Ins Schwimmen geraten

Seit 20 Jahren beschäftigt sich der Wuppertaler Sportwissenschaftler Theodor Stemper mit der Frage der Schwimmfähigkeit der Deutschen. Ob deren Schwimmfähigkeit in den letzten 20 Jahren abgenommen habe oder nicht, kann er nicht sagen. Dazu seien die Ergebnisse der Studien zu widersprüchlich. Auf den zweiten Blick nicht verwunderlich. Wie soll man das zuverlässig nachweisen? In den Medien gibt es dennoch regelmäßig einen Aufschrei über die nachlassende Schwimmfähigkeit. Öffentliche Bäder würden geschlossen, und immer weniger Kinder lernten schwimmen, heißt es. Und nicht nur das: Die Zahl der Ertrinkenden sei dadurch gestiegen. Daran ist fast alles falsch: Wenn die Zahl der Ertrinkenden steigt, muss das nicht an der sinkenden Zahl der Schwimmer liegen. Menschen, die ertrinken, sind in der Regel Schwimmer. Sie überschätzen sich, sie haben Alkohol getrunken, sie erleiden einen Herzinfarkt. Nichtschwimmer meiden das Wasser. Außerdem sind die Zahlen schlichtweg falsch: Die Zahl der Ertrinkenden ist von 1119 im Jahre 1970 auf 404 im Jahre 2017 gesunken! Und es befinden sich nicht besonders viele Kinder unter den Ertrunkenen. Woher kommt dann die Legende von der sinkenden Schwimmfähigkeit? Sie beruht allein auf einer Zahl der DLRG. Danach machen immer weniger Kinder das Schwimmabzeichen. Das hat natürlich wenig zu sagen. Viele Kinder, sagt Stemper, machten kein Abzeichen, könnten aber dennoch schwimmen. Aber das ist keine Nachricht wert. Die Medien beschwören lieber das schlimme Szenario. Dem liegt etwas zugrunde, was man Negativitätsbias nennt: Schlechte Nachrichten verkaufen sich einfach besser. (Spiewak, Martin: “Was nicht in der Zeitung steht”, in: Die Zeit 40/2018: 35-36)

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