Seine Berühmtheit bis auf den heutigen Tag verdankt er einer Hinrichtung. Einer durch ihn veranlassten Hinrichtung. In der äthiopischen und in der koptischen Kirche ist er sogar ein Heiliger: Pontius Pilatus. Pilatus war, wie eine 1961 entdeckte Inschrift belegt, Präfekt von Judäa. Er trat das Amt im Jahre 26 als fünfter Präfekt an, eine Auszeichnung für seine Verdienste. Pilatus residierte in Cäsarea, nicht in Jerusalem. Nach Jerusalem war er, als es zu dem Prozess gegen Jesus kam, nur wegen des Passahfestes gekommen. Präfekt zu sein, war keine leichte Aufgabe: Pilatus war dem Kaiser verantwortlich, aber auch dem Oberstatthalter in Syrien und den jüdischen Würdenträgern. Eine Gratwanderung. Zur Erfüllung seiner Aufgaben standen ihm nur 3.000 Soldaten zur Verfügung, meist Hilfstruppen aus der Region. Einen Aufstand durfte er nicht riskieren. Er musste sich im Zweifelsfall auf die Seite des Hohen Rates schlagen. Pilatus residierte nicht etwas in Jerusalem. Er war nur des Passahfestes wegen gekommen. Welche Rolle er in dem Prozess gegen Jesus spielte, ist unklar. Jedenfalls ist es nicht so gewesen, wie die Evangelien berichten. Erstens gab es damals vermutlich gar keine Festtagsamnestie und zweitens hätte Pilatus gar kein Begnadigungsrecht gehabt, wenn es um Hochverrat ging. Das war dem Kaiser vorbehalten. Es kann dann also auch keine (jüdische) Menschenmenge gegeben haben, die „Kreuzige ihn!“ gerufen hat. (Auch das Waschen der Hände als Zeichen der Unschuld war bei den Römern nicht üblich). Historisch wahrscheinlich ist es jedoch, dass die jüdische Elite Jesus an Pilatus überstellte, mit dem Vorwurf, er sei ein politischer Unruhestifter. Für religiöse Fragen interessierte sich Pilatus nicht, und er war dafür auch nicht zuständig. Das religionsgesetzliche Verfahren musste also in ein politisches umgewandelt werden. Es fand vermutlich öffentlich statt, vor dem herodianischen Palast, in dem Pilatus während seines Aufenthalts wohnte. Wenn Jesus nicht die Anklage, er erhebe den Anspruch, der König der Juden zu sein, widerlegen konnte oder wollte, war sein Urteil gefällt. In jedem Fall konnte nur der Statthalter die Todesstrafe verhängen, selbst wenn Kaiphas vorher ein Urteil gefällt haben sollte. Sich die Hände in Unschuld zu waschen, ist also nicht angebracht. Und warum ist Pilatus trotzdem ein Heiliger in der äthiopischen und in der koptischen Kirche? Weil er seinen Teil dazu beigetragen hat, dass Jesus durch seinen Opfertod die Menschheit erlöste! (Gatterburg, Angela: „Das Urteil“, in:Großbongardt, Annette & Pieper, Dietmar (Hg.): Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums. München, Deutsche Verlags-Anstalt, 2/2012: 123-129)