Mauer-Kick

Was machen Kinder, wenn sie eine niedrige Mauer sehen? Sie klettern rauf und laufen an der Hand eines Erwachsenen die Mauer entlang. Das machen alle Kinder bei allen Mauern, so wie alle Kinder in alle Pfützen springen. Es ist geradezu zwanghaft. Warum machen sie das? Dazu habe ich dieser Tage irgendwo eine Erklärung gelesen: Das Laufen auf der Mauer gewährt eine Erfahrung der kontrollierten Angst, eine höchst befriedigende menschliche Erfahrung. Die Mauer ist im Verhältnis zu der Größe der Kinder hoch, es ist also mit Erregung verbunden. Gleichzeitig gibt die Hand des Erwachsenen Sicherheit. Eine perfekte Verbindung. Die technisch kompliziertere Entsprechung dazu ist der Flugsimulator. Kann ja nix passieren. Aber wir erfahren, wie es wäre, wenn wir im Flugzeug säßen. Und so ist es auch mit der Literatur, von der hohen bis zur populären. Wir durchleben Erfahrungen, die wir sonst nicht durchleben würden, stellvertretend für die Protagonisten, und mit der Sicherheit, dass wir am Ende mit dem Leben davonkommen. Auch wenn der Held stirbt.

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