Armes Land?

Armut ist ein Faktum. Auch in entwickelten Ländern. Auch in Deutschland. Aber Armut ist relativ. Georg Cremer, Vorsitzender der Caritas, plädiert für eine differenzierte Sicht der Armut. Über steigende Armut zu klagen, ist notwendig. Aber man solle auf Problemlösungen fokussieren. Die kurzfristige Eruption folgenloser Empörung, die man immer wieder erlebe, schade dem Umgang mit der Armut. Wenn man sagt, 15 Millionen Menschen in Deutschland lebten unter der Armutsschwelle und daneben Bilder von Menschen zeigt, die auf der Straße leben oder im Müll nach Essen suchen, dann verfälscht man die Situation. Die Schwelle zur Armut liegt je nach Berechnungen zwischen 915 und 1050 €. Deshalb sind die meisten Studenten und Auszubilidende,  die nicht zuhause wohnen, in der Armutsstatistik. Sie sind relativ arm, aber nicht absolut arm. Das wird in der Öffentlichkeit aber anders wahrgenommen. Armut wird auch daran gemessen, dass Menschen Hilfe bekommen. Aber es ist kein Ausdruck sozialer Härte, wenn Menschen Hilfe bekommen. Dass es Tafeln gibt, ist nicht an sich besorgniserregend. Der Harzt-IV-Empfänger, der zur Tafel geht, handelt rational. Er spart sein Geld für andere Dinge. Und nach dem Krieg hätte man gar nicht so viele Tafeln betreiben können, weil man damals nicht so viele Lebensmittel weggeworfen hat. Die empirischen Fakten geben ein anderes Bild ab als die öffentliche Wahrnehmung. Wenn man sagt, der Anteil der Armen unter den Arbeitslosen sei gestiegen, dann kann man das beklagen. Man kann es aber auch positiv wenden: Der Anteil der Arbeitslosen mit Hartz IV unter allen Arbeitslosen ist gestiegen, weil die anderen eine Arbeit gefunden haben. (Bohsem, Guido & Öchsner, Thomas: “Es wäre völlig abstrus, Kalkutta mit Deutschland zu vergleichen”. Interview mit Georg Cremer, in: Süddeutsche Zeitung 35/2016: 22)

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