Mythos Revolution

Die kubanische Revolution ist eine Revolution sui generis. Sie ist und war eine nationalistische, fidelistische, lateinische Revolution. Und das System, das durch sie hervorgegangen ist, unterscheidet sich von anderen kommunistischen Systemen. Zum einen gibt es in Kuba keinen Personenkult. Man sieht kaum mal ein Bild von Fidel Castro, von Marx und Lenin sowieso nicht, und auch kaum mal von Che Guevara. Der einzige “Held”, den Kuba hat, ist José Martí (auf den sich auch Fidel Castro immer beruft und dessen Werk er eingehend studiert hat), und der tritt meist in Form von Zitaten auf. Kurios ist auch, dass Fidel Castro kaum jemals etwas publiziert hat, außer seine Reden. Der Impuls für die kubanische Revolution war weniger pro-kommunistisch als anti-imperialistisch. Von der Diktatur des Proletariats und vom Marxismus-Leninismus stand am Anfang und steht auch jetzt nichts in der Verfassung. Wenn es zwischendurch in die Verfassung aufgenommen wurde, war das eine Konzession an die Sowjetunion. Dass man sich in deren Arme warf, war eine pragmatische Entscheidung: Irgendwie musste man überleben. Und die SU nahm Zuckerrohr gegen Garantiepreise ab, lieferte Erdöl (das Kuba nicht ganz verbrauchte, sondern weiterverkaufte) und gab günstige Kredite. Trotzdem war Kuba nie ein Satellitenstaat der SU. Kubas Alleingänge in Afrika waren berüchtigt und wurden in Moskau als Provokation empfunden. Die Abhängigkeit von der Sowjetunion in wirtschaftlichen Dingen rächte sich nach dem Zusammenbruch der SU. Jetzt blieb man auf dem Zuckerrohr sitzen und hatte kein Öl. Kuba erlebte einen regelrechten ökonomischen Kollaps. Die Versorgungslage ist fatal. Man wundert sich, dass das System immer noch überlebt. Das liegt einmal an dem Mythos Revolution (der klassische Fall von David gegen Goliath, 82 gegen 20.000), der Abwehr des amerikanischen Invasionsversuchs in der Schweinebucht, dem Charisma Fidel Castros (das nachwirkt, obwohl er kaum noch in Erscheinung tritt), dem Improvisationstalent der Kubaner, der Unterstützung durch Exil-Kubaner (alleine zwei Millionen in Miami) und der Flexibilität des Systems, das immer wieder den Kopf aus der Schlinge zieht. Die kubanische Revolution hat inzwischen zehn US-Präsidenten kommen und gehen sehen, und Fidel Castro hat nicht nur sie überlebt, sondern auch Dutzende von Versuchen durch die USA, ihn zu eliminieren. (Gratius, Susanne: Fidel Castro. München: Diederichs, 2005)

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