Mozart-Effekt

Der Mozart-Effekt: Paradebeispiel für fragwürdige Forschung und die fragwürdige Wiedergabe von Forschungsergebnissen an die Öffentlichkeit. Und eine Öffentlichkeit, die diese Ergebnisse mit religiöser Inbrunst aufnimmt: Mozart-Musik, so hieß es, verbessere die kognitiven Leistungen von Studenten. Das hatten Frances Rauscher und Gordon Shaw von der University of California in einem Experiment “nachgewiesen”. Es wurde kolportiert, klassische Musik mache Kinder kreativer, intelligenter und geistig gesünder. Auf einer wilden Begeisterungswelle versorgten ehrgeizige Eltern ihre Babys mit klassischer Musik, und der Gouverneur von Georgia versprach, jedes Baby von Seiten des Staates mit einer CD mit klassischer Musik auszustatten. Den Skeptikern wollte, wie immer, niemand mehr zuhören. Die machten darauf aufmerksam, dass a) der Effekt nach einer Viertelstunde wieder verpufft war, dass b) jede Musik diesen Zweck erfüllte und dass c) überhaupt jede geistige Anregung diesen Zweck erfüllte. Es musste nicht Mozart sein, es konnte auch Stephen King sein. Die Legende verbreitete sich trotzdem. Dass Musik irgendwie das Gehirn beeinflusst, steht (fast) außer Frage, die Frage ist nur: wie? Und wie kann man das nachweisen? Wenn Kinder, die ein Instrument spielen, bessere Sprachleistungen erbringen als Kinder, die kein Instrument spielen, muss das nicht am Musikunterricht liegen. Vielleicht haben überdurchschnittlich sprachbegabte Kinder einfach mehr Interesse an Musik. Oder vielleicht sind Eltern, die ihre Kinder ein Instrument erlernen lassen, einfach wohlhabender und gebildeter als andere Eltern und fördern ihre Kinder mehr. Es besteht also eine Korrelation, kein Kausalzusammenhang zwischen den beiden Phänomenen. Ob sich Musik auf den IQ oder überhaupt auf andere Fähigkeiten oder die Persönlichkeit auswirkt, ist schwer nachzuweisen. Dazu müsste man eine repräsentative Gruppe von Kindern aus allen sozialen Schichten haben und sie viele Jahre lang beobachten. Man müsste also eine Längsschnittstudie machen. Man könnte dann per Los entscheiden, welche Kinder Kunst- und welche Kinder Musikunterricht bekommen und könnte dann sehen, welcher der Kinder den besseren Schulabschluss bekommen. Aber das machen erfahrungsgemäß weder Eltern noch Kinder mit, und für die Forscher ist es eine zeit- und kostenintensive Angelegenheit. Man könnte auch versuchen, herauszufinden, ob sich Musik auf die sozialen Fähigkeiten der Kinder auswirkt. Werden Kinder durch Musik emphatischer, friedlicher, kooperativer? Schön wär’s. Immerhin berichten viele Musiklehrer, dass sich die Atmosphäre in der Klasse schlagartig ändert, wenn der Musikunterricht beginnt und auch ausgewiesene Rabauken ihre Instrumente mit Sorgfalt behandeln. Auch das beruht aber zunächst einmal nur auf Beobachtungen. Stichhaltige Nachweise gibt es kaum. Man sollte Musik um der Musik willen ausüben, nicht um irgendwelcher Nebeneffekte willen. (Drösser, Christoph: “Machen Töne schlau?”, in: Die Zeit 26/2014: 31-32)

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