Die Nazikeule

“Das hört nie auf, nie hört das auf”, hat Günter Grass gesagt. Doch er selbst hat auch die dazu beigetragen, dass es nie aufhört, das mit den unsinnigen Nazi-Vergleichen, zuletzt, als er das Medienecho auf sein Gedicht über Israel als “Gleichschaltung der Presse” bezeichnete. Wir scheinen wirklich nicht davon loszukommen. Die Nazi-Spur ist tief in unserem kollektiven Bewusstsein verlegt, und immer wieder wird die Nazi-Keule als beleibtes Denunziationsmittel geschwungen. Sie hat den Kalten Krieg, die Entspannungspolitik, die historische Wende von 1989, die Bonner Republik und 9/11 überlebt. Sie wird im Inland wie im Ausland geschwungen: Adenauer verglich den Druck, der in der DDR auf die Bevölkerung ausgeübt wurde, mit dem Druck, den der Nationalsozialismus durch Gestapo und Konzentrationslager ausübte; Adorno sprach während der Studentenbewegung von einer Pogromstimmung gegen die Studenten; Hertha Däubler-Gmelin  verglich George W. Bush mit Hitler nach dessen Einmarsch in den Irak. Berlusconi verglich Martin Schulz mit einem KZ-Wächter; Erika Steinbach wurde in der polnischen Presse als revanchistische Domina in brauner Kluft dargestellt; Angela Merkel wurde auf Protestmärschen in Griechenland mit Hakenkreuz und Hitler-Bärtchen dargestellt. In der islamischen Welt wird Israel mit Hitler-Deutschland gleichgesetzt, und selbst in der Knesseth ist ständig von SS-Schergen und Nazi-Buben die Rede. Dabei wird doch sonst ständig und bekennerhaft die Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit der Naziherrschaft betont. Der Holocaust ist zu einer enthistorisierten Metapher für das absolut Böse geworden. Dabei steckt paradoxerweise in jedem Nazivergleichstäter auch ein Nazivergleichsopfer. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan J. Kramer, bescheinigte Sarrazin, er habe mit seinem Gedankengut “Göring, Hitler und Goebbels alle Ehre” erwiesen. Und Sarrazin selbst verdammt die Euro-Bonds als eine Art “Buße für den Holocaust”. Brandt, Bush, Geissler, Gorbatschow sind ebenfalls Täter und Opfer. Wir sind eingenebelt von einer obsessiven Vergangenheit und sind immer noch hilflos im Umgang mit dem Fortleben des Nationalsozialismus. Am besten zusammengefasst hat es Eberhard Jäckel: “Die Deutschen sind von Hitler befreit worden und werden ihn doch niemals loswerden”. (Seitz, Norbert: “Die Nazi-Keule oder: Der Fluch der bösen Tat”, in: Deutschlandfunk 15/12/2013).

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