Ein Bündel ist ein kleiner Bund, ein Knöchel ist ein kleiner Knochen, Märchen eine Verkleinerungsform von Mär. Die Wörter Ballett, Bankett, Flotille, Lanzette, Operette, Stilett sind Verkleinerungsformen von Ball, Bank, Flotte, Lanze, Oper, Stil. Auch wenn wir uns das im täglichen Gebrauch nicht klar machen, ist das einleuchtend. Aber dass Sockel eine kleine Socke ist, das leuchtet nicht so ohne Weiteres ein. Die Socke bezeichnete ursprünglich, im Lateinischen, keinen Socke, sondern einen Schuh, und zwar einen Schuh ohne festere Sohle und ohne Absatz, im Gegensatz zum Kothurn. Auf dieses soccus geht das deutsche Socke zurück. Neben dem soccus gab es auch im Lateinischen schon die Verkleinerungsform socculus. Davon wurden Fachwörter in der Baukunst abgeleitet, mit der Bedeutung ‘Säulenfuß’, ‘Untersatz’ usw. Wir haben also mit dem Wort auch die lateinische Verkleinerungsform übernommen, -ulus. Und die liegt auch vielen anderen Wörtern zugrunde: Pille, Skrupel, Kalkül (eigentlich ein ‘Steinchen’), Perle (eigentlich eine ‘kleine Birne’), Buckel (verwandt mit ital. bocca), Kuppel (verwandt mit engl. cup), Sichel, Formel, Zettel, Zwiebel, Zirkel, Fackel, Kachel, Furunkel (verwandt mit fur, ‘Dieb’, weil das Blutgeschwür als parasitärer Gast dem Menschen einen Teil seiner Nahrung wegnahm), Karbunkel, Floskel, Onkel (von avus, ‘Großvater’, ‘älterer Verwandter’), Tabernakel (verwandt mit Taverne), Artikel (abgeleitet von ars und verwandt mit Artillerie), und Muschel und Muskel (beide etymologisch ‘kleine Mäuse’). Auch die Rolle gehört dazu. Die ist abgeleitet von rotula, ‘kleines Rädchen’, Diminutiv von rota. Wie kam es hier zu der übertragenden Bedeutung? Die kommt aus der Bühnentradition. Der Anteil des einzelnen Schauspielers, seine Rolle, wurde auf handliche Streifen geschrieben, und die wurden, wie früher das Pergament, aufgerollt. Bei der Probe wurde dann nur die gerade relevante Stelle aufgedeckt, der Rest blieb aufgerollt. Der Schauspieler hielt seine Rolle in der Hand. (Storfer, Adolf Josef: Wörter und ihre Schicksale. Zürich: Atlantis Verlag, 1981: 522-528)
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