Landhunger

Man mag es kaum glauben, aber der Kolonialbesitz Deutschlands war der drittgrößte aller europäischen Mächte: Togo, Kamerun, Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Neuguinea, die Marschallinseln, die Karolinen und die Marianen und das deutsche Gebiet um Tsingtao in China gehörten dazu. Dabei dauerte die Kolonialherrschaft gerade mal drei Jahrzehnte, und anfangs wollten gar keiner von Kolonien sprechen. Das Reich überließ es Privatleuten, das Land zu erschließen. Gemessen an der knappen Zeit richteten die deutschen ein enormes Maß an Unheil an. Willkürliche Gewalt gegen die Bevölkerung, Zwangsarbeit, eine rassistische Rechtsprechung, sexueller Missbrauch gehörten zum Alltag. Die Männer, die sich dort breitmachten, waren meist solche, die zuhause zu den Verlierern zählten: Sorgenkinder, schwarze Schafe aus Adelsfamilien, Büregliche, die in der adeligen Gesellschaft zuhause keine Aufstiegschancen hatten. Das Nebeneinander von Schwäche und Gewalttätigkeit trag dann besonders zutage, als es dem Ende zuging, zwischen 1914 und 1918. Zu wirtschaftlichem Gedeihen und zivilisatorischem Fortschritt hat der deutsche Kolonialismus nirgendwo beigetragen. Das Ziel war die Etablierung von Absatzmärkten und der Abbau von Rohstoffen. Zu einem würdigen Umgang mit den Opfern haben wir bis heute nicht gefunden. Zu wenig gerät die deutsche Kolonialherrschaft ins Bewusstsein angesichts der Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. (Staas, Christian: “Der Untergang”, in: Die Zeit 40/2018: 20-21)

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