Gluten oder Gluten?

Früher hieß es Gluten. Heute heißt es Gluten. Kein Unterschied? Doch. Die Betonung ist anders. Früher war die Betonung auf der ersten, heute ist sie auf der zweiten Silbe. Und mit dem Betonungswechsel  haben sich auch die Konnotationen verändert. Das Gluten war normal, es war weder gut noch schlecht, auf jeden Fall aber zweckdienlich. Es hielt den Teig zusammen. Heute ist es böse. Es muss unter allen Umständen gemieden werden. Überall findet man glutenfreie Produkte. Die meisten, die sie kaufen, brauchen sie nicht. Nur 1% der Bevölkerung hat eine Empfindlichkeit gegen Gluten. 25% glauben, sie zu haben. Sie tun damit in erster Linie der Lebensmittelindustrie einen Gefallen. Und sich selbst. Sie lenken  die Aufmerksamkeit auf sich. Sie werden beachtet.  Sie sind anders als die anderen, empfindlicher, etwas Besonderes (noch!).  Ein Zeichen unserer Zeit? Vielleicht. In früheren Zeiten konnte man nicht so wählerisch sein. Man war froh, dass es überhaupt etwas zu essen gab. Aber es gibt einen Vorläufer, eine literarische Figur, eine Figur in einem Theaterstück, das ganze Buhei vorwegnimmt: Molières Eingebildeter Kranker. Die Literatur eilt der Wirklichkeit voraus.

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