Krähen auf Kirschbäumen

Irgendwo fand ich folgende Geschichte zu Goethes Gedicht “Über allen Gipfeln
ist Ruh”. Das Gedicht wurde 1902 ins Japanische übertragen, und dann für eine Sammlung japanischer Lyrik (!) ins Französische übersetzt, und von dort zurück ins Deutsche:,

Über allen Gipfeln
ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vöglein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

Soweit Goethe. Nun die Übersetzung.
Stille ist im
Pavillon aus Jade.
Krähen fliegen
Stumm
zu beschneiten
Kirschbäumen im Mondlicht.
Ich sitze und weine.

Als ich mein Amüsement mit einem polyglotten Freund teilen wollte, schrieb der erst einmal zurück, dass es dafür keinen Beleg gebe. Wahrscheinlich sei das Gedicht einfach eine Parodie und die Geschichte dazu erfunden. Das ist, jedenfalls auf den zweiten Blick, ganz einleuchtend. Es wäre einfach zu schön, um wahr zu sein. Dann aber schrieb er nochmal zurück, mit folgender Anmerkung: In der japanischen Mythologie
sind sowohl Krähen als auch Kirschbäume Symbole des Todes. Tote werden oft unter einem Kirschbaum begraben. Einem Mythos zufolge sind die Kirschblüten erst weiß und werden, nachdem jemand unter dem Baum begraben wurde, rosarot und schließlich rot. Wenn das stimmt, ist es doch eine Übersetzung oder, wenn nicht, eine teuflisch gelungene, doppelbödige Parodie.

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