teufels. München: DTV, 82016: 177-178)

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Ausländischer Roßhändler macht sich anheischig

Man macht sich anheischig, etwas zu tun, man kommt sich gegenseitig zu Hülfe, man will nicht länger säumen. So klingt die Sprache Kleists, die Sprache der Literatur des (frühen) 19. Jahrhunderts. Es gibt kaum Stellen, an denen man sprachlich kapitulieren muss, aber einiges hört sich für uns Modernen verschroben an, merkwürdig. Kohlhaas ist ein Roßhändler, sein Weib hat ihm mehrere Kinder geschenkt, er durchliest etwas, bevor er zu Luther geht. Der Graf trägt ein Behältnis mit sich, setzt sich, indem er die Hand der Marquise fahren lässt, erzählt, dass er wieder zur Armee gegangen sei, aber daselbst die lebhafteste Unruhe empfunden habe, sprengt mit dem Pferd zur Marquise, hinterbringt eine Nachricht und verbeugt sich ehrerbietig gegen die übrigen. Wichtiger, aber auf den ersten Blick gar nicht bemerkenswert, ist ein anderes Wort: Kohlhaas besorgt sich die Pferde, deren Einfuhr dann den Stein ins Rollen bringt und die Tragödie einleitet, aus dem Ausland.  Nicht etwa aus Holland oder Ungarn, sondern aus Sachsen. Und dort ist er, als Brandenburger, Ausländer.

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Magic changes

Why was J.K Rowling’s Harry Potter and the Philosopher’s Stone turned into Harry Potter and the Sorcerer’s Stone in the United States? In an internet forum it is argued that, quite simply, sorcerer sounds exciting, philosopher sounds boring. Others argue that this change is due to the “incredible ignorance of the average American”. The average American is beleived to be diluted in US education and does not grasp the mystical connotations of the philosopher’s stone. But would British children aged 9-14 be familiar with the concept? The term philosopher’s stone (just like Stein der Weisen) is not transparent, its ingredients do not give away its meaning. Other argue that it is the Hollywood-driven market which produces audiences more and more dependent on thrill and excitement, and a sorcerer is more compatible with this than a philosopher. One wonders, however, why publishers might have thought that Harry Potter actually needed this kind of promotion. Surely the books would have sold anyway. And couldn’t one simple trust in children’s ability to guess the meaning of an unknown concepts when reading books? And why did J.K. Rowling agree to this change? The same internet forum discusses another change from Britain to America: The Madness of George III became The Madness of King George. Was it because Americans, in their ignorance, would not know who George III was? Was it because they would assume that it is the third part of a trilogy and would not be interested because they had missed the first two parts? Was it because Americans would neither know nor care whether the first two Georges were mad or not? Was it because George III was the only King George America ever had? Or was it because the film portrays as a sympathetic character a man most Americans have been brought up to think of as a villain?

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Klingelcafé

Auf dem Rathausplatz in Zittau befindet sich das Klingelcafé. Unter jedem Tisch befindet sich eine Klingel. Einmal klingeln bedeutet: eine Tasse Kaffee. Zweimal klingeln bedeutet: ein Kännchen Kaffee. (Das Lexikon der ostdeutschen Stadtnamen. Eine heitere Ortskunde von Anklam bis Zwickau. Berlin: Bild und Heimat, 2015: 94)

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Wir Affenmenschen

Bei den Dreharbeiten zu Planet der Affen (1967) geschah in den Drehpausen Folgendes: Die Schauspieler, die die Affen spielten, saßen zusammen, säuberlich getrennt von denen, die die Menschen spielten. Niemand hatte das veranlasst. Das Rollenspiel während der Filmaufnahmen war genug, ein Gefühl von wir und sie zu entwickeln. Dieses Gefühl ist die Keimzelle einer ganzen Reihe von menschlichen Verhaltensweisen. In anderen Kontexten als dem des Filmsets hat diese Gruppendynamik schwere Konsequenzen. Es geht nicht nur darum, ob man lieber neben dem artidentischen Kollegen sitzt, es geht um Krieg und Frieden. (Willmann, Urs: “Wenn ‘Ich’ zu ‘Wir’ wird”, in: Die Zeit 47/2017: 62)

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Holocaust

Das Wort Holocaust etablierte sich erst eine ganze Zeit nach dem Krieg im deutschen Sprachgebrauch. Bis dahin war meist von der Judenverfolgung die Rede. In dem sechsbändigen Duden, der 1977 erschien, taucht es noch nicht auf. Das Wort Holocaust, griechisch, aber mit Bezug zum Alten Testament, bezog sich ursprünglich auf ein Brandopfer, und zwar auf ein solches, bei dem das ganze Tier geopfert wurde. Das war die Ausnahme. In der Regel wurden nur die Innereien verbrannt. Die Bestandteile des Wortes sind holos, ‘ganz’, und kaiein, ‘verbrennen’. Auch im Englische ist das Wort in der modernen Bedeutung erst 1942 zum ersten Mal dokumentiert. Vorher bezog sich das Wort meistens auf Dinge, zum Beispiel auf Briefe, die verbrannt wurden. Mit einer Ausnahme: Schon 1833 ist im Zusammenhang mit den französischen König Ludwig VII., von einem Holocaust von 1300 Menschen in einer Kirche die Rede, ein früher Vorläufer der modernen Bedeutung.

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Sie schafften das

Nach dem griechisch-türkischen Krieg lebte eine Million Menschen,  die über die Ägais dorthin gelangt waren, in griechischen Flüchtlingslagern. Das Osmanische Reich nahm zwei Millionen Flüchtlinge auf, Muslime, die ab 1860 von den europäischen Mächten aus Serbien vertrieben worden waren. Nach dem 2. Weltkrieg gab es allein in den Gebieten der westlichen Alliierten sieben bis acht Millionen Flüchtlinge. Die Stadt Frankfurt nahm 1685, zu einem Zeitpunkt, als sie 30,000 Einwohner hatte, 100,000 hugenottische Flüchtlinge auf. Und die polnisch-litauische Adelsrepublik nahm in großen Zahlen Tataren auf, Muslime, die seit dem 15. Jahrhundert dorthin einwanderten. (Thadden, Elisabeth von: “Von unterwegs”, in: Die Zeit 42/2017: 48)

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Bettelnde Fußgänger

Anorak, Schnellhefter, Ampel: Wie heißt die kleine Verlängerung an der Schiene, mit der man einen Reißverschluss öffnet oder schließt? Wie heißt das längliche Plättchen aus Metall oder Plastik, mit dem man die Blechbänder eines Schnellhefters schließt, um ein Rutschen zu verhindern? Wie heißt der Knopf, mit dem man an einer Fußgängerampel grünes Licht anfordert? Sie heißen Abdeckleiste (mit der schließt man die Schnellhefterzunge), Schiebergriff und Bettelknopf. Der Bettelknopf befindet sich an einer Bettelampel. Wichtiger als die Wörter selbst ist die Erkenntnis, dass man sie für die Alltagskommunikation nicht braucht. Dingen oder Dingsda oder Teil sind nützliche Wörter, um unbekannte Wörter zu paraphrasieren.

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Brennend interessant

In Köln sollen Luthers Schriften verbrannt werden. Listige Studenten vertauschen sie mit den Schriften seines Gegners Eck. Der Henker kann nicht lesen. Er verbrennt die Bücher. (Feldmann, Christian: Martin Luther. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2009: 53)

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Vor allem gesund

Benno, der kleine Bruder von Liesel, wird von seiner Schwester vorübergehend getrennt, denn die hat Scharlach. Er wird zusammen mit einem Kindermädchen in einer Hütte untergebracht. Dort lassen die Eltern eigens ein Bad einbauen. Tatsächlich bleibt Benno von dem Scharlach verschont. So ist er gesund und kann als Soldat in den Krieg ziehen. Dort kommt er in einem Gefecht ums Leben. (Mauwer, Simon: The Glass Room. London: Abacus, 2010: 31)

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Hochkultur

Am 9. März 1994 starb Charles Bukowski. Die Nachricht schaffte es sogar in die Abendnachrichten. Mit unbewegtem Gesicht sagte die Nachrichtensprecherin: “Zu seinen bekanntesten Werken zählte Fuck Machine.”  (Breuer, Thomas C.: Brücke zwischen Jucken und Zweifelscheid. Zell/Mosel: Rhein-Mosel-Verlag 2016: 106)

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Kurzer Prozess gemacht

In Savigny-sur-Etang in Frankreich kam es 1457 zu einem Gerichtsprozess wegen der Tötung eines fünfjährigen Jungen. Die Angeklagte wurde wegen Mordes angeklagt und zum Tod durch Erhängen verurteilt. Die Angeklagte war eine Sau. (Stephan, Björn: „Armer Hund!“, in: Die Zeit 39/2017: 15-17)

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Zeichen gesetzt

Ein Fernsehmoderator weist auf eine Sendung am Abend hin: “Wie geht’s Deutschland?” So hieß sie aber nicht. Sie hieß “Wie geht’s, Deutschland?”

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Roman chimneys

In Shakespeare’s Julius Caesar there are chimneys, books, doublets, hats and a clock that strikes three. Pope thought the hats were so much out of place that he replaced them by cats. There is also an allusion to the Great Flood. This could, of course, be the “Roman” flood, the flood of classical antiquity, sent by Zeus to punish mankind (only Descalion and his wife Pyrrha were permitted to survive), but Shakespeare was probably thinking of the “Christian” flood, the flood of the Old Testament, which would make it another anachronism. And finally a poet is scolded for his “cynic rhymes”. But there were no rhymes in Roman poetry . Shakespeare was not too concerned with historical authenticity. (Pughe, Thomas: Einleitung, in: Shakespeare, William: Julius Caesar. Tübingen: Francke, 1987: 18)

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Pomadenhengst

Mistigkeit, borschweise, Buschklepper. Deutsche Wörter? Ja und nein. Es sind drei Wörter, die früher im Duden standen, aber jetzt nicht mehr. Sie sind im normalen Sprachgebrauch einfach nicht mehr vertreten. In der Ausgabe von 2013 gab es eine dreistellige Zahl von Wörtern, die getilgt wurde. Darunter der wunderbare Pomadenhengst. Er würde heute nicht einmal mehr verstanden werden und ist durch Macho ersetzt worden. Können aussortierte Wörter es noch einmal zurück schaffen? Ausgeschlossen ist das nicht, sagt Kathrin Kunkel-Razum, die Leiterin der Duden-Redaktion. Wenn auch nicht sehr wahrscheinlich. Lügenpresse könnte ein Kandidat sein. Die ist jetzt neu aufgenommen worden und war vielleicht in den Dreißiger Jahren schon mal vertreten. (Schmidt, Marie: “Ist eine Welt ohne “Majonäse” sinnvoll?”, in: Die Zeit 33/2017: 35)

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Corrado

Corrado, ein italienischer Busfahrer, fährt eine deutsch-italienische Schülergruppe durch die Gegend, 16-17-jährige Jugendliche. Es steht eine Wanderung auf dem Programm. Man fährt in die Berge. Eher unwillig, vor allem auf italienischer Seite, bringt man die Wanderung hinter sich. Dann kommt man wieder zum Bus zurück und zu Corrado. Er macht ein entsetztes Gesicht: Er hat die Schlüssel für den Bus verloren. Die deutschen Mädchen: “Kommt, dann legen wir uns solange hier in die Sonne.” Die deutschen Jungen: “Kommt, wir gehen den Schlüssel suchen.” Die Italiener, Mädchen wie Jungen: “Wir rufen die Mama an.” Corrado hatte den Schlüssel gar nicht verloren. Er wollte nur die Reaktionen testen.

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Klein, aber oho!

Was haben Pinsel, Kapsel und Pegel miteinander gemeinsam? Die Endung gibt einen (verstecketen) Hinweis. Es sind lauter Diminutive. Das ist heute kaum noch erkennbar, weil es sich bei den Verkleinerungsformen um fremde Elemente handelt, die wir bereits als Diminutive übernommen haben. Man mag kaum glauben, in wie vielen Wörtern so eine verblasste Diminutivform steckt: Pupille, Mantel, Libelle, Bazillus (Grundform baculum, wegen ihres stabartigen Aussehens), Kapitell, Tabelle, Brezel, Kanzel, Schüssel,  aber auch Pistole, Kartoffel (Grundwort tartufo, ‘Trüffel’, selbst ein Diminutiv), Vanille (von vaina, verwandt mit Vagina), Toilette (Grundform toile) und viele andere. Dass bei den fremden Suffixen der Diminutiv nicht mehr erkennbar ist, mag ja noch angehen, aber bei den einheimischen Wörtern sieht es nicht anders aus: Angel, Schaukel, Knödel, Stummel, Trommel, Schenkel, Eichel, Enkel (Verkleinerungsform von ano, von dem auch Ahne als Bezeichnung des Großvaters abgeleitet ist – Großvater und Enkel sprachen sich gegenseiteig gleich an) sind genauso Verkleinerungsformen wie Ärmel (Grundform Arm, hier kann man es noch erahnen), Sperling, Forelle oder Eule (in der alten Form, uwila, ist der Diminutiv noch zu erkennen). Ein besonderes Schmankerl ist die Nelke, eine Verkleinerungsform von Nagel. Stift und Blume heißen also gleich. Wie kommt das? Der Nagel wurde zuerst auf die als Gewürz verwendeten Blüten eines Baumes aus den Molukken verwendet, und zwar wegen des Aussehens, und dann ging die Bezeichnung vom Gewürz auf die Gartenblume über, wegen des Duftes. Eine doppelte Übertragung. Auch der Klüngel hat es in sich. Es ist von klunga abgeleitet, ‘Knäuel’, ‘Garnknäuel’. Das wurde dann übertragen auf den lose vom Kleid herabhängenden Fetzen. Daraus resultierte dann die Bedeutung ‘nachlässige Behandlung’, ‘Missstand’. Und dann war es nicht mehr weit bis zu den durch Cliquenwirtschaft hervorgerufenen Missständen! (Storfer, Adolf Josef: Wörter und ihre Schicksale. Zürich: Atlantis Verlag, 1981: 528-543)

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Intelligence Agency?

Kriegsverbrechen, Schreckenstaten, Machtmissbrauch, Verstöße gegen das Genfer Abkommen, Eliminierung ungeliebter Politiker im Ausland, Bespitzelung der eigenen Bürger. Schwere Vorwürfe, die da gegen die CIA erhoben werden. Und wer erhebt diese Vorwürfe? Die CIA. Ihre ehemaligen, langjährigen Agenten. Und in dieser Bewertung sind sie sich fast ganz einig. Meinungsverschiedenheiten gibt es nur bei der Frage, ob all das mit Wissen oder sogar auf Geheiß des Präsidenten geschah. Dass es geschah, daran lässt keiner einen Zweifel. Mord, sagt ein CIA-Agent achselzuckend, das sei das Handwerkszeug von Regierungen. Dafür spricht, dass Gerald Ford während seiner Amtszeit ein Dekret erließ (Executive Order 11905), das es jedem, der für die amerikanische Regierung arbeitete, ausdrücklich untersagte, sich an Mordanschlägen zu beteiligen. Es kann also keinen Zweifel gegeben haben, dass man vor dem Mittel nicht zurückscheute, vermutlich danach genauso wenig wie davor. Und trotz allem sieht die Bilanz der CIA düster aus: die Fehleinschätzung der Stärke der “Turbanträger” im Iran (einem CIA-Agenten zufolge sprach keiner von ihnen persisch!) und dem daraus resultierenden Sturz des Schahs, die Invasion in der Schweinebucht, die Unterstützung der Mudschaheddin (unter ihnen Bin Laden) in Afghanistan (und damit letztlich die Schaffung der Grundlage für die Herrschaft der Taliban),  die Verkennung von Saddam Husseins Absichten mit Bezug auf Kuwait, die Ahnungslosigkeit vor dem ersten Attentat auf das World Trade Center, das nur durch einen technischen Defekt nicht so ausging wie geplant und viel mehr Opfer gefordert hätte als das zweite – eine einzige Kette von Misserfolgen und Fehleinschätzungen. (“CIA von Innen”, in: Phoenix: 29/07/2017)

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Gerechtigkeit

Was ist gerecht? Wenn man einer Software die Aufgabe überträgt, eine Vorauswahl unter den Bewerbern für eine Stelle zu treffen, nach welchem Prinzip soll sie verfahren? 1) Männer und Frauen sollen gleich stark vertreten sein. 2) Das Geschlechterverhältnis soll sich an den Bewerbungen orientieren. 3) Das Kriterium Geschlecht soll außen vor bleiben. (Wolfangel, Eva: “Google und die Frau am Herd”, in: Die Zeit 29/2017: 35)

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Ideologische Schlagseite

Auch Computer haben Vorurteile. Sie schnappen die Vorurteile der Menschen auf und machen sie sich zu eigen. Digitale Übersetzungsprogramme zum Beispiel beruhen auf großen Datensätzen, in denen sie nach Mustern suchen. Dabei kann es zu Fehlern und sogar zu Diskriminierungen kommen. Ein Fehler unterlief einem Übersetzungsprogramm, das Macron sich am Abend seines Wahlsiegs bei seinen “amerikanischen Mitbürgern” bedanken ließ. So wurde Macrons Tweet verbreitet. In der automatischen Übersetzung, die Twitter seinen deutschen Nutzern anbot, hatte sich “mes chers compratiotes” in “meine amerikanischen Mitbürger” verwandelt. Wie der Computer darauf kam? Er setzte compatriotes mit fellow Americans gleich, die als gängige Formel in den Reden amerikanischer Politiker auftauchen. Die Datensätze prägen auch das Weltbild der Maschinen. Man kann zeigen, dass sie mit Namen älterer Menschen eher negative, mit Namen jüngerer Menschen eher positive Eigenschaften assoziieren, Mathematik eher mit Männern, Kunst eher mit Frauen in Verbindung bringen. Eine Gerichtssoftware ermittelte aus dritten Daten die Hautfarbe eines Straffälligen. Die Verzerrungen sind Teil unserer Kultur, und auch dem Computer kaum abzugewöhnen. Man müsste erstens die Vorurteile erkennen und dem Computer in mathematischen Formeln vermitteln, und man müsste so viele Daten löschen, dass die Programme zu nichts mehr zunutze wären. (Wolfangel, Eva: “Google und die Frau am Herd”, in: Die Zeit 29/2017: 35)

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Tabuzone

Henning Scherf, ehemaliger Bremer Bürgermeister, hat ein Buch geschrieben. Über den Tod. Sein Titel: Das letzte Tabu. Aldo Haesler Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph, hat ein Buch geschrieben. Über das Geld. Sein Titel: Das letzte Tabu. Wolfram Wetter, Historiker, hat ein Buch geschrieben. Über die NS-Militärjustiz. Sein Titel: Das letzte Tabu. Andreas Schäfer hat ein Buch geschrieben. Über die übermächtige Frau. Sein Titel? Nein, nicht Das letzte Tabu. Das Buch heißt Ein letztes Tabu. (Dachsel, Felix: “Die Jagd nach dem letzten Tabu”, in: Die Zeit 29/2017: 53)

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Lauter Kleinzeug

Ein Bündel ist ein kleiner Bund, ein Knöchel ist ein kleiner Knochen, Märchen eine Verkleinerungsform von Mär. Die Wörter Ballett, Bankett, Flotille, Lanzette, Operette, Stilett sind Verkleinerungsformen von Ball, Bank, Flotte, Lanze, Oper, Stil. Auch wenn wir uns das im täglichen Gebrauch nicht klar machen, ist das einleuchtend. Aber dass Sockel eine kleine Socke ist, das leuchtet nicht so ohne Weiteres ein. Die Socke bezeichnete ursprünglich, im Lateinischen, keinen Socke, sondern einen Schuh, und zwar einen Schuh ohne festere Sohle und ohne Absatz, im Gegensatz zum Kothurn. Auf dieses soccus geht das deutsche Socke zurück. Neben dem soccus gab es auch im Lateinischen schon die Verkleinerungsform socculus. Davon wurden Fachwörter in der Baukunst abgeleitet, mit der Bedeutung ‘Säulenfuß’, ‘Untersatz’ usw. Wir haben also mit dem Wort auch die lateinische Verkleinerungsform übernommen, -ulus. Und die liegt auch vielen anderen Wörtern zugrunde: PilleSkrupel, Kalkül (eigentlich ein ‘Steinchen’), Perle (eigentlich eine ‘kleine Birne’), Buckel (verwandt mit ital. bocca), Kuppel (verwandt mit engl. cup), Sichel, Formel, Zettel, Zwiebel, Zirkel, Fackel, Kachel, Furunkel (verwandt mit fur, ‘Dieb’, weil das Blutgeschwür als parasitärer Gast dem Menschen einen Teil seiner Nahrung wegnahm), Karbunkel, Floskel, Onkel (von avus, ‘Großvater’, ‘älterer Verwandter’), Tabernakel (verwandt mit Taverne), Artikel (abgeleitet von ars und verwandt mit Artillerie), und Muschel und Muskel (beide etymologisch ‘kleine Mäuse’). Auch die Rolle gehört dazu. Die ist abgeleitet von rotula, ‘kleines Rädchen’, Diminutiv von rota. Wie kam es hier zu der übertragenden Bedeutung? Die kommt aus der Bühnentradition. Der Anteil des einzelnen Schauspielers, seine Rolle,  wurde auf handliche Streifen geschrieben, und die wurden, wie früher das Pergament, aufgerollt. Bei der Probe wurde dann nur die gerade relevante Stelle aufgedeckt, der Rest blieb aufgerollt. Der Schauspieler hielt seine Rolle in der Hand. (Storfer, Adolf Josef: Wörter und ihre Schicksale. Zürich: Atlantis Verlag, 1981: 522-528)

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Hauszoo

Auf Italienisch heißen sie gatti di polvere, auf Französisch moutons, auf Englisch dust bunnies, auf Finnisch villakoira, auf Schwedisch dammråtta und auf Deutsch Wollmäuse. Sie sind also Katzen oder Schafe oder Häschen oder Hunde oder Ratten oder Mäuse.

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Das fremde Übel

“Es ist got gefellig gewesen, in unsern tagen Kranckheiten zu senden, die unsern vorfaren unbekant seint gewesen.” So schrieb es Ulrich von Hutten, selbst von einer dieser Krankheiten befallen, einer  Seuche, die er blatteren nannte und die später von einem berühmten Veroneser Arzt ihren heutigen Namen bekam: Syphilis.  Für Ulrich von Hutten kam sie “von den Franzosen”, und in dieser Benennung war er sich mit vielen seiner Zeitgenossen einig. Es war aber auch vom mal de Naples die Rede, und diese Bezeichnung verweist ganz direkt auf den Ort, von dem aus die Krankheit in Europa vermutlich ihren Lauf nahm: Neapel. Dort war Karl VIII. 1485 eingedrungen, mit einem Heer von Söldnern aus vielen Ländern, das achtzig Tage in der eroberten Stadt verbrachte, in einem einzigen Alkoholrausch. Und einer Sexorgie ohnegleichen. Unter Beteiligung einheimischer Frauen und der mitgebrachten feinen Kurtisanen und einfachen Lagerdirnen. Der klägliche Rückzug Karls VIII. aus Italien war der triumphale Einzug der Syphilis in die europäische Zivilisation.  Gekommen war die Krankheit aus Amerika, aus den mittelamerikanischen Inseln, mitgebracht von spanischen Soldaten. Und die waren bei dem Kampf um Neapel auf beiden Seiten beteiligt. Das begünstigte die Verbreitung der Krankheit. Die Begriffe aus der Gelehrtensprache für die Krankheit spiegeln diese Herkunft teilweise wider: morbus gallicus, malum francium, misera hispanica, morbus indicus. Bei den meisten Völkern war wohl von der französischen Krankheit die Rede, aber auf jeden Fall wurde das Übel immer den anderen angedichtet: In England sprach man von French pox, in Frankreich vom mal de Sicile, in Portugal vom mal castellano in Estland vom russischen Übel, in Polen von deutschen Pocken, bei den Arabern vom christlichen Übel, bei den Persern von der türksichen Krankheit, und bei den Türken, bei denen alle Völker des Abendlandes Franken waren, vom Geschwür der Franken. (Storfer, Adolf Josef: Wörter und ihre Schicksale. Zürich: Atlantis Verlag, 1981: 420-430)

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Polnischer Abgang

Sich von einer Party grußlos zu verabschieden heißt auf Englisch take French leave, auf Französisch aber filer à l’anglaise. Es sind immer die anderen, die sich ungehörig benehmen. In Deutschland hat man zwei Schuldige dafür ausgemacht: In Westdeutschland sagt man sich französisch verabschieden, in Ostdeutschland einen polnischen Abgang machen. Das ist natürlich ganz unmotiviert; weder in Frankreich noch in Polen ist es sozial akzeptabel, sich grußlos zu verabschieden. Der Kreis schließt sich in Polen, wo man sich englisch verabschiedet. Das Griechische hat andere nationale Redewendungen: Είναι αρβανιτικό κεφάλι – Κάνει το κίνεζο –  Γίνεται Τούρκος – Er (oder sie) hat einen albanischen Kopf (d.h. ist ein Dickkopf) – spielt den Chinesen (d.h. tut so, als verstehe er nicht) – wird zum Türken (d.h. bekommt einen Wutanfall).

 

 

 

 

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Wir Heuchler

Häufiger radeln, zu Fuß gehen, Bahn und Bus benutzen. Das Abholzen von Wäldern und Schadstoffe im Boden vermeiden. Klimawandel stoppen. Nachhaltige Mode tragen. Bioprodukte kaufen. Unsere Wirtschafts- und Lebensweise grundlegend verändern.  So die allgemeine Überzeugung. Zu der auch gehört, dass letztlich jeder einzelne für die Veränderung verantwortlich ist. Mit der Wirklichkeit hat das wenig zu tun. Die Anteil der SUVs auf den Straßen steigt, die meisten Menschen radeln nicht mehr als einmal pro Monat, der Marktanteil von Bioprodukten liegt bei 5%, durchschnittlich 60 Kleidungsstücke kauft jeder Einzelne pro Jahr. Davon werden einige nie getragen. Wir Heuchler. (Behrens, Christoph: “Wir Heuchler”, in Süddeutsche Zeitung 88/2017: 33)

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Freie Auswahl

In der Innenstadt sehe ich einen Bettler. Der hat gleich fünf Spendenbüchsen vor sich aufgestellt. Jede hat einen Zettel, auf dem säuberlich der Zweck der Spende notiert ist: Bier – Essen – Hund – Kiffen – Puff.

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Junggesellenleben auf Römisch

Das Lateinische hatte kein Wort für ‚Homosexualität‘. Und das, obwohl es Wörter für sexuelle Praktiken gab, die wir der Homosexualität zurechnen würden: irrumo (in den Mund eines Mannes stecken) oder pedico (in den After eines Mannes stecken). Solche Praktiken waren eine Demonstration der Überlegenheit, der Stärke, hatten sozialpolitischen Wert. Die passiven Partner waren dabei Sklaven oder Jugendliche, also Untergeordnete, oder man drohte persönlichen Feinden an, sie für diese Rolle zu verwenden. Wenn man heiratete, bedeutete das das Ende solcher Praktiken. Der Bräutigam trug die Braut über die Schwelle, und von da an ging es um die Zeugung einer Nachkommenschaft. Das Junggesellenleben war vorbei. Man trennte sich von den Sklaven, ließ sie sich die Haare schneiden und entließ sie in die Freiheit. Sex war eine Frage der Rollen, nicht der Vorlieben. Gardini, Nicola: Viva il latino. Storie e bellezze di una lingua inutile. Milano: Garzanti, 2016: 80-83.

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Außerirdisch

Auf einer Internetseite findet sich in einem Eintrag eine Klage über einen Strafzettel aus Pula. Von dort sei ein Schreiben mit einer Forderung von 350 € für falsches Parken gekommen. Das seien, so heißt es, “exorbitale” Gebühren.

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Scheiß Wörter

Die Seminarsitzung, die sich mit expletives im Englischen beschäftigt, gehört zu den beliebtesten.Warum sind obszöne Ausdrücke so attraktiv, warum wecken sie so viel Interesse, vor allem bei jungen Leuten? Nur, weil sie von der Norm abweichen? Das reicht nicht als Erklärung. Auch andere Wörter weichen von der Norm ab, sind aber nicht annähernd so attraktiv. Jetzt bin ich auf eine Erklärung gestoßen, die ich überzeugend finde: Die obszöne Sprache („Schimpfwörter“ trifft die Sache nicht so richtig) spricht das erwachende sexuelle Bewusstsein der jungen Leute an und ihr Verlangen nach Regelverstößen, nach Freiheit, sie deckt das Versteckte auf, sie lässt Hierarchien zusammenbrechen, sie ist komisch, karnevalesk, subversiv. Und wenn sie in alten Texten entdeckt wird, überspannt sie zudem die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, ist immer aktuell. (Gradini, Nicola: Viva il latino. Storie e bellezze di una lingua inutile. Milano: Garzanti, 2016: 79)

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Roter Faden

Kein grüner oder blauer Teppich, sondern ein roter Teppich ist es, der vor hohen Staatsbesuchern oder Filmstars ausgerollt wird. Rot war schon in der Antike etwas Besonderes. Selbst die römischen Senatoren mussten sich mit einem roten Saum an ihrer Toga begnügen, ein purpurnes Gewand war allenfalls dem Kaiser vorbehalten. Noch heute sind Purpur und Rot in der katholischen Kirche Bischöfen und Kardinälen vorbehalten. Der herkömmliche hohe Wert von Rot hat einen ganz einfachen Grund: Es war teuer. Der Farbstoff wurde aus dem Drüsensekret einer Schnecke gewonnen. Man benötigte Tausende von Schnecken für die Gewinnung von einem einzigen Gramm Farbstoff. Auf dessen Gewinnung und Vermarktung  verstanden sich ganz besonders die Phönizier. Ihr Wohlstand beruhte ganz wesentlich auf dem Purpurfarbstoff. Nach der Eroberung Mittelamerikas wurde die Herstellung etwas günstiger. Jetzt nahm man statt der Schnecke den Saft der Schildlaus. Die hatte als Schmarotzer an der Wurzel von Kakteen ihren Weg nach Europa gefunden. (Urmes, Dietmar: Wandernde Wörter und Sprachsouvenirs. Wiesbaden: Marixverlag, 2014: 355)

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Jungfräulich

Um welche Religion handelt es sich? Sie glaubt an das kommende Weltgericht, an die Auferstehung, an die Existenz von Himmel und Hölle und an einen von einer Jungfrau geborenen Erlöser. Das ist natürlich – der Zoroastrismus. Und dessen Erlöser, Saoshyant, erschien Jahrhunderte vor dem christlichen Erlöser. Der Zoroastrismus ist auch Vorreiter für das Judentum gewesen, nämlich in seiner Vorstellung vom Dualismus von Gut und Böse, die sich in der Form eines guten Schöpfergottes und eines bösen Dämonen verkörpern. Der Zoroastrismus war Staatsreligion im sassanidischen Reich. Nach der arabischen Eroberung wanderten viele Zoroastrier nach Indien aus oder konvertierten zum Islam. Die Toten der Zoroastrier werden traditionell in sogenannten Schweigetürmen ausgesetzt und die von den Geiern gereinigten Knochen später in Höhlen gesammelt. (Kerber, Peter: Iran. Islamische Republik und jahrtausendealte Kultur. Berlin: Trescher Verlag, 42015: 100)

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Nasse Füße bekommen

Inzwischen setzen sich auch Ägypter in wackelige Boote, um über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. Und es gibt Ägypter, die es auf legalem Wege versuchen. Viele wollen nach Deutschland. Aber sie haben keine guten Chancen. Auch eine deutschsprachige Ärztin mit ihrer Familie hatte keinen Erfolg mit dem Einreiseantrag. Sie konnten aber einmal für ein paar Tage nach Deutschland reisen. Der kleine Junge der Familie berichtet über seine Erfahrungen in Deutschland. Auf Deutsch. Und erzählt, was ihm am besten gefallen habe: der Regen! Einmal habe es zwei Tage hintereinander geregnet! Herrlich! Er sei durch den Regen spazieren gegangen. Deutschland sei ein schönes Land, wunderbar “verrengnet”.

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Der Herr Sänger

Weil die Nachtigall nachts singt, heißt sie Nachtigall. Aber das erklärt nur den ersten Bestandteil des Wortes. Der zweite Teil, der für uns heute undurchsichtig ist, hat vielleicht eine ferne Verwandtschaft mit lat. gallus, ‚Hahn‘. Auf jeden Fall geht es auf die alte germanische Wurzel gal, gel zurück, und das bedeutet ‚tönen‘. Im Althochdeutschen bedeutet galan besonders singen, vor allem Zaubergesänge singen. Die Nachtigall ist also eine ‚Sängerin der Nacht‘. Die lateinische Entsprechung, luscinia, scheint auf luscicinia zurückzugehen, zusammengesetzt aus luscus, ‚dämmernd‘, und canere, ‚singen‘, also fast eine wörtliche Entsprechung des deutschen Wortes. Auf den lateinischen Diminutiv, lusciniola,  gehen die Bezeichnungen in den modernen Sprachen der Romania zurück wie ital. usignolo, in Gallien losseignol Daraus entstand auf dem Wege der Dissimilation von /l/ zu /r/, zur Vermeidung der Doppelung von /l/, das heutige franz. rossignol. Im Spanischen machte die Volksetymologie aus dem Vogel schließlich einen ‚Herrn‘: ruiseñor. (Storfer, Adolf Josef: Wörter und ihre Schicksale. Zürich: Atlantis Verlag, 1981:284-285)

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Don’t miss to fail

„Don’t fail to miss tomorrow’s game” was the standard sentence with which Dizzy Dean used to sign off his coverage of baseball games on the radio. The former baseball star turned radio announcer made the public wild with enthusiasm. He and his mangled diction were refreshingly different from the polished speech of former radio announcers. Players swang at pitches, throwed the ball and were in a difficult sityation. And of course there was the notorious ain’t. When somebody made objections, he replied: “I ain’t never met anybody that didn’t know what ain’t means.” The audience figures soared, and so did the sales of the brewery which sponsored the programme. But the English Teachers Association of Missouri had filed a complaint on account of his inappropriate English used in public. Dean became a cause celèbre, and newspapers all over the country milked the controversy. The controversy flared and became fiercer and fiercer. At long last, someone made an official enquiry at the Association. It turned out that no complaint had ever been filed. The whole thing had been a clever publicity stunt. Not even Dean’s English was quite genuine. He put on his speech, and once, when by mistake he said slid correctly, he “corrected” himself saying slud. (O’Conner, Patricia T.: The Origin of the Specious. Myths and Misconceptions of the English Language. New York: Random House, 2010: 46-48)

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Ganz besondere Verlierer

Donald Trump wird als 45. Präsident der USA gelten. Tatsächlich ist er aber erst der 44. Der Mann, der für diese Unebenheit verantwortlich ist, heißt Grover Cleveland. Er ist der einzige amerikanische Präsident mit zwei separaten Amtszeiten (als 22. und 24. Präsident) und wird deshalb doppelt gezählt. Trotz seiner Ausnahmestellung gehört Cleveland zu den Lost Presidents, den vergessenen Präsidenten der US-Geschichte. Zu denen zählt auch James Buchanan. Obwohl der sich auch durch eine Besonderheit von den anderen unterscheidet: Bei den beliebten presidential rankings liegt er meist auf dem letzten Platz. Er zeigte sich weitgehend hilflos in der Zeit vor dem Bürgerkrieg, als der Norden und der Süden immer weiter auseinanderdrifteten. Seine Verteidiger finden sich vorwiegend in seinem Heimatort Lancaster, Pennsylvania. Dort weißt man gerne darauf hin, dass es in seiner Amtszeit wenigstens nicht zum Krieg gekommen sei. Wohl aber unter seinem Nachfolger, dem glorifizieten Lincoln. Während dessen Amtszeit starben 600,000 Menschen im Bürgerkrieg. Buchanan selbst fühlte sich allerdings selbst nicht wohl in seiner Haut als Präsident. Er sagte bei der Übergabe zu Lincoln: “Wenn Sie so glücklich sind, das Präsidentenamt anzutreten, wie ich es bin, dass ich es verlassen kann, dann sind Sie ein wirklich glücklicher Mann.” Der größte Verlierer im politischen Sinne ist aber wohl Millard Fillmore,  der nach einem schweren Schicksalsschlag – sein Sohn war der einzige Tote bei einem Eisenbahnunglück – zum Alkoholiker wurde. Auch er hält einen “Rekord”: Er wurde als einziger Präsident von seiner eigenen Partei nicht zur Wiederwahl aufgestellt. Henry Harrison ist ein weiterer der vergessenen Präsidenten, der einen Rekord hält: Er hielt die längste Antrittsrede. Sie dauerte gut zwei Stunden und umfasste 8445 Wörter. Washington hatte nur 135 Wörter gebraucht. (Gerste Ronald D.: “Die kennt keiner mehr”, in: Die Zeit 53/20116: 19)

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Kurkonzert

Kur in Kurland bezieht sich auf die Kuren. Das war ein baltischer Volksstamm im heutigen Lettland und Litauen.

Das hat nichts zu tun mit der Kur im Kurier. Der kommt von lateinisch currere, ‚laufen‘. Und steckt auch in Kurs, kursiv, Exkurs, Konkurs, Diskurs, Exkurs, Konkurrenz und Curriculum, aber auch in Corso und in Korsar.

Das alles hat wiederum nichts zu tun mit Kur in Kurfürst. Der kommt von küren, und heißt so, weil er wählen durfte. Wen? Den Kaiser. Und das steckt auch in Kurpfalz, Walküre (die unter den Toten des Schlachtfeldes wählt) und Kürturnen (weil man da wählen kann).

Das wiederum hat nichts zu tun mit der Kur in Kurtaxe. Das ist wieder Latein, kommt aber von cura, ‚Sorge‘. Die steckt auch in kurieren, Kurator, Kurort, aber auch in Kurpfuscher. Und in Prokurist und in Kustos und in Maniküre und in Sinekure und in akkurat und in …

(Storfer, Adolf Josef: Wörter und ihre Schicksale. Zürich: Atlantis Verlag, 1981: 252-254)

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Chatterboxes

According to a widely-held belief, women talk more than men. But how can we find out whether this is true or not? Experiments have generated different results. That is not surprising. There are plenty of pitfalls which experimenters can fall into. The results may depend on the design of the experiment. For example, were the data collected in a laboratory situation or gathered from a corpus of spontaneous conversation? If it was a laboratory setting, could the tasks have influenced the results? Were the subjects discussing a topic that men traditionally know more about than women? Were subjects giving monologues or, conversing in pairs or talking is small groups? Were they talking with others of the same sex or in a mixed-sex group? In one experiment, for example, men spoke more if they were in the minority: the fewer men in the group, the larger their amount of speaking time. Conversely, this was not the case with women. Other experiments showed that men speak more in the classroom. Men initiated more interaction, no matter if the teacher was male or female (though the difference was larger if the teacher was male). Men also responded more often but only if the teacher was male! Another factor to be taken into consideration is the testees’ social class. Would the results have been different if they had been working class people and not (as is often the case in experiments) middle-class people? Is the sex of the researcher a neutral factor or could it also influence results? And, most importantly, if you are interested in quantity, what do you count: number of words, number of turns, or length of speaking time? In some experiments women actually had more turns but less speaking time. Who, then, speaks more, men or women? However contradictory the results may be, in general it seems clear that, if there is a difference, the difference is rather small, and certainly nothing like what is sometimes reported in the popular press. The numbers quoted there seem to be plucked out of thin air. One stable finding is that differences between the two groups are dwarfed in comparison with differences within either group. If the differences between men and women with regards to talkativeness are quite small after all, why then are women believed to be so much more talkative than men? Probably because people just don’t notice talkative men and silent women or, if they do, classify them as exceptions. A perfect way of leading oneself up the garden path. (Kaplan, Abby: Women Talk More Than Men … And Other Myths About Language Explained. Cambridge: Cambridge University Press, 2016: 155-189)

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Der Kuss

Ein unscheinbarer Offizier, der schüchternste, farbloseste, bescheidendste der ganzen Brigade, zieht mit seinen Kameraden ins Manöver. Auf dem Weg machen sie halt auf einem Gutshof, wo der Hausherr zu einer Abendunterhaltung mit Ball einlädt. Der Offizier steht abseits und genießt die Musik und den Kognak. Der Sohn des Hausherrn lädt ihn zu einer Partie Billard ein. Auf dem Weg zurück verläuft er sich gedankenverloren in dem Haus und kommt durch ein dunkles Zimmer. Plötzlich hört er eine Frauenstimme: “Endlich!”. Und fühlt, dass die unbekannte Frau ihn umarmt und ihm einen leidenschaftlichen Kuss gibt, im gleichen Moment aber zurückweicht. Es gibt keinen Zweifel: Es handelt sich um eine Verwechslung. Der Offizier kehrt beschwingt zu den Tanzenden zurück und zieht am nächsten Tag, von einem unbekannten Glücksgefühl getragen, mit den Kameraden ins Manöver. Erwartungsvoll sieht er dem Moment entgegen, wo sie auf dem Rückweg wieder an dem Gutshof vorbeikommen. Als es endlich soweit ist, stellt sich heraus, dass es keinen Ball gibt. Der Ball ist abgesagt worden. Der Offizier zieht sich zurück und legt sich ins Bett. Es beginnt eine Zeit der Selbstreflektion, eine Zeit des Nachdenkens über das eigene Leben und das eigene Glücksbedürfnis. Er sieht ein, welche vergeblichen Hoffnungen er an sein eigenes Leben geknüpft hat, in einer Szene, die voller Resignation, voller Melancholie, voller Weisheit ist. Als der Offizier dann erfährt, dass der Ball nun doch stattfinden soll, verzichtet er und bleibt einfach liegen. (Besprechung von Tschechows Kurzgeschichte “Der Kuss”, in “Forum”, SWR2: 01/02/2017)

 

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Una negrigura

„Terni, vieni qui!“. So schallt es durch das Haus, wenn Terni seine Zeit mit nutzlosen Plaudereien mit der Familie verbringt, statt sich die Gesteinssammlung im Arbeitszimmer des Vaters anzusehen. “Non faccia il sempio!“. „Non faccia il paglioacchio!“. Das aufbrausende Temperament des nie von irgendwelchen Zweifeln geplagten Vaters trifft den Freund und Kollegen genauso wie alle anderen. Natalia, das Dienstmädchen, wenn sie mal wieder seine Bücher durcheinander gebracht hat, ist „una demente“, und das sagt er auch, wenn sie in Hörweite ist. Natalia hat sich längst daran gewöhnt und bleibt der Familie fünfzehn Jahre erhalten. Mit gleicher Missachtung jeder political correctness, die es damals ohnehin noch nicht gab, nennt er alles, was ihm gegen den Strich geht, „una negrigura“. Im Zug ein Gespräch mit Mitreisenden zu beginnen: „una negrigura“; sich die kalten Füße am Ofen wärmen: „una negrigura“; Servietten mitnehmen, um sich beim Picknick die Hände zu reinigen: „una negrigura“.  Zum Leidwesen der Kinder, die auf die unendlichen Wanderungen mitgeschleppt werden, sind leichte Sportschuhe ebenfalls „una negrigura“, und die Kinder, mit ihren groben, bleischweren, nägelbeschlagenen Wanderschuhen, beäugen neidisch die „neri“, die anderen Kinder, die es sich mit ihren leichten Schuhen an Rastplätzen gemütlich machen und über Gebäck und Sahne herfallen: “una negrigura”, versteht sich. (Ginzburg, Natalia: Lessico famigliare. Torino: Einaudi, 2014: 3-14)

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Neumodisches Zeug

Die Abschaffung des Fez als Kopfbedeckung der Männer wurde in der Türkei als großer Bruch mit der Tradition erfahren, ebenso wie die anderen radikalen Erneuerungen, die Atatürk einführte. Der Fez war aber erst im 19. Jahrhundert von einem westlichen orientierten Sultan eingeführt worden. Mit dieser Neuerung sollte ein altertümliches Kleidungsstück abgeschafft werden: der Turban.

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Landeskunde

Enaiat, afghanischer Flüchtling, hat es nach einer jahrelangen Odyssee endlich nach Italien geschafft. Er geht eine Straße entlang und trifft dort auf zwei Radfahrer. Sie unterhalten sich, so gut es geht, obwohl alle nur ein paar Brocken Englisch können. Einer der Radfahrer ist Franzose, und Enaiat sagt: Zidane! Der andere ist Brasilianer, und Enaiat sagt: Ronaldinho! Sie erfahren, dass er aus Afghanistan kommt und sagen ohne Zögern: Taliban! (Geda, Fabio: Nel mare ci sono i coccodrilli. Stuttgart: Reclam, 2015: 182-183)

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Statt Religion

Essen, was schmeckt, sich Zeit nehmen, genießen. Wunderbar! Aber jetzt, wo wir es können, tun wir es nicht mehr. Überall lauern Gefahren, überall herrschen Verbote. Alkohol und Zucker sind des Teufels, neuerdings stehen auch Gluten und Laktose auf dem Index. Warum eigentlich? Die sind völlig unschädlich, wenn man gesund ist. Also bildet man sich ein, nicht gesund zu sein. In einem einzigen Jahr, 2012, stieg der Umsatz an laktosefreien Lebensmitteln um 20%, aber die Zahl der Laktose-Intoleranten blieb stabil. 80% der Käufer laktosefreier Produkte haben gar keine Unverträglichkeit. Woher kommt das? Man braucht Regeln, man teilt die Welt in Gut und Böse ein und man verspricht sich Erlösung, wenn man sich an die Regeln hält. Und zahllose Ratgeber, Blogs, angesagte Restaurants befördern dieses Bedürfnis. Die Esser kontrollieren obsessiv jedes Etikett und erkundigen sich über Herstellungsverfahren. Das wird unterstützt von offiziellen Stellen, die Ratschläge zur gesunden Ernährung geben. Es geht beim Essen nicht mehr um Genuss, sondern um Verzicht. Ständig kreisen die Gedanken um das Essen, ständig hat man ein schlechtes Gewissen, wenn man sich nicht an die Regeln hält. Dafür hat früher die Religion gesorgt. Sie setzte die Normen. Jetzt dringt in dieses spirituelle Vakuum die Gesundheitsreligion. Paradoxerweise ist unsere Entscheidungsfreiheit beim Essen aber gerade ein Ergebnis der Befreiung von religiösen Vorschriften. (Burger, Kathrin: „Der Wahn vom gesunden Essen“, in: Süddeutsche Zeitung 112/2016: 16)

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Weirdos

When I was a small child, I used to play with the girl next door. She didn’t understand anything I tried to tell her, but it didn’t matter. We played together all the time, using simple gestures to communicate. I thought something was wrong with her, but I adapted easily to the limitation. One day when I was about four, I went inside her house. As I stood there, her mother came downstairs. Nothing happened between her and the girl that I could see. Then I saw her mother point at the doll house in the hallway. The girl ran and moved the doll house back into her room, as if she had just been told to do so. I was astounded. I knew it was different, something different. I knew they had communicated, in a form I couldn’t see. But how? I asked my mother about what I had seen. “They are called ‘hearing’”, she explained. “They don’t sign. They are hearing. They are different. We are Deaf. We sign.” I asked if the family next door are the only ones, the only hearing people. My mother shook her head. “No”, she signed, “it is us who are alone”. I was very surprised. I naturally assumed everyone was like me. (Childhood experience recounted by Sam Supella, in: Perlmutter, David M.: “No nearer the soul”, in: Natural Language and Linguistic Theory 4/1986: 515-523)

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Gar nicht mal so neu

Ein Sprachwissenschaftler behauptet, die deutsche Umgangssprache habe sich in den letzten Jahrzehnten rasant verändert. Das bezweifle niemand mehr. Wirklich nicht? Warum soll sich die Umgangssprache in den letzten Jahrzehnten mehr verändert haben als zuvor? Und was ist der Beleg dafür? Seine Belege bezieht der Professor aus der persönlichen Beobachtung von Fernsehserien und Talkshows. Keine sehr verlässliche Quelle, keine sehr verlässliche Methode. Und die Ergebnisse, die er präsentiert, bestätigen die Zweifel: Es wird konstatiert, die grammatischen Fälle gerieten durcheinander oder gingen gleich ganz verloren. Es wird konstatiert, der Artikel falle zunehmend weg. Es wird konstatiert, das Verb machen werde als Allzweckwaffe eingesetzt und verdränge jede differenziertere Ausdrucksweise. Aber woher wollen wir wissen, dass das eine neue Erscheinung ist? Ganz ähnliche Entwicklungen konstatierten schon unsere Lehrer in der damaligen Volksschule. Woher will der Professor wissen, dass das, was er konstatiert, keinen radikalen Sprachwandel darstellt, sondern einen Wandel im öffentlichen Gebrauch von Sprache, der Tatsache, dass mehr und mehr „normale“ Menschen die Medien für einen Auftritt nutzen können und dass in Fernsehserien die Sprache der breiten Mehrheit einfach mehr Platz findet? Der Verlust des Genitivs wird schon immer beklagt, aber er ist immer noch da. Und woher weiß der Professor, dass seine eigene Wahrnehmung nicht selektiv ist? Dass die deutsche Sprache sich wandelt, ist nichts Neues. Dass sich dabei ein gradueller Übergang von einem stärker synthetischen Satzbau zu einem stärker analytischen Satzbau vollzieht (was sich etwa durch den Ersatz von Fällen durch präpositionale Fügungen ausdrückt), ist auch oft beobachtet worden. Aber das ist ein langsamer, schleichender Vorgang, ein Vorgang, der nicht alle Sprecher in allen Sprechsituationen in gleicher Weise erreicht. Sprache, bei allen Veränderungen, ist im Wesentlichen ein stabiles System. Sonst wäre Kommunikation gar nicht möglich. Und der Professor spricht an keiner Stelle davon, er habe die Beiträge in den Fernsehserien und den Talkshows nicht verstanden. Dass das gesprochene Deutsch noch nie so weit von der Schulgrammtik entfernt sei wie heute ist jedenfalls blühender Unsinn. Und das sich erst jetzt eine “Diglossie” herausbilde, dass erst jetzt “anders gesprochen als geschrieben werde” ebenfalls. Seit eh und je glauben Sprecher, ihre Sprache verändere sich gerade zu ihrer Zeit besonders rasant. Schon deshalb steht eine solche Annahme auf schwachen Füßen, auch wenn sie von einem Sprachwissenschaftler kommt. (Hinrichs, Uwe: „Die deutsche Sprache wirft ihren Ballast ab“, in: Die Zeit 16/2016: 50)

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Wunder wirken

Die Wissenschaft, argumentier Eckart von Hirschhausen, habe die Magie aus der Medizin vertrieben, aber nicht aus dem Menschen. Als Beispiele führt er an: Wenn ein Arzt vor einer Narkose dem Patienten sagt, er könne danach Kopfschmerzen haben, dann treten Kopfschmerzen tatsächlich häufiger auf. Der Nocebo-Effekt. Sein Gegenstück, der Placebo-Effekt, ist seit langem bekannt. Aber verrückterweise wirkt der auch, wenn man gar nicht vorgibt, das wäre ein wirksames Heilmittel. Ein Harvard-Professor gab seinen Patienten mit Reizdarm ein Mittel und sagte ihnen: “Ich gebe Ihnen ein Mittel, das keinen Wirkstoff enthält.” Und das schlug bei 42% der Patienten an. Ist das Humbug? Oder ist das heilsamer Zauber? Kann die Medizin davon Gebrauch machen? Dass die Wissenschaft aber die Magie nicht aus dem Menschen vertrieben hat, das sieht man in unserer aufgeklärten Welt überall. (Herrmann, Sebastian: “Medizin ist völlig überschätzt”, in: Süddeutsche Zeitung 243/2016: 10)

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Quasselstrippen

„Frauen reden mehr als Männer.“ Die meisten Studenten glauben, dass das stimmt. Jedenfalls ist das das Ergebnis, wenn ich die Sache in meiner Vorlesung anspreche. Und das glauben nicht nur die Männer unter den Studenten, sondern auch die Frauen unter ihnen. Ich selbst habe immer Zweifel daran gehabt. Die Vorlesung selbst ist ein Gegenbeispiel. In der Vorlesung, also im öffentlichen Raum, sind die Männer, gemessen an ihrem Anteil, aktiver als die Frauen. Studien zu dem Thema kommen zu widersprüchlichen Resultaten. Kein Wunder: Es kommt auf die Art der Überprüfung, die Auswahl der Testpersonen, den Kontext des Experiments an: Sind Männer und Frauen unter sich oder sind sie in einer gemischten Gruppe? Allein das kann einen gewaltigen Unterschied machen. Und: Sind solche Simulationen überhaupt repräsentativ? Eine Studie hat jetzt Probanden mit einem Aufnahmegerät versehen und den gesamten Tagesbedarf getestet. Wenn das Ergebnis stimmt, kann man das Klischee der quasselnden Frau getrost vergessen: Frauen kamen nur auf eine minimal höhere Zahl an Wörtern. Das hat mich weniger überrascht als die absoluten Zahlen: 15.669 für Männer, 16.215 für Frauen!

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Scharfe Hunde

In einem Vortrag am Center for Metropolitan Studies in Berlin, „Der deutsch-deutsche Schäferhund“, enthüllte die Doktorandin Christiane Schulte, dass viele der Wachhunde in der DDR von den KZ-Wachhunden der Nazis abstammten. Nach der Wende waren einige dieser Hunde dann an den EU-Außengrenzen eingesetzt worden. Nach der Wende gab es im Westen auch eine große private Nachfrage nach diesen Hunden. Sie galten als besonders scharf. Im Osten dagegen waren sie nicht so begehrt. Schulte sieht die Osthunde als manipulierte Opfer der von Gewalt geprägten deutschen Geschichte. An der Mauer seien auch 34 Schäferhunde ums Leben gekommen. Das erste Maueropfer war sogar ein Schäferhund. Schulte forderte deshalb, in das geplante Einheitsdenkmal auch eine stählerne Hundeleine zu integrieren. Der Vortrag wurde mit Applaus aufgenommen und später in leicht veränderter Fassung in einer renommierten Zeitschrift veröffentlicht. Wenig später meldeten sich in einer Online-Zeitschrift Autoren und enthüllten, dass alles frei erfunden war. Sie waren eine Gruppe kritischer Wissenschaftler und wollten beweisen, dass jeder Quatsch eine Chance hat, veröffentlicht zu werden, solange er den gängigen Erwartungen entspricht. Sie hätten erzählt, was die Leute hören wollten. Die Wahrheit über die Schäferhunde in der DDR erzählt eher ein Artikel im Spiegel, der argumentiert, die Grenzhunde seien eher so etwas wie Attrappen gewesen, die der Abschreckung dienten, selbst aber ungewöhnlich zärtlichkeitsbedürftig waren. Dass das, was man in Fernsehen oder im Radio hört, nicht stimmen muss, ist bekannt. Aber das gilt auch für die Wissenschaft. (Martenstein, Harald: „Über Nazi-Schäferhunde und andere Lügengeschichten“, in: Zeitmagazin 11/2016: 8)

 

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Augenwischerei

Demokratien leiden massiv unter Selbstbetrug. Man feiert sich selbst und die autonome Entscheidung des Bürgers. Das geht ungefähr so: Der mündige Bürger erkundigt sich vor der Wahl über die Probleme des Landes, wägt Lösungsalternativen ab und wählt diejenigen ins Amt, die die als richtig erkannte Lösung verwirklichen. Die Mehrheit erreichen diejenigen, die in einer rationalen Debatte argumentativ überzeugen. Die Wirklichkeit ist anders. Die meisten von uns verstehen von den komplexen Gesetzeswerken, die zur Debatte stehen, viel zu wenig: Wer kann schon die gesetzliche Rente aufgrund von „Entgeltpunkten“, „Zusatzfaktoren“ oder „Rentenartfaktoren“ erklären? Die Rente ist für uns ein Buch mit sieben Siegeln, und doch ist das Gesetz von größter Bedeutung für alle Rentenzahler und Rentenempfänger. Also gelten andere Kriterien bei der Auswahl der richtigen Partei oder der richtigen Kandidaten. Der typische Wähler entscheidet eher danach, welcher Gruppe er sich zugehörig fühlt. Die Wahl drückt in erster Linie soziale Identität aus. Das bestätigt eine Studie in den USA, die sich den Wählern Bernie Sanders und Hillary Clintons annahm. Es stellte sich heraus, dass in konkreten Fragen die Anhänger Sanders‘ deutlich weniger „linke“ Positionen vertraten als die Clintons. Sie fühlten sich als Teil einer mitreißenden Szene, die eine linksliberale Wende in den USA herbeisehnt. Doch die konkrete Umsetzung dieser Ziele entsprach dem nicht. In der Umfrage zeigte sich, dass sie einen erheblich begrenzteren Politikwechsel wollten als Sanders selbst und als Clinton – und ihre Anhänger! Dem System kann es egal sein. Es funktioniert vielleicht so gut wegen der Augenwischerei. (Zielcke, Andreas: „Der Trump in uns“, in: Süddeutsche Zeitung 249/2016:15)

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Massensterben

Eintagsfliegen mit einer Flügelspannbreite von 48 Zentimetern und bis zu 2 Meter große Tausendfüßer und Skorpione – nicht für jeden von uns eine verlockende Vorstellung. Aber so hat es hier auf der Erde mal ausgesehen. Das glauben jedenfalls zwei amerikanische Wissenschaftler, Peter Ward und Joe Kirschvink. Sie gehen davon aus, dass Evolution keine allmähliche, kontinuierliche Sache ist, sondern dass es Brüche gegeben hat, Katastrophen, bei denen die Erde knapp daran vorbeigekommen ist, ein toter Planet zu werden. Da gab es völlige Vereisung, wo sich Leben nur noch am Meeresboden befand, und da gab es Zeiten, wo sich der Sauerstoffgehalt so erhöhte, dass sich riesige Insekten entwickelten wie die überdimensionale Eintagsfliege. Fünf solcher Katastrophen hat es mindestens gegeben, Ward und Kirschvink vermuten, es waren zehn. Und jedes Mal ist es zu einem Massensterben gekommen. Die Gewinner waren die Überlebenden, denn die hatten Platz und konnten sich ausbreiten. Bis sich wieder neue Arten entwickelten. So zum Beispiel, als der Sauerstoffgehalt der Erde dann wieder zurückging, auf 21%. Da entwickelten sich Tiere mit Lungen, wie Vögel und Reptilien. Und der Mensch. Und der wiederum profitierte von seinem aufrechten Gang. Der brauchte nicht, wie die Reptilien, bei jedem Schritt die Lungen zusammendrücken und konnte sich dadurch schneller fortbewegen. („Buchkritik: Peter Ward/Joe Kirschvink: Eine neue Geschichte des Lebens“, in: Deutschlandradio Kultur. 02/11/2016)

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Hidden resemblance

It is not difficult to see that German and English are related when you look at simple words: house and Haus, sheep and Schaf, book and Buch, sun and Sonne, we and wir, seven and sieben, and and und. Such words, so called cognates go back to one and the same word. They were identical in form and meaning, before English became English and German became German. Sometimes there are words which are not quite so obviously related: wife and Weib, tide and Zeit, knave and Knabe. But about town and meal and cup and fee and horse and timber? It takes some serpentine thinking to find the solution. They are Zaun and Mehl and Kopf and Vieh and Ross and Zimmer.

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Atemberaubend

In den Nachrichten ist die Rede von einem “mitreißenden türkischen Journalisten”, der sich im Schlepptau eines französischen Journalisten befunden habe.

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Feierabendintegration

Petros Markaris, der griechische Krimiautor, spricht in einem feinen, einfühlsamen nachdenklichen Artikel über Flüchtlinge und Einheimische, beginnend mit den Griechen, die nach der “kleinasiatischen Katastrophe” und dem folgenden Völkeraustausch von der Schwarzmeerküste und aus Kleinasien nach Griechenland gekommen sind. Sie seien dort nicht willkommen gewesen. Viele Schiffe mussten von einem Hafen zum nächsten fahren, weil die Bewohner die Häfen besetzten und den Ausstieg der Einwanderer verhinderten. Verständlich, sagt Markaris. Das Land lag in Scherben, die einheimischen Griechen mussten selbst ums Überleben kämpfen. Ihre Haltung sei kein Ausdruck von Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit gewesen. Sie konnten ihr karges Brot nicht mit den Neuankömmlingen teilen. Es habe nicht einmal für sie und ihre Kinder gereicht. Er selbst hatte in seiner Jugend das friedliche Zusammanleben verschiedener Völker in Istanbul erlebt, aber hier hatte es keine Neuankömmlinge gegeben. Alle waren “schon immer” da. Aber auch das sei keine multikulturelle Gesellschaft gewesen, genauso wenig wie die heutigen Gesellschaften. Das multiethnische Zusammenleben begrenzte sich auf das Geschäfts- und Straßenleben. Das Familien- und Privatleben blieb davon unberührt, wie in vielen „multikulturellen“ Gemeinschaften, die eigentlich multikommunale Gemeinschaften seien, mit mehreren Gemeinden, die ihre Sprache, Kultur, Religion und Tradition behalten wollten und eine Mischkultur ablehnten. Die “Tagesintegration” sei eine Sache, eine andere die “Feierabendintegration”. Hier begännen die Schwierigkeiten, und zwar sowohl auf Seiten der Gäste als auch auf Seiten der Gastgeber. Er selbst habe gute Beziehungen zu seinen Mitschülern in Istanbul gehabt, aber er sei während der ganzen Jahre nicht einmal in eine türkische Familie eingeladen worden. Genauso wenig habe er selbst jemals einen türkischen Klassenkameraden zu sich eingeladen. Der private Bereich blieb getrennt. Immer wieder höre er heute die Klage, die Gäste wollten sich nicht integrieren. Sie würden in Enklaven leben und sich abschotten. Das stimme zwar, aber dafür gebe es gute Gründe. Die Einwohner kämen in ein fremdes, ihnen unbekanntes Land. Es sei einleuchtend, dass sie ihre Landsleute suchten, um Angst und Verunsicherung zu überwinden. Aber auch die Einheimischen wollten im Grunde die Ausgrenzung der Gäste. Wenn sie schon in der gleichen Stadt leben müssten, dann doch bitte so weit weg wie möglich. Markaris weiß, wovon er spricht. Er hat selbst einer Auswandererbiographie. Seine Familie reiste nach der Ausweisung der Istanbuler Griechen aus – ausgerechnet nach Griechenland. (Markaris, Petros: „Leben in einem fremden Land“, in: Süddeutsche Zeitung 237/2016: 15)

 

 

 

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Natürlich

Sie leben in Einklang mit Baum und Tier, in Freiheit und Harmonie mit den anderen, einfacher, aber sinnerfüllter und gesünder, freier im Sex, sie führen einfach das bessere Leben: edle Wilde, nicht korrumpiert von den Versuchungen und Zwängen der Zivilisation. So das schöne, falsche Klischee, das sich in den Köpfen der Großstädter der westlichen Welt mit großer Zähigkeit hält, der Mythos vom edlen Wilden. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Und daran haben auch die Touristen der zivilisierten Welt ihren Anteil, die auf Photosafaris zu den indigenen Völkern reisen, die noch in relativer Isolation leben. Das hat zum Beispiel bewirkt, dass der Lippenteller der Frauen bei den Mursi im äußersten Südwesten Äthiopiens noch weiter gewachsen ist. Als Reaktion auf das photographische Interesse. Wer eine größere Lippe hat, bekommt mehr Klicks und mehr Geldscheine. Aber dieser Schattenverkauf berührt die eigentliche Frage nur marginal. Wichtiger ist, dass die Wirklichkeit der indigenen Völker ganz anders aussieht als unsere hehre Vorstellung von ihnen. Und unsere Überzeugung, ihre Lebensweise müsse auf jeden Fall bewahrt werden. Ist das wirklich so wünschenswert? Die Lebenserwartung bei den indigenen Völkern ist aufgrund schlechter Hygiene meistens niedrig, Hexenglauben und Gewalt sind an der Tagesordnung, Freundschaften sind zweckorientiert, Nahrungsmitteltabus führen zu schlechter Ernährung, religiöse Vorstellungen zu unnötigen Ängsten, die Sexualität ist reglementierter als in westlichen Gesellschaften. Und auch mit der Umwelt gehen die sogenannten Naturvölker nicht immer schonend um. Die Maori verbrannten anfangs des 14. Jahrhunderts fast den gesamten Wald Neuseelands. Bei vielen Naturvölkern hat Gewalt einen hohen Stellenwert. Bei manchen Gruppen im Omo-Tal in Äthiopien muss ein Mann einen anderen Mann getötet haben, um überhaupt heiratsfähig zu sein, bei den Hamar werden alle Frauen zur Initiation ausgepeitscht, bei dem Volk der Arbore werden den Mädchen die mittleren unteren Schneidezähne aus dem Kiefer gebrochen. Ganz zu schweigen von der allgegenwärtigen Verstümmelung der Vulva, mit Rasierklinge oder Küchenmesser von medizinisch ahnungslosen Laien durchgeführt. Ethnologen erklären solche Praktiken mit der inneren Logik dieser Gesellschaften: Die Altentötung oder Aussetzung der Alten bei den Kalahari diene dem Überleben der Gruppe. Aber muss man das deshalb gut finden? Jedenfalls gibt es keinen Grund, Naturvölker zu idealisieren. Auch wenn bei ihnen die Kinder autonomer aufwachsen als bei uns, auch wenn hier niemand einsam ist, auch die Alten nicht, auch wenn immer jemand für einen da ist. Weber, Christian: „Dschungelmärchen“, in: Süddeutsche Zeitung 239/2016: 36-37)

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Des Pudels Kern

Wir wünschen jemanden zum Teufel, wir geraten in Teufels Küche, wir malen den Teufel an die Wand (oder bitten vielmehr andere, es nicht zu tun), wir sprechen von einem Teufelskerl, aber auch von einem armen Teufel, aber auch von einem Satansbraten, wir sagen, dass jemanden der Teufel reitet und der Teufel ist los und wir verteufeln jemanden. Der Teufel hat die Phantasie des Menschen angeregt (und Ängste geschürt), und das hat sich in der Sprache niedergeschlagen, auch in den vielen Namen, die wir ihm gegeben haben: Teufel, Satan, Luzifer, Beelzebub, Mephistopheles und Euphemismen wie Gottseibeiuns. In der Botanik gibt es die Teufelskralle, die Teufelsbeere,  die Teufelsmilch, den Teufelsbart, die Teufelskirsche, und in der Zoologie die Teufelsnadel (eine Libelle), die Teufelsklaue (eine Schnecke), die Teufelsblume (eine Heuschrecke), die Teufelskatze (die Raupe des Feuchtspinners) und den Teufelsrochen.

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Rauchzeichen

Anhand des Rauchens kann man eine Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts schreiben. Um 1900 waren Zigaretten, Zigarren und Pfeifen den oberen Schichten vorbehalten, und zwar fast ausschließlich den Männern. Der 1. Weltkrieg brachte dann eine Demokratisierung des Rauchens, allerdings nur unter den Männern. Im Dritten Reich befand sich der Tabakkonsum auf dem Rückzug, denn die Nazis fürchteten Schaden am Volkskörper durch den Tabakkonsum. Nach dem 2. Weltkrieg begannen dann auch die Frauen zu rauchen. Rauchen war Mode, es wurde überall und ständig geraucht, und niemand beklagte sich. Der Verbrauch pro Person und Jahr stieg auf über 2.000 Zigaretten. Dann ging es im Zuge  der Gesundheitsbewegung langsam bergab mit dem Rauchen. Heute ist der Verbrauch auf unter 1.000 Zigaretten pro Person und Jahr gesunken. Und es gibt eine deutliche soziale Komponente: Jugendliche rauchen immer weniger, der Tabak ist einfach nicht mehr in, und Gymnasiasten und Studenten rauchen weniger als Hauptschüler und Realschüler. Der Tabak wird zu einem Privileg der Armen.

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Nero (3)

Neun Millionen Euro beträgt die Versicherungssumme für die Nero-Statue aus dem Louvre, die den jungen Nero zeigt. Er trägt eine Knabentoga. Die Toga zu tragen war ein Privileg. Die Knabentoga wurde mit 14 gegen die Toga der Erwachsenen getauscht. Nero wurde schon mit 13 für volljährig erklärt. Nero hält eine Schriftrolle in der Hand, als Zeichen von Bildung, und hat um den Hals ein Schutzamulett, Zeichen des Freigeborenen. Für das Amulett gab es eine Schatulle. Davon wird ein Exemplar neben der Skulptur gezeigt. Das Obergewand hat noch Farbreste, Purpur, auch ein Zeichen von Klasse. Nicht nur wegen der Versicherungssumme ist diese Skulptur eins der meistbeachteten Ausstellungsstücke.

Im gleichen Raum der Kopf einer Statue von Agrippina, der Mutter Neros, einer schönen Frau mit kunstvoll geflochtenem Haar und schönen, großen Augen. Man traut ihr die Ungeheuerlichkeiten, die ihr nachgesagt werden, gar nicht zu. Jedenfalls tat sie alles dafür, dass Nero Kaiser wurde. Sie heiratete ihren Onkel Claudius, den Kaiser. Dann sorgte sie dafür, dass Nero mit Octavia verheiratet wurde, der Tochter Claudius‘. Dafür musste die zuerst von einer anderen Familie adoptiert werden, um das Verbot der Geschwisterehe zu umgehen. Außerdem musste eine bereits bestehende Verlobung Octavias aufgehoben worden. Dazu wurde der Verlobte des Inzests beschuldigt. Schließlich sorgte sie dafür, dass Nero Vorzug gegenüber Britannicus bekam, dem Sohn Claudius‘. Das Verhältnis zu Britannicus blieb kompliziert, gespannt. Nero entstammte also einer Patchworkfamilie. Sein Vater, Ahenobarbus, ‚Bronzebart‘, war gestorben, als Nero zwei Jahre alt war.

Die Geburt Neros fiel genau mit dem Sonnenaufgang zusammen. Das wurde merkwürdigerweise als schlechtes Omen angesehen, jedenfalls von den späteren Schriftstellern, die das Urteil über ihn längst gesprochen hatten. Ebenso wurde seine Steißgeburt als schlechtes Omen gewertet. Man komme mit dem Kopf zuerst auf die Welt, befand man. Mit den Füßen zuerst trete man den Weg ins Jenseits an.

Schon früh wurde dafür gesorgt, dass Nero in Position gebracht wurde, was die Thronfolge angeht. Man sieht hier Münzen, auf denen sein Portrait mit dem Titel Princeps Iuventutis erscheint. Das war so etwas wie die Pole-Position für das Kaiseramt. Damit Nero Kaiser werden konnte, musste allerdings erst Claudius von der Bühne abtreten. Dafür sorgte, wie es hieß, eine Pilzvergiftung. Und die kam Agrippina und ihren Plänen so entgegen, dass die Mutmaßungen über einen Giftmord verständlich sind.

Tatsächlich wurde Nero mit 16 Jahren Kaiser! Er war der 5. und letzte Kaiser der julisch-claudischen Dynastie. Danach folgten die Soldatenkaiser. Auf einem Relief sieht man, wie Agrippina, mit dem Füllhorn ausgestattet, Nero krönt. Das war zwar nicht wörtlich wahr, wohl aber im symbolischen Sinn. Sie setzte alles daran, dass er Kaiser werden würde. An den Münzen ist abzulesen, wie sich das Verhältnis zu Agrippina im Laufe der Jahre veränderte: Auf den frühen Münzen erscheinen beide im Portrait, gleichberechtigt, einander ansehen, dann erscheinen beide im Profil, Agrippina halb von Nero verdeckt, und dann erscheint Nero alleine.

Die ersten fünf Jahre von Neros Amtszeit, das Quinquennium Neronis, galten als goldene Zeit. Aus dieser Zeit stammt ein Wandgemälde aus Pompeji, eins der bemerkenswertesten Exponate der Ausstellung. Man sieht den Ausschnitt einer Stadtlandschaft, mit einem hölzernen Kiosk, einem Gebäude mit Zeltdach, Bäumen und dem Amphitheater im Zentrum. Zum Amphitheater führen zwei große Freitreppen hinauf, und zwar direkt auf die höchsten Ränge. Im Amphitheater wird noch gekämpft, aber außerhalb sieht man Hooligans, die sich die Köpfe einschlagen. Genau das war passiert nach einem Spiel zwischen Pompeji und dem Nachbarort Nuceria. Es war zu blutigen Krawallen gekommen. Nero schritt ein und verbot die Spiele für zehn Jahre.

Dann geht es um Neros erste Residenz, den Palast auf dem Palatin, den er hatte ausbauen lassen und der sich bis zum Esquilin hinstreckte. Man sieht ein Stück der bunten Marmorverkleidung des Palastes, mit sehr schönen, geometrischen Figuren, die sich manchmal zu floralen Motiven zusammenfügen.

Dieser Palast, Domus Transitoria, wurde bei dem berühmten Brand von 64 vollständig zerstört. Brände waren in Rom an der Tagesordnung, aber diesmal waren die Windverhältnisse ungünstig, und der Brand war nicht in einem Privathaus, sondern im Circus Maximus ausgebrochen. Und schließlich war Wasser aus der öffentlichen Wasserleitung abgezweigt worden! Von den 14 römischen Stadtbezirken blieben nur 4 verschont, 3 wurden völlig zerstört. Schon seit Augustus gab es eine gut ausgerüstete Feuerwehr, 7000 Mann stark! Dazu sieht man hier wunderbare Exponate: einen Löscheimer aus Bronze, eine Axt aus Eisen, einen hydraulischen Pumpe aus Bronze, die einzige aus der Zeit erhaltene. Dazu gibt es verrußte Keramikteile und ein völlig verzogenes Eisengitter, Teil eines Eisentors. Unglaublich, dass sich so etwas erhalten hat!

Neros Krisenmanagement war vorbildlich. Einige Maßnahmen werden in der  Ausstellung auf Münzen dargestellt: Senkung der Getreidepreise, Verteilung von Geldmitteln, Wiederaufbau des Vesta-Tempels auf eigene Kosten. Vor allem aber traf er Maßnahmen zur Vorbeugung, alles sehr modern: Die erlaubte Häuserhöhe wurde verringert, die Häuser durften keine gemeinsamen Wände mehr haben, der Anteil von Holz bei den Häusern wurde verringert, verbindliche Löschmittel wurden festgelegt. Außerdem wurden die Wasserleitungen verbessert. Man sieht hier ein Wasserrohr aus Blei, auf dem der Name Nero zu sehen ist, und ein Steinquader, auf dem das erneuerte Aquädukt zu sehen ist. Nero traf Vorrichtungen, die verhindern sollten, dass Wasser für Privatzwecke abgezapft werden konnten.

Anstelle der Domus Transitoria errichtete Nero sich die noch prächtigere Domus Aurea, sehr zum Schaden seines Nachruhms. Deren luxuriöser, achteckiger  Festsaal ist hier nachgeahmt. An der Decke bewegliche Elfenbeinplatten, die das Himmelsgewölbe darstellen. Durch Löcher in den Platten konnten Rosenblätter auf den Boden geweht oder angenehme Aromen ausgeschüttet werden.

In der Mitte des Raumes steht ein rätselhafter Globus, wohl der älteste seiner Art. Er ist aus Messing und zeigt 48 Sternbilder. Was der allerdings mit der Domus Aurea zu tun hat und wo in dem Globus die Erde, vermutlich als Scheibe, versteckt ist, wird nicht klar.

Die Auffindung der Fresken in der Domus Aurea am Beginn der Neuzeit gab der Kunstgeschichte ein neues Wort: Die Fresken, die sich in der Kellern, in den „Grotten“ des Hauses befanden, hießen fortan Grotesken. Das hat nichts mit grotesk zu tun.

Im Eingangsbereich der Domus Aurea stand die sagenumwobenen Kolossalstatue Neros, von der das später auf diesem Gelände entstandenen Kolosseum seinen Namen erhielt. Von der Statue ist so gut wie nichts übrig, aber man kennt sie durch Abbildungen auf Gemmen und Kameen. Die Statue war 35 m hoch, aus Bronze, und Nero engagierte den berühmten Bronzegießer Zenodoros für ihre Herstellung. Hier sieht man eine Kopie im Kleinformat, mit dem Gerüst der Bauarbeiter als Maßstab an der Seite. Nachdem Nero in Ungnade gefallen war, entfernte man seine markanten Gesichtszüge und verehrte die Statue als die des Sonnengottes.

Unter dem Titel in Saus und Braus gibt es Exponate zu den Festmählern. Die spielten bei Nero eine große Rolle. Auf einer Wandmalerei aus Pompeji sieht man ein Trinkgelage, das nach einem Gastmahl stattfand. Sklaven bewirten die Gäste, ein Sklave zieht einem gerade eingetroffenen Gast die Schuhe aus, ein anderer hilft einem Betrunkenen auf die Beine!

Dann sieht man ein bauchiges, blaues Glasgefäß, ein Gefäß, in dem der Wein mit Wasser und Gewürzen gemischt wird. Es ist das größte erhaltene seiner Art. Nero selbst war begeisterter Weintrinker. Er bevorzugte Falerner Wein, Wein aus Kampanien.

Als Imitat sieht man Ess- und Trinkgeschirr aus Silber. Daneben ein Tischchen mit drei Füßen, auch aus Silber, das zusammenklappbar ist.

Auf einem Mosaik sieht man einige der beliebtesten Speisen der Zeit: grüner Spargel, Geflügel, Meerestiere, Datteln. Zu den beliebten Vorspeisen gehörten auch Siebenschläfer. Die wurden mit Honig und Mohn gegessen. Ein wirklich ungewöhnliches Ausstellungsstück ist ein großes Keramikgefäß, das zur Aufzucht der Siebenschläfer diente, mit Schalen und Griffen an den Innenwänden.

Nero war passionierter Anhänger von Musik und Theater. Er trat selbst auf der Bühne auf und spielte die Kithara. In dem Raum, der sich diesem Thema widmet, sieht man Theatermasken. Die Originalmasken waren aus Leder, Stoff oder Holz und sind nicht erhalten, wohl aber Nachahmungen aus Gips, die als Dekorationselemente verwendet wurden. Alle Masken sind sehr expressiv. Alle Schauspieler trugen Masken.

Auch originale Musikinstrumente sind zu sehen, Teile einer Wasserorgel, zwei Flöten, eine aus Bronze und Bein, eine aus Silber und Bein, und vor allem eine riesiges, rundes Horn, mit einer großen Schallöffnung am Ende. Auf einem Mosaik sieht man, wie ein Musiker das Horn spielt. Zwei Statuetten zeigen Flötenspieler, einer davon mit einer Doppelflöte.

Am Ende des Raumes in einer gesonderten Vitrine eine Kalksteinsäule mit einer Inschrift, eine Grabstele, die den ältesten komplett erhaltenes profanen Liedtext enthält, mit griechischen Buchstaben. Über dem Text finden sich Symbole, Buchstaben und Striche, die die Melodie wiedergeben.

Nero hatte ein großes Faible für Griechenland. Er reiste 66 mit großem Gefolge dorthin. Dabei machte er den ersten Spatenstich zum Bau des Kanals von Korinth. Dazu ist hier eine etwas verzogene, ursprünglich vergoldete Schaufelhacke zu sehen, mit der dieser erste Spatenstich gemacht worden sein soll. Nach Neros Tod wurde das Projekt wieder aufgegeben.

Nero nahm auch an allen möglichen Spielen teil und gewann eine Unzahl von Preisen. Die Termine der Spiele mussten seinetwegen verlegt werden. Zu den Spielen sieht man hier eine hochinteressante Grabstele, die eines Sportlers, der bei acht verschiedenen Spielen Kränze gewann. Solche Kränze sind auf der Stele abgebildet: ein Lorbeerkranz aus  Delphi, ein Kranz aus Olivenblättern aus Olympia, ein Kranz aus Schilf aus Actium, ein Kranz aus Getreideähren aus Neapel, ein Kranz aus Eichenlaub aus Smyrna usw.

Nero gewährte, als er in Griechenland war, den Griechen die Freiheit, und das beinhaltete auch Steuerfreiheit, eine Maßnahme, die in Rom für viel böses Blut sorgte. Auf einer Kalksteinplatte ist in dicht gesetzten Buchstaben der gesamte Text der schwülstigen Rede wiedergegeben, die Nero anlässlich der Verleihung der Freiheit im Stadion hielt.

Neros Stern ging immer weiter hinunter. Sein Desinteresse an Politik, Fehlentscheidungen, Mangel an Diplomatie, zahlreiche Verfehlungen brachten ihn die Bredouille. Allerdings war das Sündenregister nicht größer als bei anderen Herrschern, aber ihm wurde es stärker angekreidet.

Verlorene oder verlustreiche Kriege, Aufstände und schließlich die Tötung der beliebten Octavia beschleunigten seinen Niedergang. 68 wurde er vom Senat zum Staatsfeind erklärt. Er entzieht sich der für ihn vorgesehenen grausamen Hinrichtung durch Selbstmord. Allerdings hat er nicht den Mut, den Dolch in die Brust zu führen und muss seinen Begleiter Epaphroditos um Hilfe bitten. Er bekommt kein offizielles Begräbnis. Nur seine beiden Ammen und seine Geliebte Acte begleiten den Toten.

Bald setzte die Damnatio memoriae ein. Sein Name wurde aus Inschriften getilgt, wie man hier an einer Steinplatte sehen kann, oder seine Gesichtszüge wurden verändert, wie man hier anhand einer Büste sehen kann, die eigentlich Nero, dann aber Domitian darstellte. Auch auf Münzen sieht man, wie sein Profil mit Hämmern bearbeitet wurde. Auf einer Münze hat man seine Haartracht entfernt. Kaiser mit Glatze.

(Sonderausstellung im Landesmuseum)

 

 

 

 

 

 

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Nero (2)

Nero folgte seinem Adoptivvater Claudius auf den Thron. Er wurde damit der 5. Römische Kaiser. Er beging schon mit 30 Selbstmord. Mit seinem Tod ging eine  friedliche und für die einfachen Menschen gute Kaiserzeit zu Ende.

Die Ausstellung zeigt nicht den „wahren“ Nero, sondern das – oft verzerrte – Bild, das man sich im Laufe der Jahrhunderte von ihm gemacht hat. Nero war für die Nachwelt einerseits ein lächerlicher Möchtegernkünstler, andererseits der Inbegriff des Bösen.

Einer der Schwerpunkte der Ausstellung ist das Nachleben von Nero auf der Bühne und im Film und im Buch. Gleich zu Anfang gibt es eine beeindruckende Menge von Werbeplakaten für Filme, die Nero zum Gegenstand haben, auch wenn er nicht immer im Titel erscheint: Mio figlio Nerone, The History of Mankind, Le calde notte di Popea. Auch einer der ersten Filme überhaupt, ein Film, der nur eine Länge von einer Minute hat, hatte Nero zum Thema. Es gibt sogar ein Brettspiel, das Nero heißt. Und dann gibt es natürlich Quo vadis? Das Buch, für das Sienkiewics den Nobelpreis bekam, gibt es hier in verschiedenen Ausgaben. Und Szenen aus dem Film mit Peter Ustinov. Der Film verbindet die legendäre Begegnung von Jesus und Petrus („Quo vadis, domine?“) mit Motiven der Christenverfolgung. Viele der Filme sind billige Machwerke, aber es gab auch schon in den fünfziger Jahren Filme, die sich kritisch mit dem eigenen Thema auseinandersetzten.

Das negative Image geht schon auf die ersten Biographen zurück. Der Mord an Britannicus, der Selbstmord Senecas, die Hinrichtung der Christen, der Brand Roms standen im Vordergrund. Flavius Josephus machte es sich zur Aufgabe, diese Vorstellung zu relativieren, aber das wirkte nicht nach. Die allererste Beschreibung Neros stammt von Sueton. Demnach war Nero eher schön als fein, hatte einen feisten Nacken und einen Schmerbauch. Die Beschreibung entstand aber erst spät nach Neros Tod.

Mittelalterliche Auslegungen nahmen antike Quellen als Ausgangpunkt und schmückten sie nach Belieben aus. Nero wird vor allem als Lüstling dargestellt. Er soll Sex mit der Mutter und der Schwester gehabt und einen Mann zur Frau gehabt haben.

In einem Tarotspiel sieht man eine Karte, auf der Nero beim Brand von Rom ein Kind in die Flammen wirft. Nero war, als der Brand ausbrach, allerdings gar nicht in Rom. Er hielt sich auf seinem Landsitz in Antium auf. Der Brand vernichtete ein Drittel Roms. Nero kam sofort zu Hilfe, öffnete seine Privatgärten als Notunterkünfte, ließ Lebensmittel herbeischaffen. Und sein eigener Palast wurde zerstört. Allerdings ließ er dann die noch viel größere und prächtigere Domus Aurea errichten (von deren Kolossalstatue das Kolosseum seinen Namen hat), und das brachte ihn in den Verdacht, von dem Brand profitiert zu haben.

Im Mittelalter und der frühen Neuzeit galt Nero einfach als Ungeheuer. In der Apokalypse des Beato de Liébana erscheint er als apokalyptischer Tyrann. In der Weltchronik des Jans Jansen wird ein Thema aus der Geheimen Offenbarung aufgenommen, in der von der Geburt einer Kröte die Rede ist. Aus der Chronik wird  ein Bild in hellen Farben gezeigt, das Nero liegend darstellt, mit einer kindlich wirkenden Krone auf dem Kopf. Zu seinen Füßen ein Bottich mit der Kröte. Der Legende nach hatte Nero versucht, schwanger zu werden und ein Kind zu gebären, um seine Göttlichkeit unter Beweis zu stellen, denn nur den Göttern war es vergönnt, das Geschlecht zu wechseln. Das sahen die Christen als Sakrileg an, als  Verstoß gegen die gottgewollte Ordnung. Die Legende wurde etymologisch untermauert, indem man unterstellte, das Wort Laterana basiere auf dem Wort für ‚Kröte‘. Die Kröte stand gleich für drei Todsünden: Habsucht, Hochmut, Wollust.

Seinen Durchbruch als Thema schaffte Nero in der frühen Neuzeit. Aus dieser Zeit sind Kupferstiche, Federzeichnungen, Radierungen vertreten. Nero, ziemlich realistisch dargestellt, nach dem Vorbild der Darstellung auf antiken Münzen, mit zusammengebissenen Lippen, vorgeschobenem Kinn, Hakennase, angestrengter Mimik. Auch ein Stuckwerk von der Rathauslinde in Köln zeigt ihn so.

Claudius hatte Neros Mutter Agrippina geheiratet und ihn als Adoptivsohn angenommen. Sein ärgster Konkurrent war Britannicus, der Sohn Claudius‘. Der soll von Nero vergiftet worden sein. Dazu gibt es hier ein wunderbares, großformatiges Ölgemälde von Sylvestre, in dem das Gift an einem Sklaven ausprobiert wird. Der Sklave windet sich unter den Augen Neros und der Giftmischerin Locusta am Boden, im Todeskampf. Locusta, dunkelhäutig, mit Zopf und Ohrringen, an eine Zigeunerin erinnernd, stützt einen Arm vertraulich auf das Bein Neros. Das Gift gegen Britannicus soll bei einem Festessen eingesetzt worden sein. Allerdings ignoriert die Legende, dass es damals noch gar kein so schnell wirkendes und unauffälliges Gift gab!

Nero nahm sich das Leben, indem er sich einen Dolch in die Kehle stieß. Das wird hier auf einem dramatischen Ölgemälde dargestellt. Ein ganzes Bündel von Menschen stürzt sich auf ihn wie Ringer, um ihn vom Selbstmord abzuhalten. Historisch, sagt man, sei er eher zum Selbstmord angestiftet worden.

Ein verwandtes Motiv ist der Selbstmord Senecas. Seneca wurde als Erzieher Neros von Agrippina an den Hof geholt. Verzicht und Askese waren seine Leitmotive. Selbst war er aber einer der reichsten Männer Roms. Seneca soll von Nero zum Selbstmord angestiftet worden sein. Der Selbstmord wird auf einem Ölgemälde von Honthorst (XVII) in dramatischem Chiaroscuro dargestellt. Ein Arzt schlitzt mit einem Messer die Venen Senecas auf, ein anderer reicht ihm den Schierlingsbecher. Aus den Armen läuft Blut. Senecas Füße ruhen in einer Schüssel mit Wasser. Das soll den Prozess beschleunigen. Seneca, mit entblößter Brust und gepflegtem Bart, hat eine würdige Haltung. Das Licht, dessen Quelle nicht sichtbar ist, aber das Teile des Bildes stark erhellt und schwere Schatten wirft, fällt auf ihn.

Dasselbe Motiv erscheint auf einem anderen Ölgemälde. Altomonte, der Maler, verlegt die Szene ins Freie! Hier ist Nero bei dem Selbstmord Senecas präsent, in einer Sänfte sitzend, auf der linken Seite des Gemäldes. Seneca erscheint auf der rechten Seite. Farblich sind die beiden Bildhälften voneinander abgesetzt. Links dominieren Braun und Rot, rechts dominieren Grün und Weiß. Die Gesten der Beteiligten sind manieriert, trotz des dramatischen Ereignisses.

Ein besonders schönes Gemälde hat den Brand von Rom zum Thema. Das Gemälde, von Hubert Robert, dem „Ruinenmaler“, zeigt das nächtliche brennende Rom im Hintergrund, aus der Ferne durch einen erhöhten Arkadengang betrachtet. Die roten Flammen heben sich von dem dunklen Hintergrund ab und haben ihre eigene Schönheit. Bei einem solchen Gemälde erfährt der Betrachter, laut Burke, das „Erhabene“, das „Sublime“, ein wonnevolles Grauen angesichts der Darstellung von Gefahr oder Schmerz.

Eine interessante Geschichte hat eine Gipsfigur von Emilio Gallori (XIX), die Nero in Frauenkleidern darstellt, mit männlichen Gesichtszügen, aber weiblicher Pose. Sie erregte Unmut und wurde von der Wiener Weltausstellung ausgeschlossen, unter dem Vorwand, es handele sich um eine Gipsfigur und es würden nur Marmorfiguren akzeptiert. Bis heute ist schwer zu entscheiden, was die Figur eigentlich darstellt. Ist es Nero auf der Bühne? Man weiß, dass Nero mehrmals auch in Frauenrollen auftrat. Oder ist es eine Anspielung auf seine Hochzeiten? Er vermählte sich zweimal mit freigelassenen Sklaven, Sporus und Pythagoras. In einem Fall übernahm er die Rolle des Bräutigams, in dem anderen die der Braut.

Eine Bronzefigur (der Abguss eines Originals, das ebenfalls aus Gips war) zeigt Nero mit Seneca. Seneca hat eine Schriftrolle auf dem Schoß. Er weist mit einem Finger darauf. Nero sitzt ihm gegenüber, lässig zurückgelehnt, eher gelangweilt. Seneca macht dagegen einen konzentrierten, engagierten Eindruck. Hinter ihm steht eine Trommel, die weitere Schriftrollen enthält.

Im oberen Stockwerk ist das goldbestickte Seidengewand der Kaiserin Kunigunde (Reproduktion) mit Szenen aus der Petrus-Vita zu sehen. Hier sieht man, wie Nero von Wölfen gerissen wird. Der christlichen Legende zufolge hatte er aus Rom flüchten müssen und war in den Wald geraten, nachdem es einen Aufstand gegeben hatte wegen der Hinrichtung von Petrus und Paulus.

Auf einem kleinformatigen Bild wird dargestellt, wie Sporus auf Befehl Neros entmannt wird. Er hatte Sporus in Frauenkleider gesteckt und nach Frauenart geschmückt. Dies gehört zu den historisch nicht nachgewiesenen Grausamkeiten Neros. Historisch verbürgt sind die Ermordungen von Agrippina, seiner Mutter, und von Octavia, seiner ersten Ehefrau. Die soll auf Betreiben seiner damaligen Geliebten Poppea getötet worden sein. Auf einem Gemälde wird dargestellt, wie dem im Halbdunkel auf einer Bank sitzenden Paar das Haupt der getöteten Octavia auf einem Tablett präsentiert wird, eine Szene, die an die Geschichte um Salome erinnert.

Historisch nicht verbürgt ist die Tötung von Poppea, Neros zweiter Ehefrau. Sie ist hier mit einem sehr schönen Portrait vertreten, mit feinen Gesichtszügen und einem hauchdünnen, weißen Schleier, der ihr vom Kopf über die Schulter fällt. Nero soll sie durch einen Fußtritt in den Unterleib während ihrer Schwangerschaft getötet haben. Heute geht man eher von Schwangerschaftskomplikationen als Grund für ihren Tod aus.

In einem Kupferstich (XVI) sieht man Messalina, Neros dritte Frau. Mit ihr reiste er nach Griechenland, zu den Olympischen Spielen. Sie hatte keine so große Nachwirkung wie Poppea, seine zweite Frau.

Aus dem Rahmen fällt ein Gemälde von Smirnow, einem russischen Maler, das den Tod Neros schildert. Nero liegt auf dem gepflasterten Boden, wohl im Freien, vor einer Marmorstufe. Blut läuft aus seinem Kopf. Er ist nicht als Kaiser kenntlich gemacht. Hinter ihm, auf einem Gehweg, sind zwei Frauen mit einer Trage zu sehen, mit verzierten Griffen. Sie sind gekommen, um den Toten zu bestatten. Im Zentrum des Gemäldes steht seine letzte Geliebte, eine befreite Sklavin, die einzige, die ihm die Treue gehalten hat. Sie trägt Ohrringe und einen Schleier und blickt sinnierend auf den toten Nero.

Dieses Gemälde gehört noch in die letzte Phase des Nero-Booms, den es im 19. Jahrhundert gab, parallel zur Historienmalerei der Epoche. Im 18. Jahrhundert war Nero ins Abseits geraten. Davor gab es seit der Renaissance Dramen über Nero, meist mit zeitgenössischem Bezug. Von zentraler Bedeutung was Britannicus von Racine. Die Aufführungspraxis änderte sich im Laufe der Zeit, u.a. durch die Einführung historischer Kostüme statt zeitgenössischer Kostüme, und auch das Bild von Nero änderte sich. Führende französische Schauspieler traten in dem Stück auf, darunter Talma, den man hier als nachdenklichen Nero mit Lorbeerkranz in antikem Kostüm auf einem Gemälde von Delacroix sieht. Die Darstellung erinnert auch an Napoleon, den Talma verehrte.

In der Oper war Nero vor allem in Italien von Bedeutung, in Dramen vor allem in England und Frankreich. Liebesgeschichten und Hofintrigen standen im Vordergrund. Auf einem Ölgemälde sieht man das aufwändige Bühnenbild der Oper Nero von Mascagni, in der es um Nero als Künstler ging. Eine riesige Palastanlage, in der ein römisches Gelage stattfindet, bildet den Vordergrund. Im Hintergrund läuft auf einer erhöhten Bühne eine Szene aus der Oper, vor einer reichen, bunten Kulisse mit klassischen Säulen. Auf der Bühne sind fast so viele Figuren vertreten wie bei dem Gelage. Musikalisch wurde das Thema auch von Händel, Monteverdi und Boito behandelt. Aus Händels Oper sieht man hier einen Teil der Partitur.

Die einzig komische Variante ist Quo vadis?, eine Zarzuela von Chapí, Sie handelt von einem Arbeitslosen, der durch ein magisches Brötchen eine Zeitreise antritt, auf der er Nero, dem Cid und dem Emir von Cordoba begegnet.

Eine ganz exzentrische Behandlung des Themas stammt von vier russischen Künstlern, darunter Malevich. Die Besonderheiten der Oper waren eine unverständliche Handlung, gewolltes Falschsingen, nicht gestimmte Instrumente und dadaistische Texte. Die Oper hieß Sieg über die Sonne. Sie erlebte nur zwei Aufführungen.

Am Schluss der Ausstellung gibt es noch moderne Karikaturen zu Nero. Immer wird das Motiv des leierspielenden Nero vor dem brennenden Rom aufgenommen, eine weltweit bekannte Ikone. Als Nero erscheinen in den Karikaturen heutige Berühmtheiten wie Berlusconi, Bush oder Blatter. (Sonderausstellung im Stadtmuseum Trier)

 

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Nero (1)

Ein verstörendes Exponat findet sich mitten in der Ausstellung. Es ist eine in Kalkputz geritzte Darstellung der Kreuzigung, eine der ältesten überhaupt. Aber sie stammt nicht von den Christen! Es ist eine Spottzeichnung. Christus wird mit dem Kopf eines Esels dargestellt! Für die „heidnischen“ Römer war der Esel ein verachtenswertes Tier, die Kreuzigung die schändlichste aller Hinrichtungsarten, etwas für Schwerverbrecher und Sklaven.

Den Römern muss das Christentum befremdlich erschienen sein. Das Gebot der Nächstenliebe wirkte wie eine Aufforderung zu sexueller Ausschweifung, die Eucharistie wie Kannibalismus.

Das bringt einen zu Petrus und Paulus. Sie wurden vermutlich unter Nero hingerichtet, aber ob im Zusammenhang mit dem Brand Roms oder nicht, ist unklar. Petrus wurde, auf eigenen Wunsch, mit dem Kopf nach unten gekreuzigt. Für Paulus kam eine Kreuzigung nicht in Frage. Er war römischer Bürger und hatte „etwas Besseres“ verdient. Er wurde enthauptet.

Ganz zu Beginn der Ausstellung sieht man (in Kopie) ein riesiges Ölgemälde eines polnischen Künstlers. Es zeigt, wie Nero auf einer Sänfte zu einer Hinrichtung  getragen wird. Christen, die Brandstifter, werden getötet, sie werden verbrannt! Warum ein polnischer Künstler? Die Polen identifizierten sich nach der Teilung Polens mit den unter Nero hingerichteten Christen!

Ein weiteres ganz besonderes Exponat ist das Mindener Kreuz. Auf der Vorderseite ist im Zentrum eine Kamee mit dem Profil eines Kaisers. Es ist Nero! Wie kommt Nero auf ein christliches Kreuz? Man wusste nicht, dass es Nero war, man glaubte, es wäre Karl der Große, und der war der Gründer des Mindener Doms! Auf der Rückseite, dort, wo auf der Vorderseite Nero ist, befindet sich ein Kreuz. Nero, der vermeintliche Christenverfolger, auf einem christlichen Kreuz! Vermutlich stammt die Kamee von einem Vorgängerkreuz. An der Vorderseite sind an den vier Kreuzesenden die vier Evangelisten zu sehen, auf der Rückseite die vier Kirchenväter.

In einem Kupferstich sieht man Christen als menschliche Flammen. Es kursierte das Gerücht, Nero habe sie zur Beleuchtung Roms aufgestellt. Trotz der Ablehnung der Christen durch die Römer waren solche Gerüchte dazu angetan, Mitleid mit den Christen zu erwecken.

In einem Blatt der Trierer Apokalypse, noch ganz in der antiken Tradition stehend, erscheint die Hure Babylon, voll vom Blut der Märtyrer, in der Gesellschaft von Sieben Königen, Königen, die sich ihr unterworfen haben. Dies ist eine Referenz auf einen Auszug aus der Geheimen Offenbarung. In der christlichen Tradition wurde die Hure oft mit Nero identifiziert, auch das aus dem Meer aufsteigendem Untier und die Zahl 666 wurden mit Nero identifiziert. Nero war der Antichrist.

Im Zentrum der Ausstellung stehen Exponate zur christlichen, zur jüdischen und zur römischen Religion.

Die römische Religion war eine Opferreligion. Auf den Glauben kam es nicht an, auch nicht auf den Lebenswandel. Im Grunde war die römische Religion eine tolerante Religion, die allerdings Blutopfer und Kaiserkult einforderte.

Der Opferaltar stand vor dem Tempel, im Tempel stand das Kultbild der Gottheit. Neben Tieren wurden auch Statuetten, Blumen und Münzen geopfert. Es gab Altäre ohne Tempel, aber keine Tempel ohne Altäre.

Bei Tieropfern wurde das Tier vor dem Opfer mit einem Hammer betäubt. Das sieht man hier auf einem wunderbaren Gemälde, auf dem neben dem Opferstier ein Mann mit erhobenem, langstieligem Hammer steht.

Für die Münzopfer gab es auch besondere Vorrichtungen, wie hier an der Figur einer Tyche zu sehen, die einen Schlitz zwischen den Händen hat, in dem man die Münzen warf. Das war der Vorläufer des christlichen Opferstocks und des kapitalistischen Sparschweins.

Die Toleranz der römischen Religion zeigt sich auch in den verschiedenen Mischformen und im Import fremder Götter. Dazu gehörten Kybele und Isis. Einheimische Götter wurden mit römischen vermischt oder verbreiteten sich unter anderen Vorzeichen. Hier sieht man ein Relief der keltischen Göttin Epona, auf einem Pferd sitzend, mit einer Schale mit Früchten in der Hand. Sie war eine Göttin der Fruchtbarkeit, wurde dann aber im ganzen Reich verehrt, bis nach Afrika, aber als Heeresgöttin!

Ein besonderes interkulturelles Paar bildeten Rosmerta und Merkur. Der wurde in den Provinzen mehr als jeder andere Gott verehrt. Sein typisches Attribut ist der Caduceus, ein Stab mit zwei Flügeln und zwei Schlangen. Oft erscheint er in der Gesellschaft von Rosmerta, hier vertreten mit einem schönen Bronzekopf (auf dem noch Spuren der Vergoldung zu sehen sind), der vermutlich Teil einer lebensgroßen, verlorengegangenen Statue war. Sie sieht traurig aus, nachdenklich, den Kopf leicht gesenkt. Das Haar ist kunstvoll geflochten und hat vorne eine Schleife. Die Statue wurde in einem Merkurgrab gefunden.

Im Zentrum der römischen Religion stand die Kapitolinische Trias, Jupiter zwischen Minerva und Juno, in der Ausstellung durch eine Kalksteinstatue vertreten. Obwohl nicht ganz erhalten, kann man deutlich den Unterschied zwischen den beiden Göttinnen sehen, und es kommt mir so vor, als seien hier zwei Seiten der Weiblichkeit dargestellt.

Neben den offiziellen Göttern gab es private Götter, Laren, Penaten und Genien, Schutzgötter, die oft auf die individuelle Familie zugeschnitten waren oder auf eine Gemeinschaft. Man konnte sie sich sozusagen aussuchen. Auch hier steht das Christentum mit seinen Heiligen, aus denen man sich auch seine Favoriten aussuchen konnte, in der heidnischen Tradition. Auch der Opferaltar einer römischen Familie, der hier nachgebildet ist, lässt schon die christlichen Hausaltäre erahnen.

Unter byzantinischem Einfluss kam später auch die Verehrung des Kaisers als Gott nach Rom. Auf einem Kalkstein befindet sich eine Inschrift, die einen Mann als Priester des Augustus nennt.

Die Juden hatten zunächst eine angesehene Stellung im Römischen Reich. Ihr Einfluss ging bis ins Kaiserhaus. Sie waren von Kaiserkult befreit! Die Christen nicht. Dann gab es die ersten Attacken gegen die stadtrömischen Juden. Es ging ums Geld. Um die Tempelsteuer. Und dann, unter Vespasian, gab es den ersten jüdischen Krieg. Auf einer Kopie sieht man die berühmte Szene auf dem Titus-Bogen, wo Menora und Silberpfeifen aus Jerusalem abtransportiert wurden, mit der brennenden Stadt im Hintergrund.

Juden und Christen waren sich ursprünglich sehr nahe. Dass sie sich dann begannen, voneinander abzusetzen, sieht man hier an Alltagsgegenständen: Eine Öllampe zeigt die Abbildung der Menora.

Die Ähnlichkeit ist auch erkennbar an den Modellen einer Synagoge und einer Kirche, beide aus einer antiken Stadt in Syrien: Beide waren ursprünglich Wohnhäuser und wurden erst später umgewidmet. Beide sehen ähnlich aus. Und sie standen in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander.

Die Christen kannten im Gegensatz zu den anderen Religionen keine Blutopfer. Christ wurde man durch die Taufe. Hier ist ein Graffiti ausgestellt, in Liebfrauen gefunden, aus dem alten Dom stammend, das eine Anspielung auf die Taufe enthalten könnte. Aber in den ersten Jahrhunderten gab es noch keine Taufrituale. Das änderte sich dann, und man glaubt, dass die Vorbereitung auf die Taufe bis zu drei Jahre dauern konnte.

Im Gegensatz zum Judentum war im Christentum der Missionsgedanke zentral. Deshalb verbreitete es sich so schnell, von Palästina über Ägypten, Syrien, Kleinasien, Griechenland nach Rom.

Der Missionsgedanke steht auch hinter der (die Chronologie völlig missachtenden) Legende der Aussendung des ersten Trierer Bischofs, Eucharius, durch Petrus. Eucharius und Maternus waren bereits auf dem Rückweg nach Trier, als Maternus unterwegs der Tod ereilte. Eucharius ging zurück nach Rom, bekam von Petrus den Bischofsstab, ging zurück, erweckte Maternus mit dem Bischofsstab wieder zum Leben und ging mit ihm weiter nach Trier. Der Bischofsstab kam nicht nach Rom zurück, und deshalb trägt bis heute der Papst keinen Bischofsstab! Der Stab war ursprünglich vermutlich ein antiker Senatorenstab. Nach einigen Verwicklungen wurde er in drei Teile geteilt, von denen einer in Prag, einer in Köln, einer in Limburg (früher Trier) ist. Der Limburger Stab gehört zur Ausstellung, ist aber jetzt wegen der Einführung des neuen Bischofs von Limburg entfernt worden.

Eine weitere Besonderheit des Christentums war das Märtyrertum. Dazu gibt es hier ein ganz besonderes Ausstellungsstück mit lokalem Bezug. Es ist ein barocker Schrank, ein Schränkchen eher, eine Art Sekretär, der leergeräumt worden ist, um einer Heerschar von Wachsfiguren Platz zu machen, die auf verschiedenen Ebenen drei Szenen darstellen, alle verbunden mit der Thebäischen Legion. Das waren, der Legende zufolge, römische Soldaten aus Nordafrika, die sich zum christlichen Glauben bekannten und in Trier, zusammen mit zahlreichen Trierer Bürgern, den Märtyrertod starben. Ziemlich sicher ist das eine Legende, denn für die Zeit, die Regierungszeit Diokletians, sind keine Christenverfolgungen in Gallien bekannt.

Im oberen Teil, dem Hauptteil, vor der gemalten Stadtansicht von Trier, spielt sich die Szene der Tötungen ab, hochdramatisch ausgestaltet: Ein Soldat erhebt das Schwert, um einen knienden Mann zu enthaupten, ein Soldat schlägt mit einer Axt auf eine liegende Frau im Brokatkleid ein, ein Soldat überrennt mit seinem Pferd eine zu Boden stürzende Frau. Ein Gemetzel. Der genaue Ort des Geschehens ist durch ein Kreuz gekennzeichnet, das noch heute an gleicher Stelle steht, vor St. Paulin.

In der mittleren Ebene wird in merkwürdigem Kontrast dazu die Anbetung des Osterlamms dargestellt, in der unteren Ebene der Abtransport der Leichen. Auf Schubkarren werden Leichen entsorgt; der Boden ist mit Knochen und Körperteilen bestreut.

Unter Nero, und das ist eine der „Lehren“ dieser Ausstellung, gab es, entgegen der landläufigen Vorstellung, keine Christenverfolgung. Die Aktion gegen die Christen wegen des Brands war eine Strafmaßnahme. Die Christen, eine obskure Sekte, von deren Existenz er selbst möglicherweise gar nicht wusste, kamen ihm als Sündenböcke gerade recht. Dabei kamen ihm die allgemeinen Vorurteile gegen die Christen zugute, die sich abgesondert hatten und als Außenseiter oder Staatsfeinde galten. Die wichtigste Quelle für den Brand von Rom ist Tacitus. Er selbst hielt die Christen für eine gefährliche Sekte, aber hielt sie nicht für schuldig an dem Brand.

Die ersten Maßnahmen gegen Christen gab es unter Trajan. Aber es war noch keine systematische Verfolgung. Die Christen blieben unbehelligt, solange sie nicht angeklagt wurden. Nicht der Staat brachte die Anklage vor, sondern einzelne Bürger. So fördert man Denunziantentum. Die Christen brauchten aber, wenn angeklagt, nur das Opferritual vollziehen, dann war alles in Ordnung.

Ein prominentes Opfer der Verfolgung unter Trajan ist der Hl. Ignatius. Er wurde der Legende nach den Löwen vorgeworfen. Auf einer Ikone sieht man ihn, im vollen Bischofsornat und einem Buch in der Hand, von zwei Löwen umgeben, einen zu seinen Füßen, einen auf seiner Schulter. Die Löwen haben merkwürdig menschliche Gesichter.

Die erste systematische, reichsweite Christenverfolgung gab es unter Decius. Sie war politisch bedingt. Die logische Verknüpfung was so: Decius führte Kriege gegen Perser und Germanen. Das verursachte Ebbe in der Staatskasse. Also waren die Götter zornig. Und daran waren die Christen schuld, denn sie opferten den Göttern nicht. Alle mussten vor einer Kommission erscheinen und das Opfer darbringen. Dazu gibt es zwei wundervolle Ausstellungsstücke: Opferbescheinigungen auf Papyrusstreifen. Der Text war vorgefertigt, und es musste nur noch der Name des Christen eingetragen werden. Das klingt alles sehr vertraut, und auf verquere Art modern. Ebenfalls vertraut ist ein anderer Aspekt: Es gab Christen, die sich die Bescheinigung erkauften. Und römische Beamte, die das Spielchen mitmachten.

Ein prominentes Opfer der Verfolgung unter Decius ist die Hl. Agatha. Von ihr gibt es hier eine Terrakotta-Figur, die sich mit entblößter, blutender Brust an einem Marterpfahl darstellt.

Unter Valerius ging es nicht mehr um den Einzelnen, sondern um das Christentum an sich. Es wurde systematisch bekämpft. Zu den Maßnahmen gehörten ein Versammlungsverbot und das Verbot des Betretens christlicher Friedhöfe. Außerdem wurden Christen vom Senatorenamt ausgeschlossen und verloren andere Rechte.

Ein bekannter Märtyrer aus der Zeit des Valerius ist Laurentius. Er ist hier vertreten mit einem Relief aus der Liebfrauenkirche in Trier. Laurentius führt dem Kaiser den geforderten „Schatz der Kirche“ vor. Statt einer Truhe mit Geld bringt er ihm Arme, Kranke und Schwache, den Schatz der Kirche.

Die Verfolgungen endeten mit dem Toleranzedikt von Galerius (311). In Anspielung auf diese Zeit gibt es eine Sandsteinfigur des Eucharius mit einem an einer Kette gefesselten Ungeheuer. Der Symbolcharakter ist nicht zu übersehen.

Und daneben, zum Schluss der Ausstellung, noch mal ein ganz außergewöhnliches Exponat. Dem sieht man seine Bedeutung nicht an. Im Gegenteil, man fragt sich, was das hier zu suchen hat. Es ist das Korso einer ehemals voll ausgebildeten Statue. Die stellte vermutlich Venus dar. Es ist nur noch der abgerundete Rumpf und der irgendwie formlose Unterkörper zu sehen. Man glaubt sich an eine moderne Skulptur erinnert. Wie kam es zu der Beschädigung, die fast eine Form von Zerstörung ist? Es ist eine Form von Ikonoklasmus. Die Statue stand vor St. Matthias in Trier und wurde jahrhundertelang von Pilgern mit Steinen beworfen – als Götzenbild.

(Sonderausstellung im Dommuseum Trier)

 

 

 

 

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Spitz(el)

Ein Spitzel ist, etymologisch gesehen, spitz, und zwar gleich in dreifacher Weise: Ein Spitzel ist spitz im Sinne von ‘listig’ (wie in spitzfindig und Spitzbube), ein Spitzel spitzt die Ohren, ein Spitzel ist wie ein Spitz, d.h. wie ein wachsamer und durch sein Kläffen denunzierender Hund. Das Wort spitz selbst ist abgeleitet aus Spieß, und auch das hat eine Reihe von Wörtern mit verächtlichem Beigeschmack hervorgebracht wie Spießgeselle oder Spießbürger. (Storfer, Adolf Josef: Wörter und ihre Schicksale. Zürich: Atlantis Verlag, 1981: 392-398)

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Der Barthasser

Er trage einen Bart wie ein Ziegenbock, sagt er von sich selbst. Dabei könne er doch sein Kinn glatt und zart haben wie die jungen Männer und damit bei den Frauen punkten. Und außerdem sei so ein Bart doch ausgesprochen störend beim Küssen und eine Wohnstatt für die Läuse. Aber damit nicht genug, er habe auch noch eine wilde Mähne auf dem Kopf und Haare auf der Brust. Er sei eben ein Banause, ungehobelt, rau, bäuerisch. Er, der Kaiser, gehe nicht ins Theater und nicht in den Zirkus. Bei ihm sei Schmalhans Küchenmeister, und er habe keine Heizung, selbst im Winter nicht. Damit habe er sich hier, in Antiochia, dieser dynamischen, modernen, prosperierenden Stadt, dieser Perle des Ostens, nur Feinde gemacht. Man verachte ihn wegen seiner Unkultiviertheit. Das schreibt, selbstironisierend, Kaiser Julian, einer der Nachfolger Konstantins auf dem römischen Kaiserthron. Und ironisch, ironischer geht es nicht, ist auch der Titel des Schreibens, mit dem er sich an die Antiochier wendet: MisopogonDer Barthasser. Bei aller Ironie, es ist ihm ernst mit seinem Schreiben, bei aller scheinbaren Selbsterniedrigung, die Verachtung beruht auf Gegenseitigkeit. Die Antiochier, findet Julian, sind oberflächlich und dekadent, sie geben riesige Summen für das Bankett am Maifest aus, aber für die Stadt, für das Gemeinwohl haben sie nichts übrig. Und dann ist da noch ihre Religion. Er, Julian, habe den hier grassierenden Atheismus bekämpft, er habe den wahren Glauben wiederaufleben lassen. Und tatsächlich: Julian ließ niedergerissene Tempel wiederaufbauen und sorgte für die Rückgabe des konfiszierten Tempelguts. Damit machte er das rückgängig, was die „Atheisten“ angerichtet hatten. Diese „Atheisten“, das waren – die Christen! Die waren für Julian die Abweichler, diejenigen, die den alten Götterglauben abgeschafft, die Gebote und Gebräuche der Vorväter missachtet hatten. Diese “Atheisten” rächten sich später an ihm, indem sie ihm den Beinamen verpassten, unter dem er bis heute bekannt ist: Apostata, der ‚Abtrünnige‘. (Julian Apostata: Der Barthasser, herausgegeben und übersetzt von Marion Giebel. Stuttgart: Reclam, 1999)

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Sprachtest

Das älteste Königsgrab der Kathedrale von Krakau ist das von Władysław I., „Władysław Ellenlang“. Der erfand einen Sprachtest zur Identifizierung der ungeliebten Ausländer: Man musste die polnischen Wörter für ‚Linse‘, ‚Rad‘, ‚mahlt‘ und ‚Mühle‘ aussprechen, soczewica, kolo, miele, młyn. Das, so glaubte man, könne kein Ausländer.  Bei der “Sizilianischen Vesper”, der Erhebung gegen die französische Herrschaft des Hauses Anjou, wurden die Feinde dadurch identifiziert, dass sie ciceri aussprechen mussten. Wenn sie das nicht konnten, ging es ihnen an den Kragen. Im Französischen gibt es kein /t∫/. Diese gruselige Art von Sprachtest hat ihren Vorläufer im Alten Testament (Richter 12,5-6). An der Furt des Jordans wurde jeder, der hinüber wollte, aufgefordert shiboleth zu sagen. Wer das nicht konnte, verriet sich als Ephraimit und wurde erschlagen. Die Ephraimiten kannten kein /∫/. Das Wort Schibboleth hat Eingang ins Deutsche und andere europäische Sprachen gefunden, mit der Bedeutung ‘Erkennungszeichen’, ‘Losung’. Mit dem Wort cicero hängt sowohl unsere Entsprechung, Kichererbsen, zusammen als auch der Name Cicero. (Storfer, Adolf Josef: Wörter und ihre Schicksale. Zürich: Atlantis Verlag, 1981: 373-374)

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Rabe und Rappe

Bett und Beet, schlaff und schlapp, Reiter und Ritter, Knabe und Knappe, Schneider und Schnitter, Statt und Stätte, feist und fett, Rabe und Rappe bedeuteten ursprünglich – dasselbe. In schweizerischen Bibelausgaben ersetzte man z.B. Luthers Raben durch Rappen. Beide Wörter verbreiteten sich, aus verschiedenen Mundarten kommend, über ein gemeinsames Sprachgebiet, mit derselben Bedeutung. Das sieht man auch an Rappen als Wort für die Schweizer Münze. Der Rappen war ursprünglich eine in Freiburg gepägte Münze mit einem Adlerkopf. Der Adler war aber nicht ohne Weiteres als solcher zu erkennen und wurde vom Volk als Rappen (also als Rabe) verspottet. (Storfer, Adolf Josef: Wörter und ihre Schicksale. Zürich: Atlantis Verlag, 1981: 356)

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Kermani Superstar

Alle Welt schwärmt von Kermani. Und er bekommt Preise über Preise. Muss doch gut sein, dachte ich. Was für eine Enttäuschung. Jedenfalls nach Große Liebe zu urteilen. Was für ein Schmarrn! Eine selbstverliebte, inkohärente, kitschige Beschreibung der ersten Liebe, in hundert Kapiteln. Die hundert Kapitel voll zu bekommen, aber auch nicht zu übertreffen ist ständiges Anliegen des Autors. Das teilt er mit dem geplagten Leser. Der muss sich dann immer wieder die Überlegung anhören, ob es denn jetzt nicht bald Zeit werde für den ersten Kuss oder die erste Nacht. Der Inhalt ist nervtötend, aber die Sprache ist kein bisschen besser. Es werden alle Register gezogen, aber völlig willkürlich und wild durcheinander. Mal hört sich der “Roman” wie ein Auszug aus dem Protokoll einer Stadtratsstzung an, mal wie ein Jugendbuch, mal wie ein Leserbrief, mal wie ein unbeholfener Liebesroman aus der Erotikabteilung. Die Satzstellung ist oft merkwürdig gezwungen, die Ausdrucksweise künstlich obsolet, dann wieder flapsig-modern. Zitate können die Qualität der Sprache besser belegen als Argumente:

  • … den der verdiente Orientalist Fritz Meier aus Basel in einer Studie zu Baha-e Walad … erwähnt (50)
  • … nahmen jene Schüler nicht für voll, die keinen Menschen je groß geliebt (49)
  • Den Wein, den sie vor ihrem Lachanfall getrunken und den Joint, den sie gemeinsam geraucht.  (50)
  • … die ihm mit dem Kuss endgültig zuteil geworden (54)
  • … tiefer vorgedrungen als je ein Sufi, der Bücher noch schrieb (48)
  • … dass alles Suchen seither Sehnsucht nur ist (48)
  • Aus gegebenem Anlass möchte ich … (82)
  • … bedarf keines Hinweises mehr (72)
  • Weil ich eine Dröhnung aus eigener Anschauung kenne … (82)
  • … nicht den geringsten Schimmer (80),
  • … einen mordsmäßigen Aufstand machte (86)
  • … weil ich das Bändchen besorgt und nach dreißig Jahren noch einmal studiert habe (72)
  • … das Prinzip von Ying und Yang, über das ich seither eine ganze Menge las (80)
  • … nach Marihuana mehr als nur roch (80)
  • … wodurch für die Verzweiflung immer noch vierzig Seiten blieben, und schlösse ich heute … die Wegstrecke ab (40)
  • Ich kann mich auch erinnern, dass er achtgab, mit seinem Hosenschlitz nicht an den ihren zu stoßen, weil sich der Stoff schlagartig auswölbte (32)

 

 

 

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Typisch ungarisch

Als die ungarische Bühenschauspielerin Franziska Gaal zum ersten Mal in einem deutschen Film mitwirkte, beschloss man, dass sie wegen ihres Akzents eine Ungarin darzustellen habe. Außerdem sollte der Film einen ungarischen Titel haben, und so machte man das “ungarischste” aller Wörter zum Titel des Films: Paprika. Nur ist Paprika gar kein ungarisches Wort: Es ist eine slawische Verkleinerungsform von gr. piperi, ‘Pfeffer’, und das geht wiederum auf altind. pippali, ‘Beere’, zurück. Wie wäre es denn mit Husar als Ersatz für das ungarischste aller Wörter? Husar ist eine südslawische Vermittlung aus dem Romanischen und eigentlich eine Doublette von Korsar. Und Pusta? Auch Pusta ist ein Lehnwort und enthält die slawische Wurzel pust, ‘leer’. Bliebe noch Csárdás, ein Wort, das sich in der ganzen Kulturwelt als ein Stück echten Magyarentums durchgesetzt hat. Aber auch mit dem Magyarentum von Csárdás ist es nicht weit. Es ist eine Ableitung von csárda, ‘Heideschenke’. Das Wort ist erst 1790 zum ersten Mal belegt und ist ein Lehnwort slawischer Herkunft. (Storfer, Adolf Josef: Wörter und ihre Schicksale. Zürich: Atlantis Verlag, 1981: 311-320)

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Dark Blue vs. Light Blue

The University Boat Race, the race between the universities of Oxford and Cambridge, is an annual national event in Britain. You watch the Boat Race even if you are not interested in rowing (or in sports, for that matter). 250,00 spectators watch from the banks of the river, the Thames, an estimated 15 million watch on TV. The race has been run since 1845. Cambridge have won 82 times, Oxford 79, but Oxford have won more frequently since 2000. Cambridge also have the longest unbeaten run in Boat Race history (1924-1936) and they also hold the course record: 16 minutes, 19 seconds (in 1998). Oxford were the winner of the closest race, winning by 30 cm only (in 2003). Curiously, the heavier crew is more likely to win (8 out of the last 11 races). There has been one dead heat, and six times a boat has sunk. The length of the course is 6.8 kilometres, and the race is rowed upstream and timed to coincide with the incoming flood, so that the crews are rowing with the fastest possible current. There are two different starting points: Middlesex and Surrey. There have been 75 wins from Middlesex Station and 73 from Surrey Station. Who starts from where is decided by tossing a coin. Though this is an essentially British event, the rowers come from a number of nations, six in 2013: UK, USA, Australia, Canada, New Zealand, Czech Republic. What all Britons know (but hardly a foreigner) is what the colours stand for: Dark blue stands for Oxford, Light Blue stands for Cambridge.

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Wunderbare Wortvermehrung

Zum ersten Mal machte mich ein Student darauf aufmerksam: Manchmal stammen verschiedene Wörter in unserer Sprache von ein und demselben Wort in einer anderen Sprache ab. Aus dem lateinischen bilanx stammen sowohl Bilanz (durch Vermittlung über das Italienische) als auch Balance (durch Vermittlung über das Französische). Es gibt unzählige solcher Doubletten: Keller und Zelle, Hospital und Hotel, Slawe und Sklave, proben und prüfen, Pacht und Pakt, Ziffer und Chiffre, Möbel und mobil, Teppich und Tapete, Metal und Medaille, Partei und Partie, Kerker und Karzer, Küste und Kotelett, Alarm und Lärm, Parabel und Parole, Zither und Gitarre, Trumpf und Triumph, Kumpan und Kompagnon, Major und Meier, Kompott und Kompost, Linie und Leine, Pulver und Puder, Kolonne und Kolumne usw. Damit nicht genug: Manchmal sind es sogar drei Wörter, die aus einem stammen: Teint, Tinte und Tinktur, Boutique, Bodega und Apotheke, Staat, Status und Etat. Das Beispiel, das mir der Student nannte, war auch so eine Triplette: Pfalz, Palast und Palais. (Storfer, Adolf Josef: Wörter und ihre Schicksale. Zürich: Atlantis Verlag, 1981: 271-274)

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Reines Bier?

Nach dem Reinheitsgebot von 1516 durften nur noch Hopfen, Gerste und Wasser verwendet werden beim Brauen. Und das hatte seinen Grund. Bis zum späten Mittelalter gab es Hopfen nur im Norden, im Süden wurde er durch Kräuter ersetzt. Darunter waren Schleihe, Wacholder, Kümmel, aber auch Stechapfel und Bilsenkraut, und die waren giftig. Außerdem bekam das Bier seine Farbe nicht immer durch den Hopfen, sondern auch durch Baumrinde oder Ruß. Das Reinheitsgebot war also dringend notwendig. Es war eine gesundheitspolitische Maßnahme. Aber auch eine wirtschaftliche. Dadurch, dass nur noch Gerste verwendet werden durfte, verhinderte man, dass Weizen zum Einsatz kam. Denn den brauchte man für das Brot.  Auf das Reinheitsgebot schwört jeder deutsche Biertrinker. Hört sich ja auch gut an. Aber das Reinheitsgebot hat seine Tücken. Das alte Reinheitsgebot war eher ein Verbraucherschutzgesetzt oder ein Drogengesetz. Das Problem beim Bier war nämlich, dass es viel Nachfrage und nicht genug Rohstoffe gab. Deshalb wurde gepanscht, und das ging auf Kosten der Gesundheit. Und das Reinheitsgebot kannte immer schon Ausnahmen. Auch wenn gesagt wird, es bestehe schon seit 500 Jahren. Schon bald nach dem Gesetz von 1516 wurden wieder Salbei, Koreander und Lorbeer erlaubt. Und Ausnahmen gab es auch später immer wieder. Und den Begriff Reinheitsgebot gibt es sowieso erst seit dem 19. Jahrhundert. Auch heute gibt es in Deutschland Ausnahmen vom Reinheitsgebot. Auf Antrag kann man historische Biere brauen, die ohne Beachtung des Reinheitsgebots gefertigt werden. Das Reinheitsgebot verstößt vermutlich auch gegen EU-Recht, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die erste Klage dagegen eingereicht wird. Bis dahin kann es aber dazu kommen, dass ausländische Biere in Deutschland prämiert werden, aber nicht vertrieben werden können. Absurd.  (“Nationalmythos Bier”, in: SWR 2 Forum: 21/04/2016)

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Unerhört

Wapiti sind die größten Hirsche der Erde. Angesichts ihrer Körpermaße sollten sie tiefe, röhrende Töne ausstoßen. Größere Tiere tendieren zu tieferen Tönen, kleinere zu höhern. Das nennt man Allometrie. Das ist aber bei den Wapiti nicht der Fall. Die Wapiti produzieren hohe, pfeifende Töne. Forscher aus Essex wollten der Sache auf den Grund gehen. In Neuseeland gibt es eine Zuchtstation für Wapiti, und da konnten sie die Tiere aus nächster Nähe aufnehmen. Bei der Analyse der Tondaten gab es eine Überraschung: Jedesmal, wenn man ein Wapiti hörte, mit seinen hohen Tönen, hörte man auch einen Rothirsch, mit seinen tiefen Tönen. Nur: Es gab dort gar keine Rothirsche. Die Erklärung: Die Wapiti selbst produzieren sowohl die hohen als auch die tiefen Töne. Jetzt versuchen die Forscher herauszufinden, wie und warum die Wapiti beide Töne ausstoßen. Es gibt aber noch eine andere Frage, die über das Thema hinausgeht: Warum haben andere Studien das Röhren der Wapiti nicht beachtet, sondern immer nur das hohe Tuten behandelt? Beide Töne waren in den Daten präsent, aber die Forscher haben den tiefen Ton nicht bemerkt. Das wirft ein interessantes Licht auf die Wissenschaft: Wir sehen nur das, wonach wir suchen. Wenn man aber einmal weiß, dass es da ist, kann man das Röhren der Wapiti nicht mehr überhören. (Haas, Lucian: “Das Paradoxon der Wapiti. Hirschruf mit Doppel-Effekt”, in:  DLF 21/04/2016) 

 

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Das große Zittern

Wie fängt man einen Zitteraal? Ohne deren elektrische Schläge zu bekommen? Humboldt lernte es auf seiner Amerikaexpedition von den Indianern. Sie trieben Pferde in den Bach, die die Zitteraale aufstörten und von denen elektrische Schläge empfingen, bis deren elektrische Energie aufgebraucht war. Dann wurden sie von den Indianern gefangen. (Meyer-Abich, Adolf: Alexander von Humboldt. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 131998: 78)

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Haarscharf daneben

Lerner von Fremdsprachen, von ihrem Lehrer aufgefordert, langsamer zu sprechen, um Fehler zu vermeiden, machen tatsächlich mehr Fehler! Das nur eine von vielen Erkenntnissen in einer Präsentation in einem Seminar. Eine weitere: In Kanada lebende Russen, die spezielles Training erhielten, um die englischen Konsonanten zu aspirieren, schnitten am Ende schlechter ab als die, die kein spezielles Training erhielten! Chinesen, Polen und Spanier waren der Meinung, ihre Landsleute besser zu verstehen als die anderen, wenn sie Englisch sprechen, aber als sie die Texte transkribieren sollen, stellt sich heraus, dass sie die anderen gleich gut verstehen, dass es eher auf den individuellen Sprecher ankommt. Eine vietnamesische Englischlehrerin, verzweifelt, als ihre Schüler nach speziellem Training nicht mehr fee statt feet, sondern fees statt feet produzierten, wurde von einem erfahreneren Kollegen getröstet, der sagte, hier liege tatsächlich Fortschritt vor – die Silbenstruktur sei nun richtig. Der Wert, der einer guten Aussprache beigemessen wird, wenn Muttersprachler die Kompetenz von Ausländern bewerten, ist ausgesprochen hoch. Dem wird der Sprachunterricht nicht gerecht. Gute Aussprache ist in dieser Hinsicht vergleichbar mit einer guten Handschrift. (Derwing Tracey M. & Murray J. Munro: Pronunciation Fundamentals. Evidence-based Perspectives for L2 Teaching and Research. Amsterdam & Philadelphia: John Benjamins, 2015)

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Keltische Pinguine

Was haben die Pinguine mit den Kelten zu tun? Oder die Kelten mit den Pinguinen? Eigentlich gar nichts. Und doch scheinen die Pinguine einen keltischen Namen zu haben. Das Wort ist abgeleitet, wie es scheint, von keltisch pen gwyn, ‘weißer Kopf’. Das kam so. Als die europäischen Entdecker den Pinguinen begegneten, erinnerten sie die Vögel an die heimischen Alke und sie gaben ihnen denselben Namen. Noch heute bezeichnet fran. pingouin sowohl den Alk als auch den Pinguin. Dabei haben die Tiere nichts miteinander zu tun. Pinguine kommen nur auf der Südhalbkugel vor, Alke nur auf der Nordhalbkugel. Pinguine sind Flossentaucher, Alke Flügeltaucher. Alke können fliegen, Pinguine nicht. Sie sind nicht miteinander verwandt.  Aber das wussten die europäischen Forscher nicht. Andererseits sind sie auf den ersten Blick ähnlich, vor allem in der Körperhaltung, und das sahen die europäischen Forscher natürlich. Daher der Name.  Und es störte sie auch nicht, dass die Pinguine schwarze Köpfe haben, keine weiße, wie die Alke. So heißen Vögel mit schwarzen Köpfen ‘Weißkopf. Aber wir sprechen ja auch von einer Plombe, obwohl die oft auch Gold oder anderen Materialien ist und nicht aus Blei. Und auch Gulden waren meistens nicht aus Gold. (Storfer, Adolf Josef: Wörter und ihre Schicksale. Zürich: Atlantis Verlag, 1981: 118-119)

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Waterloo Teeth

Nach der Schlacht von Waterloo wurde das Schlachtfeld von Zahnärzten heimgesucht. Sie brachen den Toten die Zähne aus. Prothesen wurden damals aus Elfenbein gemacht. Das hatte viele Nachteile: Sie waren glänzend weiß, zerbrechlich und knirschten. Menschliche Zähne waren also gesucht. Und so viele wie auf dem Schlachtfeld von Waterloo gab es sonst nicht. Aus den Zähnen der gefallenen Soldaten entstanden also Prothesen. Ein Paar davon gibt es so gebracuthe machte man aus den Zähnen der gefallenen Soldaten Aus ihnen stellte man Es gab keine künstlichen Zähne, und so stellte man aus den Zähnen der toten Soldaten Prothesen her. Im Deutschen Historischen Museum gibt es ein Exemplar dieser Zähne zu sehen. Sie heißen Waterloo Teeth. (“Vom Siegeszug einer Niederlage”, in: SWR 2 Forum 11/06/2015)

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Königin Olga

Im Osten Thessalonikis befindet sich das Hotel Queen Olga. Auch die Straße ist nach ihr benannt. Was hat eine Olga in Griechenland zu suchen? Sie war eine Romanowa, eine Nichte Alexanders II. Sie kam nach Griechenland, nachdem ihr späterer Ehemann, Georg, zweimal in einem Abstand von Jahren nach Petersburg gereist war, einmal, um sich bei Alexander für Wahlkampfhilfe zu bedanken, einmal, um seine Schwester, die inzwischen hier verheiratet war, zu besuchen. Er nahm sie mit als seine Ehefrau, als Königin. Sie war für ihr karitatives Engagement bekannt und geschätzt. Sie machte dann einmal bei einem Besuch von verwundeten Soldaten die Entdeckung, dass die die Bibel nicht lesen konnten, weil die in Koiné verfasst war. Sie setzte sich daraufhin für Übersetzungen in Katharevousa ein und veröffentlichte ohne Genehmigung eine eigene Übersetzung des Neuen Testaments! Das führte zu Unruhen, zu Aufständen, zum Sturz der Regierung, zur Abdankung des Bischofs und zur Forderung, sie müsse exkommuniziert werden! Am Ende wurden sämtliche Übersetzungen aus dem Verkehr gezogen und weitere Veröffentlichungen verboten!

 

 

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Zwangsverheiratung

In Rom musste man sich, wenn man noch nicht alt war, nach einer Scheidung oder nach dem Tod des Ehegatten wiederverheiraten, per Gesetz (Lex Julia de maritandis ordinibus).  Das galt nur für die Angehörigen der höheren Stände. Man musste einen gesellschaftlich ebenbürtigen Ehepartner heiraten. Ehe- und Kinderlose waren bei Bewerbungen um öffentliche Ämter stark benachteiligt, und auch in vermögensrechtlichen Fragen. Der Staat reagierte damit auf die Ehemüdigkeit der höheren Stände und den damit verbundenen Bevölkerungsrückgang. Der Staat griff in die Intimsphäre der Bürger ein, er wurde zum “Übervater”. (Giebel, Marion: Ovid. Reinbek bei Hamburg, 52003: 31-32)

 

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Gender Studies vor Paläontologie

2011 gab es 173 Genderprofessuren an deutschen Universitäten und Fachhochschulen.  Sie sind fast ausschließlich von Frauen besetzt. Die Slawistik mit 100 Professuren ist längst überholt worden. Seit 1997 hat die Paläontologie 21 Professuren verloren, die Genderforschung 30 hinzugewonnen.  (Martenstein, Harald: „Schlecht, Schlechter, Geschlecht“, in: Zeitmagazin 24/2013: 12-19)

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Trauriger Ritter?

Cervantes’ größtes Werk: Persiles. So fand es jedenfalls – Cervantes. Und seine Mitwelt teilte diese Meinung! Auch die Romantiker waren begeistert. Die meisten anderen finden das Buch schwer erträglich, und Menéndez Pelayo schrieb das Buch der “senilen Schwäche” von Cervantes zu. In der allgemeinen Wahrnehmung aber ist Don Quijote sein größtes Werk. Dessen Rezeption begann in Frankreich. Dort wurde es in erster Linie als Satire gesehen, als Satire auf Spanien, das damals noch eine Weltmacht war, aber gerade von Frankreich überholt wurde. Da “passte” es gut, ein Buch zu haben, das den Konkurrenten schlecht aussehen ließ. Von Cervantes’ Kunst hielt man nicht so viel. Das war in England anders. Dort begegnete man dem Quijote ohne kulturpolitische Scheuklappen. Man schätzte den vielschichtigen Humor Cervantes’, aber gerade in England wurde auch die humorvolle Schale des Quijote geknackt. In Russland verschob sich dann die Bewertung vom Ästhetischen zum Psychologischen und zum Religiösen. Don Quijote verkörperte den Glauben, den Glauben an etwas Ewiges, Unerschütterliches, Wahres. Don Quijote wurde zum “Gottesnarren”.  (Dietrich, Anton: Cervantes. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1984: 110-123)

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Knapp daneben

Bei Umberto Eco (Name der Rose) sagt der Autor in der Rahmenerzählung, er habe auf der Fahrt von Wien nach Melk mehre große Hefte mit einer Rohübersetzung gefüllt. Dabei ist die Fahrtzeit nicht viel mehr als eine  Stunde. Bei Garcia Márquez (Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt) hat der Oberst keinen Rasierspiegel. Gerade das gilt als Kennzeichen seiner Armut. Wenig später hat er dann einen Rasierspiegel. Bei Thomas Bernhardt (Watten) findet dasselbe Ereignis einmal am 11. September, einmal am 13. September, einmal Ende September statt. Und bei Homer wird Pylaimenes von Menelaos getötet und verlässt später das Schlachtfeld Tränen vergießend an der Seite seines getöteten Sohnes. (Bannert, Herbert: Homer. Reinbek bei Hamburg, 51992. 15-20)

 

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Erholsamer Vortrag

Für Friedrich Wilhelm IV., den begabten und an akademischen Themen interessierten Monarchen, waren Humboldts Vorträge ein echtes Bedürfnis, Friedrich Wilhelm III. boten sie in erster Linie die Möglichkeit, ein Nickerchen zu machen.  (Meyer-Abich, Adolf: Alexander von Humboldt. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 131998: 116)

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Verbürgter Name

Von Homer weiß man nicht viel, aber doch etwas, entgegen der landläufigen Auffassung. Auch seinen Namen, seinen Künstlername sozusagen, kann man erklären. Ein hómāron ist ein ‘Pfand’, eine ‘Geisel’, und hómēron ist die ionische Form dieses Wortes. Ein hómāros ist also ein ‘Bürge’, und dieser Name lässt auch auf die Herkunft seines Trägers schließen. Nur ein vornehmer Bürger war imstande, eine Bürgschaft zu übernehmen. (Bannert, Herbert: Homer. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1992: 34)

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Latein und Deutsch

Vor etwa 1000 Jahren bekam das Deutsche einen ungeheuren Schub. An Burgen und anderen Adelssitzen wurde Literatur verfasst, in den Städten wurde Recht kodifiziert, wurden Beschreibungen von Tieren und Pflanzen verfasst, wurden medizinische Abhandlungen verfasst. Die Zahl der Sprecher nahm stark zu. Die Zahl der Städte wurde größer (auch infolge der Kolonisation des Ostens) und die Zahl der Einwohner der Städte wurde größer. Und dennoch wurde erst am Ende der mittelhochdeutschen Zeit die 50%-Marke erreicht. Erst dann wurde die Hälfte der Texte auf Deutsch verfasst. Die andere Hälfte immer noch auf Latein. (Casemir, Kirsten & Fischer, Christian: Deutsch. Die Geschichte unserer Sprache.Darmstadt: WBG, 2013: 27-29).

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Sichtbar oder unsichtbar?

Uta Brandes, Professorin für Gender und Design in Köln, hat vorgeschlagen, für die englischen Wörter teacher und professor, die für beide Geschlechter gelten, ein weibliches Pendant einzuführen, teacheress and professoress. Frauen müssten in der Sprache sichtbar sein, lautet das Argument. In England wird aber genau die umgekehrte Folgerung gemacht: Geschlechterunterschiede sollen nicht sichtbar sein, das Geschlecht soll keine Rolle spielen.  Also sollen geschlechtsspezifische Formen wie authoress aus der Sprache verschwinden. (Martenstein, Harald: „Schlecht, Schlechter, Geschlecht“, in: Zeitmagazin 24/2013: 12-19)

 

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Schillernder Begriff

Schiller sollte zu seinem Ärger eine medizinische Doktordissertation schreiben. Wie weit er kam, weiß man nicht. Aber er hat nie seinen Doktor gemacht. Dennoch legte er sich in seiner unbekümmerten Art und damaligem Beispiel folgend, diesen Titel gelegentlich bei. (Burschell, Friedrich: Schiller. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt: 33)

 

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Nahe beieinander

Vergleicht man das Wort für ‚Nase’ in verschiedenen europäischen Sprachen, ist die Verwandtschaft leicht erkennbar:

  • Nase, nose, näsa, nariz, naso, nez, μύτη, нос

Beim ‚Kopf‘ sieht die Welt nicht mehr ganz so wohlgeordnet aus:

  • Kopf, head, huvud, cabeza, testa, tête, κεφάλι, голова́

Das liegt daran, dass einige Sprachen ihr altes Wort abgestoßen und durch ein anderes, ursprünglich umgangssprachliches ersetzt haben, wie testa und tête, die ursprünglich ‘Scherbe‘ bedeuteten, oder wie Kopf, das, mit cup verwandt, das alte Wort Haupt ersetzt (das mit head übereinstimmt). Es ist also mehr Gemeinsames da, als man meint.

Und dann kann man sich grammatische Wörter ansehen wie Personalpronomen, und die Übereinstimmung ist geradezu verblüffend:

  • ich, I, jag, yo, io, je, εγώ, я
  • mich, me, mig, me, mi, me, με, меня́
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Trümmer beseitigt

Ich habe es immer geahnt, jetzt wird die leise Ahnung durch eine Publikation bestätigt: Die Trümmerfrauen sind ein deutscher Mythos. Die sollen nach dem Krieg selbstlos und unermüdlich die Städte wiederaufgebaut haben. Es ist eine Inszenierung. Leonie Treber ist die Sozialhistorikerin, die damit aufgeräumt hat. Frauen räumten nur einen Teil der Trümmer weg, das meiste machten Menschen und Maschinen. Die meisten Frauen waren in Berlin und der sowjetischen Zone im Einsatz, und sie machten das nicht freiwillig. Trümmerarbeit war stigmatisiert, eine Strafarbeit, wie sie es auch in der NS-Zeit gewesen war. Später suchte man Freiwillige und verpflichtete Arbeitslose, aber die waren alle nur für eine sehr beschränkte Zeit im Einsatz. Das heutige Bild wurde durch eine Medienkampagne geprägt, mit gestellten Bildern, vorteilhaften Einstellungen und geschminkten Frauen. Die Frauen selbst sahen ihre Arbeit nicht als heldenhafte Tat an. (Lueg, Andrea: “Wer Deutschland wirklich vom Schutt befreite”, in: Andruck, DLF: 09/02/2015) 

 

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Folgenschwerer Gang

Angeborene Geschlechtsunterschiede zwingen uns zu nichts und verwehren uns keine Option. Der Geschlechtstrieb ist angeboren, aber man kann enthaltsam leben oder sich für das Zölibat entscheiden. Dennoch gibt es beobachtbare Geschlechtsunterschiede. Deren Wurzel sind, der Psychologin Doris Bischof-Köhler zufolge, 400 Millionen Jahre alt. Als unsere Vorfahren an Land gingen, wurden Samen und Eizellen nicht mehr dem Meer anvertraut. Die Weibchen übernahmen die Bürde der inneren Befruchtung. Seitdem können sie erheblich weniger Nachkommen in die Welt setzen als die Männchen. Das bedingt eine permanente Konkurrenzsituation zwischen den Männchen. Und die hat einen Selektionsdruck ausgelöst, zu dem es bei dem weiblichen Geschlecht keine Entsprechung gibt. Alle wesentlichen Geschlechtsunterschiede leiten sich letztlich aus dieser Asymmetrie ab. Männchen ertragen Konkurrenzsituationen, haben Freude daran, lassen sich nicht entmutigen, gehen Risiken ein,  etablieren Rangordnungen, bilden Seilschaften, bis bessere Bedingungen eintreten. Das ist der folgenreichste Geschlechtsunterschied. Er bedingt, dass Männer immuner gegen Selbstzweifel sind und leichter Karriere machen. (Raether, Elisabeth: “Keine falschen Schlüsse ziehen”. Interview mit Doris Bischof-Köhler, in: Zeitmagazin 24/2013: 20-21)

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Armes Land?

Armut ist ein Faktum. Auch in entwickelten Ländern. Auch in Deutschland. Aber Armut ist relativ. Georg Cremer, Vorsitzender der Caritas, plädiert für eine differenzierte Sicht der Armut. Über steigende Armut zu klagen, ist notwendig. Aber man solle auf Problemlösungen fokussieren. Die kurzfristige Eruption folgenloser Empörung, die man immer wieder erlebe, schade dem Umgang mit der Armut. Wenn man sagt, 15 Millionen Menschen in Deutschland lebten unter der Armutsschwelle und daneben Bilder von Menschen zeigt, die auf der Straße leben oder im Müll nach Essen suchen, dann verfälscht man die Situation. Die Schwelle zur Armut liegt je nach Berechnungen zwischen 915 und 1050 €. Deshalb sind die meisten Studenten und Auszubilidende,  die nicht zuhause wohnen, in der Armutsstatistik. Sie sind relativ arm, aber nicht absolut arm. Das wird in der Öffentlichkeit aber anders wahrgenommen. Armut wird auch daran gemessen, dass Menschen Hilfe bekommen. Aber es ist kein Ausdruck sozialer Härte, wenn Menschen Hilfe bekommen. Dass es Tafeln gibt, ist nicht an sich besorgniserregend. Der Harzt-IV-Empfänger, der zur Tafel geht, handelt rational. Er spart sein Geld für andere Dinge. Und nach dem Krieg hätte man gar nicht so viele Tafeln betreiben können, weil man damals nicht so viele Lebensmittel weggeworfen hat. Die empirischen Fakten geben ein anderes Bild ab als die öffentliche Wahrnehmung. Wenn man sagt, der Anteil der Armen unter den Arbeitslosen sei gestiegen, dann kann man das beklagen. Man kann es aber auch positiv wenden: Der Anteil der Arbeitslosen mit Hartz IV unter allen Arbeitslosen ist gestiegen, weil die anderen eine Arbeit gefunden haben. (Bohsem, Guido & Öchsner, Thomas: “Es wäre völlig abstrus, Kalkutta mit Deutschland zu vergleichen”. Interview mit Georg Cremer, in: Süddeutsche Zeitung 35/2016: 22)

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Docendo dicitur

Schiller, der große Dichter, hatte Medizin studiert und war Professor für Geschichte! Als er den Ruf nach Jena erhielt, zögerte er, weil er glaubte, er könne den Anforderungen eines Lehramtes nicht gewachsen sein. Goethe entgegnete auf seine Bedenken: Docendo dicitur – Lehrend lernt man. (Burschell, Friedrich: Schiller. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt: 94-95)

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Naturtrieb

Die Romantiker begeisterten sich für die Zigeunerin aus den Novelas Ejemplares von Cervantes. Sie wurde zum Urbild der Zigeunerin, wie sie dann immer wieder in der europäischen Literatur auftauchte, Sinnbild für Urwüchsigkeit, Naturverbundenheit, Freiheit. Das Problem war nur, dass sie gar keine Zigeunerin war, sondern als Kind vornehmer Eltern von Zigeunern entführt worden war und später auch wieder in die bürgerliche Welt zurückkehrte. Wenn einem eine Vorstellung gefällt, übersieht man schon mal gerne die Wirklichkeit. (Dietrich, Anton: Cervantes. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1984: 1o4)

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Guillotine am Morgen

Das Deutsche ist bekannt für seine Fertigkeit, Komposita zu bilden. Dabei kommen oft Ungetüme heraus oder gesuchte Beispiele, die im Sprachgebrauch kaum vorkommen, aber auch ganz “normale” Formen, bei denen die Sprecher kaum den Eindruck haben, dass da etwas Besonderes daran ist: Europameisterschaftsqualifikationsspiel. Eins der extravagantesten Wörter bezeichnet eins der extravagantesten Objekte, den Eierschalensollbruchstellenverursacher. Das sind Geräte für Menschen, die zu faul, zu schwach oder zu ungeschickt sind, ihr Frühstücksei mit dem Messer zu köpfen.

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Männerliebe?

Alexander von Humboldt blieb sein Leben lang unverheiratet. Er hatte einige geradezu leidenschaftliche Freundschaften zu einigen Männern. Daraus ist gefolgert worden, dass er homosexuell war. Das wird mit den schwärmerischen Worten vieler Briefe an die Freunde begründet. So zu denken, bedeutet aber, mit heutigen Maßstäben zu messen. Damals war ein solcher Ton in Briefen zwischen Freunden gang und gäbe. Freundschaft galt als hohes Ziel und wurde manchmal sogar über Liebe gestellt. Auch in den Briefen an seine Freundinnen finden sich bei Humboldt ähnlich exaltierte Passagen. Aber auch hier blieb es bei der Freundschaft.  (Meyer-Abich, Adolf: Alexander von Humboldt. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 131998: 47)

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Ärztin gegen Ingenieur

Das Geschlechterparadox besteht darin, dass sich in freien Gesellschaften mit ausgeprägten Frauenrechten nicht weniger, sondern mehr Frauen für angeblich typisch weibliche Berufe entscheiden. Sie werden, ohne Druck, lieber Ärztin, Lehrerin oder Journalistin als Ingenieurin oder Patentanwältin. Ein ähnliches Paradox war in den Kinderläden der 68-Bewegung zu finden. Dort war strikte Gleichbehandlung von Mädchen und Jungen angebracht. Aber die Jungen dominierten dort die Mädchen viel stärker als in herkömmlichen Kindergärten. (Martenstein, Harald: „Schlecht, Schlechter, Geschlecht“, in: Zeitmagazin 24/2013: 12-19)

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Feindliches Ausland

Während seiner Zeit in Diensten des Herzogs von Württemberg, als Militärarzt in Stuttgart, war Schiller jeder Verkehr mit dem “Ausland” verboten. Damit war Mannheim gemeint. (Burschell, Friedrich: Schiller. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt: 34)

 

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Vielbeinig

Der griechische Tausendfüßler, σαρανταποδαρούσα, hat nur vierzig Füße! Ebenso der russische: сороконожка, und der türkische, kırkayak. Der spanische, ciempiés, hat dagegen hundert, ebenso wie der englische, centipede! Der französische, mille-pattes, hat dagegen tausend wie der deutsche und der italienische, millepiedi. Der schwedische, mångfotingar, hat einfach viele! Soweit der alltagssprachliche Gebrauch. Das Auftauchen von hundert und tausend hat seinen Grund. Es gibt tatsächlich Centipedes und Millipedes, aber es sind unterschiedliche Tiere! Der Körper ist bei beiden in Segmente geteilt, wie bei einer Fahrradkette, und jedes Segment hat eigene Füße. Aber bei den Centipedes hat jedes Segment ein Paar Füße, bei den Millipedes zwei Paar. Weder die einen noch die anderen haben genau hundert oder genau tausend Füße. Es gibt Centipedes, die gerade mal 15 Paare haben, andere haben bis zu 177. Die Millipedes haben gar nicht viel mehr, meist zwischen 20 und 80 Paare (auch wenn es im tropischen Afrika eine Art gibt, die 375 hat). In ihrem Verhalten sind die beiden ganz unterschiedlich: Centipedes sind Fleischfresser und gehen auf Jagd. Deshalb müssen sie schnell sein, und sind es auch. Das erste Paar Füße ist zu Fängen ausgebildet, die Gift enthalten. Das wird zur Verteidigung eingesetzt, aber auch zur Überwältigung der Beute. Millipedes sind im Allgemeinen Vegetarier, jedenfalls jagen sie nicht. Deshalb können sie sich Zeit lassen. Pflanzen und tote Dinge bewegen sich nicht. Sie sind viel langsamer als die Centipedes! Auf die Zahl der Füße kommt es nicht an. (Exploring Life Science. New York u.a.: Marshal Cavendish, 2000: 168-169;  Eaton, Eric R. & Kaufmann, Kenn: Kaufman Field Guide to Insects of North America. New York: Hillstar Editions, 2007: 26-27)

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Wissenschaft. Natürlich

In der Physikalischen Gesellschaft, die 1789 in Berlin gegründet wurde, waren Geographen, Mediziner und vor allem Biologen vertreten. Mit Physik im engeren Sinne hatte das nichts zu tun.  Die Bedeutung von physikalisch war einfach  ‘naturwissenschaftlich’.  (Meyer-Abich, Adolf: Alexander von Humboldt. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 131998: 29)

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Naive Dichtung?

Über naive und sentimentale Dichtung ist der Titel eines großen Essays von Schiller. Darunter können wir uns heute wenig vorstellen. In moderner Terminologie würde es vermutlich heißen Über das Verhältnis von Realismus und Idealismus. (Burschell, Friedrich: Schiller. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt: 134)

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Kleiner Eingriff

Geschlecht ist nur erlernt. Um diese These zu beweisen, befreite John Money, amerikanischer Sexualforscher, den zweijährigen Bruce Reimer von seinem (bei der Beschneidung beschädigten) Genital und ließ ihn als Mädchen aufwachsen.  Kastration und Herstellung von Schamlippen konnten als “Therapie” durchgehen. Alice Schwarzer rühmte das Experiment als eine der wenigen Forschungen zum Geschlechterverhältnis, die nicht manipulieren, sondern aufklären. Der erwachsene Reimer ließ die Umwandlung rückgängig machen und nahm sich das Leben. (Martenstein, Harald: „Schlecht, Schlechter, Geschlecht“, in: Zeitmagazin 24/2013: 12-19)

 

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Altherrenclub?

Marguerite Yourcenar wurde als erste Frau in die Académie Française aufgenommen, damals eine konservative, wenn auch prestigeträchtige Altherrenversammlung. Als der Vorschlag gemacht wurde, gab es einen Aufruhr. Fast alle vierzig Mitglieder waren dagegen. Es wurde ironisch argumentiert, man wolle es ihr ersparen, unter lauter alten Männern alt zu werden. Jean d’Ormesson, der sie vorschlug, hatte zur Verteidigung seines Vorschlags, wie er selbst später sagte, auch keine sehr “eleganten” Begründungen vorgebracht: Marguerite Yourcenar sei zwar eine Frau, aber keine sehr weibliche, und außerdem werde sie vermutlich ohnehin nicht sehr häufig kommen. Marguerite Yourcenars Biographie machte die Entscheidung nicht leichter: Sie war in Brüssel geboren, war amerikanische Staatsbürgerin geworden (erst wegen der Aufnahme in die Académie Française nahm sie wieder die französische Staatsbürgerschaft an), und sie lebte mit einer Frau zusammen. Sie wurde trotzdem gewählt. Ihr Künstlername ist ein Anagram ihres bürgerlichen Namens, Crayencour.

 

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Was Frauen wünschen

Aphrodite ist mit Hephaistos vermählt. Er steht für handwerkliche Kunstfertigkeit, für technisches Know-how, für schöpferische Phantasie. Das Zepter des Zeus ist sein Werk, ebenso die Ägis oder der Wagen des Helios, vor allem aber der Schild, den er in einer Nacht für Achilles herstellt. Mit Hephaistos und Aphrodite vereinen sich höchste Vollendung in der Kunstfertigkeit und höchste Vollendung in der Liebe. Und was macht Aphrodite? Sie geht fremd. Mit Ares, dem Kriegsgott! Dämonische, urtümliche, vom Menschen kaum zu kontrollierende Mächte sind hier am Werk. (Bannert, Herbert: Homer. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1992: 100-103)

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Nützliche Götter

Expedit esse deos et, ut expedit, esse putamus – Es ist nützlich, dass es Götter gibt, und da es nützlich ist, wollen wir daran glauben. So fand es Ovid. Klingt zynisch. Aber die Religion bedeutete ein stabilisierendes Element im Leben der staatlichen Gemeinschaft, und das wurde als notwendig empfunden nach den traumatischen Erfahrungen des Bürgerkriegs. Religion war einfach nützlich. Gesinnungsschnüffelei wurde nicht betrieben. Jeder konnte seine Teilnahme an Festen und Riten als Traditionspflege verstehen und als Wahrung eines kulturellen Erbes. (Giebel, Marion: Ovid. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 52003: 96-97)

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Sprachgeschichte

Jefferson plädierte dafür, dass an der von ihm gegründeten Universität Virginia in Charlottsville nur “nützliche Wissenschaften” studiert werden sollten. Eine Professur für Theologie gab es nicht. Zu den “nützlichen Wissenschaften” zählte dagegen auch Altenglisch. (Nicolaisen, Peter: Thomas Jefferson. Reinbek: Rowohlt, 1995: 132)

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Totenreich

420.000 amerikanische Soldaten fielen im 2. Weltkrieg, 620.000 im Amerikanischen Bürgerkrieg. In Vietnam fielen 58.000, in Afganistan und im Irak 6.600.  (Piper, Nikolaus: „Revolution ohne Anführer“, in: Süddeutsche Zeitung 297/2015: 25)

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Echt falsch

Im 2. Teil des Don Quijote begegnet Don Quijote – Don Quijote! Der zweite Don Quijote schaut in Gesellschaft von Sancho und der einiger Freunde auf den ersten Don Quijote. Er erlebt ihn als Kunstwerk und kommentiert und kritisiert ihn. Fiktion steht im Gegensatz zur Wirklichkeit, die aber selbst auch Fiktion ist.  Das wiederholt sich, als Don Quijote Lesern des Don Quijote des Avellaneda begegnet und ihnen versichert, ihr Don Quijote sei nicht real. Er sei der wahre Don Quijote. (Dietrich, Anton: Cervantes. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1984: 118-119)

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Getisch lernen!

In der Verbannung in Tomi, am Schwarzen Meer, erlebte Ovid sein blaues Wunder: Die Menschen dort sehen abenteuerlich aus: Sie tragen Felljacken und lederne Hosen gegen die Kälte, spitze Mützen und Kapuzen. Die Einheimischen, die zum Markt in die Stadt kommen, sind Nomaden. Der Dolch an der Seite wird oft gezückt. Latein spricht kaum jemand, das Griechische ist mit getisch-sarmatischen Wörtern vermischt und klingt ihm fremd, ist oft unverständlich. Die lingua franca ist Getisch. Die versteht er nicht. Angesichts der Lage fühlt er sich beargwöhnt und verfolgt, von Feinden umgeben. Im Laufe der Zeit wird das Verhältnis besser. Ovid lernt Getisch und dichtet sogar in der Sprache. (Giebel, Marion: Ovid. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 52003: 119)

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Frauenversteher?

Eine Frau begehrt ihren Vater, eine Frau begehrt ihren Bruder, ein Mädchen, als Junge aufgezogen, verliebt sich in ein Mädchen, eine Frau begehrt den Anführer der gegnerischen Armee und verrät ihr Heimatland und opfert dabei ihren Vater. Menschen, die im Zwiespalt leben, ein Zwiespalt zwischen Leidenschaft und Vernunft, zwischen Trieb und Norm. Verborgene Seelenbereiche werden durchleuchtet, und die Frage wird gestellt: Was ist natürlich, was ist Konvention bei jenem komplexen Gefühl, das man “Liebe” nennt? Das sind moderne Motive, sollte man meinen. Aber neu sind sie nicht. Alles steht bei Ovid: Myrrha und Biblis, Iphis und Skylla heißen die Figuren. Ovid – ein Frauenversteher? (Giebel, Marion: Ovid. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 52003: 60-61)

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Da ist der Wurm drin

Glühwürmchen sind keine Würmchen, keine Würmer. Trotzdem gibt es für das Wort eine Erklärung, eine Erklärung, die so einfach und naheliegend ist, dass man sich wundert (und ein bisschen ärgert), dass man nicht selbst darauf gekommen ist: Das Wort Wurm hat einfach seine Bedeutung verändert. Es bedeutete früher ‘Käfer’ oder ganz allgemein ‘Insekt’.  Etymologisch ist es auch verwandt mit engl. vermin, ‘Gewürm’, und mit schwed. orm, ‘Schlange’. Diese Bedeutung ist wiederum im Gebrauch von Wurm in älteren Bibelübersetzungen zu finden, wo es sich z.B. auf die Schlange im Garten Eden bezieht. Und dazu passt dann wiederum der Lindwurm.

 

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Dickmacher?

Dicke Kellner stimulieren den Konsum: Bei dicken Kellnern bestellen Gäste viermal häufiger einen Nachtisch und 17% mehr alkoholische Getränke. Dicke Kellner sind eine gute Investition für Wirte. (DLF 5. Januar 2016)

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Fest-Tag

Die Amerikanerin Anna Marie Jarvis wollte 1908 ihre eigene Mutter ehren, weil sie ihr Leben der Wohltätigkeit gewidmet hatte. Das war der Beginn der Muttertags. Später, als der Tag längst kommerzialisiert war, setzte sie sich für seine Abschaffung ein. Erfolglos. (Pfeifer, David: “Mamma mia”, in: Süddeutsche Zeitung 105/2016: 2)

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Arme Männer

Eine Frau, die 2014 geboren wurde, hat eine Lebenserwartung von 73,6 Jahren, ein Mann nur von 69,4 Jahren. Fast vier Jahre weniger. Im Durchschnitt. Weltweit. Dafür gibt es biologische Gründe. Das Immunsystem von Männern lässt im Laufe des Lebens stärker nach, und das weibliche Sexualhormon Östrogen schützt vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen.  Wichtiger sind aber gesellschaftliche Faktoren: Männer achten weniger auf ihre Gesundheit, üben gefährlichere Berufe aus (Soldat, Bergarbeiter), haben gefährliche Hobbies (Motorradfahren, Eisklettern), trinken und rauchen mehr. Ziemlich unklar wird das Bild, wenn man sich die ganze Welt ansieht: In Schweden leben Frauen knapp vier Jahre länger, in Russland mehr als zehn Jahre länger, in Nigeria nicht einmal ein Jahr länger, in Brasilien sieben Jahre länger, in Peru fünf Jahre länger. In Mali leben Männer sogar länger als Frauen. In Afrika sterben viele Menschen an Infektionskrankheiten, und die trifft Frauen und Männer gleich. Und das Risiko, bei der Geburt zu sterben, ist höher. Beim Schritt vom Entwicklungs- zum Schwellenland wird die Lücke zwischen Frauen und Männern größer, beim Schritt von Schwellen- zum Industrieland schließt sie sich wieder. Das größte Paradox ist aber, dass Frauen länger leben, obwohl sie sich nicht so gesund fühlen und obwohl sie objektiv weniger gesund sind. Aber ihre Krankheiten sind nicht lebensbedrohend. (Endt, Christian: “Die Lücke”, in: Süddeutsche Zeitung 97/2016: 16)

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Romeo and Juliet

“Where is she, and how doth she, and what says/My concealed lady to our cancelled love?“. Something just sounds slightly wrong in Romeo’s speech here, in the second verse. But this is easily resolved. Shift the stress in concealed from the second syllable to the first, and everything falls into place. You shift the stress because this is how the word was pronounced at the time. Romeo and Juliet is a real treasure trove for language. And this one about the stress is just a minor case. Now for something major. Sex. Romeo and Juliet, despite its reputation as an elegiac tragedy, a romantic story, is really quite a saucy play. There is sexual innuendo all over the place. Perhaps words like prick, stand, O, circle, pencil, maidenheads, my naked weapon are rather obvious examples, and they practically never occur in the play without a secondary meaning. But there are also less obvious cases: dried herring, glove upon that hand, bow in the hams, poperin’ pair – none of these words is as innocent as it sounds. But most of us need an annotated edition to see this. One wonders what a modern English spectator makes of them and how they can be conveyed if the play is translated. But there is another kind of wordplay which is even more prominent in the play: repetition of words, juxtaposition of words, use of morphologically different forms of the same stem, that kind of thing. It pervades the whole play, and you get passages like as soon moved to be moody and as soon moody to be moved or single-soled jest, solely singular for the singleness or we waste our lights, in vain lights light by day. Makes you head grow dizzy. Mine at least. There is further wordplay on the bases of ay, ‘yes‘, being  homonymic with eye and I. Juliet has a good time exploiting it: Say thou but I/And that bare vowel I shall poison more/Than the death-darting eye of a cockatrice./I am not I if there be such ay/Or those eyes shut that makes thee answer ay. You tell me how a German school learner can understand this. But there’s more to confuse the reader. Shakespeare often gets his grammar wrong. Completely wrong. You get a troubled mind drive me to walk around and that crystal scales and the villain lives which slaughtered him and worser than Tybalt’s death and cruel death has catched it from my sight. One doesn’t trust one’s eyes. Or ears.  And then there is learn me how to lose a winning match. Curiously, in later editions of other plays, learn in this function is replaced by teach, suggesting that learn in the sense of ‘teach’ was already losing favour. And then of course there is the obnoxious thou and you (never mind ye, which also occurs). Now one might say, no big deal, one is du and the other is Sie. But isn’t it then at least odd that Juliet, despite the age difference (she is only 13!), consistently uses thou for the nurse whereas the nurse uses you for Juliet? But then, of course, it is social distinction that this is all about. But why does Juliet’s mother, in a longer dialogue, use thou and you alternately when speaking to Juliet? The social factor does not hold here, psychology is at work here. Romeo and Juliet use thou for each other, except the first time they meet when Juliet first addresses Romeo using you, but only once. And then there is Zounds! I always thought that it was a mild imprecation, it now sounding so dated. But it was quite strong at the time, so strong that it was removed from the Folio edition of several plays. The literal meaning, ‘by God’s wounds’, was perhaps still more present. I was further confused by Good-e’en. Romeo uses it shortly after midday! Today this would sound funny, at least in English. But not perhaps in modern Italian, where people use Buona sera earlier  than the word sera suggests. And finally, language as a conveyor of culture. A plate is mentioned by one of the servants as part of the Capulets’ household. Nothing to write home about? Well, there is. The plate here is a status symbol, a token of the Capulets’ affluence. Plates were only just beginning to replace the wooden trenchers (also mentioned in the play). And then there is the name of Susan. This is the nurse’s dead daughter. Sounds like a perfectly normal name to use. But at the time it carried certain undertones. It was a surprisingly Protestant name for Catholic Verona. And it was a modern name, a newcomer among English names of the period. And one the first Susans in Stratford-on-Avon was Shakespeare’s own daughter. Incidentally she was 13 when the first Quarto was printed.

 

 

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Herzensgut

Er war ein gebildeter Mann, mit einem Faible für alternative Medizin. Er war ein anerkannter Psychiater, der sich auf Gruppentherapien spezialisiert hatte. Er fühlte sich wohl unter Akademikern, sprach fließend Englisch, trug oft Maßanzüge. Der Verhandlungstisch war ihm angenehmer als der Kasernenhof. Er nahm nie eine Waffe in die Hand, hat in seinem Leben keinen Tag als Soldat gedient. Wie es in der Armee zuging, bliebt ihm fremd. Dem Ort, in dem er aufwuchs, widmete er eins seiner frühen Gedichte. Auch seine späteren Gegner zollen ihm Respekt: Er habe einen Zauber entfaltet. Er habe Parteifreunde umarmt und auf die Wange geküsst. Er habe Gefühle in die Politik gebracht. Sein Name: Radovan Karadžić. (Willeke, Stefan: „Ein guter Mensch“, in: Die Zeit 15/2016: 10)

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Alexander der Große

Die Strecke gilt als „leicht“. Aber was ist das schon, ein „leichter“ Marathon? Und dann gibt es eben doch diese zwei nickligen Steigungen, und die kommen natürlich, wie immer, zur Unzeit.

Wenn die Strecke leicht ist, dann ist sie aber auch noch was anderes: langweilig. Und hässlich noch dazu. Fast die ganze Strecke geht es die Nationalstraße entlang. Und dabei passiert man nur einen einzigen Ort. Alles andere ist unbewohntes Industriegelände, grau, schmutzig, leblos. Am Ende ist das vielleicht egal. Wenn die Füße nicht mehr tragen, nutzt auch der schönste Ausblick nichts, kein See, kein Berg, kein Meer.

Mit Bussen werden wir von Thessaloniki nach Pella gekarrt. Immerhin 1800. Da kommen einige Busse zusammen. Auf dem Weg dahin hat es ein Läufer so  eilig, dass er fast mit einem Radfahrer zusammenstößt. Der kommt ohne Licht und mit hoher Geschwindigkeit die Hauptstraße hinunter.

Im Bus sitzt ein gesprächiger Mann neben mir, Jannis. Er arbeitet in einem Krankenhaus, in der Nähe des Flughafens. Arzt? Nein, Koch! Er hat Spaß an seiner Arbeit, sagt er. Ob meine Studenten wüssten, dass ich Marathon laufe. Nein, die wissen das nicht.

Es ist sein erster Marathon. Aber er ist hervorragend vorbereitet. Bis zu sechs Mal pro Woche sei er gelaufen. Dabei hat er auch mehrere Strecken von 30 km geschafft. Und zweimal einen Halbmarathon gelaufen, in Kavala und in Philippi. Mit ordentlichen Steigungen. Da sei das hier heute ein Kinderspiel dagegen.

Ob ich auf dem Sportplatz trainiere, will er wissen. Nein, auf der Piste. Im Wald oder am Fluss. Er läuft meistens auf dem Sportplatz. Runden. Das sind keine βόλτες, wie ich meine, sondern γύροι – wie beim Gyros, beim Girokonto oder beim Giro d’Italia. Und noch was lerne ich dazu: προπόνηση. Das Wort habe ich schon gestern nicht verstanden. Dabei ist die Bedeutung naheliegend: Training.

Er ist ein ganzes Stück jünger als ich. Überhaupt ist das hier eher eine Veranstaltung für Jüngere. Und für Männer. Die Frauen sind deutlich in der Minderzahl. Mein Alter sehe man mir nicht an, meint er. Was kann einem da schon ein Marathon anhaben, wenn der Tag so beginnt, noch vor dem Morgengrauen.

Es ist nämlich immer noch dunkel, als wir in Pella ankommen. Als aber der Startschuss fällt, ist es hell. Aber bewölkt. Eine lückenlose Wolkendecke. Wenigstens braucht man heute keine Sonnencreme.

Diesmal achte ich von Beginn an auf die Schmerzen. Schon bei den ersten Schritten tut das Knie weh, aber nach einem Kilometer verabschiedet es sich und meldet sich erst am Ende des Laufs wieder. Dann, nach etwa 13 km, fangen die Füße an, weh zu tun, vor allem die Zehen. Bei der Hälfte kommen die Oberschenkel dazu, und dann der Rücken, vor allem der untere Teil der Wirbelsäule. Und dann meldet sich auch noch der Bauch zu Wort. Ich habe viel Wasser getrunken, vielleicht zu viel, auch weil immer so viele freundliche Helfer am Wegesrand stehen. Und am Tag zuvor fast ungewollt zwei Kaffee getrunken, am Vormittag, und die waren beide so stark, dass sie mir sogar ein paar Stunden Schlaf geraubt haben.

Ich schließe zu drei jungen Männern auf, und einer von ihnen fragt: „Belgien?“ Nein, nicht ganz, aber die Richtung stimmt. Wir kommen ins Gespräch. Der in der Mitte läuft seinen ersten Marathon, die beiden anderen, τα παιδιά, haben ihn in die Mitte genommen. Sie witzeln herum über die Troika und über den Marathon, und ich lache mit ihnen. Der erste fragt mich, ob ich Deutsch-Grieche sei. Das hat mir noch nie jemand gesagt. Ich fühle mich geschmeichelt. Und der andere Begleiter, der links, kommt auf mich zu und will mir sein griechisches Kopftuch geben. Ein Geschenk. Die Griechen können umwerfend sein! Aber auch Stinkstiefel. Ich weiß nicht recht, wie ich meine Freude aussprechen soll, aber einer von ihnen merkt, dass ich jetzt mit dem Kopftuch nicht so viel anfangen kann, und wir einigen uns auf „später“. Dann aber komme ich nicht mit. Ich habe sie noch lange im Blick, aber dann verschwinden sie.

Ich habe mir vorgenommen, wenigstens bis zur Hälfte durchzulaufen. Das klappt auch. Dann nehme ich mir die 25 vor. Auch das klappt. Inzwischen ist das Feld, hier bei uns langsamen Läufern, weit auseinandergezogen. Manchmal ist man ganz alleine, dann wieder trifft man auf andere, einzelne Läufer. Die meisten laufen schon gar nicht mehr. Es ist verlockend, es ihnen gleich zu tun, aber ich beiße mir auf die Zähne und laufe weiter, bis 28, dann bis 30. Aber 32 hört sich besser an, und ich versuche es weiter, aber es geht einfach nicht mehr. Und jetzt geht auf einmal gar nichts mehr. Ich spüre nur noch den schmerzenden Körper und kann auch schon gar keine zusammenhängenden Gedanken mehr denken. Nur noch Erschöpfung, Leere, Verzagtheit.

Hin und wieder stehen jetzt doch Menschen vor ihren Häusern oder auf Balkonen und feuern uns an. Dann laufe ich mal wieder ein paar Meter, aber die meiste Zeit gehe ich. Jetzt kommt noch der raue Asphalt dazu, den man durch die Schuhsohlen spürt, bei jedem Schritt.

Mir kommt das Unverständnis in den Sinn, mit dem die griechischen Freunde auf mein Vorhaben reagiert haben, einen Marathon zu laufen: „Was, von Pella aus? Bis nach Thessaloniki?“ Sie halten das für ziemlich verrückt. Und da haben sie nicht ganz unrecht. Ich könnte jetzt fünf Stunden im Bett liegen, fünf Stunden Griechisch lernen oder fünf Stunden in einer Taverne sitzen. Und ich wünsche mir sehnlichst, ich hätte mich für eine dieser Alternativen entschieden.

Sieben Kilometer vor dem Ziel stoße ich auf eine junge Frau, mit Kopfhörer und einem watschelnden Laufstil. Unsere Blicke treffen sich, wir lächeln uns an und ich frage sie, wie es denn gehe. Μια χαρά, sagt sie, ausgezeichnet. Und tatsächlich. Locker läuft sie weiter, immer watschelnd, nur ein ganz klein bisschen schneller als ich, aber sie kommt weiter und entschwindet dann ganz meinen Blicken.

Unter den Läufern ist auch ein junger Mann mit Gehbehinderung. Ich denke erst, er habe eine Verletzung. Und das denken wohl auch die Sanitäter, die fragen, ob sie ihn behandeln sollen, aber er winkt leicht verärgert ab. Es ist keine Verletzung. Er hinkt. Immer wieder rafft er sich auf, obwohl er mit den Kräften ziemlich am Ende zu sein scheint. Eine tolle Willensleistung. Ich stelle mir vor, wie er gegen alle Einwände, gegen alle Hindernisse, gegen die Blicke von uns allen, diesen Kraftakt hinter sich bringt. Ich bin gerührt. Fast zu Tränen gerührt.

Jetzt, am Ende, kommt die Solidarität unter uns Läufern, unter den schwachen Läufern, immer mehr ins Spiel. Immer wieder wird man mitgezogen: Πάμε! Und das hilft. Ein paar hundert Meter läuft man dann zusammen, vielleicht einen Kilometer, und muntert sich gegenseitig auf: Wir schaffen das!

Dann kommt das Meer in Sicht. Endlich! Jetzt beginnt der schönste Teil der Strecke, und man entwickelt noch einmal neue Kräfte. Unglaublich. Die letzten zwei, drei Kilometer gehen wieder gut.

Wir treffen auf die große Gruppe der 5000-Meter-Läufer. Mit ihnen zusammen geht es Richtung Ziel. Die Marathonläufer sind an der Startnummer zu erkennen und haben eine eigene Spur und werden ganz besonders angefeuert: „Gleich geschafft“, „Toll gemacht“, „Nur noch zweihundert Meter!“. Und die schafft man dann auch noch.

Alexander der Große ist übrigens der Name des Marathons.

 

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Zoon politikon?

Dass der Maulwurf uns etymologisch hinters Licht führt, ist bekannt: Er wirft die Erde nicht mit dem Maul, sondern mit den Vorderpfoten hoch. Das Wort wurde im Laufe seiner Entwicklung zweimal umgedeutet. Aus dem ‘Haufenwerfer’ wurde, bereits etymologisch falsch, der ‘Erdwerfer’ und dann der ‘Maulwerfer’. (Olschansky, Heike: Täuschende Wörter. Kleines Lexikon der Volksetymologien. Stuttgart: Reclam, 1999: 99-100). Der Maulwurf hat aber auch sonst was zu bieten: Er wiegt ca. 100 Gramm und frißt so viel, wie er wiegt – jeden Tag! Er hält keinen Winterschlaf, gräbt sich aber unter der Erde ein und muss Vorrat anlegen. Dabei hat er ein Problem: Sind die Würmer tot, werden sie zu Gammelfleisch, sind sie lebendig, laufen sie weg. Der Maulwurf verfolgt eine erfolgreiche Strategie: Er verletzt die Würmer, ohne sie zu töten. Sie sind dann aber so eingeschränkt in ihrer Bewegung, dass sie nicht fliehen können. Politisch soll der Maulwurf auch eine Rolle gespielt haben: William III., der umstrittene “ausländische” englische König, soll bei einem Ausritt in Hampton Court mit seinem Pferd über einen Maulwurfshügel gestolpert sein und sich nicht mehr von den Folgen seines Falls  erholt haben. So stellt es jedenfalls eine Statue im St. James’s Square dar, die William mit Pferd und Maulwurfhaufen zeigt. Die Wahrheit war vermutlich prosaischer, aber die Geschichte ist doch schön. Das fanden auch die Jacobites. Die waren dem Maulwurf dankbar.

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Der deutsch-deutsche Schäferhund

In einem Vortrag am Center for Metropolitan Studies in Berlin wurde eine oft vernachlässigte Seite der deutsch-deutschen Vergangenheit abgehandelt. Es ging um die Grenzhunde der DDR. Die stammten in großer Zahl von den KZ-Wachhunden der Nazis ab. Nach 1990 wurden einige von ihnen an der Außengrenze der EU eingesetzt und zeichneten sich dort durch besonders aggressives Verhalten aus. Auch bei westdeutschen Hundebesitzern war die Nachfrage nach den Osthunden, die sich von den eher zahmen Westhunden unterschieden, groß. Die Autorin des Vortrags, Christiane Schulze, Doktorandin, sieht die Osthunde als manipulierte Opfer der von Gewalt geprägten deutschen Geschichte. Der Vortrag wurde mit Beifall aufgenommen und erschien leicht verändert als Artikel n der renommierten Zeitschrift Totalitarismus und Demokratie. So weit, so gut. Das Problem: Es gibt keine Christiane Schulze. Es gibt auch keine Studie zu Ost- oder Westhunden. Alles ist frei erfunden. Die falsche Christiane Schulze sagte in einem Interview mit dem Neuen Deutschland, sie habe erzählt, was die Leute hören wollten. Es reiche völlig, den richtigen Stil zu treffen und das alles ohne Lachen vorzutragen. Lügengeschichten werden geglaubt, wenn sie in dem Kram passen. Und zwar auch in der Wissenschaft. (Martenstein, Harald: „Über Nazi-Schäferhunde und andere Lügengeschichten“, in: Zeitmagazin 11/2016: 8)

 

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What the fuck?

A student once asked me whether he could do a word report about the word nigger. Instead of answering straight away, I took up his question and, in the next session, asked the class what they thought. They seemed to be surprised when I whole-heartedly said “Yes, of course.” There is no reason to ignore words only because they have negative connotations. They form part of the language, and whether we like the word in question or not is irrelevant. To illustrate my point further, I gave them a short report about a word which I myself do not use: fuck. It is a word which is frequently used and thus relevant for the linguist. So what can we say about fuck? To begin with, it can be used as a verb, as a noun and as an interjection, without any change of form, a phenomenon which is called conversion in word-formation. Then, compounds can be formed using it: fuckhead, fuckall, fuckwit. Phrasal verbs can be formed as well: fuck up, fuck off. It can be used in the literal sense but much more frequently is it used in the metaphorical sense. As a matter of fact, fuck is used metaphorically much more frequently than literally: What the fuck is going on? Get the fuck out of here. Who gives a fuck? Get a bigger fucking hammer. Fuck, you scared the shit out of me. Mary’s fucking beautiful. Moreover, one may wonder about the word’s  phonological form. There is a velar consonant and a closed vowel in the word fuck, and it is a short word. Are such words perhaps particularly apt to be swearwords, i.e. is there any sound symbolism involved in such words? Consider dick, bunk, dork, wank, prick, shag, wog, pig, slag. Whatever one may say about fuck, it can hardly be said that it is not an interesting word.

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Zug nach Norden

1915 taten die Autohersteller in Detroit einen ungewöhnlichen Schritt: Sie schickten Werber in den Süden, bis nach South Carolina, um dort schwarze wie weiße Arbeiter anzuheuern. Wie kam das? Es herrschte Arbeitskräftemangel, und zwar als Folge des Ersten Weltkriegs. Der Strom der Einwanderer aus Polen, Italien, Deutschland und Irland war abgebrochen. Man brauchte neue Arbeitskräfte. Und die Schwarzen kamen. In  Scharen. Sechs Millionen Schwarze wanderten vom Süden nach Norden. Sie hatten gute Gründe, zu fliehen. Nach dem Bürgerkrieg wollten die Nordstaaten den Süden völlig neu aufbauen, nach ihrem Bild formen. Nur befreite Sklaven und Weiße, die sich gegen die Sklaverei gestellt hatten, sollten dort das Sagen haben. Dagegen wehrte sich die alten weiße Eilte, mit Erfolg. In den Südstaaten wurden Rassengesetze erlassen, die die Schwarzen zu Bürgern zweiter Klasse machten, ohne Wahlrecht, ohne Zugang zu guten Schulen, ohne das Recht, neben Weißen sitzen zu dürfen. So setzte eine Flüchtlingsbewegung großen Ausmaßes ein. Das kann man an nackten Zahlen ablesen: Bis 1915 lebten noch 90% aller Schwarzen im Süden, danach nur noch 50%! Die große Migration veränderte das Gesicht der USA. Wenn sie trotzdem oft unterschätzt oder gar nicht erst gekannt wird, dann liegt das daran, dass sie innerhalb eines Landes stattfand. Es gab keine Sprachprobleme und keine Grenzen, die man schließen konnte. (Piper, Nikolaus: „Revolution ohne Anführer“, in: Süddeutsche Zeitung 297/2015: 25)

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Sprachgewalt

Ausländer können in den Augen der Japaner verschiedene Dinge nicht: mit Stäbchen essen, im Seiza sitzen oder Japanisch sprechen. Einst durften sie das nicht einmal: Während der über 200 Jahre dauernden Selbstisolation Japans war es den Kaufleuten der holländischen Handelsstation, den einzigen Weißen im Land, streng verboten, Japanisch zu lernen. (Neidhart, Christoph: „Sie können mit Stäbchen essen?“, in: Süddeutsche Zeitung 7/2016: 7)

 

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Who’s Bob?

On n’est pas Bob à moitiè. That’s what it said on a beer-mat in a pub in Belgium. I wondered: Who’s Bob? Part of the answer was on the beer-mat itself: Un vrai Bob ne boit pas d’alcool. A Bob, I learnt, was somebody who had volunteered to drive his friends home from the pub and remain sober all night. Bob, who despite his name can be male or female, is offered a free soft drink in many pubs and is recognizable by a soft wristband which has Bob written on it. Though I did not know who Bob was, most people I asked did, especially younger people. Though Bob is now known in many other places, his origins are actually in Belgium, the country where I first met him.

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Die Schnitter kommen

Ameisen sind Insekten. Insekten sind, der Wortbedeutung nach, ‚eingeschnittene‘ Tiere: insectum ist das Partizip Perfekt Passiv des lateinischen Verbs insecare, ‚einschneiden‘ (Sektion, Sekte, Sektor sind etymologisch verwandt).  Und Ameisen? Das mittelhochdeutsche āmeize besteht aus der Vorsilbe –a und einem Element, das ‚schneiden‘ bedeutet (und mit Meißel verwandt ist). Auch das bezieht sich (vermutlich) auf den Körperbau der Tiere). Ameise sind also ganz wörtlich, Insekten, und Insekten sind Ameisen. (Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin, New York: De Gruyter, 1999: 33 + 402)

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Hinterrücks

Ein australischer Mann überzeugte seine Ehefrau, ihre neugeborene Tochter Lanesra zu nennen. Die Frau sagte nach einigem Zögern zu, ohne zu ahnen, was hinter dem Namen steckte: Ihr Mann ist Anhänger des FC Arsenal.

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Das Ziegenproblem

Die Regierung hat die Steuern auf den Besitz von Ziegen deftig erhöht. Das gilt für das ganze Land. Die Ziegen zerstören die Wälder. Sie fressen die Knospen und zarten Triebe der Pflanzen, dekretiert die Regierung. Nur: Hier, in Galiano, gibt es keine Wälder. Die Ziegen knabbern an Dornbüschen und können da überleben, wo Schafe und Kühe es nicht können. Sie sind der einzige Reichtum der Bauern. Die Ziegensteuer ist zu hoch. Die Bauern können sie nicht bezahlen. Also schlachten sie die Ziegen und haben jetzt keine Milch und keinen Käse mehr. (Levi, Carlo: Cristo si è fermato a Eboli. Turin: Einaudi,  1990: 42)

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Hammelherde

Bei Eintracht Trier steht ein Spieler namens Hammel auf dem Feld, beim Gegner ein Spieler namens Faisthammel. Hammel schießt ein Tor, Faisthammel fliegt vom Platz.

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No zuo no die

This is English. At least, a form of English. It is of Chinglish origin. The word zuo is Chinese and means ‘act silly’ (though literally it refers to suicidal action). The phrase thus means: if you don’t do stupid things, they won’t come back to you, if you don’t look for trouble, you won’t find any (but if you do, you will, and you will come to feel the consequences of your own actions). The phrase has gained wide popularity and has now been entered, to the bewilderment of many, into an online US dictionary, together with the derived form zhuangbility. And the phrase is parodied in a song which has recently come out. The phrase is commonly used in internet communication as a comment on someone who has brought trouble onto himself through thoughtless action. Here’s an example:

  • Some dude baked cookies shaped like iPhone, held it by the mouth when driving, tried to mess with traffic cops.
  • Did he pull it off?
  • Cop was pissed and ran his name through the system. Turns out he’s got speed tickets unpaid!
  • No zuo no die.
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Mann vom Lande

Bauer ist ein gängiger Familienname in Deutschland. Er ist einer der zwanzig häufigsten. Und wo wohnen die Bauern? In der Stadt! Wo auch sonst? Um Bauer zu heißen, genügte es nicht, Bauer zu sein. Auf dem Lande Bauer zu sein, war nichts Besonnderes. Das waren praktisch alle. Erst wenn man als Bauer in die Stadt zog, war das ein besonderes Merkmal. Das ist bis heute spürbar. Die meisten Menschen mit dem Nachnamen Bauer wohnen in München! Aber da spielt noch etwas eine Rolle: Die Bedeutung von Bauer war viel weiter als heute. Bauer konnte auch ‘Nachbar’, ‘Mitbewohner’ bedeuten. Das gilt auch für andere Namen: Ein Bader war nicht nur Bademeister, sondern ein Allroundkünstler, der nebenbei auch zur Ader ließ, frisierte und die Zähne zog! (vgl. Maas, Herbert: Von Abel bis Zwicknagel. Lexikon deutscher Familiennamen. München, DTV, 1964: 21-24)

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Hat sich einen Namen gemacht

In Kadares Roman Chronik in Stein ändert ein Mann aus dem Nachbarviertel, Gjergj Pula, seinen Namen in Jorgos Pulos. Die Griechen haben in dem Ort die Macht übernommen. Es ist schon der zweite Namenswechsel, den er vornimmt. Vorher hatte er seinen Namen in Giorgio Pulo abgeändert. Das war, als die Italiener das Kommando übernommen hatten. Am Schluss des Romans hat er beim Standesamt eine weitere Namensänderung beantragt: Jürgen Puller. Die Deutschen sind einmarschiert. Es heißt, er habe noch einen Jogura in Reserve gehabt, für den Fall der japanischen Besatzung. (Kadare, Ismail: Chronik in Stein. Frankfurt: Fischer, 2012: 157 + 249)

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Namenlos

In Samarakis‘ Roman Der Fehler (im Original Το Λάθος) wird ein Verdächtiger von zwei Beamten des Geheimdienstes in die Hauptstadt überführt. Der Verdächtige heißt immer nur Der Mann aus dem Café Spor (dem Ort, an dem er verhaftet wurde) oder Der Andere oder Der Dritte. Seinen Namen erfährt man nicht. Bei der Lektüre dämmert es einem dann: Es kommen in dem ganzen Roman fast gar keine Eigennamen vor (bis auf die Namen von Cafés und Hotels). Der eine Beamte heißt Der Inspektor, der andere Der Manager (weil er angeblich früher Manager war, Manager eines Flohzirkus‘). Die Hauptstadt heißt immer nur Die Hauptstadt, die Stadt, in der die Verhaftung stattfand heißt, genauso wie eine Stadt, in der sie Halt machen, immer nur Die Stadt. Und  der Vorgesetzte heißt immer nur Der Vorgesetzte. Figuren und Orte bleiben anonym. Sie stehen nicht für sich selbst, sondern für etwas Allgemeines. Der Roman spielt zur Zeit der griechischen Militärdiktatur. (Samarakis, Antonis: Der Fehler. Berlin: Verlag Neues Leben, 1976.)

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Eröffnung

“Ich weiß nichts von Italienern und Griechen … Ich weiß nur, dass das Gefängnis geschlossen ist. Gräßlich! Alle Türen sind offen.” Bei der Lektüre dieser Passage kann man ins Stocken geraten: Geschlossen? Offen? Bei der weiteren Lektüre stellt sich heraus, was gemeint ist: Der Wechsel der Besatzungsmacht hat zur Folge, dass der Stadtkommandant die Kontrolle über die Stadt verloren hat. Das gilt auch für das Gefängnis. Alle Häftlinge haben es verlassen. Es gibt keine Aufsicht mehr. Das Gefängnis ist also im institutionellen Sinne geschlossen, d.h. es hat seine Funktion als Gefängnis verloren; im materiellen Sinne ist es aber offen, seine Türen sind nicht mehr verschlossen. Hier bedeutet geschlossen also ‘niedergelegt’,  ‘aufgegeben’. Das Gefängnis ist offen, weil es geschlossen wurde.  (Kadare, Ismail: Chronik in Stein. Frankfurt: Fischer, 2012: 136)

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Passende Medizin

Gelbe Pflanzen gegen Gelbsucht – herzförmige Blüten gegen Herzkrankheiten – Disteln gegen Stechen in der Brust. Bei all seiner Fortschrittlichkeit blieb Paracelsus dem magischen Denken seiner Zeit verhaftet. Da waren zwar ein paar Treffer dabei, aber deas waren Zufallstreffer. In Grunde führte die Signaturenlehre aber auf einen Irrweg. Gegen Erkrankungen männlicher Sexualorgane empfahl Paracelsus Orchideenknollen. Die sahen den männlichen Hoden ähnlich. („Paracelsus. Früher Querdenker in der Medizin”, in: „Sprechstunde“.  Deutschlandfunk, 20/10/2015)

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Reis mit Nudeln?

In der Mensa auf dem Speiseplan eine Reis-Nudel-Pfanne gesehen. Die entpuppte sich aber als Reisnudelpfanne. Nur Nudeln, keine Mischung aus Reis und Nudeln. Kann man in der Schreibweise und in der Aussprache unterscheiden.

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Hitler hütet Schafe

Nach dem Krieg machten Gerüchte die Runde, Hitler habe Zuflucht in Argentinien gefunden, bei Perrón. Der hatte nie einen Hehl aus seiner Verehrung für Hitler gemacht. Die Gerüchte kamen auf, als in kurzen Abständen zwei deutsche U-Boote in Argentinien landeten. Das erste U-Boot, stellte sich heraus, war aber schon vor Mai 1945 gestartet. Es kam deshalb nicht in Frage. Anders bei dem zweiten U-Boot. Das war am 2. Mai gestartet. Und es hatte einen verdächtigen Umweg gemacht. Es wurde vermutet, man habe Hitler auf einer einsamen Insel oder in der Antarktis abgesetzt. Die Besatzung wurde immer wieder verhört, aber es gab kein Anzeichen dafür, dass Hitler tatsächlich an Bord des U-Boots war. Solche Gerüchte hatten Konjunktur. Hitler halte sich in den Bergen in den Alpen auf und hüte dort Schafe, Hitler sei nach Schweden entkommen, wo er zwei Kinder hatte. Solche Gerüchte konnten entstehen, weil Hitlers Leiche nie gefunden worden war. Außerdem war in den ersten Maitagen mitten in Berlin plötzlich ein Flugzeug gestartet, so plötzlich, dass die sowjetischen Soldaten überrumpelt wurden und es verpassten, auf das Flugzeug zu schießen. Hitler galt als die Verkörperung des Bösen, und das, so meinte man, könne nicht sterben. Stalin nährte solche Gerüchte. Er streute das Gerücht, Hitler sei nach Japan entkommen oder habe Zuflucht bei Franco gefunden. Überall wurde nach Hitler gesucht. Ein Mann, der ihm ähnlich sah, wurde immer wieder gefangen genommen, musste aber immer wieder frei gelassen werden. Bei der frenetischen Suche gingen dann andere Nazi-Größen ins Netz, nur Hitler nicht. („Hitlers Leichnam“ in: N 24, 18/10/2015)

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Nützliche Gesellschaft

Ein Gefährte ist jemand, mit dem man den Weg teilt, mit dem man auf Fahrt ist, ein Kumpane (und ein Kompagnon) ist jemand, mit dem man sein Brot teilt (lat. panis), eine Geselle ist jemand, mit dem im gleichen Haus lebt, mit dem man den Saal teilt, und ein Genosse ist jemand, der aus der gleichen Sache Nutzen zieht. Diesen Nutzen bezog man in der Regel aus Vieh. Das moderne schwedische Wort nöt bedeutet ‘Rind’, und eine der Bedeutungen des englischen neat ist ‘Vieh’. (Maas, Herbert: Wörter erzählen Geschichten. Eine exemplarische Etymologie. München: DTV, 1965: 72-73)

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Ungleiche Zwillinge

Lauter Zwillinge: sister und Schwesterfoot und Fuß, apple und Apfel, us und uns, great und groß. Da kann man auch als Laie die Ähnlichkeit leicht erkennen, und wenn man ein paar Lautgesetze kennt, erscheint die Ähnlichkeit noch größer. Aber was ist mit horse und Pferd, mit knight und Ritter, mit stove und Herd, mit clean und sauber, mit war und Krieg, mit idle und faul? Keine Ähnlichkeit zu erkennen. Aber wenn man etwas länger hinsieht, erkennt man den ungleichen Zwilling: horse und Ross, knight und Knecht, stove und Stube, clean und klein, war ud wirr, idle und eitel. Und town und Zaun, und deer und Tier, und dog und Dogge und hound und Hund und bone und Bein und hour und Uhr….

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Mutabel

Wenn man mutig ist, hat man Mut, um guten Mutes zu sein, braucht man keinen Mut. Da hat Mut noch seinen alten, weiteren Sinn: ‘Denken’, ‘Empfinden’, ‘Wollen’, ‘Sinn’. Daher auch Hochmut, Gleichmut, Übermut, Demut, Sanftmut, Großmut. Und daher auch mutmaßen. Und in a mood. (Maas, Herbert: Wörter erzählen Geschichten. Eine exemplarische Etymologie. München: DTV, 1965: 125)

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Klingt aberwitzig

Aberglaube, Aberwitz, abermals, abertausend. Warum eigentlich aber? Das liegt in der Geschichte des Wortes begründet. Es deckte ursprünglich auch die Bedeutung ‘wieder’ ab. Deshalb abermals und abertausend.  Gleichzeitig entwickelte es aber auch die Bedeutung ‘entgegengesetzt’. Das klingt merkwürdig, ist es aber vielleicht nicht. Dass Wiederholung und Gegensatz nahe beieinander liegen, zeigt auch das Nebeneinander von wieder und wider. So entwickelte sich die Konjunktion aber als Einleitung eines Nebensatzes, der das Gegenteil zum vorherigen Satz bringt. Was entgegengesetzt ist, kann auch als ‘schlecht’, ‘verkehrt’ verstanden werden. Und das erklärt Aberglauben und Aberwitz! (Maas, Herbert: Wörter erzählen Geschichten. Eine exemplarische Etymologie. München: DTV, 1965: 15-16)

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Ärzteschaft

Nachdem Dante geheiratet hatte, trat er in Florenz einer Arte bei, einer Art Innung. Das war eine Voraussetzung dafür, dass man volle politische Rechte ausüben durfte. Dante trat der Innung der Ärzte bei, obwohl er kein Arzt war. Wovon er zu dieser Zeit lebte, weiß man nicht. Auch Giotto war vor ihm Mitglied bei den Ärzten gewesen. Bei den Ärzten konnten sich alle anmelden, die in irgendeiner Weise mit chemischen Produkten zu tun hatten. Giotto hatte mit Farbe zu tun, Dante mit Tinte. (Montanelli, Indro & Gervaso, Roberto: L’Italia dei secoli d’oro. Il Medio Evo dal 1250 al 1492. Milano: Rizzoli, 1997: 74)

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Leseschwäche

In einem Rundschreiben steht Indienststellung. Ich lese Indien-Stellung statt Indienst-Stellung. In einer handschriftlichen Notiz lese ich von der Kotze von Trient. Es ist das Konzil von Trient. Und in einem Roman lese ich von Teewürsten zwischen Betonsilos. Es ist eine Teerwürste zwischen Betonsilos.

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Kunstfehler

Die Laokoon-Gruppe, Sinnbild der Zerstörung Trojas, kam bei einem sensationellen Fund im Jahre 1506 ans Licht. Man wusste von der Skulptur, da sie bei Plinius erwähnt wird. Nach dem Fund hielt man die Skulptur jahrhundertelang für das Original. Das war sie aber nicht. Sie war die Kopie eines Bronzegusses. Der Irrtum entstand aus einem simplen Übersetzungsfehler: Plinius hatte von arte statuaria gesprochen, und das bedeutete Bronzeguss und nicht Marmorskulptur. Es ist ein merkwürdiger Zufall, dass Michelangelos, zusammen mit seinem Gastgeber Sangallo, der erste war, der die Gruppe zu Gesicht bekam. Michelangelo wartete bei Sangallo auf Marmorblöcke, die er für das Grabmal Julius II. bestellt hatte. Ein Reitknecht traf ein mit der Nachricht, unweit von Santa Maria Maggiore, unweit des von Plinius genannten Aufstellungsortes, sei eine ganz ungewöhnliche Skulpturengruppe gefunden worden. (Kupper, Daniel: Michelangelo. Reinbek: Rowohlt, 2004: 65-66 + 140)
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Ist gebongt

“Ist gebongt.” So stand es in einer SMS. Die Empfängerin, für die Deutsch eine Fremdsprache ist, schrieb zurück: “Das Wort kenne ich nicht. Das muss ich nachschlagen.” Nur: Wo schlägt man gebongt nach? Was ist das für ein Wort? Wie lautet der Infinitiv? Die Antwort lautet: bongen. Da staunt der Muttersprachler. Der von der Fremdsprachenlernerin etwas über seine eigene Sprache gelernt hat. Es gibt tatsächlich Belege, in denen andere Formen des Wortes auftauchen: “während er die Preise bongte”, “um ihre Einkäufe zu bongen”, “die Verkäuferin bongte die Preise ein” (zufällige Funde im Internet). Allerdings handelt es sich hier um die wörtliche Bedeutung, nicht um die übertragene, wie in der ursprünglichen SMS. Da es bongen tatsächlich gibt, ist gebongt kein Scheinpartizip. Solche Scheinpartizipien gibt es aber: behelmt, gestreift, gehörnt, befrackt, bejahrt, buntbebildert. Mann kann niemanden behelmen, hörnen, befracken usw. Komischerweise ist kann man ein Buch bebildern, aber nicht buntbebildern, auch wenn es bebilderte und buntbebilderte Bücher gibt.

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Durch die Hölle von Metz

Die Place Saint Louis in Metz verdankt ihren Namen einem Irrtum: Eine Statue, die auf dem Platz steht, wurde irrtümlich als ein Abbild des Hl. Ludwig angesehen, und so bekam der ganze Platz seinen falschen Namen. Nicht weit entfernt befindet sich die Rue de l’Enfer, eine schöne volkseytymologische Missdeutung des ursprünglichen lateinischen Namens Via inferior. Aus der unteren Straße wurde die Hölle. Überall in Metz stehen Hotels: Hôtel de la Bulette, Hôtel de Burtaigne (eine Korruption von Bretagne), Hôtel de l’Intendant, Hôtel de Ville. Es sind natürlich keine Hotels. Hier ist Hotel in seiner älteren Bedeutung von ‘Palais’ gebraucht und ist kein Beherbergungsbetrieb. Der Justizpalast von Metz steht auf dem ehemaligen Königsplatz. Der heißt heute Place de la République. Die größte Glocke der Kathedrale, Dame Mutte, leitet ihren Namen von ameuter, ‘sammeln’, ab.  Sie wurde bei Gefahr geläutet. Und Sainte Thérèse, eine Kirche aus Stahhlbeton und mit mit Stahlzementstegen statt Blei in den Glasfenstern, heißt im Volksmund Notre-Dame du Béton.

 

 

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Lesart

Man kann sich kaum “deutschere” Wörter vorstellen als sprechen, schreiben, lesen. Aber der Schein kann trügen. Während sprechen tatsächlich ein einheimisches Wort ist, ist schreiben ein Lehnwort aus dem Lateinischen! Es ist von scribere abgeleitet. Und lesen liegt dazwischen. Es existierte schon in der Bedeutung ‘auflesen’, ‘sammeln’ (s. Weinlese, Auslese). Die Bedeutung ‘Schrift deuten’ bekam es aber erst durch das Lateinische, denn lateinisch legere hat (genauso wie griechisch légein) beide Bedeutungen. Eine “fremde” Bedeutung wurde einem “eigenen” Wort hinzugefügt. (Casemir, Kirsten & Fischer, Christian: Deutsch. Die Geschichte unserer Sprache. Darmstadt: WBG, 2013: 93-94).


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Erkenne dich selbst – besser nicht

Im antiken Rom gab es kein Ideal der Jungfräulichkeit. Im Gegenteil: Das Beharren auf der Unberührtheit galt als Zeichen von Einseitigkeit, Beziehungslosigkeit, mangelnder Bereitschaft zur Weiterentwicklung. So kommt es auch in den Mythen zum Ausdruck, bei Narziss zum Beispiel. Der flieht bei Ovid vor Echo und sieht nur sich selbst. Und geht daran zugrunde, als er sich in sein eigenes Spiegelbild verliebt. Eine Paradoxie: Er scheitert daran, dass er sich selbst erkennt! Genauso hat es Tiresias, der blinde Seher, vorausgesagt:  Er werde ein langes Leben haben, solange er sich nicht selbst erkennt. (Giebel, Marion: Ovid. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 5/2003: 75-76)

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Unsere Jungs

“Unsere Jungs”, sagte meine Schwester, als wir klein waren. Die Form Jungs war die einzige Form, die wir kannten. Erst später kam dann die Form Jungen dazu, die irgendwie formaler klang, nach Schriftsprache.  Wir ahnten natürlich nicht, dass Jungs niederdeutsch war, und dass diese Pluralbildung dann auch Eingang fand ins Hochdeutsche und besonders bei Neubildungen und Entlehnungen zu finden ist: Autos, Tanks, Tabus, Omas. Im Hochdeutschen ist diese Pluralbildung relativ neu, im Niederdeutschen gab es sie schon immer: Buddels, Büdels. Bäckers, Jungs, Wracks. (Casemir, Kirsten & Fischer, Christian: Deutsch. Die Geschichte unserer Sprache.Darmstadt: WBG, 2013: 65-66).

 

 

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Kriegt er sie oder kriegt er sie nicht?

Apollo ist scharf auf Daphne. Er läuft hinter ihr her. Sie läuft davon. Er lässt nicht nach. Verfolgt sie überall hin. Eigentlich gibt es nur zwei Möglichkeiten: Er kriegt sie. Oder er kriegt sie nicht. Wenn er sie kriegt, schlägt der frivole Ton der Verfolgungsjagd in Zynismus um. Wenn er sie nicht kriegt, bleibt sie auf ihrem jugendlichen Entwicklungsstadium stehen. Ovid findet eine dritte Möglichkeit: Apollo kriegt sie ein, aber in dem Moment, wo er sie erreicht und berührt, verwandelt sie sich in einen Lorbeerbaum. Das bedeutet ihr Name, Daphne, auf Griechisch. Damit wird die Beziehung der beiden auf eine höhere Ebene gehoben. Und Daphne ist nicht mehr eine einzelne Person, sie ist überall lebendig. Jeder Lorbeerbaum ist Daphne. Und ihr wird eine Aufgabe in der Gemeinschaft zugewiesen: Sie schmückt die Sieger bei den Wettspielen, die Dichter bei den Wettbewerben. Aber wer läuft da hinter wem her? Ist Daphne die keusche Jungfrau, die sich durch ihre sittliche Kraft der Welt entzieht und dafür ewigen Lorbeer gewinnt? So sahen es die Kirchenväter. Oder ist Daphne die göttliche Weisheit, die Prudentia, der der Christ nachjagt, um durch sie sein Seelenheil zu gewinnen? So sah es das Mittelalter. Oder ist Apollo der Dichter, der dem Lorbeer hinterherläuft, der weltliche Dichter, dessen Werk durch sie ins Göttliche erhöht wird? So sah es die Renaissance. (Giebel, Marion: Ovid. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 52003: 56-57)

 

 

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Demütiger Beginn

Das erste Buch in deutscher Sprache ist kein Epos, kein Psalm, keine Abhandlung, auch kein Kaufvertrag oder ein Lobgesang auf Gott oder einen Herrscher, sondern – ein Wörterbuch. Das Wörterbuch steht ganz im Dienste des Lateins und ist nach den lateinischen Stichworten geordnet. Das Wörterbuch heißt Abrogans, nach dem ersten Eintrag des Buches. Dem Wort abrogans, mit Zierinitiale, folgt die deutsche Übersetzung: dheomodi ‚demütig‘. Das Buch ist heute in der Stiftsbibliothek des Klosters St. Gallen. (Casemir, Kirsten & Fischer, Christian: Deutsch. Die Geschichte unserer Sprache.Darmstadt: WBG, 2013: 21-23).

 

 

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Farbmarkierung

“Schalke, heißt es, seien die ‘Knappen’, der Arbeiterclub, das ist das Herz seiner Identität. Und es stimmt ja auch, denn er ist ein Club aus der Arbeiterwelt und in der Arbeiterwelt. Aber ist das beim MSV, bei Rot-Weiß Essen, bei Rot-Weiß Oberhausen, Dortmund, Wattenscheid oder Bochum anders?” Diese Passage enthält einen Rechtschreibfehler. Um den zu identifizieren, genügt eine solide Kenntnis der deutschen Rechtschreibung nicht. Er hat etwas mit Traditionen zu tun, mit Konventionen, die sich den allgemeinen Regeln entziehen. Der Fehler liegt bei Rot-Weiß Essen. Es muss Rot-Weiss Essen heißen. Dagegen heißt der Verein aus der Nachbarstadt Rot-Weiß Oberhausen! (Das Zitat ist aus Lischka, Konrad & Patalong, Frank: Das Schönste am Wein ist das Pilsken danach. Köln: Lübbe, 2011: 179)

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Olle Kamellen

Ich weiß nicht, warum ich bei olle Kamellen immer an Bonbons gedacht habe. Irgendeine Verbindung mit Karamell vermutlich. Die ollen Kamellen haben damit aber nichts zu tun. Die Kamelle ist eine umgangssprachliche Form von Kamille. Alte Kamillen verlieren ihre Wirkkraft und sind zu nichts mehr zu gebrauchen.

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Kolporteure

Marskramer heißt ein Gemälde von Jerome Bosch. Es stellt, wie der Titel besagt, einen Hausierer dar. Auf Französisch heißt das Gemälde Le colporteur. Kolporteure waren Leute, die durch die Lande zogen, um ihre Waren anzubieten. Sie hießen so, weil sie die Ware um den ‘Hals trugen’. Entweder als Bauchladen oder auf dem Rücken (wie die Kiepenkerle im Münsterland). Kolporteure boten auch Schriften sensationellen oder unterhaltsamen Inhalts an. Daraus entwickelte sich die moderne Bedeutung! Im Englischen bürgerte sich die Bezeichnung peddler ein, und das wiederum ist von franz. pied abgeleitet!

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Magie der Sprache

Die erste Leserin von Ulla Hahns  Das Verbotene Wort, die Frau, die das Manuskript abtippte, wollte wissen, was aus einem der Charaktere des autobiographischem Romans geworden war. Ulla Hahn konnte keine Auskunft geben. Die Figur war frei erfunden. Magie der Sprache.

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Da ist der Wurm drin

Merkwürdige Parallele: Hebbels Maria Magdalena und Kazantzakis Alexis Sorbas sprechen beide vom Wasser und von der Wirkung, die es hat, wenn man es unter der Lupe betrachtet. Die Lust am Trinken vergeht einem. Man entdeckt überall kleine Würmer. Hat Kazantzakis vielleicht Hebbel gelesen? Oder sind beide zufällig auf den gleichen Gedanken gekommen? Oder ist es gar kein origineller Gedanke und beide geben etwas wieder, was sie irgendwo gehört haben? Die Stoßrichtung ist klar: Die Lupe ist schädlich, sie hindert am Leben. Allzu genau hinschauen ist verderblich. Wirf die Lupe weg, breche sie entzwei, sagt Sorbas ganz ausdrücklich. Das richtet sich an seinen Freund und Chef, an den Erzähler, den Bücherwurm. Beide Männer, die die Würmer nicht sehen wollen, Meister Anton und Sorbas, sind erdverbundene Charaktere, keine Denker. Dass sie so denken, ist eine Sache. Was denken ihre Autoren? Teilen sie das? Sind sie hin- und hergerissen? Kann man die Lupe überhaupt wegwerfen, wenn man einmal angefangen hat, sie zu gebrauchen?

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Diamonds are a tsar’s best friend

Humboldt, der Minenexperte, hatte schon vor seiner Reise nach Sibirien in einem Gutachten das Vorkommen von Diamanten vorausgesagt und das auch der Zarin bei seinem Besuch in Petersburg angekündigt. Während der Reise wurde dann im Ural tatsächlich der erste sibirische Diamant gefunden. (Meyer-Abich, Adolf: Alexander von Humboldt. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 131998: 121-123).

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Ohne Punkt und Komma

Dass Homer keine Satzzeichen kannte, kann man sich noch vorstellen – erst Aristophanes redigierte die Texte und setzte graphische Unterbrechungszeichen – aber dass Cervantes seinen Don Quijote noch ohne Punkt und Komma schrieb, ist kaum zu glauben. Selbst Goethe legte keinen großen Wert auf Interpunktion. Er überließ sie weitgehend den Schreibern oder den Setzern in den Druckereien. Die richteten sich nach Adelung. Der hatte ein Regelwerk verfasst, und das wurde zum Maßstab. Die straffe Interpunktion, der wir folgen, ist auf jeden Fall eine junge Erfindung. Die wird oft als bequem empfunden. Es gibt aber auch gute Gründe, sich nicht an die Regeln zu halten. Ein Schreiber kann Interpunktion für feine Schattierungen einsetzen. Auch Duden sprach sich entschieden dafür aus. (Borchardt,  Katharina: „Ohne Punkt und Komma? Der Punkt als Text-Ordnungssystem“, in SWR 2 Matinee: 08/03/2015)

 

 

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Ein Stück weit

Zitat aus einer Radiosendung (SWR 2: Forum, 19/02/2015). Ein Migrationsforscher spricht: „An jeder dieser Schwelle beobachten wir, dass Migrantenkinder immer ein Stück weit runterfallen. Das liegt an den Eltern, aber überwiegend an unserem selektiven Bildungssystem. Ich glaube auch, dass es dort ein Stück weit Diskriminierung gibt, diese Selektivität ist im System ein Stück weit angelegt, da muss man das ganze Bildungssystem ein Stück weit überdenken … Dann ist es halt ein Stück weit bedauerlich, “ Da hat er recht, der Herr Professor. Ein Stück weit.

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Leseprobe

Liest man Schriften mit Serifen schneller als Schriften ohne Serifen? Bin bisher immer nur auf Hinweise gestoßen, die sagen: Man weiß es nicht. Zu unterschiedliche Untersuchungsergebnisse. Jetzt irgendwo etwas gesehen, das vielleicht zeigt, warum die Untersuchungsergebnisse unterschiedlich sind: Danach liest man Schriften mit Serifen schneller (um etwa ein Fünftel), vorausgesetzt, die Serifen sind nicht allzu fett und vorausgesetzt, die Serifen sind nicht allzu fein. Und noch was: Das Ergebnis gilt für Druckerzeugnisse, nicht aber für Bildschirme. Die meisten der handelsüblichen Bildschirme haben keine ausreichende Auflösung. Mit einem Wort: Die Frage ist zu einfach gestellt.

 

 

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Grob gesprochen

“Das war ein brutal wichtiges Spiel”; “Wir haben brutal gegen den Ball gearbeitet”; “Der Abstiegskampf ist brutal”;  “Fehler viel brutaler bestraft als in der 3.Liga.” Die deutschen Fußballspieler haben ein neues Modewort entdeckt. Früher wurde man höchstens mal brutal gefoult.

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Preise verdorben

Heutzutage müsse man sich von neunjährigen Kindern verspotten lassen, weil man nicht lesen könne. So klagt Klaras Mutter in Hebbels Maria Magdalena. Früher sei alles anders gewesen. Da hätten die Herren sich um einen geschickten Schreiber gerissen. Wenn ein Sohn einen Neujahrswunsch für den Vater aufsetzte, dann kassierte der Schreiber für das Aufsetzen des Neujahrswunsches genauso wie für das Vorlesen des Neujahrswunsches hinter verschlossenen Türen, damit man nicht aufgedeckt werde und die Unwissenheit ans Licht kam. Es gab also doppelte Bezahlung, und das machte das Bier teuer!

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Verfluchte Buchstaben

Lesen sei wie eine Sucht, sagt Friedrich, der Sekretär, in Hebbels Maria Magdalena. Die Schulkinder ahnten es wohl, wenn sie sich so sehr dagegen sträubten, das ABC zu lernen. Von der Fibel geht es zur Bibel und von der Bibel zum Corpus juris, und dann merke man, in welche Wildnis einen die verdammten 24 Buchstaben gebracht hätten. Diese Buchstaben, die sich anfangs im listigen Tanz nur zu wohlschmeckenden und wohlriechenden Wörtern wie Kirsche und Rose zusammenstellten.

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Auf die Prüfung!

Leonard in Maria Magdalena hat die Stelle des Kassiers bekommen. Das berichtet er stolz. Es ist ein unerwarteter Erfolg. Der aussichtsreichste Kandidat – und der einzige Mitbewerber – war der Neffe des Pfarrers. Was denn aus dem geworden sei, will Klara wissen.  Der war betrunken, sagt Leonard. Er verbeugte sich vor dem Ofen statt vor dem Bürgermeister, stieß gleich zu Anfang , als er sich setzte, drei Tassen vom Tisch und benutzte, als es ans Rechnen ging, ein selbsterfundenes Einmaleins, das ganz neue Resultate lieferte.

 

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Unschöne Details

In Nürnberg auf der Messe habe er mal ein Glas Wasser unter dem Mikroskop gesehen, sagt Meister Anton in Maria Magdalena. Er wollte danach den ganzen Tag nicht mehr davon trinken, so habe es ihn geekelt. So ist es. Genau hinschauen offenbart eine andere Wirklichkeit, und schön ist die nicht unbedingt.

 

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Ich habe zu fragen, nicht Er

Marinelli ist in Emilia Galotti der Kammerherr des Prinzen. In einem Dialog im ersten Akt geht es um Emilia Galotti: „Sie irren sich in dem Namen“, sagt der Prinz. Und auch später sagt er Sie. Dann stellt Marinelli eine Frage, und der Prinz antwortet: „Ich habe zu fragen, nicht Er.“ (15) Mit einem Mal ist das alte, asymmetrische Verhältnis wieder hergestellt. Aus dem Vertrauten wird wieder der Untertan. Seit dem Aufkommen von Sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Er gebräuchlich gegenüber Angehörigen weniger vornehmen Standes (92). Odoardo, Emilias Vater, spricht Claudia, seine Ehefrau, mit du an, sie sagt durchgängig Sie zu ihm (21-22). Sie selbst sagt Sie zu Marinelli, bis sie merkt, dass der am Tode ihres Mannes beteiligt oder sogar dafür verantwortlich ist. Dann wechselt sie in einer leidenschaftlichen Rede zum du: “Abschaum aller Mörder! Was ehrliche Mörder sind, werden dich unter sich nicht dulden! Dich! Denn warum soll ich dir nicht alle meine Galle, allen meinen Geifer mit einem einzigen Worte ins Gesicht speien: Dich! Dich Kuppler!” (53) Es sind soziale und situative Kriterien, die die Variation bedingen. (Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti, hrsg. von Jan-Dirk Müller. Stuttgart: Reclam, 2001)

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Pistolen zur Belohnung

In Lessings Emilia Galotti kommt Angelo, ein für vogelfrei erklärter Mörder, heimlich in das Haus der Galotti und schleicht sich zu Pirro, einem Diener des Hauses. Er habe, sagt er, hundert Pistolen für den letzten Auftrag erhalten und sei gekommen, Pirro seinen Anteil zu überbringen. Er hält ihm einen Beutel hin. Als Leser ist man baff. Was macht man mit so vielen Pistolen? Wie passen die alle in einen Beutel? Die Erklärung findet man nur in den Anmerkungen: Bei den Pistolen handelt es sich um eine von Philipp II. eingeführte Münzeinheit, die in allen europäischen Ländern nachgeprägt wurde. (Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti, hrsg. von Jan-Dirk Müller. Stuttgart: Reclam, 2001: 23 + 94)

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Schulkameraden

In einer dramatischen Szene in Maria Magdalena erscheint Friedrich, der Sekretär, mit zwei Pistolen im Haus von Leonard, dem Kassierer, um ihn zum Duell aufzufordern. Während des gesamten Dialogs sagt Friedrich du, Leonard Sie. Der wundert sich ganz offen, dass Friedrich du sagt. Und das, obwohl sie Schulfreunde gewesen sind. Dennoch scheint es gang und gäbe zu sein, danach zum Sie überzugehen. Friedrich sagt du, erstens, weil er der ranghöhere ist, zweitens, weil er damit seine Verachtung für Leonard und dessen Verhalten Klara gegenüber ausdrücken will. Das du ist sozial und situativ bedingt. (Hebbel, Friedrich: Maria Magdalena. Stuttgart: Reclam, 2002: 85-86)

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Der kleine Unterschied

Bei der Besichtigung im Georgian House in Dublin und bei der Besichtigung im Sommerhaus Linnès in Linnès Hammarby wurde jeweils auf ein Paar Schuhe verwiesen. Nichts Spektakuläres. Aber nur auf den ersten Blick. Tatsächlich waren die Schuhe in einem ganz zentralen Punkt anders als unsere Schuhe: Rechts und links waren gleich! Was uns heute selbstverständlich anmutet, die durch die naturbedingte Fußform vorgegebene spiegelsymmetrische Form der Schuhe, war lange keine Selbstverständlichkeit. Die Rechst-Links-Unterscheidung (die es früher schon gegeben hatte) wurde erst wieder eingeführt, als Mediziner auf die Fußschäden aufmerksam machten, die durch die gleiche Schuhform entstanden. In den USA wirkten Kriegsministerium und Schuhindustrie zusammen, um die Soldaten der Nordstaaten mit Schuhe mit Rechts-Links-Unterscheidung auszustatten. Es heißt, dass die Nordstaaten auch deshalb den Bürgerkrieg gewannen, weil ihre Soldaten in den Schuhen schneller und weiter wandern konnten!

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Auf Nummer Unsicher

Warum drückt man den Daumen, wenn man jemandem Glück wünscht? Der Daumen ist ein Dämon, und den hält man fest, damit er nicht zur Geltung kommt. Das ist uralt, und auch bezeichnend für die alten Formen vor Aberglauben, die eher darauf abzielen, Unglück abzuwenden als Glück zu bringen. Die meisten Glücksbringer (wie der Schornsteinfeger) sind neueren Datums, mit Ausnahme des vierblättrigen Kleeblatts. Die meisten Glücksbringer sind heute etwas individualisiert, wie die Alltagsgegenstände, Tierfiguren oder Erinnerungsstücke, die Studenten mit zur Klausur bringen. Auf den ersten Blick überraschend, man würde Glücksbringer bei Akademikern eher nicht erwarten. Aber sie geben Sicherheit, ein gutes Gefühl. Ich habe alles getan, um die Klausur zu bestehen, aber es gibt an Rest an Unsicherheit, der außerhalb meiner Kontrolle liegt. Da kommt der Glücksbringer ins Spiel. Soweit verständlich, nur: Warum verlässt man sich ausgerechnet auf so etwas Unsicheres, um Sicherheit zu generieren? Und was, wenn die Klausur dennoch daneben geht? Haben die Glücksbringer dann ausgedient? Vermutlich nicht. Das ist wie mit Weltuntergangspropheten, die für einen bestimmten Tag den Weltuntergang vorhersagen. Wenn der dann nicht eintrifft, stürzt nicht etwa das ganze Gebäude zusammen. Im Gegenteil, die Gruppe rückt noch näher zusammen. (SWR 2: “Hasenpfote und Daumendrücken. Wie abergläubisch ist der moderne Mensch?”, in: Forum, 17/12/2014)

 

 

 

 

 

 

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Auswärtiges Bier

Wie nennt man ein helles Bier, das in einem Ort namens Fucking hergestellt wird? Fucking Hell! So jedenfalls hatte es die mit der Eintragung des Namens beauftragte Marketingfirma geplant. Das wurde zunächst von dem Europäischen Markenamt zurückgewiesen, mit dem Argument, Namen dürften nicht blasphemisch oder abfällig sein. Dann wurde aber dem Einspruch stattgegeben, mit der Begründung, ein Markenname könne nicht deshalb vereitelt werden, nur weil er in einer anderen Sprache eine andere Bedeutung habe. Die Sache hat aber einen Haken, oder besser zwei. Das Bier wird nämlich gar nicht in Fucking, einer österreichischen Stadt nahe Salzburg, hergestellt! Eine Brauerei bei Fucking hatte es sogar abgelehnt, das Bier abzufüllen. Und es handelt sich auch nicht um ein Helles im klassischen Sinne. Die Idee entstand, passend genug, aus einer Bierlaune heraus. Drei Freunde saßen abends beim Bier zusammen und witzelten. Einer von ihnen stammte aus Reichenhall, unweit von Fucking. So kam der Name auf. Und aus der Schnapsidee wurde eine patentierte Biermarke. Es wurde ein voller Erfolg. Die ersten Bestellungen gab es schon, bevor das Bier in Produktion ging. (Klohr, Markus: “Ein Bier mit Geschmäckle” in: Stuttgarter Zeitung 14/05/2013: 17;  437)

 

 

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Das schwarze Wunder

Was hat der Roggen mit der Verstädterung zu tun oder mit der Papiermühle oder mit Reiterheeren? Eine ganze Menge. Die Verbindungen werden aufgezeigt in einem Zeitungsartikel, auf den ich jetzt halb freiwillig gestoßen bin. Roggen war (genauso wie Hafer) bereits im Altertum bekannt, galt aber als Unkraut. Im mediterranen Kulturraum gab es die klassische Trias von Ölbaum, Weizen und Wein. Als sich der europäische Kulturraum mit dem Frankenreich weiter nach Norden und Osten erweiterte, brauchte man Alternativen. Für den Ölbaum gab es klimatische Barrieren. Der Anbau von  Weizen und Wein wurde – schon wegen der religiösen Bedeutung für das Christentum – bis zu den äußersten Grenzen getrieben, aber man brauchte Alternativen für das feucht-kühle Klima im Nordwesten des Reichs. Dazu gehörten Roggen und Hafer. Der Roggen trieb die Brotproduktion an. Das führte zu einem erhöhten Mahlbedarf einerseits und zu Bevölkerungswachstum andererseits und damit zu Verstädterung und Kolonisation.  Durch systematische Rodung und Neubesiedlung wurde die Kulturlandschaft immer weiter ausgedehnt.  Der Mahlbedarf, zusammen mit den günstigen klimatischen Bedingungen, führte zur Weiterentwicklung der Wassermühle, die bereits in der Antike bekannt war, aber im Mittelmeerraum wegen der langen Trockenzeiten oft nicht zur Verfügung standen. So kam die Wassermühle erst im Frühmittellalter und erst in Mitteleuropa zu Bedeutung. Von der Getreidemühle ausgehend erfolgte dann eine gewerbliche Diversifizierung in unterschiedliche Produktionsbereiche und zur Entwicklung der Sägemühle, der Papiermühle, der Hammermühle, der Walkmühle. Neben dem Roggen wurde in der Dreifelderwirtschaft Hafer angebaut. Der lieferte Nahrung für die Pferde. Der vermehrte Haferanbau führte zur verstärkten Pferdehaltung und letztlich zu den Panzerreiterheeren der Karolingerzeit.  Und die Pferde ermöglichten das Pflügen des Bodens mit dem schweren Pflug  und lieferten gleichzeitig Dünger für die Felder während der Brache.  Und so entwickelte sich ein Europa des „schwarzen Brotes“ als Gegenentwurf zum Europa des „weißen Brotes“, eine bipolare Struktur, die noch bis heute nachwirkt.  (Mitterauer, Michael: „Das dunkle Brot machte die Menschen satt“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 26/02/2012)

 

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Schlechte Sprache sozusagen

“Das ist natürlich auch ein Ventil, wo sich Unzufriedenheit sozusagen … oder wo sie sichtbar wird, wo sie sich eben nicht sozusagen manifestiert, aber es ist trotzdem sozusagen, Protestwahl, Nichtwahl hat oft ähnliche Hintergründe.” Der letzte Satz aus einer Gesprächsrunde im Radio (gesprochen von einem Parteienforscher), wie die ganze Sendung ein einziges Festival von sozusagen (wie hier dreimal in zwölf Sekunden) und unglücklichen Formulierungen, krausen Ausdrücken, verworrener Syntax. Kaum mal ein einfacher, schnörkelloser Satz. Und das von Menschen, die sich beruflich mit Sprache beschäftigen: einem Journalisten, einem Radioredakteur und einem Universitätsprofessor.

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Gipfel der Verzweiflung

Zitate wie “Ich schreibe nur in Augenblicken, in denen ich absolut verzweifelt bin” oder “Die Tatsache, dass ich lebe, beweist, dass die Welt keinen Sinn hat”, Buchtitel wie Auf den Gipfeln der Verzweiflung oder Die verfehlte Schöpfung,  Sterben, Tod und Freitod als lebenslange Obsessionen (erst die Möglichkeit des Selbstmords macht das Leben erträglich), ein radikaler Skeptiker mit Einsicht in die bodenlosen Abgründe des menschlichen Lebens, illusionslos, sarkastisch, massiv ungerecht in seinen Wertungen, die Sicht der Schöpfung als Werk eines bösen Demiurgen, die Wertung von Erfahrungen als Synonym für fortlaufende Enttäuschungen, Fundamentalkritik von Elternschaft, konsequente Ablehnung aller öffentlicher Ehrungen und Preise, da stellt man sich einen hasserfüllten Misanthrop vor. Statt dessen ein umgänglicher, liebenswürdiger, hilfsbereiter Mensch, der gerne und viel lacht: E.M. Cioran. Er schreibt zunächst auf Rumänisch, dann lange gar nichts mehr und dann, nach einem sehr harten, intensiven und jahrelangem Studium des Französischen, auf Französisch. Darin bringt er es zur Meisterschaft. Er firmiert immer als E.M Cioran. Die Initialen werden nie ausgeschrieben. E steht für Emile, aber was M bedeutet, bleibt unklar. Er selbst hat sich nie eindeutig dazu geäußert. Einige sagen, es stehe für Michel, andere, er habe es sich einfach zugelegt, weil E.M. Cioran einfach besser klinge als E. Cioran. (“‘Prometheus und Adler’. Der rumänische Schriftsteller und Philosoph E.M. Cioran”, in: SWR2 Wissen: 18/10/2012)

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Barbaren gegen Schnösel

Das Morgenländische Schisma, die Trennung der lateinischen Kirche des Westens von der griechischen Kirche des Ostens, hatte eher kirchenpolitische als ideologische Gründe. es ging darum, wo das Zentrum der Christenheit war – in Rom oder in Konstantinopel – und wer das Sagen hatte. Aber die Spaltung war auch ein Resultat der Entfremdung, und da spielt die Sprache eine Rolle: Im Westen war es immer unüblicher geworden, Griechisch  zu sprechen. Schon Augustinus und Gregor der Große sprachen, im Gegensatz zu Hieronymus und Ambrosius, kein Griechisch! Die Messe wurde ab dem 4. Jahrhundert auf Latein gelesen, bis dahin auf Griechisch. Umgekehrt konnten die meisten Patriarchen in Konstantinopel kein Latein. Das galt als barbarische Sprache. Zur gegenseitigen Verständigung war man immer mehr auf Übersetzer und Sekretäre angewiesen. Am Anfang der Entfremdung stand also die Sprache. Auch bestimmte Haltungen gingen damit einher: Die Griechen sahen die Römer als ungebildet und barbarisch an, die Römer die Griechen als hochnäsig und spitzfindig.

 

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Erneuerbare Energie

Glücksspieler lassen sich durch Misserfolg nicht entmutigen. Rückschläge können der Hoffnung nichts anhaben. Im Gegenteil: Sie dienen als Hoffnungsverstärker. Auf diesen paradoxen Befund werde ich durch einen Radiobeitrag gestoßen (Retzer, Arnold: “Mut zur Negativität”, in: SWR 2 Wisssen: 01/02/2015). Mit jedem Verlust glaubt der Spieler, die Wahrscheinlichkeit nehme zu, dass es jetzt endlich klappen müsse. Bis er pleite ist. Hoffnung erscheint demnach als eine merkwürdige, erneuerbare Energie, die sich durch ihren Verbrauch selbst erneuert. sein Einsatz jetzt endlich dran sei, zu gewinnen. Der Befund passt zu dem, was mir in letzter Zeit immer wieder auffällt. Wie wenig wir bereit sind, unser Verhalten zu verändern und unsere Einstellungen. Weder Argumente noch Erfahrungen kommen die lieb gewonnenen Ansichten an. Bei den Studenten ist das nicht zu übersehen, und auch nicht im Alltagsleben: Ernährung, Sport, Lernen, Sprache, wo man hinsieht Legenden, die sich hartnäckig halten. Nicht einmal die Untergangspropheten lassen sich beirren, wenn die Welt an dem von ihnen prognostizierten Tag doch nicht untergegangen ist.

 

 

 

 

 

 

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Sesam und Cannabis

Von den Phöniziern kam nicht nur das Alphabet – alle noch heute verwendeten europäischen Schriften gehen letztlich auf deren Alphabet zurück – sondern auch Wörter: Sesam, Cannabis, Alabaster, Smaragd, Talent, Charakter. Kreta ist eine der ersten Regionen, die für das Griechische modifizierte Alphabet übernommen haben (um 800 v. Chr.). Auch in der Kunst hinterließ diese “Orientalisierende Epoche” ihre Spuren und, auf subtilere Weise, in der Religion. Die Entstehungsgeschichte der griechischen Götter war stark von orientalischen Theogonien beeinflusst. (vgl. Chaniotis, Angelos: Das antike Kreta. München: Beck, ²2014: 49)

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Hyazinthe und Labyrinth

Drei Schlüsselwörter: Hyazinthe, Minze, Labyrinth. Es sind die ältesten erkennbaren europäischen Wörter. Alle drei stammen aus Kreta, aus dem minoischen Kreta.  Sie sind sprachliche Ablagerungen, in denen sich der Tatbestand bewahrheitet, dass Kreta die Wiege Europas ist. Sie sind die sprachliche Parallele zu dem Mythos, in dem Zeus Europa auf Kleinasien entführt und sie nach Kreta bringt. (vgl. Chaniotis, Angelos: Das antike Kreta. München: Beck, ²2014: 7)

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Qualifikationsnachweis

Leone Leonie wurde wegen Münzfälscherei angeklagt und verurteilt. Später wurde er Leiter der kaiserlichen Münze. (“Zwischen Genialität und Grausamkeit. Der Künstler als Verbrecher”, in: Forum, SWR2: 09/01/2015)

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Gewaltige Erfahrungen

Entweder vor oder nach der Tat. So wird die Tötung Holofernes durch Judith in der Malerei meistens dargestellt. Holofernes hatte versucht, sie zu vergewaltigen. Die unmittelbarste Darstellung der Tat, den Moment der Tat erfassend, in all seiner Grausamkeit, stammt ausgerechnet von einer Malerin, von Artemisia Gentileschi, einer der wenigen bekannten Malerinnen. Gentileschi wurde als junge Frau selbst vergewaltigt. Sie brachte die Vergewaltigung zur Anzeige, der Täter bekam seine Strafe. Und dann heiratete Gentileschi ihn! Man hat immer wieder versucht, eine Verbindung zwischen der persönlichen Erfahrung der Gewalt und deren Darstellung in ihren Bildern zu sehen. Aber es gibt natürlich keine 1:1-Entsprechung. Die psychologische Disposition ist im Werk nicht unmittelbar zu erkennen. Viele Künstler, die Exzesse darstellten, hatten eine ruhige, bürgerliche, friedvolle Existenz. Dennoch könnten die Erwartungen an den Künstler und die Selbsterwartungen des Künstlers, dem eine besondere Erfahrungstiefe zugetraut wird, eine Disposition zur Transgression von Normen fördern. (“Zwischen Genialität und Grausamkeit. Der Künstler als Verbrecher”, in: Forum, SWR 2: 09/01/2015)

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Künstlerglück

Bernini hatte eine Affäre mit Constanza Bonarelli, der Ehefrau eines seiner Mitarbeiter. Die wiederum hatte eine Affäre mit seinem Bruder. Bernini entdeckte das. Rasend vor Wut lief er hinter dem Bruder her und ergriff eine auf einer Baustelle herumliegende Eisenstange. Damit brach er ihm zwei Rippen. Er ging nach Hause und befahl einem Diener, dem er zwei Flaschen und ein Messer gab, Constanzes Gesicht zu entstellen. Das tat der. Bernini nahm einen Degen und verfolgte seinen Bruder. Der flüchtete sich in eine Kirche, nach Santa Maria Maggiore. Dort konnte er sich sicher fühlen. Doch Bernini ließ sich davon nicht zurückhalten und lief mit gezücktem Degen dem Bruder hinterher und schlug bei der Gelegenheit gleich noch ein paar Priester nieder, die sich ihm in den Weg stellten. Diese Vergehen hätten eine schwere Strafe, vielleicht sogar die Todesstrafe zur Folge haben müssen. Und Berninis Mutter bat den Neffen des Papst in einem bewegenden Brief, ihren Sohn, der völlig außer Rand und Band war und nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden könne, zu bestrafen. Bernini wurde zu einer empfindlichen Geldstrafe verurteilt, aber die wurde ihm vom Papst erlassen, mit einer feierlichen Urkunde, in der es hieß, Bernini sei „ein Mensch von sublimer Begabung, durch göttliches Wirken geboren, um zum Ruhme Roms Licht in dieses Jahrhundert zu tragen.“ (Karsten, Arne: Bernini: Der Schöpfer des Barocken Rom. München: Beck, 2007: 93-97).

 

 

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Schöne, weite Welt

Eine Zimmerwirtin auf Ischia ist ganz entzückt, als sie erfährt, dass ihr französischer Gast aus Paris stammt. Gast sagt, als sie erfährt, dass ihr Gast aus Paris komme: Ah, schöne Stadt, Paris. Ob sie jemals da gewesen sei? Nein, nie gesehen. Sie sei bisher nur bis nach Florenz gekommen, auf der Hochzeitsreise. (Mura, Gianni: Ischia. Milano: Feltrinelli, 2012: 33)

 

 

 

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Alter Knacker

Magrite, der französische Kommissar, rasiert sich nach der ersten gemeinsamen Nacht mit seiner neuen Freundin während eines Urlaubs auf Ischia den Schnäuzer ab. Als sie wissen will, warum, antwortet er: Ich wollte nicht wie ein alter Knacker aussehen. Die erwidert, jetzt sehe er wie ein alter Knacker aus, der jünger aussehen wolle. Der Schnäuzer habe etwas Erotisches gehabt. (Mura, Gianni: Ischia. Milano: Feltrinelli, 2012: 31)

 

 

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Carabiniere und Commissario

Ein französischer Kommissar, Margrite, verbringt seinen Urlaub auf Ischia. Während des Urlaub wird er als Zeuge eines Verbrechens auf dem Kommissariat vernommen. Der Carabiniere fragt ihn nach seinem Namen und bittet ihn dann, ihn zu buchstabieren: “Michel, André, Gustave …” Der italienischen Kommissar glaubt, man wolle ihn auf den Arm nehmen: “Mi sta prendendo per il culo?” Keineswegs. Es gibt hier ein kulturelles Missverständnis: Im Französischen benutzt man im Buchstabieralphabet Personennamen, aber das weiß der Carabiniere nicht, im Italienischen Städtenamen, aber das weiß der Kommissar nicht. (Mura, Gianni: Ischia. Milano: Feltrinelli, 2012: 118)

 

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Schlechte Bereicherung

In einer Umfrage für eine Seminararbeit wurden den Probanden folgende Aussagen zu Anglizismen im Deutschen vorgelegt.

Ich glaube, dass die Verwendung englischer Wörter

  • schlecht für die deutsche Sprache ist
  • eingeschränkt werden sollte
  • die deutsche Sprache bereichert
  • das Leben einfacher macht
  • ein normales Phänomen ist
  • die deutsche Kultur zerstört

Es konnten mehrere Antworten angekreuzt werden. Zur Verblüffung der Studentin – und zu meiner Verblüffung – wurden „sollte eingeschränkt werden“ und „zerstört die deutsche Kultur“ häufig in Verbindung mit „ist ein normales Phänomen“ genannt.  Auch „ist schlecht für die deutsche Sprache“ und „macht das Leben einfacher“ wurden zusammen genannt, ebenso „sollte eingeschränkt werden“ und „macht das Leben einfacher“. In mindestens einem Falle wurden auch  „ist schlecht für die deutsche Sprache“ und „bereichert die deutsche Sprache“ zusammen genannt. Man kann sich vorstellen, wie machtlos Argumente gegenüber solchen Instinkten sind.

 

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Doppelsieg

1956 erhielt Romain Gary den Prix Goncourt für seinen Roman Les racines du ciel. Roman Gary war ein Pseudonym. Sein eigentlicher Name war Roman Kacew. Unter diesem Namen war er in Vilnius, im heutigen Litauen, damals zu Russland gehörend, geboren. Als Jugendlicher war er mit seiner Mutter nach Frankreich gekommen. 1977 erhielt der Roman La vie devant soi den Prix Goncourt. Die Identität des Autors war unbekannt. Er schrieb unter einem Pseudonym. Roman Kacew beging 1980 in Paris Selbstmord. Erst dann enthüllte er, dass es sich bei Roman Gary und Emile Ajar um ein und denselben Autor handelte. Damit ist er der einzige Autor, der den Prix Goncourt, der immer nur einmal im Leben vergeben wird, zweimal erhielt! Auf eine sehr subtile, von ihm selbst nie offen gelegte Weise hat Gary den Lautwert seines französischen Pseudonyms zum Kunstnamen seines Doppelgängers in Beziehung gebracht: Ajar kann als Anagramm zum Russischen жара gelesen werden (žará, gesprochen wie frz. jará), und das bedeutet ‘Hitze’, ‘Glut’, und Gary entspricht dem Russischen гори (garí), dem Imperativ von горе́ть, und das heißt ‘brennen’! (Ingold, Felix Philipp: Im Namen des Autors. München: Wilhelm Fink, 2004: 309)

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Hamburger Sie, Münchner Du

Es gibt Konventionen, aber keine feste Regeln für den Gebrauch von du und Sie. Dazu kommt, dass sich der Gebrauch verändert. Das bringt Unsicherheiten mit sich. In vielen Situationen findet man Sie zu distanziert, du zu burschikos. In einem Artikel (Trotier, Kilian: “Spricht für Stil. Das Hamburger Sie: distanziert, versiert, verbindlich” in: Zeit Online: 15/07/2014) finde ich jetzt ein Plädoyer für das “Hamburger Sie”, so wie Helmut Schmidt es gleich zu Anfang des Gesprächs mit Peer Steinbrück gebrauchte: “Wann sind wir uns eigentlich das erste Mal begegnet, Peer? In welcher Abteilung des Kanzleramtes haben Sie gearbeitet?” Es drücke Sympathie aus, sei aber nicht aufdringlich. Ein Mittler zwischen den Polen. Und dem “Münchner Du” (das du mit Herr/Frau kombiniert) in Form und Moral weit überlegen. Mag sein, aber wenn das “Münchner Du” wirklich aus München stammt, hat es seinen Siegeszug durch die ganze Republik angezogen. Ich höre es ständig in Geschäften unter den Angestellten: “Frau  Oberhausen, kannst Du mir mal ne Rolle Fünfziger besorgen?”

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Sie und Du und Du und Sie

Der russische Adel, zweisprachig aufgewachsen mit Französisch als Zweitsprache, hatte im 19. Jahrhundert gleich die vierfache Wahl: Man konnte jemanden mit ты oder Вы anreden oder mit tu oder vous, hatte also gleich die doppelte Auswahl. Und die musste man ständig treffen. Es gab nämlich keine einmal festgelegte Form. Man duzte oder siezte ein und dieselbe Person je nach Situation und Stimmungslage. Und es gab keine Gleichung ты und tu oder Вы und vous. So entscheidet sich  Alexej Alexandrowitsch (in Anna Karenina) in seinem Schreiben an Anna, seine Ehefrau, für Sie und für Französisch, um das russische Sie zu vermeiden, das noch förmlicher klingen würde.

 

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Latein für alle Fälle

Jin Ping Mei ist einer der fünf berühmtesten klassischen chinesischen Romane, unter anderem bekannt für seine expliziten erotischen Passagen. Die erste komplette Übersetzung ins Englische von Clement Egerton (The Golden Lotus) stammt aus dem Jahre 1939, eine komplette Übersetzung der Ausgabe von 1695. Allerdings wurde nicht alles auf Englisch übersetzt. Die als anstößig geltenden Passagen wurden ins Lateinische übersetzt!

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Du, Frau Zoe …

In einem modernen griechischen Roman spricht eine der Protagonistinnen, Arin, eine junge Mutter, die Frau, die tagsüber auf ihre Kinder aufpasst, mit Frau Zoe, aber mit du an: Βεβαίως, κύρία Ζωή. Πήγαινε στην οικογένεια σου να ξεκουραστείς κι εσί. Σε ευχαριστώ πολύ! – Sicher, Frau Zoe. Geh zu deiner Familie und ruh du auch ein bisschen aus. Ich danke dir sehr. (Τέκου, ΙφιγένειαΕιρηνη, Μνήμες χαμένες στην άμμο. Αθήνα: Κέδρος, 2014: 218)

 

 

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Ankunft USA

Wer schon einmal in die USA eingereist ist, kann die Schilderung der Ankunft am Flughafen nachvollziehen, wie man sie bei Irene Runge findet: Angekommen auf New Yorks Flughafen steht vor der Passkontrolle auf einem Schild We are the face of our nation. Vigilance – Service – Integrity. Das Wort wir schafft eine corporate identity, ist die gemeinschaftsstiftende Philosophie. Am Eingang des Landes repräsentieren das die Uniformierten in den kleinen Abfertigungsboxen. Wachsam, hilfsbereit, integer. So sieht das multiethnische Gesicht der Nation aus. Sie lächeln herzlich, der professionelle Blick bleibt streng und prüfend. (Runge, Irene: Wie ich im jüdischen Manhattan zu meinem Berlin fand. Berlin: Kulturmaschinenverlag, 2012: 10)

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Lost Boys

Wenn sie nicht bei den Attacken der arabischen Milizen auf ihr Dorf in den Hütten verbrannt waren, wenn sie dann auf ihrem Treck nicht von Löwen gefressen wurden oder von Krokodilen, wenn sie nicht an Malaria starben oder an Typhus, wenn sie nicht an Überanstrengung oder an Hunger starben, wenn sie nicht ertranken oder in einen Krater fielen, wenn sie sich nicht bei den nächtlichen Märschen im Wald verirrten und den Kontakt zu der Gruppe verloren, wenn sie nicht im Training der SPLA zu Tode gehetzt wurden, wenn sie nicht von Flugzeugen der Regierungstruppen aus beschossen wurden, wenn sie nicht von Soldaten der SPLA einfach abgeknallt oder als Verräter hingerichtet wurden, und wenn sie dann wirklich den Gilo, den Grenzfluss nach Äthiopien überqueren konnten, dann konnten sich die Lost Boys aus dem Süden Sudans einige Monate schlecht und recht im Flüchtlingslager von Pinyudo durchschlagen. Wenn sie dann nicht bei den Massakern durch die lokale Bevölkerung umgekommen und, nach dem Machtwechsel in Äthiopien, bei der Vertreibung der Flüchtlinge nicht erschossen wurden und es wieder über den Grenzfluss schafften, und wenn sie dann auch noch den nächsten Gewaltmarsch überstanden, dann landeten die Lost Boys in Kenia, in einem neuen Flüchtlingslager, quasi einer improvisierten Stadt mit 40.000 Flüchtlingen und verschiedenen Stadtteilen. Dieses Flüchtlingslager, Kakuma, blieb für Jahre ihre Heimat. Kakuma hatte keinen Fluss, Kakuma hatte keinen Wald, wie sie es aus dem Sudan und aus Pinuydo kannten. Kakuma war heißer, trockener, windiger, staubiger. Kakuma war, wie sie erfuhren, dass kenyanische Wort für ‚Nirgendwo‘.

 

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Messer – Gabel – Löffel

Messer, Gabel, Löffel: ein gutes Beispiel für die ziemlich willkürliche Zuordnung der deutschen Substantive zu den grammatischen Geschlechtern: das Messer, die Gabel, der Löffel – sächlich, weiblich, männlich. Wenn ich meine Studenten damit konfrontiere, versuchen die, jedenfalls die deutschen, unbedingt eine logische Begründung dafür zu finden, und schaffen es auch, sich selbst zu überzeugen. Nicht aber mich und die ausländischen Studenten. Der Blick über den Tellerrand, d.h. über die eigene Sprache, hinaus, belegt, dass man der Sache mit Logik nicht beikommen kann:
  • Messer – Gabel Löffel
  • coltello forchetta cucchiaio
  • cuchillo tenedor cuchara
  • couteau fourchette cuillère
  • μαχαίρι – πιρούνι – κουτάλι
  • нож – ви́лка – ло́жка

 

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Karthago, zum Dritten

Ein Manifest, das er 1951 verfasste, beschloss Brecht mit den Worten: Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten. (Kesting, Marianne: Brecht. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 81998: 138-139)

 

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Mädchen, Mäuse und Männer

In einem Seminar sagte einmal eine Studentin auf die Frage, wie denn im Deutschen der Plural von Substantiven gebildet werde: “Durch Anfügen von –s“. Die Aussage blieb unwidersprochen und mir als Ausweis der unfassbaren Ignoranz der Menschen über ihre eigene Sprache in Erinnerung. Ich habe daraufhin mal, ohne Nachschlagewerke zu konsultieren, eine vorläufige Liste von alltäglichen Wörtern gemacht, die mir spontan in den Sinn kamen und sie versuchsweise geordnet:

  • Schritt > Schritte, Pfad > Pfade, Tisch > Tische, Arm > Arme, Bein > Beine, Spiel > Spiele
  • Katze > Katzen, Blume > Blumen, Lage > Lagen, Name > Namen, Rolle > Rollen, Sünde > Sünden, Gabel > Gabeln, Auge > Augen, Seite > Seiten, Runde > Runden
  • Frau > Frauen, Held > Helden, Herz > Herzen
  • Feld > Felder, Kind > Kinder, Rind > Rinder
  • Drucker > Drucker, Richter > Richter, Mädchen > Mädchen, Esel > Esel, Messer > Messer, Löffel > Löffel, Förster > Förster, Fächer > Fächer
  • Star > Stars, Band > Bands, Taxi > Taxis
  • Maus  > Mäuse, Stuhl > Stühle, Kuh > Kühe, Gast > Gäste, Korb > Körbe, Ball > Bälle, Band > Bände
  • Vogel > Vögel, Laden > Läden, Vater > Väter, Mutter > Mütter, Acker > Äcker
  • Mann > Männer, Haus > Häuser, Holz >Hölzer, Fach > Fächer, Band > Bänder Die Liste zeigt:
  • die Komplexität der Pluralbildung
  • dass es neben einfachen Formen – Veränderung des Grundvokals, Anfügen von Endungen – auch Mischformen gibt: Mann > Männer
  • dass ein Singular verschiedene Pluralformen haben kann: Band > Bands, Band > Bänder, Band > Bände
  • dass zwei unterschiedliche Singularformen denselben Plural haben können: Fach > Fächer, Fächer > Fächer
  • dass der Plural oft morphologisch nicht markiert wird: Richter > Richter
  • die marginale Rolle des von der Studentin angesprochenen Musters, des Anfügens von –s. Selbst bei modernen Anglizismen, wo man das Muster vielleicht erwarten würde, trifft es nicht ein: Computer > Computer

 

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Kinder-Los

James Cook hatte sechs Kinder. Als er von seiner zweiten großen Entdeckungsfahrt zurückkam, war seine Tochter Elizabeth gestorben. Sie war noch ein Kind. Während der Reise war sein Sohn Joseph geboren worden. Es starb noch in demselben Jahr. Cook hat ihn nie gesehen. Während der Vorbereitungen zur dritten Reise starb sein Sohn George. Er wurde nur vier Monate alt. Sein Sohn Nathaniel starb als Seemann in einem Hurrikan in Jamaika. Sein Sohn Hugh, zum Geistlichen bestimmt, starb während des Studiums in Cambridge. Sein Sohn James, Commander bei der Marine, ertrank während des Dienstes. Cook überlebte sie alle. Seine Frau starb erst 1835. Sie überlebte ihren Mann um fünfzig Jahre. (Emersleben, Otto: James Cook. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1998)

 

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Mensch denkt. Wer lenkt?

An Bord der Caldas, eines kolumbianischen Zerstörers, der zu Reparaturarbeiten in Mobile in den USA gewesen war, befanden sich ein Seemann, der gar nicht zur Besatzung gehörte und nur zufällig auf die Caldas gestoßen war, weil er nach Kolumbien zurückwollte; ein Seemann, der während des Aufenthalts in Mobile keinen Penny für Vergnügungen ausgegeben und alles in Geschenke für seine Frau investiert hatte, die in Cartagena auf ihn wartete; ein Seemann, der in Mobile einen Film über einen Sturm gesehen und sich geschworen hatte, nach der Rückkehr nach Kolumbien nie wieder zur See zu fahren. Die Caldas erlitt Schiffbruch. Keiner der drei überlebte. (García Márquez, Relato de un náufrago. Bogotá, Barcelona u.a: Verticales de Bolsillo, 2008: 18-20)

 

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Gandhis anderes Gesicht

Gandhi zu mögen, dazu gehört nicht viel: der gewaltlose Widerstand, die Armut, seine Bescheidenheit, seine Persönlichkeit, das ist schon was. Dem kann man sich nicht so leicht entziehen. Gandhi zu kritisieren ist viel schwerer. Das tut jetzt Arundhati Roy, immer unerschrocken, immer selbständig im Denken. Sie klagt Gandhi an, das Kastensystem unterstützt zu haben. In einer Antwort auf eine (nie gehaltene, aber veröffentlichte) Rede von Bhimrao Ramji Ambedkar, einem Mitglied der Dalits, der untersten Kaste und einem der Kritiker Gandhis, in dem er den Hinduismus verwirft und das Kastensystem als brutale hierarchische Ordnung verwirft, antwortete Gandhi mit einer Verteidigung des Kastensystems. Arundhati Roy verfolgt Gandhis Meinungen zur Kastenfrage zurück auf seine Meinungen zur Rassenfrage, die er in Südafrika vertreten hat. Als Gandhi in der berühmten Szene in Pietermaritzburg aus dem Zug geworfen wurde, hat er sich nicht über die Rassentrennung an sich empört. Er saß in einem Abteil der Weißen, weil er glaubte, als Inder und Angehöriger einer höheren Kaste habe er ein Recht dazu. Er wollte nicht mit den Kaffern, wie er sie nannte, in einem Abteil reisen. Gandhi schrieb mit viel Verachtung über Afrikaner, Leibeigene, Unberührbare, Sklaven und Frauen. Er verbrachte die meiste Zeit in Südafrika damit, die Freundschaft des weißen Regimes zu werben. Arundhati Roy sieht in Gandhi nicht einmal nur einen sympathischen Spinner, sondern sieht da etwas Bösartiges am Werk. Gandhi beschränkte sich in seiner Kritik auf das Thema der Unberührbarkeit, griff aber nicht das System an. Das beinhaltet viel mehr als Unberührbarkeit: Recht auf Land, Dienstleistungen, Bildung. Gandhi hat darauf bestanden, dass keine Kaste als nobler gelten solle als eine andere, aber auch darauf, dass jede Kaste bei ihrer ererbten Arbeit bleiben sollten. In einer Antwort auf Ambedkar schrieb er über die idealen Qualitäten der Kaste der Latrinenarbeiter. Er glaubte, es wäre ihre göttliche Pflicht, anderer Leute Exkremente zu beseitigen. Sie sollten das für den Rest ihres Lebens tun und nicht daran denken, mit ihrer Arbeit Profit zu machen. So unterstützte er, Roy zufolge, ein angeblich gottgewolltes System, das ein Reservoir an billigen Arbeitskräften generiert und den Untersten sogar noch suggeriert, sie sollten sich über ihre Stellung freuen. (Ross, Jan: „Gandhis vergiftetes Erbe“. Interview mit  Arundhati Roy, in: Die Zeit 40/2014: 50)

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Anpassungsfähig

Eigentlich haben Störche im salzigen Wasser der Nordsee nichts zu suchen. Das ist in keinem zoologischen Fachbuch vorgesehen. Störche fischen in Seen und Flüssen, im Süßwasser, nach Würmern und Fröschen. Tiere, die sich ausschließlich von Meerestieren ernähren, haben in der Regel spezielle Drüsen, um überschüssiges Salz wieder auszuscheiden. Der Stoffwechsel des Storchs ist auf salzige Nahrung nicht eingestellt. Dennoch gibt es Störche auf Föhr, die ihre Nahrung im Wattenmeer suchen. Ihre Vorfahren sind „Romeo und Julia“, ein Storchenpaar, das von einem Tierschützer gepflegt und aufgezogen worden war. Beide waren vorübergehend flugunfähig. Julia war verletzt, und Romeos Flügel waren von seinem Besitzer gestutzt worden. Da sie ohne Eltern aufwuchsen, wussten sie nicht, was sich „gehört“, und als sie wieder fliegen konnten, haben sie sich das Nächstliegende ausgesucht: das Wattenmeer. Ihren Nachkommen haben sie die Vorliebe für Meerestiere mitgegeben. Heute leben 25 Störche auf Föhr. Und haben es mit ihrer ungewöhnlichen Vorliebe in die akademische Literatur gebracht. Im Herbst fliegen einige von ihnen Richtung Afrika, aber andere bleiben selbst in der kalten Jahreszeit im Norden. Im Gegensatz zu Seen und Flüssen friert das Meer nicht zu. Warum Tausenden Kilometer in den Süden fliegen? (Bäurle, Anne: „Romeo und Julia auf Krabbenfang“, in: Die Zeit 39/2014: 40)

 

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Weibliche Gefahr

Hurrikans mit weiblichen Namen sind gefährlicher als solche mit männlichen Namen. Jedenfalls fordern sie mehr Todesopfer. Das haben Forscher von der University of Illinois festgestellt. Das ist kein Zufall. Nähert sich ein Hurrikan mit weiblichem Namen, tendieren wir dazu, die Gefahr zu unterschätzen. Frauen gelten als weniger aggressiv. Am schlimmsten sind Hurrikans mit besonders femininen Namen, wie Belle oder Cindy. Sie fordern die meisten Todesopfer.

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Für dich, Professor!

In einer Kurzgeschichte von Moravia wird ein Mädchen vom Lande, eine Ciociara, an einen alten Professor der Archäologie als Hausmädchen vermittelt. Als sie zum ersten Mal, in Begleitung des Portiers, der sie vermittelt hat, das Haus des Professors betritt, übergibt sie ihm ein Körbchen mit frischen Eier als Gastgeschenk und sagt: “Tie’, professore, prendi, t’ho portato l’ova fresche”.  Der Portier ermahnt sie, man dürfe den Professor nicht duzen. Der aber nimmt das ganz gelassen hin. Die alten Römer hätten sich schließlich auch alle geduzt, wie in einer großen Familie. Sie hätten das Sie nicht gekannt. In einer weiteren Kurzgeschichte schickt Tullio, ein Mann vom Lande, einem jungen Städter, Remo, der sich gerade von einer Krankheit erholt, einen Brief und bietet ihm einen Sommeraufenthalt in seinem Haus auf dem Lande an. Dabei duzt er ihn. Remo nimmt das als sicheres Zeichen für die Unkultiviertheit von Tullio. Das Duzen scheint alles zu bestätigen, was er von den Landleuten erwartet: rustikale Trampel, die mit dem Blasebalg am Kohleofen stehen, die Schönheit von Eseln besitzen und sich zwischen Kastanienbäumen vor Langeweile verzehren. (Moravia, Alberto: Racconti romani. Römische Erzählungen. München: Dtv, 9/2011: 40 + 66-68)

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Geheimwaffe Thermometer

Es gibt viele Pioniere der Photographie. Der bekannteste ist Daguerre. Als Dekorationsmaler für Theater hatte er das Diorama erfunden, eine Schaubühne für große, gemalte Szenerien. Eine Camera obscura diente dabei als Hilfsmittel, um die Szenerien möglichst realistisch zu gestalten. Mit Photographie hatte das noch nichts zu tun, aber bald sann Daguerre darauf, mit der Camera obscura Bilder herzustellen. Er behandelte Silberplatten mit Joddämpfen, um damit eine lichtempfindliche Schicht zu erzeugen. Wenn man diese Platten in eine Camera obscura einsetzte, entstand nach sehr langer Belichtungszeit ein sichtbares Bild. So ein Bild dunkelte aber nach und wirkte aufgrund der langen Belichtungszeit seltsam unnatürlich. Beide Probleme löste ein glücklicher Zufall. Eines Tages wurde das Wetter plötzlich trübe. Daguerre nahm die Platten heraus und stellte sie in einen Schrank. Am nächsten Tag hatte er plötzlich das fertige Bild vor sich. Er ahnte, dass in dem Schrank etwas sein musste, was die Entstehung des Bildes verursachte. Durch systematische Suche fand er schließlich die geheime Substanz: Die Quecksilberdämpfe eines zerbrochenen Thermometers. So entstand die Daguerreotypie, das beste Verfahren, um Landschaftsbilder, Portraits und Stillleben zu erzeugen. Daguerreotypien wurden in kürzester Seit ungeheuer populär. Das Verfahren hielt sich dennoch nur etwas mehr als ein Jahrzehnt: Daguerreotypien lassen sich nicht vervielfältigen, sind seitenverkehrt und berührungsempfindlich. (Bohn, Markus: “Louis Daguerre stellt ein fotografisches Verfahren vor”, in: SWR Zeitwort: 18/08/2014)

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Katastrophal

Als es in Europa vor 200 Jahren zu einer Sommerkälte kam, machten einige die Abholzung der Wälder dafür verantwortlich. Die habe Wärme nach oben entweichen lassen. Andere machten die zahlreichen Erdbeben der vergangenen Jahre verantwortlich, wieder andere die Blitzableiter. Sie hatten das Innere der Erde so stark erhitzt, dass nun der natürliche Wärmefluss gestört war. In Japan wurde noch die Katastrophe von Fukushima als Strafe Gottes angesehen. Diese Erklärung hat auch in Europa Tradition. Bei dem Erdbeben von Lissabon 1755 übertrafen sich die Kirchen mit Schuldzuweisungen. Die Protestanten sahen in dem Erdbeben eine Strafe Gottes, die sich gegen die Katholiken richtete. Das Erdbeben war schließlich an einem 1. November, Allerheiligen, ausgebrochen. Eindeutig eine Strafe für den Heiligenkult der Katholiken. Der Glaube an den strafenden Gott ist immer noch aktuell. Der Hurrikan Katrina wurde als Strafe für den promiskuitiven Lebenswandel der Bewohner von New Orleans gedeutet. Aber auch weltlichen Deutungen liegt das gleiche Muster zugrunde: Nach Hochwassern wird gesagt, die Natur schlage zurück. Das ist letztlich eine Fortsetzung religiöser Strafvorstellungen. Es geht um Buße und Wiedergutmachung. Wir pflanzen einen Baum, fahren mit dem Rad oder essen Biofleisch und haben ein gutes Gewissen. (Frey, Andreas: „Die Natur kennt keine Katastrophe“, in: Die Zeit 37/2014: 35-36)

 

 

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Das Salz der Erde

Salz konserviert, nicht nur das, was es konservieren soll. Manchmal ist die Konservierung ein unbeabsichtigter Nebeneffekt, wie ich jetzt in einer Ausstellung eindrucksvoll vor Augen geführt bekam. Der Salzstollen aus dem Hallstätter Salzbergtal stürzte 1245 zusammen, wurde dann erneuert (aber erst 400 Jahre später) und stürzte dann endgültig ein. Der Stollen hat bewahrt, was sonst verloren gegangen wäre, gibt aber auch ein paar Rätsel auf. Man kann zum Beispiel einen Kinderschuh aus Leinen (Größe 30-31), eine Säuglingsmütze aus Fell und Tragesäcke aus Rinderhaut sehen, alle aus dem 13. Jahrhundert vor Christus! Die Säuglinge wurden offensichtlich mit in den Stollen genommen. Kinder mussten mitarbeiten. Erstaunlich, was die Forscher aus den Funden ableiten: Im Stollen arbeiteten Frauen und Männer. Das weiß man, weil sich die Skelette von Frauen und Männern aus dem Stollen ähneln. Die Menschen waren bei der Arbeit ständig überbelastet. Das weiß man, weil Gelenke abgenutzt und Knochen verändert sind, an den Stellen, wo die Muskeln ansetzen. Neben der harten Arbeit gab es Läuse (in Kleidern entdeckt), die Infektionskrankheiten übertragen konnten und Spülwürmer, die Durchfall, Koliken und Bauchschmerzen verursachen konnten. Man hat Pestwurz gefunden, der zu Bündel zusammengefügt wurde. Vielleicht diente er der Behandlung von Wunden, vielleicht als Medizin gegen Darmparasiten, vielleicht als Toilettenpapier! Durch die Exkremente weiß man etwas über der Ernährung. Ein Forscher schlägt aufgrund der Untersuchungen folgendes Rezept vor: Füße, Schwänze und Schwarten vom Schwein, Saubohnen, Gerste, Hirse. Weich kochen, mit Essig, Thymian und Bohnenkraut würzen und mit Zwiebeln servieren. Und natürlich salzen! Dieses Gericht, das Ritschert, wurde im Stollen selbst zubereitet. Als Beleg sieht man in der Ausstellung einen riesigen Holzlöffel und ein Kegelhalsgefäß, das 50 Liter fasste. Die Zubereitung von Essen im Stollen erklärt auch die zunächst rätselhaften Tonscheiben, die in den Stollen gefunden wurden. Die Technik der Salzgewinnung war hervorragend entwickelt. Die Stollen gehen bis zu 200 Meter in die Tiefe. Man sieht hier große, abgebrochene Grubenhölzer. Auch Werkzeuge sind zu sehen. Ein Rätsel gibt ein Pickel auf, mit einem langen, dünnen Stiel und einem spitzen Arbeitswinkel aus Metall. Wie wurde der genutzt? Man hat es in verschiedenen Improvisationen ausprobiert, aber keine Lösung gefunden. Für einen direkten Schlag wie mit dem Hammer ist der Winkel zu spitz. Für eine ziehende Bewegung ist der Stiel zu dünn. Für eine Benutzung als Brecheisen ist ebenfalls der Stiel zu dünn. Und eine Benutzung als Schlägel kommt nicht in Frage, weil man keine Schlagspuren finden konnte. Außerdem wurde eine hölzerne Treppe gefunden, die mobil war und deren Stufen man verstellen konnte. Hallstatt hatte sogar sein eigenes Markenzeichen: herzförmige Salzplatten. Die gab es nur hier! Man meißelte vermutlich zuerst herzförmige Rillen in die Wand und löste dann die Salzplatte durch Druck heraus. Das erforderte eine präzise Handhabung von Pickel und Meißel. Bis heute weiß man nicht, warum ausgerechnet dieser Stollen bearbeitet wurde. Er war schwer zugänglich, lag 400 Meter über dem See und 30 Meter in der Erde und war bis in den Sommer zugeschneit. 40 Kilometer weiter gab es besser zugängliche Stollen. Trotzdem kamen schon vor 7.000 Jahren Menschen hierher, um Salz zu gewinnen. Und schon vor 4.000 Jahren hab es arbeitsteilige Verfahren bei der Salzgewinnung. Hallstatt hatte ein richtiges Monopol. Die anderen Salzförderstätten waren weit entfernt: Volterra, Tusla, Wielicka, Schwäbisch Hall. Salz machte von Jahreszeiten unabhängig. Man konnte Lebensmittel haltbar machen. Das machte man auch hier, vor Ort. Man hat Surbecken gefunden, in die mindestens 200 Schweine passten. Dort wurden Speck und Schinken produziert, und die kamen in den Handel. All das bedeutete großen Reichtum. Den dokumentieren die 1.500 im Salzbergtal gefundenen Gräber, mit ihren reichen Grabbeigaben. So wurde Hallstatt zu dem Namen für eine ganze Kulturepoche. Die Grabbeigaben, die man hier sieht, stammen meist aus der älteren Eisenzeit (800-400). Das Gräberfeld ist eine Art global village, mit exotischen Grabbeigaben aus allen Himmelsrichtungen: eine skytische Axt aus Eisen, ein norditalienisches Messer, Glas von der Adria, eine Bernsteinkette, afrikanische Vasen, Keramik aus Slowenien. Das Prachtstück der Ausstellung ist ein Schöpfergefäß aus Bronze, bei dem der Griff eine Kuh ist, hinter der ein Kälbchen an dem Gefäß hochklettert. Vermutlich ein Ritualgefäß, zu schade für den täglichen Bedarf. Ein Rätsel der Gräber stellt das Gold da: Es gibt so gut wie keins. Gab es eine Salzelite, deren noch unentdeckte Gräber all das Gold enthalten? Oder hatte Gold keinen guten Ruf? Dazu würde Cassiodorus‘ Ausspruch passen: „Auf Gold kann man verzichten, auf Salz nicht“. Gefärbt wurde auch in Hallstatt, und zwar, wenn ich das richtig verstanden habe, sowohl Kleidung als auch Keramik. Blau gewann man aus Waid, Gelb aus Färbervanille oder Färberginster. Und Grün? Da lernt man etwas Erstaunliches: Keine Pflanze färbt grün! Grün ergibt sich aus der Mischung von Blau und Gelb. Die am schwersten herzustellende Farbe aber war Schwarz. Und das war genau die Farbe, die den Schmuck der Hallstätter am besten zur Geltung kommen ließ. („Das weiße Gold der Kelten“, in: Landesmuseum Herne)

 

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Pullover

Ich habe es immer geahnt und bin oft dafür belächelt worden: Frauen ziehen Pullover anders aus als Männer. Bei der weiblichen Technik kreuzt man die Arme vor dem Bauch, greift den unteren Saum und zieht den Pullover von unten über den Kopf. Bei der männlichen Technik greift man mit den Händen hinter den Kopf, bis man ein Stück des Pullovers zu fassen bekommt und zieht dann den Pullover von hinten über den Kopf. Meine Beobachtung wird jetzt in einer Zeitungskolumne bestätigt: Bei einer Befragung von 195 Männern und 136 Frauen ergab sich, dass drei Viertel der Frauen die weibliche Technik benutzen und 80% der Männer die männliche. Die Frage, warum das so ist, bleibt allerdings weiterhin offen. Und auch die Frage, die mich noch mehr beschäftigt: Wo lernt man das? Wer bringt einem das bei? (Drössser, Christoph: “Stimmt’s?, in: Die Zeit 34/2014: 32)

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Strapazierfähiger Tannenbaum

Im Radio hörte ich in einem Altkatholischen Gottesdienst ein Kirchenlied, das auf die (wunderbare) Melodie von Land of Hope and Glory gesungen wird, dem alten, jingoistischen Lied der britischen Imperialismus des 19. Jahrhunderts. In Schweden hörte ich ein Trinklied, Vi dricker en, das auf die Melodie von O Tannenbaum gesungen wird. Das ist auch die Melodie für The people’s flag, das Kampflied der Labour Party, der inoffiziellen Parteihymne, die am Ende jedes Parteitags gesungen wurde. Kurioser Kulturtransfer. Ob die Sänger wohl wissen, worauf sie sich da einlassen?

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Panamakanal: Glanz und Gloria?

Ferdinand de Lesseps und Gustave Eiffel im Gefängnis? Komische Vorstellung. Und doch nicht so weit hergeholt.  Beide wurden, im Zusammenhang mit dem Bau des Panamakanals, verurteilt, Eiffel zu zwei Jahren, Lesseps zu fünf Jahren. Die Urteile wurden später aufgehoben – wegen Formfehlern. Es handelte sich, dem Gericht zufolge, um den “größten Betrugsfall der Gegenwart”. Bei dem Prozess kamen ungeheuerliche kriminelle Praktiken ans Licht. Während de Lesseps feurige Rede hielt über den Fortschritt der Menschheit und die Größe Frankreichs, bestachen seine Hintermänner Hunderte von Parlamentsabgeordneten, damit die Wahrheit  über die katastrophalen Zustände an den Baustellen und die ausufernden Verluste nicht ans Tageslicht kam. Die Arbeiter an der Baustelle gingen an Mücken und Mikroben zugrunde. Insgesamt 22.000 kamen dabei um. Die meisten starben an Gelbfieber und Malaria sowie an Typhus und Cholera. Das Wüstenklima in Ägypten beim Bau des Suezkanals war ein Kinderspiel gewesen gegenüber der tropischen Hölle von Panama. Die Arbeiter – die meisten aus Jamaika, von den Bahamas und anderen karibischen Inseln – verendeten wie die Tiere und wurden auf einem Totenhügel verscharrt. In Frankreich waren 85.000 Kleinanleger dem charismatischen Lesseps auf den Leim gegangen und hatten Anteile, Anleihen und Lotteriescheine der Compagnie universelle du canal interocéanique de Panama gekauft und standen nun vor dem finanziellen Ruin. In Washington hatte man das französische Unterfangen im eigenen Hinterhof mit Misstrauen beobachtet und nahm das Scheitern mit Wohlwollen zur Kenntnis. 1902 beschloss der Kongress, die Konkursmasse zu übernehmen, für den Spottpreis von 40 Millionen Dollar. Die Amerikaner übernahmen den Bau und vollendeten ihn. Und hielten eine schützende Hand über den neuen Staat Panama, der sich 1903 für unabhängig erklärte. Die Kanalzone betrachtete man bis 1999 als einen Teil der USA, und als Senator John McCain, der in der Kanalzone geboren worden war, 2008 Präsidentschaftskandidat war, stellte sich niemand die Frage, ob er denn überhaupt amerikanischer Staatsbürger sei. (Rüb, Matthias: “Amerikas Triumph, Frankreichs Blamage”, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 188/2014: 3)

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Geschlechtsneutrale Erziehung

Schulbeginn in NRW. Die Schultüten werden, wie alles, was mit Kindern zu tun hat, immer aufwändiger und größer. Und die Kinder können sie selbst dekorieren. Welche Motive wählen die Mädchen? Einhörner, Blumen und Prinzessinnen. Und die Jungen? Autos, Raketen und Fußball.

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Käferplage

Die Beatles waren die netten Jungs von nebenan, die Stones die schlimmen Jungs, deren Umgang man seinen Kindern nicht zumuten wollte. Das ist die gängige Vorstellung heute. Ich habe mich schon immer gefragt, wo diese Vorstellung herkommt. Wer die Zeit miterlebt hat, sieht das anders. Damals verbreiteten beide Furcht und Schrecken, jedenfalls beim Establishment, die Beatles genauso wie die Stones. Das bestätigt jetzt auch ein Zeitungsartikel über den Beginn der Beatlemania vor fünfzig Jahren (Mrozek, Bodo: „Yeah, Yeah, Yeah“, in: Die Zeit 31/2014: 17). Die britische Presse sprach damals von einer mittelalterlichen Seuche, die deutsche von der Käferplage, in den USA sprach man von einer atavistischen Krankheit. In Israel wurde den Beatles die Auftrittserlaubnis entzogen, weil man negative Einflüsse auf die Jugend fürchtete. Christliche Aktivisten in den USA verbrannten vor laufenden Kameras Platten, Pilzkopfperücken und Bilder der Beatles auf einem Scheiterhaufen. In Japan wurde die Reise der Beatles von einem tropischen Sturm begleitet, der als Beatles-Taifun bezeichnet wurde, und Traditionalisten erklärten sich bereit, unter Einsatz von Kampfkünsten den Auftritt der Beatles im Budokan zu verhindern, der Halle, die der Vorführung traditioneller Kampfkünste vorbehalten war. Weltweit gaben Ordensträger ihre Medaille zurück, als die Beatles den Order of the British Empire bekamen. Im Westen erregten vor allem die Entgleisungen weiblicher Fans die Gemüter, die halb geschlossenen Augen, die entzerrten Gesichtszüge, die tierischen Schreie. Die Beatles selbst reagierten immer gereizter auf das Verhalten ihrer Fans, deren Schreie bei den Konzerten ihre Musik übertönte. Die Konzerte wurden immer kürzer, etliche wurden vorzeitig abgebrochen, und schon 1966 gaben die Beatles in San Francisco ihr letztes öffentliches Konzert.

 

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Lisztomanie

Der Begriff Beatlemanie spielte auf die Lisztomanie aus dem frühen 19. Jh. an. Schon damals hatte man, wie bei den Beatles, die ungewöhnlich langen Haare von Liszt und seinen exaltieren Vortragsstil verspottet, vor allem aber die weiblichen Fans, die dem Künstler auf manische Weise verfallen waren. Sie fielen in Ohnmacht, mussten mit Riechsalz wiedererweckt werden und balgten sich um Souvenirs wie das Wasserglas des Stars. Nichts Neues unter der Sonne. (Mrozek, Bodo: „Yeah, Yeah, Yeah“, in: Die Zeit 31/2014: 17)

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Mozart-Effekt

Der Mozart-Effekt: Paradebeispiel für fragwürdige Forschung und die fragwürdige Wiedergabe von Forschungsergebnissen an die Öffentlichkeit. Und eine Öffentlichkeit, die diese Ergebnisse mit religiöser Inbrunst aufnimmt: Mozart-Musik, so hieß es, verbessere die kognitiven Leistungen von Studenten. Das hatten Frances Rauscher und Gordon Shaw von der University of California in einem Experiment “nachgewiesen”. Es wurde kolportiert, klassische Musik mache Kinder kreativer, intelligenter und geistig gesünder. Auf einer wilden Begeisterungswelle versorgten ehrgeizige Eltern ihre Babys mit klassischer Musik, und der Gouverneur von Georgia versprach, jedes Baby von Seiten des Staates mit einer CD mit klassischer Musik auszustatten. Den Skeptikern wollte, wie immer, niemand mehr zuhören. Die machten darauf aufmerksam, dass a) der Effekt nach einer Viertelstunde wieder verpufft war, dass b) jede Musik diesen Zweck erfüllte und dass c) überhaupt jede geistige Anregung diesen Zweck erfüllte. Es musste nicht Mozart sein, es konnte auch Stephen King sein. Die Legende verbreitete sich trotzdem. Dass Musik irgendwie das Gehirn beeinflusst, steht (fast) außer Frage, die Frage ist nur: wie? Und wie kann man das nachweisen? Wenn Kinder, die ein Instrument spielen, bessere Sprachleistungen erbringen als Kinder, die kein Instrument spielen, muss das nicht am Musikunterricht liegen. Vielleicht haben überdurchschnittlich sprachbegabte Kinder einfach mehr Interesse an Musik. Oder vielleicht sind Eltern, die ihre Kinder ein Instrument erlernen lassen, einfach wohlhabender und gebildeter als andere Eltern und fördern ihre Kinder mehr. Es besteht also eine Korrelation, kein Kausalzusammenhang zwischen den beiden Phänomenen. Ob sich Musik auf den IQ oder überhaupt auf andere Fähigkeiten oder die Persönlichkeit auswirkt, ist schwer nachzuweisen. Dazu müsste man eine repräsentative Gruppe von Kindern aus allen sozialen Schichten haben und sie viele Jahre lang beobachten. Man müsste also eine Längsschnittstudie machen. Man könnte dann per Los entscheiden, welche Kinder Kunst- und welche Kinder Musikunterricht bekommen und könnte dann sehen, welcher der Kinder den besseren Schulabschluss bekommen. Aber das machen erfahrungsgemäß weder Eltern noch Kinder mit, und für die Forscher ist es eine zeit- und kostenintensive Angelegenheit. Man könnte auch versuchen, herauszufinden, ob sich Musik auf die sozialen Fähigkeiten der Kinder auswirkt. Werden Kinder durch Musik emphatischer, friedlicher, kooperativer? Schön wär’s. Immerhin berichten viele Musiklehrer, dass sich die Atmosphäre in der Klasse schlagartig ändert, wenn der Musikunterricht beginnt und auch ausgewiesene Rabauken ihre Instrumente mit Sorgfalt behandeln. Auch das beruht aber zunächst einmal nur auf Beobachtungen. Stichhaltige Nachweise gibt es kaum. Man sollte Musik um der Musik willen ausüben, nicht um irgendwelcher Nebeneffekte willen. (Drösser, Christoph: “Machen Töne schlau?”, in: Die Zeit 26/2014: 31-32)

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Merkel als Pilotin

Bei Angela Merkel, so Franz Müntefering, fühlt man sich so wie bei einem sicheren, erfahrenen Piloten. Man setzt sich ganz entspannt ins Flugzeug. Nur weiß man nicht, wohin die Reise geht!

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Frühreifes Früchtchen

Aprikose heißt wörtlich ‘frühreif’. Dass man das nicht erkennt, liegt daran, dass sich ein Artikel in das Wort eingeschlichen hat. Der Stamm ist praecox und dessen Variante praecoquium. Über griechisch πρεκóκκια kam das Wort dann ins Arabische, und daher kommt der Artikel: al-barquq. Daraus wurde port. albricoque und span. albaricoque (in beiden ist der arabische Artikel noch erhalten) und frz. abricot. Über ndl. abrikoos kam das Wort dann ins Deutsche, das wie das Englische (apricot) und das Schwedische (aprikos) den Anfangslaut /b/ durch /p/ ersetzt hat (wahrscheinlich durch eine Fehlinterpretation) und damit wieder näher am Original ist! (Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin, New York: De Gruyter, 1999: 641; DudenDas Herkunftswörterbuch. Mannheim, Wien, Zürich: Dudenverlag, 1963: 49)

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Nord gegen Süd

Der typische Nordurlauber ist etwas älter, etwas wohlhabender und deutlich gebildeter als der typische Südurlauber. Und er kommt eher aus den nördlichen Bundesländers. Anders als der Südurlauber, nimmt er sein eigenes Auto mit, mietet eine Ferienwohnung und fährt durch die Gegend. Der Tag hat keine immer wiederkehrende feste Form. Der Tag des Südurlaubers folgt dagegen einer festen Choreographie. Der Süden wird genauso romantisiert wie der Norden: Lebensfreude, Leichtigkeit, gutes Essen einerseits, unberührte Natur, Stille, Einsamkeit, weite Räume andererseits. Nach Süden fährt man wegen des Essens und wegen des Wetters, nach Norden trotz des Essens und trotz des Wetters. Der Norden verlangt mehr “Rechtfertigung”. Dabei hat der Norden im Sommer mehr Sonnenstunden als der Süden. Der Südurlauber verklärt den Süden. Mit Abstand geht das besser. Kein Mailänder käme auf die Idee, Apulien zu verklären. Obwohl der Urlauber den Süden verklärt, kommt er kaum mit ihm in Berührung. Oft bleibt er im Club oder der Hotelanlage und schafft es noch nicht einmal bis zum Strand. (Allmaier, Michael, Baumstieger, Moritz: “Viele mögen es heiß”. Interview mit Professor Martin Lohmann, in: Die Zeit 30/2014: 56)

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South African Coconuts

Under Apartheid, South Africa had quite a rigid social division based on race: Whites, Blacks, Coloureds, Indians. There was little mixing between them. There were also four easily identifiable social dialects of English corresponding to these classes. After the end of Apartheid, from the 1990s onwards, young children of all backgrounds could join high-quality schools once reserved for the Whites – provided their parents could afford it. Initially, white children dominated in these schools. Social networks developed which favoured the English of this class, and children of the other classes accommodated to these prestige norms. As a result, certain features were “deracialised”. The GOOSE vowel, for instance, the vowel of food, who, true, etc., is traditionally fronted in White South African English, a feature that was first described in the 1920s. The vowel is fronted to different degrees. One can describe fronting in this way: the higher the social position and the younger the speaker, the fronter the vowel. In an experiment involving young, middle-class students it was shown that the Black children had almost entirely accommodated their White mates as far as fronting is concerned. This can be interpreted favourably: the linguistic feature has become de-racialised, young Blacks were confidently using the prestige accent of most educated people, a new middle-class was emerging in which race was no longer a barrier to friendship and social relations. However, it also introduced new divisions where there had not been any: division between children who had made it to these schools and their parents and divisions between Blacks who had made it to these schools and those who had not. Apartheid (and Black solidarity) gave way to a sense of differentiation between “authentically” Black or not, ultimately encapsulated in the term coconut: dark on the outside, white on the inside. (Mesthrie, Rajend: “Social change and changing accents in South Africa, in:  Seargeant, Philip & Swann, Joan (ed.): English in the World. History, Diversity, Change. Abingdon: Routledge, 2012: 316-22)

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A sign of Cajunness

Language change can be systematically studied by comparing contemporary speech with historical records but also by comparing the speech of different age groups, as in this study (carried out by Dubois and Horvarth) of the Cajun dialect spoken in Louisiana. One of the features of this dialect is the nasalised pronunciation of vowels. This feature is associated with the traditional community and is gradually disappearing. As might be expected, middle-aged speakers use it less than older speakers. There is no gender difference in these groups. There is a gender difference, however, in the group of younger speakers. Younger women use nasalised vowels even less than middle-aged people, i.e they continue the trend. But younger men reverse the trend. They nasalise almost all their vowels. This may be due to the fact that young men are often involved in the tourist industry and have re-adopted the feature as a sign of their “Cajunness”. A similar trend can be observed with regards to another feature of the Cajun dialect, the absence of aspiration in voiceless plosives. Older and middle-aged men and women use this variant more often than not, with no significant difference between men and women. This is different in the younger group, where women have almost entirely given up the old feature but men have not. In both cases, gender and age seem to related, and in both cases, women lead the change towards Standard English. Not all young women, however, behaved in the same way. Those who have closed networks, i.e. those who have more ties with their local community and spend most of their time with other members of their community behave differently from those who have open networks. This was reflected in the results for another feature of the Cajun dialect, the replacement of the dental fricative in think or this by plosives, /t/ and /d/. Women with closed networks use the traditional Cajun forms more often than those with open networks. (Meyerhoff, Miriam, Strycharz, Anna: “Variation and change in English”, in: Seargeant, Philip & Swann, Joan (ed.): English in the World. History, Diversity, Change. Abingdon: Routledge, 2012: 302-10)

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Café Europa

Beim Café Europa anlässlich der österreichischen Präsidentschaft der EU 2006 stellte jedes Land einen landestypischen Kuchen oder ein Gebäck vor: Wienerbrød (Dänemark), Kanelbulle (Schweden), Streuselkuchen (Deutschland), Waffeln (Belgien), Shortbread (UK), Scones (Irland), Madeleines (Frankreich), Tiramisu (Italien), Vasilopita (Griechenland), Baklava (Zypern), Dobos Torta (Ungarn) usw. Gute Idee. Ich finde die Wahl von Streuselkuchen für Deutschland gut. Der ist wirklich im Alltagsleben präsent, und er ist in anderen Ländern nicht so bekannt. Das sollte ich mir merken für die nächste Gelegenheit, wenn ich nach typischen Gerichten in der Heimat gefragt werde.  Bei Irland ist die Zuordnung eher überraschend. Scones sind für mich echt englisch, aber das UK hatte das schottische Shortbread gewählt, so dass die Scones übrig waren. Baklava ist für mich typisch türkisch, und es ist interessant, dass Zypern diese Wahl getroffen hat.

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Maastricht, Belgien?

Wenn es zur Zeit der Gründung von Belgien eine Volksabstimmung gegeben hätte, wäre Maastricht (sowie die gesamt Provinz Limburg) vermutlich zu Belgien gekommen. Es wurde aber “von oben” bestimmt, dass Maastricht bei den Niederlanden verbleiben sollte. Die Menschen in Maastricht betonen aber ihre “Andersartigkeit”: ganz im Süden gelegen, mehrheitlich katholisch, mit Karneval, einem fast südländischen Flair und einem eigenen Dialekt. Den kann man in Maastricht förmlich “sehen”, nämlich an den “zweisprachigen” Straßenschildern in der Innenstadt. Die Maas teilt die Stadt in zwei Stadtteile, die sich durch eine herzliche Rivalität auszeichnen. Der “andere” Stadtteil, der am rechten Maasufer, heißt Wyck, abgeleitet vom lateinisch vicus, ‘Dorf’, ‘Bezirk’. Maastricht gehört zu dem Teil der heutigen Niederlande, das zum Römischen Reich gehörte. Der Name soll auf Traiectum ad Mosam oder Mosae Traiectum zurückgehen. Die beiden Stadtteile werden von der Alten Brücke, der Sint-Servaas-Brügge, verbunden. Sie wurde kurz vor der Befreiung Maastrichts im 2. Weltkrieg gesprengt und danach wieder aufgebaut, original, aber mit einer Erweiterung, von der heute die Fußgänger und Radfahrer profitieren. Die erste Brücke wurde von den Römern gebaut. Sie stürzte im 13. Jahrhundert bei einer Prozession ein. Der Heilige Servatius war der erste Bischof von Tongern. Er verlegte den Bischofssitz nach Maastricht und starb hier. Er wurde im Dom von Maastricht begraben. Dadurch wurde Maastricht zu einem der wichtigsten Wallfahrtsorte Mitteleuropas. Der Zulauf der Pilger war so groß, dass man für die Kleriker eine eigene, gotische Kirche gleich nebenan baute. Sie wurde später evangelisch. Die Straße, die die beiden Kirchen voneinander trennt, heißt Vagevuur, ‘Fegefeuer’. Später gehörte die Stadt dem Bischof von Lüttich und dem Herzog von Brabant gleichzeitig! Eine echte Besonderheit von Maastricht. Man sagt, das erkläre die zweiseitige Freitreppe am Rathaus. In der Familie bestimmte jeweils die Mutter, zu welcher Herrschaft ihre Kinder gehören sollten!

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Afrikaans vs. English

In 2004, the new constitution of Namibia declared English the sole official language. Up to then, both English and Afrikaans, as a result of South African control of the country, had been the country’s official languages. The administrative and military control was largely exercised through Afrikaans, however. It would have been much easier for the country to stick to Afrikaans. Though it was associated with the country’s white nationalist government, most Namibians were willing to learn it because it was the main language of schooling from fourth grade on and the main language for access to employment. None of the indigenous languages could compete with it. Neither could English. It was rarely used and not widely known. It was spoken only be 2% of the population, mostly in urban areas. Afrikaans was reasonably successful as a lingua franca. Continuing with Afrikaans would have had the advantages of continuity, the ability to use the existing human resources. On the other hand, Afrikaans had negative connotations for most of the people, and English could be regarded as the ethnically most neutral language and be seen as a unifying factor. However, it was not neutral with regards to class – the few who did know English well constituted an elite, whether members of the former ruling class or the well-educated political leadership who had been in exile. Elevating an indigenous language to the status of official language or medium of instruction would have been problematic for political and practical reasons and favoured one ethnic group over the other. For English, a vast array of educational resources was already available in other countries. In practice, however, the implementation of English meant that quite a lot of problems had to be overcome: Many delegates to the first parliament were unable to participate in the discussions because they had insufficient knowledge of English. Not enough teachers had sufficient proficiency in English to teach other subjects in English. And it was difficult for learners to do all their academic work in English which so far they had only studied as a school subject. (McCormick, Kay: “English and other languages”, in: Seargeant, Philip & Swann, Joan (ed.): English in the World. History, Diversity, Change. Abingdon: Routledge, 2012: 255-9)

 

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Der Gau

In einem wunderbaren Radiobeitrag wird die Entscheidung des ADAC, das Wort Gau aus seiner Satzung zu streichen, kritisch unter die Lupe genommen. Es ist unglaublich, was man über das Wort Gau so alles nicht weiß. Es klingt für viele von uns nach Nationalsozialismus (Gauleiter), und das ist wohl auch der Grund, warum der ADAC, als Teil der Strategie zur Aufbesserung seines Images (die aus ganz anderen Gründen nötig ist), das Wort jetzt verbannen will. Das ist aber viel zu kurz gedacht. Das Wort ist natürlich viel älter als die Nazis. Es war schon vor dem 1. Weltkrieg en vogue, als der ADAC gegründet wurde. Und es war ganz und gar passend, denn durch die Gaue, reichbewässerte, fruchtbare Gegenden, fuhren die frühen ADAC-Mitglieder (die ja Motorradfahrer, nicht Autofahrer waren) mit ihren Krafträdern. Schon damals hatte das Wort eine kontroverse Geschichte hinter sich. Es war im 18. Jahrhundert verschmäht, wurde dann aber von Romantikern und Revolutionären wiederentdeckt. Besonders Burschenschaftler, Wandervögel und Turner gliederten sich in Gaue. Der Begriff klang mittelalterlich, und gerade das machte ihn modern. Etymologisch hängt der Gau mit der Au zusammen und findet sich in geographischen Bezeichnungen wie Breisgau und Allgäu. In der Schweiz heißt der Kanton, durch die die Aare fließt, Aargau, und der Kanton, durch die die Thur fließt, Thurgau. (Müller-Ullrich, Burkhard: “Beim ADAC wird der “Gau” zur “Region”, in: Deutschlandfunk: Kultur Heute: 02.07.2014)

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Brooklynese

Many Americans look down on the speech of New Yorkers, and many New Yorkers themselves don’t like they way they talk. As a matter of fact, until a few decades ago students of Manhattan High Schools were given diagnostic exams and, if needed, speech classes to get rid of their accent, and many New York colleges required voice and diction courses targeted at certain local particularities. The best known of the features which characterise what is often called Brooklynese (more because of Brooklyn’s status as an icon of city life than for any specific linguistic reason) is the vowel of words like coffeecaughttalkedsaw, which makes coffee rather sound like cu-uhfee. A similar process applies to the short a in cab or pass or avenue, which makes a New Yorker speak of ki-ubbs which pi-uhss on Fifth i-uhvenue. (Whereas in the surrounding areas all words with a short a are pronounced i-uh, in New York this does not affect the short a in pat, cap, average, etc. – this is the so-called “short a split” of New York). However, there is also one aspect of their dialect of which New Yorkers seem to be proud, and that is their vocabulary: stickball, schlep, salugi, like a dradel and what a schmuck! are all typical of New York. The appeal of these words lies in their invocation of immigrant roots, and this makes the New York dialect, and the city itself, something of a counterpoint to mainstream Anglo America. This is where the disparagement comes from. Today, however, speaking like a New Yorker is no longer a social and professional handicap. Many middle-class New Yorkers of all ethnicities use the dialect, to say nothing of billionaires like Donald Trump. In assuming a New York middle-class dialect, these speakers leave behind a speech commonly associated with their ethnic communities. This working class minority speech has taken on the outsider status the classic Brooklynese has left behind. (Newman, Michael: “New York Tawk”, in: Wolfram, W. & Ward, B. (eds.): American Voices: How Dialects Differ from Coast to Coast. Oxford: Blackwell, 2006: 82-7).

 

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Scheidung international

In Russland ist es ganz und gar normal, sich scheiden zu lassen. Russland hat die höchste Scheidungsrate der Welt. Frühere Ehepartner bleiben oft freundschaftlich miteinander verbunden. In Indien gibt es kaum Scheidungen. Und wenn es eine Scheidung gibt, kann sich der Prozess bis zu zwölf Jahre hinziehen. Wenn ein Paar geschieden wird, werden gleichzeitig zwei Familien geschieden, und geschäftliche Beziehungen und die Familienehre werden in Mitleidenschaft gezogen. In Südafrika gab es früher nur in besonderen Fällen Scheidungen. Heute ist das Scheidungsrecht gelockert worden, und nicht zuletzt haben zwei Präsidenten dazu beigetragen, die Scheidung akzeptabler zu machen. Nelson Mandela war geschieden, und der jetzige Präsident, Jacob Zuma, hat schon sechs Scheidungen hinter sich. Inzwischen ist die Scheidungsrate bei Schwarzen höher als bei Weißen. In Shanghai werden inzwischen mehr Ehen geschieden als geschlossen. Viele Paare lassen sich scheiden, weil sie als Paar nur Anrecht auf eine Wohnung haben. Da sie ihr Geld gerne in Immobilien anlegen, lassen sie sich scheiden, kaufen sich eine zweite Wohnung, leben aber weiter zusammen. (Baxmann, Matthias, Eckoldt, Matthias: “Alltag Anders”, in Deutschlandradio Kultur: 04.07.201)

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Kein Akrobatik-Sex für Brasilianer

Verletzungsgefahren lauern für Fußballer überall: Paolo Guerrero verkrampfte sich einst aus Flugangst so sehr, dass eine alte Muskelverletzung aufbrach. Eine Bordkarte traf Milan Rapaić am Auge, ein Getränkewägelchen Jerome Boateng am Knie – beide fielen wochenlang aus. Charles Akonnor bohrte sich die Antenne seines Autos in die Nase. Mark Statham klemmte sich den Schädel in der Tür ein. Eine Seifenschale im heimischen Bad verletzte Oliver Reck, Kevin Keegan blieb mit dem Zeh im Badewannenabfluss stecken, Robbie Keane riss sich mehrere Bänder bei dem Versuch, den Fernseher per Fuß fernzubedienen. Alessandro Nesta daddelte an der Playstation, bis eine Sehne im linken Daumen riss. Kirk Broadfoot wollte sich Frühstückseier in der Mikrowelle zubereiten – bei der Explosion verbrühte er sich im Gesicht. Lars Hirschfeld hobelte Käse – und seine Daumenkuppe. Kasey Keller schlug sich die Vorderzähne aus, als er seine Golfschläger aus dem Kofferraum nehmen wollte. Der Argentinier Julio Arca verbrannte sich schwimmend die Brust an einer Feuerqualle. Die Statistik ist eindeutig: Auf dem Platz droht zwar die Blutgrätsche des Gegners – aber es ist der einzige Ort, wo Fußballer einigermaßen sicher sind. Felipe Scolari zog jetzt daraus die Konsequenzen und verbot seinen Spielern Akrobatik-Sex während der Weltmeisterschaft. (Willmann, Urs: “Leben ist gefährlich”, in: Die Zeit 20/2014:)

 

 

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Glocalisation

This term – a blend of globasation and localisation – describes the way in which practices that spread around the world will be “nativised” by local cultures. Multinational corporations take local practices and preferences into consideration. McDonald’s, for example, uses Asterix instead of Ronald McDonald in its advertising campaign in France. Imported cultural trends get adopted in a modified form by the local populations, resulting in phenomena like Korean hip-hop or Japanese R&B. The flow is not always only in one direction. US comic-book culture, for example, had a strong influence on post-war Japanese culture, this was then transferred into an indigenous Japanese art form, manga, which in turn has been exported back to the US. (Seargeant, Philip: “English and linguistic globalisation”, in: Seargeant, Philip & Swann, Joan (ed.): English in the World. History, Diversity, Change. Abingdon: Routledge, 2012: 179-80)

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Ebonics

It is well known that intelligibility is not enough to decide whether a variety is to be considered a language of its own or not. It leaves out of consideration linguistic attitudes, in particular the question of identity. Norway, Sweden and Denmark speak different languages, notwithstanding the considerable amount of intelligibility which exists between them. If the community wishes its way of speaking to be considered a language then it is one. Two criteria are required: to have a community with a single mind about the question and with enough power to make this decision respected by outsiders. Neither of these criteria was fulfilled in the case of Ebonics (a blend of Ebony and phonics), proposed for the variety of English formerly known as Black Vernacular English or African-American Vernacular English.  The intentions to give it language status were noble, but it was denounced by people from across the political spectrum, including individuals as the education secretary Richard W. Riley, the black civil rights leader Jesse Jackson and the writer Maya Angelou. Quite evidently, the two criteria above did not apply. (Crystal, David: “A global language”, in: Seargeant, Philip & Swann, Joan (ed.): English in the World. History, Diversity, Change. Abingdon: Routledge, 2012: 173)

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Global English

English has emerged as a world language for extrinsic reasons, not for intrinsic reasons. Popular ideas that English is easy to learn – few inflections, absence of lexical tones, grammatical gender and honorifics – disregard the fact that English is other respects is quite difficult. Besides, languages which do not have these characterstics such as Latin and French have been international languages in their day. It is the extrinsic factors which count: political power, technological power, economic power, cultural power. The British Empire and the two world wars, the Industrial Revolution and the Communications Revolution, the newspapers and the news agencies, broadcasting, television, the cinema, the advertising industry, popular music, international travel and education are at stake, not word order or morphology. (Crystal, David: “A global language”, in: Seargeant, Philip & Swann, Joan (ed.): English in the World. History, Diversity, Change. Abingdon: Routledge, 2012: 156-64)

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Do you speak English?

How many native speakers of English are there altogether? Perhaps surprisingly, this is not so easy to decide. The figures cited vary between 400 and 500 million – a considerable difference. This is probably chiefly due to differences of opinion as to what should be included. Are pidgins and creoles derived from English considered to be varieties of English and included? Or are they languages of their own? It is even more difficult to be sure about the total for non-native speakers of English. Is native-speaker-like fluency the criterion, or is every beginner to be included? And even if we take a middle-of-the-road course, some small deviation may have considerable effects. In India, for example, the figures vary between 3% and 33%, in real terms between 30 million and 330 million. So all figures have to be taken with caution, including the relatively informed survey of the British Council, according to which one billion people (i.e. one thousand million) are engaged in learning English. This includes all learners. If we take, as a criterion, a medium level of conversational competence in handling domestic subject matters, we can take between one half and two thirds of these as non-native speakers of English. Taking averages of the most recent estimates, we can assume that about one third of the world’s population can now communicate in English. This is a lot, but it also means that two thirds of the world’s population cannot communicate in English. One does not have to travel far into the hinterland of a country to find reality. Populist claims about the universal spread of English have to be kept in perspective. The second important factor is that the ratio of native to non-native speakers of English keeps changing. It is not estimated to be about 1:4. The proportion of the world’s population with English as a first language will decline further in the years to come.  (Crystal, David: “A global language”, in: Seargeant, Philip & Swann, Joan (ed.): English in the World. History, Diversity, Change. Abingdon: Routledge, 2012: 154-6)

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Nichts Neues, bitte!

Einer im Journal of the American Medical Association veröffentlichen Studie zufolge verschreiben Ärzte in den USA bei einer akuten Bronchitis immer noch Antibiotika, obwohl längst klar ist, dass die dabei keinen Nutzen haben. In offiziellen Leitlinien und Aufklärungsprogrammen wird darauf hingewiesen, und dennoch verordnen 70% der Ärzte weiterhin diese nutzlosen Medikamente.

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Passende Namen?

Da lacht das Herz des Linguisten: Der BVB hat eine italienische Neuverpflichtung, Immobile. Ein perfekter Name für einen Fußballspieler. Demnächst gibt es in den BVB gegen Bayern nicht nur Dante gegen Sokrates, sondern auch Lahm gegen Immobile. Jetzt heißt es, der BVB habe auch Interesse an Blind. (Schieber soll dagegen gehen, aber sie haben ja noch Großkreuz).

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English vs. Chinese

Which is the top language on the internet? The obvious answer seems to be: English. But Chinese seems to be catching up quickly. The question is, of course, what to count: users, sites, clicks, texts? And: what is a text? And what about multilingual websites?

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Welche Qual!

Bei einem Volkslauf in Luxemburg sah man aus der Ferne eine Bushaltestelle, die QUAL 3 hieß. Als ich mich über die überaus passende Namenswahl wunderte und der Haltestelle näher kam, konnte ich das Schild besser lesen. Darauf stand: QUAI 3

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Just talk!?

What happens if you get language learners to just talk? This was done in an experiment in which three learners were asked to do just that: talk. The result was a highly illuminating dialogue. The three learners talked about Tina Turner, asked each other how they were, where they lived, what the time was, what they did last week and what the weather was like. In other words: a highly incoherent dialogue. That is not surprising, as the learners did not have a reason to talk nor a topic to talk about. A closer analysis shows how this dialogues deviates from other, everyday dialogues: topic changes were abrupt, the speakers did not seem to be interested in what the others were saying, the interaction was mainly based on question – answer units, without the common third turn, the follow-up. There were basically no repetitions, no place holders or acknowledgements like well, erm, I see, no false starts, no self-corrections, no informal language, no hedges like you know, like, sort of, etc. A totally artificial dialogue. It is precisely this abnormal sample of language which makes us see what is normal. (Bygate, Martin: “TESOL and linguistics”, in: Culpeper, Jonathan, Katamba, Francis, et. al. (eds): English Language. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2009: 644-645)

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Story and plot

Although they contain the same elements, and the same information, plot is not the same as story. The story reports events in their chronological order, the plot is the order in which the text presents them. They frequently do not coincide. Events are not usually reported in the order in which they occur. They are scrambled. This can be done to create dramatic suspense or to highlight certain events. In reading a text, we form a mental model of the sequence of events being reported. (Chilton, Paul: “Text Linguistics”, in: Culpeper, Jonathan, Katamba, Francis, et. al. (eds): English Language. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2009: 183)

 

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Sentences? Utterances!

Sentences may contain the same proposition and still be different. As an evident case, a sentence in English and its equivalent in Polish are two different sentences containing the same proposition. A sentence may also contain elements which do not form part of the proposition: “Adam is still waiting for Roz” contains the same proposition as the same sentence without still. Finally, the same proposition can be expressed by different grammatical forms of different words: “The man patted the dog” and “The dog was patted by the man” contain the same proposition. What we usually produce is not sentences (unless we are in a language class, for instance) but utterances, i.e. instantations of sentences. The sentence “We’ve bought a new car” does not refer to any new car. Speakers use it to refer to a car. The same sentence produced by me this year and twenty years ago or produced by my neighbour refers to different cars. So strictly speaking, linguistics expressions do not by themselves refer, they can only be used by speakers to refer. (Siewierska, Anna: “Semantics”, in: Culpeper, Jonathan, Katamba, Francis, et. al. (eds): English Language. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2009: 188-201)

 

 

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Learning how to iron a shirt

How do you learn how to iron a shirt? In some cases, someone may show you how to do it, giving explanations as they are doing so. That is to say, language is involved. But even if there is no one around, you will probably use language in order to learn it. The most obvious case would be your reading the instruction sheet. But even if you do not do this, language will be involved. You may remember a family member doing it, and these memories may be visual, but they are almost certainly also accompanied by words which help to fix the experience in our minds. Even without talking or writing, we often process our action through words in the mind, which help us to understand what we are doing and remember it. We may also profit from something we have read about ironing in the past. (Roz, Ivanič: “Languages and Literacies in Education”, in: Culpeper, Jonathan, Katamba, Francis, et. al. (eds): English Language. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2009: 625-6)

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Der amerikanische Esel

Warum ist der Esel, ausgerechnet der Esel, das Symbol der Demokraten in den USA? Der Esel hat ja nicht gerade einen guten Ruf. Das Symbol hat seinen Ursprung in einem Wahlkampf in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Präsidentschaftskandidat der Demokraten wurde von seinen Gegners gerne als Esel diffamiert: Jackson = jackass. Der entschied sich, seinen Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen und übernahm den Esel als Symbol im Wahlkampf. Mit Erfolg. Er wurde gewählt. (“Gar nicht so dumm! – Esel”, in: Matinee, SWR 2: 13/04/2014)

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Do it again

What happens if you get a learner to do the same task twice? Will he do better or worse or the same? This was tested in an illuminating experiment in which a learner was asked, without any previous preparation, to retell a story she had seen on a video, an extract from a Tom and Jerry video. The learner did what she had been asked to do and her account was recorded. On the following day, without any previous warning, she was asked to do the same task again. Surprisingly, the learner did better on almost all accounts. Though the content was basically the same, she added two utterances which made the motives and circumstances of the action clearer. She again used and a lot – a feature of authentic speech – and there were hesitations, repetitions and self-corrections, but rather fewer than on the previous day. Her language had become more fluent. In addition, her language had also become more accurate. Her vocabulary was more target-language like. She still had difficulty with put up and take down but her adverbials were more correct, and her collocations more appropriate. Even her grammar got closer to the target language. The general implication is that we can learn through communication simply by being challenged to try to do the same thing on more than one occasion. This experiment reminds of a personal experience I have on an almost daily basis: I read a text and, on the following day, read it again, and I always understand more on the second day, without having looked up a single word. (Bygate, Martin: “TESOL and linguistics”, in: Culpeper, Jonathan, Katamba, Francis, et. al. (eds): English Language. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2009: 648-654)

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A hell of a world

Occasionally teachers learn something from their students. This is what has happend to me twice in the course of the last few days when marking student assignments. In both cases, the etymology of a word was concerned. One student pointed out that world is derived from the Germanic words for ‘man’ and ‘age’, wer and ald. Makes sense, but who might have guessed? The other student points out that hell and helmet are etymologically related. The common element is its root, kel, which means something like ‘conceal’, ‘cover’, ‘hide’. Originally, before its Christian interpretation, hell was a neutral word and just meant the abode of the dead. No fire and brimstone, punishment and pain.

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Shakespeare’s gargantuan vocabulary

Shakespeare uses more words (20,500) than his contemporaries Jonson (19,000) and Middleton (14,000). But these figures can be misleading. He simply wrote more. If one considers the rate at which he uses words he has not used before, he is strictly average. Shakespeare is also believed to have invented more words than almost anyone else. Another misapprehension. Since Jürgen Schäfer’s work in the 1980s we know that Shakespeare’s apparent creativity has to be treated with caution. Shakespeare’s works have simply been searched much more carefully than those of other writers, especially by the army of readers who worked for the OED. In fact, Marvin Spevack has suggested that Shakespeare avoids one of the main sources of new words – Latin, using up to 50% fewer Latin-derived words than the average of his contemporaries. Shakespeare’s preference seems to have been to extend the meaning of words rather than create entirely new ones. Shakespeare also shows a tendency for unusual word order, seeming to prefer SOV over SVO, and increasingly so over his career and far in excess of his contemporaries. When he uses SOV in longer sentences, the reader may actually find it harder to follow: What feast is toward in thine eternal cell,/That thou so many princes at a shot/So bloodily hast struck? (Hope, Jonathan: “Shakespeare and the English Language”, in: Beal, Joan: “A national language”, in: Seargeant, Philip & Swann, Joan (ed.): English in the World. History, Diversity, Change. Abingdon: Routledge, 2012: 81.)

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Picknick

Das Wort Picknick speist sich aus zwei Wurzeln, einer französischen und einer englischen. Das Wort ist zuerst in einem französischen Wörterbuch dokumentiert (1694). Dort bezieht es sich auf ein informelles Treffen, zu dem alle etwas zu essen mitbringen, aber dieses Essen findet in geschlossenen Räumen statt. Die Idee selbst passt gut zur Aufklärung, zu den Vereinigungen, die sich damals bildeten und bei denen jeder das beitrug, was er konnte. Als informelles Freiluftessen ist es eine englische Erfindung. So veranstaltete Wordsworth im Lake District ein Picknick aus Anlass des Siegs über Napoleon (mit Roast beef und Plumpudding). Die Nahrungsaufnahme im Freien passte zu den englischen Romantikern und ihrer Naturverbundenheit. Populär wurde das Picknick dann im Viktorianischen Zeitalter. Dazu trägt die Industrielle Revolution gleich doppelt bei: Sie sorgt für Schmutz, Lärm und Enge in den Städten und für die Eisenbahn, die einen aus der Stadt für einen Ausflug in die freie, unverdorbene Natur bringt, ins Grüne oder an den Strand. Ursprünglich war die Nahrungsaufnahme im Freien eher Normalität oder Notwendigkeit, zum Beispiel bei der Erntearbeit. Sie bedeutete aber ein Stück Freizeit innerhalb der Arbeit, und die heutige Bedeutung ist im Kern schon vorhanden. („Esskultur für Arm und Reich: Kulturgeschichte des Picknicks“, in: SWR 2 Matinee: 25/05/2014)

 

 

 

 

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Meine Leber!

Zu den eher konventionellen Kosenamen, die Liebespaare benutzen, gehören ital. passerotta, ‘Spätzchen’, span. corazoncito, ‘Herzchen’, türk. boncuğum, ‘meine Perle’, russ. koschetschka, ‘Kätzchen’ und poln. skarbie, ‘Schatz’. Eher überraschend kommen franz. ma puce, ‘mein Floh’, engl. pumpkin, ‘Kürbis’, poln. ptysiu, ‘Windbeutel’, russ. lapotschka, ‘Pfötchen’ und türk. ciğerim, ‘meine Leber’. (Häntzschel, Ole, Stolz, Matthias: “Windbeutel liebt Floh”, in: Zeitmagazin 22/2014: 12-13)

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Kreuz-Zeichen

Das Kreuz als Symbol gab es lange vor dem Christentum. Schon im alten Ägypten stand das Kreuz für die vier Säulen, die das Himmelsgewölbe stützen. In der indianischen Kultur diente es zu symbolischen Sonnendarstellungen. Auch in indischen und europäischen Höhlenmalereien hat man Kreuzzeichen entdeckt. Wahrscheinlich geht es als Symbol bis in die Steinzeit zurück, als abstraktes Zeichen der Zahl vier. Das Kreuz weist in die vier Himmelsrichtungen. Die horizontale Linie steht der Tradition zufolge für die Erde, die vertikale für den Himmel. Außerdem teilt das Kreuz einen Kreis, Sinnbild der Vollkommenheit, in vier gleich große Teile. Zum christlichen Symbol wurde es offiziell durch das Konzil von Ephesos 431. (Zierau, Ulla: “Musik zur Karzeit”, in: Musikstunde. SWR 2: 17/04/2014)

 

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Wombat ist gleich Wombat

Es kann frustrierend sein, ein Wort in einem zweisprachigen Wörterbuch nachzuschlagen. Heute morgen habe ich schwedisch hygglig nachgeschlagen und nett als deutsche Entsprechung gefunden. Das passt aber hinten und vorne nicht in dem Text, in dem sonst von netten Sprachkenntnissen die Rede wäre. Ich muss mir selbst eine Entsprechung ausdenken: passabel, hinreichend vielleicht. Dann schlage ich englisch wombat nach. Die deutsche Entsprechung im Wörterbuch ist Wombat. Das erinnert mich an eine ähnliche Situation vor ein paar Jahren mit mulch, als Mulch in Deutschland noch nicht so bekannt war. Das einsprachige Wörterbuch hilft im Falle von wombat weiter: an Australian animal like a small bear whose babies live in a pocket of skin on its body. Jetzt habe ich auch gelernt, wie man den Beutel eines Kängurus auf Englisch beschreibt.

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Verwöhnte Kunden

Immer mehr Pakete im Versandhandel werden zurückgeschickt. Und zwar nicht nur bei defekter Ware. Nach einer Studie der Universität Regensburg rechnen die Kunden bei 40% der Bestellungen bereits damit, die Ware wieder zurückzuschicken. Viele lassen sich verschiedene Paar Schuhe schicken, wählen eins aus und schicken die anderen wieder zurück. Das ist durchaus vom Handel beabsichtigt. Die Kunden sollen wie im Geschäft auswählen können. Es gibt aber auch die dreiste Variante: Mädchen veranstalten Auspackparties. Sie ziehen die bestelle Ware an, lassen sich photographieren, stellen die Photos online und schicken die Ware wieder zurück. Noch dreister: Kunden bestellen ein Trikot und einen Helm für die Radtour, benutzen sie und schicken die Ware anschließend wieder zurück. Nicht im Sinne des Erfinders. So steigt die Rate der zurückgeschickten Lederhosen und Dirndl nach dem Oktoberfest deutlich an. Das trübt auch die Umweltbilanz des Versandhandels beträchtlich. Lange galt der Versandhandel als eine gute Alternative. Eine Einkaufstour mit dem Auto, so die Kalkulation, verursacht mehr CO2-Ausstoß als ein verschicktes Paket. Aber wenn Pakete hin-und hergeschickt werden, wenn Pakete nicht ausgeliefert werden können, weil der Empfänger nicht zu Hause ist oder wenn die Leute sich erst im Einzelhandel umsehen und dann online bestellen, bricht diese Kalkulation zusammen. (Lütge, Gunhild: “Verflixte Retouren”, in: Die Zeit 15/2014: 26)

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Five vowels?

“English has five vowels”. This is a widely held popular assumption. When people say this they are thinking of spelling. As a matter of fact, English has many more vowels. Compare: bee, boo, bar, burr, boar, bit, bet, bull, but, bog, beer, bear, boor, bay, buy, boy, bow, bough.

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Greek and Russian puppets

There are sometimes remarkable correspondences in languages: the Russian word for ‘puppet’ is кукла, the Greek word for ‘puppet’ is κούκλα. It is kukla in both Russian and Greek. Coincidence?

 

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Innocent Austrians

In a commemorative speech held in 2005, the Austrian chancellor, Schüssel, with reference to the foundation of the Second Republic in 1945, spoke of Austria’s birth or rebirth after the war, using a natural, biological metaphor. A political entity becomes  a child, suggesting that the state is innocent like a new-born child. The founders are referred to as the founding fathers of the Second Republic. The founders are said to have come back from the concentration camps, thus suggesting that only victims of the Nazi regime and not its collaborators were involved in the founding of the state. The political actors who really made independence possible, the Allied forces who defeated the Nazi regime, are not mentioned at all. The years before are referred to as a nightmare, thus making the event appear fateful and unavoidable like a natural disaster. All this constructs a historical view which makes commemoration possible and includes the perpetrators and their families. (Wodak, Ruth: “Language and Politics”, in: Culpeper, Jonathan, Katamba, Francis, et. al. (eds): English Language. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2009: 588-91)

 

 

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Bellerophon ist Joseph

Immer wieder verblüffend, die Parallelen in den Erzählungen unterschiedlicher Kulturen: Bellerophon, aus Korinth verbannt, weist an einem fremden Hof die Avancen der Ehefrau seines Gastgebers zurück. Daraufhin wird er von ihr beschuldigt, sie geschändet zu haben. Der fremde König glaubt seiner Ehefrau und schickt Bellerophon in die Verbannung, aus Angst, das Gesetz der Gastfreundschaft zu verletzen, wenn er ihn tötet. Bellerophon ist Joseph, die Frau, die ihm Avancen macht und ihn dann beschuldigt, ist die Ehefrau Potiphars. Potiphar glaubt ihr, und Joseph landet im Gefängnis. Stimmt alles.

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Begehrter Steinbruch

Es ist immer dasselbe: Erst ist man dagegen. Als man in Deutschland, wie bei der Renovierung des Breisacher Münsters, begann, wieder in eigenen Steinbrüchen Rohstoffe abzubauen und man die Unterstützung von Bürgermeistern, vom Landratsamt, vom Regierungspräsidium, vom erzbischöflichen Bauamt und so weiter hatte, stieß man erst einmal auf Widerstand bei der Bevölkerung. Die Argumente gegen die Steinbrüche basierten meistens auf Gerüchten: riesengroßer Steinbruch, viel LKW-Verkehr, Staub, Lärm usw. Dabei geht es in den Werksteinbrüchen relativ geräuscharm vor. Dynamit hat dort nichts zu suchen. Bei Stein, der mit Sprengstoff gewonnen wird, bilden sich kleine Haarrisse, die erst nach Jahren sichtbar und zum Problem werden. Außerdem gibt es gute andere Gründe, die gegen den Import von Stein aus fernen Ländern sprechen, nämlich die Kosten, aber auch die Bedingungen, unter denen dort gearbeitet wird. Am Ende, als sich alle Befürchtungen als gegenstandslos erwiesen hatten, war alles eitel Freude. Die Steinbrüche wurden besichtigt, man beschäftigte sich mit Begeisterung mit dem Steinbruch und war sogar traurig, als der dann wieder geschlossen und rekultiviert wurde. Man hätte ihn am liebsten offen gehalten für die anderen anstehenden Renovierungsarbeiten wie denen am Freiburger Münster. (Findeisen, Hans-Volkmar: “Längst totgeglaubt. Die Renaissance heimischer Steinbrüche”, in: SWR 2 Wissen: 25/03/2014)

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Du großer Gott!

Auf einem Hochrelief, heute im Archäologischen Museum in Athen, sieht man Äskulap und seine Tochter Hygieia. Äskulap nimmt die Dankesgaben von zwei gläubigen Menschen entgegen. Die unterscheiden sich von Äskulap und Hygieia durch ihre kleinere Gestalt  – genauso wie später in der christlichen Ikonographie die Stifter in der Präsenz von Heiligen.

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Latin against French

A good indication of the decline of Latin and the rise of French as an international language is the use of these two languages in the context of war diplomacy. In 1660, both the negotiations and the treaty between Sweden, Austria and Poland in Oliva were in Latin. In 1678, the negotiations between Sweden, France, Spain and others in Nijmegen was in French, the treaty was in Latin. In 1714, both the negotiations and the treaty between Austria and France in Rastatt were in French. (Janson, Tore: Sprakens historia. Stockholm: Nordstedts, 2011: 215)

 

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Rechenkünste

Immer wieder dasselbe: Die Angst der Menschen ist fehlgeleitet. Sie ignorieren die offensichtlichen Gefahren und suchen sich andere, versteckte. In Deutschland sind über 40%  aller Todesfälle die Folge von Herz- und Kreislaufkrankheiten, über 25% die Folge von Krebs. Wie man Herz- und Kreislaufkrankheiten am besten entgegenwirken kann, ist bekannt: kein Tabak, kein Alkohol, gesunde Ernährung, Bewegung. Stattdessen hat man Angst vor Viren, Pestiziden in Lebensmitteln, nächtlichen Überfällen. Das sind aber “Peanuts”. Im Vergleich jedenfalls. Solche Gefahren werden meistens dramatisiert. In seinem Buch Das Risikoparadox führt Ortwin Renn ein dramatisches Beispiel an: In England wurde 1995 in der Boulevardpresse kolportiert, das Todesrisiko durch die Einnahme der Pille hätte sich verdoppelt. Die Folge: Frauen begannen reihenweise, die Pille abzusetzen, vor lauter Panik. Sie nahmen mehr Abtreibungen vor, auch illegale, und bei denen starben mehr Frauen als durch das gesteigerte Risiko der Pille. Tatsächlich bezog sich das Risiko bei der Pille nur auf die Thrombose, und das war, den Statistiken zufolge, von 0,05 auf 0,1 gestiegen. Es hatte sich “verdoppelt”. (“Falsche Ängste”, in: Kritik. Deutschlandradio Kultur: 21/03/2014)

 

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Differenzierung unerwünscht

Ein Geograph berichtet von einer Erfahrung, deren Bedeutung für unsere Welt, um es etwas pathetisch zu sagen, gar nicht überschätzt werden kann. Er hatte ein Buch darüber geschrieben, welche Pflanzen auf welchem Feld am besten für den Anbau in Kenia geeignet waren. Das Buch wurde ein Erfolg, aber der Autor selbst fand, dass das Buch die Naturbedingungen überbewertete. Er schrieb deshalb einen Ergänzungsband, der auch die Preise, die Marktbedingungen, die Infrastruktur und die sozioökonomischen Traditionen berücksichtigte. Kaum jemand interessierte sich dafür. Die Menschen wollten keine Komplikationen. (Jaetzold, Ralph: Inside Africa. Trier: Geographische Gesellschaft Trier, o.J: 88-89)

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Afrika-Klischee

Savanne mit Schirmakazien: unser typisches Bild von Afrika, von seiner Natur, geprägt von Buchdeckeln und Dokumentarfilmen. Aber das ist gerade die große Ausnahme, weitgehend auf das Herzstück der Serengeti beschränkt. Sonst fehlen meist die Bäume. Das Gras der Savanne nimmt das Wasser auf, bevor es zu den Wurzeln der Bäume durchdringen kann und diese eine Reserve für die trockenen Monate bilden können. Bäume können nur dann wachsen, wenn ein Gewässer in der Nähe ist. Und das ist in der Serengeti der Fall. (Jaetzold, Ralph: Inside Africa. Trier: Geographische Gesellschaft Trier, o.J: 108)

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Arme Apostel

Wo waren die Apostel, als Jesus gekreuzigt wurde? Warum gibt es keinen Aufruhr, als Jesus bei Letzten Abendmahl verkündet, einer von ihnen werde ihn verraten? Es gibt keine Empörung, keinen Streit, keine Prügelei. Warum passiert Petrus nichts, als er einem Knecht des Hohepriesters bei Jesus’ Verhaftung das Ohr abhaut? Warum haben die Apostel – bis auf den Selbstmörder Judas – überhaupt überlebt, nachdem ihr Anführer erbärmlich am Kreuz gestorben war? Lauter Fragen, die jeden verstandesorientierten Bibelleser zur Verzweiflung treiben. Und warum lassen sich die Apostel, wie ein paar dumme Trottel, ständig von Jesus zurechtweisen und herumkommandieren? In der Bibel kommen sie nicht sonderlich gut weg. Bestenfalls als Stichwortgeber für Jesus. Wie muss es ihnen ergangen sein, wenn Jesus in der Bergpredigt auf die Vögel des Himmels verwies, für die “euer himmlischer Vater” sorgte, wenn sie selbst hungrig waren? Wie müssen sie sich gefühlt haben, wenn sie mal wieder von misstrauischen Dorfbewohnern verjagt wurden? Arme Apostel! (Borger, Sebastian: “Schwache, treue Seelen”, in: Großbongardt, Annette & Pieper, Dietmar (Hg.): Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums. München, Deutsche Verlags-Anstalt, 2/2012: 189-201)

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Teuflisch göttlich

Der Wein ist, dem Mythos zufolge, ein Gottesgeschenk: Dionysos übergab Ikarios, einem einfachen Mann, die Rebe und lehrte ihn, wie man Wein herstellt. Der Gott vergaß aber, ihn über den Effekt des Weines zu informieren. Ikarios servierte einer Gruppe von Hirten den Zaubertrank, und als die merkten, was mit ihnen geschah, glaubten sie, er habe sie vergiftet. Sie rächten sich an ihm und töteten ihn (Karabatea, Marilena: La mitología griega.Athen: Ediciones Adam, o.J.: 182-3). Teuflisch, dieses Gottesgeschenk.

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Elefanten räumen auf

Dass es Savannen gibt, das nimmt man normalerweise einfach hin. Warum auch nicht. Aber irgendwie müssen sie ja auch entstanden sein. Wenn man darüber nachdenkt, wie, kommt man auf Wirbelstürme, Klimaveränderungen, Überschwemmungen oder so etwas. Dass es auch zoogene, also von Tieren verursachte Savannen gibt, darauf wäre ich nicht gekommen. Habe ich aber jetzt gelernt. Elefanten stoßen die Bäume um, um besser an die Blätter zu kommen oder fressen ihre Rinde und bewirken dadurch, dass sie eingehen. So kann aus einem Feuchtwald eine Feuchtsavanne entstehen. (Jaetzold, Ralph: Inside Africa. Trier: Geographische Gesellschaft Trier, o.J: 106)

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Sykamore

Im Englischen begegnet man in der Literatur immer wieder einer Baumart, für die es im Deutschen keine eindeutige Entsprechung zu geben scheint: sycamore. Es gibt das deutsche Wort Sykamore, der wissenschaftliche Begriff für bestimmte Arten von Feigen wie der Maulbeerfeige. Allerdings wird sycamore auch für ‘Ahorn’ oder ‘Platane’ gebraucht. In Wikepedia findet man deshalb unter sycamore keinen deutschen Eintrag, wohl aber den englischen zu sycamore, wenn man unter Maulbeerfeige sucht. Kompliziert. Die Maulbeerfeige ist auch der Baum, auf dem Zachäus dem vorbeiziehenden Jesus erwartet. Die Maulbeerfeige ist ein Baum, der leicht zu erklettern ist.

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Drei Jahreszeiten

Im Englischen gab es eine Periode, wo nur drei Wörter für die Jahreszeiten gebracht wurden, nicht vier. Jetzt habe ich gelesen, dass man im antiken griechischen Mythos eine ähnliche Annahme findet: Persephone, von Hades in seinem unterirdischen Reich festgehalten, wird, nach dem Ratschluss der Götter, auf Bitten ihrer Mutter, Demeter, demnächst vier Monate bei ihrem unterirdischen Ehemann und acht Monate bei ihren überirdischen Mutter verbringen. Drei Jahreszeiten? Oder sogar nur zwei? Dafür gibt es gute Gründe. Wenn wir nicht “wüssten”, dass es vier Jahreszeiten gibt, würden wir möglicherweise in unseren Breiten nur drei annehmen. Die Vierzahl scheint sprachlich vorgegeben, nicht durch die Natur.

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Sofort bezahlen!

Im russischen Reisebüro: “Cherr Schäffer, chabben Sie eine andere Familie?” Ein Satz, der Aufnahme in ein Lehrbuch zur Sprache verdient. Nicht nur wegen der Aussprache. Russisch фамилия (familia) bedeutet nicht ‘Familie’, sondern ‘Nachname’. Und es geht nicht um einen anderen Nachnamen, sondern um einen weiteren. Doppelte Interferenz. Auch kulturell eine interessante Erfahrung: Die Rechnung kam ohne Anschreiben und Anrede, mit der alle westlichen Gepflogenheiten von Höflichkeit in den Wind schlagenden Aufforderung: “Sofort bezahlen!”

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Wundersame Ortsverschiebung

Der Ort, an dem sich die wundersame Brotvermehrung ereignet haben soll, liegt am Ostufer des Sees Genezareth. Irgendwann einmal war den Pilgern der Weg zu weit und die Gegend zu gefährlich, also wurde der Ort kurzerhand an das Westufer des Sees verlegt. (Großbongardt, Annette: “Am Tisch des Herrn”, in: Großbongardt, Annette & Pieper, Dietmar (Hg.): Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums. München, Deutsche Verlags-Anstalt, 2/2012: 252)

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Gewaltige Maßnahme

Die Gewalt in Ostafrika ist in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen. Das ist in erster Linie das Resultat der Bevölkerungszunahme. Landmangel und ausbleibendes Industriewachstum treiben die Menschen in die Armut und damit in die Gewalt. Die Zahl der Raubüberfälle stieg. Die kenianische Regierung entschied, die Raubüberfälle zu bekämpfen, indem sie darauf die Todesstrafe setzte. Jetzt sind die Raubüberfälle noch grausamer. Die Opfer werden nicht nur überfallen, sondern gleich getötet. Die Todesstrafe droht sowieso, und wenn das Opfer tot ist, sinkt die Chance, dass der Raub herauskommt. (Jaetzold, Ralph: Inside Africa. Trier: Geographische Gesellschaft Trier, o.J: 74)

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Fragen an die kubanische Revolution

Wer wollte die Stationierung von Raketen auf Kuba, Kuba oder die Sowjetunion? Was hielt Fidel Castro von dem Rückzieher Chruschtschows? War er einverstanden? War er überhaupt informiert? Hat die feindselige Haltung der USA gegenüber der kubanischen Revolution Kuba erst in die Hände der Russen und in den Kommunismus getrieben? War die Bewaffnung Kubas mit Hilfe der Sowjetunion eine Folge der Invasion in der Schweinebucht? War die Explosion des französischen Schiffs La Coubre im Hafen von Havanna (1960) ein Sabotageakt der USA? Fürchtet Fidel Castro nichts so sehr wie die Entspannungspolitik, weil das seiner Kriegslogik und seinem autoritären Einheitssystem entgegen stünde? Wie kam Camilo Cienfuegos ums Leben? War der Flugzeugabsturz ein Unfall? Oder wollte Fidel sich eines politischen Konkurrenten entledigen, einem Helden der Revolution? War Che Guevara ein Opfer Fidels? Hat es einen Bruch zwischen dem Che und Fidel gegeben, der den Che dazu veranlasste, Kuba zu verlassen? Warum schickte Fidel keine Truppen nach Bolivien, um den Che zu unterstützen? Warum wurde er nicht vor einem möglichen Verrat der Kommunisten gewarnt?

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Tönende Maske

Maske Larve Scheme. Das Deutsche hat alle drei Wörter aus den romanischen Sprachen entlehnt. Und mit den Wörtern auch die Sache. Masken trug man in Deutschland erst seit dem 15. Jahrhundert. In anderen Kulturen gab es sie schon viel früher. Die frühesten Masken haben immer etwas mit dem Totenkult zu tun. Wenn man eine Maske trug, konnte man das eigene Ich eine Zeit lang verdrängen und damit eine andere Person, einen Toten, heraufbeschwören. Die frühesten belegten Masken bei uns waren Teufelsmasken. Die wurden nicht im Karneval, sondern bei Prozessionen getragen. Das waren mobile Schauspiele, bei denen Geschichten aus der Heilsgeschichte aufgeführt wurden. Engel und Heilige waren vertreten genauso wie Teufel, und die trugen Masken. Das ging dann in die Karnevalstradition ein. Da war der Teufel los. Die Maskierung war eine gute Möglichkeit, sich zu verbergen. Man nimmt eine andere Identität an und entzieht sich den gewohnten gesellschaftlichen Zwängen. Die Maske im Karneval ist materiell greifbar, die im Alltagsleben nicht. Nicht umsonst ist Person von einem Wort abgeleitet, das ‘Charakter’, ‘Rolle’ bedeutet, aber ursprünglich ‘Maske’. Durch die ‘tönt es durch’:    per-sonar.   („Volle Deckung – Warum wir uns tarnen“, Gespräch mit Volkskundler Werner Mezger, in: SWR 2 Matinee: 02/03/2014)

 

 

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Kluge Bauern

Wie sinnvoll ist überhaupt Entwicklungshilfe? Wie effektiv ist sie? Wem hilft sie? Würde es den Entwicklungsländern besser gehen, wenn es keine Entwicklungshilfe gäbe? Eine Episode aus dem Buch eines Afrikakenners belegt, dass sie zumindest oft ins Leere läuft. In Kenia war 1963 ein groß angelegtes landwirtschaftliches Musterprojekt angelegt worden. Es brachte aber keine Erfolge. Die Untersuchung ergab dann: Die Farm lag an einer der ungünstigsten Stellen. Die Böden waren ausgelaugt und humusarm. Deshalb war dieses Gebiet von den einheimischen Bauern vermieden worden. (Jaetzold, Ralph: Inside Africa. Trier: Geographische Gesellschaft Trier, o.J: 87)

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Material für die Pyramiden

Was brauchte man, um die Pyramiden zu bauen? Eine Schrift! Für die gigantische Baustelle müssen Tausende, vermutlich Zehntausende von Menschen abgestellt werden. Die müssen ernährt werden, wenn sie arbeiten sollen. Also muss die Nahrung woanders her. Von denen, die sich dem Ackerbau widmen, den Bauern. Dazu brauchte man ein System, mit Lieferzeiten, Liefermengen, Kontrollen, mit Steuerlisten und Quittungen. Und was brauchte man für Listen und Quittungen? Eben, eine Schriftsprache. (Janson, Tore: Språkens historia. o.O.: Norstedts, o.J.: 61-63)

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Kontaktlos?

Meistens findet man es schwer, die Fäden zusammenzuführen, aber gelegentlich hilft der Zufall, wie jetzt bei der Lektüre in drei ganz verschiedenen Büchern (Mythologie, Afrika, Sprachgeschichte). Hier kommt das erste Kuriosum: Als die Griechen unterwegs nach Troja sind, wird ihre Weiterfahrt durch eine Windstille behindert. Dafür hat Artemis gesorgt, die noch eine Rechnung mit Agamemnon, dem Führer der Griechen, offen hat. Kalchas, der Seher, weissagt, dass Agamemnon seine Tochter Iphigenie opfern müsse, um die Göttin zu besänftigen. Iphigenie wird herbeigeschafft, und der Altar wird vorbereitet. In dem Moment, wo Agamemnon sein Schwert erhebt, geht Artemis dazwischen, nimmt Iphigenie von dem Altar und ersetzt sie durch eine Hirschkuh (Karabatea: 117). Bekannte Geschichte? Ja, Abraham und Isaak ist gleich Agamemnon und Iphigenie. Die Frage ist: Woher kommt die Ähnlichkeit? Hat es Kontakte gegeben oder sind die Geschichten unabhängig voneinander entstanden? Wenn sie unabhängig voneinander entstanden sind: Was sagt uns das über das menschliche Denken? Sind wir alle gleich gestrickt? Bei der zweiten und der dritten Kuriosität stellt sich die gleiche Frage. Einmal geht es um die Entstehung des Menschen. Es hat offensichtlich zwei Ansätze gegeben, einen in Ostafrika und einen in Südafrika. Die Frühmenschen in Südafrika hatten jedoch keinen Bestand und sind ausgestorben (Jaetzold: 110). Wie kann es sein (wenn man die Abstammung des einen von dem anderen ausschließt), dass so eine Besonderheit sich zweimal unabhängig voneinander ereignet? Und wenn das der Fall ist, warum hat sich das nicht dutzendfach wiederholt? Das dritte Kuriosum betrifft die Entwicklung der Schrift. Die ist in Mesopotamien (vor ca. 5.000 Jahren), in China (vor ca. 3.500 Jahren) und in Mittelamerika (vor ca. 2.300 Jahren) entwickelt worden. Die drei Schriftsysteme haben viel gemeinsam. Wie kommt das? Hat es Kontakte gegeben? Vom Mittelmeer nach Ostasien, ohne dass unterwegs Spuren hinterlassen wurden? Über den Atlantik oder den Pazifik nach Amerika, fast 2.000 Jahre vor Kolumbus? Das klingt noch unwahrscheinlicher als die andere Erklärung, nämlich, dass man ganz unabhängig voneinander so eine bahnbrechende Erfindung gemacht hat, vielleicht die wichtigste in der Geschichte der Menschheit (Janson: 58).

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Antike Panscherei?

In Ägypten wie in Griechenland und in Rom wurde der Wein mit Wasser gemischt. Das Verhältnis war häufig zwei (Wein) zu fünf (Wasser). Eine Kombination zu gleichen Teilen galt schon als unmäßig. Pur wurde nur das Trankopfer an die griechischen Götter genossen. Man goss stets das Wasser in den Wein, nie umgekehrt. Die ersten Edelreben wurden von den Minoern gezüchtet. Die wurden von den Griechen durch Kreuzung verfeinert. Griechischer Wein wurde bald zu einem erfolgreichen Exportartikel. (Schreiber, Mathias: “Der Heilige Trank”, in: Großbongardt, Annette & Pieper, Dietmar (Hg.): Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums. München, Deutsche Verlags-Anstalt, 2/2012: 164-5)

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New schools

English has borrowed school from Latin. The Latin word, schola, is easily recognisable when we look at the word. When we hear it, it is much more difficult to see the relationship: /∫ola/ vs. /sku:l/. And the plural form is also quite different: scholae # schools. English school was later borrowed by Setswana, a Bantu language spoken in Botswana.  As Setswana does not have /sk/, a vowel was introduced between the two sounds, which makes it sekole. Plurals in Setswana are not formed by changing the end of the word but by changing the beginning of the word. The group of nouns to which  sekole belongs forms its plural by replacing se- by di-. So we end up with dikole. At the end of the chain, dikole corresponds to scholae. One must have a very sharp eye to detect that they are related. (Janson, Tore: Språkens historia. o.O.: Norstedts, o.J.: 48-9)

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Hl. Pilatus

Seine Berühmtheit bis auf den heutigen Tag verdankt er einer Hinrichtung. Einer durch ihn veranlassten Hinrichtung. In der äthiopischen und in der koptischen Kirche ist er sogar ein Heiliger: Pontius Pilatus. Pilatus war, wie eine 1961 entdeckte Inschrift belegt, Präfekt von Judäa. Er trat das Amt im Jahre 26 als fünfter Präfekt an, eine Auszeichnung für seine Verdienste. Pilatus residierte in Cäsarea, nicht in Jerusalem. Nach Jerusalem war er, als es zu dem Prozess gegen Jesus kam, nur wegen des Passahfestes gekommen. Präfekt  zu sein, war keine leichte Aufgabe: Pilatus war dem Kaiser verantwortlich, aber auch dem Oberstatthalter in Syrien und den jüdischen Würdenträgern. Eine Gratwanderung. Zur Erfüllung seiner Aufgaben standen ihm nur 3.000 Soldaten zur Verfügung, meist Hilfstruppen aus der Region. Einen Aufstand durfte er nicht riskieren. Er musste sich im Zweifelsfall auf die Seite des Hohen Rates schlagen. Pilatus residierte nicht etwas in Jerusalem. Er war nur des Passahfestes wegen gekommen. Welche Rolle er in dem Prozess gegen Jesus spielte, ist unklar. Jedenfalls ist es nicht so gewesen, wie die Evangelien berichten. Erstens gab es damals vermutlich gar keine Festtagsamnestie und zweitens hätte Pilatus gar kein Begnadigungsrecht gehabt, wenn es um Hochverrat ging. Das war dem Kaiser vorbehalten. Es kann dann also auch keine (jüdische) Menschenmenge gegeben haben, die „Kreuzige ihn!“ gerufen hat. (Auch das Waschen der Hände als Zeichen der Unschuld war bei den Römern nicht üblich). Historisch wahrscheinlich ist es jedoch, dass die jüdische Elite Jesus an Pilatus überstellte, mit dem Vorwurf, er sei ein politischer Unruhestifter. Für religiöse Fragen interessierte sich Pilatus nicht, und er war dafür auch nicht zuständig. Das religionsgesetzliche Verfahren musste also in ein politisches umgewandelt werden. Es fand vermutlich öffentlich statt, vor dem herodianischen Palast, in dem Pilatus während seines Aufenthalts wohnte. Wenn Jesus nicht die Anklage, er erhebe den Anspruch, der König der Juden zu sein, widerlegen konnte oder wollte, war sein Urteil gefällt. In jedem Fall konnte nur der Statthalter die Todesstrafe verhängen, selbst wenn Kaiphas vorher ein Urteil gefällt haben sollte. Sich die Hände in Unschuld zu waschen, ist also nicht angebracht. Und warum ist Pilatus trotzdem ein Heiliger in der äthiopischen und in der koptischen Kirche? Weil er seinen Teil dazu beigetragen hat, dass Jesus durch seinen Opfertod die Menschheit erlöste! (Gatterburg, Angela: „Das Urteil“, in:Großbongardt, Annette & Pieper, Dietmar (Hg.): Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums. München, Deutsche Verlags-Anstalt, 2/2012: 123-129)

 

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Wie viele Sprachen?

Tore Janson macht in seinem Buch zur Geschichte der Sprache folgende Rechnung auf: Wenn man annimmt, dass vor 12.000 Jahren auf etwa 2.000 Menschen eine Sprache entfiel und wenn man annimmt, dass es etwa 10 Millionen Menschen gab, dann gab es damals 5.000 Sprachen, also, ganz grob gesprochen: so viele wie heute. Das sind natürlich Schätzungen, aber wohlbegründete Schätzungen. (Janson, Tore: Språkens historia. o.O.: Norstedts, o.J.: 31-33)

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Spaltpilz

Es ist schwer, jemanden zu finden, der nicht gegen oder für Fidel Castro ist. Er scheint zu polarisieren. Das gilt auch für die Menschen aus seinem engsten Umfeld. Sein ehemaliger Schwager, Rafael Díaz Balart, der Mann seiner ersten Ehefrau, polemisiert und agitiert aus den USA gegen ihn. Sein Sohn Fidelito aus der ersten Ehe lebt weiterhin in Kuba und hat ein enges Verhältnis zum Vater. Seine Tochter Alina hat eine regelrechte Hetzschrift gegen ihn verfasst. Ihre Mutter, Naty Revuelta, dagegen, eine Aristokratin, hält Fidel und der Revolution noch immer die Treue. Seine deutsche Geliebte, Martina Lorenz, Tochter eines Kapitäns, kehrte ihm den Rücken und kam später nach Kuba zurück, um Fidel Castro im Auftrag der CIA zu ermorden. (Gratius, Susanne: Fidel Castro. München: Diederichs, 2005: 13-15)

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Mythos Revolution

Die kubanische Revolution ist eine Revolution sui generis. Sie ist und war eine nationalistische, fidelistische, lateinische Revolution. Und das System, das durch sie hervorgegangen ist, unterscheidet sich von anderen kommunistischen Systemen. Zum einen gibt es in Kuba keinen Personenkult. Man sieht kaum mal ein Bild von Fidel Castro, von Marx und Lenin sowieso nicht, und auch kaum mal von Che Guevara. Der einzige “Held”, den Kuba hat, ist José Martí (auf den sich auch Fidel Castro immer beruft und dessen Werk er eingehend studiert hat), und der tritt meist in Form von Zitaten auf. Kurios ist auch, dass Fidel Castro kaum jemals etwas publiziert hat, außer seine Reden. Der Impuls für die kubanische Revolution war weniger pro-kommunistisch als anti-imperialistisch. Von der Diktatur des Proletariats und vom Marxismus-Leninismus stand am Anfang und steht auch jetzt nichts in der Verfassung. Wenn es zwischendurch in die Verfassung aufgenommen wurde, war das eine Konzession an die Sowjetunion. Dass man sich in deren Arme warf, war eine pragmatische Entscheidung: Irgendwie musste man überleben. Und die SU nahm Zuckerrohr gegen Garantiepreise ab, lieferte Erdöl (das Kuba nicht ganz verbrauchte, sondern weiterverkaufte) und gab günstige Kredite. Trotzdem war Kuba nie ein Satellitenstaat der SU. Kubas Alleingänge in Afrika waren berüchtigt und wurden in Moskau als Provokation empfunden. Die Abhängigkeit von der Sowjetunion in wirtschaftlichen Dingen rächte sich nach dem Zusammenbruch der SU. Jetzt blieb man auf dem Zuckerrohr sitzen und hatte kein Öl. Kuba erlebte einen regelrechten ökonomischen Kollaps. Die Versorgungslage ist fatal. Man wundert sich, dass das System immer noch überlebt. Das liegt einmal an dem Mythos Revolution (der klassische Fall von David gegen Goliath, 82 gegen 20.000), der Abwehr des amerikanischen Invasionsversuchs in der Schweinebucht, dem Charisma Fidel Castros (das nachwirkt, obwohl er kaum noch in Erscheinung tritt), dem Improvisationstalent der Kubaner, der Unterstützung durch Exil-Kubaner (alleine zwei Millionen in Miami) und der Flexibilität des Systems, das immer wieder den Kopf aus der Schlinge zieht. Die kubanische Revolution hat inzwischen zehn US-Präsidenten kommen und gehen sehen, und Fidel Castro hat nicht nur sie überlebt, sondern auch Dutzende von Versuchen durch die USA, ihn zu eliminieren. (Gratius, Susanne: Fidel Castro. München: Diederichs, 2005)

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Menschliche Sprache

Wie viele Khoisan-Sprachen gibt es eigentlich? Gar nicht so einfach zu sagen. Eine deutsche Forscherin. Dorothea Bleek, kam in den 50er Jahren auf 20. Kein Forscher nach ihr kam zu genau derselben Liste, mit denselben Namen. Eines Tages machte sich jemand die Mühe, alle in der Literatur erwähnten Khoisan-Sprachen aufzulisten. Und kam auf 141. Was denn nun? 20 oder 141? Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass 141 (viel) zu hoch gegriffen ist. Wie kommt es dann zu der hohen Zahl? Erstens sind einige der Sprachen inzwischen ausgestorben. Zweitens gehören einige der Sprachen vielleicht gar nicht den Khoisan-Sprachen zu. Sie haben so wenig mit den Khoisan-Sprachen zu tun, dass sie vermutlich einer anderen Gruppe zugehören. Drittens tauchen einige Sprachen unter verschiedenen Namen mehrmals auf (so wie in Europa español und castellano oder Flämisch und Niederländisch). Man muss sich klar machen, dass die meisten dieser Sprachen keine Schrift haben und die Forscher darauf angewiesen sind, die Menschen zu fragen, welche Sprache sie sprechen. Dazu müssen sie in den meisten Fällen vorher deren Sprache gelernt haben. Und wenn sie dann die Frage stellen, bekommen sie oft die Antwort: “Weiß nicht”. Das klingt fremd für uns, aber ist es gar nicht. Warum sollen ein paar Dutzend Menschen, die als Jäger und Sammler in kleinen Gruppen durch die Gegend ziehen und nur ganz gelegentlich Kontakt mit anderen Gruppen haben, einen Namen für ihre Sprache haben? Häufig antworten in ihrer Verlegenheit mit einem Wort, das mit dem Wort khwe oder khwi in Zusammenhang steht. Das bedeutet einfach “Volk” oder “Mensch”. Sie sagen also dem Forscher, dass sie die menschliche Sprache sprechen! Das Gegenstück zu den Khoisan-Sprachen bilden die australischen Eingeborenensprachen. Hier hat jede Gruppe eine klare Identität und eine Antwort darauf, welche Sprache sie spricht. Wenn man danach geht, beläuft sich die Zahl auf 700, eine riesige Anzahl von Sprachen, wenn man von einer Million Einwohnern zum Zeitpunkt der Ankunft der Europäer ausgeht. Der australische Sprachwissenschaftler Dixon glaubt, bei vielen dieser Sprachen handele es sich um Dialekte, nicht Sprachen, denn sie seien gegenseitig verständlich. Das ist allerdings ein wenig verlässliches Kriterium. Auch europäische Sprachen wie Norwegisch und Dänisch sind gegenseitig verständlich. Trotzdem gelten sie als unterschiedliche Sprachen. Das Kriterium liegt außerhalb der Sprache. (Janson, Tore: Språkens historia. o.O.: Norstedts, o.J.: 24-30)

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Eins- zwei -drei? Vier – fünf -sechs!

Es wird häufig kolportiert, dass gewisse Sprachen nur sehr wenige Zahlwörter haben, z.B. eins – zwei – drei. Kann sein, aber man hätte es schon gerne etwas genauer. Tore Janson hat es etwas genauer: In Ju/’Hoan, einer Khoisan-Sprache, gesprochen von den San (Buschmännern) in Namibia, gibt es kein Wort für eine höhere Zahl als sechs. Warum auch? Sie haben weder Vieh noch Geld noch sonst etwas, was Rechnen erforderte. Die Sprache deckt die Bedürfnisse der Sprecher, aber eben auch nicht mehr. (Janson, Tore: Språkens historia. o.O.: Norstedts, o.J.: 22)

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Strafarbeit

Die Menschen waren schon immer einfallsreich, wenn es darum ging, sich Strafen auszudenken. In der griechischen Mythologie muss Sisyphos einen Stein einen Berg hinauf rollen. Wenn er oben angekommen ist, fällt der Stein wieder hinunter, und er muss von vorne beginnen. Prometheus wird in die schlimmste Einöde des Kaukasus geschleppt und an einen Felsen über einem Abgrund gekettet. Jeden Tag kommt ein Adler und frisst seine Leber. Die aber erneuert sich immer wieder, da er ein Unsterblicher war. Tantalos wird in die Hölle verstoßen. Dort steht er in einem Teich. Er hat Hunger und Durst. Das Wasser geht ihm bis zum Hals, und dennoch kann er nicht trinken. Jedes Mal, wenn er sich bückt, sinkt das Wasser. Über ihm hängen reife Feigen an einem Baum, aber dennoch kann er nicht essen. Jedes Mal, wenn er die Hände danach ausstreckt, kommt ein Windstoß und bläst die Zweige in die Höhe. Es lebe die menschliche Phantasie!

 

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Das Maschinengewehr des Mittelalters

In der legendären Schlacht von Azincourt (1415) standen sich zwei ungleiche Heere gegenüber: ein französisches Ritterheer von 20.000 Mann Stärke, die meisten in schweren Ritterrüstungen, und ein englisches Heer von 10.000 Mann Stärke, die meisten von ihnen schlecht gerüstete yeomen, freie Bauern. Der englische König war auf dem Schlachtfeld präsent, der französische nicht. Das spielte durchaus eine Rolle. Die Engländer stehen geschlossen hinter ihrem König, die französischen Hochadeligen, die das Heer befehligen, sind untereinander bitter verfeindet. Die englischen yeomen waren als Soldaten schlecht geschützt, denn sie trugen keine Rüstungen. Sie hatten zwar irgendwo Rüstungsteile aufgesammelt, aber es waren keine vollständigen Rüstungen. Das, was wie ein Nachteil aussah, wurde zu einem Vorteil: Die Engländer waren viel beweglicher als die Franzosen in ihren massiven Rüstungen, die 28-35 Kilo wogen! Die Wunderwaffe der Engländer war jedoch der Bogen, der longbow. Bogenschützen galten den französischen Adeligen nicht als ernstzunehmende Gegner. Man verachtete den Bogen als Waffe. Mit dem Bogen zu kämpfen galt als unehrenhaft. Als ehrenhaft galt nur der Kampf Mann gegen Mann. Aber die Bogenschützen hatten eine enorme Wirkung: In den ersten Momenten der Schlacht verschoss jeder Bogenschütze etwa zehn Pfeile pro Minute, und bei schätzungsweise 6.000 Bogenschützen, die sich unter den Engländern befanden, bedeutet das 60.000 Pfeile in der ersten Minute, eine enorme Zahl. Unter den “englischen” Bogenschützen befanden sich auch viele Waliser. Als die Engländer Wales unterwerfen wollten, wurden sie immer wieder von walisischen Bogenschützen angegriffen und besiegt. Nach der Unterwerfung des Fürstentums Wales machten sie sich dann das hochgefährliche Können ihrer ehemaligen Feinde zu Nutzen. Der longbow war das Maschinengewehr des Mittelalters: zielgenau, tödlich, mit großer Reichweite und hoher Feuergeschwindigkeit. Die zentrale Bedeutung des Langbogens zeigt sich darin, dass die englische Krone in knapp 20 Jahren im 14. Jahrhundert 1.200.000 Pfeile erwarb. Für den Bau des Bogens wurde vorwiegend Eibe verwendet, wegen ihrer Elastizität und Bruchfestigkeit. Das hatte zur Folge, dass das Eibenholz auf der Insel knapp wurde und vom Kontinent importiert werden musste. Dazu bediente man sich eines ökonomischen Tricks: Wer Wein nach England importieren wollte, musste, einem königlichen Dekret zufolge, jedem Weinfass zehn Eibenstangen beifügen! Die Schlacht von Azincourt wurde zu einem englischen Mythos, und mit ihr der Langbogen. Ob er wirklich die Wunderwaffe des Mittelalters war, zu der er stilisiert wurde, ist umstritten: ein gut gewähltes Schlachtfeld, ein charismatischer Heerführer, die Fehler des Gegners, eine wirkungsvolle Schlachtordnung können ebenso eine Rolle gespielt haben, und die Franzosen, schon in Crécy (1346) und Poitiers (1356) Opfer des Langbogens, waren vermutlich besser gegen ihn gerüstet als damals. Spätestens mit Azincourt begann die Geschichte seines Niedergangs, aber dass er in der Vergangenheit von Bedeutung war, kann nicht bestritten werden. (Eckerle, Nadja: “Maschinengewehr des Mittelalters – Der Bogen als Waffe”, in: SWR 2 Wissen: 17/001/2014)

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Antiker Dollar

Zu Pessach, dem Passahfest, kamen, heutigen Forschern zufolge, jedes Jahr mehr als 100.000 Pilger nach Jerusalem. Außerhalb der Stadtmauern entstanden Zeltstädte, da viele Pilger in der Stadt nicht unterkommen konnten. An den Stadttoren kontrollierten Zöllner und Wachposten die Ankommenden. Vielen war der Zutritt verboten, weil sie nicht spirituell rein waren. Jerusalem war eine reiche Stadt. Die Unterschicht Jerusalems war wohlhabender als die Landbevölkerung. Jerusalem war auch eine kosmopolitische Stadt mit vielen Sprachen: Aus den Schriften wurde auf Hebräisch vorgelesen, die Bewohner Jerusalems sprachen Aramäisch, die hellenisierten Juden Griechisch oder Latein und die Pilger aus dem Persischen Reich ihre Landessprachen. Beim Passahfest wurden um die 5.000 Schafe geschlachtet. Nur fehlerfreie Tiere wurden als Opfertiere akzeptiert. Das Blut der Tiere wurde auf die Ecken des Altars geschüttet, die Innereien und das Fett wurden auf dem Altar verbrannt, und der Rest wurde von den Opfernden und den Priestern verspeist. Die Tiere wurden von den Pilgern in der Regel nicht mitgebracht, sondern in Jerusalem gekauft, eine sichere Einnahmequelle für die Bauern und Hirten der Umgebung. Bei den Händlern im Tempel konnte man Geld tauschen. Im Tempel wurde nur der Tetradrachme aus Tyros angenommen, und das, obwohl er das Bildnis des phönizischen Gottes Melkart trug und damit gegen das jüdische Bilderverbot verstieß. Aber das Vertrauen in den konstanten Silbergehalt der Münze war größer als die Sorge, gegen ein Gesetz zu verstoßen. (Yaron, Gil: “Schimmernde Pracht”, in: Großbongardt, Annette & Pieper, Dietmar (Hg.): Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums. München, Deutsche Verlags-Anstalt, 22012: 89-102)

 

 

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Prohibit google?

The latest evidence of the steady progress that the word google is making into language is the fact that it has now been included in the Merriam-Webster, as a verb, with a lower case <g>. A student has pointed out to me that the Google company itself is not particularly happy with this development. The company is afraid that google may simply become another word for ‘search’ and lose its connection with the company (with the consequent loss of protection of the word as a trademark). But this is what is happening. And nobody, not even Google, can control language change. As a consequence, the leading dictionaries have started including the verb. The OED has included Google as a verb but, unlike Merriam-Webster, maintained the capitalisation. Australia’s Macquarie Dictionary has it both as a transitive and intransitive verb and as a noun (as in “I am going to have a google”).  Google are not the first company to worry. In the past, when xerox or hoover underwent the same development, the companies which thought the word belonged to them reacted like Google today.

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Cacher l’art par l’art

Michael Form, Musiker, Dirigent und Leiter der Internationalen Händel-Akademie, erinnert sich angesichts eines Stücks von Rameau an Marin Marais Motto cacher l’art par l’art, also die Kunst durch die Kunst verdecken. Die Kunst, also das Künstliche, soll durch die Kunst, also die Kunstfertigkeit oder das Kunsthandwerk, kaschiert werden. Das Resultat ist, dass das Stück (das”Entrée” aus Les Boreades) einen natürlichen Fluss hat, obwohl es auf einem höchst künstlichen musikalischen Konzept beruht. Das ist ein Prinzip, das man weit über die Musik hinaus anwenden kann. (Treffpunkt Klassik extra. SWR 2: 22/02/2014)

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Secret code

In Conrad’s Heart of Darkness, Marlow, in an abandoned hut of reeds by the Congo, finds an English book on seamanship. This is unlikely enough, or so he thinks, but he is even more astonished when he finds the book is full of notes pencilled in the margin, and they are in cipher. This strikes him as an “extravagant mystery” (82). He continues his journey and eventually runs into the man who has abandoned the book in the hut. This man, a Russian, is delighted to have his book back (117). When they speak about the book it turns out that the notes are not in cipher at all. They are in Cyrillic! (Conrad, Joseph: The Heart of Darkness. Stuttgart: Reclam, 1984).

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Höllenhund?

Mythen sind ein Versuch, die Welt zu erklären. Sie geben Antworten auf die Fragen nach der Erschaffung der Welt, dem Leben im Jenseits und den Phänomenen der Natur. Und kommen dem Bedürfnis des Meschen entgegen, das zu verstehen. Es gab aber schon früh auch Kritik an den Mythen, in Griechenland vor allem auf Seiten der Vorsokratiker, die die Phänomene der Welt auf Grundelemente (Wasser, Erde. Luft, Feuer) zurückführen wollten. Sie waren wahre Naturwissenschaftler. Noch früher hatte es schon Versuche gegeben, die naturwissenschaftliche Wahrheit hinter den Mythen zu entdecken. Hekataios von Milet glaubte, dass sich hinter dem Höllenhund Cerberus eine giftige Schlange verbarg. Ihr Biss war tödlich, und sie hieß “Höllenhund”! (Karabatea, Marilena: La mitología griega. Athen: Ediciones Adam, o.J.: 12-15)

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Marlow sat apart

“Marlow … sat apart, indistinct and silent” (165). This is one of the last sentences in Conrad’s Heart of Darkness. Marlow has told his mates on board the Nellie, a cruising yawl, about his voyage to Africa, to the “heart of darkness”, but in the end he has not really managed to convey his experience of “the farthest point of navigation and the culminating point of my experience” (13), although between them there is “the bond of the sea” (4). Marlow’s unique experience sets him off from the rest, he cannot communicate what the others have not experienced themselves. His sitting apart, indistinct and silent, is thus a simple but powerful symbol, a symbol of Marlow’s (and people’s) inability to  communicate something which others have not shared. In the final analysis, we can only communicate what the others know anyway. What remains outside understanding is “the farthest point of navigation and the culminating point of my experience”. (Conrad, Joseph: The Heart of Darkness. Stuttgart: Reclam, 1984:).

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Titanen gegen Götter gegen Giganten

Den Kampf zwischen Göttern und Titanen kann auch als Kampf zwischen den Alten und den Jungen, zwischen den Arrivierten und den Emporkömmlingen, zwischen der Generation der Eltern und der Generation der Kinder gelesen werden. Bei dem späteren Kampf zwischen den Göttern und den Giganten ist das Verhältnis allerdings umgekehrt: Hier behalten die Götter, die jetzt die Herrscher sind, die Oberhand. Der Mythos kann aber auch als Kampf zwischen einem eher autoritären und einem eher demokratischen Regime gelesen werden. Bei den Göttern ist die Hierarchie nicht so klar ausgeprägt wie bei den Titanen. Zeus ist zwar primus inter pares, teilt sich aber Macht und Herrschaft mit seinen Geschwistern, anders als Kronos. Man kann den Mythos aber auch Versuch lesen, menschliche Eigenschaften zu verstehen. Oder wenigstens seinem Unverständnis Ausdruck zu geben. Die griechischen Götter haben menschliche Eigenschaften: Neid, Eifersucht, Rachegelüste, Schmerz, Liebe. Durch die den unsterblichen Göttern angedichteten Eigenschaften macht der Mensch sich mit seinen eigenen Gefühlen vertraut, die oft so schwer zu verstehen sind, jedenfalls nicht mit Vernunft zu erklären sind. (Karabeta, Marilena: La mitología griega. Athen: Ediciones Adams, o.J.: 20-27).

 

 

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Wortgeklingel

“Sie sind reisemäßig viel unterwegs”, sagt eine Radiomoderatorin in einem Interview. Warum reisemäßig? Warum nicht einfach “Sie sind viel unterwegs” oder “Sie sind viel auf Reisen”? Das ist klarer und kürzer und schöner. Hier ist es allerdings nur ein einziges Wort, das überflüssig ist. Bei anderen Moderatoren sind die meisten Wörter überflüssig.

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Ein Wort? – Zwei Wörter!

Ein Hund hat unterschiedliche Laute, um unterschiedliche Gefühle zum Ausdruck zu bringen: Drohen, Angst, Sympathie, Erregung usw. Dennoch unterscheidet sich die Kommunikation des Hundes grundsätzlich von der des Menschen. Ein prinzipieller Unterschied besteht darin, dass Hunde – und Tiere allgemein – jeweils einen Laut für eine Botschaft haben. Dadurch ist ihr Repertoire begrenzt. Um eine neue Botschaft auszudrücken, muss ein neuer Laut her. Bei der menschlichen Sprache kann man dagegen mit begrenzten Mitteln unbegrenzte Dinge tun. Es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Lauten, aber mit denen kann man eine unbegrenzte Anzahl von Wörtern bilden, indem man sie kombiniert. Und die Wörter kann man wiederum zu einer unbegrenzten Zahl von Sätzen kombinieren. Die Signale der Tiere erinnern mehr an menschliche Signale, die wir durch Schreien, Weinen, Seufzer usw. ausdrücken. Warum sich das komplizierte menschliche Kommunikationssystem ausgebildet hat, ist schwer zu sagen. War es ein evolutionärer Vorteil? Das Argument lassen Biologen aber meistens nur gelten, wenn ein evolutionärer Vorteil für das Individuum zu erkennen ist, nicht für die Art. Und der ist schwer auszumachen. Wie sich das System ausgebildet hat, ist auch nicht leicht zu sagen, aber ein wichtiger Schritt war vermutlich der Übergang von Äußerungen, die aus einem Wort bestehen zu Äußerungen, die aus zwei Wörtern bestehen, der Beginn der Syntax. Wenn man vom Hier und Jetzt spricht, kommt man mit einem Wort meistens gut aus: Raubtier! Wirf! Vorsicht!  Gut! Feuer! Wenn man aber über etwas sprechen will, was nicht vor der Nase ist, wird es schwieriger, z.B. wenn man einen Kameraden auffordern will, mitzugehen, um an einer neuen Stelle Himbeeren zu pflücken. Da braucht man Sätze. (Janson, Tore: Språkens historia. o.O.: Norstedts, o.J.: 13-16)

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Good meal

In Conrad’s Heart of Darkness, Marlow realises that the black people on board are starving. They have only some rotten hippo meat on board but the white people on board, the “Pilgrims”, had thrown much of it overboard. They were also given pieces of brass wire, which they were to trade for food in river-side villages, but often the director does not stop the steamer in those places. In a moment of sudden illumination, Marlow becomes aware that the blacks on board are man-eaters. He is frightened and wonders what it is that holds them back from attacking the whites. They are in the majority and they are strong. At the same time, looking at the “Pilgrims” (whom he despises) Marlow looks rather unwholesome and, he hopes, unappatizing to the blacks. A fantastic touch of vanity he realises that they are rather pale and weak and would not make good food. He wishes he himself looks better and offers a more promising chance of a good meal. (Conrad, Joseph: The Heart of Darkness. Stuttgart: Reclam, 1984: 87-90).

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Römische Etymologien

Warum heißt Rom eigentlich Rom? Der Name ist mit Rheuma verwandt, dem griechischen Wort für ‚Strom‘. Wo Strom ist, da fließt was, und wo Rom ist, da fließt auch was, nämlich der Tiber (Göttert: 13). Und warum heißt das Kolosseum eigentlich Kolosseum? Darauf gibt es keine verbindliche Antwort, aber vielleicht bezieht sich der Name auf eine Kolossalstatue Neros, die sich hier befand. Der Ort spricht jedenfalls dafür, denn da, wo später das Kolosseum entstand, befand sich ein künstlicher See, Teil von Neros Domus Aurea. (Fischer: 90). Das Kolosseum, offiziell Amphiteatrum Flavium, wurde von Vespasian als Entschädigung an das Volk für die neronische Tyrannei errichtet (Mesina: 100). Er wollte sich mit panem et circenses Freunde machen. Nicht weit vom Kolosseum entfernt befindet sich die Piazza Venezia, benannt nach dem Palazzo Venezia, errichtet von Pietro Barbo, dem aus Venedig stammenden Kardinal und späteren Papst Paul II (Mesina: 158). Der hatte eine Vorliebe für Pferderennen ohne Reiter. Die Pferde wurden an der Piazza del Popolo losgelassen und liefen dann auf das Ziel an der Piazza Venezia zu, über eine Straße,  die noch heute Via del Corso heißt (Mesina: 199). Ein ebenso bekannter Platz in Rom ist die Piazza Navona. Noch heute kann man an ihrer Form, einer länglichen Ellipse, ihre ursprüngliche Bestimmung erkennen. Sie war das Stadion Domitians, ein Ort der Spiele, der Wettkämpfe. Die Reste der Bebauung kann man heute noch unter dem Platz besichtigen. Der Name Navona wird von griechisch agon, ‚Wettkampf‘, abgeleitet und hat sich über agone > nagone > navona entwickelt (Fischer 270).  Unter den Hügeln Roms, die nicht zu den sieben Hügeln Roms gehören (aber oft besser als solche zu erkennen sind), befinden sich der Vatikan, der Gianicolo und der Testaccio. Der Testaccio ist kein natürlicher Hügel, sondern entstand durch das Anhäufen von zerbrochenen antiken Amphoren, vor allem Amphoren, die mit Öl gefüllt waren und deshalb nicht weiterverwendet werden konnten. Man schätzt die Zahl der Amphoren, die den Testaccio bildeten, auf über 20 Millionen! Die Amphoren wurden, wenn sie auf der Schutthalde landeten, zerbrochen, und das Wort testae, ‚Scherben‘, gab dem Hügel seinen Namen. Aus dem gleichen Wort rekrutierte das Italienische (wie das Französische) sein Wort für ‘Kopf’, testa, zunächst ein umgangssprachliches Wort (vgl. deutsch Birne). Dagegen blieb das Spanische mit cabeza dem klassischen lateinischen Wort, caput, (einigermaßen) treu. (Göttert, Karl-Heinz: Deutsch. Biographie einer Sprache. Berlin: Ullstein, 2010; Mesina, Caterina: Rom. Ostfildern: DuMont, 3/2012; Fischer, Heinz-Joachim: Rom. Köln: DuMont, 6/1991)

 

 

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Homo loquens

Ein schwedischer Linguist kommentiert die sprachliche Seite des Schöpfungsmythos in Genesis so: Adams erste Aufgabe ist es, den Tieren und Pflanzen Namen zu geben. Das heißt, Adam kann vom ersten Moment an sprechen. Die Sprache ist sozusagen “eingebaut”. Das steht sowohl im Gegensatz zu der Entwicklung des Individuums als auch im Gegensatz zur Entwicklung der Menschheit. Beide erwerben Sprache erst allmählich. Der Mythos trägt der Tatsache Rechnung, dass wir uns den Menschen als Spezies nicht ohne Sprache vorstellen können. Sprache gehört zum Menschsein. Es ist aber auch bemerkenswert, dass Gott von vornherein spricht. Obwohl vorher niemand da war, mit dem er sprechen konnte. Wieder ist die Sprache konstitutiver Teil unserer Vorstellung. Einen Gott, der nicht sprechen kann, können wir uns schwer vorstellen. (Janson, Tore: Språkens historia. o.O.: Norstedts, o.J.: 9-10)

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Sicherheitsnadeln

Ein Afrika-Experte berichtet von einer brenzligen Situation auf seiner ersten Afrika-Reise, 1963. Am Morgen erschien an dem Nachtlager der Expedition, an einer abgelegenen Stelle im Süden Tansanias, eine Gruppe grimmig aussehender und mit Speeren bewaffneter Krieger. Die beschwerten sich mit aggressiver Stimme, dass die Besucher auf ihrem Land übernachtet hätten. Die entschuldigten sich und sagten, sie hätten das gar nicht bemerkt und, selbst wenn, nicht gewagt, die Nachtruhe der Gastgeber zu stören. Die Krieger, nur mit Tüchern bekleidet, die sie um die Hüften geschlungen hatten, forderten ein Geschenk als Entschädigung. Das war ein Problem. Geld kam nicht in Frage, da man dort nichts damit anfangen konnte, Tabak hatten die Reisenden nicht dabei. Bei dem Blick auf die Tücher der Männer kam dem Leiter der Expedition die rettende Idee: Sicherheitsnadeln. Er demonstrierte, wie sie funktionieren und gab jedem der Krieger eine. Die zogen mit strahlenden Gesichtern ab. Da bekommt das Wort Sicherheitsnadel einen ganz neuen Klang. (Jaetzold, Ralph: Inside Africa. Trier: Geographische Gesellschaft Trier, o.J: 60)

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Viel Lärm um Roten Teppich

Bei jeder Berlinade werden 2500 m² roter Teppich ausgerollt, belgische Kunstfaser, von der Rolle, schwer entflammbar, signalrot. Der Teppich wird dabei nicht einfach auf den Untergrund gelegt, sondern auf ein eigens dafür von einer Berliner Baufirma geschaffenes hölzernes Fundament gelegt, um Unebenheiten des Bodens auszugleichen. Nicht alles ist Teppich, was wir als Teppich wahrnehmen. Der “Autoteppich”, das Stück zwischen Ausstieg  aus der Limousine und tatsächlichem Teppich, besteht aus roten Kunststoffplatten, Ton in Ton mit dem Teppich. Über die gelangen die Stars erst auf den eigentlichen Teppich. Nach der Berlinade wird der Teppich “entsorgt”. Er landet auf dem Müll. Die Organisatoren werden regelmäßig mit Anfragen und Bitten bombardiert, ob man nicht ein Stück des Teppichs ergattern könnte. Alle diese Bitten werden abgeschlagen. Auf den Bedarf der Souvenirjäger reagiert aber der Souvenirshop der Berlinade. Da kann man für 2.90 € ein Stück roten Teppichs kaufen, in der Größe einer Zigarettenschachtel. Fabrikneu. Sie werden nur für die Souvenirjäger hergestellt.(Hoffmann, Clemens: “Der rote Teppich der Berlinade”, in: Matinée, SWR 2: 16/02/2014)

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Grammatik im Eimer!

In einem Zeitungsartikel wird erklärt, wie es zu der Entwicklung von Dogecoin kam. Bei der Gelegenheit lerne ich dann auch gleich, was Meme sind. Dogecoin war eigentlich als Parodie auf Bitcoin gedacht, einer Internetwährung, die als Heilmittel gegen die Währungskaprizen in der realen Welt lanciert wurde (und Erfolg hatte). Ohne es zu wollen, wurde dann Dogecoin auch zu einem Erfolg. Was als Scherz gedacht war, wurde ernst. Dogecoin wird mit dem Mem Doge verbunden. Ein Mem ist ein Bild, das kopiert und leicht abgeändert weiterverbreitet werden kann, im Falle von Dogecoin ein Hund, dem Satzfetzen wie Wow such sad oder Many money in den Mund gelegt werden. In dem Artikel heißt es, das lasse auf den “etwas beschränkten englischen Wortschatz des Hundes” schließen. Das trifft aber die Sache nicht. Es ist nicht der beschränkte Wortschatz, sondern die defekte Grammatik, die solche nicht dem Standard entsprechende Äußerungen zutage bringt. Wenn man such durch so ersetzt und many durch much, erhält man völlig akzeptable englischen Satzglieder, auch mit geringem Wortschatz. (Shaller, Caspar: “‘Many Money’ macht ernst”, in: Die Zeit 4/2014: 57)

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Vivaldis arabische Musik

In einer Radiosendung erfahre ich, dass man in Europa die sogenannte gleichstufige Tonleiter benutzt. Das war nicht immer so. Noch bis ins 18. Jahrhundert benutzte man die pythagoräische Tonleiter des alten Griechenlands. Die Abstände sind dabei kleiner. Und das ist die Tonleiter, die man bis heute in der arabischen Musik benutzt. Hätte Vivaldi im Original für uns arabisch geklungen? (Siebert, David: „Ägypten. Eine Stimme der Revolution“, in: Profil. Deutschlandradio Kultur: 04/02/2014)

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Vorsprung verspielt

Wenn man in Hongkong junge Leute auf der Straße auf Englisch anspricht, hat man oft keinen Erfolg. Bei den älteren sieht das anders aus. Das britische Erbe ist in Hongkong noch überall anzutreffen: Straßennamen, Rechtssystem, Linksverkehr. Aber das sprachliche Erbe schwindet. Laut einem internationalen Ranking (Education First) befindet sich Hongkong mit seinen Englischkenntnissen nur noch im Mittelfeld, hinter Indien, Tschechien und Argentinien. Englisch ist weiterhin eine der zwei Amtssprachen Hongkongs, neben Chinesisch, und zwar dem kantonesischen Chinesisch. Bis 1997, bis zur Rückgabe der Kronkolonie an China, erfolgte der Schulunterricht in der Regel auf Englisch. Seitdem wird in der Regel auf Kantonesisch unterrichtet. Die chinesischen Nationalisten wandten sich gegen die Sprache der Kolonialherren. Das war ein Missverständnis, denn Englisch hatte längst seinen Status verändert und war nicht mehr die Sprache der Kolonialmacht, sondern längst internationale Verkehrssprache. Parallel zum Verfall des Englischen gewinnt die Hochsprache des chinesischen Festlands, Mandarin, immer mehr an Boden, durch Zuwanderung und Tourismus. Hongkong verspielt seinen Vorsprung, das historische Geschenk der Englischsprachigkeit. Das Gegenstück zu Hongkong ist Singapur, das früher oft mit Hongkong verglichen wurde, auch, was die Englischkenntnisse angeht. Da liegt Singapur, wo Englisch seit 20 Jahren gefördert wird, heute weit vor Hongkong. Außerdem holt jetzt das chinesische Festland, wo Englisch auch sehr gefördert wird, in Sachen Englisch auf. (Rimmele, Markus: „‘No comment‘ in der Ex-Kronkolonie: Hongkong verliert sein Englisch“, in: Deutschlandradio Kultur: 06/02/2014)

 

 

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Neue Zeit

Gleich am Anfang von Čechovs Kirschgarten fragt Lopachin, der Kaufmann: “Wie spät ist es?” Man überliest das leicht. Jedenfalls ging es mir so. Ich wurde auch nicht hellhörig, nachdem Lopachin diese Frage später noch mehrmals stellt. Erst durch das Nachwort wurde ich darauf aufmerksam. Für Lopachin, den Aufsteiger, den Kaufmann, den Pragmatiker, den Vertreter der neuen Zeit, ist die Uhrzeit wichtig, wichtiger als für die Gutsbesitzerin und ihre Familie, die Vertreter der alten Zeit, dem Landadel, der sich Muße und Langeweile widmen kann, ohne auf die Uhrzeit achten zu müssen. Diese Frage nach der Uhrzeit ist eins von den vielen versteckten Symbolen des Stücks: der Schlüssel, der an Warjas Gürtel hängt (die Macherin, die den Laden am Laufen hält), der Kaffee, den die Gutsbesitzerin ständig trinkt (westliche Gewohnheit, Ruhelosigkeit), die leere Bühne, die der alte Diener Firs betritt (Vereinsamung, Ausgeschlossensein), das imaginäre Billardspiel Gaews (Spielcharakter, Herumgestoßenwerden im Leben), die Zauberstücke Čarlottas (Versuch, der Banalität des Lebens zu entkommen). Und natürlich der Kirschgarten selbst, der für Schönheit und Vergangenheit steht. (Schriek, Wolfgang: “Nachwort”, in: Чехов Антон: Вишнёвый сад. Čechov, Anton: Der Kirschgarten. Stuttgart: Reclam, 2011: 118-127)

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Asian competitiveness

In language teaching classes, German students tend to see that it makes sense to use different form of correction such as teacher-correction, peer-correction or self-correction. Of the three, peer-correction tends to be the less popular. A Korean student, during an oral exam, made reference to this distinction and immediately said what her preference was: peer-correction. This, she said, was “competitive”. I could not help thinking of this is terms of cultural prejudice. On the other hand, there was one thing where the Korean student coincided with her German counterparts: the belief that correction is useful and necessary. Although the point of the lecture was that it is usually neither. One does not necessarily learn by being corrected and one does not mainly learn by being corrected. This insight is not apt to undermine cherished beliefs about language learning.

 

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Das Böse in der Tierwelt?

Gibt es das Böse auch in der Tierwelt? Es wird immer wieder gesagt, Tiere hätten keine Moralvorstellungen und dürften deshalb auch nicht an menschlichen Moralvorstellungen gemessen werden. Was sie täten, sei instinktgeleitet und deshalb natürlich. Das muss man sich schon in Erinnerung rufen, wenn man gewisse Szenen aus der Tierwelt vor Augen geführt bekommt, wie ich jetzt bei der Rezension eines Buches über Insekten. Dabei ging es darum, wie Schlupfwespen die Nahrung für ihre Jungen sicherstellen: Sie nehmen sich eine vollsaftige Made vor und setzen durch punktgenaue Stiche in jedes Segment der Made deren Bewegungsapparat außer Kraft. Dann platzieren sie neben die Made die eigenen Eier, so dass die ausschlüpfenden Larven leckere Frischkost vorfinden. Die Kleinen fressen dann also die lebendige, schmerzempfindliche, aber bewegungsunfähige Made bei lebendigem Leib, und zwar die lebenswichtigen Organe zuletzt. (Schneider, Wolfgang: „Kampfgrillen und Bienentänze“. Rezension von Hugh Raffles‘ Insektopädie, in: Sachbuch, Deutschlandradio Kultur: 06/02/2014)

 

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Dumme Kuh?

Im Altertum konnte man den eigenen Kindern die Namen von Tieren geben. Das ist bei uns verloren gegangen. Im Gegenteil benutzen wir die Tiernamen eher als Schimpfwörter: Esel, Kuh, Schaf, Ziege. Im jüdischen Altertum hießen die Kinder dagegen Rebecca, ‚Kuh‘, Jona, ‚Vogel‘, Rachel, ‚Mutterschaf‘, Deborah, ‚Biene‘ usw. Dadurch brachte man die Nähe zu den Tieren und deren Wertschätzung zum Ausdruck. Heute werden Haustieren eher die Namen von Menschen gegeben, Ausdruck der übertriebenen Liebe, die den Haustieren entgegengebracht wird, im Gegensatz zu den Nutztieren, zu denen man ein distanziertes Verhältnis hat. Auf das Paradox, dass der Mensch zu seinen Haustieren eine emotionale Beziehung hat, zu den Nutztieren aber nicht, hatte schon Horkheimer aufmerksam gemacht. (“Bruder Esel, Schwester Schlange. Das Christentum und die Tiere”, in: Forum, SWR2: 31/01/2014)

 

 

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Kausalzusammenhang

Zu den Sachen, die ich in der Schule gehört habe und die ich lange Zeit nicht verstanden habe, gehört der Ausbruch des 1. Weltkriegs: Im bosnischen Sarajewo, das damals zu Österreich-Ungarn gehörte, wird ein Mitglied der österreichischen Herrscherfamilie erschossen. Deshalb marschiert Deutschland ein paar Wochen später in Belgien und Frankreich ein. Seien wir ehrlich. Wer so etwas liest, denkt sich doch erst einmal: „Häh?“ (Auszug aus Nikolaus Nützels Roman Mein Opa, sein Holzbein und der Große Krieg)

 

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Endzeiterwartung hier

Die Zeitgenossen Jesu hofften auf Befreiung und Erlösung, in ganz unterschiedlicher Weise. Sie hofften auf die Wiederherstellung der staatlichen und gesellschaftlichen Einheit. Sie hofften, dass die religiösen Verhältnisse und das eigene Leben in Ordnung gebracht würden. Die Endzeiterwartung des Judentums war also hoffnungsfroh und auf diese Welt bezogen. Erwartet wird nicht der Untergang der Welt, sondern, dass der Messias die Dinge auf Erden richtet. (“Ein unglaublicher Machtanspruch”. Interview mit Christoph Marschies, in: Großbongardt, Annette & Pieper, Dietmar (Hg.): Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums. München, Deutsche Verlags-Anstalt, 22012: 81-82)

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Jungfrauengeburt universal

Viele Motive, die sich im Evangelium wiederfinden, sind nicht neu, sondern aus anderen Kulturen übernommen. Die Jungfrauengeburt gibt es in den Mythen der Babylonier, der Ägypter, der Perser, der Griechen und der Römer. Der werdende Religionsstifter Siddhartha wählte etwa die tugendhafte Königsgattin Maya zur Mutter. Dieser Maya erschien im Traum ein Elefant, der in ihre Seite eindrang. Nach zehnmonatiger Schwangerschaft gebar sie den zukünftigen Buddha. (Keller, Claudia: “Geheimnisvolle Geschichten”, in: Großbongardt, Annette & Pieper, Dietmar (Hg.): Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums. München, Deutsche Verlangs-Anstalt, 2/2012: 46 und Traub, Rainer: “Wiedergeburt und Ewigkeit”, in: Großbongardt, Annette & Pieper, Dietmar (Hg.): Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums. München, Deutsche Verlags-Anstalt, 2/2012: 83)

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Das Evangelium nach Judas

Nikodemusevangelium? Thomasevangelium? Judasevangelium? Nazaränerevangelium? Schon mal gehört? Sie alle sind der Kanonisierung zum Opfer gefallen und gehören zu den apokryphen Schriften. Die Geschichte der Kanonisierung ist auch eine Geschichte der Ausgrenzung. Der Kanon setzt sich im Laufe der Zeit durch, ohne formalen Beschluss eines Kirchengremiums. Dabei wurden vor allem Schriften ausgesondert, die gnostisches Gedankengut enthalten. Für die gnostisch-christlichen Gemeinden stand das wahrhaft Göttliche im Gegensatz zur Welt. Die war das Produkt eines bösen Schöpfergottes. Das Ziel der Seele war es, sich von allen weltlichen Verstrickungen zu lösen. Mit der Verwerfung einiger Schriften, besonders des Thomasevangeliums, grenzt sich die Kirche von den gnostischen Lehren ab. (Keller, Claudia: “Geheimnisvolle Geschichten”, in: Großbongardt, Annette & Pieper, Dietmar (Hg.): Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums. München, Deutsche Verlags-Anstalt, 22012: 56-60)

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Alltagssprachenrhetorik

Leider werden rhetorische Figuren meist im Zusammenhang mit Dichtung besprochen. Entsprechend sind dann auch die Beispiele. Das führt zu der falschen Annahme, so etwas finde sich nur in einem elaborierten Code wie der Dichtung. Tatsächlich sind rhetorische Figuren natürlich Teil der Alltagssprache. Wir alle benutzen sie, auch wenn wir es nicht merken: Schieß los! -die Grabenkämpfe in unserer Firma – eine Schlange in der Mensa – Sie ist auf dem besten Wege – Er hat einen Riecher für neue Themen- Das Schwein hat mich verpfiffen (Metaphern); Brasilien spielt gegen Uruguay – Der hat sich an einem Abend zehn Flaschen reingezogen – Warum willst du dir einen Ford kaufen? (Metonymie); ein warmes Grün, heiße Rhythmen, kalte Farben, bittere Worte (Synästhesie).

 

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Das Mädchen meines Auges

Das spanische Wort für Pupille ist niña, was aber auch ‚Mädchen‘ heißt. Im Portugiesischen heißt menina sowohl ‘Mädchen’ als auch ‘Pupille’, und im Griechischen gilt das für kore. Und unser Wort Pupille ist von lat. pupilla abgeleitet, was ‚Püppchen‘ heißt. Zufall? Irgendwo habe ich jetzt gelesen, dass man dasselbe Phänomen im Chinesischen findet. Und auf Swahili.

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Du schaffst es sowieso nicht

Drei Sprachen, drei Fälle, dieselbe Beobachtung, drei Deutungen: JH berichtet, in China erlaube man ihm als Ausländer oft nicht, Chinesisch zu sprechen und wechsle lieber ins Englische. BH berichtet, in Schweden erlaube man ihr oft nicht, Schwedisch zu sprechen und wechsle lieber ins Englische. WS berichtet, in Griechenland erlaube man ihm oft nicht, Griechisch zu sprechen und wechsle lieber ins Englische. JH sieht das als Zeichen eines Minderwertigkeitskomplexes der Chinesen, die zwar stolz auf ihre Vergangenheit, aber nicht auf ihre Gegenwart seien. BH sieht das als Zeichen der Freundlichkeit der Schweden. Sie stellten sich eben auf ihre Gäste ein und kämen ihnen entgegen, indem sie nicht auf dem Schwedischen beharrten. WS sieht das als ein Zeichen der Herablassung. Für ihn klingt das, als wollten die Griechen sagen: Versuch’s erst gar nicht. Du schaffst es sowieso nicht.

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Koiné

Zur Zeit Jesu war Griechisch die Verkehrssprache rund um das östliche Mittelmeer, nicht in ihrer klassischen Ausprägung, sondern in der Form der Koine, einer Sprache, die sich seit dem vierten vorchristlichen Jahrhundert durch Vermischung verschiedener Dialekte im Heer Alexander des Großen herausgebildet hatte. Ob auch Jesus diese Sprache beherrschte, ist nicht sicher. (Pieper, Dietmar: „Anfang einer neuen Zeit“, in: Großbongardt, Annette & Pieper, Dietmar (Hg.): Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums. München, Deutsche Verlags-Anstalt, 22012: 23-24)

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Zeitrechnung

Lange, bis ins 6. Jahrhundert, bis zu Dionysius Exiguus, dauerte es, bis die Geburt Jesu zum Beginn einer neuen Zeitrechnung wurde. Auch danach dauerte es noch lange, bis dies in Westeuropa zur anerkannten Norm wurde. Später schlossen sich andere Kulturen an. Diese späte Entwicklung wirft ein Licht darauf, wie lange es gedauert hat, bis die Geburt Jesu überhaupt Bedeutung erlangte. Für die frühen Christen hatte sie keine. (Pieper, Dietmar: „Anfang einer neuen Zeit“, in: Großbongardt, Annette & Pieper, Dietmar (Hg.): Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums. München, Deutsche Verlags-Anstalt, 22012: 17-18)

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Bauhandwerker Jesus

Dass Jesus denselben Beruf wie sein Vater hatte, ist durchaus wahrscheinlich. Der war tekton, was Luther mit ‘Zimmermann’ übersetzt. Das setzt jedoch Holz voraus, und in Obergaliläa gab es kaum Holz. Beide, Josef und Jesus, waren wahrscheinlich Steinhandwerker oder einfach ganz allgemein Bauhandwerker. (Schüle, Christian: “König der Wahrheit”, in: Großbongardt, Annette & Pieper, Dietmar (Hg.): Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums. München, Deutsche Verlags-Anstalt, 22012: 31)

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Böses Salz?

Warum machen Kartoffelchips süchtig? Ihr Geheimnis ist der Speichelfluss. Er wird vom Glutamat angeregt, und dann wird der Speichel von den trockenen Chips aufgesaugt. So erklärt es der wunderbare Udo Pollmer in einer Radio-Kolumne. (“Die Gier nach Salz”, in: Deutschlandradio Kultur: 11/01/2014). Das bedeutet, es ist nicht das Salz, das “süchtig” nach Kartoffelchips macht. Salz macht nicht süchtig. Es ist lebensnotwendig. Genauso wie Fett, Wasser und Eiweiß. Und da sie lebensnotwendig sind, fühlen wir uns gut, wenn deren Defizite ausgeglichen werden. Der Körper lässt uns spüren, dass es ihm wieder gut geht. Daran ist nichts Verwerfliches, nichts Negatives, nichts Schädliches. Wer das Salz verteufelt, weil es ein Glücksgefühl auslöst, müsste auch das Wasser verteufeln, das bei Salzüberschuss Befriedigung auslöst.

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Dem lieben Gott gewidmet

Bruckners Neunte Symphonie ist “dem lieben Gott gewidmet”. So steht es explizit über der Partitur. Bruckner war fromm und betete eifrig: 4 Rosenkränze, 10 Vaterunser, 9 Ave Maria, 4 Gloria Patri und 2 Salve Regina verzeichnet er für einen Tag – alles akribisch festgehalten. An die Gebete schloss er persönliche Wünsche an wie “Lieber Gott, lass mich bald gesund werden, damit ich die Neunte fertigmachen kann.” Wenn es beim Jüngsten Gericht schief gehen würde, würde er dem lieben Gott seine Partitur vorhalten und sagen, “Schau, das habe ich alles für Dich alleine gemacht!”. (Klüppelholz, Werner: “Ein kreuzbraver Anarchist: Anton Bruckners Leben und Werk (5)”, in: SWR2 Musikstunde: 17/01/2014). Ich beneide Menschen um eine solche Religiosität, naiv und pragmatisch zugleich. Aber man sieht auch, wie unter der Oberfläche Aberglauben und Agnostizismus durchschimmern.

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Gates, Jagger, Messner, Jauch

Was haben Bill Gates, Mick Jagger, Reinhold Messner und Günter Jauch miteinander gemeinsam? Sie sind alle Studienabbrecher. Und man kann nicht sagen, dass nichts aus ihnen geworden wäre. Deutschland hat immer mehr Studenten, aber auch immer mehr Studienabbrecher. Nach neuesten Zahlen des HIS bricht jeder dritte Bachelor-Student sein Studium ab, in den Ingenieurwissenschaften jeder zweite. Von den knapp 500.000 Studienanfängern werden also ca. 150.000 ihr Studium nicht beenden. Mit so hohen Zahlen hatte niemand gerechnet. Und mit den neuen Studiengängen ist die Quote gestiegen statt gesunken. Versprochen hatte man sich davon genau das Gegenteil. Inzwischen entdeckt aber die Wirtschaft Studienabbrecher als wertvolle Ressource. Teils aus Not, weil Fachkräfte fehlen, teils, weil man einsieht, dass Studienabbruch nicht Unfähigkeit bedeutet. Oder Faulheit. Es kommt also darauf an, irgendwann den Schlussstrich zu ziehen. Das ist nicht einfach, kann aber die beste Lösung sein. Und erstaunlich viele Studienabbrecher landen dann in einem Beruf, der ihnen zusagt. Viele bedauern zurückblickend die Entscheidung nicht. (Heimann, Klaus: “Scheitern als Chance. Warum Studienabbrecher gefragt sind”, in: SWR2 Wissen: 18/01/2014).

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All lalone

In The God of Small Things, Arundhati Roy has Lenin, the small son of Pillai, recite a Walter Scott poem, “Lochinvar”. Chacko, Pillai’s visitor, first thinks that Lenin recites the poem in Malayalam, the local Indian language, but then realises it actually is in English, with the words being run into each other and the poem recited at remarkable speed. This is what he hears:

O, young Lochin varhas scum out of the vest,
Through wall the vide Border his teed was the bes;
Tand, savisgood broadsod, heweapon sadnun,
Nhe rod all unarmed, and he rod all lalone.

And this is the original Walter Scott poem:

O, young Lochinvar is come out of the west,
Through all the wide Border his steed was the best;
And, save his good broadsword, he weapons had none,
He rode all unarmed, and he rode all alone.

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Neues Land

Rheinland-Pfalz ist ein merkwürdiges Gebilde aus historisch nicht zusammenpassenden Teilen: der Rheinprovinz, Hessen-Nassau, der Rheinpfalz und Rheinhessen. Die Rheinprovinz war preußisch gewesen, die Rheinpfalz bayerisch. Kein Deutscher wäre auf die Idee gekommen, so ein Land zu formen. Das Gebiet war Teil der französischen Besatzungszone, und Frankreich wollte das Land als eigenständiges Land, als Pufferzone zwischen Frankreich und Deutschland, etablieren. Alles, was nach dem Krieg hier geschah, geschah unter französischer Kontrolle. Auch die Texte von staatlichen Institutionen, einschl. des Rundfunks, wurden von den Franzosen redigiert. Dabei wurde deutsch regelmäßig durch rheinisch ersetzt, um den unabhängigen Status des Landes zu betonen. (“Bekannt im Land: Peter Altmaier”, SWR Fernsehen, 05/01/2014)

 

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Metonymy into metaphor

Were all metaphors originally metonomies? This is at least what some deconstructivists argue. Watergate was originally the name of a building, and was then used metonymically to refer to a political scandal which was associated with that building. Since then, part of the word, gate, has come to be used to refer to other scandals such as Irangate. In the future, gate might become completely dissociated from the building and from the original scandal and become a metaphor for scandal. (Schwarz, Daniel R.: James Joyce: The Dead. Boston and New York: Bedford/St. Martin’s, 1994: 212-3)

 

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Signal redundancy

One of the problems of advanced language learners is that they do not advance very much. At least not in certain respects. A typical example of this, in my view, is my students’ use of very. It is overused, wrongly used and used as the only intensifier, to the detriment of alternative forms such as immenselyhighlysupremely, vitallyacutelyheartilydeadly, forms which are likely to be used by native speakers, especially in combination with particular adjectives. Learners tend to rely on what they know. As long as there is no need to deviate from this strategy. And very is a word they have known and used for a long time. In an article I recently read this unwillingness to explore more complex language is partly ascribed to the communicative view of language. Communicative activities such as information-gap and opinion-gap tasks may – and are supposed to – induce learners to solve tasks with the language they have rather than with new language.  This may lead to what is called signal redundancy. In order to increase the learners’ desire to explore and extend their language, communicative tasks, according to this article, must be transferred into creative tasks. (Tin, Tan Bee: “Towards creativity in ELT: the need to say something new”, in: ELT Journal 4/67, 2013: 385-97)

 

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Feminists vs. feminists

Feminist literary criticism comes in many forms. Feminist literary critics may look at the portrayal of female characters in male authors’ books; or they may focus their attention on well-known female writers; or they may focus on neglected female writers; or they may reject a focus on literature alone as ahistorical and look at the historical conditions of literary creation: or they may look at language itself and develop a proper female language. Some feminist critics have accused other feminist critics of weakening instead of strengthening feminism by emphasizing its separateness; other feminist critics have accused other feminist critics of having created, in their rejection of male stereotypes which denigrate women, counterstereotypes of feminine virtue which ignore real differences of race, age, class and culture. (Schwarz, Daniel R.: James Joyce: The Dead. Boston and New York: Bedford/St. Martin’s, 1994: 178-82). Personally, I am interested in the question as to whether one can tell if a text has been written by a woman or a man. Someone who famously managed to do this in one case was Dickens, who identified George Eliot as a woman in spite of the pseudonym she used.

 

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Terrorist begnadigt

Jesus ist vermutlich ohne Urteil an Pilatus ausgeliefert und ohne ein Urteil des Pilatus hingerichtet worden. Jedenfalls ist nirgendwo in den Quellen von einem Todesurteil des Pilatus die Rede. Pilatus sah in Jesus keine Gefahr und hätte ihn lieber begnadigt als den Terroristen Barabbas. Der war an einem Terrorakt beteiligt gewesen, der Menschenleben gekostet hatte. Seine Kreuzigung, vor allem an einem jüdischen Festtag, Passah, würde ein Zeichen setzen. Wenn die Hinrichtung des Volkshelden aber zu Unruhen führen würden, würde das Volk die harte Hand Roms zu spüren bekommen. Aber die Menge forderte die Freilassung des Freiheitskämpfers Barabbas. Sie hasste zwar Jesus nicht, liebte aber Barabbas. Der Ruf der Menge “Kreuzige ihn!” auf Pilatus’ Frage, was denn dann mit Jesus geschehen solle, ist eigentlich überflüssig, denn Pilatus wusste, dass Jesus gekreuzigt werden würde, wenn Barabbas frei käme. (Flusser, David: Jesus. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 4/2006: 134-6)

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Modern torture?

Methods of dealing with crimes and criminals have changed in Western societies over the past few centuries. A fair trial and humane imprisonment are taken for granted today. Torture and punishments as public spectacles – it is hoped – are banned from our societies. We usually look down on those barbarian times, pleased with ourselves and our accomplishments. Things have evidently changed but perhaps not quite as much as we tend to think. At least, this is how Foucault views it. He begins Discipline and Punish with a shocking but accurate description of the public drawing and quartering of a Frenchman after his botched attempt to assassinate Louis XV. Foucault sees many forces at work which changed the old practice, the evolving human being, prone to perform good-hearted deeds, not being one of them. Foucault argues that there were good practical reasons to keep prisoners alive: they could be used in colonies and trade; they could be used as infiltrators or informers. Who better to fill those roles than prisoners released early for showing a willingness to be rehabilitated? As for rehabilitation itself: what was formerly achieved through torture is now achieved with the help of psychologists who probe into the prisoners’ minds with a rigour which can be seen as another form of torture. (Schwarz, Daniel R.: James Joyce: The Dead. Boston and New York: Bedford/St. Martin’s, 1994: 153-4)

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Hochbegabt: der Mensch, das Tier

Dass Tiere genauso begabt sind wie Menschen, ist in der Vergangenheit immer wieder damit begründet worden, dass auch Tiere zu Werkzeuggebrauch fähig sind. Schimpansen wurden zum Beispiel dabei beobachtet, dass sie einen Stock benutzten – und möglicherweise sogar bearbeiteten – um an Insekten zu kommen, die sie mit den Händen nicht erreichen konnten. Das ist mir schon immer als eine unhaltbare Schlussfolgerung und eine grobe Vereinfachung vorgekommen. Jetzt differenziert in einer Radiosendung eine Historikerin überzeugend zwischen tierischem und menschlichem Werkzeuggebrauch. Der menschliche Werkzeuggebrauch ist einfach viel komplexer und, auch wenn man das nicht wahrhaben will, dem der Tiere weit überlegen (Noël Haidle, Miriam: “Wie die Menschheit denken lernte”, in: SWR 2 Aula: 01/01/2014). Man kann dabei drei Aspekte berücksichtigen: a) zusammengesetzte Werkzeuge, b) komplementäre Werkzeuge und c) ideelle Werkzeuge. Bei a) handelt es sich etwa um einen Speer, der gute Flugeigenschaften, aber keine gute Spitze hat und der deshalb mit Steinspitzen kombiniert wird, mit denen man gut schneiden kann, die aber nicht zum Werfen geeignet sind. Das neue, zusammengesetzte Werkzeug hat gute Flug- und gute Schneideeigenschaften. Zu b) gehören z.B. Pfeil und Bogen oder Nadel und Faden. Wenn man einen Bogen baut, muss man gleichzeitig an den Pfeil denken, den man damit abschießen möchte, und man muss, wenn man die Pfeile baut, wiederum den Bogen vor sich haben. Das geht nur mit der Einnahme einer imaginären Position: Man muss sich vorstellen, wie ein Pfeil aussehen soll, damit er mit dem Bogen abgeschossen werden kann. Um diese Technik weitergeben zu können, reicht keine einfache Anleitung. Man muss die Prinzipien, die dahinter stehen, verstehen und erklären. Zu c) gehören zum Beispiel Geldstücke. Das können Muscheln oder Münzen sein. Die Muschel oder Münze hat an und für sich noch keinen Wert. Dieser ideelle Wert muss ihnen erst zugeschrieben werden. Und ihren vollen Wert entfalten sie erst in einer Gruppe, in ihrem Verhältnis zu anderen Muscheln oder Münzen.

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Die Nazikeule

“Das hört nie auf, nie hört das auf”, hat Günter Grass gesagt. Doch er selbst hat auch die dazu beigetragen, dass es nie aufhört, das mit den unsinnigen Nazi-Vergleichen, zuletzt, als er das Medienecho auf sein Gedicht über Israel als “Gleichschaltung der Presse” bezeichnete. Wir scheinen wirklich nicht davon loszukommen. Die Nazi-Spur ist tief in unserem kollektiven Bewusstsein verlegt, und immer wieder wird die Nazi-Keule als beleibtes Denunziationsmittel geschwungen. Sie hat den Kalten Krieg, die Entspannungspolitik, die historische Wende von 1989, die Bonner Republik und 9/11 überlebt. Sie wird im Inland wie im Ausland geschwungen: Adenauer verglich den Druck, der in der DDR auf die Bevölkerung ausgeübt wurde, mit dem Druck, den der Nationalsozialismus durch Gestapo und Konzentrationslager ausübte; Adorno sprach während der Studentenbewegung von einer Pogromstimmung gegen die Studenten; Hertha Däubler-Gmelin  verglich George W. Bush mit Hitler nach dessen Einmarsch in den Irak. Berlusconi verglich Martin Schulz mit einem KZ-Wächter; Erika Steinbach wurde in der polnischen Presse als revanchistische Domina in brauner Kluft dargestellt; Angela Merkel wurde auf Protestmärschen in Griechenland mit Hakenkreuz und Hitler-Bärtchen dargestellt. In der islamischen Welt wird Israel mit Hitler-Deutschland gleichgesetzt, und selbst in der Knesseth ist ständig von SS-Schergen und Nazi-Buben die Rede. Dabei wird doch sonst ständig und bekennerhaft die Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit der Naziherrschaft betont. Der Holocaust ist zu einer enthistorisierten Metapher für das absolut Böse geworden. Dabei steckt paradoxerweise in jedem Nazivergleichstäter auch ein Nazivergleichsopfer. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan J. Kramer, bescheinigte Sarrazin, er habe mit seinem Gedankengut “Göring, Hitler und Goebbels alle Ehre” erwiesen. Und Sarrazin selbst verdammt die Euro-Bonds als eine Art “Buße für den Holocaust”. Brandt, Bush, Geissler, Gorbatschow sind ebenfalls Täter und Opfer. Wir sind eingenebelt von einer obsessiven Vergangenheit und sind immer noch hilflos im Umgang mit dem Fortleben des Nationalsozialismus. Am besten zusammengefasst hat es Eberhard Jäckel: “Die Deutschen sind von Hitler befreit worden und werden ihn doch niemals loswerden”. (Seitz, Norbert: “Die Nazi-Keule oder: Der Fluch der bösen Tat”, in: Deutschlandfunk 15/12/2013).

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So etwas darf nie wieder geschehen

Wenn es um den Nationalsozialismus geht, hört man bei feierlichen Anlässen immer wieder den Satz, “so etwas dürfe nie wieder geschehen”. Das macht sich natürlich gut. Man nimmt statt Schuld Verantwortung auf sich. Alle, Junge wie Alte, sehen betroffen und unglaublich klug aus. Selbst fühle ich mich immer unwohl bei solchen Gelegenheiten. Schon deshalb, weil sich alle einig sind. Aber auch deshalb, weil ich mir Fragen stelle, die keiner beantwortet: Wie kann so etwas überhaupt wiederkehren, wenn die Verbrechen der Nazis, wie es immer heißt, “unvergleichbar” sind? Was bedeutet eigentlich “so etwas”? Wie kann man “so etwas” verhindern, wenn man gar nicht weiß, wie es aussieht? Es kann doch wohl nicht gemeint sein, dass der Nationalsozialismus wieder in der gleichen Form aufersteht. Dann könnte man ihn leicht erkennen. Aber wie sollte man ihn verhindern? Ich wüsste jedenfalls nicht, was ich dann tun sollte. Auswandern? In den Untergrund gehen? Reden halten? Mich einsperren lassen? Bei keiner dieser Aktionen hätte ich die Hoffnung, dass ich damit “so etwas” verhindern könnte.  Und wenn “so etwas” nicht als Nationalsozialismus wiederkommt, wie kann ich es dann als “so etwas” identifizieren? Bisher habe ich immer geglaubt, ich wäre der einzige, der sich  bei diesen feierlichen Reden unwohl fühlt. Jetzt habe ich in einer Radiosendung erfahren, dass das nicht so ist. (Seitz, Norbert: “Die Nazi-Keule oder: Der Fluch der bösen Tat”, in: Deutschlandfunk 15/12/2013). Kein geringerer als Jan Philipp Reemtsma misstraut der gängigen Formel von den “Lehren aus der Geschichte”. Karl-Heinz Bohrer misstraut dem geschichtspolitischen Frieden einer offiziellen Kommemoration. Wir stehen dem Phänomen immer noch ziemlich hilflos gegenüber.

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Sprachlosigkeit

In einer klugen Besprechung eines Romans (Andreas Maiers Die Straße) geht es um Nichtsprachliches und Triebleben. Der Autor des Romans erzählt, wie das Wort Beischlaf (oder seine Umschreibungen) durch seine Abwesenheit eine Allmacht über seine Eltern hatte. Die Rezensentin weitet das Thema aus: Sprachlosigkeit führt zu einer extremen Fixierung auf das nicht zur Sprache Gebrachte: Väter drehen beim Anblick der sprießenden Weiblichkeit ihrer Töchter durch, Mädchen geben sich mit glühenden Gesichtern ihren Doktorspielen hin, Mütter holen sich ihre Söhne zum Rückenstreicheln ins Bett. (Hartwig, Ina: “In schwarzen Löchern”, in: Die Zeit 52/2013: 51)

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The incomplete sculpture

Reader-response criticism does not ask “What does a text mean?” but rather “What does a text do?”. What does a text do to the reader’s mind, that is, which ideas, thoughts, feelings, associations does in trigger. Needless to say, this allows a great deal of subjectivity. Individual readers may react differently to a text. This subjectivity has been the target of criticism from formalist scholars who think meaning is to be found in the text itself. They see as fallacious the notion that a reader’s response is part of the meaning of a literary work. Such an idea has been condemned as the Affective Fallacy. Both approaches, it seems to me, are appealing, though incompatible. Both approaches also beg at least one important question. For the formalists: How can different interpretations to one and the same text be explained if meaning is embedded in the text? For the reader-response critics: Why do individual readers come up with such similar interpretations if meaning is not embedded in the text? A rather nice image, which allows for different interpretations but at the same time curbs subjectivity is the one proposed by Adena Rosmarin. According to this view, a text is like an incomplete sculpture. In order to see it fully, we must complete it imaginatively. (Schwarz, Daniel R.: James Joyce: The Dead. Boston and New York: Bedford/St. Martin’s, 1994: 125-129)

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Auf den Hund gekommen

Ein jüdisches Sprichwort sagt, dass, wenn ein Jude einen Hund hat, entweder der Hund kein richtiger Hund oder der Jude kein richtiger Jude ist. Hunde haben einen schlechten Ruf im Judentum. Ein orthodoxer Jude würde nie auf den Gedanken kommen, sich einen Hund als Haustier zu halten. Das ist etwas für Nichtjuden. Hunde gelten als unrein. Die alte jüdische Tradition wurde dadurch verschärft, dass Juden im christlichen Abendland oft mit Hunden verglichen wurden. Hunde fraßen Abfälle, leckten ihre Wunden, fraßen rohes Fleisch und tranken Blut. Das alles wurde auch den Juden nachgesagt. Die Juden litten unter dem Vergleich und distanzierten sich von den Hunden. Jetzt haben archäologische Untersuchungen aber zutage gebracht, dass in der alten jüdischen Welt Hunde durchaus eingesetzt wurden, und zwar zum Schutz von Schafen und Kindern. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass Hunde geopfert wurden, und das passierte nur mit Tieren, die als gut galten. Säkularisierte Juden haben längst die nichtjüdische Gewohnheit übernommen, Hunde als Haustiere zu halten. Wobei sich, einer jüdischen Hundebesitzerin zufolge, eine Frage noch nie gestellt hat: Muss Hundefutter auch koscher sein? (Kühn, Tobias: Das zwiespältige Verhältnis zu Hunden im Judentum, DLR Kultur: 14/11/2013)

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Stressepidemie

In einem Interview nennt die britischen Psychologin Fiona Jones die heutige Stressepidemie einen Mythos. Sie verweist auf Kindersterblichkeit, Krieg, Rezession und zweifelt daran, dass es früher weniger Stress gegeben habe. Heute sei Stress viel stärker akzeptiert, man erwarte geradezu, dass jemand gestresst sei. Früher wurde Stress eher als Niederlage, als Unfähigkeit empfunden. Das Interview löste wütende Reaktionen aus. Ganz egal, ob Jones recht hat oder nicht: Hier geht es auch um eine linguistische Frage, den Einfluss eines Wortes auf das Empfinden. Ich erinnere mich an einen Kommilitonen, der eine französische Freundin hatte und stundenlange Telefongespräche mit ihr führte. In einem Gespräch, als er gerade das Staatsexamen machten, erklärte er ihr, dass er Stress habe. Und musste das Wort erklären. Das war damals noch neu. Die Frage ist also: Haben die Menschen heute mehr Stress, weil es das Wort? Oder hatten sie damals genauso viel Stress, obwohl es noch kein Wort dafür gab? Und wussten möglicherweise gar nicht, dass sie Stress hatten? Oder bilden sich die Menschen heute ein, Stress zu haben, weil es ein gängiges Wort dafür gibt? Und wären weniger gestresst, wenn es nicht so ein praktische Wort dafür gäbe?

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Mitgehangen – mitgefangen

In einer Radiosendung erklärt eine Hörerin, woher mitgehangen – mitgefangen kommt. Der ursprüngliche Wortlaut was mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen, was viel einleuchtender als die heute gebräuchliche Form ist. Eine gute Erklärung. Nur kommt die Hörerin dann zu der falschen Schlussfolgerung: Sie ärgert sich, dass die Redewendung immer “falsch” gebraucht werde und hofft, ihr Beitrag könne dazu beitragen, dass von jetzt an die “richtige”, d.h. die ursprüngliche Form gebraucht werde. Die Gleichsetzung von ursprünglich mit richtig ist eins der ganz großen kollektiven Missverständnisse, wenn es um Sprache geht. Sprache ändert sich, sowohl was die Bedeutung als auch, was die Form angeht. Heute ist mitgehangen – mitgefangen die “richtige” Form, auch wenn es weniger einleuchtend ist als die ursprüngliche Fassung. Der Gebrauch entscheidet. Wenn jemand die ursprüngliche Form benutzt, klingt das pedantisch und bringt Fragen hervor. Das lenkt vom Inhalt ab. (“Guten Rutsch. Was Sie schon immer über Sprichwörter und Redensarten wissen wollten”, in: Radiofeuilleton. Deutschlandradio Kultur: 28/12/2013)

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Jesus und die Essener

Wie die Essener hielt Jesus Besitz für gefährlich. Sein Lob für die Armen im Geiste ist sogar eine Huldigung an die Essener. Wie die Essener war er gegen das Prinzip, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Die soziale Note ist bei Jesus, wie bei Essenern, stärker betont als bei den Rabbinern. Im Gegensatz zu den Esseners, die eine apokalyptische revolutionäre Gruppe waren, war Jesus jedoch kein Revolutionär. Die Essener, die in Gütergemeinschaft und in Armut lebten, die den Tag mit Arbeit, Gebet, gemeinsamen Mahlzeiten und rituellen Bädern verbrachten, waren eine jüdische “Splittergruppe”. Sie sonderten sich vom übrigen Judentum, vor allem aber vom Priestertum und Tempelkult, von den “Söhnen des Verderbens”, entschieden ab. Jesus war auch kein Kämpfer gegen die römische Besatzungsmacht: “Gebt dem Kaiser, was der Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.” (Lk 20,26). Für Jesus – und darin unterschied er sich auch von Johannes – war das Reich Gottes auf Erden schon angebrochen, jedenfalls für Einzelne, für diejenigen, die sich Gottes Gesetz unterworfen hatten. Seine Devise war nicht “Gegen die Römer kämpfen, um das Reich Gottes auf Erden zu errichten”, sondern “Das Reich Gottes auf Erden errichten und damit jede Herrschaft unnötig machen”. (Flusser, David: Jesus. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 4/2006: 79-81, 89-94)

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Literature and dreams

Dreams and literary works have a lot in common: they are works of fiction, inventions of the mind, based on reality though not literally true, they have a truth to tell but may need to be interpreted so that the truth can be grasped. Not surprisingly, literature, in the wake of Freud but starting with Freud himself, has been interpreted like dreams. The original idea is something like this: much of what is in the unconscious mind has been put there by the consciousness, which acts as a censor, driving thoughts and instincts underground which it deems unacceptable. Censored material emerges only in disguised form: dreams, language, creative works, neurotic behaviour. We can thus read a work of art as if it were a dream. The focus, when doing this, can vary: it can be on the author, it can be on the characters, it can be on the reader. Freud tended to psychoanalyse the individual author, later psychoanalytic critics started to analyze the characters rather than the authors. Later critics, in their turn, focussed more on the way in which authors create works which appeal to our repressed wishes and fantasies. What draws us as readers to a text is the secret expression of what we desire to hear. The disguise must be good enough to fool the censor into believing that the text is respectable but bad enough for us to glimpse the unrespectable. Finally, critics who applied the ideas of Jung see literature not so much as the expression of the author’s repressed wishes but as a manifestation of desires once held by the whole human race but repressed through civilisation. (Schwarz, Daniel R.: James Joyce: The Dead. Boston and New York: Bedford/St. Martin’s, 1994: 85-89)

 

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Der Jude Jesus

Die Judenchristen glaubten, mit einigem Recht, als einzige das Erbe Jesu bewahrt zu haben, aber sie wurden von der Kirche wie von der Synagoge gleichermaßen als Verirrte angesehen. Schon im 2. Jahrhundert waren Christen, die weiter nach dem Gesetz des Moses lebten, verpönt, und später war die Befolgung der Geboten des Alten Bundes den Christen sogar verboten. Dabei war Jesus im Grunde ein gesetzestreuer Jude. Der Jude Jesus wirkte unter Juden und wollte auch nur unter ihnen wirken. Er sei nur gesandt “zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel” (Mt 15.24), sagte er. Entsprechend war auch die Sendungsrede an die Jünger: “Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter” (Mt 10.5-6). Dazu passt, dass Jesus auch in der Regel keine Nichtjuden heilte, obwohl in den rabbinischen Quellen von niemandem vertreten wurde, das sei nicht erlaubt. Es gibt nur zwei Ausnahmen: Einmal, als er die geisteskranke Tochter einer Phönizierin heilte, einmal, als er den Knecht eines römischen Hauptmanns aus Kapernaum heilte. Die Worte der Phönizierin, die sich vor ihn hinwarf, beeindruckten Jesus ebenso wie die Worte des frommen Hauptmanns, der Jesus ausdrücklich nicht in sein Haus bat (“Herr, ich bin nicht würdig …”), um zu verhindern, dass Jesus durch die Berührung mit einem Nichtjuden unrein würde. Darum bat er Jesus, seinen Knecht auf Entfernung zu heilen. In beiden Fällen werden die entscheidenden Worte nicht von Jesus, sondern von einem “Heiden” gesprochen. (Flusser, David: Jesus. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 4/2006: 44-67)

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Life in a nutshell

Is history cyclical or progressive? Joyce, following Vico, saw it as rather cyclical, identifying recurring patterns in human history. History is a series of concentric circles, like the rings of a tree. Any one of these circles can be taken as the starting point, as the centre around which the circles are organised. This is just what happens in Ulysses, where one day, 16 June 1904, is taken as the centre. The closer circles around it most resemble the events being dramatised, while the more distant ones provide less important parallels. Thus we have a novel which is spatially and temporarily ambitious, ranging far through human experience, while at the same time focussing on the most pedestrian details of life in Dublin on one day. (Schwarz, Daniel R.: James Joyce: The Dead. Boston and New York: Bedford/St. Martin’s, 1994: 14)

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In dulci jubilo

Die von Philipp Wackernagel herausgegebene Anthologie deutscher Kirchenlieder verzeichnet 450 katholische und 3700 evangelische Lieder. Diese Blüte verdankt sich der Reformation. Luther wollte, dass die Gläubigen in ihrer eigenen Sprache singen. Bei den Reformierten gab es ursprünglich überhaupt keine Lieder. In der katholischen Kirche war das anders, aber auch hier hatte das Kirchenlied, wie wir es heute kennen, ursprünglich gar keinen Platz. Hier wurde auf Latein gesungen. Darin hatte der Gregorianische Gesang seine Blüte. Der ist heute in die Konzertsäle gewandert und in der Kirche so gut wie gar nicht mehr zu finden. Dass auch die Katholiken anfingen, in deutscher Sprache zu singen, verdankt sich der Gegenreformation. Ein schönes Beispiel für die Übergangszeit zwischen Latein und Volkssprache ist In dulci jubilo. Hier wechseln sich Latein und Deutsch ab: “In dulci jubilo/Nun singet und seid froh./Unsers Herzens Wonne/liegt in praesepio/und leuchtet wie die Sonne/matris in gremio/Alpha es et O.” Die lateinischen Wörter klingen geheimnisvoll, und man braucht gar nicht zu wissen, was sie bedeuten. Die lateinischen Messgesänge waren sowohl Bitte um Beistand als auch Lob Gottes. Aber: Warum muss Gott eigentlich gelobt werden? Fügt der Lobpreis seiner Herrlichkeit etwas hinzu? Braucht der Allmächtige das Lob? Dem italienischen Philosophen Giorgio Agamben zufolge hat der Gläubige durch das Lob Gottes Anteil an seiner Herrlichkeit. Andere sehen das anders: Das Gotteslob hat demzufolge heidnische Ursprünge und sein Vorbild in den Zustimmungsritualen der römischen Kaiserzeit, als die Volksmenge dem Herrscher zujubelte. Der Jubel hatte eine politische Bedeutung insofern, als sich aus der Stärke des Beifalls die Stärke der kaiserlichen Legitimität herleitete. (Greiner, Ulrich: “Labsal gegen den Verdruss”, in: Die Zeit 52/2013: 60)

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Goldenes Handwerk

Jesus wurde, obwohl kein approbierter Schriftgelehrter, mit Rabbi angesprochen. Diese Anrede war zu der Zeit noch nicht auf die ausgebildeten und ordinierten Gelehrten beschränkt, sondern wurde gegenüber Kennern der Thora benutzt. Jesus war also beileibe kein Ungebildeter, im Gegensatz zu seinen Jüngern, von denen das mit einigem Recht behauptet wird. Das Bild von Jesus als naivem, liebenswürdigen einfachen Handwerker entspricht nicht der Realität. Die Schriftgelehrten waren teils selbst Handwerker und forderten, jeder solle seinem Sohn ein Handwerk lehren. Als besonders gelehrt galten damals die Tischler. Wenn man eine besonders schwierige Frage diskutierte, pflegte man zu sagen: “Ist hier ein Tischler, ein Sohn eines Tischlers, der uns die Frage beantworten kann?” (Flusser, David: Jesus. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 4/2006: 20-22)

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Unsichtbare Geschichte

Das populärste amerikanische Gemälde, Washington Crossing the Delaware, entstand in Deutschland. Es stellt den Augenblick dar, da die kleine Rebellenarmee des freien Amerika, die schon am Ende schien, zum Gegenangriff übergeht. Sie sammelt sich auf ihrem Rückzug von New York nach Philadelphia, setzt über den teils vereisten Delaware und erobert Trenton, wo die Verfolger einquartiert waren. Die Überrumpelung gelingt, Washingtons Siegeszug beginnt, und fünf Jahre später ist der Triumph über Englands Truppen perfekt. Das Bild wurde von Emanuel Leutze gemalt. Leutze war in Deutschland geboren, schon als Kind mit seinen Eltern in die USA ausgewandert, war in Philadelphia, der Stadt der Unabhängigkeitserklärung, durch die der Delaware fließt, aufgewachsen, war mit einem Stipendium an die Kunstakademie nach Düsseldorf gekommen und schließlich in die USA zurückgekehrt. Was Leutze im Sinn hatte, war nicht nur der historische amerikanische Befreiungskampf, sondern auch der aktuelle deutsche Freiheitskampf, der Kampf der freien Bürger gegen die Fürsten. Nach der gescheiterten Revolution von 1848 wollte er in der Stunde der Hoffnungslosigkeit Mut machen, die Chance auf den Umschwung beschwören. Die Amerikaner interessierte das natürlich herzlich wenig. Sie liebten das Gemälde, weil es die amerikanische Geschichte und ihren unumstrittenen Helden feierte. Das Gemälde wurde enthusiastisch aufgenommen. Dabei war es ein Glücksfall, dass es überhaupt existierte. Das Original war 1850 in Leutzes Atelier in Brand geraten und nur in letzter Minute von Freunden mit Mühe und Not, schon angesengt, gerettet worden. Leutze hat es klugerweise versichert. Er kassierte die Versicherungssumme und restaurierte das Bild. Am Ende verbrannte es dann doch bei einem Bombenangriff 1942. Aber Leutze hatte eine weitere Version für Amerika angefertigt. Die hängt heute im Metropolitan Museum of Art in New York. Eine Kopie hängt in den Amtsräumen des Präsidenten im Weißen Haus. (Gerste, Ronald D.: “Washington überquert den Rhein”, in: Die Zeit 52/2013: 19)

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Unverständlich

Bei den Trauerfeierlichkeiten für Nelson Mandela erschien auf der Rednertribüne, ganz in der Nähe Obamas, ein Mann, der die Reden der Staatsgäste in Gehörlosensprache übersetzte. Oder zu übersetzen schien. Schon während der Übertragung gab es aber Proteste von Gehörlosen, die darauf hinwiesen, man könne gar nichts verstehen. Der “Dolmetscher” machte tatsächlich nichts als unsinnige Zeichen, die nur ganz entfernt an Gebärdensprache erinnerten und allenfalls einzelne verständliche Wörter enthielt. Der Mann war, ohne dass etwas unternommen wurde, vier Stunden lang in Aktion. Was ihn antrieb und wie er dazu kam, an einer so exponierten Stelle zu stehen, blieb unklar. Obwohl das nicht seine Absicht sein musste, kann man seine Aktion als Kommentar auf die formelhaften, nichtssagenden Reden der Politiker verstehen. Zum ersten Mal wurde leeres Reden in leere Gebärden übersetzt. (Setz, Clemens J.: Der Mann im Nichts, in: Die Zeit 52/2013: 49)

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Jesus gleich Josua gleich Jeschua gleich Jeschu

Der Name Jesus war zur Zeit Jesu ein ganz gewöhnlicher Name, genauso wie Josef und Maria. Auch die Brüder Jesu hatten ganz gewöhnliche Namen: Jakobus, Jossi (eine Form von Josef), Juda und Simon. Die antiken Juden vermieden es aus religiöser Scheu, ihren Kindern wichtige biblische Namen zu geben wie Abraham, Salomo, Moses oder Aaron. Vielleicht war deshalb der Name Jesus so verbreitet, denn man wählte statt Moses den Namen seines Nachfolgers, Josua. Jesus ist die griechische Form dieses Namens. Zur Zeit Jesu wurde der Name Jeschua ausgesprochen, und so heißt Jesus manchmal in der antiken jüdischen Literatur. Die Form Jeschu ist aller Wahrscheinlichkeit nach die galiläische Form von Josua. Durch seine besondere galiläische Aussprache des Namens verrät sich Petrus nach der Festnahme Jesu als einer seiner Jünger. (Flusser, David: Jesus. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 4/2006: 15-16)

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Umbrella Man

Auf mehreren Bilddokumenten des Attentats auf Kennedy ist der mysteriöse Umbrella Man zu sehen, ein Mann, der trotz des sonnigen, trockenen Wetters einen Regenschirm trug. Das gab zu allen möglichen Spekulationen Anlass: War er ein Signalgeber, der dem Attentäter mitteilte, wann es losgehen sollte? Hatte der Schirm etwa eine Schussvorrichtung mit einem Betäubungspfeil? Erst viele Jahre später kam die Aufklärung, als der Mann selbst sich, der von der ganzen Aufregung um den Schirm nichts mitbekommen hatte, zu erkennen gab. Der schwarze Regenschirm war ein Protestzeichen. Kennedys Vater war ein Unterstützer der Beschwichtigungspolitik Chamberlains gewesen, und dagegen protestierte der Umbrella Man. Das Markenzeichen Chamberlains war ein schwarzer Regenschirm. (Setz, Clemens J.: Der Mann im Nichts, in: Die Zeit 52/2013: 49)

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Kochkunst?

Komisch, sich das klar zu machen: Unsere Generation ist die erste, deren frühe Kindheitserinnerungen mit dem Fernsehen verbunden sind: Augsburger Puppenkiste, Hier und Heute, Große Leute, kleine Leute. Zu den Sendungen, die in Erinnerung geblieben sind, gehört auch Clemens Wilmenrod bittet zu Tisch. Wilmenrod war der erste Fernsehkoch. Tatsächlich war er kein Koch, sondern Schauspieler. Seine Markenzeichen waren seine lockere Sprüche, sein Schnäuzer und sein Konterfei auf der Schürze, natürlich mit Schnäuzer. Wilmenrod hatte eine große Fangemeinde. Dabei verstand er vom Kochen so gut wie gar nichts. Er war nicht einmal Hobbykoch. Seine Frau zeigte ihm vor der Sendung im Studio in einem Nebenraum, wie man die Gerichte zubereitete, damit nicht allzu viel schief ging – nicht immer mit Erfolg. Seine mangelnde Kompetenz machte er wett durch sein spontanes Auftreten, durch die hochtrabenden Namen, die er den Gerichten gab und durch die Einführung von Neuerungen aus der mediterranen Küche. Wilmenrod hieß eigentlich Carl Clemens Hahn. Sein Pseudonym war der Name seines Geburtsortes, Willmenrod im Westerwald. Dort wurde er auch begraben, nachdem er mit 60 Jahren Selbstmord begangen hatte. (SWR: Unsere Lieblingsgerichte: 21/12/2013)

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Zu Nazareth geboren?

Der Tradition zufolge ist Jesus in Bethlehem geboren. Es gibt jedoch gute Gründe für die Annahme, dass das nicht stimmt. Erstens berichten nur Matthäus und Lukas von der Geburt. Die anderen Evangelisten erwähnen sie mit keinem Wort, und auch sonst wird sie im Neuen Testament nicht erwähnt und Bethlehem als Geburtsort nicht vorausgesetzt. Zweitens stimmen Matthäus und Lukas nicht überein in der Darstellung. Bei Lukas kam die Heilige Familie nur zur Volkszählung nach Bethlehem, bei Matthäus war sie schon vor der Geburt Jesu in Bethlehem ansässig. Außerdem unterscheiden sich die Stammbäume, die Jesus auf David zurückführen. Sie wurden vermutlich ad hoc konstruiert, um die davidische Abstammung Jesu zu beweisen. Und Davids Stadt war Bethlehem. Da der Messias aber aus Bethlehem und von David abstammen sollte, fügten Matthäus und Lukas den Geburtsort vermutlich hinzu, um die Geschichte glaubwürdiger zu machen. Bei Johannes wird deutlich, wie wichtig das war. Da wenden einige gegen die Messianität Jesu ein: “Kommt denn der Messias aus Galiläa? Hat nicht die Schrift gesagt, dass der Messias aus dem Samen Davids und von dem Dorfe Bethlehem, wo David war, kommt?” (Joh, 7.41-42). Was den Stammbaum betrifft, gibt es noch eine weitere Merkwürdigkeit: Nach beiden Stammbäumen stammt nicht etwa Maria, sondern Josef von David ab – und der sollte doch mit der Geburt gar nichts zu tun gehabt haben! (Flusser, David: Jesus. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 4/2006: 16-17)

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Alles unter einem Dach

Warenhäuser machten zu ihrer Hochzeit 10% des Umsatzes des deutschen Handels aus; heute sind es nur noch 2%. Damals gab es keine Factory-Outlets, keine Shopping Malls, keine Einkaufszentren außerhalb der Innenstädte, keinen Internethandel. Als Kaufhof Horten und Karstadt Hertie kaufte, gab es noch 375 Warenhäuser in Deutschland; heute sind es noch 191. Und es werden noch weniger werden. Auch Städte mit rund einer halben Million Einwohner wie Nürnberg, Stuttgart oder Düsseldorf werden mit einem Warenhaus auskommen. Die Konkurrenz ist zu groß, die Kundschaft zu alt. Und die Strategien der Kaufhäuser haben den Niedergang beschleunigt: weniger Umsatz > weniger Sortiment > weniger Personal > weniger Umsatz. Da ist der Misserfolg programmiert. (Frei, Helmut: “Die Zukunft der deutschen Warenhäuser”, in: SWR 2: Geld, Markt, Meinung: 21/12/2013)

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You’re welcome

Different answers to thank you were the subject matter of a guest lecture at the university. I was surprised about the sheer range of options: (you’re) welcome, (it’s a) pleasure, (it’s) alright, don’t mention it, don’t worry, any time, sure, yeah, okay and – thank you. In a short survey, which he himself had carried out, the researcher found that welcome was more frequently used in New York City than in Vancouver and no problem and thank you were more frequently used in Vancouver than in New York City. He also found that there were non-verbal answers such as mmhm or just a smile or a gesture. In previous research, which was based on questionnaires and not on interviews, these options had not even been considered. Nobody writes mmhm into a blank space on a questionnaire. He also reported that when he asked an American friend what she would say in such a situation she said: “I’d say welcome … At least I think I would … At least I hope I would.”  A clear indication that speakers, when asked what they say, are likely to say what they think they say and what they think they ought to say.

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Judges

Here’s the story: A man has fallen out with his wife and then reconciled himself with her again. He travels back with her from her father’s home, where she has taken refuge, to his own home. On his way, he is looking for a place to spend the night, but finds no accommodation in the town where he stops. Finally, an old man, returning from work, offers his own home as a place to stay. During the night, the house is attacked by a mob of men from the town who bang on the door and want the stranger to come out so that they can abuse him. The stranger, in collusion with his host, refuses to come out and instead, sends out his wife. The men abuse her all night until the day breaks. The woman manages to crawl back to the door step, where she collapses. When the man comes out, he tells her to stand up. When she doesn’t, he realises that she is dead. He takes the corpse, cuts it up into twelve parts and sends the twelve parts to different corners of his country. So where does this story come from? The script of a horror movie? The sick ideas of a psychopath? Neither. A story from the Bible. It is in the book of Judges in the Old Testament.

 

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Literally glued

In Joyce’ short story “The Dead”, I came across a rather curious use of literally. A few days later, the word literally came up in class. Students discussed the emphatic use of literally in sentences like “The audience were literally glued to their seats”. Is this acceptable? A perfectly well-formed English sentence but a use of literally which seems to fly in the face of its “real” meaning, almost contradicting it. The speaker does clearly not mean that the audience were literally glued to their seats. Rather the speaker means it metaphorically, quite the opposite of literally. This use has recently come to the attention of many and is controversially discussed, most strongly objecting to it. I was intrigued by the fact that I had read it in “The Dead”. Usually it is believed that this “erroneous” use of the word is a recent phenomenon, but “The Dead” is almost a hundred years old. So I picked up the book and looked for the word. In vain. I read the story diagonally and then read the dialogue passages more closely. Nothing. The word seemed to have disappeared. I gave up. The following day, I picked the book up again, repeating the procedure. Nothing. I decided that I must have made a mistake and that I had read the word somewhere else. Then it happened that I read a study of “The Dead”, and when I least expected it, here it was: the passage in which literally occurred was quoted. It occurs right in the very first sentence of the story! It says “Lily was literally run off her feet.” So that confirmed my suspicion that this use is not so recent as is generally believed. What is more, there was a comment on this use of literally. Its use serves as an example to illustrate Joyce’s particular style: although the narrator is speaking, the language is the character’s, it is Lily’s. Someone like her would use the word in this sense, not Joyce. This finally also explained why I had not found the word in the dialogue passages of the story, where I had expected it.

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Jesus ein Pharisäer?

Es ist komisch: Man weiß, was ein Pharisäer ist, aber man kennt kaum einen, jedenfalls nicht aus der Bibel. Es gibt kaum jemanden, der sich selbst als Pharisäer bezeichnet. Es gibt zwei Ausnahmen, Flavius Josephus und Paulus, aber gerade die sind nicht besonders typisch. War Jesus vielleicht ein Pharisäer? Die Frage hört sich abwegig an. Schließlich hat Jesus die Pharisäer kritisiert. Dennoch steht er ihnen “ideologisch” sehr nahe. Viel schärfer fiel die Kritik der Pharisäer durch die Essener einerseits und die Sadduzäer andererseits aus. Die Essener lehnten die pharisäische Lehre scharf ab und bezichtigten die Pharisäer der Heuchelei und der Volksverführung. Die Sadduzäer waren zu einer Art kontrarevolutionären Gruppe geworden und waren mit dem makkabäischen Herrscherhaus verbunden, gegen das die Pharisäer opponierten. Sie sahen den Glauben der Pharisäer an das ewige Leben als Ammenmärchen an. Die Pharisäer stehen eher für das nichtsektiererische, normale Judentum der Zeit. Sie sind zwar nicht identisch mit den Schriftgelehrten, den späteren Rabbinen, stehen ihnen aber so nahe, dass sie als eine Einheit angesehen werden können. (Flusser, David: Jesus. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 4/2006: 53-9)

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Endlich jemand sein wollen

“Das habe ich mir alles nur ausgedacht, weil ich endlich jemand sein wollte in dieser Welt.” So begründet Sture Bergwall, warum er 33 Morde gestanden, aber nie begangen hatte. Wenn er schon nicht geliebt werden konnte, wollte er wenigstens gehasst werden. Das klappte. Er war zu der Zeit wegen “kleinerer” Vergehen, sexuellen Belästigungen und einem Banküberfall, in Säter, der bekannten schwedischen psychiatrischen Anstalt, eingesperrt und sollte bald entlassen werden. Für sein neues Leben hatte er den Namen Thomas Quick angenommen. Er sah, wie Mörder und Vergewaltiger in der Klinik mehr Aufmerksamkeit bekamen als andere und machte sich selbst zu einem. Am Ende wurde er für 8 begangene Morde zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Er reklamierte so gut wie jeden unaufgeklärten Mord des Landes für sich. Mit Erfolg. Er rannte überall offene Türen ein. Die schwedische Öffentlichkeit “brauchte” einen Serienmörder, und die Justiz glaubte ihm gerne. Sein Anwalt äußerste keinen Zweifel an der Schuld seines Mandanten, die Vernehmungen wurden von einem einzigen Polizisten geführt, der Gutachter ließ Szenen nachstellen und ignorierte es einfach, wenn etwas nicht passte, die Psychologin erklärte Bergwalls Unkenntnis der Vorgänge damit, dass er alles verdrängt habe, und das Gericht ignorierte die Tatsache, dass es, wie sonst bei Serienmördern, kein durchgehendes Muster für die Morde gab. Erst ein Journalist, Hannes Råstam, brachte den Fall wieder ins Rollen. Ihm gelang es, Bergwall, der den Namen Thomas Quick wieder abgelegt und sich aufs Schweigen verlegt hatte, wieder zum Reden zu bringen. Alle sechs Prozesse, in denen Bergwall verurteilt worden waren, wurden wieder eröffnet, alle Revisionen hatten Erfolg,  und Bergwall wurde in allen Fällen freigesprochen. Jetzt soll geklärt werden, ob Bergwall frei kommen kann, denn er ist immer noch in Säter festgehalten. Die Psychologen wollen ihn da behalten. Leif GW Persson, ein Professor für Kriminologie und Verfasser von Krimis, der Bergwall nie geglaubt hatte, ist für dessen Freilassung. Bergwall sei ein Mythomane, aber nicht gefährlich. (Müller, Daniel: “Er war es nicht”, in: Zeitliteratur46/2013: 4-9). Zufällig lese ich zur gleichen Zeit einen Bericht über eine deutsche Frau, die ihren Vater wegen Vergewaltigung anklagte und ihn ins Gefängnis brachte. Erst 17 Jahre später gesteht sie, dass sie alles frei erfunden hatte. Wollte auch sie “nur” Aufmerksamkeit? Auch hier tat die Justiz alles, um ihr zu glauben und wenig, um ihre Aussagen zu hinterfragen. (Stelzer, Tanja & Raether, Elisabeth: “Die Lüge ihres Lebens”, in Die Zeit 46/2013: 17-19).

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Full circle?

The form cantabimus, ‘we will sing’  in Classical Latin later became cantare habemus. In modern Spanish, the corresponding form is cantaremos, a contraction of cantare habemus. In a way, we are now back where we started. The synthetic form turned into an analytic form, and this again turned into a synthetic form. The development does not stop here: Spanish has, besides the synthetic form, a new paraphrastic, i.e. analytic form,  vamos a cantar. Perhaps at some stage in the future, this will again turn into a synthetic form. It seems clear, anyway, that languages do not only lose morphology over time: they also develop it. (Hollmann, Willem B.: “Grammatical Change”, in: Culpeper, Jonathan, Katamba, Francis, et. al. (eds): English Language. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2009: 326-8)

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Mathematiker Homer Simpson?

In einer Ausgabe der Simpsons gibt es eine Quizfrage. Man soll schätzen, wie viele Zuschauer im Stadion sind: 8128, 8208 oder 8191. Was völlig harmlos und völlig willkürlich aussieht, ist mit Bedacht gewählt: Alle Zahlen sind von Bedeutung in der Geschichte der Mathematik, als vollkommene Zahl, narzisstische Zahl und Mersenne-Primzahl. Das merkt der unbedarfte Zuschauer natürlich nicht. Die Drehbuchautoren der Simpsons, unter denen sich ausgebildete Mathematiker befinden, machen sich einen Spaß daraus, solche Anspielungen in die Sendung einzubauen. Einer von ihnen, David S. Cohen, stieß zu dem Autorenteam, kurz nachdem er seinen Master in Informatik in Berkeley gemacht hatte. Er änderte später, aus Liebe zur Mathematik, seinen Namen in David X. Cohen.  )Singh, Simon: „Homers Formel“, in: Die Zeit 46/2013: 39)

 

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Männer beim Multitasking

Multitasking gibt es nicht. Das ist inzwischen wissenschaftlicher Konsens. Das Gehirn schaltet ständig zwischen den verschiedenen Aktivitäten hin und her. Dabei kann es sich höchstens auf zwei Aktivitäten gleichzeitig konzentrieren. Wenn man mehr macht, macht man die Dinge schlechter und langsamer. Das Gehirn ist überlastet und außerdem noch mit dem Umschalten beschäftigt. Aber können Frauen das besser als Männer? Sieht nicht so aus. In einem Experiment, bei dem die Probanden einen Schlüssel suchen, ein Restaurant auf einer Karte lokalisieren und einfache Rechenaufgaben und dazu noch am Telefon Wissensfragen beantworten mussten, schnitten Männer sogar marginal besser ab. Es scheint alles eher eine Frage der Übung als der Gene zu sein. Und das gilt vermutlich auch fürs Einparken (Kutter, Inge: “Denkblockade Östrogen”, in: Die Zeit 46/2013: 38). Mir klingt das alles sehr plausibel. Und ich frage mich, ob wissenschaftliche Experimente das populäre Urteil verändern können, dass Frauen besser  im Multitasking sind. Vermutlich nicht. Die Idee ist einfach zu verführerisch.

 

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Schön zu Hause bleiben?

In einem vor kurzem erlassenen Gesetzt, dem “Gesetz zum Schutz der Rechte der Alten”, wird festgelegt, dass Kinder ihre Eltern besuchen müssen. Das ist ein einklagbares Recht. Die Pflicht, sich um die Eltern zu kümmern, hat eine lange, auf Konfuzius zurückgehende Tradition. Konfuzius sagte, man dürfe nicht in die Ferne reisen, solange die Eltern noch lebten. Diese Bürde macht es heute noch vielen jungen Chinesen schwer, ins Ausland zu reisen und fördert das Heimweh chinesischer Auslandsstudenten. Bei den Taoisten, die eine Anti-Kultur bildeten und sich von Hof und Politik entfernten, spielen die kun-Lu-Berge eine wichtige Rolle. Der Weg dorthin sei steinig, aber dort wohnten die Unsterblichen, und eine Reise dorthin konnte einen sogar selbst unsterblich machen. In späteren chinesischen Traditionen werden die Gefahren beschrieben, die beim Reisen überall lauern, und zwar in allen Himmelsrichtungen, so z.B. bei Zhu Xi (XII). Der sagt aber, trotz allem sei das Reisen immer noch besser als einfach zu Hause herumzusitzen. Erst später wurden dann die Reize und Chancen des Reisens stärker betont, z.B. bei Kao P’an-lung (XVI). Der weist auch darauf hin, dass Konfuzius und Menzius, die das Zuhausebleiben propagierten, sich selbst nicht an ihre Vorschriften hielten und ständig durch die Gegend reisten. (Soffel, Christian: “Angst vor Unsterblichkeit? Zum Motiv der Fernreise in der chinesischen Kulturgeschichte”. Antrittsvorlesung im Fach Sinologie an der Universität Trier, 06/11/2013)

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Diebische Elster

“Vielleicht mag ich sie, weil sie sonst keiner mag”, sagt ein Ornithologe, der die Elster als seinen Lieblingsvogel bezeichnet, auf den Einwand, die Elster stehe ja nun nicht gerade hoch in der Gunst der Menschen und gelte als jemand, der die Eier der Gelege kleinerer Vögel fresse. Das stimmt, sagt der Ornithologe, aber: Auch wenn wir Menschen mit dem Gefressenen fühlen und den Fressenden als den Bösen betrachten, gilt das nicht für die Natur. In der Natur gebe es kein Gut und Böse. Für die Elstern sind die Eier wichtiger Teil ihrer Ernährung. Und ihre Opfer werden durch den Verlust ihrer Eier nicht in ihrem Bestand bedroht. Alleine Amseln brüten bis zu fünfmal pro Jahr, mit jeweils 5-8 Eiern. Wenn aus allen denen erwachsene Tiere würden, gäbe es eine solche Fülle von Amseln, dass alles andere darunter leiden würde. Der Verlust einiger Eier ist in dem “Kalkül” der Amseln schon mit eingeplant. Die Elster, lernt man bei der Gelegenheit auch, ist ein Rabe, eine von Rabenarten in Deutschland. Die anderen sind Kolkrabe, Dohle, Aaskrähe, Saatkrähe, Eichelhäher und Tannenhäher. (“Schwarz wie die Nacht – Raben”, in: Matinee, SWR 2: 03/11/2013)

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Bewährte Hausmittel

Im Fernsehen eine Sendung über die beliebtesten Hausmittel gesehen: Wadenwickel, heiße Milch mit Honig, Ingwertee, jeden Tag einen Apfel, Schokolade (fürs Glücksgefühl), täglich ein Glas Rotwein (für die Gesundheit), Apfelessig (zum Abnehmen), Rollmops (gegen den Kater) und der eigene Urin, am besten getrunken. Ich habe mich gefragt, warum ich das meiste nicht brauche oder nicht einmal kenne. Noch nie in meinem Leben habe ich Wadenwickel bekommen; heiße Milch mit Honig bekam man als Kind bei Erkältungen; Rotwein und Schokolade konsumiere ich, aber nicht aus Vernunftgründen, sondern weil es schmeckt. Das einzige der zwanzig Hausmittel, das ich selbst anwende, ist die Schwitzkur bei Erkältungen. Aber: Ob es was nützt? Die Erkältung ginge auch ohne die Schwitzkur vorbei. Wenn ich all die wohlklingenden Kommentare höre, werde ich zum Zyniker und denke so bei mir: 1) Die Leute versprechen sich viel zu viel von einer einzigen Sache. 2) Die Leute reden sich die Dinge schön: Sie haben Lust auf Wein und Schokolade und reden sich ein, dass die gut tun. 3) Das quasi religiöse Vertrauen, dass die Leute in diese Mittel setzen, erweist die ganze Sache als Religionsersatz, wie so vieles auf der Welt. 4) Die Leute sehen Kausalzusammenhänge, wo es nur Korrelationen gibt: “Ich habe heiße Milch mit Honig getrunken und nun die Erkältung ist weg” wird zu “Ich habe heiße Milch mit Honig getrunken und deshalb ist nun die Erkältung weg”.

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Muttersprache?

In einem Vortrag diese Anekdote gehört: Wilhelmine von Preußen, Markgräfin von Bayreuth, geborene Berlinerin, zu Besuch bei Maria Theresia in Wien, geborene Wienerin. Wie in Adelskreisen üblich, begann sie, Französisch zu sprechen, wurde aber von Maria Theresia gestoppt: Sie solle doch Deutsch sprechen, schließlich sei das ihrer beider Muttersprache. Man wechselte zum Deutschen. Das Resultat: Sie verstanden sich schlichtweg nicht. Und waren gezwungen, wieder zum Französischen zurückzukehren. (Walter Kuhfuß „Französischunterricht um 1800 in Preußen – Von der Prinzenerziehung zum Schulfach“)

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Drei Gründe für Französisch

Drei Gründe sprachen für das Erlernen des Französischen: Nutzen, Bildung, Distinktion. Nützlich war es vor allem für Händler, die ihre Waren in anderen Teilen Europas verkaufen wollten. Schon im 14. Jahrhundert gab es Bücher mit Sätzen und Ausdrücken für Alltagssituationen, für die Reise und für das Verkaufsgespräch. Ab dem Spätmittelalter wurde Französisch auch zu Bildungszwecken gelernt. Und zwar wie Latein und durch Latein. Die Sprache der Beschreibung der frühen Grammatiken war Latein! Französisch diente aber vor allem auch dazu, sich von anderen zu unterscheiden. Mit Französisch gehörte man zu den Happy Few. Französisch war ein Distinktionsmerkmal, das vor allem die Adeligen auszeichnete. Und das außerdem erlaubte, zu reden, ohne verstanden zu werden, wenn Diener anwesend waren! Die erste Schule, an der in Berlin (nach der Ausweisung der Hugenotten aus Frankreich) Französisch gelehrt wurde, hieß denn auch Collège Royale Français. Es diente der Prinzenerziehung, aber allmählich gewann auch die obere Bürgerschicht Interesse daran. Die Lehrer waren Muttersprachler, aber keine ausgebildeten Sprachlehrer, so dass die Grammatik eine untergeordnete Rolle spielte. Das änderte sich entscheidend erst, als Französisch Schulfach wurde. Die Texte, die dabei verwendet wurden, hatten in der Regel keinen Bezug zu Frankreich, sondern zur klassischen Antike, zum Teil sogar zur deutschen Geschichte. Es konnte also sein, dass man einen französischen Abituraufsatz über einen deutschen Fürsten schreiben musste! Wenn es mal einen Bezug zu Frankreich gab, dann wurde meistens gestichelt. So wurde in einer Anekdote von einem französischen Marquis berichtet, der so viel Zeit auf seine Toilette verwandte – französische Dekadenz – dass er die Sonnenfinsternis dieses Tages verpasste und daraufhin eine sofortige Wiederholung des Schauspiels verlangte! Jetzt gab es keine Dialoge mehr, keine mündliche Sprache, keine Alltagsszenen, jetzt ging es um Grammatik und auch darum, das Denken zu fördern. Denn Französisch wurde vermarktet als besonders rationale Sprache, als Sprache, die die natürliche Ordnung der Dinge reflektierte (la génie de la langue française). Das war eins der Verkaufsargumente für das Französische. Dazu kamen die Begeisterung für Aufklärung und, zumindest anfangs, die Französische Revolution, für die Möglichkeit, es dem Adel gleichzutun. Es gab aber auch gewichtige Gründe gegen das Französische: die Vormachtstellung des Lateinischen und die neue Begeisterung für das Griechische (durch die griechische Befreiungsbewegung). Das Französische, fand man, konnte man den Gouvernanten und Privatlehrern überlassen. Außerdem entwickelte sich neben der Frankreichbegeisterung auch eine regelrechte Frankophobie, vor allem, als Frankreich zur Besatzungsmacht wurde. Auch der einflussreiche Pietismus stellte sich gegen das Französische, die Kultur des Absolutismus und der dekadenten französischen Aristokratie. (Walter Kuhfuß „Französischunterricht um 1800 in Preußen – Von der Prinzenerziehung zum Schulfach“)

 

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Schönes Motiv?

Auf Géricaults Gemälde “Studie von abgetrennten Gliedmaßen” sieht man genau das: abgetrennte Gliedmaßen. Er hatte sich einen zerstückelten Körper ins Atelier geholt und einen Arm und zwei Beine kunstvoll auf einem Tisch angeordnet. Das Bild sieht aus wie ein gewöhnliches Stillleben. Géricault zeigt die Dinge, wie sie sind, ohne Vermittlung durch menschliche Empfindungen. (Rauterberg, Hanno: “Hoffnungsfroh verzweifelt”, in: Die Zeit 44/2013: 49)

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Unter Beobachtung

Am Radio von einem Experiment an der Universität Newcastle gehört. Die Situation: In einer Cafeteria stand ein Teeautomat, an dem man sich selbst bedienen konnte. Daneben stand eine kleine Kasse, in die man, nach eigenem Gutdünken, einen kleinen Betrag einzahlen konnte. Über dem Automaten hing ein Bild, eine Woche lang ein Bild mit Blumen, dann eine Woche ein Bild mit einem Augenpaar, dann wieder eine Woche ein Bild mit Blumen, dann wieder eine Woche eins mit einem Augenpaar, diesmal einem anderen Augenpaar. Das Resultat: Es war mehr Geld pro Tee in der Tasse, wenn das Augenpaar auf dem Bild zu sehen war, als wenn die Blumen zu sehen waren. Und es war besonders viel Geld in der Kasse, wenn das Augenpaar den Teetrinker direkt ansah. Die Schlussfolgerung: Unbewusst folgen wir einem alten Mechanismus, der uns egoistischer handeln lässt, wenn uns keiner zuguckt. Ein ernüchternder Befund. (Paál, Gábor: “Kann die Evolution unseren Geist erklären?”, in: SWR 2: Wissen, 05/10/2013)

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Würdiger Parkplatz

Auf einer Wanderung auf dem Felsenweg im Saarland entdeckt:

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Alles hängt zusammen

Für Diderot ist die Abschweifung onthologisches Prinzip, denn streng genommen gibt es sie gar nicht: Alles hängt zusammen, nichts ist ohne Zusammenhang. (Greffrath, Mathias: “Natur ohne Tod”, in: Die Zeit 41/2013: 19)

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Ekelhaft?

Ob er denn überhaupt keinen Ekel empfinde, wenn er sich mit toten Insekten, verwesenden Leichen, Blut, Schleim, Sperma, Urin. Kot beschäftige, wird der Kriminalbiologe Mark Benecke in einer Fernsehsendung gefragt. Nein, sagt der, er habe gelernt, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, in ihrer wahren Gestalt, nicht durch die menschliche Brille. Wie kommt man dazu, wie gelangt man dahin? Mark Benecke erzählt, er habe sich schon immer für die Dinge interessiert, nicht für das Menschliche drum herum. Schon als Kind habe er, wenn die Sonne schien, lieber seinen Chemiebaukasten herausgeholt als draußen herumgetobt. Er sei eben ein Nerd, er habe keine Sozialkompetenz, könne nicht Fußball spielen und sei kurzsichtig. Damit erkaufe er sich sozusagen die anderen Fertigkeiten. Er beschäftige sich auch nicht mit dem, was bei den Gerichtsverhandlungen herauskomme, in denen die Ergebnisse seiner Untersuchungen verwendet werden. Ihn interessiere nur die Wahrheit. Er wolle wissen, was wirklich geschehen sei.. Was die Menschen nachher daraus machten, das überlasse er anderen. Das sei ihm zu kompliziert. Ob es denn überhaupt nichts gebe, was ihm Ekel einflöße, wollen die Moderatoren wissen. Doch, Gewalt. Darauf reagiere er immer empfindlicher, je länger er sich damit beschäftige. (“Mark Benecke löst Mordfälle – mit Insekten!”, in: Planet Wissen, SWR Fernsehen, 25/10/2013)

 

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Contingencies

Ein Vortrag eines Anthropologen in der Uni fing mit verschiedenen Zitaten an, darunter einem von Aristoteles und einem von Nancy Sinatra! Aristoteles wurde zitiert mit seiner Aussage, die 2 sei die kleinste Zahl. Etwas für sich alleine gebe es nicht. Alles habe nur eine Identität in Relation zu etwas anderem. Hitze gebe es nicht ohne Kälte, Gesundheit ohne Krankheit, Tag ohne Nacht. Nancy Sinatra wird mit einer Zeile aus einem Lied zitiert: “You only live twice or so it seems. One life for yourself and one for your dreams”. Die Zitate waren die Einleitung für einen Vortrag über die vielen möglichen Leben, die wir alle führen könnten. Die meisten Fälle kamen aus der Arbeit des Vortragenden in Afrika. Darunter war der eines Mannes, der erfuhr, dass er AIDS hatte und beschloss, angesichts der Ausweglosigkeit der Situation – die Medikamente, die es gegen AIDS gibt, sind so teuer, dass kaum jemand sie sich leisten kann – sich das Leben zu nehmen. Er wollte sich erhängen, aber die Krawatte, mit der er das tun wollte, riss. Dann stieg er auf die Dachterrasse des damals höchsten Hauses in Kampala, um sich hinunter zu stürzen, aber die Dachterrasse war an dem Tag voller Menschen, und er zog sich wieder zurück. Dann besorgte er sich einen Kanister mit Benzin und insgesamt drei Streichhölzer. Er zündete das erste Streichholz, aber das Benzin fing nicht Feuer. Dann dasselbe mit dem zweiten, dann dasselbe mit dem dritten Streichholz. Dann stellte sich heraus, dass man ihm kein Benzin, sondern Diesel verkauft hatte. Der brennt nicht so ohne Weiteres, sondern nur, wenn er erhitzt wird. (Andrew Irwing, “The Art of Turning Right and Left: Everyday (Ad)ventures in Contingency and Necessity”)

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Serendipity

Das Reizvolle am Radio ist, dass man mit Dingen konfrontiert wird, denen man sonst nicht begegnen würde – und die man auch nicht suchen könnte. Das ist, so Norbert Bolz in einer Radiosendung (!), eine Bereicherung und verhindert das, was man heute cocooning nennt, das Zurückziehen in die eigene Welt, die ausschließliche Begegnung mit dem, was man schon immer kennt und mag. (“90 Jahre Rundfunk. Welche Zukunft hat das Radio?”, in: Forum, SWR 2, 28/10/2013)

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Englisch? Nein, danke

Hitler hatte keinen Schul- und erst recht keinen Hochschulabschluss. Er kompensierte den Mangel durch eifrige Lektüre und ein fabelhaftes Gedächtnis. Er eignete sich ein gewaltiges Wissen auf allen Gebieten an. Aber Hitlers Wissen war auch lückenhaft und selektiv. Das Minderwertigkeitsgefühl des früh Gescheiterten saß tief. Er verachtete Intellektuelle, Professoren, Lehrer. Stets gab er vor, mehr zu wissen als er tatsächlich wusste. Ungern ließ er sich auf Bildungslücken aufmerksam machen. Hanfstaengl, Unterstützer und Freund Hitlers, versuchte Hitler nach dessen Entlassung aus der Haft dafür zu erwärmen, Englisch zu lernen und bot sich selbst an, ihn zweimal pro Woche zu unterrichten, aber Hitler lehnte ab: “Meine Sprache ist Deutsch, und die genügt mir.” Selbst der Versuch, ihn zu Reisen ins Ausland zu bewegen und damit die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu erleben, schlug fehl. Von Parteigenossen erhielt er eine Einladung nach Argentinien. Heß war begeistert und ermutigte ihn, anzunehmen, aber Hitler fand immer neue Ausreden. So kam 1933 ein Politiker an die Macht, der – wenn man von den vier Kriegsjahren in Frankreich absieht – nichts von der Welt gesehen hatte. (Ullrich, Volker: „Als Hitler sich selbst erfand“, in: Die Zeit 40/2013: 17- 20)

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Land der Freiheit

Die Kontrollen bei der Einreise in die USA über sich ergehen zu lassen, erfordert viel Geduld. Das habe ich immer wieder von Freunden und Kollegen gehört, die sie über sich ergehen lassen mussten. Das bestätigt jetzt eine Autorin, die in beiden Ländern heimisch ist: Zum ersten Mal Einreisende, sagt sie, seien von dem harschen Reglement überrascht. Es gibt eine eigene Schlange für Ausländer, und man bekommt einen Rüffel, wenn man die weiße Linie überschreitet. Hinter dem freundlichen Lächeln der Beamten verbirgt sich ein strenger Blick; man ist hilfsbereit, aber wachsam: Vigilance – Service – Integrity.  So präsentiert man sich der Welt: We are the face of our nation. Mit diesem wir wird corporate identity geschaffen. (Runge, Irene:Wie ich im jüdischen Manhattan zu meinem Berlin fand. Berlin: Kulturmaschine, 2012: 10-11)

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Schleimer

Beim Aufräumen in der Küche einen thailändischen Kräutertee gefunden, der das Abnehmen fördern soll. Auf dem Teebeutel steht: Sliming.

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Wundersames Wirtschaftswunder

Das Land liegt im Trümmern. Dann kommt die D-Mark, von Ludwig Erhard eingeführt. Dann der Marshall-Plan. Kombiniert mit dem Fleiß der Deutschen bringen sie Wirtschaftswachstum: das Wirtschaftswunder. So weit die Legende. Die Wirklichkeit sah anders aus. Tatsächlich lag Deutschland nicht in Trümmern. Aber es gibt doch die Photos und Berichte von den zerstörten Städten? Ja, viele Innenstädte waren zerstört, man hat die Bilder vor Augen. Kein Stein steht mehr auf dem anderen. Aber: Das waren nur die Innenstädte. Hätte der Photograph, hätte der Kameramann sich umgedreht, hätte er lauter gut erhaltene Vorstädte vor Augen gehabt. Aber die zogen kaum die Aufmerksamkeit auf sich. Die Vorstädte, die kleineren Städte, die Dörfer waren meist völlig intakt. (Ich erinnerte mich in diesem Zusammenhang an eine Passage bei Ian McCourt, der als GI nach Deutschland kam, aufs Land in Bayern und sich verwundert die Augen rieb angesichts der adretten Dörfer, bei denen von Krieg nichts zu sehen war). Die D-Mark wurde zwar eingeführt, nach einer streng geheim gehaltenen Klausurtagung deutscher Wissenschaftler, dem sog. Konklave, aber Ludwig Erhard war auf dem Konklave gar nicht anwesend! Und die Einführung der D-Mark war längst vor dem Konklave beschlossen worden, und zwar von den Amerikanern. Sie richteten es so ein, dass die Mitglieder des Konklave den Eindruck hatten, sie hätten die Entscheidung gefällt. Den Marshall-Plan gab es nicht nur für Deutschland, sondern auch für andere Länder. Und mit dem Marshall-Plan kamen hauptsächlich Waren nach Deutschland, die die USA sonst nicht absetzen konnten, vor allem Baumwolle. Davon hatten sie einfach zu viel. Und Wirtschaftswachstum gab es auch in anderen Ländern, vor allem in Italien und Frankreich. In Deutschland war es aber tatsächlich etwas – aber nicht bedeutend – höher als dort. Das hatte aber nichts mit D-Mark und Marshall-Plan und Fleiß zu tun – auch woanders war man fleißig – sondern mit zwei spezifischen Faktoren: dem Korea-Krieg und den Flüchtlingen. Wirtschaftswachstum und Korea-Krieg? Die Alliierten brauchten Rüstungsnachschub, und nirgends gab es so viele freie Kapazitäten wie in Deutschland. Die Industrieanlagen waren nicht ausgelastet, und Deutschland bekam die Aufträge. Die Flüchtlinge, die meistens als eine Belastung wahrgenommen werden, gaben der deutschen Wirtschaft im Gegenteil einen Schub, durch ihre Arbeit und ihren Konsum. Besonders profitierte Deutschland von den gut ausgebildeten Arbeitskräften, vor allem den Ingenieuren, die aus den ehemaligen deutschen Gebieten, aber auch aus der SBZ in den Westen kam. Die wurden, wie ein Augenzeuge, selbst ein Schleuser, in der Fernsehsendung, der ich diese Informationen verdanke (Weber, Christoph: “Unser Wirtschaftswunder. Die wahre Geschichte”, in: Phoenix: 18/09/2013), berichtet, systematisch abgeworben und in nächtlichen Aktionen über die Grenze geschleust.

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Lucky Heinz

One of the slogans of the Heinz company, which for many is synoymous with ketchup, is 57 varieties. The company has used this slogan since 1896. Many think that this is the number of products the company offered when it developed the slogan, but they are wrong. The company’s founder, Henry J. Heinz, once saw an advertisement for a shop which offered twenty-one varieties of shoes. He wanted an even more impressive number but did not bother to count the products the company offered. He simply combined his own lucky number, five, with that of his wife, seven. (Hayes, Justin Cord: The Unexpected Evolution of Language. Avon: Adams Media, 2012)

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Mauer-Kick

Was machen Kinder, wenn sie eine niedrige Mauer sehen? Sie klettern rauf und laufen an der Hand eines Erwachsenen die Mauer entlang. Das machen alle Kinder bei allen Mauern, so wie alle Kinder in alle Pfützen springen. Es ist geradezu zwanghaft. Warum machen sie das? Dazu habe ich dieser Tage irgendwo eine Erklärung gelesen: Das Laufen auf der Mauer gewährt eine Erfahrung der kontrollierten Angst, eine höchst befriedigende menschliche Erfahrung. Die Mauer ist im Verhältnis zu der Größe der Kinder hoch, es ist also mit Erregung verbunden. Gleichzeitig gibt die Hand des Erwachsenen Sicherheit. Eine perfekte Verbindung. Die technisch kompliziertere Entsprechung dazu ist der Flugsimulator. Kann ja nix passieren. Aber wir erfahren, wie es wäre, wenn wir im Flugzeug säßen. Und so ist es auch mit der Literatur, von der hohen bis zur populären. Wir durchleben Erfahrungen, die wir sonst nicht durchleben würden, stellvertretend für die Protagonisten, und mit der Sicherheit, dass wir am Ende mit dem Leben davonkommen. Auch wenn der Held stirbt.

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Violence in modern media?

Take this plot: Two men kill another man, rape his bride, cut out her tongue and amputate her hands; her father kills the rapists, cooks them in a pie, and feeds them to their mother, whom he then kills before killing his own daughter for having been raped. Then he is killed and his killer is killed. A Hollywood horror movie? A modern video game? The invention of a depraved brain? No. This is the plot of Shakespeare’s Titus Andronicus. Violence as a motif in fiction has always been around. In Shakespeare as well as in Nursery Rhymes: babies fall out of trees, a little boy mutilates a dog, an old woman who lives in a shoe cruelly whips her starving children, blind mice are hacked up with carving knives, Cock Robin is murdered, and Jack smashes his skull. (Gottschall, Jonathan: The Storytelling Animal. Boston and New York: Mariner Books, 2013: 43-4 + 129-30)

 

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Male and female

Female fruit flies are larger than male (p. 69), and so are the females of the cochineal, but these have no wings, whereas the males do (p. 66); both male and female goats have beards (p. 52); male drones die of starvation because they cannot feed, and once they have done their job of mating with the queen, the female bees are happy to see them die (p. 15); only female mosquitoes suck blood, and they only do it after they have mated, for the sake of their eggs (p. 10); Asian female elephants have no tusks, though African female elephants and all male elephants do (p. 120); both leeches (p. 105) and earthworms (p. 126) are hermaphrodites but whereas with the leeches one plays the female and one the male, earthworms fertilize each other. (Chaline, Eric: Fifty Animals that Changed the Course of History. Buffalo, New York: Firefly Books, 2011)

 

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Miraculous

In Misha: A Mémoire of the Holocaust Years (1997) Misha tells the story of a little Jewish girl’s miraculous survival in Nazi Germany. Her adventures include being trapped in the Warsaw ghetto, stabbing a Nazi rapist, trekking across Europe on foot and being adopted by a pack of wolves. The problem was: none of this was true, not even the one about Misha being Jewish. Her real name was Monique de Vael. (Gottschall, Jonathan: The Storytelling Animal. Boston and New York: Mariner Books, 2013: 159)

 

 

 

 

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Life? How boring!

In George Gissing’s New Grub Street, a character named Harold Biffen writes a novel which describes the life of an ordinary grocer in absolutely realistic detail and with zero dramatic shaping. The novel is unutterably boring by design. It is about the monotony of life. The novel is a work of art but sheer drudgery to read. Disappointed in love and art, Biffen ends up poisoning himself. (Gottschall, Jonathan: The Storytelling Animal. Boston and New York: Mariner Books, 2013: 51)

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Amazing memory

The day after the space shuttle Challenger exploded in 1986, researchers asked people how they had heard about the disaster, how they felt and what they had been doing. The same people were asked the same questions two and a half years later. It turned out that, for a quarter of the people, not one detail was consistent between the two reports. On average, fewer than half of the details reported in the follow-up interview matched those reported in the original questionnaire. Not one person was completely consistent. At the same time, most people were highly confident about the accuracy of their memory. (Gottschall, Jonathan: The Storytelling Animal. Boston and New York: Mariner Books, 2013: 163-4)

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International bird

The eagle features on all US documents. It was chosen by Congress as the national bird in 1782. This is a reference to Ancient Rome, with whose virtues the founding fathers sought to associate. The eagle in Rome was, however, not a symbol of the State but an emblem of the legions. Anyway, it spawned many symbolic descendants. The eagle was the emblem of the Byzantine Empire, of the empire of Charlesmagne, of Imperial Russia, of the Austro-Hungarian Empire and the kingdoms of Poland and Prussia. (Chaline, Eric: Fifty Animals that Changed the Course of History. Buffalo, New York: Firefly Books, 2011: 103)

 

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Senior modesty

Of one million high school seniors surveyed in the US, 70% thought they were above average in leadership ability. In terms of ability to get along with others, nearly all students thought they were above average, 60% thought they were in the top 10%, and 25% thought they were in the top 1%! (Gottschall, Jonathan: The Storytelling Animal. Boston and New York: Mariner Books, 2013: 172)

 

 

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The Master and Master

A Russian friend gave me a copy of The Master and Margarita for a present, Bulgakov’s well-known novel. Whereas the English editions all seem to include the article in the title, there is variation in the German editions: Der Meister und Margarita (Luchterhand and Books on Demand) vs. Meister und Margarita (Galiani and dtv). The translator’s problem begins before the very first word of the Russian text even appears. Russian does not have any articles. But one would not conclude from this that there should be no article in the English or German translation of the novel. Indeed, there are four in this sentence from the first page of the novel: “Upon reaching the shade of the freshly budding lindens, the waiters first dashed towards a brightly painted both carrying the sign Beer and Sodas“. So the translator has to decide whether what there is not in the original is to be translated or not.

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Poor dodo

The ancestors of the dodo flew to Mauritius. There, they had no natural enemies, got larger and larger and lost the ability to fly, in an inverse evolutionary process, so to speak. When the Europeans came to Mauritius, they brought pigs, dogs, monkeys, cats and rats with them. The new immigrants found a ready supply of food in the ground nests of the dodo. Forests clearances by humans did the rest of the job. Within 80 years, the dodo was extinct. Poor dodo! (Chaline, Eric: Fifty Animals that Changed the Course of History. Buffalo, New York: Firefly Books, 2011: 183)

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Poor rat

The rat is often blamed for causing the Black Death. In reality, it was only one the carriers of the flea, which was the primary vector for bubonic plague. Poor rat! Actually, something rather similar goes for the mosquito, Anopheles gambiae, which is largely in charge of spreading malaria. Strictly speaking, it is not the mosquito itself which is responsible but a parasite. This parasite, while it causes diseases in humans, does not harm the mosquito. The mosquito ingests the malaria parasite when it feeds on an infected human. The parasite will complete its first life cycle within the mosquito and it then finds a new host when the mosquito feeds on an uninfected human. (Chaline, Eric: Fifty Animals that Changed the Course of History. Buffalo, New York: Firefly Books, 2011: 186 + 10)

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Seafarers

Both the seal and the whale are animals which left the water to live on land and then left the land and returned to the water. (Chaline, Eric: Fifty Animals that Changed the Course of History. Buffalo, New York: Firefly Books, 2011: 18 +163)

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Americans

The camel originally comes from America, and so does the wolf. (Chaline, Eric: Fifty Animals that Changed the Course of History. Buffalo, New York: Firefly Books, 2011: 40-45)

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Unfreiheit

Aus einem Radiovortrag, in dem es um Freiheit und Unfreiheit geht, nehme ich diese Gedanken mit: Wir können die Welt nie so wahrnehmen, wie sich wirklich ist. Unsere Wahrnehmung ist immer eine menschliche. Die Welt so zu sehen wie eine Heuschrecke oder ein Delphin bleibt uns versagt. Ganz abgesehen davon, dass wir nicht alles sehen und hören, was es gibt. Das menschliche Auge schließt bestimmte Frequenzbereiche aus, genauso wie das menschliche Ohr.  Dennoch glauben wir, die Welt so zu sehen, wie sie ist, eine klare Form von Selbstüberschätzung.  Man kann diese Art der Unfreiheit auch für das Verhältnis von Bewusstsein und Sprache konstatieren. Es gibt viele Dinge, über die wir nicht sprechen können. Um über Musik zu sprechen oder über unsere Gefühle, Passionen, Pläne fehlen uns oft die Worte. Wir können nicht sagen, was wirklich in uns ist, sondern nur, was immer schon gesagt wurde. Eine ähnliche Unfreiheit gibt es auch bei der Kommunikation. Durch unsere Sozialisation ist uns in Fleisch und Blut übergegangen, was man wann sagt. Wenn wir bei einer Begegnung mit einem Menschen all das sagen würden, was uns im Kopf herum geht, würde vermutlich alle Kommunikation zusammenbrechen. Auch für die Sprache selbst gilt das. Wir haben eine begrenzte Anzahl von Lauten, aus denen wir eine prinzipiell unbegrenzte Zahl von Wörtern bilden könnten. Das tun wir aber nicht. Die meisten dieser Kombinationen ergeben keine Wörter in unseren Sprachen. Die Anzahl der tatsächlich gebildeten Wörter ist vergleichsweise gering. Unfreiheit bestimmt unser Leben mehr als wir das wahrhaben wollen. Es beginnt, ganz wörtlich, damit, dass wir immer schon in eine Welt hineingeboren werden und weder unsere Muttersprache noch unser Elternhaus noch unsere Kultur oder die Zeit, in der wir geboren werden, wählen können. Die Existenz des Menschen verdankt sich nicht sich selbst (Heideggers „Geworfensein“). Das kontrastiert mit unserem Gefühl, frei zu sein. Wir haben das Gefühl, tun und lassen zu können, was wir wollen. Aber diese gewöhnliche Vorstellung verlagert das Prinzip der Freiheit nur, nämlich auf den Willen. Der äußeren Handlungsfreiheit steht die innere Willensunfreiheit entgegen.  Unser Wille ist schon da, wir können nicht entscheiden, was wir wollen. Man kann, Schopenhauer zufolge, etwas tun, wenn man es will, aber man kann es nicht wollen. Man kann zum Beispiel einem Armen Geld geben, aber  eben nur, wenn man es will. Und wenn ich es wollte, dann wäre ich nicht mehr ich, sondern ein anderer Mensch. (Eckoldt, Matthias: „Was macht uns wollen? Wie Freiheit durch Unfreiheit bedingt ist“, in: Aula, SWR 2: 15/09/2013)

 

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Chruschtschows Schuhattacke

Schon seit meiner Kindheit kenne ich die Anekdote von Chruschtschow, der bei der UNO mit dem Schuh auf das Pult schlägt. Jetzt habe ich in einer Radiosendung gehört, dass das vermutlich eine Legende ist. Jedenfalls gibt es kein Photo, das die Szene belegt und auch keinen Film, obwohl alle Kameras auf Chruschtschow gerichtet waren. Die Augenzeugenberichte sind widersprüchlich. Einige schwören, es habe mit dem Schuh auf das Pult geschlagen, andere bestreiten es, wieder andere können sich nicht erinnern und wieder andere sagen, Chruschtschow hätte sich den Schuh gar nicht ausziehen können bei seinem Umfang und dem engen Raum um das Pult herum. Auf jeden Fall hatte Chruschtschow einen inszenierten Wutanfall, ausgelöst von der Bemerkung des philippinischen Redners, die Sowjetunion beschneide die Freiheiten ihrer Bürger. Das rhythmische Klopfen, das man im Hintergrund hört, kommt allerdings nicht von seinem Schuh, sondern von dem Hammer des Präsidenten, der versucht, ihn zur Räson zu bringen. (Zudeick, Peter: “Der politische Schuh”, in: Matinee, SWR 2: 15/09/2013)

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Brussels Speak?

“An agent has precised the modalities of actual English usage that can be used within the reasonability by European actors and those engaged in planification.” At first sight, this sentence, taken from a EU document, sounds like proper English. At closer observation, there are a few oddities, things which would puzzle a native speaker of English (Riedel, Annette: “Crazy Kauderwelsch”, in: Europa Heute, Deutschlandfunk, 09/09/2013):

– The word precise is not generally used as a verb, though here it is.

– The word planification is not generally used.

– Though the word reasonable exists, the form reasonability does not.

– An agent is not just an ordinary employee, as here, but rather somebody who manages the affairs of other people in business or politics or a secret agent.

– An actor is someone who appears on the stage, not, as here, somebody who does something.

Probably EU employees understand this language more easily than ordinary people. Certain meanings have just become conventional within this context, although they are not found outside. The reason for this is mainly that French is an important language in EU bureaucracy. France is a founding member of the EU, Britain joined much later. French is often used as a lingua franca in EU circles, and many documents are originally written in French. Thus, agent and actor are closer to their French correspondents than to their use in Standard English. This is a typical feature of languages in contact, and, as such, perfectly acceptable.

 

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You say yea, I say nay

In older forms of English, a distinction was made between yea /jei/ and nay /nei/ and yes and no, the former two being used when the preceding statement contained no negative, the latter two being used when the preceding statement did contain a negative: “Myn hertes greef, mote I not wepe? – O yis.” (SOED: 2589) In this function, yes is comparable to German doch, French si or Swedish jo. The distinction became generally obsolete after 1600. It is remarkable that the “normal” form has disappeared. The “stronger”, the more emphatic form has survived. It is also remarkable that German, French and Swedish do not have a form which corresponds to no in the old sense, although they have one that corresponds to yes in the old sense.

 

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Auf den Kopf oder auf die Füße gestellt?

Adam Smith benutzt das Wort von der “unsichtbaren Hand” nur ein einziges Mal in The Wealth of Nations, auf mehr als 1000 Seiten. Immer wieder wird dieselbe Passage zitiert, und so wirkt es irgendwann, als sei das Konzept der Dreh- und Angelpunkt in Smiths Denken. Er hat das Wort auch nicht erfunden. Es war ganz gängig zu seiner Zeit und wurde meist von Predigern benutzt, die damit Gottes Wirken in der Welt beschrieben. Smith war bekannterweise ausgesprochen religionskritisch. Smith predigte auch keineswegs den Egoismus als Schlüssel zum Wohlstand. Eigeninteresse müsse langfristig ausgerichtet und von anderen “Tugenden” begleitet sein, um Wohlstand zu fördern. Die Bienenfabel kritisierte Smith jedenfalls und attackierte de Mandeville sogar, entgegen den wissenschaftlichen Gepflogenheiten der Zeit, unter Nennung seines Namens. Daraus kann man ganz andere Schlüsse ziehen, als es die Orthodoxie tut, wenn sie Smith für sich vereinnahmt. Das haben schon andere vor ihr getan: Kurz nach Smiths Tod wurde im Londoner Unterhaus der Mindestlohn diskutiert, und sowohl die Befürworter als auch dei Gegner beriefen sich auf Smith! (Fink, Pierre-Christian: “Auf der Suche nach Adam Smith”, in: Die Zeit 34/2013: 24-5)

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Zu viele Gläser Wasser

In einem Roman, den ich gerade lese, geht der Erzähler ins Bad und trinkt “zwei Gläser Wasser” (S. 78). Das, finde ich, ist unglaublich pedantisch und regelrecht falsch. Man trinkt “zwei Glas Wasser”. Der Plural ist hier völlig unsinnig. (Der Duden bestätigt mich, indem er “zwei Glas Bier” aufführt). Später im Roman gibt es “dann noch zwei Gläser Bier” (S. 295). Und um die Sache noch schlimmer zu machen, trinkt der Erzähler nach dem Essen “höchstens noch ein Glas oder zwei Gläser Wein” (S. 64). Hier will  jemand zeigen, wie wahnsinnig klug er ist und tut dabei genau das Falsche. Und um sich selbst ad absurdum zu führen, bestellt er an einer anderen Stelle dann zwei “Glas Bier” (S. 293). Da hat der Pedant nicht aufgepasst. Aus dem Klappentext erfährt man, dass der Autor Professor für Kreatives Schreiben ist. Die armen Schüler! Der gesamte Roman ist eine sprachliche Kapitulationserklärung. Alle sprechen gleich, Erzähler und Figuren, alle sprechen im Imperfekt (wo man das Perfekt benutzen würde) und im Futur (wo man das Präsens benutzen würde). Das hört sich dann so an: “… du erklärtest mir alles … deshalb bestelltest du … du erzähltest plötzlich davon … du entdecktest neben der Tür” usw (S. 232-4). Wenn wirklich jemand so spricht, möchte man dem keinesfalls zuhören. Das Liebespaar erzählt einander von “Erzählungen oder Biographien, in denen anschaulich und ruhig, prägnant und in beinahe rührender Kleinlichkeit erzählt wurde” (S. 230). Zum Weglaufen. Und fühlen sich, in wörtlicher Rede, “dem irritierenden und vielbödigen Wesen der Zeit ganz nahe” (S. 231). Da weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. (Ortheil, Hanns-Josef: Das Verlangen nach Liebe. München: BTB, 6/2009)

 

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Elbe – Nebenfluss der Moldau?

Die Mosel fließt in den Rhein. Man könnte auch sagen, dass der Rhein in die Mosel fließt, aber das hört sich irgendwie “falsch” an.  Der Rhein ist der größere Fluss und fließt eher geradeaus, die Mosel macht einen Knick. Also: Die Mosel mündet in den Rhein. Und die Moldau mündet in die Elbe. Da wird es schon etwas schwieriger. Die Elbe hat eine breitere Flussaue und scheint ihren Weg eher gerade fortzusetzen, aber die Moldau ist größer. Es könnte also auch heißen: Die Elbe mündet in die Moldau. Dann wäre die Elbe kürzer und die Moldau länger als sie ist. Sprache bestimmt.

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Tote sterben

In einer Radiosendung über die gewalttätigen Unruhen in Ägypten ist die Rede von “den Toten, die entsprechend ihr Leben verloren haben”. Entsprechend? Tote, die sterben? Ihr Leben? Warum nicht das Leben? Und warum nicht einfach: ” … die Menschen, die dabei gestorben sind”? (DLF: “Informationen am Morgen:  14/08/2013)

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Was ist ein Söller?

Im Bekanntenkreis wurde gefragt, was ein Söller ist. Ein (Landschafts-)Architekt und eine Immobilien-Expertin wussten die Antwort nicht. Meine Vermutung, dass es sich um ein Synonym von Dachboden handelt, war nur halb richtig. So wird das Wort nur regional, am Niederrhein gebraucht. In der Architektur wird es synonym zu Altan gebraucht, und das ist eine Plattform, die aus den Obergeschossen von Häusern ins Freie führt, also wie ein Balkon, im Gegensatz zu diesem aber nicht frei auskragt, sondern auf Mauern oder Pfeilern ruht. Meine Vermutung, dass das Wort etwas mit franz. sol, ‘Boden’, zu tun haben könnte, war ganz falsch; es kommt von lat. solarium, bezeichnet also einen Ort, in dem die Sonne einfällt.

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Hitler wird Deutscher

Hitler hatte bis 1932 nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Er war Staatenloser. 1925 hatte er die Entlassung aus der österreichischen Staatsbürgerschaft beantragt. Dem Antrag war stattgegeben worden. Er wurde schließlich Deutscher, indem ihn der Innenminister des Freistaats Braunschweig zum Regierungsrat ernannte und damit einbürgerte. (Weinert, Christoph, “Hindenburg”, in: Arte: 06/08/2013)

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Bye, Margaret – Hi, Meg

In the course of a day, a woman may be addressed as Margaret or Mrs Walker or Mum or Meg or dear or in other ways. Her business partner may say Good-bye, Margaret, her secretary See you tomorrow, the caretaker Bye Mrs Walker, her daughter Hi Mum, her mother Hello, dear and a friend Hi, Meg. She may respond in many different forms as well and might have addressed her daughter as Jenny or, to show that she is annoyed with her, with her full name, Jennifer. The choice of one linguistic form rather than another is a useful clue to non-linguistic information. (Holmes, Janet: An Introduction to Sociolinguistics. Harlow, England: Pearson Longman, 32008: 3)

 

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Tell Grandma what you did

Middle-class parents are much more likely to ask their children to display their knowledge (“Tell Grandma what you did on Sunday”) than working-class children. The child is used to being asked questions to which the questioner obviously knows the answer. This kind of question is used in language tests as well. As a consequence, middle-class children can manage them much better. In addition, an interviewer speaking with a middle-class accent is more likely to remind the middle-class child of a relative or acquaintance, whereas working-class children associate this accent with welfare workers and government officials – and keep a low profile, responding largely with monosyllabic words. The testing conditions are not the same for all children. (Holmes, Janet: An Introduction to Sociolinguistics. Harlow, England: Pearson Longman, 32008: 423)

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Quotengeist

In Stanford gibt es 2.210 Studienplätze für 38.000 Bewerber! Da sind die Chancen, einen Platz zu bekommen, nicht gerade gut. Und nur die Besten schaffen es. Aber, so argumentiert Josef Joffe in seiner Kolumne Zeitgeist (“Qual der Quoten”, in: Die Zeit 16/2013: 9): Es sind nicht unbedingt die Besten. Es gibt Bonuspunkte für Sportler, Musiker, Minderheiten, Kindern von Absolventen. Schwarze bekommen 230, Athleten 200 Bonuspunkte (von 1600). Die vielen Privilegien für die einen werden zu Benachteiligungen für die anderen, in diesem Falle für die Asiaten, die, wenn es nach Leistung ginge, eine viel höhere Zahl von Studienplätzen bekommen würden. Altes Unrecht wird abgeschafft und durch neues ersetzt.

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Wahrheitssuche

“Alle Theorien sind Hypothesen, alle können umgestoßen werden. Das Spiel der Wissenschaft hat grundsätzlich kein Ende. Wer beschließt, die wissenschaftlichen Sätze nicht weiter zu überprüfen, tritt aus dem Spiel aus.” So zitiert Josef Joffe in seiner Kolumne Zeitgeist (“Die Wahrheitsbehörde”, in: Die Zeit 23/2013: 9) Karl Popper im Zusammenhang mit Klimastudien, die keinen Zweifel an der Erderwärmung zulassen. Mit der Zukunft tut sich die Wissenschaft ohnehin schwer, und alle Modelle beruhen auf Annahmen und auf Daten, die falsch sein können. Der Zweifel gehört zum Geschäft. Und das gilt natürlich nicht nur für die Erderwärmung. In Seminaren sehe ich manchmal mit Verwunderung, wie Studenten eine Diskussion beenden wollen, weil man ohnehin zu keinem “Ergebnis” kommen könne. Man will etwas Greifbares, Verlässliches, Unumstößliches. Das gibt es nicht, und es wäre doch auch viel langweiliger als das immerwährende Umwenden, Überprüfen, Nachfragen.

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Wagner, Heavy Metal und Hollywood

Wagner hat uns Heavy Metal gegeben, sagt Joey Demaio von der Metal-Band Manowar. Wagner habe lauter, schwergewichtiger und dramatischer gespielt, als man sich das überhaupt bis dahin hätte vorstellen können. Demaio liegt richtig, sagt die Musikwissenschaftlerin Sabine Sonntag. Im Rheingold lässt Wagner die Musik schweigen, und nur acht Ambosse sind zu hören. Das sei Heavy Metall pur. Auch Hollywood hat bei Wagner Anleihen gemacht. Bei Harry Potters Geburt erklingt eine von der Celesta gespielte Melodie, die später immer wieder auftaucht und auf diese Szene zurückführt. Dieser Art von Signature Tune ist die moderne Adaptation von Wagners Leitmotiv. Die wichtigsten Erben Wagners in der Filmbranche sind Coppola (Apocalypse Now), Chaplin (Der Große Diktator) und Lars von Trier (Melancholia). Bei Coppola gibt es eine Szene, in der 8 Helikopter vom Himmel stürzen und den Tod bringen, in Wagners Walkürenritt stürzen 8 bewaffnete Frauen auf die Erde und sammeln tote Helden ein. (Deutschlandfunk „Wagner ist der Urvater der Filmmusik“, in: Corso. Gespräch von Marietta Schwarz mit der Musikwissenschaftlerin Sabine Sonntag: 22/05/2013)

 

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And the twain will never meet?

Im Rahmen einer wunderbaren Führung durch die Marx-Ausstellung im Stadtmuseum erfahren: Das Stadtmuseum fragte bei einem chinesischen Museum wegen einer Leihgabe für die Ausstellung an, einem großformatigen Bild. Das chinesische Museum gab seine Einwilligung. Dann aber stellte es sich heraus, dass die Transport- und Versicherungskosten zu hoch waren. Das konnte sich das Stadtmuseum nicht leisten. Darauf schrieb das chinesische Museum zurück, man werde eine kleinformatige Kopie des Originals anfertigen lassen und dem Stadtmuseum zur Verfügung stellen. Die Direktorin des Stadtmuseums schrieb zurück, herzlich dankend für das freundliche Entgegenkommen und mit der Bitte, ihr die Adresse des jetzt in den USA lebenden Künstlers zu übermitteln, damit der um seine Erlaubnis gefragt werden könne. Daraufhin eine Antwort des chinesischen Museums folgenden Inhalts: Wenn es der Wille des Volkes sei, dass das Bild in die Ausstellung komme, dann solle der Wille des Volkes geschehen. Die Erlaubnis des Künstlers brauche man dann nicht. Der solle froh sein, dass sein Bild ausgestellt werde. Und damit basta! Tatsächlich hängt das Bild jetzt in der Ausstellung.

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Marx kreditwürdig

Im Rahmen einer wunderbaren Führung durch die Marx-Ausstellung im Stadtmuseum erfahren: Nach 1989 wollte sich Chemnitz seines prächtigen Marx-Kopfes entledigen. Man wollte die Vergangenheit hinter sich lassen und bot die Büste mehreren deutschen Städten, auch Trier, zum Kauf an. Daraus wurde aber nichts. Die Büste blieb. Im Laufe der Jahre nahm dann die Wertschätzung des Kopfes wieder zu, und irgendwann wurde er unter Denkmalschutz gestellt. Als dann, nochmals Jahre später, die Sparkasse Chemnitz, wegen der Gestaltung ihrer Kreditkarten, eine Umfrage unter den Bürgern durchführte, welche historische Persönlichkeit sie am meisten schätzten, fiel die Wahl auf Marx. Seitdem ist auf den Kreditkarten der Sparkasse das Portrait von Marx zu sehen. Was der wohl dazu sagen würde?

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Complicated process

Read this text: “The process may seem complicated but actually it is not really, so long as you prepare things in advance and know what has to be done in what order. Some of the things you need you may already have, but others, of course, you may need to get. They are not always readily available and when they are they can be quite expensive. But the final result will make all the effort and cost worthwhile.” Did you have difficulty understanding it? Then add this headline: Cooking Chicken Biryani. Now read it again. (Widdowson, H.G.: Discourse Analysis. Oxford: Oxford University Press, 2007: 49-50)

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Mist Käfer?

Der Skarabäus, ein kleiner, schwarzer Käfer, der zu der Familie der Mistkäfer gehört, war den alten Ägyptern heilig. Wie wird aus einem Mistkäfer ein heiliges Tier? Bisher dachte ich immer, dafür gebe es praktische Gründe: Der Käfer räumt den Mist weg und wühlt den Boden auf. In einer Radiosendung (SWR 2: “Gepanzert und geflügelt: Käfer”, in Matinée, 09/06/2013) wurden jetzt aber ganz andere Gründe angeführt: Die Kugel, zu der der Käfer den Mist zusammenrollte, erinnerte die Ägypter an die Sonne. Noch wichtiger: Die Ägypter konnten sich nicht erklären, wie der Käfer sich vermehrte. Aus dem Nichts, aus der Kugel entsteigt plötzlich ein fertiges Lebewesen. Dafür gab es nur eine Erklärung: Auferstehung. Die neuen Käfer sind alte, wieder zum Leben erweckte Käfer. Ein kleiner, schwarzer Käfer wird zu einer mystischen Figur, zum Symbol des Sonnenlaufs und der Auferstehung. Den heutigen Ägyptern, Muslimen wie Kopten, ist der Käfer egal. Auch als Glücksbringer ist er nicht im Gebrauch. Als solcher wird er nur für die Touristen gefertigt.

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Hitlers Bart

In einer Ausstellung im Trierer Stadtmuseum sieht man in einer Photo-Collage von John Heartfield, wie Göbbels hinter Hitler steht und ihm Marx’ Bart umbindet. Die Nationalsozialisten wussten, wie sie die Gunst der Arbeiter erlangen konnten. Auch der 1. Mai wurde erst unter den Nazis als Tag der Arbeit zum Feiertag, nachdem der Versuch, einen Tag der Arbeit einzuführen, in der Weimarer Republik gleich zweimal gescheitert war.

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Arme Japaner!

Bei einer Pressekonferenz mit dem japanischen Premierminister Shinzo Abe am 7. Juni 2013 sprach der französische Präsident Hollande von der Geiselnahme in Algerien, bei der zehn Japaner ums Leben kamen. Hollande übergab dabei les condoléances du peuple français au peuple chinois. Ein britisches Journal bemerkte, dass der Präsident seinen Fehler nicht bemerkt zu haben schien, wohl aber der Dolmetscher, der stillschweigend das unpassende Adjektiv ersetzte.

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Body language

Is that language? This question was mooted in class the other day after a silent role play. The role play was initiated by two students who were “in the know” and who geared the others, who were not, in the right direction. Everything went perfectly, and the students who were not in the know perfectly understood what they were supposed to do, although not a word was spoken, not a sound was heard (except for the occasional giggling or laughter). So do we want to call this language? Isn’t the term body language used to describe this kind of interaction? The answer to this question is quite simple: It depends on what you understand by language. There are actually good reasons to make a distinction and use the more technically correct term non-verbal communication instead of body language: According to Crystal, The word ‘language’ is not being used here as strictly as in the case of speech, writing, and sign. The range of signals which can be sent using body language is highly limited and unstructured compared with the virtually limitless and complex possibilities of language proper. (Crystal, David: Dictionary of Language and Languages. Harmondsworth: Penguin, 1992). This is not to say that body language is simple. We basically have three dimensions: a) facial, b) gestural, c) postural. You can, for example, roll your eyes, raise your brows, grin, b) raise your thumb, shake your head, hold your hands up, c) nudge someone, stand at a distance, bow. In addition, your appearance is also a form a communication. You can, for example, wear a tie, have your tongue pierced, shave your head. Sometimes the term paralanguage is used to refer to this kind of communication, but more strictly paralanguage refers to voice quality (creaky voice, trembling voice, etc.) and may include pitch, volume, speed, rhythm, etc. All these communicate meaning. The range of possibilities is enormous (and includes a range of possibilities for misunderstanding), and it is more limited than verbal language. Just consider how difficult it would be to crack a joke, talk about your childhood or discuss non-verbal language without using words.

 

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Gar keiner

Die Rathauszeitung zelebriert das Ergebnis des neuesten Zensus: Trier hat mehr Einwohner als angenommen! Frauen sind in der Mehrheit: 55.000. Auch Katholiken sind in der Mehrheit: 72.000, evangelisch sind 15.000. Dann heißt es: “Die Zahl der Menschen, die einer anderen oder gar keiner Religionsgemeinschaft angehören … betrug 22.690.” Ich wundere mich über die Formulierung, aber dann merke ich, dass gar keiner zweideutig ist: Betonung auf keiner ergibt einen anderen Sinn (gar = sogar) als Betonung auf gar. Das ist vermutlich gemeint, das andere habe ich zuerst verstanden. (Stadt Trier, Rathauszeitung. Föhren: Linus-Wittlich, 2013: 1)

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Grillen in Trier

Die Rathauszeitung titelt Grillen in Trier. Ich verstehe Grillen in Trier analog zu Heuschrecken in Trier oder Zirpen in Trier oder Zikaden in Trier, aber gemeint ist so etwas wie Barbecue in Tier. Beide Bedeutungen sind möglich. Ob auch Schrullen in Trier möglich ist? Dann wären es drei. (Stadt Trier, Rathauszeitung. Föhren: Linus-Wittlich, 2013: 1)

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Schubladenproblem

Eine Auseinandersetzung über die Validität sozialpsychologischer Studien – der bekannte “Florida-Effekt”, der zum Klassiker der psychologischen Literatur gehört, konnten in Nachfolgeexperimenten nicht bestätigt werden, genauso wenig wie andere Priming-Effekte  – wirft Fragen auf, die weit über die Psychologie hinausgehen. Wie verlässlich sind Studien überhaupt? Ein zentrales Problem ist, dass spektakuläre Ergebnisse Aufmerksamkeit erregen, bei Geldgebern, Fachzeitschriften, Medien, Kommissionen. Replikationsstudien gelten daher als unattraktiv. Und negative Ergebnisse verschwinden häufig im Aktenschrank. “Schubladenproblem”, nennt man das. Ist eine vermeintliche Erkenntnis erst einmal in der Welt, ist sie schwer wieder auszulöschen – in der akademischen Diskussion ebenso wie im alltäglichen Party-Talk. (Schramm, Stefanie: “Ein einmaliges Ergebnis”, in: Die Zeit 22/2013: 38)

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Vernünfftler und Gegen-Vernünfftler

Die erste deutsche Wochenzeitung hieß Der Vernünfftler. In ihm erschien auch der erste Leserbrief überhaupt, geschrieben von einer Frau. Der Vernünfftler überlebte nur ein Jahr. Dabei hatte Matheson, der Herausgeber, anonym einen Konkurrenten auf den Markt gebracht, um Aufsehen zu erregen, den Gegen-Vernünfftler. Der schlug kräftig auf seinen angeblichen Konkurrenten ein.  Diese und andere Publikationen nannten sich Moralische Wochenschriften. Der Moralist war kein Moralprediger, sondern ein Gesellschaftskritiker. Eine Moralische Wochenschrift sollte eine Zeitung sein, die das Leben und die Gesellschaft schildert und ihr nützt und zu Themen wie Steuerhinterziehung Stellung nimmt. (Erenz, Benedikt: “Die Ur-Zeit”, Interview mit dem Pressehistoriker Holger Böning, in : Die Zeit 21/2013: 18)

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Nocebo-Effekt

Das Gegenstück zu dem Placebo-Effekt ist der Nocebo-Effekt: Wer schlimme Wirkungen befürchtet, bei dem zeigen sie sich auch. Der Effekt trat u.a. in einem Experiment auf, bei dem einer Gruppe ein Film vorgeführt wurde, der vor Infraschall warnte, der anderen Gruppe ein Film, in dem die Wirkung verneint wurde. Dann wurden die Probanden Infraschall ausgesetzt, allerdings nur die Hälfte der beiden Gruppen. Bei den beiden anderen Gruppen wurde das nur behauptet. Das Ergebnis: Unabhängig davon, ob sie wirklich Infraschall ausgesetzt waren oder nicht, klagten die Probanden, die das warnende Video gesehen hatten, vermehrt über Symptome wie Kopfschmerzen. (Drösser, Christoph: “Stimmt’s?”, in: Die Zeit 22/2013: 42)

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Out of context

When we hear context, we usually think of the immediate physical situation in which an utterance is made (or, for that matter, of the words surrounding an utterance, more technically known as co-text). Widdowson makes us see that context is often just a construct, with the physical context being irrelevant. He invites us to invisage this utterance heard in a dialogue between two friends sitting on a train: He has put it in a safe place and it will not be found. Here, clearly, the train is irrelevant. The utterance would have the same context if it was heard on the platform, in the station café or on the way to the station. (Widdowson, H.G.: Discourse Analysis. Oxford: Oxford University Press, 2007: 20)

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Lesen statt Rechnen

In einem modernen Mathematiktest, in dem lauter lebensnahe Aufgaben gestellt wurde, wurden zwei Aufgaben eingeschmuggelt, die auf exakt dieselbe Rechnung hinausliefen. Nur wurde die Aufgabe beim zweiten Mal mit drei Sätzen beschrieben statt mit zwei Sätzen – und prompt sank die Zahl der richtigen Antworten. (Drösser, Christoph: So rechnet Deutschland, in: Die Zeit 23/2013: 31)

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Peacekeeping force language

An Italian friend was walking in a park, carrying his young son, a baby, in his arms, in a bundle in front of his chest. He came across a bunch of young boys kicking a ball, and it so happened that the ball came his way, so he decided to kick it back to the boys. He did not do this particularly well, or rather too well, and managed to hit the boy who came running for the ball straight in his face. No big harm had been done but the boy immediately started crying and making a fuss. My friend immediately stepped forward to soothe the boy, trying out both his French and his German on him, the whole story happening in Luxemburg. To no avail. The boy continued crying his heart out. At that moment the boy’s mother approached, furious, giving my friend a hard time and scolding him for what he had done to her beloved son. Again, he tried to apologise and make her see that no big harm had been done. To no avail. Then, all of a sudden, he heard the boy speak to his mother, and it turned out that he was speaking Italian to her. Both the boy and the mother were Italian. Immediately, things calmed down, the boy calmed down, the mother calmed down, and they fell into a friendly, lively conversation about the world and his wife, in Italian.

 

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Faule Katholiken?

Dass es in katholischen Ländern mehr Feiertage gibt als in protestantischen, ist allgemein bekannt. Ein Kulturwissenschaftler, Peter Hersche, beziffert und erklärt das in einem Radiointerview. Bei den Reformierten gibt es traditionell gerade einmal 5-7 Feiertage pro Jahr, bei den Lutheranern 15-20, bei den Katholiken mindest doppelt so viele wie bei den Lutheranern, Sonntage nicht eingerechnet. Das hat einmal etwas mit der protestantischen Arbeitsethik zu tun, andererseits aber auch damit, dass die Industrialisierung eher in protestantischen Ländern zum Zuge kam als in katholischen. Die blieben länger durch Landwirtschaft geprägt. Und Arbeit in der Landwirtschaft, jedenfalls in der traditionellen, hat ihre natürlichen Grenzen. Zu bestimmten Zeiten kann man einfach nicht viel tun. Und das schlägt sich auch im Festtagskalender nieder: Es gibt viele Feste zu Zeiten, wo es in der Landwirtschaft wenig Arbeit gab und wenige Feste zu Zeiten, wo es in der Landwirtschaft viel Arbeit gab, z.B. zur Aussaat und zur Ernte. (“Ganz schön üppig”, in: Matinée, SWR 2: 05/05/2013)

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Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?

“Worauf gründet sich die Hoffnung”, fragt ein Radiomoderator, “dass man sich bei dem Konflikt im Nahen Osten vielleicht einer friedlichen Lösung annähern könnte”. Das ist mir zu umständlich. Als erstes würde ich vielleicht streichen. Das ist im Konjunktiv, in könnte, enthalten. Ich würde aber auch den Konjunktiv vermeiden. Es handelt sich ja um eine Hoffnung. Dann ist der Satz einfacher und zeigt erst ganz deutlich seine Schwächen: “Worauf gründet sich die Hoffnung, dass man sich bei dem Konflikt im Nahen Osten einer friedlichen Lösung annähert.” Es besteht aber doch keine Hoffnung auf Annäherung. Wenn man sich einer friedlichen Lösung annähert, gibt es immer noch keinen Frieden. Die Hoffnung richtet sich auf Frieden, nicht auf eine Annäherung an den Frieden. Und auch nicht auf eine friedliche Lösung, sondern auf Frieden. Also: “Worauf gründet sich die Hoffnung auf Frieden im Nahen Osten?”. Das ist klarer und besser.

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The name of the Lord

Jehovah is said to be a false reading of the Hebrew name of God, Yahweh. This developed from the sacred tetragrammation YHVH. As it was considered too sacred to pronounce, the vowels of Adonai, another word for ‘God’, were inserted to give the substitute name Yahovah. At least, this is the explanation provided in one source. (Room, Adrian: A Dictionary of True Etymologies. London, Boston and Henley: Routledge & Kegan Paul, 1986: 92). Other sources are rather more cautious in their explanations but several point in the same direction.

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Süß, diese Kinder

Ein deutsches Kind verzehrt pro Jahr mehr Süßigkeiten, als es wiegt. (“La dolce vita”, in: Matinée. SWR 2: 28/04/2013)

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Taxicab

They say that it was a certain Harry Nathaniel Allen of New York who imported 600 cars from France for his transport company. From taximeter cabriolet he coined the word taxicab. This was then further clipped, at the end in Britain, at the beginning in America, thus giving taxi and cab! A cabriolet was a horse-drawn carriage, from French cabrioler, ‘leap’, ‘caper’, ultimately going back to Latin capreolus, ‘roebuck’ (which is also at the bottom of German Kapriolen!). Taximeter is an adaptation of French taximètre, from German taxameter, coined on the basis of Medieval Latin taxa, ‘tax’, ‘charge’ and Greek metron, ‘measure’. The OED describes the uncertainty when it came to naming the new invention: “Every journalist … has his idea of what the vehicle should be called. It has been described as the (1) taxi, (2) motor-cab, (3) taxi-cab, (4) taximo … (7) taximeter-cab. (Daily Chronicle 26 Mar 1906: 6/7)

 

 

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Arroba

Im Italienischen heißt es chiocciola, im Spanischen arroba, im Schwedischen snabel-a, im Deutschen benutzen wir meist nur das schnöde at für das @-Zeichen. (Zur Not gibt es immerhin den Klammeraffen). Beim Herumstöbern im Internet habe ich gesehen, dass es im Zusammenhang mit Computern schon 1972 zum ersten Mal auftaucht und auf einer Schreibmaschine schon 1902. Außerhalb der Computerwelt hat es natürlich eine noch längere Geschichte und wurde im spanisch-portugiesischen Raum als Hohlmaß oder Gewicht benutzt, auch damals schon unter dem Namen arroba. Das Wort taucht auch in meinem vorsintflutlichen spanischen Wörterbuch auf. Ursprünglich war es vermutlich eine Ligatur von <a> und <d>. Jedenfalls lässt die Form des Zeichens das vermuten. Wenn das stimmt,  hat sich beim (lautlich bedingten) Übergang von lateinisch ad zu englisch at die Bedeutung ziemlich verändert, von ‘hin’ zu ‘bei’.

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Absatzgebiet

Im Fremdsprachenwörterbuch Absatz nachgeschlagen und dabei gemerkt, was für ein facettenreiches Wort es ist: Schuhe haben Absätze, Texte haben Absätze, Treppen haben Absätze, Märkte haben Absätze.

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Der Müller Simon

In einer Erzählung von Frank Meyer, dem Trierer Stadtschreiber von 2012, lacht einer der Jungen, um die es in diesen Erzählungen geht, über die Dämlichkeit seines Freundes, den Müller Simon einfach Herr Müller zu nennen (S. 57). Er glaubt nämlich, dass mit Müller Simon, wie das auch im Hochdeutschen der Fall ist, der Beruf gemeint ist (wobei, zur zusätzlichen Verwirrung, Simon Vor- oder Nachname sein könnte). Im Saarland, wo die Geschichte spielt, ist es allerdings üblich, den Vornamen hinten den Nachnamen zu stellen (womit er seine eigene Bezeichnung Vorname Lügen straft), so dass mit Müller Simon zweierlei gemeint sein kann: Wo hattest du denn überhaupt das Gewehr her? … – Vom Müller Simon.  Du weißt doch, dass der Müller damals dieses Problem hatte (S. 89) . Ähnlich verhält es sich bei einem anderen Mann, der in dem Ort wohnt: Weißte noch, wie wir damals dem Wagner Hans das kleine Stallfenster eingeworfen haben? (S. 63). In diesem Fall stellt sich aber heraus, dass der Müller Simon nicht nur Müller ist, sondern auch so heißt! (S. 57). Das geht natürlich nur wegen der saarländischen Konvention, Vor- und Nachnamen miteinander zu “vertauschen”. Eine Eigenart, die das Saarländische (und das Bayerische – die Älteren werden sich an den Maier Sepp erinnern) mit der Standardform anderer Sprachen teilt wie dem Ungarischen und dem Japanischen! (Meyer, Frank: Es war mir, ehrlich gesagt, völlig egal. Weimar: Bertuch, 2008)

 

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Is he Jewish?

Die Frage Is he Jewish? kling in Manhattan ganz anders als Ist er Jude? in Berlin. Umstand, Ort, Biographie bedingen, wie die Frage wirkt. So argumentiert eine sowohl in Manhattan als auch in Berlin heimische Autorin. Man könnte noch hinzufügen: Frequenz spielt eine Rolle. Je geläufiger eine Frage ist, umso weniger markiert ist sie. (Runge, Irene: Wie ich im jüdischen Manhattan zu meinem Berlin fand. Berlin: Kulturmaschine, 2012: 8.)

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Rücktritt des Papsttums?

Der alte Papst, so ein Radio-Reporter, habe den Rücktritt des Papsttums in Spiel gebracht. Wie bitte? Wie kann das Papsttum zurücktreten? Was hat er ins Spiel gebracht? Das ist formuliert nach der Devise Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht? Da predigen wir unseren Studenten einfache Sprache, und die Journalisten gehen mit schlechtem Vorbild voran. Gut, dass die Studenten kein Radio hören.

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Chinesicher Dampfwagen

Von einem Freund gelernt: Das chinesische Wort Qi-Che bedeutet ‚Dampfwagen‘. Es wird üblicherweise für den PKW benutzt: Was für einen Qi-Che hast du? Was aber, wenn das Wort in einem Text von 1904 vorkommt? Typisch Sprachwandel: Das Wort hat einfach seine Bedeutung geändert. Damals bedeutete es ‘Zug’. Der heißt heute nicht mehr Dampfwagen, sondern Feuerwagen. Die Sprache wurde der technischen Entwicklung angepasst. Da war der Dampfwagen „frei“ und bekam eine neue Bedeutung: ‘Auto’.

 

 

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Echt blöd

Blöd aufgehende Gerste. Blöder Boden. Blöde Suppe. So hieß es in einer Radiosendung. Was war denn an denen blöd? Sie waren blöd in des Wortes ursprünglichem Sinne: leicht, schwach und, bei der Suppe, ungesalzen. Ein blöder Mensch konnte ziemlich klug sein, aber er war unbeholfen und gehemmt, ein Vorgänger des Nerd. (Alt, Peter-André: “Blöd”, in: 100 Grimmsche Wörter. Deutschlandradio Kultur, 11/04/2013)

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Wunschwelt

Was immer man gegen den Fußball einwenden mag, er gibt uns Einblick in die Volksseele: Mein Heimatverein, der in der vierten Spielklasse herum dümpelt, irgendwo im Mittelfeld, lässt auf seiner Internetseite die Anhänger das nächste Spiel voraussagen: Sieg, Unentschieden oder Niederlage? Von den letzten drei Spielen wurde eins verloren, eins endete Unentschieden, eins wurde gewonnen. Auf der Internetseite prophezeiten 78% einen Sieg für das erste Spiel, 73% für das zweite Spiel und 49% für das dritte Spiel. Die Niederlage sagten 16% voraus, das Unentschieden 7%. Überhaupt sollte man, wenn man Fußballwetten macht, Unentschieden voraussagen. Das scheint in die Welt des Fußballmenschen nicht hineinzupassen. (Als Student habe ich einmal eine gut dotierte Wette gewonnen, indem ich ein 0:0 vorausgesagt habe. Alle anderen hatten hohe Siege für die eine oder andere Mannschaft). Sogar Niederlagen werden öfter prophezeit als Unentschieden. Insgesamt aber überwiegt die Zuversicht. Trotz aller widriger Umstände, trotz aller negativen Erfahrungen: Das nächste Spiel wird ein Sieg. Was ist das? Zweckoptimismus? Verkennung der Wirklichkeit? Verdrängung? Vor allem das letzte, vermutlich.

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Langustenplage?

In einer spanischen Ausgabe des Alten Testaments las ich dieser Tage im Buch Amos von Langusten, die der Herr dem Volk Israel als Strafe schicken wollte. Die Langusten, hieß es, fräßen die Feigenbäume und Weinstöcke ab (Am 4.9). Kam mir unbekannt vor, und ich konnte mir so eine Plage auch nicht vorstellen. Die Lösung ist einfach: Im Spanischen bedeutet langosta sowohl ‘Languste’ als auch ‘Heuschrecke’. Es war die Heuschreckenplage.

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Alter Mann ist kein D-Zug

Alter Mann ist kein D-Zug, sagten alte Männer, als ich Kind war. Dieser Tage sprach ein Freund von etwas, das “schneller als ein D-Zug” war und machte im gleichen Moment einen Rückzieher: Das sagt man in Zeiten von ICE und TGV wohl nicht mehr. Vielleicht, klingt veraltet. Aber sonst halten sich in der Sprache oft Ausdrücke, die ihre Basis in der Wirklichkeit eingebüßt haben. Wir sprechen weiterhin vom Zollstock, vermute ich. Und wie ist es mit dem Geld? Wer den Pfennig nicht ehrt, … auf Heller und Pfennig, der Groschen ist gefallen. Sagt man das noch?

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Osterhase

Die Tradition der Bemalung von Ostereiern hatte zunächst rein praktische Gründe: Sie
ermöglichte die Unterscheidung der in der Fastenzeit gelegten, aber nicht verzehrten Eier
von den frisch gelegten. Bemalte Ostereier wurden auch als magische Düngemittel in
Ackerfurchen gelegt, um eine reiche Ernte heraufzubeschwören. Kinder, die am Acker
vorbeikamen, sahen die bemalten Eier in den Furchen und die hoppelnden Hasen auf dem
Acker. Da war es nicht weit bis zu der Vorstellung, dass der Osterhase die Ostereier
bringt! (SWR 2; “In Schale. Alles vom Ei”, in: Matinée, 31/03/2013)

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Asien oder Europa?

Kasachstan spielt bei der WM-Qualifikation gegen Deutschland, in einer Euro-Gruppe. Europa? Kasachstan grenzt an China! Da meint man, das wäre in Asien. Aber: Kasachstan gehört zu den zehn größten Flächenstaaten der Welt, und auch wenn es zum allergrößten Teil in Asien liegt, wird ein kleiner Teil, der westlichste Zipfel, Europa zugerechnet. Tatsächlich spielte Kasachstan früher in einer Asien-Gruppe. Warum das wohl geändert wurde? Als Konsequenz daraus musste man jetzt um Mitternacht spielen, damit das Spiel zu einer geeigneten Zeit in Europa übertragen werden konnte. Sonst “verkauft” es sich nicht.

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Neue Christenverfolgung

Das Wort Christenverfolgung hat, wie in einer Besprechung von Karlheinz Deschners Kriminalgeschichte der Christenheit, dessen letzter Band gerade erschienen ist, deutlich wird, zwei mögliche Bedeutungen: Die Christen können die Verfolgten, aber auch die Verfolger sein, Verfolgung der Christen kann als Genitivus obiectivus, aber auch als Genitivus subiectivus verstanden werden. Wie selbstverständlich nehmen wie die erste Bedeutung an. Die Geschichte spricht eine andere Sprache. (Lütkehaus, Ludger: “Blutspur durch die Jahrhunderte”, in: Die Zeit 13/2013: 20).

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Dein Name sei nicht Ulrica

Der Protagonist einer italienischen Kurzgeschichte, die ich gerade gelesen habe, entwickelt schon in der Schule eine Aversion gegen den Buchstaben U. Weder die Form noch der Klang gefallen ihm, und es fällt ihm schwer, den Buchstaben richtig zu schreiben. Aus der Aversion wird eine Obsession.  Er streicht jedes U in den Heften seiner Mitschüler aus und wird von der Schule verwiesen. Später gelingt es ihm, in die Schule zurückzukehren, aber er wird wieder verwiesen, weil er weitere Aktionen gegen das U unternimmt, wird wieder zugelassen und dann endgültig verwiesen. Er schreibt eine Kulturgeschichte des U und demonstriert, dass alles menschliche Unglück ursächlich damit zusammenhängt, schafft es aber nicht, die Abhandlung zu publizieren. Dann verliebt er sich in eine junge Frau, die ebenso schön wie gut ist, muss aber feststellen, dass sie Ulrica heißt und trennt sich daraufhin von ihr. Das wiederholt sich mit der nächsten Freundin, Giulia, aber dann lernt er endlich Annetta kennen. Sie beschließen, zu heiraten, aber auf dem Standesamt muss erfahren, dass Annetta ihr Kosename ist und sie tatsächlich Susanna, Susannetta heißt. Und außerdem fünf weitere Vornamen hat: Postumia Uria Umberta Giudetta Lucia. Er zerreißt den Ehevertrag und kehrt zu Ulrica zurück. Sie heiraten. Er versucht, sie dazu zu bewegen, ihren Namen zu ändern, aber sie lächelt nur still und antwortet nicht. Auch ein zweiter Versuch misslingt, und beim dritten Mal wird er rasend, stürzt auf sie und schlägt mit einem Stock auf sie ein. Er wird festgenommen und in ein Irrenhaus eingewiesen. (Tarchetti, Iginio Ugo: “La lettera U”, in: Capricci. Skurrile Geschichten. Herausgegeben von Ragni Maria Gschwend. München, dtv, 2009: 106-123)

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Thoughtless. Meaningless

In a recent farewell lecture, a colleague argued that, in their studies of language, Skinner ignored thought, the most important faculty (or activity?) of the human brain, Chomsky ignored meaning, the central aspect of language. This, of course, is a valid piece of criticism, and it makes the approaches look almost absurd. However, one could claim that both knew what they were doing, that both decided to ignore what they ignored in order to make substantiable claims about other aspects.

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Persona

In einer Rezension eines neu erschienenen Buchs zur Kulturgeschichte des Gesichts im Radio gehört: Das Portrait einer unbekannten jungen Frau wurde von Ghirlandaio mit einer Vorsatztafel versehen, die man beiseite schieben musste, um das Portrait zu sehen. Auf der Vorsatztafel erscheint eine Maske mit der Inschrift Sua cuique persona – Jedem seine Maske, eine Erinnerung daran, dass wir der Welt eine Maske präsentieren, und eine Absage an eine einfache Vorstellung von Identität. Auch ein Portrait ist keine Darstellung, sondern eine Fiktion, eine Maske, eine Inszenierung. (“Kritik”, in: Deutschlandradio Kultur am 18/03/2013)

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Pfarrers Kinder, Müllers Vieh

Was haben Telemann und Praetorius, Lessing und Claudius, Lichtenberg und Wieland, Jean Paul und Hesse, Dürrenmatt und Delius, Schinkel und Jung, Ingmar Bergman und Albert Schweitzer, Nietzsche und Benn und Schleiermacher und auch Horst Wessel miteinander gemeinsam? Sie alle waren Pfarrerssöhne. Zu ihren Schwestern gehören Angela Merkel und Gudrun Ensslin. “Pfarrers Kinder, Müllers Vieh, gedeihen selten oder nie”? (Dieckmann, Christoph: “Eine feste Burg,” in: Zeitmagazin 12/2013: 16-27)

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Chinesischer Papst?

In der Presseschau gehört: Nur neun Stunden lagen zwischen der Wahl des neuen Papstes und der Wahl des neuen chinesischen Präsidenten, des Präsidenten eines Volkes, dem mehr Menschen angehören als der katholischen Kirche weltweit.

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Smending

During a seminar on language change, students in their presentation asked the other students to come up with a new words for new concepts, one for ‘the affliction of dialling a number and forgetting whom you were calling’ and one for ‘ending a relationship via text message’. The students came up with phonesia, phonementia, Alzheimer’s caller and phomemlack for the first and with brext up, smend, smsbreakupbumes (break-up-message), text-ex and celldumping for the second.

 

 

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Angeschwärzt

Es gibt einen Ort auf der Welt, wo McDonalds nicht in seinen traditionellen Farben auftritt. Das ist in Istanbul. Die McDonalds-Filiale in der Nähe des Beiktas-Stadions wurde immer wieder von Besiktas-Anhängern verunstaltet, denen die Farben Rot und Geld, die Farben des ungeliebten Konkurrenten Galatasaray, ein Dorn im Auge waren. McDonalds gab am Ende nach und ersetzte Rot und Gelb durch Schwarz. Schwarz und Weiß sind die Farben von Besiktas.

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That is the question

During his farewell lectures, a colleague said that students, when dealing with non-fictional texts, should not ask What does the author want to tell me? but What question does the author try to answer? Good advice.

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Trinkfreudige Ahnen

Dass wir Alkohol überhaupt vertragen können, haben wir unseren trinkfreudigen Ahnen zu verdanken. Die tranken lieber Wein und Bier als Wasser. Aus Gesundheitsgründen. Der Alkohol diente als Desinfektionsmittel gegen verseuchtes Trinkwasser. In England lag der Konsum im 17. Jahrhundert bei drei Litern pro Person – Kinder eingeschlossen! Täglich, versteht sich. Da haben sich Genvarianten durchgesetzt, die uns heute das Trinken erlauben. Das gilt allerdings nicht für die ganze Welt. In Asien wirkte die Evolution möglicherweise genau umgekehrt: Wo Hepatitis verbreitet ist, bedeutet Alkohol ein zusätzliches Risiko. Deshalb sind viele Asiaten nicht besonders trinkfest. (Kleins, Stephan: “Die Evolution ging ins Auge”. Wissenschaftsgespräch mit Detlev Ganten, in: Zeitmagazin 11/2013: 22-30)

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Grammatikstunde

Genitiv ins Wasser, weil es Dativ ist.

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Armutszeugnis

Der Passus “Das Privatvermögen in Deutschland ist sehr ungleich verteilt” wurde auf Drängen des Finanzministers aus dem Armutsbericht der Bundesregierung gestrichen. Das hießt natürlich nicht, dass es nicht stimmt. Die Zahlen sprechen für sich: 10% der Bevölkerung besitzt 50% des Privatvermögens, 50% der Bevölkerung besitzt 1% des Privatvermögens!

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Mein Name sei Mark Twain

Die ganze amerikanische Literatur, befand Hemingway, leite sich von einem einzigen Buch ab, Mark Twains Huckleberry Finn.  Trotz des Lobs empfahl Hemingway, die Lektüre an der Stelle abzubrechen, wo man dem Jungen den Neger Jim fortnimmt. Der Rest sei Schwindel. Mark Twain, der eigentlich Samuel Langhorn Clemens hieß, verbrachte seine Kindheitsjahre in Hannibal am Mississippi, und immer wieder greift er in seinen Büchern die Kindheitserinnerungen aus Hannibal auf. Auch sein Pseudonym entnahm er der Landschaft seiner Kindheit. Mark Twain, ‘Marke zwei’, riefen die Lotsen auf dem Mississippi, wenn der Fluss die nötige Tiefe hatte. Das Lot markierte zwei Faden und das bedeutete, dass das Schiff zwölf Fuß Wassertiefe unter dem Kiel hatte und sicher war.  Ayck, Thomas: Mark Twain. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 6/2000: 10)

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Mein Name sei Gottlieb

Er besuchte nie eine Schule, er wurde im zweiten Studienjahr wegen Bummelei von der Universität verwiesen und mit einem Fußtritt des Oberküchenmeisters Graf Arco aus dem Dienst des Erzbischofs Colloredo entlassen: Johannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus Mozart. Kommt einem bekannt vor. Nur: Wo ist der Amadeus? Er ist da, aber man sieht es nicht so ohne weiteres. Es ist die latinisierte Form von Theophilus, die Mozart selbst aber so nie benutzte: In Italien nannte er sich Wolfgango Amadeo und später Wolfgang Amadé. Ursprünglich hatte er die griechische Form ins Deutsche übertragen und sich Gottlieb genannt. (Hennenberg, Fritz: Wolfgang Amadeus Mozart. Reinbek bei Hamburg, 1992: 7)

 

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Mein Name sei Luther

Er hat die 95 Thesen nie angeschlagen, er hat nie gesagt „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, er hat nicht die erste deutsche Bibelübersetzung geschaffen – es gab schon vierzehn oberdeutsche und vier niederdeutsche Vollbibeln! – und er hieß noch nicht einmal Luther. Bis zu seinem 24. Lebensjahr hieß Luther nämlich Luder. Zum ersten Mal unterschreibt er mit Luther einen Brief an Erzbischof Albrecht, und zwar 1517, dem Jahr der Veröffentlichung der Thesen. Luther war die Kurzform für den griechisch-lateinischen Namen Eleutherius, ‚der Freie‘, der ‚Befreite‘, und diese Form benutzte er dann tatsächlich kurz darauf in einem Brief an einen Erfurter Freund. Das war einmal so Usus, den eigenen Namen nach Humanistenmanier zu antikisieren. Luther verband damit aber eine elektrisierende Botschaft: Er gab zu verstehen, dass er sich befreit fühlte, befreit von den Fesseln der scholastischen Theologie, aus der Furcht vor den Kirchengewaltigen, aus der Angst vor einem rächenden Gott. (Feldmann, Christian: Martin Luther. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2009: 7-10, 35-6)

 

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Mein Name sei Gutenberg

Welcher Mann wurde von einem amerikanischen Magazin zum Mann des Jahrtausends gewählt? Johannes Gensfleisch! Besser bekannt ist er allerdings unter dem Namen Johannes Gutenberg. Sein Geburtsname war allerdings Gensfleisch, und so nannte sich sein Vater sein Leben lang. Gutenberg war ein Namenszusatz, eine Ortsangabe, den die Familie erst ab den Zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts benutzte. Der Familie gehörte der Hof zum Gutenberg in Mainz, der heute nicht mehr existiert. Es war ein gotisches Gebäude mit zwei Stockwerken und bot Platz für mehrere Familien und mit ziemlicher Sicherheit auch für die Setzer- und Druckerwerkstatt. (Füssel, Stephan: Johannes Gutenberg. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1999: 19-20)

 

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Spanische Grippe?

Die Spanische Grippe forderte zwischen 1918 und 1920 weltweit zwischen 50 und 100 Millionen Tote! Ihr Name ist irreführend, denn sie breitete sich bis zur Arktik und zu den entferntesten Inseln aus und hatte weder ihr Zentrum noch ihren Ursprung in Spanien. Sie war in den USA und in den anderen Teilen Europas aufgetreten, bevor sie Spanien überhaupt erreichte. Spanien, im 1. Weltkrieg neutral, wurde für seine Ehrlichkeit bestraft, denn es war das Land, in dem es keine Zensur gegen Nachrichten über das Auftreten oder die Verbreitung der Epidemie gab. Deshalb kamen die zuverlässigsten Nachrichten über die Epidemie aus Spanien.

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Schnelle Veränderung

Der erwachsene Goethe erlebte die Gründung der USA, die Französische Revolution, das Ende des Deutschen Kaiserreichs, den Aufstieg und Fall Napoleons, die Entdeckung der Dampfkraft, den Beginn der Industriellen Revolution, das Aufkommen der Romantik, das Erwachen der Demokratiebewegung und den Biedermeier, der das Glück im Privaten statt im Öffentlichen suchte. Und wir sprechen immer von der so schnell sich ändernden Gegenwart. Stimmt das überhaupt? In meinem Leben sind bisher das Ende des Sozialismus und die Computerrevolution die einzigen einschneidenden Ereignisse.

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Wachstumsrückgang

Der von einer Werbeagentur erfundene, auf statistischen Werten beruhende 18- jährige Durchschnittsdeutsche, Jan Müller, ist 1,81 groß. Wilhelm Müller, sein Pendant um die Jahrhundertwende, war 1,67 groß. Um 1950 lag die Durchschnittsgröße bei 1,74, um 1980 bei 1,79. Wir werden langsamer größer. (Uchatius, Wolfgang, “Jan Müller hat genug”, in: Die Zeit 10/2013: 17-19)

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Vatikanisches Vatizinium

Bei einer Geburtstagsfeier am Aschermittwoch sahen wir in der Küche des Gastgebers einen Kalender für das Jahr 2013, mit einer Karikatur für jeden Tag. Der Gastgeber zeigte uns die Karikatur des 11. Februar. Da sieht man den Papst mit seinem Lottozettel vor dem Fernseher sitzen. Im Fernsehen läuft die Übertragung der Lottozahlen, und die Zahlen sind genau dieselben wie die auf dem Lottozettel des Papstes: 6 Richtige! In der Sprechblase steht: “Morgen trete ich zurück!”

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Katholisch?

1) Die Hälfte aller Katholiken kommt aus Lateinamerika.
2) 61 von 117 Kardinälen des Kardinalskollegiums kommen aus Europa.

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Mein Name sei Strindberg

August Strindberg (der seinen Vornamen selbst Ågust aussprach) behauptete sein Leben lang, er habe lappländisches Blut in seinen Adern und deshalb Talent zum Zaubern. Sein Urgroßvater kam aus dem Ort Strinne in der Nähe von Kramfors in Västernorrland, und daher leitet sich der Nachname ab. Edvard Munch schrieb den Namen auf seinem berühmten Portrait von Strindberg falsch: Stindberg. Man glaubt, dass das kein Versehen war: stind bedeutet ‘dick’ oder ‘geschwollen’ im Norwegischen. (Ekdal, Niklas & Karlsson, Petter: Historiens 100 viktigaste svenskar. Stockholm: Forum, 2009: 393-4)

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Gleiche Ungleichheit

Die ungerechte Verteilung von Reichtum und Armut ist in Deutschland, trotz der sich verändernden absoluten Werte, in all den Jahrzehnten stabil geblieben: Bei den Einkommen entfällt 43% auf das obere Fünftel der Bevölkerung, 7% auf das untere, den Rest teilt sich der Rest. Daran hat sich seit den Fünfziger Jahren so gut wie nichts geändert. Bei den Vermögen ist die Ungleichheit auch insgesamt stabil geblieben, hat sich aber noch verschärft: Vor 40 Jahren fielen 44% auf das obere Zehntel, heute sind es 66%. Das Privatvermögen ist in den letzten fünf Jahren von 4,5 Billionen Euro auf 9 Billionen Euro gestiegen. So stand es in dem Armutsbericht, der der Bundesregierung vorlag. Die aber entschied, das lieber herauszustreichen, eine Intervention, die dem Leser eine wichtige Information vorenthält – und damit eine Idee davon, wo was zu holen wäre. (Wehler, Hans-Ulrich: „Wachsende Ungleichheit“, in: Die Zeit 7/2013: 47)

 

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Chinesische Bananen

Chinesen nennen andere Chinesen, die im Ausland leben oder mal gelebt haben, bananas: außen gelb, innen weiß! (Schmitt, Cosima: “Shoppen bis zum Abflug”. Interview mit Wasim Hussain, in: Die Zeit 7/2013: 59) Als ich das einem Freund erzähle, hat er noch eine andere Frucht zu bieten: In Italien nannte man die frühen Grünen cocomero, ‘Wassermelone’: außen grün, innen rot!

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Madison Square Station

Der Grand Central Terminal von New York, für dessen Architektur ein Pariser Opernhaus Modell stand, feiert den 100. Jahrestag seiner Erbauung. Es könnte aber auch der 50. Jahrestag seiner Rettung sein. Er sollte abgerissen werden, genauso wie sein Pendant, die Pennsylvania Station, abgerissen worden war. Auf deren Terrain steht jetzt der Madison Square Garden. (Bartmann, Christoph: “Große Halle des Volkes”, in: Die Zeit 6/2013: 61)

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Die chinesische Neun

In der Verbotenen Stadt in Peking begegnet man immer wieder der Zahl 9, der Zahl des Kaisers: 9 symbolische Figuren stehen auf den Dächern der Paläste, 9 Säulen tragen den Thronsaal, 9 Drachen bewachen den Thron, das “Zentrum der Mitte”. Die Verbotene Stadt soll 9,999 Räume haben, nicht 10,000. Die Zahl 10 war dem Himmel vorbehalten.

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Soja vor Zitrone

Schon unter Kaiser Yonle aus der Ming-Dynastie, hundert Jahre vor Kolumbus, führte China große Entdeckungsfahrten durch. Dabei gelangte man an die Südküste Indiens und die Ostküste Afrikas. Man hatte Soja an Bord und pflanzte es sogar an Bord an. Damit hatte man eine Lösung für ein Problem gefunden, mit dem die Europäer noch lange zu kämpfen hatten: Soja verhinderte Skorbut.

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Trimurti

Bei der Reisevorbereitung schon wieder auf eine Dreieinigkeit gestoßen (nach der christlichen, der römischen und der ägyptischen), die indische Trimurti: Vater, Sohn  und Heiliger Geist, Jupiter, Juno und Minerva, Isis, Osiris und Horus, und jetzt Brahma, Vishnu und Shiva. Brahma ist der Schöpfer, Vishnu der Erhalter, Shiva der Zerstörer und Erneuerer. Die Besonderheit der indischen Götter ist, dass auch sie wiedergeboren werden und in immer neuen Inkarnationen auftreten. So sind Rama, Krishna und Buddha alle Inkarnationen ein und desselben Gottes, Vishnu. (Barkemeier, Martin & Barkemeier, Thomas: Rajastan. Bielefeld: Reise-Know-How-Verlag, 8/2009: 150-1)

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Boston, Oregon?

Früher dachte ich immer, Portland läge an der Ostküste. Dann stellte ich fest, dass Portland an der Westküste liegt. Jetzt habe ich endlich gemerkt, dass Portland an der Ostküste und an der Westküste liegt: Portland/Maine und Portland/Oregon. Das hat seinen Grund: Als zwei frühe Siedler aus dem Osten, F.W. Pettygrove und Asa Lovejoy, entschieden, aus einer Siedlung zwischen Oregon City und Fort Vancouver eine Stadt zu machen, konnten sie sich nicht auf einen Namen einigen. Sie warfen eine Münze, und Pettygrove gewann. Er entschied, die neue Stadt nach seiner Heimatstadt zu benennen: Portland. Hätte Lovejoy gewonnen, hieße Portland heute Boston! Die Münze, die zur Namensfindung beitrug, existiert angeblich noch heute und kann als Portland Pennie im Museum besichtigt werden.

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Akademischer Beistand

In früheren Jahrhunderten war die Promotion der übliche Abschluss und nicht besonders hochwertig. Bei Juristen und Medizinern wurde sie als Vorbereitung auf das Staatsexamen abgelegt, nebenbei sozusagen. Die Doktorarbeiten waren oft nur wenige Seiten lang und verlangten keine besondere Forschungsleistung. Es wurde auch kräftig geschummelt. Man ließ Doktorarbeiten schreiben. Teilweise waren es sogar die Professoren selbst, die die Arbeiten schrieben. Deren Gehalt war so niedrig, dass sie sich damit das Verdienst aufbessern konnten. Es gab auch die Promotion in absentia. Doktoranden reichten ihre Arbeit ein, schickten dann aber einen Vertreter in die mündliche Prüfung, der die Arbeit verteidigte. Auch das wurde wegen des Geldes gemacht. Je mehr Doktoranden, umso mehr Gebühren. Und die gingen damals direkt an die Universität. (Peters, Benedikt: “Ghostwriter waren früher akzeptiert”. Interview mit dem Bildungsforscher Rüdiger vom Bruch , In: Die Zeit 6/2013: 68)

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Falsch gedacht

Das Sterbehaus Luthers ist nicht das Haus, in dem Luther starb! Luther war nach Eisleben gereist, 1546, um in einem Erbstreit zu schlichten. Die Sache war strapaziös und zog sich hin. Luther ging es nicht gut und er fühlte, dass er in Eisleben bleiben werde. Und so kam es. Er starb wenige Tage, nachdem der Streit beigelegt war. Luthers Sterbehaus wurde schon 1546 verehrt. Pilger strömten dahin, und man säbelte Späne vom Totenbett, um damit Zahnschmerzen zu bekämpfen. Der Klerus machte Schluss mit diesem unprotestantischen Hokuspokus. Man verbrannte das Bett. Allmählich geriet das Haus in Vergessenheit. Auch die Stadt erlebte mehrere Brände. Als das das Luthergedenken im 19. Jahrhundert wiedererwachte, wollte man auch die Sterbestätte wieder ausfindig machen. Dabei gab es eine Verwechslung. Der Sterbebericht hatte nur von “Dr. Drachstädts Haus” gesprochen. Diesen Dr. Philipp Drachstädt verwechselte der Stadtchronist mit einem Bartholomäus Drachstädt, und in dessen Haus pilgern heute die Touristen. Inzwischen ist es ein Ort echten Luthergedenkens, wenngleich am falschen Ort. (Dieckmann, Christoph: Martini Himmelfahrt, in: Die Zeit 6/2013: 18)

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Mein Name sei Roosevelt

Eleanor Roosevelt war die Nichte von Theodore Roosevelt, dem amerikanischen Präsidenten, dem Bruder ihres Vaters. Sie heiratete Franklin D. Roosevelt, den späteren amerikanischen Präsidenten. Das war praktisch. Sie brauchte ihren Nachnamen nicht zu ändern. (“Lebensgeschichte”, in: Zeitmagazin 5/2013: 44)

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Österreichischer Meister

Wer war der erste Spieler, der nach der Einführung der Bundesliga zweimal Deutscher Meister wurde? Es war Gustl Starek. Er spielte für den 1. FC Nürnberg, mit dem er 1968 die Meisterschaft gewann und wechselte dann zum FC Bayern München, mit dem er 1969 Deutscher Meister wurde. Bis dahin war in jedem Jahr ein anderer Verein Meister geworden – Köln, Bremen, München 1860, Braunschweig – und da noch nicht so viel gewechselt wurde, dauerte es dann bis 1969, bis es den ersten zweifachen Deutschen Meister gab. Einen Österreicher!

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Die amerikanische Dreizehn

Bei einer Literaturveranstaltung (“Die besten amerikanischen Romane des Jahres 2012”) wurde dieser Tage darauf hingewiesen, dass Jennifer Egans Roman A Visit from the Goon Squad 13 Kapitel hat. In diesem Zusammenhang wurde auf die Bedeutung der 13 in der Geschichte der USA hingewiesen: 13 Gründungsstaaten, 13 Streifen in der Flagge, 13 Salutschüsse beim Amtsantritt des Präsidenten, 13 Stufen der Pyramide auf dem Dollarschein. Der Adler im Wappen der USA hält 13 Pfeile und einen Lorbeerzweig mit 13 Blättern und 13 Früchten. Und das Motto, E pluribus unum, besteht aus 13 Buchstaben.

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Dermatologisch getestet

In Deutschland gibt es zwischen 1000 und 1200 Gütesiegel. Wem soll das nutzen? Ein besonders blödes Gütesiegel ist “dermatologisch getestet”. Erstens müssen die Kosmetikprodukte ohnehin getestet werden, zweitens sagt es nichts über den Ausgang des Tests.

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Überlebenschancen

Otmar Issing, ehemaliges Direktoriumsmitglied der EZB, gab der FAZ ein längeres Interview, in dem er die guten Überlebenschancen des Euro betonte. Das war nicht im Sinne der Herausgeber, aber es blieb ihnen nichts anderes übrig, als es zu akzeptieren. Als Überschrift war vorgesehen “Der Euro wird überleben”. Das gefiel den euroskeptischen Herausgebern nicht, und sie schlugen vor: “Der Euro wird mich überleben.” Das wiederum schien Issing in Anbetracht seines Alters nicht emphatisch genug. Am Ende einigte man sich auf “Der Euro wird mich lange überleben.”

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Der Entdecker Europas

Er hatte viele Namen, wie es in seinem Volk, den Eora, üblich war: Wogetrowey, Boinba, Bundabunda. Am liebsten nannte er sich Woollarawarre. Bekannt wurde er unter dem Namen Bennelong: der berühmteste Ureinwohner Australiens. Er lernte Englisch, reiste nach London und suchte einen Ausgleich mit den britischen Kolonisten. Er war ca. 25, als er die ersten weißen Eroberer sah. Als er starb, 1813, gehörte das Land, auf dem er zuletzt gelebt hatte, nicht mehr seinem Clan, sondern einem britischen Hühnerdieb namens James Squire. Der betrieb auf dem Gelände einen Pub, und Bennelong soll in den letzten Lebensjahren einer seiner besten Kunden gewesen sein. Dass er in einem von Squires Sudfässern ertrunken ist, ist allerdings wohl ein Gerücht. Er interessierte sich für die Lebensart der Fremden, versuchte aber auch, ihnen mit Tanz und Gesang die Kultur seines Landes nahe zu bringen. Und er erzählte von den rituellen Schlachten der Eora und den Eroberungen clanfremder Frauen. Besonders gut verstand er sich mit dem britischen Gouverneur Arthur Philipp. Sie tauschten ihre Namen aus, eine große Ehre. Philipp durfte sich jetzt Woollarawarre nenne, Bennelong durfte sich Gouvernour nennen. (Bielicki, Jan: “Der Entdecker Europas”, in: Süddeutsche Zeitung 10/2013: V2/9)

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August der Kenner

August der Starke war ein begeisterter Porzellansammler und wurde zu einem Kenner auf dem Gebiet. Im Laufe seines Lebens stellte er eine Sammlung von 24.000 Einzelstücken zusammen. Er besaß einen scharfen Blick für Qualität. Besonders angetan hatte es ihm das Kakiemon-Porzellan, das aus Japan stammte, dort aber gar nicht so hoch im Kurs stand. Dort stand man auf Keramik! Beim Kakiemon sind die Motive meist Tiere und Pflanzen. Sie sind der Gefäßform angepasst und nehmen nur so viel Platz ein, dass sich auch das strahlende Weiß des Untergrunds entfalten kann. Die Dekoration ist nicht weiß-blau (wie beim traditionellen chinesischen Porzellan), aber auch nicht überbordend farbig (wie beim Imari-Porzellan). Und es unterscheidet sich auch von der Mode des europäischen Barock, bei der es vor allem um dekorative Dichte und um farbige Vielfalt ging. (Clewing, Ulrich, “Nur Eisenrot, Hellblau und Türkisgrün”, in: Süddeutsche Zeitung 10/2012: 16)

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Mildernde Umstände

Welche Ergebnisse man bei Umfragen erhält, hängt auch von der Reihenfolge der Fragen ab. Die ersten Fragen erzeugen eine unbewusste Grundstimmung: Wer Menschen fragt, ob sie einen Ladendiebstahl begehen würden, bekommt mehr Geständnisse, wenn vorher über mildernde Umstände gesprochen wurde. (Schrader, Christopher, “Der unfassbare Wähler”, in: Süddeutsche Zeitung 10/2013: 20)

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Na, dann Prost!

Frank Meyer, der Trierer Stadtschreiber 2012, erzählt am Rande einer Autorenlesung folgende Episode aus seiner Studentenzeit: Er hatte in Oxford Walisisch gelernt und eine ganz gute Lesefertigkeit erworben, und beim Sprechen reichte es immerhin für die elementaren Funktionen wie Grüßen, sich Vorstellen, wichtige Informationen austauschen. Er fuhr dann in den Ferien nach Wales und war dort als junger Student, der Walisisch konnte, ein gern gesehener Gast und wurde abends im Pub von den Einheimischen zu dem einen oder anderen Bier eingeladen, einem dunklen Bier, das ihm nicht besonders schmeckte, jedenfalls am Anfang nicht. Er bemühte sich, Walisisch zu sprechen, und prostete seinen Gastgebern auf Walisisch zu: Ychy fi! Und löst damit bei denen große Erheiterung aus. Irgendwie fand er “Diese Leute sind aber leicht zu belustigen”, dachte sich aber weiter nichts dabei und prostete weiter kräftig auf Walisisch. Schließlich stellte es sich heraus, dass er Iechyd da, ‚Prost‘, verwechselt hatte mit Ichy fi, was so etwas wie ‘Igittigitt’ heißt. Das war ihm peinlich, aber die Waliser hatten ihre Freude daran. Sie verstanden es als eine ironische Bemerkung zu der Qualität des Bieres und interpretierten sein Prost als so etwas wie „Hau weg das Zeug“.

 

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Wohin geht die Reise?

Im Flugzeug habe ich dieser Tage mitgehört, wie ein Kubaner, der kein Deutsch sprach, und ein Deutscher, der kein Spanisch sprach, sich vor dem Abflug “unterhielten”. Der Kubaner wollte wissen, was das Reiseziel des Deutschen war, und konnte nicht verstehen, warum der Deutsche ihn nicht verstand. Dabei hatte er die Frage nach ein oder zwei Versuchen auf ein einziges Wort reduziert: Havanna? Aber dieser Deutsche verstand einfach nicht. Kein Wunder, dass der nicht verstand. Havanna heißt auf Spanisch La Habana: Es hat einen Artikel, das /h/ ist stumm, es hat /b/ statt /v/, und der betonte Vokal ist offener als im Deutschen. Das “verstellt” den Namen ganz gehörig. Außerdem wird der Artikel, der auf dem gleichen Laut endet, wie das nächste Wort (phonetisch) anfängt, apokopiert. Der Deutsche muss also so etwas wie Labaana gehört haben. Und sich gefragt haben, um was für eine komische Sache es sich da handelt. Kein Wunder, dass er nicht verstand. Umgekehrt hätte der Kubaner auch Havanna nicht verstanden!

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Ende der Kunst

In einem Roman, den ich gerade lese, gehen die Protagonisten des Buchs, ein junges Berliner Ehepaar, mit Begeisterung in das neue Kino, das gerade errichtete Universum: klare Formen, kein Schnickschnack, gute Sicht von allen Plätzen, eine Fassade mit rasantem Schwung. All das steht für Modernität. Gleichzeitig kommt der Tonfilm. Und eine Welle von Protesten. Vor dem Kino werden Flugblätter verteilt: Tonfilm ist Kitsch! Tonfilm ist einseitig! Tonfilm vernichtet Arbeitsplätze! 100% Tonfilm = 100% Verflachung. Der Tod des Kinos, das Ende der Kunst, die Niedergang der Kultur: der Tonfilm! (Krechel, Ursula: Landgericht. Salzburg und Wien: Jung und Jung, 2012: 218)

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Wie viel ist eine Billion?

Große Zahlen können wir uns nicht vorstellen. Wir sind einfach nicht dafür geschaffen. Maximal kann man sieben Objekte auf einen Blick erfassen. Etwas größere Zahlen kann man wenigstens veranschaulichen: Mit einem Feld von 5 x 5 lässt sich 25 darstellen. Größere Zahlen können wir allenfalls noch einordnen, indem wir sie mit etwas anderem vergleichen: dem Preis eines Autos, unserem Gehalt, der Zuschauerzahl bei einem Fußballspiel, aber richtig vorstellen können wir uns sie nicht. Und noch größere Zahlen sowieso nicht. Was eine Million oder eine Milliarde ist, können wir nicht erfassen. Hilfestellung geben uns Mathematiker, indem sie die abstrakte Zahl in Beziehung zu etwas anderem Stellen: Fläche, Volumen, Zeit, Gewicht, Länge. Aber auch das kann eine Herausforderung an unsere Vorstellungskraft sein: Wenn man eine Billion Euro, so habe ich in einem Zeitungsartikel gelesen, in 5-Euro-Scheinen hat, kann man damit ein ganzes Fußballstadion bis auf eine Höhe von  30 Metern füllen. Jetzt wird es noch toller: Wie lange würde es dauern, diesen Stapel zu errichten? Angenommen, 20 Menschen stapeln im Sekundentakt Bündel von je hundert Scheinen und arbeiten Tag und Nacht, ohne Unterbrechung? Das dauert 20 Jahre! Tut mir leid, aber da versagt meine Vorstellungskraft. Muss das nicht schneller gehen? Sollte man mal ausprobieren.                   (Hoffmann, Catherine: “Wie viel ist eine Billion?”, in: Süddeutsche Zeitung 297/2012: 24)

 

 

 

 

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Der erfundene Weihnachtsmann

Dass Coca-Cola den Weihnachtsmann erfunden habe, ist ein Gerücht, das sich hartnäckig hält. Die Vorstellung vom Weihnachtsmann hatte sich längst im 19.  Jahrhundert entwickelt, bevor Coca-Cola, in den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, ins Spiel kam. Es gab die Zeichnung “Herr Winter” von Moritz von Schwind, Gedichte und Zeitschriftenillustrationen und “Jingle Bells” (in dem der Schlitten noch von einem Pferd gezogen wird). Die spätere Werbekampagne von Coca-Cola verbreitete lediglich das Image weltweit und standardisierte es. (Schloeman, Johan: “Alle Jahre wieder”, in: Süddeutsche Zeitung 297/2012: 14)

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Kernfragen

Im Radio ist von den Kernfragen der Energieversorgung der Zukunft die Rede. So kann man es sagen.

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Fremdartige Speise

Manchmal erzähle ich im Seminar folgende Episode aus meiner Studentenzeit: Ein Kommilitone fragte: Hast jemand Lust, mitzugehen? Wir wollen eine Pizza essen. Meine Antwort war: Was ist das? Ich hatte keine Ahnung. Von Pizza hatte ich noch nie gehört. Heute kennt jedes Vorschulkind das Wort. In einem Zeitungsartikel finde ich jetzt diese Beschreibung von Anna Seghers, die genauso verblüfft war wie ich, als sie zum ersten Mal eine Pizza gegessen hatte (allerdings 30 Jahre früher): Rund und bunt wie eine Torte. Man erwartet etwas Süßes. Da beißt man auf Pfeffer. Man sieht sich das Ding näher an; da merkt man, dass es nicht mit Kirschen und Rosinen gespickt ist, sondern mit Paprika und Oliven. Man sieht an der Beschreibung auch den relativ bescheidenen, italienischen Belag, anders als später bei der Wohlstandspizza der prosperierenden Bundesrepublik. Nicht nur die Pizza war anders, auch das Wort. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: Pizza ist Pizza, sollte man meinen. Aber im Deutschen klingt Pizza anders als im Italienischen und wiederum anders als im Englischen. Und auch der Plural ist anders: Pizzen und pizze und pizzas. Nicht nur außerhalb Italiens musste sich die Pizza erst durchsetzen. Auch in Italien war sie lange nicht gang und gäbe. Mitte der 50er Jahre soll es in Italien außerhalb von Neapel nur zehn Pizzerien gegeben haben. In Deutschland konnten sich die Pizzerien und italienischen Restaurants gegen die Konkurrenz aus Griechenland, Jugoslawien und China durchsetzen, weil Italien zur EWG gehörte und italienische Restaurantbetreiber nicht erst die Bedarfsprüfung überstehen mussten, die sonst vorgeschrieben war. Die fiel später weg.  (Staas, Christian: “Deutschland al dente”, in: Die Zeit 52/2012: 18)

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Chinesische Weisheitszähne

Ein chinesischer Austauschstudent erzählte mir, er habe sich in Deutschland die Weisheitszähne ziehen lassen, gleich drei auf einmal. Der Zahnarzt habe ihm dazu geraten. Das sei eine Tortur, und es wäre besser, zu klotzen als zu kleckern. Als er mir davon erzählte, kamen wir auf das Wort Weisheitszahn zu sprechen. Und es stellte sich heraus, dass die Weisheitszähne auch im Chinesischen Weisheitszähne heißen. Dabei kam mir schon wisdom teeth immer komisch vor. Als ich das einem Freund erzählte, fügte der hinzu, dass auch der Blinddarm Blinddarm heißt. Das klang noch unwahrscheinlicher. Im Englischen appendix ist von blind nicht die Rede. Warum sollten Chinesisch und Deutsch etwas miteinander gemeinsam haben, aber nicht die anderen europäischen Sprachen? Auch dafür gibt es eine Erklärung: Bei der Meiji-Refom entschloss sich Japan, seine Isolation aufzugeben und vom Westen zu lernen. Für jede Disziplin wurde ein Land ausgewählt, welches zum besten “Lehrmeister” gekürt wurde. Zum Beispiel wurde Frankreich zum Lehrmeister für Recht. Und Deutschland für Medizin. Noch heute ist Deutsch Pflichtfach für japanische Medizinstudenten (wobei allerdings das Englische dabei ist, diese Vorrangstellung infrage zu stellen). Damit einher ging die Übernahme medizinischer Begriffe aus dem Deutschen. China wiederum lernte über Europa durch die Vermittlung Japans, und so gelangten japanische Wörter ins Chinesische. So einfach. Auch der deutsche Blinddarm ist nicht einfach vom Himmel gefallen. Der medizinische Fachausdruck für den Blinddarm ist Caecum, lat. ‘blind’. Im Japanischen heißen die Weisheitszähne nur noch im medizinischen Fachjargon so. In der Alltagssprache heißen sie oyashirazu, ‘kennt seine Eltern nicht’.

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Ungewöhnlicher Bayer

Kürzlich mal wieder mit der Bahn gefahren. Die Titelgeschichte der neuesten Ausgabe von Mobil, dem Magazins der Bahn, ist über Philipp Lahm. Das Magazin betitelt die Ausgabe, offensichtlich ohne ein Ohr für die Ironie: “Ein Bayer mit Weitblick”.

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Wer ist Bi Sheng?

Beim Besuch des Gutenberg-Museums in Mainz landete ich irgendwie auch in den oberen Stockwerken. Dort war wenig Betrieb. Dennoch war dort von einem wichtigen Mann die Rede, der hier kaum bekannt ist: Bi Sheng. Das ist der chinesische Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, im 12. Jahrhundert, 300 Jahre vor Gutenberg!

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Gespür für Fremdgänger

Frauen haben ein besseres Gespür für fremdgehende Männer als Männer für fremdgehende Frauen. Jedenfalls einem Experiment zufolge. Männer folgen der einfachen Regel Je attraktiver, umso untreuer. Das stimmt aber nicht. Frauen trauen dagegen eher besonders männlich aussehenden Männer den Seitensprung zu. Und das stimmt. Allerdings folgen Frauen auch ihrem Wunschdenken. Männer, die ihnen besonders gefallen, halten sie für besonders treu. Das sind die aber nicht. (Schnabel, Ulrich: “Des Luders Koeffizient”, in: Die Zeit 50/2012: 47)

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Die Radgeber

Bei einem Gang durch die Innenstadt bin ich in Mainz auf drei Geschäfte mit kuriosen Namen gestoßen: das Fahrradgeschäft Die Radgeber, den Verkaufsstand Brezialitäten, und den Friseursalon Coiffeur Meyer. Der Friseursalon bedient sich eines französischen Lehnworts, das heute vermutlich etwas nobler klingt als Friseur, das selbst ein französisches Lehnwort ist – genauso wie das ältere Barbier.  Den Friseur schreibt man heute oft Frisör, eine Adaptation des Wortes an die deutsche Rechtschreibung. Das weibliche Pendant des Frisörs heißt nicht mehr, wie zu meiner Schulzeit, Friseuse, sondern Frisörin, eine Adaptation an die deutsche Morphologie. Die Brezialitäten verbinden ein fremdes Suffix mit einem einheimischen Stamm, ein Indiz dafür, dass das Suffix selbst einheimisch geworden ist. Die Radgeber spielen mit der Auslautverhärtung im Deutschen, die zur Folge hat, dass Rad und Rat Homophone sind. Sie sind aber keine Homographen, und durch die ungewöhnliche Schreibweise suggeriert man, dass man hier sowohl Räder als auch Ratschläge bekommt.

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Bärtiger Bartloser

Im Gutenberg-Museum in Mainz hängen drei Portraits von Gutenberg nebeneinander. Auf allen sieht er anders aus, aber auf allen trägt er einen konischen Hut und einen Bart. Das waren die Embleme, die auf ihn verwiesen, auch wenn man nicht wusste, wie er tatsächlich aussah. Es gibt kein zeitgenössisches Portrait von ihm. Gutenberg sieht auf allen Portraits alt aus, obwohl er zur Zeit seiner Erfindung gerade mal vierzig war – eine interessante Parallele zu Darwin, der auch meistens als alter Mann dargestellt wird. Darwin hatte allerdings einen Bart. Bei Gutenberg ist das unwahrscheinlich. Die Mode des 15. Jahrhunderts spricht eher dagegen! Unter einem der Portraits steht Gutenberg, unter einem anderen Guttenberg. Das ist ein und derselbe Name, und er wird auch gleich ausgesprochen. Es handelt sich einfach um unterschiedliche orthographische Traditionen, die ein und denselben Laut unterschiedlich darstellen, aus der Zeit vor der Vereinheitlichung der Rechtschreibung.

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Indovinello

Es ist ein schönes Gefühl, von Studenten etwas zu lernen, aber so eine Hilfestellung wie Vincenzo De Bartholomaeis bekommt man nicht alle Tage. Er arbeitete an einem alten Kodex, der zwei viel später verfasste handschriftliche Anmerkungen enthielt. Das Dokument war 1924 entdeckt worden. Ihn interessierten die Anmerkungen, nicht der Kodex. Eine der Anmerkungen war klar und uninteressant, aber an der anderen biss er sich die Zähne aus: Se pareba boves alba pratalia araba & albo versorio teneba & negro semen seminaba. Auf die Lösung kam er dank der unerwarteten Hilfe einer Studentin im ersten Studienjahr. Ihr fiel auf, dass der Text große Ähnlichkeit mit einem volkstümlichen Rätsel hatte, das sie aus ihrer Heimat als Ritmo di Verona kannte. Es handelte sich also um ein Rätsel, nicht um eine Strophe aus einem Volkslied, wie De Bartholomaeis angenommen hatte. Seitdem kennt man den Text als Indovinello veronese. Der wörtliche Sinn ließ sich nun ungefähr erschließen: Er hatte die Ochsen vor sich und pflügte die weißen Felder, und einen weißen Pflug hielt er und säte schwarzen Samen. Auch die Lösung hatte die Studentin parat: Der Schriftsteller. (Seither sind andere Kandidaten für die Lösung genannt worden, aber dies ist die wahrscheinlichste). Der Schriftsteller bearbeitet mit der weißen Gänsefeder (dem Pflug) das weiße Blatt (das Feld) vor sich und beschreibt es mit schwarzer Tinte (dem Samen).  Damit waren längst nicht alle Fragen beantwortet, aber man war dem Verständnis des Textes sehr viel näher gekommen. Außer der Klärung einiger Textstellen geht es jetzt aber auch um die übergeordnete Frage, um welche Sprache es sich denn handelt: Latein oder Italienisch? Ist das eine späte Form von Latein oder eine frühe Form von Italienisch? Wer kann das entscheiden? Und wie kann man das entscheiden? In diesem Dokument ist nicht erwiesen, wie in einem späteren, dass es sich bei beiden Anmerkungen, von denen jeweils eine in klassischem Latein ist, um ein und denselben Autor handelt. In dem späteren Dokument wird das, also die Intention des Sprechers, als Hinweis darauf gewertet, dass es sich um unterschiedliche Sprachen handelt. Falls das hier auch so ist, hätte das Italienische eine älteres erhaltenes Dokument als es das Französische mit den Straßburger Eiden hat. (Marazzini, Claudio: Breve storia della lingua italiana. Bologna: Il Mulino, 2004: 51-53)

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Unverkäuflich

Oft hört man von Europäern, die in China ins Fettnäpfchen treten. Besonders Deutsche scheinen das ständig zu tun. Gut zu hören, dass es auch manchmal den Chinesen bei ihren Auslandsreisen passiert. Chen Weidong, der Energieexperte des chinesischen Staatsunternehmens CNOOC, wollte Kanada dazu drängen, endlich eine Pipeline zu bauen, um den heimischen Ölsand auf dem globalen Markt anzubieten. Auf einem Energieforum sagte er, der Ölsand werde eines Tages ebenso veraltet sein wie die chinesischen shengü. Das Wort bezeichnet im Chinesischen unverheiratete Frauen. Die Kanadier waren not amused.

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Strangers

Many of the men who later became household names in Linguistics did not originally come from Philology or related disciplines: Roget, author of the famous dictionary of synonyms, took his first degree in Medicine, Boas, author of the Handbook of American Indian Languages and one of the first to describe hitherto unknown languages, had a degree in Physics and Geography, Cobbet, author of the Grammar of the English Language (1819), the son of a farmer, wanted to go to sea but ended up in the army, Firth, who later became the first professor of Linguistics in England (1944),  had graduated from Leeds University with a first-class degree in History, Daniel Jones (whose father was one of the founders of the All England Tennis Club), the distinguished phonetician who later developed the concept of cardinal vowels, took his first degree in Mathematics and then became a lawyer, Saussure first studied Physics and Chemistry (but then switched to Linguistics), Prendergast, author of The Mastery of Languages, was an official in the Indian Civil Service, and so was William Jones, who, with his discovery of the similarities between Latin, Greek and Sanskrit and other languages laid the foundation of the study of Indo-European languages, and Whorf (of Sapir-Whorf fame), was basically an amateur and worked for a fire-insurance company all his life.

 

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Naturally artificial

The success of informal learning, and especially of the child acquiring its mother-tongue, has always impressed language teachers, and attempts to reproduce the same effect by creating the same conditions have been a regular feature of language teaching history. Locke’s advice to ‘talk the language into the children’ doubtless worked on many occasions, and his live-in, native speaker tutor was an obvious solution for families who could afford it. It is much more difficult to implement this in the classroom. As a consequence, nature was often tamed by reason derived from the study of language and language learning. One such intervention was to form automatic speech habits through constant practice. However, the idealized sentence patterns were far remote from natural speech-habits. One reaction to this was to revive situational techniques, models of social interaction in an idealized dialogue form. However, these dialogues, rehearsed, theatrical, were far remote from the real world of improvisation. Natural language teaching, it seems, cannot be retracted. Reason intervenes in the shape of syllabuses, curricula, methods, and both social and psychological factors make it difficult to imitate the process of first-language acquisition. It seems that even a natural method, though natural in its basis (in the sense of primarily being concerned with meaning), is artificial in its development.  (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 294-7)

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Learning to use vs. using to learn

There is, in a sense, a ‘strong’ version of communicative language teaching, much closer to the original proposals than the ‘weak’ version now largely accepted by teachers and textbook writers. In the ‘weak’ version, communicative activities have been accepted as exercises, and most textbooks now contain information-gap activities, role-plays, simulations, games, etc. What is much more problematic is to build a syllabus round communicative interaction, and this is what the ‘strong’ version seems to require. One can describe the weaker version as ‘learning to use English’, the strong version as ‘using English to learn it’. (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 279)

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Vitale Stadt

In einer Fernsehsendung wurde von einer weniger bekannten dritten Rede berichtet, die Kennedy 1963 in Berlin hielt, eine Rede an die in Berlin stationierten amerikanischen Soldaten.  Er sagte, die Zahl der amerikanischen Soldaten sei nicht sehr groß, aber es sei eine wichtige Aufgabe, diese vitale Stadt zu verteidigen. Man hörte dann noch den letzten Abschnitt im Originalton. Kennedy sagte this vital city. Berlin war nicht ‘vital’, sondern ‘wichtig’.

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Zeit zum Aufräumen

Eine durchschnittliche Ehe dauert vierzehn Jahre. Bei 21% aller Scheidungen ist ein Seitensprung der Auslöser, bei 29% die Unordnung. 12% würden ihren Partner verlassen, wenn er 50 Kilo zunähme. (Finis, “Das Letzte”, in: Die Zeit 49/2012: 63)

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Leise Weiße, laute Grüne

In einem Test wurden 162 Testpersonen von 8 bis 88 Jahren sieben technisch identische Autos vom Typ Ford Fiesta vorgeführt. Der einzige Unterschied: die Farbe. Getestet wurde das Hörerlebnis. Das Resultat: Die Vorbeifahrt der weißen Autos wurde als besonders leise und angenehm empfunden, das silberne als leise und langweilig, das rote und das schwarze als laut und sportlich. Am lautesten wurde das Geräusch des hellgrünen Autos wahrgenommen. Wahrnehmung lässt sich durch Farbe manipulieren. (Lamparter, Dietmar H.: “Weiße Autos”, in: Die Zeit 49/2012: 23)

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Babbling away in Latin

Montaigne was brought up as a native speaker of Latin! His father, determined that his son should have every advantage in life, and in particular a perfect education, put him in charge of a German who was totally ignorant of French and well versed in Latin. He accompanied him all day and only talked Latin to him. The rest of the household (as well as two other supervisors who were contracted to relieve the German supervisor) were not allowed to utter any words to him that were not Latin. Montaigne did not come into contact with French until the age of seven! He still became of the great masters of the French language. Montaigne later cynically claimed that everyone else had profited more from the experience than he himself. He claimed he quickly forgot all his Latin when he entered school through lack of practice. Probably Montaigne was a bit hard on his father’s experiment. Successful or not, this kind of natural language learning was quite common before 1800 with people who could afford having their children taught at home by private tutors. It was different with whole classes of learners but this did not need to be an obstacle, as was pointed out by J.S. Blackie, a mid-nineteenth century Scots professor of Latin and Greek. Blackie gives an account of a German Latin teacher of the 16th century, Nicholas Clenard,  who had tried just this method with his students. The class consisted of learners from all walks of life. Clenard was quite enthusiastic and said that within a few months, all the boys understood everyhing he said and ‘babbled Latin fluently after their fashion’. (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 192-4)

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Magical beginnings

One of the most ardent advocates of a natural method of language learning was Lambert Sauveur (1826-1907), a French emigrant to the United States. In Sauveur’s school in Boston, students spent at least one month entirely on intensive oral work, without a course book. In the early days, the school had a visit from ‘an eminent minister of the city’, who was skeptical of Sauveur’s claims. Before entering the class, the visitor was asked what he wanted the class to discuss. ‘God’ he responded. The class were on lesson 10 (about 25 hours of the course). Sauveur entered the class and discussed God with them for an hour, with no question remaining unanswered. The visitor was impressed. He said it was admirable and saw that it worked, though he could not imagine how. What Sauveur was able to do easily and most people find difficult was to talk to his students in such a way that they could understand what he was getting at, even if they did not understand every word. He had an intuitive knowledge of his students’ internalized competence, and could organise his own discourse in such a way that it matched the capacities of his learners. This is very much at the heart of all natural language teaching. Sauveur describes with enthusiasm what it feels like to teach a class the very first lesson in a foreign language without grammar, with the students being in rapt attention and not being deviated for a moment. Sauveur, when describing this experience, perfectly transmits the magic of such moments. (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 198-201)

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Sweet = Higgins?

Henry Sweet, the man who ‘taught phonetics to Europe’, graduated with a fourth class degree when he was thirty! Later, he was turned down several times for a professorship, something which crippled his relations with colleagues and fellow professionals for the rest of his life. Sweet was, in the eyes of many, a difficult man to like, and he was the starting-point (though not the model, as Shaw himself said) for Shaw’s Professor Higgins in Pygmalion, rather more so than for the Higgins of My Fair Lady. (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 179-82)

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Naturally invented texts?

Henry Sweet, the man who ‘taught phonetics to Europe’, is less well known as the author of  The Practical Study of Languages, a book which made him the orgininator of applied linguistics to the teaching of languages. Sweet recognised one basic problem: if texts embody certain grammatical categories, they cannot be natural; if they are natural, they cannot be brought into any relationship to grammar. His solution was to rely on the skill of the textbook writer to produce natural texts which were simple enough to be comprehensible to elementary learners but would not distort the language. He did not favour ‘natural’ methods, based on conversation in the classroom. The process of learning one’s mother tongue was carried on under peculiarly favourable circumstances and could not be reproduced in the language classroom. Spoken interaction, he believed, was not the starting-point but the end-point of classroom instruction. So his claim ‘spoken language first’ does not mean what it would mean today. (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 186-7)

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Paedagogical natives?

Henry Sweet, the man who ‘taught phonetics to Europe’, in his pedagogical work made a clear point in favour of the non-native teacher. For teaching Germans English, he believed, a phonetically trained German was far superior to an untrainded Englishman, the latter being unable to communicate his knowledge. This, of course, applied equally to the teaching of foreign languages in England. (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 182-3)

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No transcription, please!

When I speak about phonetics in class, or even when I talk about the teaching of pronunciation, the first thing students come up with is phonetic transcription. This has always puzzled me, transcription being – at best – a useful tool to teach phonetics. Still, it is no more than a tool, and it is doubtful whether it actually promotes good pronunciation. It is perfectly feasible to imagine someone who can read the transcription well and pronounces the foreign language badly or someone who pronounces the language well and cannot read the transcription. Anyway, this misunderstanding does not come out of the blue, as I discovered the other day: In the period of the Reform Movement of the 19th century, in many teachers’ minds, modern methods of language teaching were synonymous with ‘using phonetics’ and ‘using phonetics’ with ‘learning a notation system’. Abercrombie, in 1949, again pointed to ‘this common misconception’ and stressed that ‘phonetics is not identical with phonetic transcription’. (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 171-8)

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Tönende Geschichten

In Westfalen erzählt man sich, wie ich aus Studentenzeiten weiß, Dönekes. Jetzt erfahre ich von einem Freund, dass die in Norddeutschland Döntjes heißen. Abgeleitet sind die Wörter von dönen, ‘erzählen’, und das hat ganz einfach mit Ton zu tun.

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Stadt mit Gartenzaun

In einer Radiosendung spricht der Moderator von der etymologischen Verwandtschaft von town und Zaun. Das kommt in einer meiner Vorlesungen vor. Es ist nicht schwer, den ursprünglichen Zusammenhang zu entdecken. Einer der Diskussionsteilnehmer ergänzt dann aber etwas, das ich überhaupt nicht auf der Rechnung hatte: Auch gorod ist damit verwandt! Ich hatte diese Information ohne weitere Prüfung übernommen, wurde dann aber von einer Leserin darauf aufmerksam gemacht, dass hier keine eigentliche etymologische Verwandtschaft vorliegt: gorod ist nicht mit Zaun, sondern mit Garten verwandt! Einen Zusammenhang gibt es allenfalls hinsichtlich der Bedeutung, nicht hinsichtlich der Form: Ein Garten hat ebenso wie eine Stadt einen Zaum um sich herum.

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Wiener Slang?

Bei der Jahreshauptversammlung von Bayern München berichtete Uli Hoeneß von einem Gespräch, das er mit David Alaba geführt hatte und in dem es um nächtliche Ausflüge von Alaba in die Diskotheken Münchens in der Begleitung von Frank Ribéry ging. Hoeneß imitierte, wie Alaba, mit dem Vorwurf konfrontiert, ihm geantwortet habe. Alaba, in Wien geboren und aufgewachsen, habe gesagt “Do mus i nochdenkn”. Die Zeitungen berichteten wohlwollend, Hoeneß habe von Alabas Wiener Dialekt gesprochen. Tatsächlich hatte Hoeneß von Alabas Wiener Slang gesprochen. Natürlich handelte es sich weder um Dialekt noch um Slang, sondern schlicht und einfach um die Aussprache. Alaba sprach mit Wiener Akzent.

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Mittagessen?

“Von 10-12 gehe ich auf die Bibliothek … von 2-4 ins Museum, zu den Antiken und Gemälden, um 4, halb 5 speisen wir zu Mittag.” Das schreibt Ludwig Uhland an seine Familie daheim von seinem Studienaufenthalt in Paris. Mittagessen um vier oder halb fünf? Ich habe mich schon früher immer gewundert, wenn in den Romanen von Thomas Mann oder Tolstoj um diese Zeit zu Mittag gegessen wurde, aber das scheint ganz normal gewesen zu sein. (Mojem, Helmuth, “Der große Uhland”, in: Die Zeit 47/2012: 20)

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No explanations, please!

Jean Jacques Jacotot, a Frenchman from Dijon, became, without intending it, a language teacher and, again without intending it, the inventor of the first monolingual method for the language classroom. After the defeat of Napoleon, Jacotot found himself as an exile in what now is Belgium, where he took up a teaching post at the university of Louvain, in the Flemish-speaking part of the country. He was not a Flemish speaker, and his students were beginners of French. Confronted with this challenge, Jacotot devised his own (highly idiosyncratic) method teaching his students. And found that it worked! He himself was most surprised when he discovered that explanation was actually not necessary. How can you be a language teacher when you cannot explain anything, had been his immediate thought on arriving at Louvain. He then realized that explanation was not only not necessary, it was actually wrong! (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 150-1)

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Grammar-translation without grammar?

The much maligned Grammar-translation method received its name from its opponents. It did not put any special emphasis on grammar, and, compared to the traditional schoolbooks had very little grammar in their courses. Actually, some of its proponents, like Ahn and Ollendorff in Germany, were accused of being ‘lightweight’, of not dealing with grammar in sufficient depth!  Ahn’s course, moreover, requires very little knowledge of grammatical terminology: singular, plural, masculine, feminine, etc. The proponents of the grammar-translation method basically reacted to a new class of learners, created by the industrial revolution, learners who could not be expected to learn languages by traditional methods. The initial motivation was reformist. The principal aim of grammar-translation was, ironically enough in view of what was to happen later, to make language learning easier. Therefore its proponents proceeded one step at a time, presenting a part of a grammatical paradigm (not the whole), with not too many words and lots of practice. Ahn’s  New, Practical and Easy Method (first published for French, then for German, English, Spanish, Italian and Russian), had 68 lessons in a space of only 66 pages, short, consecutively numbered sections. Each odd-numbered section contained a grammatical summary, about a dozen new words and sentences to translate into the mother-tongue. Dull, perhaps, but hardly the horror story we are sometimes asked to believe. Each even-numbered section contained sentences to translate into the foreign language.  The sentences had a double function: they afforded practice and exemplified grammar in a more concise and a clearer way than texts of reputable authors would do. Special sentences had to be designed to illustrate a grammar point. Such an approach, however, encourages the creation of extremely odd sentences or phrases, both syntactically and semantically, like the infamous the pen of my aunt. Pen is correct English, and so is of and so is my aunt, but the phrase as a whole, though grammatically correct, is at the same time unacceptable to a native speaker. The favourite example quoted by Sweet, one of the main later opponents of grammar-translation, was a sentence which actually occurred in a Greek class at school: The philosopher pulled the lower jaw of the hen. None of the words on its own is in any way esoteric, but the utterance  as a whole is surreal. (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 131-45)

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Virtueller Tod

Ein Soziologe berichtet, er habe gelesen, dass ein Jugendlicher, wenn er sein 15. Lebensjahr erreicht, im allgemeinen schon 500,000 Tote gesehen hat. Im Fernsehen, versteht sich, oder im Internet, in virtuellen Schlachten, in Kriminalfilmen, in Horrorfilmen usw. (Gronemeyer, Reimer: “Ein Platz für den Tod – Sterben in Deutschland”, in: Aula, SWR 2: 18/11/2012). Man kann die Zahl natürlich bezweifeln und sich fragen, wie man so etwas überhaupt überprüfen kann, und nicht nur das: Man kann sich auch fragen, ob jeder Sterbende, den man in einer Schlacht sieht, bei der gleich Hunderte auf einmal umkommen, überhaupt im Sinne der Argumentation “zählt”, aber der zentrale Punkt bleibt davon unberührt: Wir kommen mit dem Tod eher virtuell als real in Berührung, und es wird viele Jugendliche geben, die noch nie jemanden wirklich haben sterben sehen.

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Keine Täterinnen

In einer Radiosendung geht es um den “Deal” in der Rechtsprechung, das “Verhandeln” des Strafmaßes und seine Reduzierung, wenn der Angeklagte Geständnisse macht. Unter den Diskussionsteilnehmern ist Brigitte Zypries, die ehemalige Bundesjustizministerin, die die damals bereits gängige Praxis legalisiert hatte. Bei der Diskussion sagt Frau Zypries immer Richterinnen und Richter, gebraucht also die politisch korrekte, sprachlich unsinnige Doppelform. Andererseits sagt sie immer Täter. Es gibt, wie es scheint, weibliche Richter, aber keine weiblichen Täter. (“Der abgekartete Prozess – Sind Urteile wirklich verhandelbar?”, in: Forum, SWR 2: 13/11/2012)

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Alles über Knochen

Nicht alle Menschen haben die gleiche Zahl an Knochen. Die Variation ist allerdings eher klein: Die meisten haben 206-210 Knochen. Die “zusätzlichen” Knochen sind zum Beispiel das, was man im Volksmund “Überbein” nennt.  Zu den Dingen, die wir im Laufe der Jahre einbüßen, gehört auch das Knochenmark. Bei Jugendlichen enthalten alle Knochen Knochenmark, bei Erwachsenen nur noch die Becken- und Rippenknochen. Das übrige Knochenmark wird – man mag es kaum aussprechen – durch Fett ersetzt! Auch an der Knochensubstanz werden Einbußen gemacht: Die höchste Knochensubstanz hat man mit 40, mit 80 nur noch die Hälfte! (“Alles über Knochen”, Interview mit Prof. Dr. Matthias Schieker, in:  Matinee, SWR 2: 18/11/2012)

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Biblische Sprachspiele

Die ersten vier Kapitel der alttestamentarischen Klagelieder haben jeweils 22 Strophen (bzw. beim dritten Kapitel 66 Strophen). Warum? Jede Strophe beginnt mit einem anderen Buchstaben, und zwar in der Reihenfolge, in der sie im hebräischen Alphabet erscheinen. Das hebräische Alphabet hat 22 Buchstaben. Diese dichterische Form, das Akrostichon, findet man auch in anderen Büchern des Alten Testaments. Das letzte Kapitel der Klagelieder ist kein Akrostichon, hat aber auch 22 Strophen.

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Poor old Tuesday

How often do we use the words for the different days of the week? Does Friday occur more frequently than Wednesday? During a recent talk at the university, I was made aware of the phenomenon. I had never given any thought to the topic, and probably would not have guessed correctly, but when the results were presented they, with the wisdom of hindsight, seemed to make sense. So which is the day of the week that is most frequently used? It is Sunday, the runner-up being Saturday. The weekend seems to afford more opportunities for talk than any odd day of the week. This makes sense. These days stand out against the rest. This is also culturally significant. It shows what is and what is not important in society, and one wonders whether one would get the same results in other cultures. Probably not. Friday in a Muslim context and Saturday in a Jewish context are likely to surpass Sunday. In our context, Sunday also seems to be pushed by the names of certain institutions such as Sunday School or Sunday lunch, which may not be tied to the actual day of the week. Moreover, fixed phrases such as your Sunday best or Sunday driver may contribute to the frequency of Sunday. Sunday and Saturday are followed by Friday and Monday, both marking the extreme points of the (working) week, and Wednesday, the middle of the (working) week. The most nondescript days are Thursday and Tuesday, which comes last. Why Thursday occurs more frequently than Tuesday is difficult to explain at first sight. On second thoughts, it occurrred to me that elections are held on Thursdays in Britain and that Prime Minister’s Question Time is also on Thursdays, so that could explain the superiority of Thursday. (Stubbs, Michael: ‘Searle and Sinclair on communicative acts: a sketch of a research problem’)

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Sprachimport

Das Deutsche, hieß es vor kurzem in griffigen Meldungen in Zeitungen und Nachrichten, komme “aus der Türkei”. Dabei berief man sich auf die Ergebnisse eines Forscherteams aus Neuseeland, das die Ursprünge des Indo-Europäischen untersucht und mit Rechenmodellen nachgewiesen haben soll, dessen Ursprünge lägen in der Türkei. Indoeuropäische Sprachen werden von Island bis Sri Lanka, von Sibirien bis Lateinamerika, von Australien bis zum Nordkap gesprochen. Sie haben alle einen gemeinsamen Ursprung. Wo lag dieser gemeinsame Ursprung? Die Antwort “Türkei” ist gleich im doppelten Sinne irreführend. Der Name suggeriert eine Verwandtschaft mit den Turksprachen, aber die gehören gerade nicht zu den indoeuropäischen Sprachen. Das Türkische kam erst später in die Türkei. Und es geht auch nicht um die Türkei. Wenn überhaupt, geht es um Anatolien. Von da aus, etwa aus der Gegend um das heutige Antalya, soll sich die indoeuropäische Sprache, den neuesten Nachrichten zufolge, ausgebreitet haben, und zwar mit dem Ackerbau. Diese These ist allerdings nicht neu, sondern wird seit Jahren von dem britischen Archäologen Colin Renfrew vertreten. Sie ist außerdem umstritten: Den meisten Forschern gilt weiterhin die südosteuropäische Steppe, die Gegend um Schwarzes Meer und Kaspisches Meer, als die Heimat des Indoeuropäischen.  (Schloemann, Johan: “Wo die Streitwagen fuhren”, in: Süddeutsche Zeitung 28/08/2012)

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Flug nach Bordo

Für das sprachliche Highlight der Woche sorgte eine Frau aus Sachsen. In Stuttgart wohnend, buchte sie telefonisch in einem Reisebüro einen Flug, musste dann aber am Flughafen feststellen, dass das Reisebüro sie irgendwohin gebucht hatte, wohin sie gar nicht wollte. Sie zog vor Gericht, aber ihre Klage wurde abgewiesen. Was war passiert? Die Frau wollte nach Porto, was sächsisch ausgesprochen, der schwäbischen Frau im Reisebüro nach Bordeaux klang. Dahin buchte sie die Frau. Und die bestätigte das Flugziel: Bordeaux? – Ja, Bordo. Dazu im Internet diese Kommentare aus Sachsenmund: Die Frau hätte auch sagen können, dass sie nach Bordo in Bordeauxgal fliegen möchte. –  Die Bundespost kündigt Bordeauxerhöhung an – Angola göntsch mich dohdsaufen.

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Im September diesen Jahres

In einer Broschüre des Personalrats heißt es, bereits im September diesen Jahres sei eine alte Regelung hinsichtlich der Urlaubstage hinfällig geworden. Schon seit Jahren frage ich mich, woher diese sprachliche Variation kommt. Heißt es nicht dieses Jahres? Oder besser: Hieß es nicht dieses Jahres? Die neue Form greift immer weiter um sich. Eine “vernünftige” Erklärung gibt es dafür wohl nicht. Ich vermute, die Form klingt das Gegenteil von cool, nämlich klassisch, gewählt, herausgehoben. Das ist natürlich Unsinn, aber dieses Gefühl könnte den Erfolg der neuen Form und ihr Prestige erklären. Das ist Sprachwandel, der heimlich von statten geht und vielsagender ist als die heiß diskutierten Anglizismen oder die Jugendsprache.

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Mein Freund sein Bruder

In der Cafeteria höre ich am Nebentisch eine Studentin, die davon spricht, dass ihr jemand beim Umzug helfen werden, nämlich mein Freund sein Bruder. Passt wunderbar zum Seminar-Thema und ich dekliniere mit den Studenten die verschiedenen Alternativen durch: meines Freundes Bruder, der Bruder meines Freundes, der Bruder von meinem Freund, mein Freund sein Bruder, mit abfallenden Grad der Formalität. Immerhin ist mein Freund sein Bruder inzwischen in der mündlichen Sprache der Studenten angekommen.

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Custom vs. Reason

There was an intense interest in spelling reform in late sixteenth century England. There was just too much variation. Even the Queen spelt the same word differently in the same text if it suited her. Oddly enough, the printers, who favoured standardization, continued to reserve the right to use spelling variants when it was convenient. They could, for example, use the short form, bad, to avoid line-breaks and the long form, badde, to fill out a line to meet a right-hand margin. The system that finally emerged is tiresomely complex, as every learner of English can see till today. It basically goes back to a spelling reform proposed by Richard Mulcaster, which aimed at bringing some more order into the system without dislocating it. Characteristically, the other, much more radical, much more consistent spelling system, as proposed by John Hart, was not adopted. This is regrettable but perhaps not surprising. Hart himself anticipated some of the objections, above all ‘use’ or ‘custom’. There was, he argued, no argument against the power of ‘use’, except to raise the counter-claim of ‘reason’. But people did not want to listen to reason. Hart’s major guideline was one letter, one sound – a simple and indeed the fundamental principle of any alphabetic writing system. As a consequence, Hart wanted to abolish the different spelling of homophones (meet/meat, horse/hoarse, etc.). He inverted the popular argument saying that if the distinction were necessary, it would be much more necessary in spoken than in written texts, and if there was no need to make the difference in spoken language there was no need to make it in written language either. This is quite a telling point though it perhaps overlooks the importance of a shared context in spoken language. Moreover, if it simplified spelling, it might make reading more difficult. (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 81-92)

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Quoting Ben Jonson?

Most English people could easily quote something from Shakespeare if asked to do so but most would have difficulty coming up with a quote from Ben Jonson. Unlike Shakespeare, Jonson was an intellectual and a scholar. His works are much less accessible than Shakespeare’s and much less popular. Characteristically, his works include a grammar of English. It is difficult to envisage Shakespeare as the author of a grammar. (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 94)

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Köpfchen, Köpfchen

Auf dem Höhepunkt der am Ende blutigen Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Senat stürzte sich Gaius Grachus in den Tiber, um seinen Feinden zu entkommen. Am anderen Ufer standen seine Anhänger. Grachus, wissend, dass der Kampf nicht mehr zu gewinnen war, befahl einem seiner Anhänger, ihn zu töten, was der tat und sich daraufhin selbst tötete. Ein weiterer Anhänger sah eine günstige Gelegenheit gekommen, denn der Senat hatte ein Belohnung auf den Kopf des Grachus ausgesetzt. Das Gewicht des Kopfes sollte in Gold ausgezahlt werden. Der Anhänger schlug den Kopf ab, entfernte das Gehirn, füllte den Kopf mit Blei, trug den Kopf zum Senat und sackte die Belohnung ein. Immer wieder erbauend, sich mit klassischer Bildung auseinanderzusetzen. (Montanelli, Indro: Storia di Roma. Mailand: Rizzoli, 3/1993: 180)

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Kein Meer, keine Mafia, keine Mamma

In einem Sammelband von italienischen Kurzgeschichten, durch die ich mich gerade durcharbeite – mit vielen Klagen über die abstrakte Sprache und die verwirrenden Inhalte – ist mir eins aufgefallen: Die Geschichten sind völlig klischeefrei: kein Meer, keine Sonne, keine Korruption, keine Serenate, keine sich schnell ablösenden Regierungen, keine Mafia, keine Spaghetti. Wunderbar! (Seuß, Rita (Hg.): Prima di farla … Racconti di scrittrici italiane. München: DTV, 2/2002)

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Troublesome letters

The second wave of French-speaking language teachers, those who came to England after the Restoration, included Guy Mièges, a talented practical linguist from Switzerland. His Nouvelle Mèthode (1685) is a landmark in the development of English language teaching. Miége could benefit from the advances which had been made in the description of English grammar and pronunciation since the sixteenth century. In spite of all this, Miège made a very elementary mistake: he failed to distinguish between writing and pronunciation. He speaks of troublesome ‘letters’ when referring to <th> in think or <ch> in church. (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 54-5). Obviously, the letters (or letter combinations) are no problem for a speaker of French at all. They actually occur in French as well (e.g. théatre, chère). It is the sounds they represent which cause difficulties. To this day, mixing up the written form and the spoken form or, worse still, taking the written form for ‘language’ as such, is one of the major problems in all popular discussions of language. It leads to all kinds of wrong conclusions and awkward views of language. In Miège’s case, one could at least argue that it is clear what he means even if he does not use the right words, but that is seldom the case in the popular discussions.

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No grammar, please!

The early reformers in language teaching included Roger Ascham and his famous Schoolmaster (1570) and a lesser known, extraodinary writer called Joseph Webbe, best known for his Pueriles Confabulatiunculae (1627), ‘Children’s Talk’, a textbook for the teaching of Latin at school through dialogues!  Ascham’s main objective was to make the study of grammar subservient to the study of original texts, teaching grammar not as an end in itself but to better understand the quality of the texts. He taught grammar by what would today be called the inductive method. In contrast, Webbe discarded grammar altogether. The proper starting point for language learning in his view was the exercise of communication skills which would (‘whether we will or no’) lead to knowledge of grammar through use, an extremely modern idea.  The grammar, in his words, is ‘thrust upon us without labour’. The contrast between Ascham and Webbe repeated itself two hundred years later with Henry Sweet playing the role of Ascham and the proponents of the Direct Method that of Webbe. (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 33-7)

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Bestseller

What is known as ‘Lily’s Grammar’ is probably the best-selling language teaching textbook ever written. Oddly enough, it was not written, as the title suggests, by William Lily, but by a committee (of which Lily was a member) set up by Henry VIII to establish a uniform method of teaching grammar in schools. It appeared in 1540 with the injunction that it was to be used in all schools, an injunction later repeated by Edward VI and Elizabeth. With this kind of royal support, the book sold around 10,000 copies a year at a time when the edition of books was limited to 1,250 copies. It continued without a serious rival until the middle of the 18th century. It represented everything schoolchildren dreaded most: mindless rote-learning, endless grammar rules and unrealistic sentences only introduced to illustrate grammar points. (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 32-3)

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Foreign beasts and serpents

John Florio, a language teacher in Tudor England, was a fluent bilingual speaker of English and Italian, although he probably never went to Italy. One of the strands in Florio’s work is his dislike of England. This seems to have been caused by the hostility shown to him and other foreigners by the local population. A general grievance was that most successful language textbook writeres were foreigners: La Motte, Holyband, Bellot, Mason, Florio himself, and others. Holyband’s French Schoolmaster was in constant demand, so much so that a special tax for the benefit of the poor was imposed on it in 1600! A particulary fierce attack on the foreign language teachers was launched by John Eliot in 1593. He reviled them as ‘beasts and serpents’ and accused them of having poisoned England with the works of Macchiavelli and other ‘devilish writers’. However, for all the complaints, when the political situation improved in France and many of the language teachers went back, their place was not filled by native textbook writers. Language teaching rather went into some decline afterwards. (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 25-9)

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No English, please!

Claude de Sainliens alias Claudius Holyband is considered to be the most professional of the language teachers and textbooks writers of the Tudor period in England. He opened several schools in London where he himself taught French (and the standard Latin curriculum) to children of the wealthy mercantile classes. (The aristocracy did not send their children to school). The textbooks he published made ample use of dialogues. They represent scenes from everyday life and include one school scene which deals with the late arrival of one of the boys, Peter, and his excuses! Nothingworth, the school ruffian, breaks a number of rules, one of which concerns the language: he is punished for speaking English in class. It suggests that Holyband used French as the medium of instruction. Holyband considered good pronunciation to be of the highest importance and used, amongst other things, a star to mark silent letters, something he had thought up himself. In his standard textbook, The French Littleton, there is very little grammar. Holyband considered that grammar really belonged to a more advanced course! (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 19-25)

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Houey dou you not pout on yor choùs?

The earliest extant manual specifically designed to teach English as a foreign language, The English Schoolmaster (1580), was written by a Frenchman! The book, like others of its time, was written to help French Huguenot exiles in England, who had arrived in great numbers during the previous decade. There were no substantial descriptions of English available at the time, and that explains why the book, like most early textbooks, have very little or no grammar. The main part of the book discusses difficult words. Its author, Jacques Bellot, seems to be thinking mainly of French learmers who had picked up the language ‘by ear’ and were easily confused when seeing words in print. Bellot discusses homophones like horse and hoarse, ambiguous words like straight, right and hold, problem words like well, light, stay and fast and words which are easily confused such as cost and coast and cast or ship and sheep. In another manual, Familiar Dialogues, Bellot teaches the language through everyday dialogues within a domestic setting, with a strong emphasis on shopping. He sends his learners to the butcher, the draper, the fishmonger, the poulterer and others. The whole follows more or less the sequence of a single day, from getting up to a conversation round the dinner table. The dialogues make a curiously modern impression, as if Bellot wanted to present a situational syllabus. They are arranged in three columns, with English on the left, French in the middle and a French ‘transcription’ of the English text to help learners with the pronunciation, like this: Que ne vous-chaussez-vous? – Why doe you not put on your showes? – Houey dou you not pout on yor choùs? (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 14-9)

 

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Stern György

Namen verloren, Heimat verloren, Familie verloren. Das waren die leidvollen Erfahrungen, die letztlich eine Vorbedingung für die musikalischen Erfolge von Sir George Solti waren. So sieht jedenfalls er selbst es. Geboren wurde Solti als György Stern. Der Nachname wurde im Zuge einer Ungarisierungswelle in den Zwanziger Jahren abgeändert. Der neue Nachname wurde von seinem Geburtsort Solt abgeleitet. Sein Vater blieb allerdings zeitlebens bei Stern. Paradoxerweise wurde der ungarische Vorname im Laufe der internationalen Karriere anglisiert. Aus György wurde George. Und außerdem wurde der Vorname, entgegen der ungarischen Tradition, nach vorne gestellt.

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No name emperor

The classical Chinese examination system allowed creating national elites on the basis of moral qualities and learning, rather than social or geographical origin. The examinations included subjects such as xiaolian (filial respect and integrity), xiucai (outstanding abilities) and xianliang (proficiency in the classical literature). During most of the Han dynasty, xiucai could not be used because the character xiu (秀) was part of the name of the Han Emperor Wu and therefore taboo. Writers often followed a common practice during the Han dynasty and replaced xiu by the character mao (茂). In this case, xiucai would then become maocai (茂才).

 

 

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Expresso

Schönes Missverständnis dieser Tage beim Italienisch-Stammtisch in einer Pizzeria: Ich scheine zu früh da zu sein, und als ich komme, ist erst einer da, ein Italiener. Er unterhält sich mit dem Besitzer der Pizzeria. Vor ihm steht ein Expresso. Finde ich eine gute Idee und bestelle auch einen: Anche per me un caffè. Ausgerechnet diese Kellnerin, stellt sich heraus, spricht aber kein Italienisch. Das sagt sie auch, fügt aber schnell hinzu, sie habe trotzdem verstanden. Und bringt mir kurz darauf, was ich nicht bestellt habe: einen Kaffee, d.h. einen “deutschen” Kaffee, keinen italienischen caffè bzw. deutschen Expresso.

 

 

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Oscar Fernández?

El Indio Fernández, der berühmteste Regisseur Mexikos, der sich erst als Stuntman, Komparse und Tellerwäscher in Hollywood durchschlug, bevor er berühmt wurde, und der für sein cholerisches Temperament und seine Alkoholexzesse bekannt war, wurde aufgrund seines muskulösen Körperbaus zum Modell für die Oscar-Statue. (Wimmer, Stefan: “Das Leben ist ein Schnapsglas”, in: SWR 2: 18/10/2012)

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Hinterrücks

Bei den Dreharbeiten zu El Bruto hatte Buñuel Schwierigkeiten, seinen Hauptdarsteller, Pedro Armendáriz, davon zu überzeugen, in einem kurzärmligen Hemd vor der Kamera zu erscheinen. Das sei etwas für Schwule, meinte der. Noch schlimmer kam es in einer Szene, in der Armendáriz einem Mädchen den Mund zuhält, bis deren Verfolger verschwunden sind. Er soll sie dann bitten, das Messer, das ihm im Rücken steckt, herauszuziehen: “Arráncame lo que llevo atrás – Zieh mir raus, was mir da hinten drin steckt.” Arméndariz hatte einen Wutausbruch und weigerte sich, diese Zeilen zu sagen. (Wimmer, Stefan: “Das Leben ist ein Schnapsglas”, in: SWR 2: 18/10/2012)

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Preguntón

Buñuel war nach seiner Übersiedlung nach Mexiko konsterniert von dem schnellen Griff zur Waffe, der in Lateinamerika an der Tagesordnung war. Die mexikanischen Zeitungen berichteten fast jeden Tag darüber, dass irgendwo jemand aus einem geringfügigem Anlass abgeknallt worden wurde. Besonders war Buñuel diese Zeitungsnotiz in Erinnerung geblieben: Ein Mann kommt zu Haus Nr. 39 und fragt den Portier nach Herrn Sánchez. Der Portier sagt, der wohne in Nr. 37. Der Mann geht zu Nr. 37 und fragt dort den Portier nach Sánchez. Der Portier sagt ihm, der wohne in Nr. 39. Der Portier von Nr. 39 müsse sich geirrt haben. Also geht der Mann wieder zu Nr. 39 und berichtet dem Portier, was er nebenan gehört habe. Der Portier bittet den Mann, einen Moment zu warten, geht in einen Nebenraum, kommt mit einer Pistole zurück und knallt den Mann nieder. Buñuel war vor allem der Ton der Geschichte ins Auge gesprungen. Der Journalist schrieb so, als wolle er dem Portier Recht geben. Der Titel der Geschichte war “Lo mata por preguntón – Er tötet ihn, weil er immer so viel fragt”.  (Wimmer, Stefan: “Das Leben ist ein Schnapsglas”, in: SWR 2: 18/10/2012)

 

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Haus und Lamm

Die Immobilienfirma Hebel Haus bewirbt ihre Häuser, indem sie auf deren Stabilität und Langlebigkeit verweist. Das Maskottchen der Firma in Japan ist ein Lamm. Was hat ein Lamm mit Immobilien zu tun? Der Werbeslogan der Firma heißt Lifelong Program. Auf Japanisch wird das zu raifurongupuroguramu, kurz gesagt: ramu. Und Lamm heißt auf Japanisch ramu!

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Betrug am Leben

Wieland unterhält Goethe mit stundenlangen Belehrungen über den Humor. Jetzt weiß Goethe, dass er keinen Humor hat. Jeder, der Humor hätte, hätte ihn erheuchelt. Wer Humor hat, betrügt das Leben um seinen Ernst. Seinen furchtbaren Ernst. (Walser, Martin: Ein liebender Mann. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2009: 187)

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Unbewusst glücklich

“Wenn man weiß, warum man glücklich ist, dann ist man doch gar nicht mehr glücklich”, sagt Goethes junge Freundin Ulrike von Levetzow. (Walser, Martin: Ein liebender Mann. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2009: 164)

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Unmögliche Ehe

Die Ehe, findet Goethe, zumindest der fiktionale Goethe, ist eine Form, etwas Unmögliches möglich zu machen. Sie ist aller Ehren wert, aber wer es ernst meint, bedarf ihrer nicht. Die Ehe ist nur da notwendig, wo einer der beiden es weniger ernst meint als der andere.(Walser, Martin: Ein liebender Mann. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2009: 119)  Aber: Ist das nicht immer so?

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Für dein Alter …

Goethe, zumindest der fiktionale Goethe, ärgert sich über die Komplimente über sein gutes Aussehen. Er liest die Komplimente so: Dafür, dass Du so ein alter Schleicher bist, siehst du noch ganz gut aus. In seinem Alter, findet er, gibt es , wenn es um das Aussehen geht, nur noch Beleidigungen. (Walser, Martin: Ein liebender Mann. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2009: 68-9)

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Dankbar für Dankbarkeit

“Man könnte sagen, sagte Goethe, wer mir dankbar ist, dem bin ich dafür, dass er mir dankbar ist, so dankbar, wie er mir gar nicht sein kann.” (Walser, Martin: Ein liebender Mann. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2009: 32-3)

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Auch wahr

“Alle diese Sätze sind, wenn man sie umdreht, genauso wahr”, sagt Ulrike von Levetzow zu Goethe. Goethe hatte gesagt: “Es wäre schön, einen Menschen zu haben, der genau die Angst empfindet, die man selber hat.” Ulrike setzt dagegen: “Es wäre schön, einen Menschen zu haben, der genau die Angst nicht hat, unter der man leidet.” Goethe hatte gesagt: ” Wer mir nicht sagt, was er denkt, beleidigt mich.” Ulrike setzt dagegen: “Wer mir sagt, was er denkt, beleidigt mich.” (Walser, Martin: Ein liebender Mann. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2009: 32-3)

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Größe durch Glatze

Die Glatze verleiht Größe und Respekt. Das jedenfalls hat eine schlichte Studie an der Wharton Business School belegt. Den Probanden wurden zwei verschiedene Bilder von jeweils denselben Männern vorgelegt, einmal mit Haar, einmal ohne (retuschiert). Das Resultat: Die Glatzköpfigen wurden als dominanter und als kräftiger und (um 2,5 cm) größer  eingeschätzt. Die Glatze stellt die letzte männliche Domäne dar. Geschäftsfrauen tragen auch Anzug und Aktentasche, aber sie rasieren sich den Schädel nicht. (Joffe, Josef: “Kahl ist cool”, in: Die Zeit 42/2012: 14)

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English, please!

In 1422, the London brewers took an important decision: they decided that from then on they would record their proceedings in a new language, and this new language was to be – English! Till then, they had recorded their proceedings in French. English was now beginning to replace French (and, very gradually, also Latin) as the normal form of written communication. In 1399, the order disposing Richard II was read in English, and his successor, Henry IV, used English to claim the throne and in his acceptance speech. His successor, Henry V, followed his father in publishing his will in Engish. His reign saw the legendary victory at Agincourt – over the French! It engered a rising consiousness of nationhood and the increasing use of English in official contexts. Knowledge of French had been on the wane before. In 1395, a certain John of Trevisa complained that English children knew not enough French to be taught in that language. He claimed that their Latin lesson should be given in English, not French. (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 4-5)

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Christliche Wirrungen

Nach der Veröffentlichung eines Aufrufs zur Einheit aller Christen, von vielen Prominenten unterzeichnet, sagte einer der Initiatoren, Norbert Lammert, es habe nur zwei Einwände gegen den Text gegeben: Er sei zu katholisch. Und: Er sei zu evangelisch.

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Dein Name sei Penner

Im deutschen Sprachraum trifft man gelegentlich auf den Nachnamen Penner. Umgangssprachlich steht Penner für einen, der viel schläft oder einen, der nichts mitbekommt oder einen Pennbruder auf der Parkbank. Man könnte versucht sein, diese Bedeutungen mit dem zu Namen assoziieren. Ganz weit hergeholt ist das nicht, denn Nachnamen sind wirklich oft von einer auffälligen Eigenschaft eines Ahnen abgeleitet: Kurz, Breit, Groß, Klein usw. Aber da stellen sich Zweifel ein: Die modernen Bedeutungen von Penner sind vermutlich zu neu für den Namen. Also sucht man nach anderen Erklärungen. Dabei ist der Kopf hilfreich. Umgangssprachlich heißt es oft Kopp. Nicht umsonst. Die umgangssprachliche, niederdeutsche Variante ist die ältere Form, gegenüber dem hochdeutschen Kopf. Das ist die Form, die sich erst nach der Lautverschiebung gebildet hat, eine Lautverschiebung, die das Niederdeutsche genauso wenig mitgemacht hat die wie anderen germanischen Sprachen. Also haben wir engl. pipe, schw. pipa, aber Hochdeutsch Pfeife, engl. pepper, schw. peppar, aber Hochdeutsch Pfeffer, also immer /p/ gegenüber /pf/. Wenn man das jetzt auf den (niederdeutschen) Penner anwendet, dann wird aus dem ein hochdeutscher Pfenner, und man ist der Sache schon näher. Jetzt muss noch berücksichtigt werden, dass Rechtschreibung traditionell nicht maßgebend ist und gleiche Laute regional unterschiedlich wiedergegeben wurden. Dann kann man <e> durch <ä> ersetzen und ist beim Pfänner. Der Penner hatte also etwas mit einer Pfanne zu tun. Aber mit welcher Pfanne? Einer Bratpfanne? Es gibt ja auch den Nachnamen Koch und viele andere Namen, die Berufsbezeichnungen sind.  Das ist auch hier der Fall, aber beim Penner war es eine andere Pfanne, nämlich die Salzpfanne. Der Penner arbeitete in einem Salzbergwerk. Wie wichtig Salz war, nicht nur als Würze, sondern auch als Konservierungsmittel, lässt sich heute noch an geographischen Bezeichnungen wie Salzuffeln, Salzburg, Salzach und an der Salzstraße vieler Städte ablesen.  Ebenso aber auch an Halle, Hallein und Reichenhall. Die führen alle das keltische Wort für ‘Salz’ im Namen.

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Dein Name sei Holyband

Die ersten Bücher zum Erlernen von Englisch als Fremdsprache wurden von Franzosen geschrieben, darunter The French Schoolmaster von Claudius Holyband. Der hatte einen englischen Nachnamen adoptiert, angelehnt an seinen eigentlichen Nachnamen de Sainliens (oder Desainliens). Diese Details sind nicht nur von akademischem Interesse, denn Holyband gehörte zu den Flüchtlingen, die sich soweit an das neue Land anpassten, dass sie ihren Namen änderten. Er mag dabei auch kommerzielle Interessen verfolgt haben, angesichts der stillen Vorbehalte, auf die die immer größer werdende Zahl von Flüchtlingen traf. (Howatt, A.P.R.: A History of English Language Teaching. Oxford: Oxford University Press, 1984: 19-20)

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Dein Name sei Adorno

Theodor W. Adorno hatte eine glückliche Kindheit. Das lag vor allem an seiner geliebten Mutter und an seiner Tante. Nicht umsonst nahm er später den katholischen Nachnamen seiner italienischen Mutter an, während der jüdische Nachname des Vaters, Wiesengrund, auf das W. reduziert wurde. (Hartwig, Ina: „Arlette und ihr Adorno“, in: Die Zeit 41/2012: 58-9)

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Dein Name sei Eco

Wenn man anfängt, sich für etwas zu interessieren, trifft man an jeder Ecke auf etwas aus diesem Gebiet. So ging es mir jetzt bei Namen. Darauf bin ich viermal innerhalb von kürzester Zeit gestoßen, in den unterschiedlichsten Zusammenhängen. Zuerst auf Umberto Eco. Sein Vater war ein Findelkind. Dem wurde von einem Gemeindediener nach jesuitischer Tradition der Nachname Eco gegeben: Ex coelo oblatus, ‘vom Himmel geschenkt’. (Nerlich, Michael: Umberto Eco. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2010: 7)

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Peeptoes und Fleshtunnels

Wenn man beruflich mit Englisch zu tun hat, wird man immer wieder von Freunden und Bekannten auf englische Wörter angesprochen, die plötzlich im Deutschen auftauchen. Meistens muss ich da passen. So geschehen in dieser Woche mit und peeptoes, Schuhen, die die Zehen freilassen, und fleshtunnel, Schmuckstücke, die wie Ohrringe aussehen, aber wohl eine Form von Piercing sind. War mir beides nicht bekannt, weder aus dem Deutschen noch aus dem Englischen. Obwohl mir das Wort fleshtunnel unbekannt war, war es die Sache nicht. Ganz ähnlich Formen von Piercing habe ich Dutzende Male in altamerikanischen Skulpturen und Abbildungen gesehen. Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Das wissen aber die Träger der fleshtunnels nicht.

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Vater und Mutter

Was heißt Vater und Mutter auf Englisch? Die Frage scheint zu läppisch, um überhaupt beachtet zu werden, und ich kann mich auch nur auf mein Sprachgefühl berufen, aber trotzdem: Meines Erachtens stehen Mutter & Vater und Vater & Mutter im Deutschen nebeneinander, genauso wie Mama & Papa und Papa & Mama. Im Englischen dagegen klingt Mother & Father eingängiger als Father & Mother und Mum & Dad viel eingängiger als Dad & Mum, das geradezu falsch klingt. Im Japanischen, habe ich mir von einem befreundeten Experten sagen lassen, sind chichi & haha (umgangssprachlich) und otousan & okasan (formal) die gängigeren Varianten, mit dem Vater vorne! Anders herum, heißt es, klinge es sehr unnatürlich. Ähnlich bei Französisch Papa & Maman (feststehende Reihenfolge), während es bei Père & Mère etwas mehr Spielraum gibt, aber auch hier mit dem Vater vorne als Vorzugsvariante. Wenn das so ist, was hat das zu bedeuten? Und hat es überhaupt etwas zu bedeuten? Wir haben auch Maße und Gewichte gegenüber weights and measures (Umkehrung in beiden Fällen praktisch unmöglich). Da könnten wir uns leicht mit “Konvention” als Erklärung zufriedengeben. Aber gilt das auch für Vater und Mutter?

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Touristen und Studenten

Touristen wollen zweierlei: ihre Vorstellungen krass widerlegt (“Wer hätte das gedacht?”) oder eindeutig bestätigt (“Hab ich mir doch gedacht!”) sehen. Alles dazwischen verwirrt nur.  So sieht es der Autor eines Buches, der über seine Erfahrungen als “Stadtbilderklärer” auf einem Ausflugsboot in Berlin berichtet (Tilman Birr, On se left you see se Siegessäule. München: Goldmann, 2012). Das erinnert mich irgendwie an meine Studenten.

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Schnelle Schweden

“Wir gingen alle miteinander zu Fuß den anderthalb Meilen langen Weg nach Stockholm in weniger als drei Stunden.” So steht es in einem Buch, das ich gerade lese, Ernst Brunners Biographie des schwedischen Sängers Carl Michael Bellmann. Da fragt man sich, warum das schnell sein soll, anderthalb Meilen in drei Stunden. Die Erklärung ist, wie eigentlich immer, sprachlich. Eine schwedische Meile ist zehn Kilometer. Also schaffen sie fünfzehn Kilometer in drei Stunden. Das ist wirklich schnell, vor allem, wenn man den Rest des Satzes dazu nimmt: “… und dabei schafften wir es noch, den Probst Honther in Spanga zu besuchen.” (Brunner, Ernst, Ich lebte von Liebe und Wein. Berlin: List, 2006: 122)

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Witwer? – Witwer!

In einer russischen Kurzgeschichte lese ich folgenden Dialog: “‘Ist er Witwer?’, flüsterte ich mechanisch. ‘Witwer’, antwortet Pelageja Iwanowna leise.” So spricht vielleicht ein Russe, aber kein Deutscher. Das ist eine Übersetzung, die sich zu eng am Original hält (Es sei denn, man wolle eine Interlinearübersetzung machen, die die Charakteristika der Ausgangssprache erhellt). Die Antwort auf eine solche Frage ist im Deutschen ganz einfach “Ja.” Sprachen, die kein Wort für ja haben – Latein gehört wohl dazu – müssen andere Modalitäten finden wie etwa die Wiederholung eines Wortes aus der Frage, und das ist im Russischen, vermutlich aus historischen Gründen, durchaus Standard, und so ist es auch im Original: Im Deutschen aber nicht. Man würde das wenigstens als fremd, wenn nicht als exaltiert empfinden. (Michail Bulgakow, ” Полотенце с петухом – Das Handtuch mit dem Hahn”, in: Последнее свидание. Рассказы – Letztes Wiedersehen. Russische Erzählungen. München, DTV, 3/2011: 64-5)

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Bluttransfusion

Im Fernsehen wird gezeigt, wie die Massai in Tansania ihren Tieren, vor allem den Ochsen, aus kürzester Entfernung einen Pfeil in den Hals schießen. Warum machen die das? Es geht nicht darum, die Tiere zu schlachten. Auch nicht darum, ihnen überhaupt Schaden zuzufügen. Den Tieren kann die Prozedur nichts anhaben, und sie wird jeden Monat wiederholt. Es geht um das aus der Wunde fließende Blut. Das wird aufgefangen und den Kindern und den Kriegern als Getränk verabreicht – zur Stärkung. Die Kinder trinken das Blut mit sichtlicher Freude und zeigen lachend ihre roten Zähne.

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Diplom mit Note Fünf

In einer russischen Kurzgeschichte lese ich von einem jungen Arzt, der eine Stelle in einem Krankenhaus antritt. Während der Fahrt dorthin und noch mehr nach der Ankunft macht er sich Gedanken, ob er dieser Aufgabe gewachsen sei. Er sieht nur seine Unkenntnis und die schwierigen Fälle, die auf ihn zukommen könnten. Dabei hat er doch, tröstet er sich, ein Diplom, und fünfzehn Fünfen in der Abschlussprüfung. Das hört sich für einen Deutschen nicht so toll an, aber es sind, auf deutsche Verhältnisse übertragen, fünfzehn Einsen.(Michail Bulgakow, ” Полотенце с петухом – Das Handtuch mit dem Hahn”, in: Последнее свидание. Рассказы – Letztes Wiedersehen. Russische Erzählungen. München, DTV, 3/2011: 56-7)

 

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Geschlecht: unsichtbar

In der schwedischen Vorschule Egalia – der Name ist Programm – werden die Personalpronomen han, ‘sie’ und hon, ‘er’ durch das neu kreierte, neutrale hen ersetzt, lese ich in der Zeitung (Maas, Marie-Charlotte: “Sei, was du willst”, in: Die Zeit 34/2012: 62). Damit, so wird behauptet, würden geschlechtsspezifische Vorstellungen abgebaut. O sancta simplicitas! Wenn’s so einfach wäre. Nach dieser Rechnung bräuchte man nur ein paar Stellschrauben der Sprache verstellen, und schon hätten alle eine “reine Gesinnung”. Sprache und das Verhältnis von Sprache und Denken sind aber komplizierter. Jeder Euphemismus ist Beleg dafür. Andere Sprachen haben die Unterscheidung zwischen hon und han erst gar nicht. Dazu gehören Japanisch und Türkisch. Also gibt es dort auch keine Geschlechterklischees?

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Naughtie mistake?

James Naughtie, einer der Moderator von Today im Radio 4 der BBC, ist bekannt für seine langen Fragen und seinen markanten schottischen Akzent. Er ist auch bekannt für einen Verprecher in einer Sendung im Dezember 2010, als er ankündigen wollte, dass er später mit Jeremy Hunt sprechen werde, dem britischen Kulturminister, ihn dabei aber versehentlich Jeremy Cunt nannte. Das Wort cunt ist ein ziemlich derbes Wort für das weibliche Sexualorgan und ein ebenfalls ziemlich derbes Wort für einen Idioten. Es kam zu wütenden Protesten einiger Zuhörer, aber andere fanden es einfach witzig, vor allem die Art und Weise, wie Naughtie versuchte, sein eigenes Lachen hinter einem Hustenanfall zu verbergen. Naughtie entschuldigte sich später bei den Hörern. Parallel dazu wurde ein Leserbrief vorgelesen, der den Fehler nicht als Freudschen Fehler interpretierte, sondern einfach eine phonologische Erklärung lieferte. Der Name des Premierministers, Cameron, fängt mit dem Laut an, mit dem auch cunt anfängt. Die vielen Reaktionen veranlassten die BBC, kurz nach Today eine Diskussion über den Versprecher anzusetzen. Deren Moderator war Andrew Marr. Viel Aufwand wegen eines kleinen Versprechers, aber es lohnte sich: Andrew Marr wiederholte während der Diskussion aus Versehen genau den Versprecher, den Naughtie gemacht hatte!

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Geregelter Anarchismus

Beim Internationalen Anarchistentreffen in der Schweiz, höre ich im Radio, ist es verboten, Hunde mitzubringen.

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Fleischeslust

Deutsche Männer essen doppelt so viel Fleisch wie deutsche Frauen und trinken viermal so viel Alkohol wie deutsche Frauen. Das ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Untersuchung. Diese Männer! Aber Vorsicht: Die Ergebnisse der Untersuchung beruhen auf Selbstauskunft. Man wird gefragt, wie viel man isst und trinkt, und das gilt. Da kommt natürlich das Selbstbild ins Spiel. Wie verlässlich ist das? Kann durchaus sein, dass die Männer übertreiben und die Frauen untertreiben, und in Wirklichkeit beide näher aneinander liegen, als die Umfrage nahelegt. Und wie genau sind die Werte, wenn man gefragt wird, wie viel Fleisch man pro Jahr ist? Wie kann man das einschätzen? Ich hätte jedenfalls keine Ahnung, wie das bei mir aussieht. (All dieses wunderbare Wissen verdanke ich einer Radionsendung auf SWR2.)

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Kulturreise

In einem Internetreiseforum lese ich folgenden Eintrag: “Wer in Krakau studiert, MUSS jeden Abend weggehen, denn das kulturelle Angebot in dieser Stadt ist RIESIG. Hier findet man hunderte von Kellerkneipen, Cafés, Studentenclubs und Diskotheken. “

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Adieu Federbüchse

In einem Artikel über Deutsch und dessen Zukunft, der mir von einer Studentin zur Verfügung gestellt wurde (und der ganz nebenbei auch die absurde Befürchtung widerlegt, in 50 Jahren gäbe es kein Deutsch mehr) geht es u.a. um Auskehrgericht, Federbüchse, Genüssling, Magdtum, und Weißsucht. Es sind Wörter, die aus der letzten Ausgabe des Duden verschwunden sind.

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Orange oder Apfelsine?

Eine ausländische Studentin fragt mich nach dem Unterschied zwischen Orange und Apfelsine im Deutschen. Ich antworte, etwas vorschnell, dass Orange das formalere Wort ist. Ich selbst sage immer Apfelsine, wenn es um das Obst geht. Orange klingt für mich fast etwas versnobbt. Andererseits sage ich immer Orangensaft, nie Apfelsinensaft. Ich frage aber dann, da es gerade zum Seminarthema passt, auch die Studenten. Die sehen das anders. Sie gebräuchten fast ausschließlich Orange. Hätte ich nicht gedacht. Vielleicht ist das ein Indix für Sprachwandel: Die jüngere Generation gebraucht zunehmend Orange, und Apfelsine wird allmählich verdrängt. Dann aber frage ich, neugierig geworden, in einem anderen Seminar. Dort ergibt sich ein anderes Bild. Einige der Studenten sagen vorwiegend Orange, andere Apfelsine, und eine Studentin stellt die kuriose Vermutung an, es könne sich um eine regionale Unterscheidung handeln. Hier, in Grenznähe zu Frankreich, herrscht Orange vor, anderswo nicht. Die ausländische Studentin trägt selbst noch bei, dass es in ihrer Sprache, dem Ukrainischen, auch zwei Wörter für Apfelsine gäbe: арельсин – appelsin (wie unsere Apfelsine ‘Apfel aus China’) und помаранча – pomarancia (eine Verbindung von fr. ‘Apfel’ und ital. ‘Orange ‘). Davon wird im Alltag fast nur appelsin benutzt; pomarancia ist ein formaleres Wort, und auch das Wort, das zur Benennung der Orange Revolution benutzt wird.

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Brett vorm Kopf?

Einer Zeitungsnotiz zufolge benachrichtigen Nachbarn die Polizei, als sie aus einer Wohnung Schreie hörten: “Du mieses Stück!” – “Dich mach ich fertig!” – “Zack!” – “Nimm das!” – “Und das!” – “Jetzt musst Du bluten!” – “Auf den Kopf!” – “Du kommst hier nicht mehr raus!”. Die Polizeistreife traf auf einen Mann, der vor dem Computer saß, online Schach spielte und seine Züge kommentierte.

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Kaputt

In einer Zeitungsnotiz lese ich, dass junge Leute das Wort kaputt durch schrotten ersetzen: “Ich habe mein Handy geschrottet.”  Das ist für mich neu, auch wenn sich die Bedeutung leicht erschließt. Allerdings hört es sich für mich so an, als wäre das Handy nicht von selbst kaputtgegangen, als hätte der Besitzer das Handy fallen gelassen oder nass werden lassen oder auf die Herdplatte gelegt. Das scheint aber nicht gemeint zu sein, jedenfalls nicht unbedingt. Meine Studenten, die das Wort tatsächlich gebrauchen und damit zu den jungen Leuten zählen, weisen allerdings auf etwas anderes hin: Sie gebräuchten das Wort zur Emphase oder zum Ausdruck von Verärgerung, im Gegensatz zu kaputt, das neutral sei. Dafür erfahren sie von mir, dass wir kaputt auch exportiert haben, nämlich ins Englische – vermutlich geläufiger im Amerikanischen Englisch als im Britischen Englisch – wo es seine Bedeutung erhalten, aber ein <t> verloren hat. Bevor wir es exportiert haben, haben wir es allerdings erst mal importiert, und zwar aus dem Französischen, und zwar im Dreißigjährigen Krieg. Abgeleitet wurde es von capot, und das kam aus dem Kartenspiel, wo faire capot ‘keinen Stich machen’ bedeutete. Und wenn man keinen Stich machte,  dann war man eben kaputt.

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Kirche und Fußball

Einer Statistik zufolge gehen in Deutschland an einem durchschnittlichen Wochenende fünfmal so viele Menschen in die Kirche wie in die Stadien der 1., 2. und 3. Bundesliga zusammen. Fünfmal so viele Kirchenbesucher wie Fußballzuschauer! Allerdings ist die Zahl der Kirchgänger seit 1995 um 40% gesunken, die der Fußballzuschauer um 40% gestiegen. Und die Statistik berücksichtigt nicht, wie viele Menschen am Fernseher Übertragungen von Fußballspielen und wie viele Übertragungen von Gottesdiensten sehen. Wäre auch interessant zu wissen, wie viele von den Kirchgängern auch ins Stadion gehen. Und umgekehrt.

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Geburtenschwäche?

Noch nie wurden in Deutschland so wenige Kinder geboren wie 2011. Das löst allgemein Befürchtungen, manchmal Entsetzen aus. Man könnte aber auch die Frage stellen: Ist das wirklich so schlimm? Man könnte die Prognosen einfach auf den Kopf stellen und ein positives Bild malen: kleinere Klassen, mehr Wohnraum, mehr Arbeitsplätze, vielleicht sogar weniger Staus, weniger Gedränge, kürzere Schlangen. Ist das schlecht? Deutschland hatte, so weit ich weiß, noch nie so viele Einwohner wie heute, auch als es viel größer war. Müssen es noch mehr werden?

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Japanische Geldwäsche

Die saubersten Geldscheine gibt es in Australien und Neuseeland, die schmutzigsten in China. Die Oberfläche von Geldscheinen ist, entgegen unserer Wahrnehmung, nicht glatt und damit ein idealer Nistplatz für Mikroben. Besonders mögen sie es, wenn das Geld möglichst direkt am Körper getragen wird, zum Beispiel in der Hosentasche. Da ist es schön warm. Vermehren können sie sich dennoch kaum, denn die Geldscheine haben ein Manko: Sie sind trocken. Dennoch geht man in Japan auf Nummer Sicher: Die Geldscheine, die man aus dem Automaten zieht, werden vorher auf 200° erwärmt.

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Andy Becker

Der Blaue Montag, höre ich in einer Radiosendung, sei ein Geschenk des deutschen Kaisers Andy Becker. Habe ich richtig gehört? Ein deutscher Kaiser mit dem Namen Andy? Und dem Nachnamen Becker? Hießen die nicht Konrad und Heinrich und Maximilian? Und hatten gar keine richtigen Nachnamen? Lange Leitung. Erst dann merke ich, dass ich nicht richtig gehört habe.

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Mutter Erde, Vater Himmel?

In den meisten Kulturen, heißt es in einer Radiosendung, sei der Himmel männlich, die Erde weiblich. Der Himmel bringt Regen hervor, den Samen der Götter. Die mütterliche Erde, die uns beherbergt, sei die andere Seite. Kann schon sein, aber warum so weit schweifen? Man kann einfach bei der Metapher bleiben: Die Erde empfängt den Regen. Aber das nur nebenbei. Wichtiger ist die Frage: Was bedeutet ‘in den meisten Kulturen’? Wer hat die gezählt? Wie kann man das überprüfen? Und: Gibt es auch Hinweise auf die Geschlechterrollen von Himmel und Erde in Kulturen, deren Sprachen kein grammatisches Geschlecht kennen?

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Vermisst

In Deutschland werden jeden Tag 200 Kinder als vermisst gemeldet. Die meisten sind Ausreißer und bald wieder zurück. Aber nicht alle. 1,600 Kinder gelten als dauerhaft vermisst.

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Autonomer Nachvollzug

Eine Studie der Universität Bern hat ergeben, das zwei Drittel aller Schweizer Gesetze von der EU-Gesetzgebung beeinflusst sind. Die meisten Regelungen übernimmt man ohnehin, und für den Export in die EU muss sich die Schweiz an die dort geltenden Regelungen halten (80% der Schweizer Exporte gehen in die EU). Auch der Schweizer Käse muss sich daran halten. Als die Europäische Union Bulgarien und Rumänien aufnahm, rief Bern seine Bürger zu einer Volksabstimmung auf. Jeder Schweizer sollte mitentscheiden, ob die mit der EU vereinbarte Freizügigkeit auch für Bulgaren und Rumänen gelten soll. Die Stimmung in der Schweiz war damals eindeutig gegen rumänische oder bulgarische Zuwanderer. Doch dann machte die EU der Schweiz klar, dass sie darüber nicht zu entscheiden hätte. Die Verträge gälten mit der EU insgesamt, man könne nicht einzelne Länder ausnehmen. Wenn die Abstimmung ein Nein ergebe, würden alle Vereinbarungen hinfällig. Die Schweizer würden die Freizügigkeit in der gesamten EU verlieren, die Schweizer Wirtschaft den Zugang zum Binnenmarkt, die Swiss Air könnte nicht mehr so frei über EU-Länder fliegen, und viele Studenten müssten ihr Studium im Ausland abbrechen. Daraufhin stimmten die Schweizer brav für die Öffnung ihrer Grenzen für Rumänen und Bulgaren. Dennoch wird die Fiktion der nationalen Autonomie aufrechterhalten. Autonomer Nachvollzug nennt sich dieser Prozess der Übernahme der Regelungen der EU. (“Zwischen Gipfeln und Abgründen”, in: SWR 2 Radioakademie, 26/05/12)

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Bremsgefahr

Stephensons Rocket und die anderen frühen Lokomotiven hatten keine Bremse. Die Geschwindigkeit wurde reduziert, indem man Dampf abließ. (“Sieg der Dampfrakete”, in: Arte, 26/05/12)

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Joggen beim Joggen

Zufällig habe ich beim Joggen eine Radiosendung gehört, in der es um Joggen ging. Die deutsche Übersetzerin von Asterix, Gudrun Penndorf, erzählt darin, wie sie das damals neu aufkommende Wort in einem der Bände verwenden wollte, aber damit bei dem Verlag nicht durchkam. Es musste durch Frühsport machen ersetzt werden. Außerdem erzählt sie, wie auch gute Übersetzungen  immer wieder überarbeitet werden mussten, weil der Text einfach zu lang war. Deutsch ‚dauert‘ länger als Französisch, es benötigt mehr Buchstaben, und das war besonders bei den Sprechblasen ein Problem. Sie wurde also immer wieder gebeten, den Text zu kürzen. Eine schwere Aufgabe für den Übersetzer. Genauso wie die Wortspiele, die oft auf den Unregelmäßigkeiten der französischen Rechtschreibung beruhten. Im Französischen gibt es bis zu fünf Schreibweisen, mit der ein und dieselbe Lautkette wiedergegeben werden kann. Da ist es nicht genug, gut Französisch zu können. Penndorf erzählt, wie sie, junge, wenig erfahrene Übersetzerin, ihr erstes Vorstellungsgespräch bei dem französischen Verleger hatte und der gar nicht von der Übersetzung oder überhaupt von Asterix sprach, sondern über Gott und die Welt. Er wollte nur herausfinden, ob ihr Französisch gut genug war. Was er nicht überprüfte, war, ob ihr Deutsch gut genug war. Das wird meistens einfach vorausgesetzt – ein Fehlschluss.

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Wrong Road

Bei der Lektüre bin ich auf das italienische Wort freccia gestoßen, ‘Pfeil’. Auf Spanisch heißt es flecha. In dem Zusammenhang erinnerte ich mich an span. Catalina vs. deutsch Katharina und engl. Catherine und Kathleen. Bei /l/ und /r/ befinden wir uns auf rutschigem Boden, nicht nur die Japaner und Chinesen, wie der japanische Student, der mir einmal erzählte, er hätte in London ein Taxi bestiegen und verlangt, zur Wrong Road gebracht zu werden.

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Überraschungs-Cola

In einer Fernsehsendung sah ich ein Experiment von der Berliner Charité, bei dem drei Sorten Cola, Pepsi, Rivercola und Coca-Cola, zu gleichen Teilen vermischt werden, sodass eine Flüssigkeit entsteht, die keine bestimmte Marke repräsentiert. Die Cola-Mischung wird dann auf vier Kartuschen verteilt, und die Probanden werden viermal zum Probieren eingeladen, bekommen aber jedes Mal dasselbe Getränk. Bevor sie tranken, wurde jeweils das Logo einer der Marken eingeblendet: Coca-Cola, Pepsi Cola, Rivercola und eine erfundene “T-Cola”. Das Ergebnis: Alle Probanden glaubten, verschiedene Getränke bekommen zu haben. Die meisten äußerten deutliche Präferenzen für die eine oder andere Sorte, manchmal mit ganz spezifischen Angaben wie dem etwas metallischen Geschmack von Pepsi, den ein Proband wiedererkannt haben wollte. (“Der Coca-Cola-Check”, in: ARD, 07/05/2012)

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Keine Bonuspunkte

In England werden die Vorzüge der Muttermilch mit missionarischem Eifer proklamiert. Wenn man bei Boots Säuglingsnahrung kauft, gibt es keine Bonuspunkte. Und wenn man nicht stillt, bekommt man es mit den britischen Übermüttern zu tun. Was aber, wenn das Stillen zum Problem wird? Was, wenn die Mutter gute Gründe hat, nicht zu stillen? Und was, wenn sie es nicht tut, obwohl sie keine gute Gründe hat? Statt das einfach hinzunehmen, wie man das in einer zivilisierten Gesellschaft erwarten würde, wird auf diese Frauen eingedroschen. Das britische Besserwissergen lässt keine Alternative zu.

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Schlussverkauf

Früher gab es zweimal im Jahr den Schlussverkauf, mit reduzierten Preisen. Jetzt gibt es längst keinen Schlussverkauf mehr, die Rechtslage hat sich geändert. Aber unser Unterbewusstsein hat sich noch nicht auf die neue Rechtslage eingestellt. In Studien in den USA wurde herausgefunden, dass Kunden solche Produkte automatisch billiger fanden, auf denen Sale stand. Klar sind sie for sale. Wofür denn sonst? Genau wie alle anderen Artikel in dem Geschäft. Und doch lassen wir uns was vormachen. (Rohwetter, Marcus, “Das will ich haben!”, in: Die Zeit 18/2012: 21-22)

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Falschfahrer

Einer der letzten Zufluchtorte der Sprache vor den Gerechten sind die Verkehrsnachrichten. Hier gibt es nur Falschfahrer. Alle Falschfahrer sind, wenn man die Logik der Sprachpedanten anwendet, Männer.

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Nearest the Wall Takes

In a book on London I read the following description of children’s games the other day: ‘Marbles were rolled in gutters, and the paving stones were marked with chalk for a hopping game. Children made use of walls, against which ‘fag-cards’ were flicked in games such as ‘Nearest the Wall Takes’ or ‘Nearest the Wall Spins up’. (Ackroyd, Peter: London. A Biography. London, Vintage Books 2001: 647). This is exactly what we used to do as children in a provincial German city, under the name of Bostern. One wonders whether this came to us at some stage from other places or whether children all over the world invent the same kind of games, independently.

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Goldenes Handwerk

In einem der Rankings, denen man jetzt überall begegnet, erfahre ich, welches die acht häufigsten Berufe in Deutschland sind (in der Sendung irreführend als die acht beliebesten Berufe bezeichnet). Wider Erwarten interessant. Für mich steht für den klassischen Beruf immer noch ein Handwerk. Wenn ich spontan Berufe zu nennen hätte, würde ich nicht auf Fernfahrer oder Rechtsanwalt oder Krankenschwester kommen, sondern auf Schreiner, Maurer, Bäcker. Die tauchen unter den acht häufigsten Berufen aber gar nicht auf. Da stehen Metallarbeiter (430.000), Koch (584.000), Krankenpfleger (830.000), Kraftfahrer (966.000), Ingenieur (1.051.000), Lehrer (1.383.000), Verkäufer (1.480.000), Bürofachkraft (4.372.000). Kaum Handwerker, und kaum jemand, der etwas herstellt. Wir kümmern uns meistens um uns selbst als Konsument, als Patient, als Lernender oder als Akte.

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Hautana

Was ist Hautana? Es ist die ursprünliche deutsche Bezeichnung einer jetzt 100 Jahre alten Erfindung, die in verschiedenen Ländern gleichzeitig gemacht wurde, in den USA, in Frankreich, in Deutschland, des Büstenhalters. Der bedeutete, zumindenst im wörtlichen Sinne, eine Befreiung der Frau, die Befreiung aus dem Korsett.

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Very, very important entry

Ich habe diese Woche 2 Hausarbeiten, 14 Bewerbungen für ein Austauschprogramm und 210 Essays von Modulprüfungen korrigiert. In all den Texten ist nicht einmal, nicht ein einziges Mal, das Wort important vorgekommen, ohne dass nicht gleichzeitig very vorkam. Alles ist very important. Genauso ist alles very interesting, niemals nur interesting. Das entwertet nicht nur very, sondern lässt die Texte auch unidiomatisch klingen. Ich lese gerade ein Buch über London, und habe jetzt mal, des Spaßes halber, in zwei Kapiteln darauf geachtet: Auf 16 eng bedruckten, großen Seiten kommt das Wort very keinmal vor.

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Frühlings Erwachen

Der Frühling kommt, die Tage werden länger, die Temperaturen steigen, die Bäume schlagen aus, die Vögel zwitschern, das ganze Programm. Ich kann mir nicht helfen, ich finde es wunderbar, auch wenn es noch so ein Klischee ist. Ich kann auch ausklammern, dass das Zwitschern der Vögel eine Kampfansage, keine Konzerteinlage ist. Es tut mir in der Seele gut. Am liebsten würde ich die Zeit langsamer vergehen lassen. Beim Verlassen des Hauses fällt mir heute ein Baum auf, oder ein Strauch, der mir den Gefallen tut und die Sache langsam angehen lässt, Seite für Seite. Er präsentiert den Besuchern erst einmal seine Schokoladenseite.

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Lob der Bürokratie

Im Radio höre ich ein “Lob der Bürokratie”. Wie bitte, Lob der Bürokratie? Über Bürokratie klagt man, man macht sich lustig über ihre Auswüchse und fordert Bürokratieabbau. Die Sendung beruft sich unter anderem auf Max Weber, der gesagt hat, wir hätten nur die Wahl zwischen Bürokratismus und Dilettantismus. Auf Bürokratie sei Verlass, sie garantiere, dass jeder nach den Vorschriften behandelt werde und nicht willkürlich. Die Bürokratie gebe einem das “Recht”, als Nummer behandelt zu werden. Das gibt einem zu denken. Dennoch: Ist hier nicht eigentlich der Rechtsstaat gemeint und nicht die Bürokratie? Ist die nicht ein unliebsames Anhängsel des Rechtsstaats? Ich wundere mich jedenfalls immer noch, dass ich Bescheinigungen ausstellen muss, die bestätigen, dass ein Auslandsaufenthalt in einem englischsprachigen Land gut für einen Anglistikstudenten ist.

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Chinglish

Einer Zeitungsnotiz zufolge hat die Ausländerbehörde in China einen Übersetzungsführer veröffentlich, dem so wunderbare Dinge wie das government abused chicken zum Opfer fallen sollen. Jeder Sprachliebhaber muss das bedauern. Demnächst gibt es keinen Health Check for Aliens mehr, kein chicken without sex und keine liquor saturated crabs. Schade.

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Tornister

In einem Kreuzworträtsel bin ich heute auf das Wort Tornister gestoßen. In meiner Schulzeit war es ein gängiges Wort. In den Schulbüchern stand immer Ranzen. Das klang nach ranzig. Kein Mensch gebrauchte es. Selbst unsere Eltern sagten nicht Ranzen, sondern Tornister. Unter uns Kindern sagten wir Tonneck. Erst Jahre später, als ich Tornister zum ersten Mal geschrieben sah, entdeckte ich, dass es ein <r> enthielt. Jetzt, wo ich wieder auf das Wort gestoßen bin, wollte ich wissen, was es mit diesem Wort auf sich hat. Und siehe da: Es kommt aus den slawischen Sprachen (tschech. tanystra) und bezeichnete ursprünglich einen auf dem Rücken getragenen größeren Ranzen der Soldaten (oder, einem anderen Wörterbuch zufolge) einen Hafersack für Reiter. Es hat also den Weg von der Soldatensprache in die Gemeinsprache hinter sich und den Weg von den slawischen Sprachen in den ostmitteldeutschen und von da in den weiteren deutschen Sprachraum. Natürlich hat es uns als Kinder nie gestört, dass es ein Fremdwort war. Es war uns viel näher als das fremde, einheimische Wort Ranzen.

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Schwierige Freiheit

In einer italienischen Kurzgeschichte, die ich gerade lese, hat der Protagonist, ein ehemals angesehener und vermögender Mann, der Ansehen und Vermögen verloren hat, sich darauf verlegt, Vögel zu fangen und diese zu verkaufen oder in Nahrung umzuwandeln. Ohne es zu wollen, kommt er in näheren Kontakt mit dem Dorftrottel, der ihn davon überzeugt, dass das Sünde sei und er die Vögel freilassen müsse. Nach einiger Gegenwehr lässt er sich darauf ein und entscheidet, die Vögel freizulassen. Sie gehen gemeinsam zu dem Haus, in dem die Vögel gefangen sind, im gesamten Erdgeschoss des Hauses, und ziehen an einer Kordel, die mit den Drahtnetzen der Fenster verbunden ist. Mit großen Getöse stürzen alle Drahtnetze gleichzeitig zu Boden, begleitet von den begeisterten Rufen des Dorftrottels: Los! Weg mit euch! Freiheit. Und die Vögel – bleiben sitzen. Sie sind keine Freiheit mehr gewohnt, sie wissen nicht, wie sie sie erlangen können, sie sind verschreckt, betäubt, benommen. Erst ganz langsam wagt sich einer voran und fliegt hinaus, mit einem Schrei, in dem sich Angst und Jubel mischen. Dann folgt ein anderer und noch ein anderer, und dann folgt mit großem Getöse die Menge. Ein schönes, einfaches, aber wirkungsmächtiges Bild.

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Derrick

Als ich dem Wort derrick zum ersten Mal im Englischen begegnete, kannte ich es schon – als Titel der deutschen Krimiserie. Ich dachte sofort: Da kommt das Wort bestimmt her. Aber dann war ich enttäuscht: Derrick und derrick hatten nichts miteinander zu tun. Das englische Wort bezeichnet eine Metallkonstruktion, eine Art Hebekran, wie man sie in Häfen hat. Jetzt habe ich einem dicken Buch über London gelesen, dass der Hebekran einen Vorgänger hat, eine Holzkonstruktion, eine ingeniöse Vorrichtung, wie ein Kran aussehend, die es ermöglichte, 23 zum Tode Verurteilte gleichzeitig zu hängen, ein wunderbares Beispiel für den Fortschritt der Zivilisation. Ihr Erfinder war der zweite Londoner Henker, ein Mann namens Derrick. Er wurde geradezu berühmt, und es gab einen Ausspruch (If Derrick’s cables do but hold), in dem sein Name vorkam. Der Namen der Krimiserie, vorausgesetzt, er war absichtlich gewählt, war also Programm: Derrick ist der, der die Verbrecher zur Strecke bringt!

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Zahlenspielchen der Natur

Im Gießener Mathematikum lerne ich, bekennender Mathe-Ignorant, die Fibonaci-Zahlen kennen, eine Zahlenreihe, bei der die nächste Zahl immer die Summe der beiden vorigen ist: 1 > 1 > 2 > 3 > 5 > 8 > 13 > 21 > 34 > 55 > 89 usw. Das sieht nach reiner Zahlenspielerei aus, die man interessant oder nicht finden kann. Aber dann kommt das Verblüffende: Solche Zahlenreihen kommen in der Natur vor! Bei Tannenzapfen, Gänseblümchen, Kakteen usw. Genau verstanden, wie, habe ich nicht, aber es geht bei den Tannenzapfen wohl um die Zahl der rechts- und linksdrehenden Schuppen. Wie immer die Details sein mögen, was treibt die Natur dazu, solche Zahlenspielchen zu machen? Woher weiß sie, welche die nächste Zahl ist? Welchen Vorteil kann das haben?

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Feuersignale

In einer italienischen Kurzgeschichte, die ich gerade lese, erzählt eine Frau aus der Metropole über die Zeit ihrer Verbannung in der Provinz, in den Abruzzen, in den Vierziger Jahren. Sie kann zunächst kaum zwischen Arm und Reich unterscheiden. Häuser, Menschen, Kleidung scheinen sich nicht groß zu unterscheiden. Dann merkt sie, dass es ein Unterscheidungsmerkmal gibt: das offene Feuer in den Häusern. Feuer mit Holzklötzen aus Eiche, Feuer mit Ästen und Feuer mit mühsam auf dem Weg zusammengetragenem Laub und Zweigen machen den Unterschied. (Natalia Ginzburg, “Inverno in Abruzzo”).

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Kein Gras über die Sache wachsen lassen

In der Zeitung lese ich über München, die “Hauptstadt der Bewegung”, und seine in der Vergangenheit oft halbherzigen Versuche, an seine eigene Rolle in der Nazizeit zu erinnern. Nebenher ist von zwei kleinen, aber feinen Gedenkformen die Rede: Vor der Wohnung von Georg Elser leuchtet jeden Abend eine moderne Wandskulptur kurz auf und erinnert an die Minute, in der 1939 am 8. November im Bürgerbraukeller seine Bombe losging. Und in den gepflegten Rasen des Königsplatzes schneidet ein Künstler jedes Jahr am 9. November ein Loch, um an den Scheiterhaufen zu erinnern, dem 1933 die Bücher und Zeitschriften verfemter Schriftsteller zum Opfer fielen.

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Gegenmittel

In einer italienischen Kurzgeschichte lese ich von einem Mann, der nach nicht bestandenem Examen aus Rom in die Provinz flüchtet und sich dort zu Tode langweilt. Er pflegt seine Langeweile geradezu. Eines Tages bekommt der Besuch von einem der Dorfgrößen, der überhaupt kein Verständnis dafür hat, dass er sich langweilt. Er macht ihm auf der Stelle einen Vorschlag: “Kommen Sie doch heute Abend zu mir. Dann können wir Dame spielen.”

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Bartlos

In einem Buch über London lese ich von einem der vielen Londoner Originale, einem Arzt, der ein Pony mit bemalten Flanken besaß und den einbalsamierten Leichnam seiner verstorbene Ehefrau in der Stube seines Hauses hielt. Er weckte auch allgemeines Aufsehen dadurch, dass er teetotaller – Abstinenzler – war.  So etwas muss zu der Zeit, am Ende des 18. Jahrhunderts, ziemlich exzentrisch gewirkt haben. Noch mehr interessiert mich aber ein anderer Grund, der ihn als Sonderling auszeichnete: Er ließ sich einen Bart wachsen! Das muss “so was von unmodisch” gewesen sein. In der nächsten Generation änderte sich dann das Blatt, und im 19. Jahrhundert trug man einfach einen Bart. Man denke nur an die drei big shots, Darwin, Marx, Freud, alles Bartträger. Vielleicht war der Londoner Arzt ja der Begründer einer langen Tradition.

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Akademische Saufbrüder

In einer Zeitungsnotiz lese ich, dass Akademiker mehr trinken als Nichtakademiker. Alkohol, versteht sich. Das gibt mir zu denken. In meiner nicht ganz vorurteilsfreien Welt war es bisher immer der Malocher auf der Fernsehcouch der Prototyp des Trinkers, gefolgt von Kegelbrüdern und Schützenbrüdern und Stammtischlern. Aber nein, wir piekfeinen Akademiker sind die wahren Trunkenbolde. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Mehr Geld? Mehr Gelegenheit? Mehr Zeit? Oder animieren wir uns öfter gegenseitig, einem mitzutrinken? Oder ist die Studentenzeit einfach die richtige Lehrzeit gewesen?

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Frühe Druckerkunst

Der Diskos aus dem Palast in Phaistos auf Kreta ist das älteste Druckwerk der Welt. Die Hieroglyphen wurden mit Stempeln in den weichen Ton gedrückt. Der Schreiber hatte für jeden Buchstaben einen eigenen Stempel. Der Text ist bis heute nicht entziffert. (Haarmann, Harald: Geschichte der Schrift. München: Beck, 2002: 25-6)

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Erdnussschmelze

Den Anstoß zur Entwicklung der Mikrowelle gab ein Erdnussriegel. Percy Spencer, ein amerikanischer Hochfrequenztechniker, hatte festgestellt, dass ein Erdnussriegel in seiner Hosentasche geschmolzen war, er selbst aber keine Hitze gespürt hatte. Er hatte sich in der Nähe eines eingeschalteten Magnetrons befunden und sah den Zusammenhang. (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 116) Hört sich wie ein Märchen an. Aber das Märchen wäre nicht wahr geworden ohne den Zufall, vor allem aber nicht ohne die Kenntnisse und ohne die Auffassungsgabe des Wissenschaftlers.

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Militärtechnik

Was haben die folgenden Erfindungen miteinander gemeinsam? Konservendose, Rauchzeichen, Reißverschluss, Flugzeug, Transistor, Fernseher, Computer, Mikrowelle, Internet? Alle dienten ursprünglich militärischen Zwecken. Oder zumindest wurde ihre Entwicklung entscheidend durch ihre Einsetzbarkeit für militärische Zwecke gefördert. Durch Rauchzeichen konnten bei Kriegsgefahr Warnungen weitergegeben oder Hilfe herbeigerufen werden; die Anlaufschwierigkeiten beim Reißverschluss wurden vom amerikanischen Militär überwunden, weil sich damit Schwimmwesten und Fliegerjacken schnell schließen ließen; das Mikrowellengerät wurde zuerst von einer Rüstungsfirma benutzt; mit Konservendosen wurde zuerst für die Ernährung britischer Soldaten während der Napoleonischen Kriege gesorgt; Konrad Zuses Forschungen zu digitalen Rechenanlagen wurden vom Reichsluftfahrtministerium bezahlt, das seine Rechner zur Ermittlung möglichst günstiger aerodynamischer Werte ferngesteuerter Bomben verwendete; die Entwicklung des Transistors wurden vom amerikanischen Militär finanziert; in Großbritannien war das Militär an der Entwicklung des Fernsehers beteiligt, dessen Röhren bei Angriffen als Frühwarnsysteme genutzt wurden; bei den Flugzeugen brachte der 1. Weltkrieg zumindest quantitativ den Durchbruch, mit fast 200.000 produzierten Flugzeugen; und die Entwicklung neuer Kommunikationstechniken, die schließlich das  Internet hervorbrachten, wurde nach dem Sputnik-Schock durch das amerikanische Militär vorangetrieben. (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005)

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Maserstrahl

Der Laser sollte ursprünglich auf der Verstärkung von Mikrowellen beruhen und Maser heißen: Microwave Amplification by Stimulated Emission of Radiation. (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 117)

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Limonadenrausch

Die namensgebenden Bestandteile von Coca-Cola sind Kokablatt und Colanuss. Das Kokain der Kokapflanze war ursprünglich Bestanteil von Coca-Cola. Nachdem die suchterzeugende Wirkung von Kokain immer offensichtlicher wurde, verwendete man die Kokablätter aus Geschmacksgründen weiter, entzog ihnen zuvor aber das Kokain. (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 84)

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Das häufigste Metall

Aluminium ist das in der Erdkruste am häufigsten vorkommende Metall. Aber es tritt nirgendwo in reiner Form auf.  (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 83)

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Kinoerfolg

1919 gab es in Berlin schon über 200 Kinos mit 80,000 Plätzen.  (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 87-8)

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Verhütungsmittel Granatapfel

Im Alten Ägypten kannte man die empfängnisverhütende Wirkung der Granatapfelkerne. Sie enthalten, wie die heutigen Ovulationshemmer, ein Östrogen. (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 115)

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Gaskühlschränke

In den USA war der Gaskühlschrank lange sehr verbreitet. 1923 gab es 20,000, 1936 schon 2 Millionen. Er hatte gegenüber dem Elektrokühlschrank verschiedene Vorteile: Das Gas absorbierte die Wärme, er besaß weniger Bestandteile und war weniger reparaturanfällig und das laute und störende Brummen des Elektromotors entfiel. Trotzdem setzte sich der Elektrokühlschrank durch, nicht wegen seiner Eigenschaften, sondern aufgrund der besseren Kapitalausstattung und einer geschickten Werbestrategie von General Electrics. (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 74)

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Kostbares Blau

Das Färben von Textilien war kostspielig, solange nur natürliche Pflanzen zur Verfügung standen. Das galt insbesondere für das Blau. Es wurde aus der aus Indien stammenden Pflanze Indigo hergestellt, auch bekannt unter dem portugiesischen Namen Anil. Nach mehreren Umwegen gelang es im 19. Jahrhundert, Indigo synthetisch herzustellen, und der natürliche Indigo spielte bald nur noch eine geringe Rolle. Zwei Unternehmen, die sich der Farbherstellung widmen, tragen das portugiesische Wort noch im Namen: Badische Anilin- und Sodafabrik (BASF) und Aktiengesellschaft für Anilin-Fabrikation (Agfa).(Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 73)

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Hochhaus?

Nach einer weithin akzeptierten Definition müssen Hochhäuser mindestens 30 Meter hoch sein oder über mindestens zwölf Stockwerke verfügen. (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 79)

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Eisen oder Stahl?

Als Stahl bezeichnet man Eisen mit einem Kohlenstoffgehalt von weniger als 1,6%.  (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 60)

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Nähmaschine

Ein wichtiger Schritt bei der Entwicklung der Nähmaschine war der Antrieb durch Tretplatte und Kurbel. Dadurch wurden beide Hände für die Führung des Stoffes frei. (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 58)

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Whisky statt Kognak

Dann betrachtete sie in Ruhe die Flasche, die sie versehentlich gekauft hatte: Single Malt stand drauf, von Whisky kein Wort – oder so klein, dass sie es ohne Brille nicht lesen konnte. (Ruge, Eugen: In Zeiten des abnehmenden Lichts. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2011: 356)

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Sascha ist nicht Alexander

“Nein, Mutti,” sagte Kurt. “Alexander ist nicht bei uns.” Wenn er mit Charlotte sprach, sagte er Alexander statt Sascha, was in Irinas Ohren merkwürdig klang: dass ein Vater den eigenen Sohn Alexander nannte – so sagte man im Russischen nur, wenn man sich siezte. (Ruge, Eugen: In Zeiten des abnehmenden Lichts. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2011: 55-6)

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Nazi-Teller im Sozialismus

Charlotte und Wilhelm hatten alles mit dem Haus übernommen … Das Essbesteck mit dem winzigen Hakenkreuz … hatten sie aussortiert, was letztlich dazu führte, dass man seine Torte von Nazi-Tellern löffelte, aber mit Besteck aus volkseigener Produktion. (Ruge, Eugen: In Zeiten des abnehmenden Lichts. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2011: 334-5)

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Wodka, Wodka

Und weil im Refrain des Liedes jede Zeile mit wot kak, wot kak … begann, glaubten die Leute zu verstehen, dass es sich um ein russisches Sauflied handelte, und brüllten im Chor: Wodka, Wodka! und begannen bei Wodka, Wodka rhythmisch zu klatschen. (Ruge, Eugen: In Zeiten des abnehmenden Lichts. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2011: 344-5)

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Alphabet pauken

Ja, natürlich hatte sie Deutsch lernen wollen, als sie nach Deutschland kam, jeden Tag hatte sie sich hingesetzt und die deutschen Buchstaben gepaukt, aber dann, als sie alle Buchstaben auswendig konnte, das ganze deutsche Alphabet, machte sie eine verblüffende Entdeckung: Deutsch konnte sie trotzdem nicht. (Ruge, Eugen: In Zeiten des abnehmenden Lichts. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2011: 154)

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Russisches Deutsch

Wieso sprach sie eigentlich, von Belehrungen unbeirrt, seit dreißig Jahren alle langen Vokale im Deutschen kurz und alle kurzen umgekehrt lang aus: Ruhsische Selle. (Ruge, Eugen: In Zeiten des abnehmenden Lichts. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2011: 325)

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Rauhfutterverzehrende Großvieheinheit

Eine rauhfutterverzehrende Großvieheinheit entspricht in Amtsdeutsch dem, was man landläufig Kuh nennt.

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Theorie und Praxis der Erziehung

Anna Wahlgren ist die schwedische Autorin eines internationalen Bestsellers, dem berühmten Kinderbuch, einem Ratgeber zur Erziehung. Anna Wahlgren legt großen Wert auf Pünktlichkeit und Ordnung und andere Sekundärtugenden und auf konsequente Bestrafung bei Fehlverhalten. Sie polemisiert gegen Kinderkrippen und spricht sich dafür aus, dass Mütter ihre Kinder zu Hause erziehen, ohne dabei ihre eigenen Bedürfnisse zu vernachlässigen. Man könne alles miteinander verbinden: Kindererziehung, Beruf, Karriere, Selbstverwirklichung, Ehe, Haushalt. Sie selbst sei das beste Beispiel dafür mit ihren neun Kindern und ihren Bestsellern und ihren sieben Ehen. Jetzt hat ihre Tochter Felicia ein Buch geschrieben, Felicia verschwand. Es ist eine einzige Attacke auf ihre Mutter und deren Erziehung. Sie sei die schlechteste Mutter der Welt gewesen. Die Mutter war, Felicitas zufolge, meistens betrunken, schlug die Kinder und prügelte sich mit den verschiedenen Liebhabern und Ehemännern. Beim Tod ihres Sohnes habe sie schlafend in der Ecke gesessen und ihn nicht, wie sie selbst behauptet hatte, in den Armen gehalten. Die Kinder hätten öffentlich auftreten müssen, um der Mama bei der Imagepflege zu helfen. Mit dieser Kritik schließt sich der Kreis. Anna Wahlgren hatte in ihrem Buch selbst sehr schlecht über ihre eigene Mutter geschrieben. Die war eine Vorkämpferin der Gleichberechtigung gewesen, hatte sich scheiden lassen, war Geschäftsfrau geworden und hatte ihre Kinder in verschiedenen Einrichtungen großziehen lassen. Felicitas erinnert sich an ihre Großmutter und daran, wie traurig die war, dass ihre Tochter so viel Schlechtes über sie schreibt. (Herrmann, Gunnar: “Muttertag”, in: Süddeutsche Zeitung 34/2012: 3)

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Schnelllebiges Glasgow

Wer in Kensington geboren wird, hat eine Lebenserwartung, die 13,5 Jahre höher ist als die von jemandem. der in Glasgow geboren wird. (Jungclausen, John F.: “Oliver Twist Junior”, in: Die Zeit 7/2012: 31)

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Die perfekte Kokosnuss

Das Fruchtfleisch der Kokosnuss kann man essen. Es ist schmackhaft und gesund. Aus ihren Fasern kann man Matten und Dächer herstellen. Mit ihren Stamm kann man Häuser bauen.  Aus ihrem Kern kann man ein Hautöl gewinnen. Aus ihrer Schale kann man Krüge herstellen. Wenn man die Schale verbrennt, kann man Ungeziefer vertreiben und erzielt ein wunderbares Aroma. (Soboczynski, Adam: “Seine reifste Frucht”, in: Die Zeit 7/2012: 49)

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Wie ein Maulaffe

In traditionellen Haushalten hatte man Kienspanhalter, aus Ton geformte Köpfe mit offenem Mund. In die wurden brennende Kienspäne zur Beleuchtung gesteckt. Diese Kienspanhalter hießen Maulaffen. Die Kienspäne wurden auch, um beide Hände frei zu haben, im Mund getragen. Daher wie ein Maulaffe dasitzen.

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Berliner Mauer im Pütt

Die Betonteile der Berliner Mauer wurden aufwändig in einem Brecher zermalmt. Dem Geschäftsführer einer Ruhrkohle-Tochter in Herne kam das wie Verschwendung vor. Ähnliche Teile wurden im Ruhrkohlebergbau eingesetzt, um einzelne Lagerplätze voneinander abzutrennen, und mussten für viel Geld – 300 DM pro Stück – gekauft werden. Er wollte die Reste der Berliner Mauer, hatte aber die Rechnung ohne die deutsche Bürokratie gemacht. Er wurde von der Bundesfinanzverwaltung an einen Bauunternehmer und von dem Bauunternehmer an einen Subunternehmer verwiesen, der ihn auf einen Truppenübungsplatz schickte, von dem aus es zu einem Bauernhof ging. Dort war nur noch Betonschrott zu finden. Später kam das Geschäft dann doch noch zustande.

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Hochzeitsgeschenke

Traditionelle Hochzeiten dauerten oft ganze Tage, die man mit Essen, Trinken, Tanz, Scherzen und Schabernack vertrieb. Die Hochzeitspaare bekamen Geldgeschenke als Startkapital. In Hochzeitslisten wurden diese Beträge genau verzeichnet. Wenn einer der Gäste später heiratete, wurde der Betrag zurückerstattet!

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Oberwasser haben

Bei Mühlen unterschied aufgrund der Antriebsart zwei Typen, oberschächtige und unterschächtige Mühlen. Bei oberschächtigen Mühlen lief das Wasser von oben auf die Mühlräder und entwickelte dadurch besondere Kraft. Daher Oberwasser haben. Wenn man jemandem schaden wollte, konnte man die Deiche des Mühlengrabens umleiten. Daher jemandem das Wasser abgraben.

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Mit der gleichen Elle messen

Eine Elle hatte die Länge vom Ellbogen bis zur Spitze des Mittelfingers. Um individuelle Unterschiede auszugleichen, wurde die Länge genormt, mit einem Stock. Das schloss aber keine regionalen Unterschiede aus. So hatte die Elle in Ostwestfalen eine Länge von 60 cm, im Münsterland von 57,5 cm. Daher nicht mit der gleichen Elle messen.

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Einen picheln

Die Eichzeichen an Trinkgläsern nennt man Pichel. Daher sich einen picheln.

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Auf den Schlips treten

Der Schlips bezeichnete ursprünglich nicht die Krawatte, sondern den Rockzipfel, und das Wort Schlips gab es schon lange, bevor es die ersten Krawatten gab. Wenn man jemanden auf den Rockzipfel trat, beleidigte man ihn. Daher jemandem auf den Schlips treten.

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Den Löffel abgeben

In traditionellen Haushalten hatte jeder seinen eigenen Löffel. Man aß nur mit dem Löffel, aus einem gemeinsamen Topf. Wenn man starb, gab man diesen Löffel weiter, an die nächste Generation. Daher den Löffel abgeben.

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Der nächste Einstein

Aus welchem Land wohl der nächste Einstein kommen würde, wollten Journalisten bei dem Nobelpreisträger-Treffen in Berlin anlässlich des Einstein-Jahres 2005 wissen.  Der Präsident der Akademie der Wissenschaften von Taiwan sagte, der nächste Einstein komme nicht aus einem Land, wo das Schulkind zuhause nach seinen Noten gefragt würde, sondern: „Hast Du heute eine gute Frage stellen können?“

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Schimmel ist kein Pferd

An der Akademie Jixia im Staate Qi verteidigte Ni Yue sein Paradox, demzufolge ein Schimmel kein Pferd sei. Er überzeugte alle und ging als Gewinner aus der Debatte hervor, aber auf der Rückreise wurde er am Zoll angehalten und musste für den Schimmel, den er ritt, Pferdesteuer bezahlen.

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Chenekwahow Tecumseh Migiskau Kioma

Eine Mutter wollte ihrem Sohn zwölf Vornamen geben. Er sollte Chenekwahow Tecumseh Migiskau Kioma Ernesto Inti Prithibi Pathar Chajara Majim Henriko Alessandro heißen. Der Standesbeamte lehnte ab. Er wollte nur drei Vornamen akzeptieren. Die Frau klagte bei Gericht. Das Gericht gab dem Standesamt grundsätzlich recht, erlaubte aber vier Namen. Die Frau klagte bei der nächst höheren Instanz. Wieder wurde das Urteil grundsätzlich bestätigt, aber das Gericht erlaubte fünf Namen. Schließlich klagte die Frau beim Bundesverfassungsgericht. Das bestätigte, dass der Staat ein Recht habe, in die Namenswahl der Eltern einzugreifen, um das Kind vor Nachteilen zu schützen. Ein Nachteil wäre es in diesem Fall, dass das Kind immer alle Namen in der richtigen Reihenfolge parat haben und offizielle Dokumente so unterzeichnen müsste. Auch, um das Kind vor Schaden zu bewahren, hatte frühere Gerichtsurteile Eltern untersagt, ihre Kinder Bin Laden, Sputnik oder Störenfried zu nennen. (WDR: “Mein gutes Recht”, 06/02/2012)

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Deutsch in Österreich

Seit der Einführung des Satellitenfernsehens scheint sich der sprachliche Konktakt  zwischen Deutschland und Österreich intensiviert zu haben. Als Folge der veränderten Sehgewohnheiten und Marktanteile schleichen sich deutsche Ausdrücke in die österreichische Alltagssprache ein: Neben Servus hört man Tschüss (besonders bei Kindern, die die Sesamstraße sehen), neben Verkühlung hört man Erkältung und neben jemanden pflanzen hört man jemanden verarschen.  (Muhr, Rudolf: “Language via satellite. The influence of German television broadcasting on Austrian German”, in: Journal of Historical Pragmatics 1/2003: 103-27)

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Etruskerspitzmaus

Die Etruskerspitzmaus ist das kleinste Säugetier der Welt. Sie ist 5 cm lang und wiegt 2 Gramm. Sie hat eine Herzfrequenz von 1,200 Schlägen pro Minute und verbraucht dadurch so viel Energie, dass sie im Laufe eines Tages das doppelte ihres Körpergewichts an Nahrung zu sich nehmen muss. Ansonsten droht sie innerhalb von 24 Stunden einzugehen. Aufregendes Leben. (Planet Wissen: Maulwurf und Igel. Streuner im Dunkeln:  25/02/2012)

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Doppelter Doppelselbstmord

Hans Falladas Roman Jeder stirbt für sich allein, von Primo Levi als das beste Buch über den deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialmismus bezeichnet, erlebt zurzeit einen ungeahnten Boom, ausgelöst durch eine gekürzte englische Fassung, die in den USA Furore macht. Fallada (eigentlich Rudolf Ditzen) schrieb den Roman nach dem Krieg auf das Betreiben von Johannes R. Becher. Beide verbindet, auf eine höchst bizarre Weise, eine höchst ungewöhnliche biographische Erfahrung: Beide waren Überlebende eines Doppelselbstmordversuchs, bei dem ihr Gegenüber ums Leben kam. Becher tötete mit 21 seine Geliebte, schaffte es aber nicht, sich selbst zu töten. Von einer Verurteilung wegen Mordes wurde er bewahrt durch die Intervention seines Vaters. Der war Richter. Fallada, von Jugend an depressiv, beschloss, zusammen mit einem Schulfreund, aus dem Leben zu scheiden. Man vereinbarte ein fingiertes Duell, bei dem sie sich gegenseitig töten wollten. Der Freund traf daneben, der kurzsichtige Fallada traf. Der anschließende Selbstmordversuch scheiterte. Von einer Verurteilung wurde Fallada durch die Intervention seines Vaters bewahrt. Auch der war Richter. (Zander, Alex: “Hans Fallada: Jeder schreibt für sich allein, aber für andere”, in: Prenzlauer Berg Nachrichten)

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Der Kleine Prinz

Der Kleine Prinz gehört zu den Büchern, auf die sich alle einigen können. Das geht deshalb, weil solche Bücher niemandem etwas zumuten, weil sie Allerweltsbotschaften verkünden und darüber den Nebel des scheinbaren Tiefsinns legen. Der Erkenntnisgewinn ist gering. Es handelt sich um hübsch verpackte Banalitäten. Das Buch zeichnet ein schönes, romatisches Bild vom Kind als dem besseren, reineren Menschen, das irgendetwas in uns anspricht, aber falsch und wirklichkeitsfern ist. (Martenstein, Harald: “Das Evangelium nach Saint-Exupéry”, in: Die Zeit 1/2011: 15-17)

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Traumtod

Im Januar 1912 gingen der junge Dichter Georg Heym auf den Wannsee, zum Schlittschuhlaufen, in Begleitung seines Freundes Ernst Balcke. Beide kamen nicht mehr lebend zurück. Es gibt keine Zeugen für das, was geschah, aber man hat die Ereignisse rekonstruiert: Ernst Balcke geriet in eine Öffnung, die man für Wasservögel ins Eis gehackt hatte und schlug mit dem Kopf auf die Kante. Bei dem Versuch, den Freund zu retten, brach Heym ein. Er muss lange um sein Leben gekämpft haben, mit den schweren Schlittschuhen an den Füßen. Waldarbeiter berichteten von schrecklichen Schreien, die sie noch eine halbe Stunde lang gehört haben, ohne aber in der Lage zu sein, zu helfen, ohne Boote, Stangen, Leitern. Dann war Heym im Eis des Wannsees verschwunden. Die Einbruchstelle war wieder zugefroren, als man nach ihm suchte. Gefunden wurde er erst vier Tage später. Die Leiche, nicht vereist, lag auf dem Boden des Sees, die Hände zerkratzt von den verzweifelten Rettungsversuchen. In Heyms Gedichten tauchen immer wieder Tote unter Wasser auf. Er selbst hatte düstere Visionen vom eigenen frühen Tod, den er fürchtete. Und im Tagebuch, anderthalb Jahre vor seinem Tod, notierte er einen Traum, in dem er auf einem großen See stand, der voller Steinplatten war. Plötzlich fühlt er die Platten unter sich schwinden und versinkt ei dem grünen, schlammigen, schlingpflanzenreichen Wasser. In Traum kann er sich retten, im Leben nicht. Er wird auf dem Selbstmörderfriedhof Schildhorn begraben. Dort bestattete man die Toten, die im Wald und im See aufgefunen worden waren. Man legte ihn neben einen Handwerksgehilfen, der sich vor einen Zug geworfen hatte und den gefrorenen und aufgedunsenen Leichnam eines Malergehilfen, der in der Havel ertrunken war. Sein Kopf fehlte. Heym aber schien nur zu schlafen.  (Wieland, Rayk: “Unter uns Bäumen”, in: Süddeutsche Zeitung 11/2012: V2/7)

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Der arme Poet

Seit Jahrzehnten zählt Spitzwegs “Armer Poet” in den Meinungsumfragen zu den Lieblingsgemälden der Deutschen. Das Bild zeigt einen mittellosen Dichter in seiner Dachkammer. Das Dach ist undicht. Es regnet durch, und zum Schutz gegen den Regen hängt ein Regenschirm unter der Decke. Draußen liegt Schnee. Es ist kalt. Der Kachelofen ist aus. Mit Mütze, Schlafrock und einer Decke liegt der Poet auf einer Matratze. In der linken Hand hält der Poet ein paar Seiten Manuskript. Neben dem Kachelofen der Gehrock des Dichters, ein Gehstock und die als Brennmaterial gebündelten Zeitungen. An der Wand hängt das Versschema eines Hexameters, und auf dem Bretterboden liegen Bücher, darunter ein Buch zum Verfassen lateinischer Verse.

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Länderkrankeiten

Herz-Kreislauf-Erkrankungen spielen in Deutschland eine große Rolle, auch in der Mortalitätsstatistik. Eine Medizinjournalistin ging dieser Sache auf die Spur und fand heraus, dass bei unklaren Beschwerden in Deutschland die Diagnose vorzugsweise “Herz-Kreislaufbeschwerden” lautet. Es werden also Blutdruckmittel verschrieben. In England wurden dieselben Beschwerden vorzugsweise auf Verstopfung zurückgeführt, und es wurden Abführmittel verschrieben. In Frankreich wurden die Beschwerden vorzugsweise auf exzessiven Alkoholkonsum zurückgeführt. Hier wurde die Leber behandelt. Sprache und Tradition schaffen länderspezifische Wirklichkeiten. (SWR 2 Forum: Die Abschaffung der Gesundheit, 17/01/2012)

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Zoospeise

Escoffier, der Pariser Starkoch, bei dem alle speisen wollten, und das erst recht am 25. Dezember, hatte angesichts der preußischen Belagerung von Paris 1870 ein Versorgungsproblem: Es kam nichts durch, kein Huhn aus der Bresse, kein Lämmchen vom Atlantik, keine Austern aus Arcachon. Escoffier improvisierte und entdeckte den Zoo als Zulieferer von Frischfleisch. Auf der Speisekarte landeten gefüllter Eselskopf, Consommé vom Elefanten, Kamel  à l’anglais, Kängurupfeffer, gebratene Bärenkottelets in Pfeffersoße, Wolfskeule in Rehsoße, Antilopenterrine und Katze an Ratten. (SWR 2: “Pasticcio Musicale” 21/01/2012)

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Die Krankheitserfinder

Als die Grundlage für die Definition von Bluthochdruck verändert wurde, stieg die Zahl der “Erkrankten” in Deutschland von 7 Millionen auf 21 Millionen. Der Krankheitswert ist umstritten, die wissenschaftliche Basis für die neue Definition ist schwach. Die neuen Werte wurden von der Hochdruckliga durchgesetzt. In deren Kuratorium saßen wichtige Vertreter der Pharmaindustrie. Die hatte gerade neue Mittel zur Senkung des Blutdrucks auf den Markt gebracht. Die Grenzwertverschiebung schafft Kranke, Sprache schafft Wirklichkeit. (SWR 2 Forum: Die Abschaffung der Gesundheit, 17/01/2012)

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Doppelt gemoppelt?

“Bei Diamir haben die Reisenden ihre Reise gebucht gehabt.” Diesem Satz bin ich dieser Tage im Fernsehen begegnet, und zwar bei der ARD, bei einem Bericht über das havarierte Kreuzfahrtschiff. Es handelt sich wohl um eine verstärkte Perfekt-Form, die mir bisher nur aus Unterhaltungen mit meinen Lauffreunden geläufig war. Sie scheint jetzt aber Einzug zu halten in formalere Diskurse. Was genau dahinter steht, ist schwer zu sagen, vielleicht ein Bedürfnis nach Emphase oder das Gefühl, dass da noch etwas fehlt. Ganz aus dem Nichts kommt die Form ja nicht. Die Versatzstücke sind vorhanden, und haben … gehabt ist ja eine völlig normale Perfektform. Da scheint das zusätzliche Partizip nicht weiter zu stören. Es kann wie eine Ergänzung behandelt werden, in Analogie zu haben Glück gehabt oder haben es schön gehabt. Die Steigerung dieser Form wäre der Ersatz des Perfekts durch das Plusquamperfekt: “Bei Diamir hatten die Reisenden ihre Reise gebucht gehabt.” Auch das ist eine Erscheinung, die außerhalb der Standardsprache längst anzutreffen ist. Einige meiner Lauffreunde berichten über ihren gesamten Tagesablauf ausschließlich im Plusquamperfekt: “Ich war heute morgen in Mayen gewesen. Da hatte ich mit dem Ortsvorsitzenden gesprochen.” Sprache im Wandel? – Dies war der Stand der Dinge, bis mir eine aufmerksame Leserin einen Artikel zu lesen gab  der mir die Augen öffnete: Das Phänomen ist alles andere als neu. Es wurde in metalinguistischen Beschreibungen schon vor Jahrhunderten erwähnt, zum ersten Mal vermutlich 1574, und wurde dann zu einem Bestandteil vieler deutscher Grammatiken der frühen Neuzeit. Die traditionelle Interpretation besagt, dass es ein Ersatz für das Präteritum ist, das aus der mündlichen Sprache, vor allem im Oberdeutschen, mehr und mehr verschwand und eine Lücke hinterließ, die jetzt von dem Doppelperfekt geschlossen wurde.  Der Artikel argumentiert, dass es aber auch Beispiele aus dem Niederdeutschen gibt, aus einer Zeit, als das Präteritum noch nicht auf dem absteigenden Ast war. Er bietet deshalb auch eine andere Interpretation: Bei dem Doppelperfekt handele es sich um eine Aspekt-Unterscheidung: “Sie sagte, er habe das Buch im Sommer 2005 gelesen” sei nicht dasselbe wie “Sie sagte, er habe das Buch im Sommer 2005 gelesen gehabt”. Nur durch das Doppelperfekt könne der Abschluss der Lektüre im Sommer 2005 deutlich erkennbar werden. Das würde bedeuten, dass der Sprecher intuitiv das Bedürfnis habe, einen Aspektunterschied zu markieren, so wie man das auch in anderen Sprachen, z.B. im Russischen tun kann. Eine interessante These, die allerdings ein paar Fragen offen lässt: Lassen sich ähnliche Argumente auch für die Doppelformen in anderen Zeiten anführen, die der Artikel selbst diskutiert? Und machen meine Freunde vom Lauftreff, je nach Aspekt, Gebrauch von der einen und der anderen Form, oder variieren sie frei oder hat das Doppelperfekt das Perfekt einfach in allen Kontexten ersetzt?   (Rödel, Michael: “New Perspectives on Double Perfect Constructions in German,” in: Musan Renate & Rathert, Monika (Hg.): Tense across Languages. Berlin: de Gruyter, 2011: 127-146)

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Mormon for President?

22% der US-Amerikaner würden einen Mormonen nicht zum Präsidenten wählen. Das ist der drittschlechteste Wert, noch hinter Katholiken, Baptisten und Schwarzen, nur übertroffen von Schwulen und Atheisten. (SWR Forum: “Mit Romney an die Macht?”, 12/01/2012)

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Millionärsclub

Im Kongress und im Senat der USA ist jeder zweite Abgeordnete Millionär. (Kuls, Norbert: Der Washingtoner Club der Millionäre, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 52/2012: 32)

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Sieg der Horizontalen

Siegfried Kracauer verfasste eine persiflierende historische Studie über den Untergang des Hosenträgers. Der werde durch den eng geschnallten Gürtel ersetzt, der sportbeflissenen Horizontalen gehöre die Zukunft. (Kilb, Andreas: “Auf rasender Fahrt in den Abgrund”, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 52/2012: 21)

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Schuldenschnitt

In der Tora gibt es in jedem fünfzigsten Jahr einen vollkommenen Schuldenerlass und in jedem siebtem Jahr einen kleinen Schuldenerlass. Das ist eine gute Idee, hat aber nicht funktioniert. Die Schuldner haben die Verträge so gedeichselt, dass die Tilgung genau im dem Jahr fällig geworden wäre, in dem der Schuldenerlass gewährt wurde. Das wiederum haben die Gläubiger durchschaut und Kredite verweigert. Weil es keine Kredite gab, sind die Bauern pleite gegangen und konnten ihr Saatgut nicht mehr vorfinanzieren. Die gesamte Wirtschaft kam zum Erliegen. Die gerechte Idee hatte ungerechte Verhältnisse hervorgebracht. (“Gott ist der erste große Gläubiger seiner Schöpfung”, Interview mit Elisa Klapheck, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 52/2012: 31)

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Wassernot

Eine im British Medical Journal publizierte Studie untersucht die Behauptung, man müsse viel Wasser trinken, mindestens 1,5 Liter pro Tag. Das sei gut für Niere und Gehirn. Dummes Zeug, sagt die Studie, dahinter stecke eine Kampagne eines französischen Nahrungsmittelkonzerns, der mehrere Wassersorten vertreibt. (“Deutschland, ein Gurkentrauma”, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 52/2012: 51)

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Mein Name ist Psycho

Irgendwann haben wir dann bei einer dreihundert Jahre alten Weißbuche gehalten … und der Lehrer hat gefragt, wer denn jetzt weiß, was das für ein Baum ist. Und keiner wusste es. Außer mir natürlich. Aber ich war auch nicht so bescheuert, dass ich vor allen Leuten zugegeben hätte, dass ich wusste, dass das eine Weißbuche ist. Das hätte ich ja gleich sagen können: Mein Name ist Psycho, und ich habe ein Problem. (Herrndorf, Wolfgang: Tschick. Berlin: Rowohlt, 2011: 34)

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Gefälschte Notizen

Er hat kaum geschlafen. Bis spät in die Nacht hinein hat er Notizen gemacht. Sie immer wieder durchgelesen. Und sich gefragt, ob die Notizen sich nicht zwischen ihn und dieses Mädchen schieben könnten. Wie viel von dem, was er aus Angst, es zu vergessen, notiere, tatsächlich noch etwas mit dem Fräulein zu tun habe. (Walser, Alissa: Am Anfang war die Nacht Musik. München: Piper, 2011: 35)

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Vaterliebe?

Ein Junge war im Düsseldorfer Zoo in ein Bärengehege geklettert. Wollte das niedliche Bärenbaby mal streicheln. Er wurde sofort von der Bärin angegriffen. Der Vater des Jungen sprang hinterher. Beide wurden zerfleischt. Was würde man machen? Reflex oder Ratio?  Vaterliebe. Gibt’s die, so wie es Mutterliebe gibt? Gibt’s auch nicht. Wird der Stammaffe, das Alphatier, vertrieben und ein neuer Patriarch kommt, beißt er die alte Brut tot und die Mutter schaut ungerührt zu, wartet auf die nächste Kopulation. (Timm, Uwe: Freitisch. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2011: 18)

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Dein Kuchen?

You like your cake, don’t you, boy? she said. I nodded. I like your cake, I answered. (Burnside, John: The Devil’s Footprints. London: Vintage Books, 2008: 51)

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Ex Occidente Lux?

Die ältesten überlieferten Schriftdokument stammen nicht aus Mesopotamien, wie immer angenommen wurde, sondern aus Europa, von der Donauzivilisation in Südosteuropa. Diese Erkenntnis beruht nicht auf dem Fund neuer Dokumente, sondern auf der Korrektur der Chronologie. Die ältesten Tontäfelchen mit Warenlisten und Aufrechnungen aus Mesopotamien stammen aus der Zeit um 3200 v. Chr. Für die vorgeschichtliche Epoche Europas wurde eine neue Chronologie erarbeitet, die auf der zuverlässigeren Dendrochronologie beruht statt auf  Radiokarbonmessungen. Nach dieser neueren Datierung stammen die ältesten Schriftdokumente aus der Zeit um 5300 v.Chr. (Haarmann, Harald: Geschichte der Schrift. München: Beck, 2002: 8-9)

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Sascha und Alexander

Nein, Mutti, sagte Kurt. Alexander ist nicht bei uns. – Wenn er mit Charlotte sprach, sagte er “Alexander” statt Sascha, was in Irinas Ohren merkwürdig klang: dass ein Vater den eigenen Sohn “Alexander nannte” – so sagte man im Russischen nur, wenn man sich siezte. (Ruge, Eugen: In Zeiten des abnehmenden Lichts. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2011: 55-6)

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Catrin

Sie hatte nichts gegen Catrin mit C und ohne h (und Betonung auf i: Catrín!), abgesehen davon, dass sie nicht verstand, wieso Sascha sofort bei dieser Frau hatte einziehen müssen. (Ruge, Eugen: In Zeiten des abnehmenden Lichts. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2011: 62)

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Stadt am Strom

Rom hat etwas mit Rheuma zu tun, was Griechisch ist und ‘fließen’ bedeutet und auch im Wort Strom steckt, so dass Rom schlicht ‘Stadt am Strom’ heißt. (Göttert, Karl-Heinz: Deutsch. Biographie einer Sprache. Berlin: Ullstein: 13)

 

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Musikprogramme

Bei Lochkarten denkt man zuerst an die frühen Computer. Tatsächlich wurden Lochkarten aber viel früher zum Speichern von Melodien verwandt, für Orgeln und Glockenspiele. Die früheste Speicherung einer musikalischen Tonfolge gelang den Brüdern Muhammed, Ahamad und Hassan Múrsa aus Bagdad, und  zwar schon zwischen 813 und 833! Sie verwendeten eine Walze zur Steuerung einer mechanischen Flöte. (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 41-2)

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Temperaturmesser

Die Einheit Celsius zur Temperaturmessung geht auf einen Schweden zurück, Anders Celsius, die Einheit Fahrenheit auf einen Deutschen, Gabriel Fahrenheit aus Danzig. (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 41-2)

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Essen aus Flaschen

Die ersten Konservendosen kamen im Krieg zum Einsatz – und waren auch dafür geschaffen worden – und zwar auf Seiten der Briten im Krieg gegen Napoleon. Schon vor den Briten hatten die Franzosen versucht, konservierte Lebensmittel zu verpacken, und zwar auch für die Versorgung von Soldaten, nämlich den Soldaten Napoleons! Es wurde ein Preis ausgeschrieben, und der ging an einen französischen Konditor, der die Lebensmittel in luftdichte Flaschen füllte. Sein Verfahren, Blechdosen zu verwenden, ließ sich der Engländer Peter Durand 1810 patentieren. Die Soldaten hatten aber Mühe, die Dosen ohne Anwendung roher Gewalt zu öffnen. Außerdem waren die Dosen schwerer als ihr Inhalt. Erst mit der Verwendung von Aluminium statt Weißblech wurden die Dosen leichter, nach dem 2. Weltkrieg! Vorher hatte es eine wichtige Erfindung gegeben: den Dosenöffner, 1858 patentiert, aber noch schwer zu handhaben. Dann kam eine entscheidende Verbesserung mit der Verwendung eines Rädchens. Das wurde dann wiederum später am Rand der Dose eingeklemmt. (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 52-3)

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Glücksguru

Bei einem Heidelberger Symposium zum Glück machte der Herausgeber von Psychologie Heute, Heiko Ernst, nach einem Vortrag des amerikanischen Glücksgurus Seligmann folgende entwaffnende Einwände: Die Positive Psychologie schleppe noch viel zu viel Ungeklärtes und Widersprüchliches mit sich, um Rezepte verteilen zu können, Skepsis sei gesunder als Daueroptimismus, die Jeder-ist-seines-Glückes-Schmied-Ideologie sei ein Kind des Marketingkapitalismus und zu viel Glück mache dumm. (Strassmann, Burkhard: “Im Herzen der Sekte”, in: Die Zeit 1/2011: 39)

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Glücksschulung

Glück als Unterrichtsfach gibt es inzwischen an mehr als 100 Schulen im deutschen Sprachraum. Es gibt dazu auch eine “wissenschaftliche Begleitforschung”, aber die ist dürftig. Einer derjenigen, der den Glücksunterricht untersuchen, ist Wolfgang Knörzer von der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg. Er beobachtete ein Jahr lang “Glückskinder” und eine Kontrollgruppe ohne Glücksunterricht. Das Resultat: Die Glücksschüler waren nach einem Jahr eher unglücklicher! Sie waren stärker sensibilisiert für negative Umstände und spürten deutlicher den Unterschied zwischen ihren Wünschen und der Wirklichkeit. Knörzer deutet das Ergebnis mit einer kühnen logischen Volte positiv: Die Beglückten seien mündiger, und das sei eine Voraussetzung zum Glücklichsein. (Strassmann, Burkhard: “Unter der Honigdusche”, in: Die Zeit 1/2011: 39)

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Fixes Glück

Bei dem Versuch, Glück systematisch zu vermessen, machten Forscher eine irritierende Entdeckung: Es schien sich mit der Zeit kaum zu verändern! Und scheint von äußeren Ereignissen eher unabhängig zu sein. Nach Lottogewinn und Beinamputation waren die Menschen kurzfristig überglücklich oder todunglücklich, aber bald kehrten sie wieder auf das Ausgangsniveau zurück! Ist Glück vorbestimmt, programmiert, festgeschreiben von Genen und Kindheitserfahrungen? (Schramm, Stefanie: “Kann man Glück lernen?”, in: Die Zeit 1/2011: 37-38)

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Schwarzpulver

Eine Legende zufolge wurde das Schießpulver von dem Franziskanermönch Berthold Schwarz erfunden und hieß deshalb ursprünglich Schwarzpulver. Es hieß Schwarzpulver, weil es schwarz aussah. (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 32)

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Brillenmode

Brillen erfreuten sich, je nach Land, unterschiedlicher Beliebtheit. Während man in Frankreich und England die Brille eher im stillen Kämmerlein trug, stellte man sie in Spanien gern zur Schau. (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 36)

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Chinesischer Gutenberg

Der Überlieferung nach wurde in China bereits im 11. Jahrhundert mit beweglichen Lettern aus Holz oder gebranntem Ton gedruckt. Allerdings war die chinesische Schrift aufgrund der großen Zahl von Schriftzeichen ungeeignet, um die Rationalisierungsmöglichkeiten des Buchdrucks auszuschöpfen. (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 37)

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Gefährliche Weihnachten

Kalifornische Forscher, die 57 Millionen Totenscheine analysierten, fanden heraus, dass in den USA zwischen 1979 und 2004 um Weihnachten und Neujahr ca. 42,000 Menschen mehr starben, als zu erwarten war. Eine eindeutige Erklärung gibt es nicht. Unterbesetzte Notaufnahmen in den Krankenhäusern? Winterlicher Urlaubsverkehr? Blankliegende Nerven? Die Sterblichkeit von Kindern zu diesen Zeiten war nicht erhöht. (Albrecht, Harro: “Wettrennen mit dem Sensenmann”, in: Die Zeit 52/2011: 39)

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Relativ empört

Philipp Jenninger musste, angesichts der allgemeinen Empörung, als Bundestagspräsident nach einer missverständlichen (und von vielen gerne missverstandenen) Rede zur Pogromnacht von 1938 zurücktreten. Der Rücktritt brachte Ruhe. Ein Jahr später wiederholte Ignatz Bubis in Frankfurt wesentliche Passagen dieser Rede in seiner eigenen Rede – und niemand merkte es. (Leicht, Robert: “Die Skandal-Skala” in: Die Zeit 52/2011: 2)

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Höherstufen

Der Suezkanal kam ohne Schleusen aus, während beim Panamakanal mehrere mehrstufige Schleusen nötig waren, um den Höhenunterschied von 82 m zwischen Atlantik und Pazifik zu überwinden. (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 23)

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Sprengkraft

Bei den Experimenten mit Dynamit, die Nobel in einer Fabrik außerhalb Stockholms durchführte, kam es zu einer Explosion, bei der fünf Menschen ums Leben kamen, darunter sein jüngster Bruder. Nobel setzte die Experimente dennoch fort. Trotz des Unfalls kamen jetzt immer mehr Bestellungen. Oder gerade deshalb. Der Unfall hatte bewiesen, dass an der Sprengkraft des neuen Stoffes kein Zweifel bestand. (Frängsmyr, Tore: Alfred Nobel. Stockholm: Schwedisches Institut, 1997: 10)

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Sprengstoff in der Debatte

Nobel unternahm als junger Mann einige Studienreisen. Auf einer dieser Studienreisen hielt er sich bei dem Chemiker Jules Pelouze auf. In diesem Zusammenhang muss er von dem außerordentlichen Sprengstoff Nitroglyzerin gehört haben. Den hatte Antonio Sobrero, ein Schüler von Pelouze, entdeckt (und zuerst Pyroglyzerin genannt). Der hatte eine ungeheuerliche Sprengkraft, und genau das war das Problem: Er war nicht zu beherrschen. Schon bei der Herstellung konnte der ganze Satz explodieren, und wenn er erst einmal hergestellt war, war es ebenso schwer, ihn zum Explodieren zu bringen. Nach einigen Verbesserungen gelang es Nobel schließlich, den Sprengstoff herzustellen, aber Transport und längere Lagerung waren weiterhin hoch gefährlich. Er brauchte ein Material, mit dem das Nitroglyzerin aufgesogen werden konnte. Nach Versuchen mit Holzkohle, Sägespänen, und Zement fand er in der Lüneburger Heide einen Sand, der die richtigen Eigenschaften hatte, Kieselgur. Den konnte man zu einem Teig kneten, den man wiederum zu Stäben formte, die in ein Bohrloch gesteckt werden konnte. Das Dynamit trat seinen Siegeszug an. (Frängsmyr, Tore: Alfred Nobel. Stockholm: Schwedisches Institut, 1997: 6-14)

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Besserer Sprengkitt

Nobel war nicht nur der Erfinder des Dynamits, sondern auch des Wortes Dynamit. Seine Mitarbeiter hatten Sprengkitt vorgeschlagen, aber Nobel fand, dies höre sich an, als wolle man Fensterscheiben sprengen. Den Vorläufer des Stoffes hatte er selbst Sprengöl genannt. (Frängsmyr, Tore: Alfred Nobel. Stockholm: Schwedisches Institut, 1997: 14)

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Friedensstifter

Es wird manchmal behauptet, Nobel habe einen Friedenspreis hauptsächlich deshalb gestiftet, weil er wegen seiner Geschäfte mit der Waffenindustrie ein schlechtes Gewissen hatte. Mit Bertha von Suttner diskutierte er solche Fragen und wehrte sich gegen die Kritik an seiner eigenen Tätigkeit. Er glaubte, dass seine Fabriken vielleicht schneller die Kriege beenden würden als ihre Kongresse. Wenn sich zwei Armeen gegenseitig in kurzer Zeit vernichten könnten, würden alle zivilisierten Nationen davon zurückschrecken, ihre Waffen einzusetzen, vermutete er. (Frängsmyr, Tore: Alfred Nobel. Stockholm: Schwedisches Institut, 1997: 22)

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Alter Zopf

Die Mandschus, die Herrscher Chinas während der Qing-Dynastie und deren Begründer, waren kulturell offen und nahmen tibetische, mongolische, europäische und andere Einflüsse gerne auf. Sie waren gleichzeitig konfuzianische Weise und Nachfahren Dschingis Khans und Förderer des tibetischen Lamaismus. Andererseits setzten sie sich ethnisch strikt von den anderen Völkern ab. Mischehen waren nicht erlaubt. Und sie verlangten von den Han-Chinesen, sich den Vorderkopf zu scheren und sich die Haare des Hinterkopfs zum Zopf zu flechten – als Zeichen der Unterdrückung. Dabei waren sie, die Mandschus, selbst nur eine kleine Minderheit. Die Han-Chinesen alleine machten 95% der Bevölkerung aus. (Köckritz, Angela: “Der Kaiser war nur Gips”, in: Die Zeit 51/2011: 27-28)

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Scheiß Strategie

Im Opiumkrieg belagerten britische Kanonenboote Kanton in Südchina. Der Kaiser, Daoguang, der, wie immer,  über die Lage im unklaren gelassen worden war, beauftragt den hoch dekorierten General Yang Fang mit der Aufgabe, die Briten zu bekämpfen. Yang ist 71 und fast taub. Er verfällt angesichts der Überlegenheit der Briten auf eine besondere Idee: Die vollen Nachttöpfe der Frauen von Kanton werden eingesammelt, und Yangs Matrosen werden mitsamt den stinkenden Schüsseln auf Booten Richtung Feind geschickt. Welche Schlagkraft sich Yang von den Nachttöpfen versprach, ist nicht bekannt. Aber seine Matrosen glaubten nicht an die neue Strategie. Sie erblickten die britischen Fahnen und desertierten.  (Köckritz, Angela: “Der Kaiser war nur Gips”, in: Die Zeit 51/2011: 27-28)

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Im dichten Fichtendickicht

Die Fichte ist ein ganz anderer Baum als die Tanne. Sie hat eine Flachwurzel und ist daher nicht sehr stabil und kann leicht das Opfer von Stürmen werden. Sie kann außerdem kein Wasser aus tieferen Bodenschichten ziehen. Da sie schnell wächst, ist ist sie wirtschaftlich interessant und wird auch auf ungeigneten Böden und in ungeeigneten, z.B. zu warmen  Gegenden angebaut. Und da wird sie zunehmend das Opfer des Borkenkäfers.

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Messerscharf

Warum haben Tafelmesser eine abgerundete Spitze? Ursprünglich hatten alle Messer eine scharfe Spitze. Die neue Form geht zurück auf die Zeit des absolutistischen Frankreich zurück. Am Hof Ludwig XIV. wollte man verhindern wollte, dass sich die Tischgäste mit dem Messer die Zähne reinigten! Messer als Teil der Tischkultur gehen auf römische Zeit zurück. Sie wurden allerdings nur in den gehobenen Schichten verwandt. Im Altertum waren Messer zunächst aus Bronze, dann aus Eisen. Sie waren sowohl Werkzeug als auch Waffe. (Braun, Hans-Joachim: Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte. München: Beck, 2005: 10)

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Oh, Fichtenbaum!

Die Fichte, nicht die Tanne war ursprünglich der gängige Weihnachtsbaum. Jetzt ist es meistens die Tanne, aber nicht mehr die Tanne aus unseren Gefielden, die Weißtanne, sondern die Nordmannstanne, ursprünglich aus dem Kaukasus kommend, heute meistens aus Plantagen oder großen Gärtnereien aus Dänemark importiert. Die Nordmannstanne sieht gut aus und verliert ihre Nadeln spät.

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Nichtsnutz

In Tausenduneine Nacht wird ein Königssohn und späterer Bettelmönch mit seiner Karawane auf dem Weg nach Indien überfallen (42. Nacht) und gelangt dann in eine Stadt, in der er sich irgendwie durchschlagen muss. Ein Schneider fragt ihn nach seinen Fertigkeiten: „Hast du nicht irgendein Handwerk gelernt, das du auf den Markt bringen und mit dem du deinen Lebensunterhalt verdienen könntest?“ – „Ich kann Rechtswissenschaft, Naturwissenschaft, Literatur, Dichtung und Schriftkunst!“ – „Dein Handwerk ist in unserer Stadt nicht gefragt.“ – “Ach Gott, ich habe wirklich nichts anderes gelernt als diese Künste.“ – “Dann zieh dich an, nimm eine Axt und ein Seil, und geh hinaus in die Wüste.” (Tausenduneine Nacht. Nach der ältesten arabischen Handschrift in der Ausgabe von Muhsin Mahdi, erstmals in Deutsche übertragen von Claudia Ott. München: Beck, 10/2009:138)

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Der falsche Krug

Kleists Zerbrochener Krug spielt in den Niederlanden. Er wurde zu dem Stück inspiriert durch ein Genre-Gemälde, das eine dörfliche Gerichtsverhandlung wiedergibt. Das Bild schrieb er einem Niederländer zu. Das Bild, Le juge, ou la cruche cassé, stammte von Louis Philibert Debucourt, aus Frankreich.

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Revolverblättchen

Die von Kleist herausgegebenen Abendblätter waren nicht auf politische Agitation oder auf ästhetische Debatten ausgerichtet, sondern sollten der “Unterhaltung aller Stände des Volks” dienen. Kleist bekam über den Berliner Polizeipräsidenten Zugang zu Polizeiberichten und unterhielt das Publikum mit Artikeln über Diebstähle, Selbstmorde, Betrügereien und besonders einer Serie von Brandstiftungen, die er zur Mordbrennerei dramatisierte. [Amann, Wilhelm: Heinrich von Kleist. Berlin: Suhrkamp, 2011: 52-3]

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Majestätsverlust

Jahrelang befand sich Kleist in dem Glauben, er erhalte von Luise von Preußen, der Königin höchstpersönlich, eine kleine Pension. Dann musste er nach dem Tod der Königin erfahren, dass die Pension von einer Verwandten, Marie von Kleist, bezahlt worden war.  [Amann, Wilhelm: Heinrich von Kleist. Berlin: Suhrkamp, 2011: 22]

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Nichts für Empfindsame

In Kleists Herrmannsschlacht rächt sich Thusnelda an den Römern. Sie lockt Ventidius in die Falle und lässt ihn unter höhnischen Kommentaren durch eine Bärin zerreißen. [Amann, Wilhelm: Heinrich von Kleist. Berlin: Suhrkamp, 2011: 89]

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Grüne Weltsicht

Nach der Lektüre Kants fasste Kleist seine Erkenntniszweifel in einem Bild. Wenn wir statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden wir urteilen, dass alle Gegenstände, die wir sehen, grün sind. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist. [Amann, Wilhelm: Heinrich von Kleist. Berlin: Suhrkamp, 2011: 24]

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Männerkram

Kleist nahm in Leipzig zusammen mit seiner Schwester an einer öffentlichen Vorlesung des philosophischen Arztes Ernst Platner teil. Da Frauen zu solchen Veranstaltungen nicht zugelassen waren, trat seine Schwester in Männerkleidung auf. [Amann, Wilhelm: Heinrich von Kleist. Berlin: Suhrkamp, 2011: 26]

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Glückliches Italien (2)

Ein venezianischer Gondoliere hat einen Durchschnittsverdienst von 10,000 € por Monat. Die Lizenzen sind sehr begehrt und können, wenn man sich zurückzieht, vererbt oder verkauft werden. Dafür gibt es dann noch einmal ca. 100,000 €. Trinkgeld brauchen sie vermutlich nicht.

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Glückliches Italien (1)

Italien hat mehr Parlamentarier als alle anderen europäischen Länder (zusammen mehr als 900 in beiden Kammern) und hat auch die am besten bezahlten Abgeordneten, mit einem Durchschnittsverdienst von mehr als 140.000 € pro Jahr.

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Krippenfiguren

In afrikanischen Krippen erscheinen statt Ochs und Esel oft afrikanische Tiere, wie Wasserbüffel und Warzenschwein. Das ist nicht so merkwürdig, wie es sich anhört. Die Krippendarstellungen mit Alpenpanorama und schneebedeckten Bergen in der europäischen Malerei ist eine ebensolche kulturelle Anverwandlung einer in Palästina angesiedelten Szene. Was die afrikanischen Krippen betrifft, bliebe nur zu klären, wer der Esel und wer der Ochse ist.

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Ratte gerettet

Ratten retten Ratten. In einem Experiment befreiten Ratten eine in einem Plastiktunnel gefangene Ratte, sofern sie es schafften, die Tür zu öffnen. Wenn die Ratte durch eine Spielzeugfigur ersetzt wurde, machten die Ratten keinen Versuch, die Tür zu öffnen. Wenn in einem zweiten Tunnel Schokolade lag, befreiten sie die andere Ratten und überließen ihr einen Teil der Schokolade, wenn auch weniger als die Hälfte. Einige Ratten versuchten es, die Tür zu öffnen, wurden dabei aber so aufgeregt, dass sie es nicht schafften. Das waren meistens männliche Ratten. Ob das etwas über männliche Wesen insgesamt aussagt, und wenn ja, was, ist unklar. Ebenfalls strittig ist die Deutung der Forscherin, dass das Experiment belege, dass Empathie angeboren ist.

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Kriegsfolgen

Helmut Schmidt ließ bei seinem Einzug in das Verteidigungsministerium das Portrait Friedrichs des Großen entfernen. Wer Präventivkriege geführt habe, könne kein Vorbild sein.

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Krähen auf Kirschbäumen

Irgendwo fand ich folgende Geschichte zu Goethes Gedicht “Über allen Gipfeln
ist Ruh”. Das Gedicht wurde 1902 ins Japanische übertragen, und dann für eine Sammlung japanischer Lyrik (!) ins Französische übersetzt, und von dort zurück ins Deutsche:,

Über allen Gipfeln
ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vöglein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

Soweit Goethe. Nun die Übersetzung.
Stille ist im
Pavillon aus Jade.
Krähen fliegen
Stumm
zu beschneiten
Kirschbäumen im Mondlicht.
Ich sitze und weine.

Als ich mein Amüsement mit einem polyglotten Freund teilen wollte, schrieb der erst einmal zurück, dass es dafür keinen Beleg gebe. Wahrscheinlich sei das Gedicht einfach eine Parodie und die Geschichte dazu erfunden. Das ist, jedenfalls auf den zweiten Blick, ganz einleuchtend. Es wäre einfach zu schön, um wahr zu sein. Dann aber schrieb er nochmal zurück, mit folgender Anmerkung: In der japanischen Mythologie
sind sowohl Krähen als auch Kirschbäume Symbole des Todes. Tote werden oft unter einem Kirschbaum begraben. Einem Mythos zufolge sind die Kirschblüten erst weiß und werden, nachdem jemand unter dem Baum begraben wurde, rosarot und schließlich rot. Wenn das stimmt, ist es doch eine Übersetzung oder, wenn nicht, eine teuflisch gelungene, doppelbödige Parodie.

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Mut zur Fuge

In den Fugen zwischen Pflastersteinen sind dreimal so viele Kleinstlebewesen zuhause wie auf der gleichen Fläche in “freier” Natur.

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Thusnelda

Im 19. Jahrhundert war Thusnelda ein beliebter Vorname in Deutschland. Das lag an der vaterländischen Begeisterung für die “erste” Thusnelda, die Gemahlin von Arminius (alias Herrmann), dem legendären Sieger in der Varusschlacht gegen die Römer. Thusnelda geriet später in Gefangenschaft und wurde bei dem Triumphzug des Germanicus in Rom mitgeführt. Im 19. Jahrhundert, als es überall vor Thusneldas nur so wimmelte, verkam der Name dann zum Inbegriff für Dienstboten (“unsere Thusnelda”) und schließlich zum Synonym für ‘Frau’, und zwar mit negativen Untertönen. Heute lebt die Thusnelda in dieser Tradition als Tussi weiter.

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Levkojen

Was haben Levkojen und Nikosia miteinander zu tun? Nikosia heißt nur im Ausland Nikosia, bei den Einheimischen Lefkosia (Λευκωσία). Das geht, wie Levkoje, auf das griechische Wort leukos, ‚weiß‘, zurück. Deren Namen bedeutet eigentlich ‚Weißveilchen‘ und wurde bei uns in neugriechischer Aussprache übernommen.

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Schrittschuhe

Der Schlittschuh hieß anfangs nicht Schlittschuh, sondern Schrittschuh. Das bezeichnete also einfach einen Schuh, mit dem weit ausschreiten kann. Erst in Analogie zu Schlitten wurde dann aus dem Schrittschuh der Schlittschuh. Goethe, selbst passionierter Schlittschuhläufer, berichtet in seiner Autobiographie, wie er von Klopstock entsprechend belehrt wurde.

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Totschlagargumente

Die älteste erhaltene Text, der auf Schwedisch geschrieben wurde, ist ein Gesetztestext aus Westgotland. In ihm wird unter anderem festgelegt, welche Strafe auf Totschlag steht. Die härteste Strafe gibt es, wenn man einen Westgotländer tötet, etwas weniger, wenn man einen “Schweden” tötet (das bedeutete damals jemanden aus Svealand). Für einen Dänen oder einen aus Normannland (den Norden des heutigen Schweden) gibt es noch weniger, und am wenigsten für einen “Ausländer”. (Janson, Tore: Sprakens historia. Stockholm: Nordstedts, 2011: 187-188)

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Okay

Okay war das erste Wort, das auf dem Mond gesprochen wurde (“OK. Engine stop”).  Bei Mark Twain kommt es nicht vor, auch nicht bei Melville oder Harriet Beecher Stowe. Der Erste, der es in einem nichtinformellen Text zu Papier brachte, war Thoreau, doch er schrieb es wieder heraus, als es an die Drucklegung ging. Mit Faulkner und Steinbeck hielt es Einzug in die Literatur. In Deutschland wurde es durch Schlagertexte bekannt, so dass Böll es in den Sechziger Jahren in seiner Übersetzung von Catcher in the Rye nicht mehr durch ein deutsches Wort ersetzen musste. Michael Verhoevens Film O.K., der den amerikanischen Zynismus im Vietnamkrieg anprangerte, sorgte für einen Skandal auf der Berlinade. Forrest Gump nimmt sogar einen Heiratsantrag mit seinem bevorzugten Ein-Wort-Satz an: “Okay”. (Ebbinghaus, Uwe: “O.k., OKEH, okay, OK”, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 252/2011: Z1-Z2)

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Reichtumsfalle

Der Durchschnittsdeutsche von heute besitzt insgesamt ca. 10,000 Gegenstände. (Uchatius, Wolfgang: “Kapitalismus in der Reichtumsfalle”, in: Die Zeit 46/2011: 23)

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Schiffsbau

Warum musste der Bau der U-Bahn von San Francisco plötzlich unterbrochen werden? – Man war auf ein Schiff gestoßen. Jetzt mussten erst einmal die Archäologen ran. Beim Gold Rush im 19. Jahrhundert waren viele Schiffe verwaist in der Bucht von San Francisco liegen geblieben. Die Stadt vergab die Schiffe als Bauland. Die zukünftigen Hausbesitzer mussten die Schiffe versenken und Erdreich aufschütten. Dann konnten sie ihre Häuser darauf errichten. Insgesamt wurden drei Schiffe in der Bucht von San Francisco ausgegraben. Auf dem berühmtesten, der General Harrison, fand man unter anderem ungeöffnete Weinflaschen.

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Schießautomaten

Was sind Schießautomaten? – In die Wand von Brauereien eingelassene Automaten, an denen sich die Brauereiangestellten ihre tägliche Portion an Freibier ‚zapfen’ konnten. Jedem Angestellten wurden ein Krug und eine entsprechende Menge von Schießmarken zugeteilt, die zur Bedienung des Automaten vonnöten waren.

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Pichen

Was versteht man unter Pichen bzw. Entpichen? – Das Auftragen,  Ausbessern und Entfernen der Pechschicht im Inneren von Holzfässern. Das Pichen und Entpichen war von besonderer Bedeutung in der Bierproduktion. Viele Brauereien beschäftigten Handwerker, die sich dieser Arbeit widmeten.

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Braunstein

Welche besondere ‚Auszeichnung’ wurde dem pfälzischen Dorf Darstein 1930 zuteil? – Es wurde als Ehrenmitglied in die NSDAP aufgenommen. In Darstein wählten 1930 alle Wähler die NSDAP, und es wurde dadurch zum ersten ‚braunen Dorf’ Deutschlands. Zwei Jahre zuvor hatte die NSDAP in Darstein noch keine Stimme bekommen.

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Rekordverdächtig

Die Schwedin Therese Alshammar schwamm im März 2009 Weltrekord und wurde disqualifiziert. Warum? – Sie trug zwei Badeanzüge. Manche Anzüge fangen, da sie so undurchlässig sind, Luft ein und wirken wie Schwimmflügel. Um den Effekt zu maximieren, zog Therese Alshammar zwei Anzüge an – und wurde disqualifiziert. („Zu viel des Guten“, in: Die Zeit 33/2009: 30)

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Hupkonzert

Welches Musikinstrument, mit dem sie inzwischen bekannt wurde, erfand die US-Amerikanerin Wendy Chambers 1983? – Die Autohupenorgel. Sie besteht aus 25, aus verschiedenen, auf dem Schrottplatz gelandeten Autos ausgebauten Hupen mit unterschiedlichen Tönen, die von einem selbstgebauten Keyboard aus bespielt werden. Wendy Chambers Erkennungsmelodie ist ‚New York, New York’, das sie u.a. zur Eröffnung der New Yorker Automobilausstellung für den damaligen Bürgermeister Ed Koch spielte.

 

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Mutterstecher

Was ist ein Mutterstecher? – Eine Schlüsselfigur im Prozess der Schallplattenherstellung. Die Mutter ist das positive Abbild der Urplatte. Sie hat Rillen und lässt sich abspielen. Sie wird von dem Mutterstecher einer Prüfung unterzogen. Er hört sie ab, Umdrehung um Umdrehung, um Knackgeräusche oder sonstige Störungen zu identifizieren und befreit die Platte von Verunreinigungen. Dabei bedient er sich eines Stichels. Ist der Mutterstecher mit dem Klang zufrieden, geht die Mutter zurück in die Galvanik, zum Baden.

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Taschenspielertrick

Welche Besonderheit hatte Julio Iglesias’ Garderobe bei seinem Auftritt beim Grand Prix der Eurovision 1970 in Amsterdam? – Seine Jacke hatte keine Taschen. Julio Iglesias hatte ein Marotte, die seinen Managern nicht gefiel: Er steckte beim Singen die Hände in die Tasche. Deshalb wurden die Anzugtaschen entfernt. Er wurde Vierter. Ob es mit Taschen besser oder schlechter gelaufen wäre, ist nicht bekannt.

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Außer Rand und Band

Woher stammt die Wendung außer Rand und Band? – Aus der Böttchersprache, in der Band das Fassband und Rand den Bodenreifen des Fasses bezeichnet. Ursprünglich waren es also die Dauben eines Fasses, die außer Rand und Band, also aus der Fassung gerieten. Dann wurde die Wendung auf Menschen übertragen, die aus irgendeinem Grunde – Freude, Wut, Überraschung – sich nicht zu fassen wissen, besonders auf ausgelassene Kinder. (Duden: Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 6 Bänden: Mannheim: Dudenverlag, 1980, Bd. 5: 2093)

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Doppelte Verblindung

Was bedeutet “Doppelte Verblindung” in der Wissenschaft? – Bei Experimenten, etwa bei Tests zur Wirksamkeit von Medikamenten, werden die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip drei Gruppen zugeordnet, die ein neues, ein erprobtes oder ein Scheinmedikament erhalten. Die Teilnehmer wissen nicht, welcher Gruppe sie zugehören, und sind in diesem Sinne ‚blind’. Die Ärzte wissen das aber auch nicht, um zu vermeiden, dass der Doktor dem Patienten unbewusst souffliert, er schlucke vielleicht das neue, vielversprechende Präparat oder eben nur ein Placebo. Auch sie sind in diesem Sinne blind. Und dieses Verfahren nennt man ‚Doppelte Verblindung’.  (Goertz, Wolfram, „Die Macht der Anekdoten“, in: Zeitliteratur 12/2009: 84)

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Hochgefühl

Welche Sammlung ungewöhnlicher Art präsentiert der Dachdeckermeister Georg Jablonowski auf seiner Seite im Internet? – Er sammelt Spuckbeutel, vulgo Kotztüten. Spukbeutel gibt es in allerlei Variationen, neutral, mit Heilpflanzen verziert, aus teurem Papier, und sogar durchsichtig. Auch lockere Sprüche sind zu finden, vor allem bei Billigfliegern. Auf den Spuckbeuteln einer Fluglinie steht: „Vielen Dank für Ihre Kritik“. Jablonowski testet auch die Qualität der Spukbeutel und misst ihr Fassungsvermögen. Und er beschäftigt sich mit ihrer Geschichte. In den ersten Flügen über den Atlantik waren Krankenschwestern an Bord. Schon sie verabreichten Spukbeutel. Später wurden die Krankenschwestern durch  Stewardessen ersetzt. Die Spukbeutel blieben. („Gar nicht übel“, in: Die Zeit 12/2009: 65)

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Pauschalpreis

Woher kommt das Wort überhaupt? – Aus dem Viehhandel. Wenn man über houbet kaufte, dann kaufte man pauschal, ohne die einzelnen Stücke – Häupter – zu zählen. Noch im 17. Jahrhundert drückte überhaupt kaufen den Gegensatz zu stückweise kaufen aus. Im 18. Jahrhundert setzte sich dann unsere Bedeutung durch. (Duden. Das Herkunftswörterbuch. Mannheim. Dudenverlag, 1963: 728)

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Haarwuchsmittel

Welcher Erlass tritt in regelmäßigen Abständen in Oberammergau in Kraft? – Der Haar- und Barterlass: Wer an den Passionsfestspielen mitwirken will, darf sich ab diesem Zeitpunkt weder Haar noch Bart schneiden. Das betrifft einen großen Teil der 5300 Einwohner Oberammergaus. Nur eine Ausnahme gibt es im Haar- und Barterlass: Wer einen Römer darstellt, darf bartlos und kurz geschoren auf die Bühne. („Der Bart der Woche“ in: Die Zeit 10/2009: 18)

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Preiswert

Warum konnte man in der frühen Neuzeit beim Handel mit der Muskatnuss schwindelerregende Gewinne (bis zu 60.000%) erzielen? – Der populären, aber falschen Vorstellung zufolge war die Muskatnuss das einzige wirksame Mittel gegen die Pest.

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Fragwürdig

Welche im Westen ungewöhnliche Frage wird bei Volkszählungen in der Volksrepublik China gestellt? – Die Frage nach dem bevorzugten Verhütungsmittel.

 

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Essensausgabe

Welche Besonderheiten findet man gelegentlich auf russischen Speisekarten? – Das sog. ‚Konflikt-Menu’. Es listet die Preise für zertrümmertes Mobiliar und Geschirr auf. Ein Lüster kostet z.B. 35.000 Rubel, eine Gardine 18.000,  Besteck ist dagegen schon für 150 Rubel zu haben.

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Filmstörung

Welche Neuerung will ein amerikanischer Kinobesitzer in seinem Kino einführen? – Getrennte Vorstellungen: mit Handybenutzung und ohne Handybenutzung. Zunächst hatte er wegen der Klagen der Kunden über das Handyklingeln während der Vorstellungen einen Störsender eingebaut. Das führte zu einem dramatischen Rückgang der Zuschauerzahlen, die ihn an den Rand des Ruins brachte. Also baute er den Störender wieder aus. Die Aufforderung an die Besucher, ihr Handy auszuschalten, war ebenfalls auf taube Ohren gestoßen. Sie wollten sich die ‚Freiheit’ der Handybenutzung nicht nehmen lassen. Daher also die Idee mit den getrennten Vorstellungen für die ‚Abhängigen’ und für den Rest. („Washington DC“, in: Die Zeit, 34/2008: 6)

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Messlatte

Was versteht man unter einem Rigiscan? – Eine Apparatur, mit der man bei Experimenten den Steifheitsgrad des männlichen Glieds messen kann. Zwei dünne Kabelschlaufen werden um das Glied gelegt, die sich alle 15 Sekunden zusammenziehen und den Umfang und die Steifheit messen. Die Probanden erleben dabei ein emotionales Wechselbad. Sie sehen z.B. eine Abschiedsszene, in der eine Mutter entscheiden muss, welches ihrer beiden Kinder in die Gaskammer geschickt wird, danach einen Porno, dann eine Vergewaltigungsszene und danach wieder einen Porno. (Neudecker, Sigrid: „Die Last der Lust“, in: Die Zeit, 30/2008: 32)

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Transferleistung

Welche Neuerung wurde kürzlich am New Yorker Internationalen Flughafen Newark eingeführt? – Man kann sich per Hubschrauber zum Flughafen transferieren lassen. Dabei kann man die Sicherheitskontrolle bereits beim Einstieg in den Hubschrauber hinter sich bringen, und bei einigen Fluglinien kann man sogar am Hubschrauber einchecken. Der Flug kostet zwischen 99 und 159 $, dauert 9 Minuten und führt am Woolworth Building, am Battery Park, am World Financial Center und an der Freiheitsstatue vorbei und über den Hudson. (Spaeth, Andreas: „Manhattan Transfer“, in: Die Zeit, 16/2008: 66)

 

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Fingergefühl

Aufgrund welcher Daten konnte der englische Anthropologe John Manning bei einem Wettrennen den Zieleinlauf von fünf Läufern fast genau vorhersagen? – Aufgrund der Fingerlänge der Teilnehmer. Er sagte voraus, dass Läufer umso weiter vorne landen würden, je größer ihr Ringfinger im Verhältnis zum Zeigefinger war. Er vertauschte nur die Plätze 3 und 4. Fingerforscher glauben, dass es einen Zusammenhang von Fingerlänge und bestimmten Eigenschaften geben könnte. Die Länge des Ringfingers wird von dem Sexualhormon Testosteron gefördert, die des Zeigefingers von Östrogenen. Das Verhältnis von Testosteron und Östrogenen entscheidet auch, ob eine Vagina oder ein Penis ausgebildet wird. Am besten belegt ist der Zusammenhang zwischen Fingerlänge und sportlicher Leistung, aber Männer mit langen Ringfingern im Verhältnis zum Zeigefinger produzieren auch mehr Spermien. Frauen haben in der Regel längere Zeigefinger als Ringfinger. (Maase, Till: „Die Wissenschaft des Handlesens“, in: Die Zeit, 8/2008: 40)

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Mittelschicht

Was bezeichnet man als Mesokarp? – Das ‚Weiße’ bei der Apfelsine und anderen Zitrusfrüchten, die Schicht zwischen der Schale und dem Fruchtfleisch (wörtlich die ‚Mittelfrucht’). Man kann das Mesokarp nicht nur bedenklich mitessen, es ist sogar ausgesprochen gesund: Es enthält genauso viele Vitamine wie das Fruchtfleisch, mehr Ballaststoffe und außerdem sog. Bioflavonoide, Stoffe, die in letzter Zeit regelrecht in Mode gekommen sind als ‚Gesundmacher’ und die auch in Schokolade und Rotwein enthalten sind. (Drösser, Christoph: „Stimmt’s“, in: Die Zeit 7/2008: 34)

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Nationalheld

Welchen besonderen ‚Rekord’ hält der bengalische Schriftsteller Rabindranath Tagore (1881-1941)? – Gleich zwei Länder machten seine Lieder zu ihrer Nationalhymne: Indien und Bangladesch. („Lebensgeschichte“, in: Zeitmagazin 44/2007: 60)

 

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Biermangel

Wozu gab das Land Schleswig-Holstein der Flensburger Brauerei einen Zuschuss von 1,5 Millionen Euro? – Wegen Mängel am Verschluss dringt manchmal Sauerstoff in die Flasche ein. Als Folge davon bleibt beim Öffnen der Flasche manchmal das berühmte Plopp! aus. Das führte zu Beschwerden. Mit Hilfe der Fachhochschule soll jetzt ein neuer Verschluss entwickelt werden. Man will den Kunden eine 100-prozentige Plopp-Garantie geben. (Hansen, Anne: „Das optimale ‚Plopp’“, in: Die Zeit 41/2007: 15)

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Ehekriegsschauplatz

Wie gelang es einer englischen Frau, ihren Ehemann dazu zu bewegen, den Klodeckel hinunterzuklappen? – Sie beauftragte einen Maler, auf die Oberseite des Deckels das Wappen von Sunderland Football Club, auf die Unterseite das von Chelsea United zu malen. Der Mann ist Anhänger von Sunderland. (Jarski, Rosemarie: Great British Wit. London: Ebury Press, 2005: 52)

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Ausgeräuchert

Warum bezahlte Maria Montessori, die italienische Erzieherin, einen Mann dafür, dass er ihn ihrer Gegenwart rauchte? – Sie war die erste Medizinstudentin Italiens unter lauter Männern. Sie wurde nur zugelassen unter der Bedingung, dass sie immer als letzte den Hörsaal betrat, um nicht gesehen zu werden, und dass sie nicht gemeinsam mit den männlichen Kommilitonen sezierte. So ging sie abends alleine in die Anatomie, begleitet nur von einem Wärter, den sie dafür bezahlte, dass er rauchte, um ihr den Geruch erträglicher zu machen. (Maurer, Doris: „Die Verteidigung des Kindes“, in: Die Zeit 2/2007: 72)

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Altklug

Welchem Umstand verdankt Jeanne Louise Calment ihren Ruhm? – Sie wurde 122 Jahre und damit zum bisher ältesten Menschen der Erde. Jeanne Louise Calment wurde nachweislich 1875 in Arles geboren und starb dort 1997.  Die Rekordhalterin blieb bis zu ihrem Lebensende geistig klar und überraschte ihre Gäste immer wieder mit spitzen Bemerkungen. Dabei war sie blind und fast taub und auf den Rollstuhl angewiesen, nachdem sie sich bei einem Sturz im Alter von 115 zwei Knochen gebrochen hatte. Nach eigenen Angaben tat Jeanne Louise Calment nichts Besonderes, um gesund zu bleiben. Ganz im Gegenteil, das Rauchen gab sie endgültig erst mit 119 auf. Ihre Langlebigkeit könnte auch genetisch bedingt sein: Ihr Vater wurde 97 und ihre Mutter 86. Sie selbst fuhr Fahrrad bis zum 100. Lebensjahr. (Wiesbadener Kurier: „Operation Jungbrunnen“: 3. 7. 2004; Der Tagesspiegel: „ Wenig zu vererben“: 14.9.2006; Max-Planck-Gesellschaft: „Validation of Longevity“: 2003)

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Dem Wort Porzellan liegt ital. porcella zugrunde, ‘Schweinchen’, ‘kleine Sau’. Wie kommt das Schwein nur ins Porzellan? Da gibt es erst einmal einen technologischen Irrtum. Als das chinesische Porzellan nach Europa kam, kannte man hier einen wichtigen Bestandteil des Porzellans noch nicht, die Kaolinerde (die erst später so nach der Stadt Kaolin benannt wurde). Man rätselte, was das sein könnte, was da in dem Porzellan steckte, und kam zu dem Schluss, dass es zerstoßene Muschelschalen sein müssten, weil die so fein und glänzend waren wie das Porzellan. Ein Irrtum. Aber die Sprache hat ihn bewahrt. Die Muschelschalen waren die der Kaurisschnecke, einer Art Seemuschel, und die forderte mit ihrer klaffenden Öffnung die menschliche (männliche?) Phantasie heraus. Sie sah nämlich aus wie das weibliche Geschlechtsteil. Und so benannte man sie volkstümlich auch so, wie man das weibliche Geschlechtsteil benannte: porcella. Dieser Übertragung lag ein optischer Vergleich zugrunde liegt. Und wie kam die porcella dazu, die weibliche Scham zu benennen? Die Vorstellung war, dass, was mit Sexualität zu tun hatte, und erst recht mit weiblicher Sexualität, etwas “Schweinisches” an sich hatte. Dieser Übertragung lag ein moralisierender Vergleich zugrunde. Und der hatte Tradition: Schon bei Cato hieß die weibliche Scham porca. So kam also das Schwein auf dem Umweg über die Muschel ins Porzellan. (Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin, New York: De Gruyter, 1999: 641; Duden. Das Herkunftswörterbuch. Mannheim, Wien, Zürich: Dudenverlag, 1963: 521-2; (Storfer, Adolf Josef: Wörter und ihre Schicksale. Zürich: Atlantis Verlag, 1981: 347-348)

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Schallplattenstar

Welcher berühmte Deutsche hinterließ 1908 der Nachwelt seine Stimme auf einer Grammophonplatte? – Wilhelm Voigt, der ‚Hauptmann von Köpenick’. Er hatte als falscher Hauptmann mit einer alten Uniform die Hauptkasse des Rathauses von Köpenick beschlagnahmt, war festgenommen und zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Nach seiner Freilassung versuchte er, Profit aus dem Coup zu schlagen. Er schrieb eine Autobiographie, machte die Grammophonaufnahme und ging auf Tournee. Die Aufnahme hat eine Dauer von knapp drei Minuten und zeigt, dass der Hauptmann von Köpenick nicht, wie in dem Theaterstück von Zuckmayer, Berlinerisch sprach, sondern ostpreußisch. (Jeck, Marc: „Auf allerhöchsten Befehl“, in: Die Zeit 42/2006: 104)

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Werbewirksam

Welche Kunstinstallation wurde 2005 in der Neubaugasse in Wien zugelassen? – Alle Aufschriften, Firmennamen, Reklameschilder und Werbeflächen wurden überklebt. Dies geschah mit ausdrücklicher Genehmigung des dortigen Geschäftsvereins. Die Nicht-Werbung war vor allem eins: eine einzige große Werbeveranstaltung für die dort ansässigen Läden. Der Name der Kunstinstallation war Delete! (Kluy, Alexander: „Aus Abtritten Gold machen“, in: Die Welt, 9. Juli 2005)

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Jubliläum

Woher kommt das Wort Jubiläum? – Es hieß ursprünglich ‚Widderhorn’. Das war die Bedeutung des hebräischen Wortes jōbēl, von dem es über das Griechische und Lateinische ins Deutsche und andere Sprachen kam. Mit dem Klang des Widderhorns wurde das alle 50 Jahre gefeierte jüdische Halljahr eingeleitet, in dem alle Schulden erlassen wurden. Ursprünglich gab es ein Jubiläum nur zum 50. Jahrestag, dann weitete sich der Begriff aus, als das Papsttum alle 33 und dann alle 25 Jahre ein Jubeljahr für die Kirche ausrief. (Duden, Das Herkunftswörterbuch. Mannheim, Wien, Zürich: Dudenverlag, 1963: 297; Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin und New York: De Gruyter, 23 1999: 412; Flavell, Linda & Flavell, Roger: English Down the Ages. London: Kyle Cathie Limited, 2005: 85-86)

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Pfeife

Woher kommt das Wort Pfeife? – Es ist eine Imitation des Vogelrufs! Das ist jedenfalls sein Ursprung. Für den Ruf junger Vögel gab es, basierend auf dem Lateinischen Wort pipare,  im Vulgärlateinischen das lautmalerisches Wort pipa (wie piep, piep! im Deutschen).  Weil man eine Pfeife für das Imitieren des Vogelrufs benutzte, um die Vögel anzulocken, wurde pipa dann auch auf das Musikinstrument übertragen. Daraus entwickelte sich das deutsche Wort Pfeife. Das Wort wurde später auch auf die Tabakspfeife übertragen, weil sie auch länglich und hohl war und in den Mund gesteckt wurde. Im Englischen wurde das entsprechende Wort, pipe, dann auch auf die Rohre für Wasserleitungen übertragen. Dieses Wort kam dann als Pipeline auch ins Deutsche. (Duden, Das Herkunftswörterbuch. Mannheim, Wien, Zürich: Dudenverlag, 1963: 504; Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin und New York: De Gruyter, 23 1999, S. 624; Flavell, Linda & Flavell, Roger: English Down the Ages. London: Kyle Cathie Limited, 2005: 75)

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Abriss

Wie protestierte das London Philharmonic Orchestra 1936 gegen den Abriss der Mendelssohn-Statue in Leipzig? – Sie traten im Straßenanzug auf. Die Statue war in einer Nacht- und Nebelaktion mit dem Argument, öffentliches Ärgernis erregt zu haben, abgerissen worden. Der durch die Aktion düpierte Oberbürgermeister Goerdeler suchte um seine vorzeitige Pensionierung nach. Mendelssohn war ein zum Protestantismus konvertierter gebürtiger Jude und damit den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. (Worbs, Hans Christoph: Mendelssohn Bartholdy. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1974: 7)

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Weißwaschen

Warum spricht man im Englischen von White Rhinoceros und Black Rhinoceros, obwohl beide Nashornarten gräuliches Fell haben? – Die Bezeichnung White Rhinoceros geht auf ein Missverständnis zurück, auf eine Fehlinterpretation von wijd. Mit diesem Wort wird auf Afrikaans, wegen seines breiten Mauls, eine der beiden Arten bezeichnet, das Breitmaulnashorn. Aus Afrikaans wijd wurde Englisch white. Und da nun einmal eine Art white hieß, nannte man die andere der Einfachheit halber eben black. Das Black Rhinoceros ist äußerst selten und sehr gefährlich. Es hat einen kleineren Kopf, den es gewöhnlich hoch hält. Das White Rhinoceros ist selten, aber nicht vom Aussterben bedroht, nicht ganz so gefährlich und hat einen großen Kopf, den es in der Regel gesenkt hält. (Finke, Jens: The Rough Guide to Tanzania. London: Rough Guides Ltd., 2003)

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Holzhaus

Warum heißt ein Haus in der Augsburger Fuggerei Holzhaus, obwohl es nicht aus Holz ist? – Das Holzhaus war, im Gegensatz zu den meisten übrigen Häusern, kein Wohnhaus, sondern ein Haus, in dem Kranke behandelt wurden. Das geschah mit Kuren, bei denen der Extrakt eines Holzes aus Mittelamerika verwendet wurde, das harte, harzhaltige Holz des Guajakbaums. Das geschah wohl auch zum Wohle der Stifter, der Fugger, die selbst Handel mit diesem Holz aus Mittelamerika trieben. Bei der Krankheit, der man hier beizukommen versuchte, handelte es sich um die Syphilis.

 

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Häferlgucker

Was ist ein Häferlgucker? – Im Verlaufe des 18. Jahrhunderts wurden in Österreich verschiedene Strategien entwickelt, gegen die unbeherrschte Völlerei des Bürgertums vorzugehen. Dazu gehörte auch der Häferlgucker, ein staatlich bestallter Kontrolleur, der den Menschen bei häuslichen Feiern in die Töpfe guckte. Aufgabe der Kontrolleure war es auch, die Zahl der Gänge und die Dauer des Festmahls zu bestimmen. Beim Bürgertum durfte das Essen nicht länger als drei Stunden dauern. Eine beliebte Maßnahme, das Verbot zu hintergehen, war es, die Kontrolleure zum Mitessen einzuladen. (Meier-Gräwe, Uta: „Zwischen Völlerei und Diätwahn“, in: Aula, Südwestrundfunk, 6. August 2006)

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Ulmer Schachtel

Was ist eine Ulmer Schachtel? – Ein einfaches Bootes, das in der frühen Neuzeit an die Stelle der Flöße beim Transport von Waren, und später auch Personen, die Donau hinunter trat. Das Wort ist neueren Ursprungs und war ursprünglich verächtlich gemeint. Auf den Ulmer Schachteln wurden die Exportschlager Ulms, Leinen, Barchent (eine Mischung aus Leinen und Baumwolle), Holz und Spielkarten, transportiert, fast immer mit Wien als Zielort. Die Ulmer Schachteln hatten wegen der Untiefen des Flusses keinen Kiel und konnten nicht gerudert werden, sondern trieben flussabwärts. Nur ganz wenige kamen auf  Pferdezügen wieder zurück; die meisten wurden verkauft und zu Brennholz gemacht. Zu den Personen, die auf einer Ulmer Schachtel transportiert wurden, zählte auch Kepler.

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Ersatzmann

Wie kam Michael Schumacher zu seinem ersten Einsatz in der Formel 1? – Ein Fahrer von Jordan, Bertrand Gachot, hatte einen englischen Taxifahrer mit Reizgas besprüht und musste dafür 18 Monate ins Gefängnis. Schumachers Manager Weber und der Sportchef von Mercedes nahmen daraufhin Kontakt mit Eddie Jordan auf und schlugen Schumacher, der gerade erst Deutscher Meister in der Formel 3 geworden war, als Ersatz vor. Jordan war sehr skeptisch und stimmte dem Test nur zu, weil viel Geld floss.  (“Ängstlich ist das falsche Wort“. Interview mit Michael Schumacher in: Die Zeit 31/2006: 54)

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Startverzögerung

Welches unvorhergesehene Problem hatten die Amerikaner 1961, als sie ihren ersten Astronauten in den Weltraum schießen wollten? – Der Start für den Flug, der nur 15 Minuten dauern sollte, verzögerte sich um mehrere Stunden. Während der ganzen Zeit wartete der Astronaut, Alan Shepard, im Raumanzug in der engen Kapsel der Mercury. Dann verspürte er ein menschliches Bedürfnis. Man beriet, was zu tun sei, und erlaubte dem Astronauten schließlich, in den Raumanzug zu pinkeln. Das war nicht ganz ungefährlich, da wichtige Sensoren unwirksam hätten werden können, aber es ging gut. Alan Shepard wurde zum ersten Amerikaner im Weltraum.  (“Helden im All”, in: Phoenix 25. Mai 2006)

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Polizeialarm

Warum rief die Firma Gieves and Hawkes aus London am 30. Januar 1969 die Polizei? – Die Beatles gaben auf dem Dach des Hauses, in dem sich die Aufnahmestudios von Apple befanden, ein Konzert. Obwohl nur 200 Watt starke Verstärker benutzt wurden, konnte man die Klänge bis zur Park Lane und nach Soho, eine Meile entfernt, hören. Die Menschen lagen in den Fenstern, standen auf der Straße und stiegen auf die Dächer der Häuser der gesamten Umgebung. Den Schneidermeistern von Gieves and Hawkes wurde es dann zu laut. Das improvisierte, aus der Not geborene, erst zwei Tage vorher aus einer Schnapsidee heraus entstandene Konzert – man brauchte einen Film, der zusammen mit Get Back auf den Markt kommen sollte – wurde zu einem bedeutenden Moment in der Karriere der Beatles. Es war das letzte Mal, dass die Beatles zusammen in der Öffentlichkeit spielten. (Tony Bramwell, Magical Mystery Tours. London: Robson Books, 2005: 309)

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Drückebergergasserl

Warum heißt die Viscardigasse in München im Volksmund „Drückebergergasserl“? – Zu nationalsozialistischen Zeiten war an der Ostseite der Feldherrenhalle ein Mahnmal zum Gedenken an die 16 beim gescheiterten Putsch der Nationalsozialisten 1923 ums Leben gekommenen „Märtyrer“ errichten worden, vor dem jeder Passant den “Deutschen Gruß“ entrichten musste. Wer den Gruß verweigern wollte, nahm den Umweg durch die kleine Viscardigasse hinter dem Preysing-Palais. So bekam die Gasse den Namen „Drückebergergasserl“. (ADAC Reiseführer München. München: ADAC Verlag, 10/2004:  6)

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Scheidungsgrund

Warum ließ sich Yoko Ono, die spätere Lebensgefährtin John Lennons, von ihrem Ehemann Tony Cox scheiden? – Um ihn zu heiraten. Sie hatte durch die Heirat mit Cox Polygamie begangen, denn sie war zu dem Zeitpunkt noch mit dem Komponisten und Pianisten Toshi Ichiyanagi verheiratet. Sie musste sich zuerst von Cox scheiden lassen, und dann von Ichiyanagi, um Cox heiraten zu können. Sie machte sich dann, mit Unterstützung von Cox, auf die Jagd nach John Lennon, am Ende erfolgreich. (Tony Bramwell: Magical Mystery Tour. London: Robson Books, 2005: 245)

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Reismehl

Welche Rolle spielte das Reismehl in den Anfängen des brasilianischen Fußballs? – Vielen Konservativen schien die Haltung der Herren Fußballer in der Rassenfrage zu lax. Nur Weißen war die Mitgliedschaft in Sportclubs erlaubt, aber im neugegründeten Fußballclub Fluminense war ein Mulatte dabei, Carlos Alberto. Er hatte sich mit Reismehl bepudert, um als Weißer durchzugehen, aber in der Hitze des Gefechts schwemmte der Schweiß die weiße Haut davon. Carlos Alberto bekam den Spitznamen Reismehl. (Carl Goerdeler, „Futebol! Futebol!“, in: Die Zeit 17/2006, S. 92)

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Namesfindung

Wie kamen die Beatles zu ihrem Namen? – Die Beatles nannten sich zunächst Beetles (‚Käfer’) in Anlehnung an die Begleitband des von ihnen verehrten Buddy Holly, die Crickets (‚Grillen’). Die Beatles hatten Buddy Holly, der 1959 bei dem legendären Flugzeugabsturz („The day that music died“) ums Leben gekommen war, bei einem Konzert in Liverpool erlebt. Erst auf Umwegen (u.a. The Silver Beetles) kam es zu dem endgültigen Namen. Dazu gehörte auch Beatals, ein doppeltes Wortspiel, das nicht nur auf den Beat anspielte, sondern auch im Sinne von beat alls (‚schlagen alle’) verstanden wurde. Nach einer weiteren Änderung der Schreibweise kam es dann zu dem endgültigen Namen und so wurden aus den ursprünglichen Quarrymen (John Lennons Vater war ein quarryman, d.h. er arbeitete in einem Steinbruch) schließlich die Beatles. (Ich beziehe meine Informationen aus einer Rundfahrt in Liverpool auf den Spuren der Beatles sowie aus den Memoiren eines Freundes der Beatles, Tony Bramwell, von dem Paul McCartney sagte: „If you want to know anything about the Beatles, ask Tony Bramwell. He remembers more than I do.”; Bramwell, Tony: Magical Mystery Tour. London: Robson Books, 2005: 34-35)

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Jubelrufe

Wodurch löste die Krönungszeremonie von Wilhelm I. von England erheblichen Schaden aus? – Die englischen Vasallen in der Abtei gaben durch laute Jubelrufe ihre Zustimmung zur Inthronisierung Williams, die normannischen Soldaten außerhalb der Abtei, die kein Englisch verstanden, glaubten, es handele sich um eine Rebellion und steckten die umliegenden Häuser in Brand. Die Krönung fand am Weihnachtstag 1066 in der Westminster Abbey in London statt. (Christopher Hibbert, The Story of England. London: Phaidon Press, 1992: 45; David Crystal, The Stories of English. Harmonsdsworth: Penguin, 2005: 126)

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Unterrichtungstafeln

Was sind Unterrichtungstafeln? – Die braunen Hinweisschilder auf Autobahnen, die Hinweise auf touristische Sehenswürdigkeiten geben. (Susanne Amann und Olaf Sundermeyer, „Auch andere Dörfer haben schöne Kirchen“, in: Die Zeit 13/2006: 78)

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Gefangenendilemma

Was versteht man unter dem Gefangenendilemma? – Ein Gedankenspiel aus der Spieltheorie: Zwei Verdächtige werden von der Polizei verhaftet und in getrennte Zellen gesperrt. Dann werden ihnen folgende Informationen geben:

  • Gestehen sie beide, bekommen beide eine kurze Gefängnisstrafe.
  • Gesteht keiner von beiden, gehen beide straffrei aus.
  • Gesteht aber nur einer von beiden, so erhält er eine Belohnung, während der andere eine lange Gefängnisstrafe bekommt.

Das Problem ist nun, dass es ungeachtet des Verhaltens des einen im Interesse des jeweils anderen liegt, geständig zu sein. Denn gesteht der eine, ist es auch für den anderen besser, geständig zu sein und eine kurze und keine lange Haftstrafe zu bekommen. Aber auch wenn der andere nicht gesteht, ist es besser zu gestehen, denn dann bekommt man die Belohnung. Handeln also beide rational, so werden sie beide ein Geständnis ablegen – und damit schlechter wegkommen, als wenn sie beide geschwiegen hätten! Verschiedene „Spiele“, also Situationen, die von der Spieltheorie untersucht werden, führen zu solch paradoxen Ergebnissen. Die Spieltheorie ist ein wissenschaftlicher Ansatz, der besonders von Ökonomen und Mathematikern verfolgt wird. (Richard Tuck: Hobbes. Freiburg: Herder, o. J.: 164)

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Rausgeflogen

Warum flog der Carl Bernstein, der berühmte Journalist der Washington Post und Aufklärer der Watergate-Affäre, von der Uni? – Er hatte zu viele Strafzettel auf dem Campus-Parkplatz bekommen. (Barbara Nolte, „Der zweite Mann“, in: Die Zeit 5/2006: 61)

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Sportler des Jahres

Aus welcher Wahl ging Fidel Castro 1940 als Sieger hervor? – Aus der Wahl zum besten Sportler von ganz Kuba. Er war Schüler am Jesuiten-Kolleg Belén von Havanna. Er war ein ausgesprochen guter Absolvent der Schule, wurde Sieger in einem Gedicht-Wettbewerb und ließ noch im mündlichen Examen deutlich seine Arroganz gegenüber seinen Prüfern erkennen. (Albrecht Hagemann, Fidel Castro. München: DTV, 2003: 24)

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Revolutionäre Vögel

Wodurch erfuhr Fidel Castros fulminante Rede zum erfolgreichen Abschluss der kubanischen Revolution ihre Krönung? – Gegen Ende der Rede ließen sich zwei weiße Tauben auf seinen Schultern nieder. (Hagemann, Albrecht: Fidel Castro. München: DTV, 2003: 98)

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Zum Puff gehen

Woher kommt das Wort Puff für ‚Bordell’? – Bereits seit dem 13. Jahrhundert findet sich Puff als Bezeichnung einiger Spiele, speziell eines Brettspiels mit Würfeln, das heute auch Tricktrack genannt wird. Dieser Wortgebrauch bezieht sich auf das dumpfe Geräusch, das beim Aufschlagen der Würfel entsteht. An ihn schließt sich die seit dem 18. Jahrhundert bezeugte umgangssprachliche Verwendung von Puff für ‚Bordell’ an, denn solche Würfelspiele konnten in Badehäusern zwischen Frauen und Männern gespielt werden und dann zwanglos in erotische Spiele übergehen. Deshalb galten Badehäuser als eine Art Bordell. Dieser Wortgebrauch entwickelte sich wohl in Wendungen wie „mit einer Dame Puff spielen“ oder „zum Puff gehen“, in denen Puff verhüllend gebraucht wird. (Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin, New York: Walter de Gruyter 231999, S. 654; Duden: Das Herkunftswörterbuch. Mannheim, Wien, Zürich, 1963, S. 538)

 

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Rauchzeichen

Wodurch wurde Rocco Granata zu seinem Erfolgsschlager „Marina, Marina, Marina“ inspiriert? – Durch eine Zigarettenreklame. Er arbeitete zu der Zeit als Bergmann und verdiente sich abends durch Auftritte in Kneipen ein wenig Geld dazu, hatte aber ein zu kleines Repertoire, war also ständig auf der Suche nach neuen Motiven. Bei der Arbeit in einer Schmiergrube fiel sein Blick auf die Werbung für die (nicht mehr existierende) Zigarette der Marke Marina. Er sagte das Wort mehrmals hintereinander vor sich hin, und fast wie von selbst stellte sich die Melodie dazu ein. („Was macht eigentliche Rocco Granata?“, in: www.stern.de/lifestyle/leute 16. September 2005; „Abendmelodie!, in:  SWR 4: 15. Septmeber 2005)

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Linksfüßer

Wodurch gelangen Borussia Neunkirchen beim DFB-Pokalfinale 1959 gegen Schwarz-Weiß Essen in den letzten zehn Minuten noch zwei Gegentore? – Die Essener führten nach 80 Minuten 5:0 und beschlossen, in den letzten zehn Minuten nur noch mit links zu spielen. (Christoph Biermann, „Ein Blick auf die Tabelle“, in: Die Zeit 34/2005: 54-55)

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Rückenschwimmer

Wodurch unterscheidet sich der Kongowels von allen anderen Fischen? – Er schwimmt auf dem Rücken und bildet somit eine Ausnahme von der Regel, derzufolge auf dem Rücken schwimmende Fische tot sind. Er schwimmt auf dem Rücken, weil er Algen und Wirbellose frisst, die auf der Unterseite der Blätter von Wasserpflanzen leben oder Insekten, die auf der Wasseroberfläche notgelandet sind. Während gewöhnlich Fische aus Gründen der Tarnung oben dunkel und unten hell sind, ist es beim Kongowels anders herum. (Ulrich Schmid, 275 populäre Irrtümer über Pflanzen und Tiere. Stuttgart: Kosmos, 2002: 62)

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Schwimmreifen

Wer oder was ist „Bibendum“? – Es ist der Name des Maskottchens von Michelin, des wulstigen Männchens mit den vielen Reifen um den Bauch. (Quellen: Michael Mönninger, „Plattfuß in Amerika“, in: Die Zeit 26/2005: 29). Im Spanischen steht übrigens der Ausdruck michelines für das, was im Deutschen bei fülligen Menschen manchmal als Schwimmreifen bezeichnet wird.

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Lügensteine

Wodurch wurde der Würzburger Professor Johannes Bartholomäus Adam Beringer  berühmt? – Durch die sog. „Würzburger Lügensteine“, eine Fossiliensammlung mit sensationellen reliefartigen Abbildungen von Tieren, Pflanzen, Sternen – Spinnengewebe, Sonnenstrahlen, kopulierende Frösche usw. – die er 1726 in einem großen Werk veröffentlichte, die aber allesamt gefälscht waren. Missgünstige Kollegen, die Beringer wegen seiner pompösen und arroganten Art nicht ausstehen konnten, hatten die Steine in Auftrag gegeben und sie ihm zugespielt. Beringer ließ auch von der Veröffentlichung nicht ab, als ein Kollege, der in die Sache verwickelt war, ihn auf den Betrug aufmerksam machte: Wenn einige Steine gefälscht seien, hieße das noch lange nicht, dass alle gefälscht seien. Dass Beringer auch einen Stein mit der Inschrift seines eigenen Namens gefunden haben soll, gehört aber wohl in das Reich der Fabel. Trotz der Aufdeckung des Betrugs wurde das Buch nach Beringers Tod noch einmal veröffentlicht.  (Quellen: Zankl, H.: Fälscher, Schwindler, Scharlatane. Wiley-Vch, 2003, S. 213 ff; Gold, Stephen Jay: “The Lying Stones of Würzburg and Marrakech”, in: Natural History 4/98: 16-90; Nield, Ted: “A Helpful Hoax”, in: The Curiosity Cabinet, 2003: 12-13)

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Hurenkind

Was ist ein Hurenkind? – Das Gegenstück zum Schusterjungen. In der Druckersprache bezeichnet man die letzte Zeile eines Absatzes am Anfang einer Seite als Hurenkind. Diese Zeile sollte nicht an dieser Stelle stehen und hebt sich so von den anderen ab, ähnlich wie ein Hurenkind früher ausgestoßen, isoliert war und sich von den ehelichen Kindern abhob. Das Gegenstück ist der Schusterjunge, die erste Zeile eines neuen Absatzes am Ende einer Seite. (Quellen: Timm Bossmann u.a., Jokers Plaudereien. Augsburg: Weltbild, 2004, S. 22; Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 3. Mannheim, Wien, Zürich, 1979, S. 1299)

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Heu und Stroh

Warum mussten sich die Soldaten der Armee Peters des Großen Heu und Stroh um die Stiefel binden? – Sie konnten rechts und links nicht unterscheiden und drehten sich bei Befehlen wie „Rechts um!“ in alle Richtungen. Die Offiziere veranlassten die Soldaten, sich Stroh um den rechten und Heu um den linken Stiefel zu binden. Nun mussten die Offiziere nur noch „Zum Stroh!“ rufen, und das Durcheinander war behoben. (Quelle: Katharina Kramer, „Rinks und lechts“, in: Die Zeit 1/2005, S. 37)

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Onanieren

Woher kommt das Wort onanieren? – Aus der Bibel. Es basiert auf dem Namen Onan, einer Figur aus dem Alten Testament. Dieser erhält den Auftrag, der Witwe seines verstorbenen Bruders beizuwohnen, um für Nachkommenschaft zu sorgen. Diese Vorstellung gefällt ihm aber nicht, und deshalb lässt er „sooft er … zur Witwe seines Bruders ging, … den Samen zur Erde fallen“ (1 Moses 38). Onan onaniert also gar nicht, sondern praktiziert den Coitus interruptus.  Aus der falschen Deutung dieser Passage ergab sich die heutige Bedeutung des Wortes, das im 18. Jahrhundert aus dem Englischen übernommen wurde. (Quellen: Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin, New York: Walter de Gruyter 231999, S. 601; Duden: Das Herkunftswörterbuch. Mannheim, Wien, Zürich, 1963, S. 479)

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Rastalocken

Woher kommt der erste Bestandteil von Wörtern wie Rastalocken, Rastazöpfe, Rastamützen, Rastadialekt? – Der Wortteil Rasta ist die verkürzte Form von Rastafari, das wiederum auf Ras Tafari zurückgeht. Tafari war der bürgerliche Name des späteren äthiopischen Kaisers Haile Selassie, und Ras war der Titel, den er vor seiner Krönung als Gatte der Tochter des Kaisers hatte. Es heißt „Prinz“. Die Rastafaris waren Mitglieder einer politisch-religiösen Bewegung in Jamaika, die den Kaiser als göttliches Wesen verehrten, als Messias der Schwarzen, die als die „wahren Juden“ galten.  (Quellen:  Deutschlandfunk, „Wir erinnern“, Sendung vom 10. Dezember 2004, The New Encyclopaedia Britannica, Douglas R. A. Mack, From Babylon to Rastafari)

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Klammheimlich

Woher kommt der Ausdruck klammheimlich? – Der erste Teil des Wortes kommt von Lateinisch clam, und das bedeutet nichts anderes als  ‚heimlich’. Es wurde verstärkend, im Sinne von ‚ganz heimlich’, dem deutschen Wort hinzugefügt, das also wörtlich ‚heimlich-heimlich’ heißt. Diese Form der Wortbildung ist, gelehrt gesprochen, eine Tautologie, volkstümlich gesprochen, doppelt gemoppelt. (Quellen: Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin und New York: De Gruyter, 23 1999; Duden, Das Herkunftswörterbuch. Mannheim, Wien, Zürich: Dudenverlag, 1963.

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Schmerzvermeidungsstrategie

Wie paaren sich Igel? – Sehr, sehr vorsichtig, aber nicht, wie viele glauben (und auch Aristoteles glaubte), Bauch an Bauch. Das Männchen besteigt das Weibchen von hinten. Anatomie und Verhalten sorgen dafür, dass das nicht zu schmerzhaft wird: Die Vagina liegt am Körperende, der Penis in der Körpermitte, halbes Besteigen genügt also. Das Weibchen drückt sich flach auf den Boden, streckt die Hinterbeine rückwärts, hebt das Beckenende an und legt die Stacheln glatt an. Wird nur eine dieser Bedingungen missachtet, lässt er die Pfoten von ihr. (Quelle: Tobias Niemann, „Das große Paaren“, in: Die Zeit 46/2004: 39)

 

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Homoerotische Spiele

Welche besondere Rolle spielen homoerotische Spiele im Leben des amerikanischen Rüsselkäfers Diaprepes abbreviatus? – Weibchen und Männchen sehen sich so ähnlich, dass die Männchen Schwierigkeiten haben, Weibchen überhaupt zu erkennen. Die Weibchen, die sich offensichtlich gegenseitig erkennen, schließen sich deshalb zusammen. Eins von beiden spielt das Männchen und besteigt das andere. Davon wird das Männchen angelockt in der Annahme, dass da, wo zwei kopulieren, wenigstens ein Weibschen dabei sein muss. Zu seiner Freude entdeckt er dann, dass er gleich zwei Weibchen beglücken kann.  (Quelle: Tobias Niemann, „Das große Paaren“, in: Die Zeit 46/2004: 39

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Heldenverehrung

Warum fuhr ein weltbekannter englischer Ex-Fußballprofi im Oktober 2004 nach Baku in Aserbaidschan? – Der Fußballer, Geoff Hurst, dreifacher Torschütze des WM-Endspiels 1966, wohnte als Ehrengast der Enthüllung einer Statue von Tofik Bachramov bei, der als Linienrichter sein Tor zum 3:2 anerkannt hatte und in Aserbaidschan verehrt wird. Auch ein Stadion ist nach ihm benannt. (Quellen: Ingo Petz, „Denkmal für  Bachramow“, in: Tageszeitung, 15-10-2004; Daniel Taylor, „Captain shamed the country, says Hurst“, in : The Guardian, 13-10-2004)

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Weltmeister

In welcher populären Disziplin wurde der Kanadier Lee Rammage im Oktober 2004 durch einen Sieg im fünften Satz Weltmeister? – In „Schere, Stein, Papier“. Die Weltmeisterschaft wurde in Toronto ausgetragen. (Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 43/2004: 18)

 

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Rausflug

Warum wurde Christian Thomasius, Rechtsgelehrter in Leipzig, von der Universität verwiesen? – Er hielt Vorlesungen in deutscher Sprache!  Damit hielt er sich nicht an eine Kabinettsorder (1705), die den Gebrauch der deutschen Sprache in Vorlesungen ausdrücklich verbot. (Quellen: Hans Joachim Störig, Abenteuer Sprache. München: Humboldt, 1992: 128-129;  Werner Schmidt, Ein vergessener Rebell. Leben und Wirken des Christian Thomasius. München: Diederichs, 1995: 45-50)

 

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Blöde Dichter

Warum war Königin Elisabeth II. bei ihrer Deutschlandreise 1965 von ihrem Besuch in Marbach enttäuscht? – Sie war im „falschen“ Marbach“. Man hatte sie ins Schiller-Nationalmuseum nach Marbach am Neckar geführt, sie selbst wollte nach Marbach am Rande der Schwäbischen Alb – wegen des berühmten Marbacher Gestüts! (Quelle: Hellmuth Karasek, Go West! München: Heyne, 1996: 350). So jedenfalls die Legende. Leider scheint es keinen Beleg dafür gegeben zu haben, dass diese Verwechslung tatsächlich stattgefunden hat.

 

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Wiederaufgetaucht

Was ist die Besonderheit des Río Guadiana, des zentralspanischen Flusses? – Er verschwindet zwischenzeitlich von der Oberfläche. Der Guadiana entspringt in der Mancha, läuft dann unterirdisch weiter und tritt in den Ojos del Guadiana wieder zu Tage. In der spanischen Literatur, z.B. bei Gracián, steht er für die Wahrheit, die auch, früher oder später, zu Tage tritt. (Baltasar Gracián, Das Kritikon. Aus dem Spanischen übersetzt und kommentiert von Hartmut Köhler. Zürich: Amman, 2001: 671)

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Lübecker Hüte

Was sind „Lübecker Hüte“? – Lübecker Hüte heißen die rot-weiß gestreiften Leitkegel, die bei Baustellen im Straßenverkehr zur Absicherung von Gefahrenstellen oder zur Leitung des Verkehrs verwendet werden.

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Saubere Bären?

Warum heißen Waschbären Waschbären? – Solange sie in Freiheit leben, wühlen Waschbären das Wasser mit der Hand auf, um Fische in Bewegung zu versetzen und an die Oberfläche zu locken. Das verbessert den Jagderfolg. Diese Gewohnheit, die sie in der Gefangenschaft nicht aufgeben, obwohl sie keinen praktischen Zweck mehr hat, wurde in Unkenntnis ihrer eigentlichen Funktion so gedeutet, als diene sie der Hygiene. Die Tiere galten als besonders reinlich und bekamen den Namen Waschbären.

 

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Nessiejäger

Welcher Beschäftigung geht der Brite Steve Feltham seit 12 Jahren (quasi) hauptberuflich nach? – Er ist hauptberuflicher Monsterjäger (fulltime monster hunter) und sucht nach Nessie, dem Monster von Loch Ness. Er lebt in einem Wohnmobil am Ufer des Sees und beschattet mit Kamera und Fernrohr den See. Seinen Lebensunterhalt verdient er, indem er selbstgefertigte kleine Nessie-Figuren verkauft. (Herzig, Inken , “Eine Chance für Nessie”, in: Die Zeit 47/2003: 71)

 

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El Ché

Warum wurde der Revolutionär und Politiker Ernesto Guevara „Che“ Guevara genannt – Im argentinischen Spanisch ist che ein bedeutungsleeres Wort, das wie eine Floskel, oft am  Satzanfang, verwendet wird, um Erstaunen auszudrücken oder die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Che Guevara war Argentinier, agierte aber hauptsächlich in Kuba (mit Fidel Castro) und in Bolivien, wo er 1967 im Guerillakrieg getötet wurde. Diese argentinische Spracheigentümlichkeit fiel seinen Mitkämpfern in den anderen spanischsprachigen Ländern auf, wurde zu seinem Markenzeichen und schließlich zu seinem Namen.

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Tote Hose

Woher kommt der Ausdruck tote Hose für ‚nichts los’? – Aus der Drogenszene. Er erklärt sich daraus, dass Drogenkonsum zu Impotenz führen kann. (Kirsten Adamzik, Sprache: Wege zum Verstehen. Tübingen und Basel: Francke, 2001: 134).

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Miese Muschel?

Warum heißt die Mytilus edulis in ihrer deutschen Bezeichnung Miesmuschel? – Das Bestimmungswort ist ein regionales Wort für ‚Moos’. Der Name dieser Muschelart, die sich oft in großen Mengen an Pfählen und Steinen festsetzt, bedeutet also eigentlich ‚Moosmuschel’. (Duden: Das Herkunftswörterbuch. Die Etymologie der deutschen Sprache. Mannheim/Wien/Zürich: Dudenverlag, 1963: 439)

 

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Silber für den Sieger

Was bekam Spiros Louis für den Gewinn des Marathonlaufs bei den Olympischen Spielen 1896 in Athen? – Die Silbermedaille. In der Anfangszeit der Olympischen Spiele der Neuzeit gab es keine Goldmedaillen. Der Erste bekam Silber, der Zweite Bronze, der Dritte – nichts. Spiros Louis hatte weder vorher noch nachher jemals Sport getrieben. Er nahm nur teil, weil seine Freunde es ihm aufgrund seiner starken Konstitution rieten. Das kam daher, dass er Wasserverkäufer war und das Wasser von Dorf zu Dorf tragen musste.(Hellenic Olympic Committee: Panathenean Stadiuim, A Symbol Through Time. Athen: 9)

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Hühner gestattet

Warum dürfen in der Mönchsrepublik Athos,  wo alle weiblichen Lebewesen verboten sind, Hühner gehalten werden? – Sie werden für die Mönche gehalten, die Ikonen malen. Sie brauchen für ihre Malerei unbedingt frisches Eidotter. Das Betreten des Bergs Athos ist Frauen seit über 1000 Jahren verboten. Lediglich im Bürgerkrieg wurde es von linken Kämpferinnen missachtet, um die Mönche zu provozieren. Die ablehnende Haltung gegenüber allem Weiblichen geht so weit, dass (bis auf die Hühner) keine weiblichen Haustiere gehalten werden und dass keine einzige Kirche auf dem Athos einer weiblichen Heiligen gewidmet ist. (Marco Polo Redaktion: Chalkidiki. Mairs Geographischer Verlag, 2002: 14)

 

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Akademischer Analphabet

Warum hätte Severino da Silva eigentlich keinen Studienplatz an der Estácio de Sá, einer der bekannten privaten Universitäten Brasiliens, bekommen sollen, obwohl er die Aufnahmeprüfung bestanden hatte? – Er war Analphabet und gerade dabei, schreiben zu lernen. Die Aufnahmeprüfung bestand aus einem Test und einem Aufsatz. Da Silva machte den Test, in dem jeweils die richtige von zwei Antworten angekreuzt werden musste, und meldete sich wegen plötzlicher Übelkeit vom Aufsatz ab. Kurz darauf bekam er die Nachricht, er sei angenommen. Das Ergebnis des Tests war so gut, dass er auch ohne den Aufsatz die nötige Punktzahl erreicht hatte. (Juan Arias, „Semianalfabeto famoso“ El País, 24. Dezember 2001: 41)

 

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Shopping at Emerson

A few years ago, when internet shopping first emerged, a student told me that he bought his books at a company called Emerson. When the student had left the office, I tried the internet address, but it did not work. I forgot all about it and continued to buy my books at the Trier bookshops – not always a pleasant experience. Later, when internet shopping had become much more common, I started buying my own books at Amazon. Still later, I suddenly realised that that was what the student had told me. He had never spoken about Emerson, but about Amazon – and pronounced it “the German way”.

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Conversations with a buck

A few years ago, a German radio station broadcast a series of short stories. One afternoon, the radio announcer said that today’s short story was “Conversations with a buck”. No buck, however, made its appearance in the story, but another animal did, and it turned out that the title of the story wasn’t “Conversations with a buck”. It was “Conversations with a bug”. The radio announcer had pronounced it “the German way”.

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Rapping in Germany

In a small shop in the city centre of Trier I overheard two American tourists say: “They always rap in Germany”. Now, I don’t understand much about rap (or any other type of modern music), but I was surprised to hear that there was anything like German rap at all, and if there was that a couple of elderly American ladies knew about it. Then I noticed that the shop assistant was preparing a box of chocolates the tourists had ordered, and I realised that I had got it all wrong. They hadn’t said “They always rap in Germany”. They had said “They always wrap in Germany”.

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Any stamps available?

In a small shop somewhere in the German province, two American tourists were trying to find out where they could get some stamps. They did not speak any German, and the girl behind the counter did not know enough English to understand them. I was next in the queue and offered to help. I asked the girl and told the tourists. When they left, the American lady said, “Good heavens, you speak good German!” I must admit that I felt flattered. (Although I don’t think my German teachers would have agreed).

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Geliebte Sprache

Eine spanische Lektorin unterhält sich auf dem Korridor der Universität mit einer kolumbianischen Studentin, naheliegenderweise auf Spanisch. Eine deutsche Studentin bleibt stehen und sagt: „Das hört sich wunderbar an. Ich liebe Ihre Sprache – Ich liebe Italienisch!“

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Japanische Spezialitäten

In einer Fernsehsendung fragt die deutsche Moderatorin einen japanischen Gast: „Was ist eigentlich Saki?“. Der Gast antwortet: „Leiswein“. Darauf die Moderatorin: „Ah, Reiswein“. Darauf der Gast: „Ja, Reiswein. Aus Leis“.

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Verrückte Welt

Warum heißt der Schwarzwald eigentlich Schwarzwald, wenn die Bäume dort genauso grün sind wie anderswo? Warum liegt Santillana del Mar nicht am Meer? Warum heißt Ostende Ostende, wenn es am Westende liegt? Wenn Saarbrücken und Saarlouis im Saarland liegen, warum liegt dann Saarburg in Rheinland-Pfalz? Wenn die Einwohner von Österreich Österreicher heißen, warum heißen dann die Einwohner von Frankreich nicht Frankreicher? Wenn Oberitalien oben und Unteritalien unten liegt, warum liegt dann Unterägypten oben und Oberägypten unten? Warum liegt Bad Ems nicht an der Ems und Rheine nicht am Rhein – sondern an der Ems? Wenn Düsseldorf Düsseldorf heißt, warum heißt dann Schifferstadt nicht Schifferdorf? Warum ist Irland ein Land, aber Mailand ein Stadt?

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Uni ohne Weiber?

Vor einigen Semestern gab es an der Universität Plakate mit der Aufschrift: „Könnt ihr euch eine Uni ohne Weiber vorstellen?“ Eine merkwürdige Frage in diesen aufgeklärten Zeiten, aber bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass es sich um den Aufruf der Studenten der Juristischen Fakultät zu einem Fackelzug zum Verbleib eines Professors handelte, der einen Ruf an eine andere Universität erhalten hatte. Dessen Name war Weiber.

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Sprachliche Sternstunde

In Trier gibt es einige merkwürdig-schöne Straßennamen: Pfützenstraße, Wechselstraße, Rindertanzstraße, Sieh um dich, An der Meerkatz. Ich selbst wohne immer in Straßen mit langweiligen Namen, aber wenigstens fahre ich zur Uni über die Riesling-Weinstraße. Ein kurioser Name ist auch der der Sternstraße (zwischen Dom und Marktplatz), aber erst auf den zweiten Blick: ein normaler Name, aber kein Stern weit und breit, und die Straße ist auch nicht sternförmig. Der Name ist (vermutlich) abgeleitet von einem Tor in den Dombezirk, das an dieser Stelle stand, der Porta Posterna. In der nachrömischen Zeit verfiel das Bewusstsein für die Bedeutung von Posterna, die (unbetonte) erste Silbe fiel weg, und dann war es nicht mehr weit bis zur Sternstraße. Ein naheliegendes Beispiel für Volksetymologie.

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Through the bathroom window

“She came in through the bathroom window” is a perfectly normal sentence, clear and correct, if we disregard the fact that this is probably not the most common way of entering a house. But the sentence is only clear because we, as hearers, co-operate with the speaker. We automatically supply some information that is never given, we automatically assume that she came in through the open bathroom window. Of course, ghosts are known to walk through windows, and everything is possible in dreams, fiction and fantasy, where average people can walk through windows. But in the sentence above we would normally assume that this is not the case. By the way: The sentence “She came in through the bathroom window” was also the title of a pop song, sung by a band which was popular long before most of you started listening to pop music, long before most of you were born, actually. I bet you don’t know which.

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Desperately searching Tupton

A mate of mine spent a year as a foreign language assistant in Derbyshire in the English Midlands. One day, he had to go to a small place called Tupton, but when he got there he couldn’t find what he was looking for. After some further vain enquiries he finally found out why. In the Midlands (and elsewhere) the in Tupton is pronounced like the in bush, whereas words such as bad are pronounced with the sound that we would “normally” give to the in Tupton. Unluckily, in Derbyshire there is not only a place called Tupton, but also a place called Tapton. He had been sent to the wrong place.

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Tight associations

A (school) student once wrote in an essay that a man after an accident “was wearing an association around his arm”. It took me some time to figure out what the problem was, but then the penny dropped. The student had looked up the German word Verband in a dictionary, and then had used one of the words she found there to describe what she wanted to describe.

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Second before first?

Another (school) student once wrote in an exam when analysing a short story: “The first dam followed the second”. Now here was another puzzle for me. Why should the first dam follow the second, i.e. come after the second? That did not seem to make sense. Then I realised that the student was translating from German: “Dem ersten Damm folgte der zweite”. Here, the second is the one that follows, because it is the subject of the sentence, although it appears at the end. That’s fine in German, but if you do it in English, you get it all wrong.

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Drei Viertel vier

In der Unterstufe verlas unser Mathe-Lehrer, „Bum“ Krüger, ein gebürtiger Ostpreuße, einen Rundlauf des Direktors. Er sagte, am Nachmittag desselben Tages sollten sich alle Schüler der Unterstufe „um drei viertel vier“ auf dem Schulhof einfinden. Das Ergebnis: Wir kamen alle zu unterschiedlichen Zeiten, um viertel nach drei, um viertel vor vier, um viertel vor fünf …

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Entschlackungskur

Die Ehefrau eines Freundes macht alljährlich eine Entschlackungskur. Eine Woche lang wird dem Körper so gut wie nichts zugeführt, und dann, so die Vorstellung, ist wieder alles schön sauber, eine Art innerer Frühlingsputz. In einem Interview sagte einmal ein Arzt, diese gesamte Vorstellung sei unsinnig, der Körper entschlacke sich ohnehin ständig selbst, nach ein paar Tagen sei von dem, was wir ihm zugeführt haben, ohnehin nichts mehr übrig – im menschlichen Körper liege keine Schlacke herum, alles, was beim Stoffwechsel übrig bleibe, werde zuverlässig von Niere und Darm abtransportiert. (s. auch „Stimmt’s?“ Die Zeit 19/2004: 38). Ob das stimmt, weiß ich nicht, aber es könnte ja stimmen, und wenn es stimmt, zeigt es zwei Dinge über Sprache: Sprache bildet die Welt nicht nur ab (Es gibt das Wort Entschlackungskur, aber es gibt keine Entschlackungskur) und Sprache kann unser Denken beeinflussen (Es gibt Menschen, die an Entschlackungskuren glauben, weil es ein Wort dafür gibt).

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Let it be

Eine der chronisch gut gelaunten Radiosprecherinnen von RTL kündigte einen Popsong so an: „Und jetzt die Beatles mit ‘Let it be’ – „Lass es sein“. Ja, denkste! Natürlich heißt „Let it be“ nicht „Lass es sein“, sondern „Lass es geschehen“, also fast das genaue Gegenteil! Was kluge Kommentare angeht, möchte man der Moderatorin am liebsten raten: „Let it be!“

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Hot air from the pistol

Here are some of my favourite words from other languages: In Greek, the word for a threshold is katofli, and I imagine sentences such as “She was standing on the katofli”, or “She stumbled over the katofli”. Also in Greek, the word for a hair-dryer is pistolaki, which I think is wonderfully plausible. In Italian, scrambled eggs are uova strapazzate. Poor eggs! My all time favourite, however, is the Spanish word for handcuffs. It is esposas, ‘spouses’, ‘wives’, which, besides being fun, has the additional charm of being politically incorrect.

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Hilfreicher Wink

Eine Studentin sagte mir einmal über einen Dozenten, er habe ihr in der Cafeteria „so nett zugewunken“. In der Fußballberichterstattung heißt es manchmal, der Linienrichter habe „schon längst vorher abgewunken“. Das ist kurios. Das Partizip von winken ist natürlich (natürlich?) gewinkt, nicht gewunken. Jedenfalls war es das, und als ich klein war, gab es unter den Kinderreimen, mit denen man sich über falsche sprachliche Formen lustig machte, auch einen zu winken, so etwas wie „Sie hat mir gewunken, das hat mir gestunken“. Das nahm natürlich keiner ernst, und es war klar, dass gewunken nicht in Frage kam. Die Regel war eindeutig. Aber das nützt alles nichts. Wenn es eine Regel gibt, an die sich keiner hält, verliert die Regel ihre Gültigkeit, und es muss eine neue Regel her, die das zur Regel macht, was alle sagen. Und das scheint bei gewunken der Fall zu sein. Eine Zeit lang werden beide Formen nebeneinander bestehen, und schließlich wird gewinkt vielleicht ganz verschwinden, und es wird nur noch gewunken übrig bleiben. Das wäre nicht weiter bemerkenswert und ein ganz normaler Fall von Sprachwandel, wenn es nicht dem zuwider liefe, was wir „normalerweise“ erwarten würden. Sprachen haben eine Tendenz zur Vereinfachung, und so wäre die Entwicklung gewunken > gewinkt, also die Abschaffung der „unregelmäßigen“ Form, zu erwarten, nicht umgekehrt. Aber es muss auch den umgekehrten Prozess geben, sonst müssten ja alle Sprachen, zumindest morphologisch, immer einfacher werden. Mein Erklärungsversuch für die „unregelmäßige“ Form sieht so aus: Der Sprecher, besonders der gebildete Sprecher, hat unterschwellig die Furcht, als „ungebildet“ zu gelten, und greift zu der „schwierigeren“ Form. Er nimmt ein Hindernis, das es gar nicht gibt.

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Esteban Martínez aus Caracas

Esteban, Martínez, Caracas, Ibiza. Wie spricht man diese spanischen Eigennamen aus? Deutsche betonen diese Wörter, das Betonungsmuster des Deutschen auf die Fremdsprache übertragend, unwillkürlich auf der ersten Silbe. Alle diese Wörter werden im Spanischen auf der zweiten (der vorletzten) Silbe betont. Umgekehrt betonen Spanier, das Betonungsmuster des Spanischen auf die Fremdsprache übertragend, unwillkürlich diese deutschen Eigennamen auf der zweiten Silbe: Volkswagen, Adenauer, Adidas, Beethoven.

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Was bedeutet modern?

Zwei junge englische Schauspieler, mit denen ich in einem Café in Höxter ins Gespräch kam – Ich hatte sie am Abend davor auf der Bühne gesehen – fragten mich nach der Bedeutung eines Wortes, auf das sie in einem deutschen Kreuzworträtsel gestoßen waren. Sie wollten wissen, was modern heißt. Ich war ziemlich verblüfft und konnte als Antwort nur ein verdutztes Gesicht bieten. Es ist gar nicht so leicht, für so ein einfaches Wort adhoc eine vernünftige Erklärung zu finden, und gleichzeitig schien die Antwort viel zu offensichtlich, schon wegen der Ähnlichkeit mit dem englischen Wort. Nach einigem Hin und Her stellte sich heraus, dass wir uns missverstanden hatten. Sie hatten nicht das Adjektiv modern (mit Betonung auf der zweiten Silbe), sondern das Verb modern (mit Betonung auf der ersten Silbe) im Sinn.

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Studienfachwechsel

In Trier (und Umgebung) spricht man blau “plau” und grau “krau” und drei “trei” aus (Mein Lieblingssatz ist „Ich bin doch nicht plöd!“). Einmal wurde mir der “Prubacher Hof “empfohlen, den ich denn in den Gelben Seiten aber nicht fand. Erst viel später merkte ich, dass ich unter hätte nachschlagen müssen. Davon bleibt auch die Fremdsprache nicht immer verschont, und ich glaubte einmal im Seminar mit einem mir unbekannten Wort konfrontiert zu sein, als eine Studentin von “crammar” sprach, bis sich herausstellte, dass sie grammar meinte. Auch bemerkenswert in diesem Zusammenhang folgender Dialog mit einem Studenten: “Wie heißen Sie? – Kramlich. – Kramlich? – Nein, Kramlich. Mit G”. Dass auch die Orthographie davon nicht immer verschont bleibt, wusste ich nicht, bis eine Studentin in spe mir schrieb, um nach einem Termin für eine Besprechung zu fragen. Sie schrieb, sie habe vor, Anklistik zu studieren!

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Kolberger Straße

Bei deutschen Straßennamen schreibt man getrennt, wenn die Straße nach einem Ort benannt ist, z.B. Eurener Straße. Als ich Kind war, gab es in meiner Heimatstadt eine Straße, an deren einem Ende ein Schild mit der Aufschrift Kolbergerstraße, am anderen Ende ein Schild mit der Aufschrift Kolberger Straße stand. Beides hat seine Berechtigung: Es könnte sich um eine Person namens Kolberg oder um eine Stadt namens Kolberg handeln. Getrenntschreibung und Zusammenschreibung sind hier also Bedeutungsträger. Inzwischen hat man sich auf Kolberger Straße geeinigt, und diese kuriose Unebenheit ist aus dem Stadtbild verschwunden. In Trier gibt es den Kenner Weg, der, wenn man zuerst von ihm hört, eine ganz besondere Bedeutung zu haben scheint, wenn man nicht weiß, dass es einen Ort namens Kenn gibt.

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Von Koblenz nach Quint

An der Mosel gibt es, bei Ortsbezeichnungen, einige merkwürdige Reminiszenzen an die Zeit der römischen Besatzung. Der Name Koblenz ist ein einleuchtender Name für die Stadt, aber so weit korrumpiert, dass die meisten es nicht mehr merken: Er geht zurück auf Confluentes, referiert also auf den ‚Zusammenfluss‘ – von Mosel und Rhein. Nicht weit von Koblenz befindet sich das Zisterzienserkloster Maria Laach, ein Name, der auf Maria ad lacum, ‚Maria am See‘, zurückgeht. Laach heißt also eigentlich ‚See‘, und wenn wir heute vom Laacher See sprechen, dann ist das, historisch gesehen, doppelt gemoppelt. Ein ganz merkwürdiger Name ist Neumagen. Wer kommt nur auf die Idee, einen Ort Neumagen zu nennen? Die Antwort ist ganz einfach: keiner. Neumagen ist die korrumpierte und dazu volksetymologisch umgedeutete Form des ursprünglichen Namens, Noviomagus. Die Stadt hieß also so etwas wie ‚Großneustadt‘. In Trier gibt es einen Stadtteil namens Quint, und auch der ist lateinischen Ursprungs- eine ganz simple Entfernungsangabe, denn Quint war fünf (römische) Meilen, ad quintum lapidem, von Trier entfernt. Wenn man das weiß, ist nicht mehr so schwer zu erraten, warum Detzem Detzem heißt.

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Angela’s apostrophe

In London, in the neighbourhood of the British Museum, there is a small shop that sells clothing. There is a double neon sign above the entrance announcing the shop’s name. On one side, the sign reads “Angela’s Fashions”, on the other side, the sign reads “Angelas Fashions”.

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Oma ist nicht gleich Oma

Ein befreundetes Ehepaar berichtet von seinen Kindern, dass diese, ohne dass man es ihnen beigebracht hätte und ohne es selbst zu merken, genau zwischen ihren beiden Omas unterscheiden. Die eine Oma, distinguiert und aus gutem Hause, nennen sie “Ohma”, die andere, burschikos und bodenständig, nennen sie “Omma”.

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The impossible

A recent advertising campaign run by Adidas has for its slogan “Impossible is nothing”. Something, however, is impossible: “Impossible is nothing”. It is neither an English sentence nor a German sentence, but a German sentence with English words. In acceptable English, it should be “Nothing is impossible” – at least that’s what I think.

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Lebensgefährlich

Auf Stromverteilerkästen befindet sich oft die Warnung „Achtung! Lebensgefahr!“ Das ist, genau genommen, merkwürdig: Eigentlich sollte man „Achtung! Todesgefahr!“ erwarten. Tatsächlich heißt es im Spanischen zum Beispiel peligro de muerte, und die Spanier fänden den Ausdruck peligro de vida vermutlich ziemlich merkwürdig.

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Friday 17th

In both English and German, Friday the 13th counts as an especially unlucky day, both Friday and the number 13 being bad omens by themselves. Not so in Spanish, where there is nothing wrong with Friday. The unlucky day is Tuesday, and a Spanish proverb says that on a Tuesday you should neither go on a journey nor get married: “El Martes, ni te cases ni te embarques.” A well-known Spanish comedy duo is called “Martes y Trece” – Tuesday and Thirteen. In Italian, however, nothing is wrong with the number 13. Just the contrary, 13 counts as a particularly lucky number, the unlucky number being 17, and Friday the 17th being an especially unlucky day!

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Gegen Anglizismen

In einer Diskussion in privater Runde sagte einmal ein Student, offensichtlich ohne zu wissen, was er tat, in Abgrenzung zu meiner allzu „laschen“ Einstellung gegenüber Anglizismen: „Anglizismen finde ich echt uncool“.

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Ursula Diesl

Die deutsche Biathletin Uschi Diesl fand bei den Olympischen Spielen in Nagano ihren Namen immer als Ursula Diesl wiedergegeben, entgegen ihrem ausdrücklichen Wunsch. Sie betrachtet Uschi als ihren „richtigen“ Namen. Später stelle sich der Grund für die japanische „Verweigerungshaltung“ heraus: Das Wort uschi steht im Japanischen für ‚Kuh‘.

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Die Relevanz des Rotkohls

Der Rotkohl heißt in anderen Gegenden Blaukraut. Was ist er denn nun, rot oder blau? Eher rot, eher blau, rotblau oder unterschiedlich? Darauf gibt es wahrscheinlich keine verlässliche Antwort, aber wir können annehmen, dass er nicht dort blauer ist, wo er Blaukraut heißt und roter, wo er Rotkohl heißt. Das zeigt, dass Sprache keineswegs, wie oft angenommen wird, die Wirklichkeit abbildet. Die Bezeichnung ist eher willkürlich, und wenn sie sich einmal eingebürgert hat, gilt sie unabhängig von der tatsächlichen Farbe.

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Vorgang bearbeitet

Auf dem Bildschirm des Geldautomaten einer deutschen Bank erschien lange Zeit nach Eingabe der Daten immer der Hinweis „Ihr Vorgang wird bearbeitet.“ Diese Formulierung ging mir immer gegen den Strich. Es war für mich einfach „falsches Deutsch“. Offensichtlich war ich nicht der Einzige: Vor einiger Zeit wurde die Formulierung geändert. Jetzt heißt es „Ihr Wunsch wird bearbeitet“.

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Unbekannter Gegner

Authentischer Auszug aus einem Gespräch vor dem Fernseher: Frau: „Wer spielt da?“ Mann: „Köln – Schalke.“ Frau: „Gegen wen?“

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Gentechnische Manipulation

Gegen „gentechnisch manipulierte Lebensmittel“ gibt es viele Vorbehalte – verständlicherweise, denn wir lassen uns nicht gerne „manipulieren“, und von „Technik“ hört man im Zusammenhang mit Lebensmittel auch nicht gerne. Die sollen „natürlich“ sein. Aber: Sind nicht alle unseren Lebensmittel „gentechnisch manipuliert“, auch diejenigen, die wir verzehrten, als es den Begriff noch nicht gab ? Ist nicht jeder Apfel, ob im Supermarkt, auf dem Wochenmarkt oder beim Biobauern gekauft, das Resultat jahrzehntelanger, oft jahrhunderterlanger Auswahl und Züchtung, also „gentechnischer Manipulation“? Würde uns ein in seiner Gen-Substanz nicht veränderter Apfel überhaupt schmecken? Mit anderen Worten: Gibt es die Vorbehalte vielleicht nur deshalb, weil „gentechnisch manipuliert“ so negativ klingt? Werden wir vielleicht von der Sprache manipuliert?

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Keine Fragen

Studiengang Bauingenieurwesen an einer großen deutschen Gesamthochschule: Die Lehrveranstaltungen sind fast ausschließlich Vorlesungen, in der Regel in großen Hörsälen. Am Ende der Vorlesung fragt der Professor: „Noch irgendwelche Fragen?“. Manchmal kommt eine Frage, manchmal nicht. Nur ein etwas verhaltensauffälliger Student beantwortet die Frage immer: Zur Verblüffung seiner 200 Kommilitonen sagt er, laut und vernehmlich, für alle hörbar und an den Professor gewandt: „Nein, keine Fragen mehr.“

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Good at French?

Shortly after the end of my school days, I went on a trip to Southern Europe with a couple of friends. On our way, we stopped at a place in France and stayed with a French family for the night. After we had exchanged a few sentences, the hostess turned to me and said how good she thought my French was. My friends’ reaction: peals of laughter. They knew what she did not know: one of my friends had grade 2 at French at school, the other friend had grade 1, I had grade 5. Two things, I think, can be derived from this: First, native speakers tend to overrate pronunciation. If your pronunciation is reasonably good, your foreign language competence is usually thought better than it actually is. Proper pronunciation seems to be more important than grammatical accuracy or lexical precision. Second, the requirements of the school system are different from the requirements of small talk in everyday situations, and they have to be.

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Small campus

On the occasion of a recent international conference held at this university, I was addressed by an American visitor who asked me where the restaurant was. I told him it was a bit complicated to find and offered to show him the way. He was a bit surprised but came along. As we were walking down the hall, I told him that it was outside the building and that there was only one on the campus. He was even more surprised at that, and I contested that after all this was only a small university. When we got to the end of the building, I told him to cross the bridge and that it was on the left hand side, in a glass case. He looked at me completely flabbergasted, and when I added I wasn’t sure if it was open at this time of the day, he finally lost his patience and said defiantly, “Look, what are you talking about?” I said, stupidly, “I am showing you the way to the restaurant”, at which he answered, barely disguising his anger, “Look, I did not ask you for the restaurant, I asked you for the restroom.” Only later did I realise what I had done: I had told a fellow who had asked me for the toilet that a) it was complicated to find, b) it was outside the building, c) there was one only on the campus (this being a small university), d) it was in a glass case, and e) I did not know whether it was open right now. Small wonder he never talked to me again.

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Telling names

During my first three months in Trier I realised that my car dealer’s name was Junk, my doctor’s name was Krapp and one of my students’ name was Bitsch, all perfectly neutral and completely innocent names to the German ear. Not so to the English ear, which is likely to detect additional meaning here. May it be said in defence of the carrier of those names that none of them lived up to the expectations created by their names.

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Angloamerikanisch

Bei der Diskussion eines Entwurfs für die neuen Studienordnungen kam es im Fach Englisch zu folgender Diskussion: Einige Kollegen beanstandeten den Terminus angelsächsisch und wollten ihn durch den Terminus angloamerikanisch ersetzen. Das ist meines Erachtens nicht nur kleinlich – in diesem Falle könnte man es als einen Akt sprachlichen Pedanterie abtun – sondern regelrecht falsch, ein klarer Fall von „Schuss geht nach hinten los“. Man will es besonders richtig machen und macht es besonders falsch. Mit angloamerikanisch sollte natürlich betont werden, dass wir es nicht nur mit England, sondern auch mit Amerika zu tun haben. Klar, aber das sagt angelsächsisch auch. Und angloamerikanisch bedeutet nicht etwa englisch und amerikanisch, sondern amerikanisch englischer Abstammung oder Prägung, wie ja auch angloirisch nicht englisch und irisch, sondern die englisch geprägte irische Kultur im Gegensatz zur gälisch geprägten irischen Kultur ist. Und wenn man schon pedantisch ist, dann müsste man hinzufügen, dass wir es nicht nur mit englischer und amerikanischer, sondern auch mit schottischer, australischer, südafrikanischer, indischer Kultur usw. zu tun haben, und es ist nicht einzusehen, warum das durch angloamerikanisch besser abgedeckt sein soll als durch angelsächsisch. Mein eigener Vorschlag, einfach englisch zu sagen, wurde selbstverständlich mit großer Mehrheit abgelehnt.

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Zweiter Familienname

Wenn man in Spanien als Ausländer ein Formular ausfüllen muss, bekommt man es immer wieder mit dem Vermerk zurück, es sei nicht vollständig ausgefüllt worden. Die Spalte „Zweiter Familienname“ sei leer. Alle Spanier haben zwei Familiennamen, den des Vaters und den der Mutter. Was aber machen Ausländer, die nur einen Familiennamen haben? Wenn man zur Notlösung greift und den Mädchennamen der Mutter als zweiten Familiennamen angibt, dann stimmt das wieder nicht mit den Angaben in den Ausweisen überein, und neue Schwierigkeiten sind programmiert. Ganz kompliziert wird es, wenn man zwei Vornamen hat. Dann versteht der spanische Amtsschimmel den zweiten Vornamen als ersten Familiennamen. Heißt man etwa Hugo Egon Balder, dann kann man sich, statt unter B, unter E wiederfinden, als Egon Balder, Hugo.

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Allerweltsnamen

Meinen ersten Belegzettel bewahre ich bis heute auf, nicht wegen der Studieninhalte oder gar der Studienleistungen, sondern wegen der Namen der Professoren. Im ersten Semester belegte ich Lehrveranstaltungen bei den Herren Speckenbach, Theuerkauf und Dünnebacke. Um das Bild zu vervollständigen, hatte ich Studienfreunde namens Bauernfeind, Kleinhans und Langohr, und dessen Freundin hieß Orgas. Sie alle waren sich aber einig, dass das viel mehr Punkte für Originalität verdiene als Leute mit Allerweltsnamen wie Müller, Schneider oder Schäfer.

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New England?

One of my English language teachers at university often used to gleefully quote the following conversation between himself and a student: “Where are you going for your holidays? – England. – Where exactly? – Scotland.” This is, of course, funny, but is it also wrong?

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Dreimal so kalt

Ein Kollege erzählte einmal im Zusammenhang mit der Diskussion von Sprache und Denken folgende Anekdote aus einem Telephongespräch mit seiner in Schwaben lebenden Schwiegermutter. Nachdem der Kollege gesagt hatte, hier sei die Temperatur -6º, antwortete die Schwiegermutter: „Das ist noch gar nichts. Wir haben hier -18º. Bei uns ist es also dreimal so kalt wie bei euch.“

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Nenas Name

Die Sängerin Nena, die mit bürgerlichem Namen anders heißt, erklärte in einem Fernsehinterview die Entstehung ihres Namens: Als Kind sei sie immer mit ihren Eltern nach Spanien gefahren, und dort am Strand sei sie von den Spaniern immer niña, ‚Mädchen‘ gerufen worden. Das habe sie aber als Kind nicht richtig aussprechen können, und daraus sei nena entstanden. Schön, aber – vermutlich – viel zu kompliziert, denn nena ist Spanisch und heißt ‚Mädchen‘, genauso wie niña. Sie wurde also von den Spaniern – vermutlich – tatsächlich nena genannt.

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Archäologische Entdeckung

Bei den Vorarbeiten zur Neugestaltung des Innenhofs von St. Matthias in Trier wurden wichtige Funde aus der Römerzeit gemacht, und das Landesmuseum lud zur Führung ein. Der Vertreter des Landesmuseums, ein diplomierter Archäologe, sprach, wieder und wieder, von den bedeutenden Sakrophagen, die dort gefunden worden seien. Beim ersten Mal glaubte ich an einen Versprecher, dann glaubte ich, mich verhört zu haben, dann kamen mir Zweifel, dann war ich überzeugt. Bis dahin hätte ich gewettet, dass es Sarkophage heißt, aber da musste ich mich wohl getäuscht haben. Zu Hause konnte ich dann feststellen, dass Sarkophage doch stimmt, obwohl es weniger passend klingt. Die Erklärung ist wenig erbaulich: Da in den Steinsärgen die Gebeine schnell verwesten, nannte man sie in der Antike einfach – Fleischfresser. Das ist die wörtliche Bedeutung von Sarkophag. Die Erklärung ist also viel profaner, als man denken könnte, wenn von Sakrophagen die Rede ist.

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Tierisches Spektakel

Ein Freund aus der Studentenzeit, der mich in Trier besuchte, erzählte von einer Nachbarin, die ihn um die Fahrt nach Trier beneidete. Sie habe auch schon lange vor, einmal nach Trier zu reisen. Da gäbe es doch so ein schönes “Amphibientheater”.

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Gerüchteküche

Ein Kollege erzählte mir folgenden Fall: Er hatte zu einem Prüfungskandidaten gesagt: „Erstspracherwerb ist nicht so wichtig wie Zweitspracherwerb“. Diese Aussage machte unter den Studenten in dieser Form die Runde: „Erstspracherwerb ist nicht so wichtig“. Ein wunderbares Beispiel dafür, wie Gerüchte entstehen. Wahrscheinlich berief sich der Student sogar darauf, nur das wiedergegeben zu haben, was der Kollege gesagt hatte. Der Kollege dagegen bestritt natürlich, das gesagt zu haben. Es scheint einiges dafür zu sprechen, solche Aussagen, wenn sie die Runde machen, mit Vorsicht zu genießen. Man kann sich gut vorstellen, wie die weitere Entwicklung verlief: „Erstspracherwerb ist nicht wichtig.“ > „Erstsprachenerwerb ist unwichtig.“ > „Erstspracherwerb wird nie geprüft.“ > „Erstspracherwerb? Was ist das denn?“

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Schwein bleibt Schwein

Nach einer alten Stilregel, die früher in Schulen gepredigt wurde und immer noch in vielen Köpfen herumspukt, soll die Wiederholung eines Wortes vermieden und dieses durch ein anderes ersetzt werden. Das ist natürlich unsinnig. Ein Schwein ist ein Schwein, und es gibt keinen Grund, es nicht Schwein zu nennen, es sei denn – man hat einen besonderen Grund dafür! Es ist aber völlig unsinnig und geradezu lächerlich, plötzlich von Borstenvieh zu sprechen, nur weil man vorher schon einmal Schwein gesagt hat. Nach meiner Beobachtung haben besonders Sportreporter die falsche Regel verinnerlicht. Wenn im Radio die aktuellen Tabellenstände präsentiert werden, variieren sie brav zwischen Punkten und Zählern. Was ist damit wohl gewonnen?

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Unnötige Wörter?

Ein populäres, von Studenten oft reproduziertes Urteil über Anglizismen und andere Fremdwörter besagt, diese seien akzeptabel, wenn es kein anderes deutsches Wort gebe, und nur dann. Sonst seien sie zu vermeiden. Komischerweise wird dieser strenge Maßstab nicht für deutsche Wörter angewendet. Konsequenterweise müsste man dann auch das jetzt überall gebrauchte Wort Flieger ablehnen, da es ja schon das Wort Flugzeug gibt. Und wie steht es mit abgestraft, spannend, etwas stecken, ultimativ, nicht gut drauf sein, ein Stück weit, geil usw., von denen keines eine lexikalische Lücke schließt?

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What a Vater does

When I was teaching German in England, my students soon let me know which were their favourite German words: Kugelschreiber, Büstenhalter and Vater. They liked Kugelschreiber, I assume, because it was so nice and complicated in a very German kind of way, they liked Büstenhalter, I assume, because it seemed so logical, and they liked Vater, I assume, because the pronunciation of the word reminded them of an English word not at all related with this word. Unwittingly, I added a fourth one a little later when I introduced the German word for gloves. I got this reaction: “Handschuhe? Handschuhe! Handschuhe, ha, ha! Shoes for the hands! The Germans wear shoes on their hands!” I admit I had never realised we did.

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Traditional breakfast

And then there was the South American convent girl, well-behaved, polite and somewhat shy, who had just come to Spain where she was to continue her studies. On the night of her arrival she was asked what she wanted for breakfast the following day, and she replied she just wanted a polla, little suspecting that this, apparently a traditional dish in her country, in Spain is a rather rude word to refer to the penis. So she told her host that in the mornings she usually just had a polla, and that she preferred it rather big, nice and warm, and with a little cinnamon on top. To which her host only replied, “What do you want the cinnamon for?”

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Real Ale?

A few years ago, in a fast food restaurant in London, I ordered a beer with my hamburger. The girl at the counter said they only had root beer and asked if I wanted some of that. Considering myself an open-minded person, I accepted, although I did not know what it was. I had no idea that I wasn’t going to get any beer at all, but a brownish, sticky, syrupy, non-alcoholic type of liquid, one of the worst things I have ever tasted. So much for open-mindedness. Certainly the substance did not have any resemblance to what is normally understood by beer. This is just for those of you who do not believe that language sometimes plays dirty tricks on us.

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Eiertanz

Komisch: Eierlikör macht man aus Eiern, aber Eierkohle nicht, und Eierkuchen macht man aus Eiern, ist aber kein Kuchen. Ein Eierkocher ist für mehrere Eier, aber ein Eierbecher ist nur für ein Ei, obwohl der erste Bestandteil Plural ist. Eigentlich müsste er Eibecher heißen. Aber was heißt schon eigentlich?

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Kebab Spezial

In der Trierer Innenstadt gesehen:

Gut, dass man in der Sprache auf die Kooperationsbereitschaft des Angesprochenen setzen kann. (Mein Dank an Kathrin Oster für den Hinweis).

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Antike Feuerlöscher

Vor einiger Zeit hörte ich einen Vortrag eines Aachener Archäologen über die Zeit der römischen Besatzung. Dabei sprach er wiederholt von „Feuerlöschern“. Ich hatte zwar schon immer geahnt, dass die Römer sehr fortschrittlich waren, aber Feuerlöscher passten weder in mein Bild noch besonders gut in den Zusammenhang des Vortrags. Dennoch ging mir erst am Ende des Vortrags, nachdem mir bewusst wurde, dass der Referent auch immer von „Arschäologen“ sprach, ein Licht auf: Es ging nicht um Feuerlöscher. Es ging um Feuerlöcher.

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Mysterious French

After I left school, I went on a trip to Southern Europe with two friends of mine. On a country road in Southern France, a passing car hurled a pebble against our windscreen, and the windscreen burst into hundreds of little pieces. We left the road, carefully drove into the next town and called at a garage. We all knew some French, but none of us had had much opportunity to use it outside the classroom. Needless to say, we hardly understood a word of what the man at the garage told us, although we managed to identify what was apparently a crucial word, the word ladac, but couldn’t find out what it meant. Little by little, after some repetition, we figured out that the man was désolé not to be able to do anything for us aujourd’hui, but that we were to come back demain. We went our way, still wondering what ladac might be. When we came back on the following day, the man really presented us with a brand new windscreen for our car. With a radiant smile, pronouncing the mysterious word ladac again, he pointed to a sticker on the windscreen. It said ADAC.

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Culture blindness

On a trip to Morocco, I was standing in front of a shop which happened to be closed. There was sign on the door, but the sign was in Arabic, and I can’t read Arabic and I don’t know Arabic. However, because of the position of the sign and the ways the words were arranged it was likely to be the sign for the opening hours, so I thought, Arabic numbers being used, I could figure out what the opening hours were. However, I couldn’t make head or tail of the sign which, to me, looked like this: ~~~~8~~~5~~~~~~~~2~~~10~~~~~~~~~~~~~. This was puzzling, it all seemed to be out of place. Finally, the penny dropped: I had read the sign from left to right, but Arabic is, of course, written from right to left, and all of a sudden, everything began to fall into place: The opening hours were 10.00 to 2.00 in the mornings and 5.00 to 8.00 in the afternoons.

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Basilika oder Palastaula?

Eine ehemalige Kollegin, ihres Zeichens Lateinlehrerin, die regelmäßig nach Trier kommt, um ihren Schülern die alten Steine zu zeigen, spricht immer von der Palastaula, wenn sie die Basilika meint. Jedes Mal, wenn ich Basilika sage, sagt sie Palastaula, jedes Mal, wenn sie Palastaula sagt, sage ich Basilika. Sie findet, man müsse Palastaula sagen, weil es keine Basilika sei, ich finde, man müsse Basilika sagen, weil alle Basilika sagen. Sie hält mich für einen Ignoranten, ich halte sie für eine Pedantin. Wer hat recht?

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Kein Tiefgang

Die Direktorin meiner ehemaligen Schule, selbst Fremdsprachenlehrerin und sehr sensibel für sprachliche Phänomene, korrigierte uns gerne, wenn wir hochgehen sagten: „Ich muss noch mal schnell hochgehen. Ich habe was im Lehrerzimmer vergessen.“ Das sei falsch, das sei kein Deutsch. Man könne nicht hochgehen, denn man könne schließlich auch nicht tiefgehen – jedenfalls nicht ins Lehrerzimmer. Gut beobachtet, aber falsch gesehen.

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Barcelona

Einige Radiosprecher und andere Menschen, die für gebildet gehalten werden wollen, sagen neuerdings, seitdem sich in Deutschland herumgesprochen hat, wie das Spanische ausgesprochen wird, gerne Barcelona mit „spanischer“ Aussprache, also mit dem Dentallaut wie im Englischen in thing. Die Sache hat einen Haken: Im Katalanischen, also der Sprache der Region, deren Hauptstadt Barcelona ist, gibt es diesen Laut gar nicht, und man sagt “Barselona”. Wenn man es „spanisch“ ausspricht, sagt man es also doch wieder in einer Fremdsprache und hätte auch gleich bei “Barzelona” bleiben können.

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Giancarlo und Selina

In letzter Zeit hört man häufiger, dass deutsche Mütter ihre – meist sehr deutsch aussehenden Kinder – Giancarlo oder Selina rufen. Auf einer zufällig ausgewählten Kursliste fand ich unter 46 Teilnehmern zwei „deutsche“ Namen, Richard und Bernhard. Die anderen hießen Alexander, Andreas, Barbara, Claus, Christian, Christine, Christiane, Ina, Irine, Katrin, Kristina, Nicola, Stefan, Stefanie (alle griechisch), Anna, Anne, Eva, Johannes, Rebecca, Sarah, Tobias (alle hebräisch), Beatrice, Julia, Marko, Silvia (alle lateinisch), Esther, Samaneh (beide persisch), Thomas (aramäisch), Janine (polnisch), Leila (arabisch), Ragnar (nordisch), Jennifer (keltisch), Verena und Dana. Man kann nur hoffen, dass diese Offenheit dem Fremden gegenüber auch sonst an den Tag gelegt wird. Was Fremdwörter angeht, heißt es doch sonst häufig, sie seien nur dann legitim, wenn es kein deutsches Wort gebe. Würde man dieses strenge Kriterium für Vornamen gelten lassen, müssten die meisten von uns umgetauft werden und wir alle Gertrud, Mechthild, Irmgard, Herrmann, Walter oder Manfred heißen.

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Apostrophitis

In der Trierer Innenstadt gesehen:

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Alkoholprobe

Eine Studentin erzählt ihrem Professor, sie und ihre Freundin hätten am Silvesterabend eine Flasche Sekt nicht aufbekommen. Der Professor antwortet gütig, das sei ja auch eine ganze Menge für zwei junge Damen – eine ganze Flasche Sekt. Die Studentin entgegnet, das mit der Menge wäre bestimmt kein Problem gewesen. Sie hätten die Flasche nur nicht aufbekommen – sie hätten es nicht geschafft, sie zu öffnen.

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Nummernsalat

Meine private Telephonnummer ist leicht verständlich und leicht zu verarbeiten: 33944.
Auch schnell gesprochen, bedarf sie, wenn man 33-9-44 sagt, kaum einmal der Wiederholung, außer – in Trier: Hier kommt es fast immer zur Nachfrage: 33-9-WAS?
Wenn man dann zur Klärung 3-3-9-4-4 buchstabiert, stellt sich nachträglich die erlösende Einsicht ein: „Ach so, Sie meinen ‘vörunvörzisch’.“

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Ja-Sager und Nein-Sager

Im Aufzug in der Universität hörte ich ein Gespräch zwischen zwei Studentinnen mit, die versuchten, in möglichst vielen Sprachen das Wort für Ja zu finden. Es ging auch ganz gut, bis sie zum Lateinischen kamen. Was heißt eigentlich Ja auf Latein? Die Studentinnen ahnten wahrscheinlich nicht, wie nahe an der Wahrheit sie mit ihrem Zögern waren: Es „gibt“ nämlich kein Ja auf Latein, wenigstens nicht im klassischen Latein und nicht in einem eigenen, einzelnen Wort. Das heißt natürlich nicht, dass es keine Entsprechung zu Ja gegeben hätte. In der Regel wiederholte man entweder einen Teil der Frage oder verwendete Ausdrücke wie ita est, um die Frage zu bejahen. Erst die romanischen Sprachen, die allerdings nicht aus dem klassischen Latein abgeleitet sind, haben dann ein eigenes Wort für Ja ausgebildet, wie das spanische (das von lateinisch sic abgeleitete) Sí.
Hier einige Beispiele für Ja aus gängigen modernen Sprachen (bei denen zur besseren Identifizierung das Wort für Nein hinzugefügt ist). Um welche Sprache handelt es sich? Ano + Ne, Da + Njet, Evet + Hayir, Hai + Iie, Igen + Nem, Ja + Neen, Ja + Nej, Kyllä + Ei, Nai + Oxi, Ne + Ani, Oui + Non, Si + No, Sí + No, Sim + Nao, Tak + Nie, Yes + No. Besonders verwirrend sind für uns Wörter, die sich wie Nein anhören und Ja bedeuten, wie im Griechischen oder Koreanischen, aber auch das umgangssprachliche polnische No (und das sächsische Nu). Zu den Zuckerstückchen zähle ich auch das umgangssprachliche tschechische Ahoi für Ja und das wunderbare deutsche Jein.

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The ten commandments

In a recent production of Miller’s The Crucible in the local theatre, one could see the play’s protagonist, Proctor, struggle to say the ten commandments during a trial. He is asked by the judge to do so in order to prove that he is, after all, a religious-minded person. Actually, he does quite a good job, but stops at nine. Then his wife steps in to remind him of the one he has forgotten – adultery! Most of us today would probably do worse than Proctor. Actually, this is trickier than one might think. As a matter of fact, there are two passages in the Bible which give the ten commandments, one list (Exodus 20, 1-17) being different from the other (Deuteronomy 5, 6-21). Moreover, the commandments are not numbered, and it is not always easy to tell where one ends and another one begins. Without the numbers, one might as well come up with nine or twelve commandments, and it is really only tradition that makes us think of ten. However, we all “know” that “there are” ten commandments, even those of us who would hardly be able to name a single one.

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Ich bin die Silke

Obwohl es schon viele Jahre her ist, kann ich mich noch gut an die Situation erinnern: Kurz vor Erreichen der nächsten Station standen im Zug, zum Aussteigen bereit, ein junger Mann mit einem kleinen Mädchen, vermutlich seiner Tochter, und eine junge Frau, vermutlich eine Studentin. Das Mädchen zeigte auf die Studentin und fragte ihren Vater: „Wer ist das?“. Der Vater antwortete, das wisse er nicht, aber die Studentin gab bereitwillig Auskunft: „Ich bin die Silke.“ So etwas hatte ich noch nie gehört, jedenfalls nicht im normalen Leben. Man sagte entweder „Mein Name ist Silke“ oder „Ich heiße Silke“. Als ganz verquere Alternative wäre eventuell noch „Ich bin Silke“ denkbar gewesen, aber „Ich bin die Silke“, das bedeutete für mich nur eins: Kasperletheater: „Ich bin das Kasperle, das ist die Großmutter und das ist der böse Wolf.“ Im letzten Moment, als ich merkte, dass die Studentin das ganz ernst meinte, konnte ich mich bremsen. Eigentlich war mir nach Lachen zumute, oder danach, mit verstellter Stimme hinzuzufügen: „Und ich bin die Großmutter.“ Inzwischen sagt jede Silke „Ich bin die Silke“. Man hat sich daran gewöhnt und nimmt die neue Form mit großer Gelassenheit als einen ganz normalen Fall von Sprachwandel hin, aber vor meinem geistigen Auge erscheint ab und zu immer noch das Bild von Kasperle und wie er dem bösen Wolf Saures gibt.

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Cooler Vortrag

Im SS 2005 wurde seitens der Ökotoxikologie im Rahmen des BioGeoTox- Kolloquiums an der Universität Trier ein Vortrag angekündigt. Der Titel des Vortrags: „Dem Rätsel des Riechens auf der Spur: Vom Molekühl zur Wahrnehmung.”

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Jogging along

Although this is many years ago, I distinctly remember the day when I first heard the word jogging. A friendly Englishman, who had given me a lift, pointed to a man on the pavement and told me that was this man was doing was called jogging. This was long before the word jogging entered the German language as a foreign loanword, or at least long before it was widely known. Curiously, what I saw then was quite different from what we now call jogging in German. The man wasn’t running at all, but moving in a slightly awkward, unsteady way in what could at best be called a quick way of walking, and he was wearing no sports gear at all but his normal civilian clothes. When the word came to us, is was and still virtually is a synonym of running (although it is gradually being replaced again by Laufen), with one or two particularly clumsy runners reminding us inadvertently of the word’s original meaning.

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The nitpicker’s guide to Trier

Recently numerous signs have been put up all over the city centre to point out smaller monuments to the visitor – and to the resident. Amongst them there is one at the Herrenbrünnchen, a monument which is otherwise easily overlooked. The English translation calls it “The Lord’s Little Fountain.” This, of course, is somehow “right”, but at the same time quite wrong. The reason why it is called what it is called is that the city councillors, the Stadtherren, so to speak, used to meet here socially in early modern times and enjoy a glass of wine or two. Although there are earlier mythological connections, it was not a fountain dedicated to the Lord, i.e. to God. The French translation actually does the same. At the AVG, an old grammar school in the city centre, the sign says that this building used to be a cloister. Again, this is not what is meant. It used to be a monastery, not a cloister, although the monastery may well have included a cloister. Finally, the Landesmuseum makes this claim: “We let history come back to life.” This is a laudable proposal, but is it English? Wouldn’t you say “We make history come back to life”, or rather “We bring history back to life”, or rather something completely different?

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Endlich abgeholt

Im Trierer Dialekt ist das Wort nehmen unbekannt. Es wird regelmäßig durch holen ersetzt. Touristin im Reisebüro: „Da hol ich mir doch lieber gleich ein Einzelzimmer.“ Das ist gewöhnungsbedürftig. Hausfrau beim Betrachten eines Waschmittels: „Das kann man für Buntwäsche holen.“ Auch zusammengesetzte Verben bleiben nicht verschont. Mechaniker beim Betrachten eines Ersatzteils: „Das kann man ja leicht auseinanderholen.“ Schülerin in einem Deutschaufsatz: „Danach ging er in ein Tonstudio und ließ sich seine Stimme auf Band aufholen.“ Auch im übertragenden Sinne wird die Sache konsequent durchgezogen. Badegast im Freibad: „Das darfst du nicht persönlich holen.“ Diese Besonderheit, die allem Anschein nach nicht auf Trier (und Umgebung) beschränkt ist, sondern sich auch in Koblenz (und Umgebung) und Saarbrücken (und Umgebung) findet, zeigt immerhin, dass Sprache so redundant ist, dass ein wichtiges Wort gelöscht werden kann, ohne die Kommunikation zu beeinträchtigen. Dennoch gerät der Außenstehende gelegentlich einen Moment ins Grübeln. Verkäuferin im Supermarkt: “Ich muss dringend abholen. Ich habe zwei Kilo zugeholt.“

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Bezeichnend

Walfische sind keine Fische, und Tintenfische auch nicht; Koalabären sind keine Bären, aber Pandabären sind’s; Präriehunde sind keine Hunde, aber Kojoten sind’s; Grasmücken sind keine Mücken, Spitzmäuse sind keine Mäuse, Seebären sind keine Bären, Ohrwürmer sind keine Würmer, Meerkatzen sind keine Katzen; Tausendfüßler haben keine tausend Füße (der „Weltrekord“ liegt bei 700, einige haben nur 18); der größte Seebär heißt Zwergbär (die Zoologen hatten bei der ersten Entdeckung ein Jungtier vor sich); Schmetterlingsblütler werden von Honigbienen, nicht von Schmetterlingen favorisiert (Schmetterlinge favorisieren Falterblumen); Walnüsse sind keine Nüsse, sondern Steinfrüchte, genauso wie Pflaumen (nur bekommen wir meist nur den Kern zu sehen und nicht das äußere Fruchtfleisch); Buchweizen ist kein Weizen und auch kein Getreide. Seeigel sind Tiere, genauso wie Seegurken und Seelilien. Und was sind eigentlich Pechvögel, Glückspilze, Nachteulen, Naschkatzen, Leithammel, Frechdachse und Skihasen?

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Völlegefühl

Ein Mädchen auf der Kölner Domplatte: „Bo, ist das voll hier. Als ich das letzte Mal hier war, war das ganz anders. Da war kein Mensch da, echt. Voll leer.“

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Bookcase

After a guided tour in Stratford-on-Avon I asked the guide what the title of the book was which he had written. – What book I was speaking about, he wanted to know. That book on Stratford he had mentioned he had written, I replied. He told me, rather severely, he had never mentioned anything of the sort. Rather embarrassed, I mumbled an apology and went my way. It took me years to realize what had happened. The guide must have said, “In my book, one of the finest parish churches in England” or something of the sort, using in my book to mean ‘in my opinion’, no more than a simple phrase used when giving your opinion. Small wonder he did not know what I was talking about.

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Who the hell is Elfe?

In the English translation of the Brother Grimms’ fairy tales there is one with the title “Clever Elfe”. I wondered what this was. Is this about an elf? But then, what about the spelling? Was this perhaps an older form of the spelling? And if an elf was meant, wouldn’t there be an article in the title? So I thought that it was more likely that Elfe was just a proper name. However, I had never heard of such a name in German, but then again, it might just be a name which has fallen from use. Reading the story, it became obvious that it was meant to be a proper name. Some time afterwards, having forgotten all about it, I came across the fairy tale in an article written in German, and here it was referred to as “Die kluge Else”. Then it dawned on me: The English translator must have read the German text in an older script which is not in use any longer and in which two different signs for <s> are used, depending on its position in the word. In this script, Else would look like Elfe, something like “Clever Else”, the <s> somehow resembling an <f>, and that was how the new name was created.

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Taken for a ride?

Als ich auf der Suche nach einem fremdsprachlichen Buch war, wurde mir in einer Trierer Buchhandlung empfohlen, ich solle es doch mal mit Easy Rider versuchen.

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Rauchwaren?

“Rauchwaren”, so donnerte unser Deutschlehrer, wenn wir’s mal wieder falsch gemacht hatten, „sind keine Tabakwaren, sondern Pelze.“ Ich höre ihn heute wieder donnern, wenn er dieselben Zeitungsartikel in die Hand bekommt wie ich. Der Rheinische Merkur fragt im Oktober 2005, wie Whisky zu Rauchwaren passe, die Zeit schreibt im November 2005 von Menschen, die sich von Auslandsreisen statt Souvenirs Rauchwaren mitbringen wie Gitanes aus Frankreich, Räucherstäbchen aus Ägypten oder Zigaretten der makabren Marke Death aus England. Sprachwissenschaftler – needless to say – sehen das gelassener als Deutschlehrer. Wenn das Wort Rauchwaren für Tabakwaren gebraucht – und verstanden – wird, dann heißt es eben genau das – auch wenn der Duden weiterhin nur eine Bedeutung kennt, ‘Pelzwaren’. Das wird unseren Deutschlehrer freuen.

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Rotlichtdistrikt?

Auf einem Wegweiser vor der Porta Nigra ist das <n> in St. Paulin ausradiert. Als ich das sah, wurde mir zum ersten Mal klar, dass Paulin, sprachlich gesehen, tatsächlich etwas mit Pauli zu tun hat. Ob es weitere Parallelen zwischen St. Pauli und St. Paulin gibt?

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Baits me

In Exeter in Devon the public buses have letters instead of numbers to identify them. I took the K to get into town. The bus driver told me that for the way back I could take either the K or the T, making T rhyme with K as he was saying so. The same morning I heard the manager of Charlton Athletics being interviewed on TV. He said of their opponents: “They’re hard to beat and that wasn’t always the case”, making beat rhyme with great and case rhyme with nice .

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Übersetzerstab

In der Touristeninformation in Montpellier stieß ich auf das dreisprachige Faltblatt des Hotel Ulysse . Dessen deutscher Teil ist ein sprachliches Juwel: Das Hotel befinde sich, werden wie belehrt, „in einer üppigen Umgebung“, es wird „einen des angenehmsten Aufenthalts erleichtern“ die Möbel „sind gemacht mit einem ursprünglichen verarbeiteten Eisen und der Qualität des gegebenen accomodations“. Daneben die rätselhafte Formulierung, die Räume hätten „Farbfernsehen, Telefon und Ministab“. Was zum Teufel ist ein Ministab ? Dann fällt der Groschen. Da hat jemand in einem Wörterbuch das Wort bar nachgeschlagen. Etymologisch besteht sogar ein Zusammenhang!

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Gar nicht mal so doof

„Die sind strohdoof“, versicherte mir eine Studentin, in breitestem Trierer Akzent sprechend, über die Spieler einer lokalen Fußballmannschaft. „Strohdoof. Aber die wissen, dass sie strohdoof sind. Die sind ja nicht doof.“

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Wie aus dem Lehrbuch

Ein spanischer Freund sprach auf seiner ersten Reise nach Deutschland im Zug eine ihm gegenüber sitzende deutsche Frau an. Er hatte gerade erst angefangen, Deutsch zu lernen und war über Lektion 1 nicht hinausgekommen. Da auch der Dialog von Lektion 1 im Zug spielte, stellte er die gleiche Frage wie im Lehrbuch: „Wohin fahren Sie?“. Und bekam zur Antwort: „Nach Hamburg“ – die gleiche Antwort wie im Lehrbuch!

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Borderline Case

In a programme dealing with security measures for the 2006 World Cup, a television reporter was heard to say that a major influx of football supporters would come from Italy, “one of Germany’s neighbours”. The man was speaking from Milan, and was the BBC correspondent in Italy. I felt some relief that it was not a German reporter who had made that comment.

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New underground station?

An Irish friend asked for the way in the London Underground and was told that she had to change trains in a place called Olden or Owden or something like this. She did not quite get the name but was sure it began with an O. So she started for the underground map and looked for such a station but could not find any. No station of the London Underground seemed to begin with an O. So she went back to the information desk and asked again. The man emphatically repeated the name of the station, pointing at the same time at the name of the place on the map. It was Holden.

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New grade?

When talking to a colleague from the International Office of John Moores University in Liverpool, I was told that our students, in order to be admitted to all courses, needed to attain Grade F in the initial language test. I enquired if F was the highest grade, and the colleague said no, that the scale went further up, that, as far as she knew, it went “up to haitch”.

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Schräger Humor

Beim Festakt zur Emeritierung von Prof. Hasler machte der Festredner auf eine sprachliche Besonderheit aufmerksam, die mir noch nie aufgefallen war, obwohl ich mich mit dem Thema beschäftigt hatte: Man „heult sich gesund“ im Deutschen, aber man „lacht sich krank/schief/tot/kaputt“! Hinzufügen kann man noch den auf den ersten Blick rätselhaften Ausdruck „sich einen Ast lachen“, wenn man weiß, dass Ast hier in seiner alten Bedeutung von ‚Buckel’ gebraucht wird.

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Auslandsdeutsch

Das Wort Ausländer ist auf dem absteigenden Ast. Ausländer heißen heute Immigranten, Fremdstämmige, Nichtdeutsche, ausländische Mitbürger (obwohl mir ein Beamter auf einer Behörde mal sagte, Ausländer seien rechtlich keine Mitbürger) oder, im schönsten Sozialarbeiterdeutsch, Menschen mit Migrationshintergrund. Was damit gewonnen sein soll, ist mir nicht klar. Ich sage weiterhin Ausländer, aber ich werde mir den Luxus nicht mehr lange leisten können: Das Wort wird immer negativer, da es fast nur noch in dumpfen Parolen wie „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg!“ oder „Ausländer raus!“ vorkommt. Das ist bedauerlich, aber immerhin gibt es dem Sprachinteressierten die Gelegenheit, Sprachwandel im unmittelbaren Vollzug zu beobachten.

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Heimatgefühl

Im Junkerhaus in Lemgo, einem von einem Exzentriker für sich selbst gebauten Wohnhaus, das nur aus Schnitzereien besteht und heute Museum ist, führt ein chronisch missgelaunter und mürrischer alter Mann Aufsicht. Durch die Schnitzereien wirken auch vertraute Objekte für den Besucher fremd und werden manchmal erst auf den zweiten Blick erkannt. So auch bei einem kleinen Raum nahe dem Eingang, der zwei Jungen, die das Haus besichtigten, zu dem Ausruf veranlasste: „Ach, das ist die Toilette!“ Das gefiel dem Aufseher überhaupt nicht: „Toilette! Könnt ihr kein Deutsch? Wir früher haben noch richtiges Deutsch gesprochen. Das heißt nicht Toilette, das heißt Klo!“ Ein etymologisches Wörterbuch besaß er offenbar nicht.

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Einleuchtend?

Wie heißen die kleinen Kerzen, die in Stövchen benutzt werden, um den Tee warm zu halten? Teelichter? Das klingt einleuchtend, ist aber falsch, jedenfalls wenn man der Verpackung und dem Duden glaubt. Danach heißt es Teelichte. Als Test fragte ich eine Verkäuferin in einem Supermarkt, wo es Teelichte gäbe. Die Verkäuferin, meine linguistische Steilvorlage verpassend, antwortete „Teelichter? Ja, hinten rechts“. Dort fand ich dann die Übeltäter. Auf der Packung stand Teelichte, auf dem Preisschild Teelichter. Soviel zur präskriptiven Linguistik.

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Der Ball ist rund

Am ersten Tag des Badmintonkurses trommelte der Trainer die Freizeitsportler zusammen und erklärte, wie man verfahren würde und wie man an Bälle und Schläger kommen könne. Unter den Spielern war auch ein ausländischer Student, vielleicht ein Koreaner, der zunächst ein paar Schwierigkeiten mit den Erklärungen hatte, dann aber fast alles verstand. Ein Detail war aber immer noch nicht klar, bis der Trainer noch einmal emphatisch Schläger und Ball sagte und dabei erst den einen, dann den anderen in die Höhe streckte. „Ah, Ball!“, war die Reaktion des ausländischen Studenten, so als wolle er sagen: Das hättet ihr mir auch gleich sagen können, dass ihr Deutschen dieses merkwürdige Gebilde aus Gummipfropfen und Plastikfedern Ball nennt.

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Eine Perle von Frau

Der Direktor meiner alten Schule hatte eine Sekretärin namens Gretel, eine Stellvertreterin namens Maggie und eine Ehefrau namens Rita. Bei einem lockeren Geplänkel im Lehrerzimmer entdeckte irgendwer irgendwann die Verbindung: Sie hießen alle Margarete, und das heißt nichts anderes als ‚Perle’. Der Chef und seine Perlen.

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Schulmäßig

Während meiner Zeit als Fremdsprachenassistent in England wurde ich von meinen Schülern auf ein deutsches Wort angesprochen, das ich nicht kannte. Zuerst glaubten meine Schüler, er handele sich um ein Missverständnis, aber auch, nachdem sie mir die Schreibung des Wortes genannt hatten, stein, wusste ich nicht, worauf sie hinaus wollten. Meine Schüler fühlten sich nicht ernst genommen: „Oh, come on!“ Es war schlimm genug, wenn ich behaupten wollte, ich hätte keinen stein, aber zu behaupten, ich wüsste nicht, was ein stein ist … Seitdem weiß ich es: Das Wort stein bezeichnet im Englischen einen großen Bierkrug aus Keramik, häufig einen Bierkrug, den man mit einem Deckel schließen kann. Die Aussprache ähnelt dem Deutschen, aber <s> wird, wie manchmal in Norddeutschland, als /s/ gesprochen. Das jedenfalls sagen die Wörterbücher, aber im Mund meiner Schüler klang das Wort so verfremdet, dass es überhaupt nicht zu identifizieren war, eher wie steen. Jedenfalls wusste ich nicht, wovon die Rede war. Nicht zum letzten Mal hatte ich meine Schüler in Sachen ‚Bier’ enttäuscht.

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Der Pokal hat seine eigenen Gesetze

Welche Spieler haben bei mindestens drei Weltmeisterschaftsturnieren ein Tor erzielt? Bei der Suche nach der Antwort auf diese existenzielle Frage stieß ich im Internet auf diese Kategorie: “Spieler, die zählten in drei unterschiedlichen Weltschalen”. Es lebe der Übersetzungscomputer! Oder der Engländer mit Deutschkenntnissen?

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Frauenpower

In einer Musiksendung eines regionalen Radiosenders wurde die Pianistin Sophie-Mayuko Vetter von der Moderatorin als Gästin im Studio begrüßt. Da wollte sich eine renommierte deutsche Wochenzeitung nicht lumpen lassen und informierte, Angela Merkel sei zur achten Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden. Nicht erwähnt wurde, dass alle ihre Vorgänger Transvestiten waren.

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Enlightened

Once when climbing down a mountain I ran into a young, English-speaking couple on their way up. We were in the middle of nowhere, and we were worried not to be able to make it before it got dark. They wanted to make it to the top, I wanted to make it to the ground. So we exchanged some information about distances and paths and our chances to make it. During this conversation I asked them if they had a torch. The woman said yes, the man said no. When he added that they had a flashlight, however, I realised that we were dealing with a piece of intra-cultural communication, and that I was talking to a British-American couple. My question must have appeared rather backward, extravagant, outlandish to him.

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Hungermauer

Auf dem Weg nach Prag entdeckte einer der Reisenden in einer größeren Reisegruppe, dass es in Prag eine sogenannte Hungermauer gibt. Das löste bei allen Mitreisenden, Kindern, Jungen und Alten, sofort größtes Interesse aus. Die Hungermauer, erfuhr man, hat ihren Namen daher, dass durch ihren Bau viele Menschen in Arbeit und Brot kamen, die vorher Hunger litten. Erst nach drei Tagen war es so weit, dass die Hungermauer besichtigt werden konnte. Die allgemeine Enttäuschung war groß. Es handelte sich um eine Stadtmauer oder deren Reste, wie man sie auch anderswo finden konnte. Das magische Wort Hungermauer hatte Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt wurden, obwohl niemand so recht wusste, welche. Wenn die Mauer nicht zufällig diesen Namen gehabt, sondern einfach Stadtmauer geheißen hätte, wäre die Hälfte der Belegschaft vermutlich überhaupt nicht hingefahren.

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Mosel- Ruhrgebiet

29. August (Dienstag)

Früher Aufbruch, noch im Morgengrauen. Es ist kalt, kälter als in den letzten Jahren. Da hatte ich es mal mit Hitze, mal mit Wind, mal mit Regen zu tun, aber nie mit Kälte.

Nach zwei Kilometern steige ich zum ersten Mal ab: Licht an! Man sieht zwar gut, wird aber vielleicht nicht so gut gesehen.

Ich fahre nicht direkt zur Mosel runter, sondern auf  vertrauten Wegen nach Schweich. Das spart ein paar Kilometer, und Mosel gibt es während der Tour ja noch genug. Es geht durch Wohnviertel, durch ein Gewerbegebiet, durch Ruwer. Die letzten Kilometer vor Schweich geht es direkt an der Autobahn entlang. Aber ich werde durch den schönen Blick auf die Berge vor mir entschädigt, deren Kuppen im aufsteigenden Dunst liegen.

In Schweich geht es dann an die Mosel. Deren Oberfläche glänzt, sie scheint sich kaum zu bewegen.

Es ist einsam. Eine einzige Radfahrerin überholt mich, fährt an mir vorbei und verschwindet hinter der nächsten Kurve.

Ein Reiher hebt mit lautem Flügelschlag ab, ein paar Vögel zwitschern vereinzelt, irgendwo raschelt es im Gebüsch. Ansonsten ist es still.

Auf der anderen Moselseite Weinberge. Einer reiht sich an den anderen. In einen haben sie mit Kalk oder mit Steinen von oben nach unten den Namen Mehring eingeschrieben.

Es geht an Longuich vorbei, dessen schönen Ortskern ich vor ein paar Tagen erst entdeckt habe. Dann kommt der Campingplatz mit dem ungarischen Lokal, das ich schon immer mal ausprobieren wollte. Auf den Zeltplätzen bilden die Campingwagen mit den fest verbundenen, hohen Zelten eine Einheit. Es ist wie ein Haus. Worin der Reiz einer solchen Urlaubsgestaltung liegen soll, erschließt sich mir nicht.

Dann kommt der Alte Moselbahnhof, der inzwischen in einen Biergarten umgewandelt worden ist.

Dann kommen auch auf meiner Seite Weinberge. Die Trauben sind klein, aber hängen in dicken Trauben vom Rebstock hinab. Ein Winzer hat am Fuß seines Weinbergs Werbeprospekte ausgelegt.

Es geht durch Detzem. Der Ort verdankt seinen Namen den Römern. Er ist verwandt mit Dezimeter und benennt die Entfernung nach Trier: 10 römische Meilen.

Nach 25 Kilometern und gut anderthalb Stunden lege ich die erste Trinkpause ein.

Der Weg führt von der Mosel weg, es geht ein Stück steil bergauf. Hier stehen Weinfelder, ganz flach. Sie stehen zu beiden Seiten Spalier, auf der einen Seite gerade, auf der anderen schräg, als es wieder zurück zur Mosel nach Köwerich geht.

Dort geht es an der Bundesstraße entlang, aber auf einem abgetrennten Radweg. Hier gibt es ein paar Obstfelder, mit Apfelbäumen und einem Strauch mit dicken, knallgelben Zitronen.

Trittenheim mit seiner Kirche mit dem spitzen Turm liegt auf der anderen Seite. Zu beiden Seiten der Mosel steht ein Fährturm.  Zwischen diesen beiden Fährtürmen verkehrte früher eine Fähre, eine antriebslose Drahtseilfähre. Vor 100 Jahren gab es an der deutschen Mosel nur 14 Brücken, aber 45 solcher Fähren.

Um 9 Uhr habe ich die ersten 40 Kilometer hinter mir, kurz vor Neumagen. Hier steht mitten in einem Weinfeld eine kleine Kapelle, weiß, niedrig, fast quadratisch, mit einem spitzen Turm.

Der Name Neumagen erklärt sich, wie Dormagen und Remagen, aus dem alten keltischen Wort magos. Das bedeutete ‚Feld‘. Als die Kenntnis der keltischen Sprachen verloren gegangen war, konnten die Leute damit nichts mehr anfangen und formten den Namen im Laufe der Zeit um. Ein typisches Beispiel von Volksetymologie.

Der Radweg führt direkt durch Neumagen durch. An Straußenwirtschaften  und Cafés mangelt es hier nicht. Haben aber noch alle geschlossen. Das verlockend aussehende Dorfcafé hätte schon auf, wenn heute nicht Dienstag wäre: Ruhetag. 

Hinter Neumagen mache ich an einem rauschenden Bach noch mal eine Trinkpause. Es ist nicht mehr ganz so kalt, aber immer noch dunstig. Allmählich kommen die Leute aus ihren Löchern. Zahlreiche Radfahrer kommen vorbei, meist Paare, lauter Rentner.

Nach 50 km kommt Piesport. Die neue Brücke spiegelt sich mit ihrem Gewölbe im Wasser. Ich bin nicht der einzige, der für ein Photo anhält. Auf der anderen Seite steht in den Weinbergen der Name der bekannten Lage: Piesporter Goldtröpfchen.  

Danach geht es ein Stück steil rauf, und dann ein Stück an der Bundesstraße entlang, dann über Feldwege. Gedankenverloren fahre ich weiter. Irgendwo lese ich an einem großen Gebäude kletterhalle. Es ist aber kelterhalle.

In Wintringen finde ich endlich ein geöffnetes Café. Man kann auf der Terrasse vor dem Haus sitzen. Es ist noch kein anderer Gast da. Die Kellnerin versteht meine Frage erst nicht richtig. Polin? Ukrainerin. Ich bestelle Kaffee und Apfelkuchen und sie lässt sich auf ein kurzes Gespräch auf Russisch ein. Sie ist seit drei Jahren hier, lernte Deutsch in einem Sprachkurs. Das Aufnehmen der Bestellung geht gut auf Deutsch, und die Zahlen kann sie perfekt: 6,50 €. Aber ansonsten geht es auf Russisch besser. Sie hat keine Kinder, auch keinen Mann. Geschieden. Sie zeigt auf eine Narbe an ihrem Hals und sagt etwas von Operation. Aber ich verstehe nur die Hälfte. Ich verstehe aber, dass sie in die Ukraine zurück will. Warum? Zuhause sei eben Zuhause, sagt sie lapidar. Den Krieg erwähnt sie nicht. Ich auch nicht.

Um 10.30 geht es weiter. Der Routenplaner weist mir den Weg. Das System kann in der Sprachansage nicht zwischen Weg und weg unterscheiden: Folgen Sie dem weg 200 Meter.

Der Weg führt von der Mosel weg. Es geht über Feldwege weiter. An einem Weinstand, der auch jetzt schon von einigen frequentiert wird, steht: Zutritt nur mit tagesaktuellem Durst. Auf dem Feld nebenan steht ein Strohballen mit der Figur eines Radfahrers, der in den Strohballen gefahren ist. Sein Kopf guckt am anderen Ende heraus.

Eine schöne Durchfahrt gibt es durch Brauneberg, die Mosel links, Schieferhäuser rechts. Die Straßenschilder sind blau, mit Frakturschrift: Engels Gaass, Schnaaps Gaas. An einem Haus lese ich Schiefer Traum, es ist aber Schiefertraum.

In Brauneberg gibt es eine wiederhergestellte römische Kelteranlage. Die Römer bauten hier blaue und weiße Trauben an, heute werden nur noch weiße angebaut. Hier werde seit 1800 Jahren Wein angebaut, heißt es. Ob das stimmt? Hat man immer, auch nach dem Abzug der Römer, auch im Mittelalter, durchgehend Wein angebaut?

Nach 66 Kilometern kommt Bernkastel. Die Uferpromenade, wie immer, voller Autos, man kann von hier aus kaum erahnen, was für ein schöner Ort das ist. Die Ruine des Kastells, von dem der Ort seinen Namen hat, thront ganz oben auf dem Fels. Der Namensteil Bern ist irreführend, hat nichts mit Bern oder Bernstein zu tun, sondern mit Prim. Gemeint ist also das ‚Erste Kastell‘, das bedeutendste.

Weiter geht es, an der Sonnenuhr im Weinberg vorbei. Die Oberschenkel machen sich langsam bemerkbar, aber Kraft zum Weiterfahren habe ich noch. Nur das Sitzen wird immer ungemütlicher. Dann stellt sich heraus, dass die Strecke heute länger ist als erwartet, und zu allem Übel fängt es auch noch an zu regnen. Weiterfahren? Unterstellen? Einkehren? Ich bin unschlüssig, fahre erst mal weiter, kehre dann aber in die Kaffeemühle bei Zeltingen ein. Hier sitzt man geschützt unter großen Sonnenschirmen. Große Kuchenauswahl, darunter Rotkäppchen und Sekttorte, aber ich belasse es bei Kaffee und Wasser. Hier hat man eine gute Lösung gefunden für „Nichtgäste“ (komisches Wort), die die Toilette benutzen. Sie zahlen 50 Cent, und die gehen an die Villa Kunterbunt in Trier.

Die freundliche Wirtin macht mir Mut, das mit dem Regen werde schon nicht so schlimm werden, aber ihre Prophezeiung  bewahrheitet sich erst mal nicht. Im Gegenteil. Der Regen wird stärker. Während sich die anderen Radfahren dick eingemummt haben, ziehe ich meinen Pullover aus. So wird der wenigstens schon mal nicht nass.

Ein tapferer Jogger kommt mir entgegen. Auf seinem T-Shirt steht be what you are. Warum schreiben die Leute so was auf ihr T-Shirt? Was bedeutet das? Wer ist der Adressat dieser Botschaft? Wie soll ich mein Verhalten, mein Leben verändern, um dem gerecht zu werden. Und kann ich überhaupt was anderes sein als ich selbst?

Kurz darauf kommt ein Wohnwagen mit der Aufforderung Lebe deinen Traum. Leuchtet mir genauso wenig ein.

Über eine große Brücke geht es über die Mosel, Richtung Traben-Trarbach. Hier ist nur noch Trarbach ausgeschildert. Liegen die beiden Ortsteile auf verschiedenen Seiten der Mosel, wie Bernkastel und Kues?

Ich fahre an stattlichen Häusern aus der Gründerzeit vorbei, heute fast ausschließlich mit gastronomischen Geschäften bestückt, vermutlich gehobene Gastronomie.

Hier fängt mein Routenplaner an, verrückt zu spielen. Wo auch immer ich hinfahre, ist es falsch. Ich steige ab und verfolge die Instruktionen ganz genau. Dann bin ich nur noch sieben Meter von der Route entfernt. Die führt direkt auf einen Ausflugsdampfer.

Erinnert mich an eine Szene in Holland, wo ich im Rheindelta direkt ins Wasser geführt wurde. Da hat sich aber herausgestellt, dass ich eine Fähre nehmen musste. Aber der Ausflugsdampfer kann ja wohl nicht ernsthaft gemeint sein.  

Ich fahre auf gut Glück weiter, Richtung Ortsausgang. Eine ortskundige ältere Dame gibt mir freundlich Auskunft. Ihre Auskunft erweist sich als richtig, aber zuerst etwas irreführend. Sie hat mir als Anhaltspunkt ein Dachdeckerunternehmen genannt. Aber hier geht es nur zur Jugendherberge. Ich soll aber zur Fähre.

Dann kommt ein Radwegschild, aber das ist so verblichen, dass man den grünen Pfeil nicht mehr erkennen kann. Das wiederholt sich im Laufe der Tour noch zweimal. Ich biege auf gut Glück links ab. Es geht steil bergauf, von der Mosel weg, und dann eine Landstraße entlang, parallel zur weit unten liegenden Mosel. Die Kräfte schwinden. Dann sehe ich zu meiner Erleichterung Enkirch in den Weinbergen eingeschrieben. Enkirch ist mein Ziel. Aber es ist auf der anderen Seite. Und ich bin von der Mosel durch ein breites abgesperrtes Stück Land getrennt. Hier gibt es eine Schleuse, aber keine Brücke. Eine Fähre auch nicht, und wenn es die gibt, kann ich nicht hinkommen.

Es geht weiter, und dann erscheint plötzlich die von der Dame angekündigte Fähre von Kövenig. Der Fährmann wartet auf Passagiere. Ich gehe auf die winzige Fähre und zahle 1,50 für mich und 1,50 fürs Fahrrad. Der Fährmann legt ab, mit unbewegtem Gesicht und mechanischen Handbewegungen setzt er die Fähre in Gang. Aber es geht nicht zielstrebig ans andere Ufer. Wir scheinen uns eher im Kreis zu bewegen. Dann sehe ich, dass er noch einen weiteren Passagier auf dem Landesteg entdeckt hat und noch mal zurückkehrt. Wir laden den anderen ein, und rüber geht’s.

Auf der anderen Seite stehen auf einem Campingplatz lastwagenartige Wohnwagen, wie ich sie noch nie gesehen habe. Aber hier scheinen sie alle zusammenzukommen. Auf einem steht Wechfahrhaus.

Ich schiebe mein Rad den Hügel rauf auf den hübschen, menschenleeren Brunnenplatz, und dann die Dorfstraße rauf, mit Kopfsteinpflaster, einer alten Apotheke, einem Fachwerkhaus mit schiefer Fassade, Straßen mit originellen Namen  und dem Backhaus, einem Café.

Für meinen Routenplaner bin ich immer noch außerhalb meiner Route, aber dann hat er mich wieder und sagt: „Du bist wieder auf deiner Route. Die Navigation wird fortgesetzt. Du hast dein Ziel erreicht.“ Ich stehe vor dem Gasthof „Zur Sonne“. Habe aber die Rechnung ohne meine eigenen Reservierung gemacht, auf der ausdrücklich steht: Zimmerbelegung ab 14.30. Die fehlende halbe Stunde verbringe ich im Backhaus gleich gegenüber.

Dann geht alles schnell und unkompliziert in dem Gasthaus. Und ich kann die Füße ausstrecken. Und die Speisekarte studieren. Im gleichen Haus, nur die Treppe runter, befindet sich nämlich das Lokal. Die Unterkunft ist so gut wie perfekt.  

Als ich am frühen Abend runter gehe, ist die Wirtsstube schon voll besetzt, und man muss sich wohl oder übel nach draußen setzen, obwohl es etwas kalt ist. Aber auch hier sitzen welche, eine Gruppe von Männern und zwei Paare. Vermutlich lauter Radfahrer. Man sitzt geschützt unter großen Schirmen. Auf denen steht Benediktiner Weissbier. Ich bin überrascht über die Schreibweise, aber das Benediktiner schreibt sich wirklich mit ss, wie Rot Weiss Ahlen und Rot-Weiss Essen, aber anders als Rot-Weiß Oberhausen und Rot-Weiß Erfurt.

Von meinem Platz aus blickt man auf das schöne Eingangsschild des Gasthauses Zur Sonne, mit einer dicken, gelben Sonne, das ich vorher bei der Suche erst übersehen habe. Der Name des Gasthauses folgt dem der Besitzer, Sonnen.

Auch hier auf der Terrasse wachsen Zitronen, an einem Strauch gleich neben mir.

Die Männer sind fröhlich, sprechen laut, lachen. Und bestellen immer wieder: „Noch sieben Pils!“ Als das Essen kommt, werden sie ruhiger. Danach fängt einer an, von seiner Scheidung zu sprechen. Seine Frau habe vertraglich zugesagt, auf ihre Rentenpunkte zu verzichten, weil er ihr das gemeinsame Haus vermacht habe. Dann habe sie sich aber einfach geweigert, das einzulösen. Er habe zwölf Jahre lang jeden Monat 400 € Unterhalt gezahlt. Seine Frau habe kein bisschen nachgegeben.

Dann kommt mein Essen. Es gibt den Enkircher Zwiebelteller und einen Enkircher Weißwein. Aber nur ein Glas. Morgen steht eine weitere anstrengende Etappe an. 

30. August (Mittwoch)

Frühstück gibt es erst um 8.00, also verzögert sich die Abfahrt bis 8.30.

1) Trier – Enkirch (Dienstag): 99 km, 6.30-14.00

2) Enkirch – Kobern-Gondorf (Mittwoch): 92 km, 8.30-15.00

3) Kobern-Gondorf – Remagen (Donnerstag):

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Der Untergang des Römischen Reichs (3)

Das Dommuseum nimmt sich im Rahmen der Ausstellung zum Untergang des Römischen Reichs naheliegenderweise der Rolle des Christentums an. Die grobe interpretatorische Leitlinie: Bis ins 19. Jahrhundert wurde das Christentum eher für den Fall des Römischen Reichs verantwortlich gemacht, heute sieht man in ihm eher ein unterstützendes Element. Leuchtet mir ein. Schließlich war es „nur“ eine neue Ideologie, die Strukturen blieben weitgehend bewahrt und das Christentum machte reichlich Anleihen bei der heidnischen Tradition. Das wird in der Ausstellung immer wieder deutlich.

Eine Skulptur einer römischen Fruchtbarkeitsgöttin wird einer Madonna mit Kind gegenübergestellt. Man würde nicht darauf kommen, dass die beiden Skulpturen Jahrhunderte trennen und sie zwei verschiedenen Glaubenssystemen angehören. Das Christentum übernahm also das Bildrepertoire der Antike, wenn auch anfangs zögerlich. Anfangs vermieden die Christen vollplastische Skulpturen, um sich von der heidnischen Tradition abzusetzen. Erst um 1000 kamen Figuren wie diese Madonna auf.

Auch der gute Hirte hat heidnische Vorbilder. Er galt als Symbol der Philanthropie und des Glücks, und wurde genauso dargestellt wie Jesus hier auf dem Relief, mit einem Schaf um die Schulter und anderen Schafen zu seinen Füßen. Auf diesem Relief erkennt man nur durch die Darstellung der Verführungsszene im Paradies auf der linken Seite, dass Jesus gemeint ist.

Auch bei Titeln und Organisationsformen machten die Christen Anleihen bei der Antike. Der Papst trug den Titel Pontifex Maximus, und die Diözesen waren identisch mit den römischen Provinzen. Auch der Kalender hatte heidnische Grundlagen. Das Fest der Geburt Christi verlegte man, entgegen der historischen Wahrscheinlichkeit, auf den 25. Dezember, den Tag des Sol Invictus. Als unter Konstantin der in regelmäßigen Intervallen stattfindende Ruhetag eingeführt wurde, wählte man den Sonntag, den Tag des Sonnengottes.

Die Abwendung von der heidnischen Tradition wird hier illustriert durch eine absichtlich zerstörte Mars-Statue aus dem Altbachtal, mannshoch, ohne Kopf und ohne Emblem. Man sieht, dass die Statue aus den Teilstücken, in die man sie zerlegt hatte, später wieder zusammengesetzt wurde.

Neu im Christentum waren die Taufe, die Jenseitserwartung (die das Alte Testament nicht kennt) und die Wertschätzung jedes einzelnen Menschen.

Aus Xanten stammt der hier ausgestellte Grabstein, der älteste erhaltene christliche Grabstein nördlich der Alpen (V). Wie auf weiteren Grabsteinen dient hier als Emblem das in einem Kreis eingelassene Kreuz mit A&O und mit dem PX, das sich um das Kreuz windet.

Trier bekam den Untergang des Römischen Reichs durch vier Eroberungen und Zerstörungen in der kurzen Zeitspanne von 410-435 zu spüren. Die hinterließen im Dom eine dicke Schutt- und Staubschicht. Im 6. Jahrhundert wurde der Dom wiederaufgebaut.

Einen wichtigen Teil der Ausstellung nehmen Bestattungen ein. Es gab zwei Bestattungsarten: Bei der einen wurde der Leichnam auf Holzstämme gebettet, bei der anderen handelte es sich um eine Gipsbettung. Davon sieht man hier ein eindrucksvolles Beispiel. Der Tote wurde in Tücher gehüllt und dann mit Gips übergossen. Erinnert an die ägyptischen Mumien.

Die Toten wurden in reichen Gewändern bestattet, aber ohne Schuhe! Eine Ausnahme bilden die Kinder. Die hatten entweder Schuhe an oder ihnen wurden Schuhe mitgegeben, die oben auf dem Sarg platziert wurden. Davon sieht man hier ein bewegendes Beispiel: Auf einem (rekonstruierten) Bleisarg stehen zwei unterschiedliche Kinderschuhe, sandalenartig, einer etwas größer als der andere.

Unter den Bestatteten befinden sich viele junge Frauen. Davon legen zahlreiche Grabinschriften Zeugnis ab. Viele der jungen Frauen starben im Kindbett. Sie wurden in der Regel mit dem Eintritt der Zeugungsfähigkeit, mit 12-13 Jahren, verheiratet.

Unter den zahlreichen Grabsteinen aus Trier befinden sich auch welche mit einer Inschrift in Griechisch und sogar ein paar zweisprachige. Bei einem davon wird auf die Herkunft des Verstorbenen aufmerksam gemacht: Er stammte aus Antiochia Orantes, im heutigen Syrien! Trier muss eine kosmopolitische Stadt gewesen sein!

In der Zeit der Reichskrise wurde von den Bürgern absolute Loyalität gefordert. Die Opferverweigerungen durch die Christen galten als Frevel, als Schwerverbrechen. Das führte zu den Martyrien. Hier werden zwei Tonschalen gegenübergestellt, mit eingeritzten Darstellungen. In einer ist ein gefesselter Christ dargestellt, der den Löwen zum Fraß vorgeworfen wird, auf der anderen ein heidnischer Jäger, der von Löwen angefallen wird. Verblüffend ähnlich die beiden Darstellungen.

Nach Konstantin verbündete sich der Staat mit der Kirche. Das wird hier an einem besonders schönen Ausstellungsstück illustriert, einer Elfenbeintafel, auf der die Überführung von Reliquien in eine neu erbaute Kirche zu sehen ist. Die Priester mit dem Reliquienkästchen sitzen auf einem Wagen, der Kaiser geht, Zeichen der Demut, dem Wagen voran. Vor der Kirche wartet die Kaiserin. Die Prozession ist figurenreich und dicht gedrängt. Oben schauen aus Fenstern und von einer Mauer zahlreiche Figuren dem Geschehen zu, und unten sind ein paar Männer auf das Vordach der Kirche geklettert, um nichts zu verpassen!

Eine eigene Abteilung ist St. Maximin gewidmet, ein besonders Beispiel für die jahrhundertelange Nutzung eines Baus in verschiedener Funktion. Ursprünglich war es eine Grabstätte. Man hat dort 1000 Bestattungen gefunden, meist von Menschen, die der spätrömischen Elite angehörten. Entsprechend sind die Grabbeigaben: Riemenschnallen, Gürtelbeschläge, Fibeln, aus Buntmetall, Silber, Gold, Eisen, alles kunstvoll gestaltet, ebenso wie winzige Bronzeplättchen als Textilapplikationen. Daneben Glasphiolen und Goldfäden.

Am Eingang eine mächtige Statue aus Lindenholz von Maximin, mit Bischofsstab und Mitra (XVIII). An seiner Seite ein Bär. Der Bär soll das Lasttier des Maximin getötet haben, um dann selbst das Gepäck des Bischofs zu tragen!

Maximin war ein Gegner des Arianismus und gewährte Athanasius Asyl in Trier. Er starb auf dem Weg nach Poitiers. Paulinus ließ seine Gebeine nach Trier überführen.

Am Schluss ist das Grabmal des Paulinus selbst Gegenstand der Darstellung. Paulinus starb im Exil, weil er zunächst im Streit um die Natur Christi auf der falschen Seite gestanden hatte. Nach seiner Rehabilitierung wurde er dann nach Trier überführt. In seinem Grab wurden erstaunliche Dinge gefunden, die hier ausgestellt sind, oft nur noch in Fetzen oder in fadenscheinigen Stoffen vorhanden, darunter seidene Bänder, seidene Kordeln, gelblicher Byssus (zum Einwickeln der Leiche) und Purpur als Färbemittel. Diese Materialien zeugen von den wichtigen Handelsbeziehungen, die Trier, auch nach dem Ende des Römischen Reichs, erhielt und die bis in den Nahen Osten und nach China führten.

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Der Untergang des Römischen Reichs (2)

Vor dem Eingang zur Ausstellung hängt ein längliches Plakat mit einer langen Liste deutscher Wörter lateinischen Ursprungs. Darunter sind Klassiker wie Mauer (von muris), Palast (von palatium) und Kreuz (von crux), aber auch weniger offensichtliche Kandidaten wie Büchse (von puxis), Kachel (von cacculus) oder Socke (von soccus).

Davor auf dem Boden eine Landkarte, in der Europa die Form einer bekrönten Königin mit langem Gewand. Holland und Italien sind die Arme, Spanien der Kopf, Osteuropa ist ganz unten auf dem Gewand. Schwer zu sagen, aus welcher Zeit das stammt, aber wohl kaum aus der klassischen Antike. Dazu erscheinen zu moderne Namen wie Cracouia oder Lithvania oder Moscovia. Unter Italia steht Welschland. Was mag nur Megalopolis sein? Oder Sarmantia? Warum die Karte hier abgebildet ist, darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht um die Kontinuität zu betonen, die in der Verwendung lateinischer Namen auch noch nach dem Ende des Römischen Reichs besteht.

Das Stadtmuseum nimmt sich der Rezeption des Untergangs des Römischen Reichs an. Wie haben spätere Epochen den Untergang des Reichs verarbeitet? Dabei ist es interessant, wie viele Reiche den Anspruch gestellt haben, Nachfolger des Römischen Reichs zu sein: Das Byzantinische Reich, das Römische Reich Deutscher Nation, das Russische Reich und sogar, nach der Eroberung Konstantinopels, das Osmanische Reich.

Am Eingang drei Kästen, in die man seinen Wahlzettel werfen darf: Was hat zum Untergang des Römischen Reichs geführt? Die Barbaren? Die Dekadenz? Das Christentum? Alle drei Kästchen sind etwa gleich voll, mit einem kleinen Vorsprung für die Dekadenz. Bei der, finde ich, kommt es darauf an, was man darunter versteht. Wenn es das dekadente Leben der Bürger ist, kommt das kaum in Frage, denn das würde nur die wohlhabende Oberschicht betreffen. Wenn Dekadenz der Zerfall der staatlichen Organisation ist, dann schon eher. Das deutete sich ja vorher schon an, mit der Reichsteilung unter Diokletian und den Soldatenkaisern und den Kinderkaisern. Nicht zur Abstimmung steht hier, dass es gar keinen Untergang gab, jedenfalls nicht, wenn man den auf 476 datiert, die Absetzung von Romulus Augustulus durch Odoaker. Das Reich existierte ja weiter, in Form des Byzantinischen Reichs, als Ostrom. Aus dessen Sicht hatte sich mit der Absetzung von Romulus Augustulus nichts grundlegend verändert. Hier wird auch betont, dass diese Absetzung in der Zeit kaum Beachtung fand, wohl aber in späteren Zeiten, wie hier an einigen Gemälden illustriert.

Der Vorläufer der Eroberung Roms durch die Barbaren war die Plünderung Roms durch Alarich 410. Ein Augenzeuge der Plünderung war Augustinus, und der ging auf die Vorwürfe der Nichtchristen ein, das Christentum sei an allem schuld, indem er De Civitate Dei schrieb, die Darstellung des perfekt organisierten christlichen Staats.

Auch Sagen, die keinen direkten Bezug zu Rom haben, nehmen das Thema seines Untergangs auf: die Nibelungensaga (mit dem Untergang des Burgunderreichs), die Artussage und eine nordische Sage.

Der Dietrich von Bern der Sage erinnert an Theoderich, der Odoaker besiegte. Dabei steht Dietrich für Theoderich und Bern für Verona. Verona ist vertreten mit einem Relief aus S. Zeno (das ich seinerzeit besichtigt habe), auf dem das Römische Theater als Residenz Theoderichs erscheint. Es wurde bis ins 19. Jahrhundert als solche bewundert und besichtigt. Die Sache hat nur einen Haken: Theoderich residierte gar nicht in Verona, sondern in Ravenna!

Das Osmanische Reich ist in der Ausstellung vertreten durch ein Porträt Mehmets II., mit Pelzkragen, mächtigem Turban und kostbarem Teppich (XVI). Auf einer Medaille ist er in römischer Tradition dargestellt auf einem Triumphwagen mit der Nike in einer Hand und einem Seil, an dem er die besiegten Völker hinter sich herzieht, in der anderen!

Das Russische Reich ist vertreten mit einem historisierenden Gemälde (XIX), das die Taufe Wladimirs in Kiew darstellt. Das Russische Reich übernahm das byzantinische Hof- und Krönungszeremoniell und führte den Titel Zar (von Cäsar) für den Imperator ein. Moskau nannte sich „Das Dritte Rom“.

Ein besonderes Schmuckstück der Ausstellung ist das Runenkästchen von Auzon (VIII), ein figurenreiches Elfenbeinkästchen mit Szenen auf allen Seiten, die schwer unter einen Hut zu bekommen sind: die Gründung Roms, die Plünderung Jerusalems, die Anbetung der Könige und die Verheiratung einer nordischen Königstochter!

Dann kommt eine große Sitzstatue von Friedrich II. In der verschmelzen römische und germanische Elemente: römisches Gewand, aber Krone statt Lorbeerzweig.

Bei Humanismus und Reformation gabelt sich die Ausstellung: Links sieht man die Abkehr von Rom, rechts die Sehnsucht nach Rom. Die spiegelt sich wider in römischen Veduten wie der vom Forum Romanum von Piranesi (XVII). Sie zeichnet ein nostalgisches Bild des Forums. Es wird zwar Campo Vaccino genannt, trägt aber die Zeichen der alten Größe: ein Brunnen, Arkaden, ein Tempel, eine Kirche, das Kolosseum, die Fassade eines Palasts, in einer Zusammenstellung, die es historisch so vermutlich nie gegeben hat. Da muss man schon genau hinsehen, um die Ochsenkarren und die weidenden Kühe zu bemerken.

Das wiedererwachte Interesse an Rom bezeugt eine Serie von Bronzemünzen mit den Porträts römischer Kaiser. Sie wurden Karl IV. von Petrarca übergeben, als eine Art Mahnung, an die römische Tradition anzuknüpfen.

Genauso wie Petrarca gehörte Dante zu den Befürwortern des Wiederauflebens des Römischen Reichs, aber Dante hatte dabei das Römisch-Deutsche Reich im Sinn, während Petrarca ein neues Reich unter italienischer Führung im Sinn hatte.

Auf der anderen Seite, der Seite der Befürworter der Abkehr von Rom, steht die Germania des Tacitus im Vordergrund. Tacitus wurde als Kronzeuge für das genommen, was man als gesellschaftliches Ideal sah: Das echte, unverfälschte Leben des mit der Natur verbundenen Volks, abseits der städtischen Dekadenz. Dabei wurde Tacitus im Sinne von frühnationalen Vorstellungen interpretiert, teils mit aggressiv nationalen Tönen.

Dazu passt die (teils von Luther betriebene) „Verwandlung“ von Arminius in Hermann. Der wird mehrmals von Luther lobend erwähnt. Luther ist hier mit einer Statue vertreten, in der er das aufgeschlagene Neue Testament präsentiert, in seiner Übersetzung.

Als Gegenstück zu den Porträts römischer Kaiser, die Petrarca dem Kaiser übergab, hat man auf dieser Seite die illustrierten Viten von zwölf (teils historischen, teils sagenhaften) deutschen Königen, den „Urkönigen“. Die Kunst bezieht Stellung gegen Rom.

Ein besonderes Ausstellungsstück ist ein Originalbrief Raffaels an Leo X. In dem Brief beklagt er die Kalkgewinnung aus den Ruinen der römischen Ruinen und spricht sich für deren Erhaltung aus. Da erweist er sich als vollendeter Humanist und als Vorläufer der Romantiker und heutiger Denkmalschützer.  

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Die lieben Nachbarn

Zur Zufriedenheit benötigt man weniger als man glaubt. Was nicht zur Zufriedenheit beiträgt, ist der Vergleich mit anderen. Nicht umsonst galt ein solcher Vergleich bei den antiken Philosophen als Todsünde. Dass wir uns nicht daran orientieren, zeigt ein modernes Experiment. In einem Gedankenspiel wurden Probanden gefragt, was ihnen lieber sei: Sie bekamen 80.000 €, alle ihre Nachbarn aber 100.000 €. Oder sie bekamen 60.000 €, ihre Nachbarn aber nur 40.000 €. Überraschenderweise entschieden sich die meisten für die zweite Variante. Der relative Wert ist maßgeblicher als der absolute. Der Vergleich mit anderen ist auch der Maßstab für diejenigen, meist Mädchen oder jungen Frauen, die sich auf Facebook oder Instagram im Schaufenster präsentieren, in der Hoffnung, möglichst viele Bewunderer zu bekommen. Die Gefahr, die da lauert, besteht darin, dass man weiß, dass bei der eigenen Inszenierung ein bisschen gemogelt, beschönigt, aufpoliert wurde, während man die Existenzen der anderen für authentisch hält. Bei denen scheint scheinbar immer die Sonne. Und sie sind immer guter Laune. Und ihre Partys sind rauschender als die eigenen. Das führt nicht zu Zufriedenheit. Es führt zu Niedergeschlagenheit. (Wehr, Marko: „Philosophie – so findet man den Weg zum Glück“, in: Aula, SWR 2: 15/08/2021)

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Erlernte Hilflosigkeit

Was passiert, wenn man die eigene Unzufriedenheit immer dem Pech in die Schuhe schiebt? Wenn man beklagt, Pech mit den Eltern, mit dem Partner, mit den Kollegen, mit den Lehrern zu haben? Man gibt das Heft aus der Hand, man macht sich zum Spielball eines unberechenbaren Zufalls. Der Preis dafür ist hoch. Statt selbst zu handeln, fühlt man sich behandelt. Das ist ein guter Nährboden für depressive Verstimmungen. Man fühlt sich hilflos. Die Wirkung wurde eindrucksvoll in einem Experiment mit Hunden belegt: Zwei Gruppen von Hunden wurden in zwei verschiedenen Käfigen untergebracht. Über deren Boden wurde ihnen ein leichter Stromschlag zugeführt. In einem der Käfige gab es eine Apparatur, mit der man die Stromschläge ausstellen konnten. Die Hunde fanden bald heraus, wie das ging. In der zweiten Phase des Experiment kamen die Hunde wieder in zwei verschiedene Käfige. Diesmal gab es keinen Mechanismus zum Abstellen der Stromschläge. Aber die Käfige waren nach oben offen und die Wände niedriger. Die Hunde konnten einfach hinausspringen. Aber das taten nur die Hunde, die vorher die Apparatur bedient hatten. Die anderen blieben liegen und ergaben sich ihrem Schicksal. Dieses Phänomen nennt man erlernte Hilflosigkeit. (Wehr, Marko: „Philosophie – so findet man den Weg zum Glück“, in: Aula, SWR 2: 15/08/2021)

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Bare Münze

Was haben barfuß und Bargeld miteinander gemeinsam? Etymologisch ist bar ein aus dem Althochdeutschen stammendes Adjektiv mit der Bedeutung ‘bloß’, ‘nackt’, frei’. Wer also barfuß geht, hat die Füße entblößt, geht auf nackten Füßen. Aber wie geschah die Übertragung auf das Geld? Das ist nicht so ohne Weiteres ersichtlich. Erste Belege für diesen Gebrauch finden sich im Spätmittelhochdeutschen. Er ist im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Geldwirtschaft und der Herausbildung frühkapitalistischer Produktionsweisen zu sehen. Diese Voraussetzungen sind in Deutschland etwa gegen Ende des 13. Jahrhunderts gegeben. Mir bar sind Zahlungsmittel und Zahlungen in Münzen, also mit Geld, gemeint, kontrastierend zur unbaren Bezahlung mit Wechseln. Man zahlt also mit ‘bloßem’ Geld, mit ‘nacktem’ Geld. Frühe Belege umfassen “Daz ich von ime funfzic marc bares silbers emphangen han” und “Kumm ich auf den Fischmarkt, sehen die fischer bald, ob ich umb bargelt oder auf borg kaufen wöll”. (Haidacher, Bernhard: Bargeldmetaphern im Französischen. Pragmatik, Sprachkultur und Metaphorik. Berlin: Frank & Timme, 2015: 93-94)

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Demokratisierte Zockerei

Es gibt immer mehr Apps, die vor allem junge Menschen dazu veranlassen, an der Börse zu investieren. Das Problem ist, dass die Anleger eben nicht immer gewinnen. Die jungen, unerfahrenen Kunden der Neobroker können durch unbedachte Investitionen die Existenzgrundlage verlieren. Auch durch tragische Verwicklungen. Davon gibt Zeugnis der Fall eines jungen Amerikaners, Alex Kearns. Der hatte 5.000 $ über eine App investiert. Eines Tages zeigte ihm die App, er stehe mit 730.000 $ in der Kreide. Verzweifelt nahm er sich das Leben. In seinem Abschiedsbrief sagte er, er habe nicht gewusst, dass er so viel riskiere. Er habe geglaubt, dass er nur das Geld riskiere, das er tatsächlich besaß. Nach seinem Tod stellte sich heraus, dass es ein Anzeigefehler der App war, der ihn hatte glauben lassen, er stecke mit Hunderttausenden in den Miesen. (Luck, Jana, Nienhaus, Lisa, Rohwetter, Marcus, Tönnesmann, Jens: „Wir zocken an der Börse“, in: Die Zeit 12/2021: 19-20)

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Altbekannt

Wo liegt Ratisbona? Und wo Keulen und Plavno? Und Lyypekki, Chociebuz, Stoccarda und Trèves. wo liegen die? Alle in Deutschland natürlich. Genauso wie Herbipolis. So, wie wir ausländische Städtenamen eindeutschen und von Mailand und Venedig, von Moskau und Warschau und von Kopenhagen sprechen, so passen andere Sprachen unsere Ortsnamen an ihre Sprache an: So ist Ratisbona spanisch für Regensburg, Keulen Niederländisch für Köln, Plavno tschechisch für Plauen, Lyypekki finnisch für Lübeck, Chociebuz polnisch für Cottbus, Stoccarda italienisch für Stuttgart und Trèves französisch für Trier. Und was ist Herbipolis? Das ist Latein für Würzburg. (Weber, Gustav: Curiosa Germanica. München: Herbig, 2006: 257-260)

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