29. Dezember (Montag)
La Paz ist die höchstgelegene Hauptstadt der Welt. Stimmt nicht! Sagen die, die es besser wissen. Warum nicht? Weil La Paz nicht die Hauptstadt Boliviens ist. Das ist nämlich Sucre. Jedenfalls de jure. De facto ist La Paz aber doch die Hauptstadt, jedenfalls ist es der Regierungssitz. Und auf jeden Fall ist es hochgelegen: 3.650 Meter.
Um gewappnet zu sein, kaue ich schon auf der Hinfahrt Koka-Blätter. Ob’s zu etwas gut ist, weiß ich nicht. Was ich aber weiß: Das Zeug schmeckt scheußlich.
Schon vor der Grenze machen wir mitten auf der Strecke irgendwo unvermittelt Halt. Hier gibt es eine Wechselstube. Wie praktisch. Und außerdem auf dem Hinterhof ein ganz ordentliches WC. Hier auf dem Hinterhof stehen ein paar Lamas herum, die uns friedlich und gleichzeitig neugierig ansehen.
Obwohl fast alle wechseln wollen, geht es hier wie am Schnürchen, ohne Formulare und Ausweise. Ich bekomme sogar mein Kleingeld gewechselt. Am Ende bekomme ich 170 Bolivianos. Als Faustregel habe ich mir 1:10 zurechtgelegt, das rechnet sich einfach. Sind demnach 17 €.
Auf den Geldscheinen wie auf den Münzen steht Estado Plurinacional de Bolivia. Darauf wird Wert gelegt. Auf einem der Geldscheine erscheint Sucre, der Namensgeber der Stadt.
Es geht weiter, und die Gegend bleibt ländlich. Auf den Wiesen stehen viele Kühe und Esel, vor allem aber Schafe.
Dann wird es städtisch und wir fahren in einen von hohen Mauern umgebenen Hof. Hier ist die Grenzkontrolle.
Glücklicherweise kontrollieren hier sowohl die peruanische als auch die bolivianische Seite, aber das bedeutet nicht, dass es schnell vorangeht. Wir müssen unser gesamtes Gepäck aus dem Bus holen und vor dem Gebäude warten. Da sind erst noch andere dran. Gott sei Dank regnet es nicht.
Dann geht es endlich weiter, ins Gebäude rein. Bei der peruanischen Seite sind nur zwei Schalter besetzt, aber an einem davon geht es gar nicht weiter. An dem steht eine Frau aus Nordkorea! Mittels eines Dolmetschers verhandelt sie mit der Frau hinter dem Schalter.
Wenn man einmal dran ist, geht es ruckzuck. Dann kommt die bolivianische Seite. Hier gibt es nur einen Schalter. Krampfhaft halte ich mein im letzten Moment im Internet ergattertes Ticket für die Ausreise aus Bolivien in der Hand, und dann wird gar nicht danach gefragt.
Dann kommt die nächste Schlange. Hier wird ein Einreiseformular überprüft. Das gibt es aber nur elektronisch, und da ich kein Internet habe, konnte ich es im Bus nicht ausfüllen. Jetzt muss es im Stehen in der Schlange ausgefüllt werden. Der uniformierte Mann aus dem Bus hilft mir. Er wählt mich hier in das Netz der Grenzkontrolle ein. Dann wandert das Handy immer zwischen ihm und mir hin und her, mal gibt er Daten ein, mal ich. Die Nummer meines Reisepasses kann ich inzwischen auswendig. Aber mein Geburtsdatum nimmt das Formular nicht an. Der Mann ist hilfsbereit, aber nicht sehr geduldig. Ob ich noch nie durch eine Grenzkontrolle gegangen sei, will er wissen.
Am Ende klappt es dann doch. Jetzt müssen wir nur noch durch die Gepäckkontrolle.
Bei der Weiterfahrt wird klar, dass die Straßen in Bolivien eher schlechter sind als in den Nachbarländern. Trotzdem kommen wir gut voran. Der Himmel zieht sich immer weiter zu, und es fängt an zu regnen.
Dann kommt eine Stadt in Sicht, die so groß ist, dass es nur La Paz sein kann. Wir sind eine Stunde früher da, als ich gedacht habe. Bolivien ist nämlich eine Stunde weiter.
Es schüttet aus allen Kanälen. Dunkle Wolken über uns, ganz hinten ein weißer Streifen, durch den helles Licht sich seinen Weg bahnt.
Als der Bus ein Wendemanöver macht, um in den Busbahnhof einzubiegen, sehe ich oben an dem Gebäude zu meiner Seite Cervecería Nacional de Bolivia. Das ist das erste, was ich von La Paz zu sehen bekomme.
Der Busbahnhof ist in einer großen Halle mit Glasdach untergebracht. Hier geht es sehr geschäftig zu, und laut.
Ich suche ein WC und kaufe dann an einem Stand einen Kaffee und ein Brötchen. Als ich gerade sitze, spricht mich ein Mann an, auf Englisch. Er wolle einfach nur ein Schwätzchen halten. Es stellt sich heraus, dass er Argentinier ist, aus Buenos Aires. Und Deutsch kann! Wir unterhalten uns auf Deutsch weiter, und ich erzähle von meiner argentinischen Freundin in der Heimat und von der argentinischen Freundin aus Jujuy und von den Freunden aus Buenos Aires. Verrückter Zufall. Sein Deutsch ist gut, manchmal rutscht ihm auch etwas auf Französisch raus.
Er sagt mir, ich solle die offiziellen Taxis draußen direkt vor dem Eingang nehmen. Die haben einen eigenen Halteplatz. Und auf den Wagen steht eine Telefonnummer, und daneben steht Terminal.
Dort bekomme ich ein Taxi. Es geht nach Sopocachi. Das liegt etwas außerhalb, weiter vom Zentrum entfernt, als ich dachte. Erst geht es durch den engen Innenstadtverkehr, dann wird es ganz ruhig. Vorsichtshalber hupt der Fahrer aber an jeder Kreuzung. Er kündigt sein Kommen an.
In Sopocachi ist er sich nicht ganz sicher, welches das richtige Haus ist, und am Ende setzt er mich vor dem falschen Haus ab, mit der Begründung, das sei das einzige sechsstöckige in der Gegend. Stimmt nicht. Um die Ecke ist noch eins. Das ist meins.
Der Vermieter hat den Portier eingeweiht und jetzt gerade noch mal mein Kommen angekündigt. Und prompt erscheint der auch auf der Treppe und macht das Gitter auf.
Hier geht alles mit einer elektronischen Karte. Der Portier erklärt mir, wie ich die beim Rausgehen und wie ich die beim Reingehen und wie ich die im Aufzug einsetzen muss.
Oben vor der Wohnung ist ein Schlüsselkästchen. Mit denen habe ich immer meine liebe Mühe und Not. Aber der Portier hilft mir.
Jetzt gibt es nur noch ein Problem. Es gibt zwei Türen, die man öffnen muss, eine eiserne und eine hölzerne, aber nur einen Schlüssel. Die Erklärung: Die erste Tür ist nicht abgeschlossen.
Das Apartment, das eigentlich nur meine zweite Wahl war und auch etwas außerhalb liegt, lässt keine Wünsche offen: zwei Schlafzimmer, zwei Badezimmer, eine voll eingerichtete Küche, ein geschmackvoll eingerichtetes Wohnzimmer, eine Waschmaschine und ein richtiger, großer, stabiler Schreibtisch.
Direkt vom Schreibtisch aus sieht man die Gondeln von Mi Teleférico durch die Luft schweben, die gelbe Linie. Mi Teleférico ist eine geniale Erfindung, eine originelle Maßnahme zur Entlastung des Verkehrs der Innenstadt und zur Anbindung der Höhenstadtteile an die Innenstadt. Stammt aus der Zeit von Evo Morales. Inzwischen gibt es sechs Linien, jede durch eine andere Farbe markiert.
Ich ordne meine Sachen und mache Kassensturz: 1 Boliviano fürs WC, 15 für Kaffee und Brötchen, 30 fürs Taxi, macht 46. Knapp 5 Euro.
Da ist noch ein bisschen übrig. Ich drehe eine Runde durch dieses auffallend ruhige Viertel, entdecke ein Lädchen und bekomme ein paar Kleinigkeiten, mit denen ich die Zeit bis morgen früh überbrücken kann.