Vor der Haustür

Statt auf Bäume stoße ich auf Bagger. Es wird gebaut im Park, umgebaut. Ein Teil des Parks fällt neuen Krankenhausgebäuden zum Opfer. Das Schöne muss dem Nützlichen weichen.  Der Baumparcours ist aber noch zum Teil begehbar. Es sind Bäume aus allen Teilen der Welt angepflanzt worden, jeweils einer, als Demonstrationsobjekt sozusagen.  Es ist jetzt keine günstige Jahreszeit, man sieht keine Blüten (mehr) und (noch) keine Früchte. Aber der Rundgang wird zu einer sprachlichen Entdeckungsreise. Die Bäume haben phantastische Namen: Schnurbaum, Zerreiche,  Rostbartahorn,  Taschentuchbaum, Götterbaum, Judasbaum, Teufelskrückstock. Wunderbar! Im Zentrum des Parks steht eine moderne Skulptur, der Brunnen des Lebens. Rund um den zentralen Pfeiler eine Figurengruppe. Eine Mutter, die ihre Hände noch beschützend um die Hüfte des sich von ihr abwendenden Kindes hält, es aber nicht mehr festhält, es in die Selbständigkeit entlässt. Auf der anderen Seite ein Junge, barfuß, mit bequemer Hose, der faulenzend herumsitzt, lächelnd, den Ellbogen auf Bücher gestützt, die Schulbücher vermutlich. Die Muße, das Nichtstun als eine der Bestimmungen des Menschen. Auf der anderen Seite ein alter Mann mit einem Buch in der Hand. Er liest. Er lernt. Life-long learning ist das Stichwort. Zu ihm krabbelt ein kleines Kind hoch, neugierig auf das Buch blickend. Wissensbegierde, Entdeckerfreude, dem Menschen von Natur aus mitgegeben. Und oben auf dem Brunnen steht eine Frau, die Flöte spielt. Die Muse. Die Kunst als im wahrsten Sinne höchste Bestimmung des Menschen. 23 Jahre habe ich gebraucht, um diesen Park zu entdecken. Er liegt, beinahe, vor der Haustür.

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