Endlich jemand sein wollen

“Das habe ich mir alles nur ausgedacht, weil ich endlich jemand sein wollte in dieser Welt.” So begründet Sture Bergwall, warum er 33 Morde gestanden, aber nie begangen hatte. Wenn er schon nicht geliebt werden konnte, wollte er wenigstens gehasst werden. Das klappte. Er war zu der Zeit wegen “kleinerer” Vergehen, sexuellen Belästigungen und einem Banküberfall, in Säter, der bekannten schwedischen psychiatrischen Anstalt, eingesperrt und sollte bald entlassen werden. Für sein neues Leben hatte er den Namen Thomas Quick angenommen. Er sah, wie Mörder und Vergewaltiger in der Klinik mehr Aufmerksamkeit bekamen als andere und machte sich selbst zu einem. Am Ende wurde er für 8 begangene Morde zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Er reklamierte so gut wie jeden unaufgeklärten Mord des Landes für sich. Mit Erfolg. Er rannte überall offene Türen ein. Die schwedische Öffentlichkeit “brauchte” einen Serienmörder, und die Justiz glaubte ihm gerne. Sein Anwalt äußerste keinen Zweifel an der Schuld seines Mandanten, die Vernehmungen wurden von einem einzigen Polizisten geführt, der Gutachter ließ Szenen nachstellen und ignorierte es einfach, wenn etwas nicht passte, die Psychologin erklärte Bergwalls Unkenntnis der Vorgänge damit, dass er alles verdrängt habe, und das Gericht ignorierte die Tatsache, dass es, wie sonst bei Serienmördern, kein durchgehendes Muster für die Morde gab. Erst ein Journalist, Hannes Råstam, brachte den Fall wieder ins Rollen. Ihm gelang es, Bergwall, der den Namen Thomas Quick wieder abgelegt und sich aufs Schweigen verlegt hatte, wieder zum Reden zu bringen. Alle sechs Prozesse, in denen Bergwall verurteilt worden waren, wurden wieder eröffnet, alle Revisionen hatten Erfolg,  und Bergwall wurde in allen Fällen freigesprochen. Jetzt soll geklärt werden, ob Bergwall frei kommen kann, denn er ist immer noch in Säter festgehalten. Die Psychologen wollen ihn da behalten. Leif GW Persson, ein Professor für Kriminologie und Verfasser von Krimis, der Bergwall nie geglaubt hatte, ist für dessen Freilassung. Bergwall sei ein Mythomane, aber nicht gefährlich. (Müller, Daniel: “Er war es nicht”, in: Zeitliteratur46/2013: 4-9). Zufällig lese ich zur gleichen Zeit einen Bericht über eine deutsche Frau, die ihren Vater wegen Vergewaltigung anklagte und ihn ins Gefängnis brachte. Erst 17 Jahre später gesteht sie, dass sie alles frei erfunden hatte. Wollte auch sie “nur” Aufmerksamkeit? Auch hier tat die Justiz alles, um ihr zu glauben und wenig, um ihre Aussagen zu hinterfragen. (Stelzer, Tanja & Raether, Elisabeth: “Die Lüge ihres Lebens”, in Die Zeit 46/2013: 17-19).

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