Wenn es um den Nationalsozialismus geht, hört man bei feierlichen Anlässen immer wieder den Satz, “so etwas dürfe nie wieder geschehen”. Das macht sich natürlich gut. Man nimmt statt Schuld Verantwortung auf sich. Alle, Junge wie Alte, sehen betroffen und unglaublich klug aus. Selbst fühle ich mich immer unwohl bei solchen Gelegenheiten. Schon deshalb, weil sich alle einig sind. Aber auch deshalb, weil ich mir Fragen stelle, die keiner beantwortet: Wie kann so etwas überhaupt wiederkehren, wenn die Verbrechen der Nazis, wie es immer heißt, “unvergleichbar” sind? Was bedeutet eigentlich “so etwas”? Wie kann man “so etwas” verhindern, wenn man gar nicht weiß, wie es aussieht? Es kann doch wohl nicht gemeint sein, dass der Nationalsozialismus wieder in der gleichen Form aufersteht. Dann könnte man ihn leicht erkennen. Aber wie sollte man ihn verhindern? Ich wüsste jedenfalls nicht, was ich dann tun sollte. Auswandern? In den Untergrund gehen? Reden halten? Mich einsperren lassen? Bei keiner dieser Aktionen hätte ich die Hoffnung, dass ich damit “so etwas” verhindern könnte. Und wenn “so etwas” nicht als Nationalsozialismus wiederkommt, wie kann ich es dann als “so etwas” identifizieren? Bisher habe ich immer geglaubt, ich wäre der einzige, der sich bei diesen feierlichen Reden unwohl fühlt. Jetzt habe ich in einer Radiosendung erfahren, dass das nicht so ist. (Seitz, Norbert: “Die Nazi-Keule oder: Der Fluch der bösen Tat”, in: Deutschlandfunk 15/12/2013). Kein geringerer als Jan Philipp Reemtsma misstraut der gängigen Formel von den “Lehren aus der Geschichte”. Karl-Heinz Bohrer misstraut dem geschichtspolitischen Frieden einer offiziellen Kommemoration. Wir stehen dem Phänomen immer noch ziemlich hilflos gegenüber.
Zitate
La vie est trop courte et Proust est trop long
— Anatole France-
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