Auch das Dommuseum stellt zum Marx-Jubiläum aus. Die Ausstellung hat allerdings zu Marx einen bestenfalls indirekten Bezug. Es wird moderne Kunst ausgestellt, die das Thema Arbeit in der einen oder anderen Weise darstellt. Man kann allenfalls das Thema Entfremdung als Marxsche Anleihe verstehen.
Aber auch der Bezug zum Thema Arbeit wird nicht immer klar, wie bei einem der kuriosesten Exponate, einem fingierten archäologischen Fund von 320 n. Chr., den Objekten, alle noch in einer Sandschicht eingehüllt, die Helena auf ihrem Weg nach Jerusalem bei sich hatte: GPS, Laptop, Lippenstift, Revolver. Der dient dazu, Widerstände zu überwinden, die sich ihr beim Einsacken der Nägel und Holzstücke vom Kreuz entgegenstellen sollten.
Das Thema Arbeit taucht in vier Photographien auf, die schwere oder unwürdige Arbeitsbedingungen heute darstellen, außerhalb der westlichen Welt. Auf zwei Photographien sieht man Erntearbeiter, beide, nicht ohne Stolz, mit einem Bündel Sellerie vor ihrem Feld posierend, der eine vor einem eher unaufgeräumten Feld in eher schäbiger Kleidung, der andere, adrett gekleidet, vor einem Feld, in dem alles in Reih und Glied steht. Die eigentliche Bewandtnis der Photos macht erst der Titel deutlich: Suppengemüse: 0,99 Cent.
Auf den beiden anderen Photos sieht man einen Jungen auf einer brennenden Müllhalde. Das ist nicht etwa ein zufällig ausgebrochenes Feuer, sondern ein absichtlich gelegtes Feuer. Es dient dazu, die Einzelteile der Geräte auf der Müllhalde zu trennen und so die “Ernte” zu erleichtern. Der Junge hält einen Motor oder Kanister hoch, den er gerade geerntet hat. Er trägt ein Trikot des FC Barcelona mit der Aufschrift UNICEF. Auf dem Photo daneben, noch bedrohlicher aussehend, zwei asiatische Frauen in einem schlecht beleuchteten Raum voller Müll. Ihre Aufgabe ist es, den Müll zu sortieren.
In einem anderen Raum ein Gemälde, das eine indische Näherin darstellt. Beim genaueren Hinsehen entpuppt es sich als dreidimensional. Das Gemälde ist aus Stoffresten gemacht. Dahinter eine Tapete. Darauf, so sieht es auf den ersten Blick aus, längliche Kartuschen, die sich an den Enden berühren. Beim genaueren Hinsehen merkt man, dass eigentlich eine Näherin dargestellt ist, die eine Faden abbeißt.
Als Gegengewicht sozusagen gibt es Photographien von Robotern, eine Straßenszene, auf der ein spazierender Roboter Aufmerksamkeit erregt, eine andere, in der die Leute einfach uninteressiert weitergehen. Dazwischen eine Photographie mit einem Roboter in einem Arbeitszimmer, am Schreibtisch sitzend. Hinter ihm erahnt man eine Gittertür. Die schließt den Raum ab, in den er abends, nach Verrichtung der Arbeit, eingesperrt wird. Dem Roboter gegenüber steht ein weiterer Schreibtischstuhl. Der ist bezeichnenderweise leer.
In einem Durchgang läuft ein Film, einer der ältesten Filme überhaupt, wenn nicht der älteste. Er zeigt Arbeiter beim Verlassen einer Fabrik. Die Fabrik ist die der Brüder Lumière, die auch den Film gedreht haben. Der Film besteht aus einer Reihe hintereinandergeschalteter Photographien. Das ist so gut gemacht, dass es “echt” aussieht. Die Arbeiter, unter ihnen viele Frauen, verlassen die Fabrik in schnellen Schritten, dicht nacheinander und nebeneinander. Die Frauen sind so gut gekleidet, mit langen Kleidern und breiten Hüten, dass man kaum glaubt, sie kämen aus einer Fabrik. Sie könnten genauso gut aus der Kirche kommen.
In der Nähe des archäologischen Funds steht eine Skulptur, ein Mann, dessen Torso aus Kohlestücken besteht. Als Kopf dient ihm ein schwerer Motor. Erstaunlich, wie leicht der Motor die grobe Form des Kopfes wiedergibt. Von dem Motor hängen Kabel herunter, die dem Mann über das Gesicht laufen. Die Skulptur ist Minotaurus betitelt. Er ist der Minotaurus des Industriezeitalters.
Am Schluss der Ausstellung das rekonstruierte Arbeitszimmer von Nell-Breuning, dem Antipoden von Marx und gleichzeitig sein Adept. Das Arbeitszimmer ist aus Pappmaché gemacht und gibt die Wirklichkeit leicht verzerrt wieder: Der Schreibtischstuhl ist übergroß, das Bett zu klein. Die Platte und die Füße des mächtigen Schreibtischs bestehen aus großformatigen Büchern. Auf dem Schreibtisch steht eine Schreibmaschine, nicht aus Pappmaché, eine Schreibmaschine des Fabrikats, das Nell-Breuning benutzte. Mittels elektronischer Impulse huschen Buchstaben und Blätter über die Wände. Man hört das mühsame Klappern der Schreibmaschine und die Stimme Nell-Breunings, der langsam, leise, mit Überlegung über die “soziale Marktwirtschaft” und ihre Grenzen doziert und einen Platz für die Kultur einfordert.
Nell-Breuning, der keineswegs der Erfinder, sondern ein Entwickler der katholischen Soziallehre war, wäre vielleicht ein besseres Thema für die Ausstellung gewesen und hätte einen klareren Bezug zu Marx gehabt. Nell-Breuning hatte sich immer wieder auf Marx berufen.