Eine Studentin sagte mir einmal über einen Dozenten, er habe ihr in der Cafeteria „so nett zugewunken“. In der Fußballberichterstattung heißt es manchmal, der Linienrichter habe „schon längst vorher abgewunken“. Das ist kurios. Das Partizip von winken ist natürlich (natürlich?) gewinkt, nicht gewunken. Jedenfalls war es das, und als ich klein war, gab es unter den Kinderreimen, mit denen man sich über falsche sprachliche Formen lustig machte, auch einen zu winken, so etwas wie „Sie hat mir gewunken, das hat mir gestunken“. Das nahm natürlich keiner ernst, und es war klar, dass gewunken nicht in Frage kam. Die Regel war eindeutig. Aber das nützt alles nichts. Wenn es eine Regel gibt, an die sich keiner hält, verliert die Regel ihre Gültigkeit, und es muss eine neue Regel her, die das zur Regel macht, was alle sagen. Und das scheint bei gewunken der Fall zu sein. Eine Zeit lang werden beide Formen nebeneinander bestehen, und schließlich wird gewinkt vielleicht ganz verschwinden, und es wird nur noch gewunken übrig bleiben. Das wäre nicht weiter bemerkenswert und ein ganz normaler Fall von Sprachwandel, wenn es nicht dem zuwider liefe, was wir „normalerweise“ erwarten würden. Sprachen haben eine Tendenz zur Vereinfachung, und so wäre die Entwicklung gewunken > gewinkt, also die Abschaffung der „unregelmäßigen“ Form, zu erwarten, nicht umgekehrt. Aber es muss auch den umgekehrten Prozess geben, sonst müssten ja alle Sprachen, zumindest morphologisch, immer einfacher werden. Mein Erklärungsversuch für die „unregelmäßige“ Form sieht so aus: Der Sprecher, besonders der gebildete Sprecher, hat unterschwellig die Furcht, als „ungebildet“ zu gelten, und greift zu der „schwierigeren“ Form. Er nimmt ein Hindernis, das es gar nicht gibt.
Zitate
Kunst ist, wenn man’s nicht kann, denn wenn man’s kann, ist’s keine Kunst.
— Nestroy-
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