In dulci jubilo

Die von Philipp Wackernagel herausgegebene Anthologie deutscher Kirchenlieder verzeichnet 450 katholische und 3700 evangelische Lieder. Diese Blüte verdankt sich der Reformation. Luther wollte, dass die Gläubigen in ihrer eigenen Sprache singen. Bei den Reformierten gab es ursprünglich überhaupt keine Lieder. In der katholischen Kirche war das anders, aber auch hier hatte das Kirchenlied, wie wir es heute kennen, ursprünglich gar keinen Platz. Hier wurde auf Latein gesungen. Darin hatte der Gregorianische Gesang seine Blüte. Der ist heute in die Konzertsäle gewandert und in der Kirche so gut wie gar nicht mehr zu finden. Dass auch die Katholiken anfingen, in deutscher Sprache zu singen, verdankt sich der Gegenreformation. Ein schönes Beispiel für die Übergangszeit zwischen Latein und Volkssprache ist In dulci jubilo. Hier wechseln sich Latein und Deutsch ab: “In dulci jubilo/Nun singet und seid froh./Unsers Herzens Wonne/liegt in praesepio/und leuchtet wie die Sonne/matris in gremio/Alpha es et O.” Die lateinischen Wörter klingen geheimnisvoll, und man braucht gar nicht zu wissen, was sie bedeuten. Die lateinischen Messgesänge waren sowohl Bitte um Beistand als auch Lob Gottes. Aber: Warum muss Gott eigentlich gelobt werden? Fügt der Lobpreis seiner Herrlichkeit etwas hinzu? Braucht der Allmächtige das Lob? Dem italienischen Philosophen Giorgio Agamben zufolge hat der Gläubige durch das Lob Gottes Anteil an seiner Herrlichkeit. Andere sehen das anders: Das Gotteslob hat demzufolge heidnische Ursprünge und sein Vorbild in den Zustimmungsritualen der römischen Kaiserzeit, als die Volksmenge dem Herrscher zujubelte. Der Jubel hatte eine politische Bedeutung insofern, als sich aus der Stärke des Beifalls die Stärke der kaiserlichen Legitimität herleitete. (Greiner, Ulrich: “Labsal gegen den Verdruss”, in: Die Zeit 52/2013: 60)

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