Una negrigura

„Terni, vieni qui!“. So schallt es durch das Haus, wenn Terni seine Zeit mit nutzlosen Plaudereien mit der Familie verbringt, statt sich die Gesteinssammlung im Arbeitszimmer des Vaters anzusehen. “Non faccia il sempio!“. „Non faccia il paglioacchio!“. Das aufbrausende Temperament des nie von irgendwelchen Zweifeln geplagten Vaters trifft den Freund und Kollegen genauso wie alle anderen. Natalia, das Dienstmädchen, wenn sie mal wieder seine Bücher durcheinander gebracht hat, ist „una demente“, und das sagt er auch, wenn sie in Hörweite ist. Natalia hat sich längst daran gewöhnt und bleibt der Familie fünfzehn Jahre erhalten. Mit gleicher Missachtung jeder political correctness, die es damals ohnehin noch nicht gab, nennt er alles, was ihm gegen den Strich geht, „una negrigura“. Im Zug ein Gespräch mit Mitreisenden zu beginnen: „una negrigura“; sich die kalten Füße am Ofen wärmen: „una negrigura“; Servietten mitnehmen, um sich beim Picknick die Hände zu reinigen: „una negrigura“.  Zum Leidwesen der Kinder, die auf die unendlichen Wanderungen mitgeschleppt werden, sind leichte Sportschuhe ebenfalls „una negrigura“, und die Kinder, mit ihren groben, bleischweren, nägelbeschlagenen Wanderschuhen, beäugen neidisch die „neri“, die anderen Kinder, die es sich mit ihren leichten Schuhen an Rastplätzen gemütlich machen und über Gebäck und Sahne herfallen: “una negrigura”, versteht sich. (Ginzburg, Natalia: Lessico famigliare. Torino: Einaudi, 2014: 3-14)

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