Eigentlich haben Störche im salzigen Wasser der Nordsee nichts zu suchen. Das ist in keinem zoologischen Fachbuch vorgesehen. Störche fischen in Seen und Flüssen, im Süßwasser, nach Würmern und Fröschen. Tiere, die sich ausschließlich von Meerestieren ernähren, haben in der Regel spezielle Drüsen, um überschüssiges Salz wieder auszuscheiden. Der Stoffwechsel des Storchs ist auf salzige Nahrung nicht eingestellt. Dennoch gibt es Störche auf Föhr, die ihre Nahrung im Wattenmeer suchen. Ihre Vorfahren sind „Romeo und Julia“, ein Storchenpaar, das von einem Tierschützer gepflegt und aufgezogen worden war. Beide waren vorübergehend flugunfähig. Julia war verletzt, und Romeos Flügel waren von seinem Besitzer gestutzt worden. Da sie ohne Eltern aufwuchsen, wussten sie nicht, was sich „gehört“, und als sie wieder fliegen konnten, haben sie sich das Nächstliegende ausgesucht: das Wattenmeer. Ihren Nachkommen haben sie die Vorliebe für Meerestiere mitgegeben. Heute leben 25 Störche auf Föhr. Und haben es mit ihrer ungewöhnlichen Vorliebe in die akademische Literatur gebracht. Im Herbst fliegen einige von ihnen Richtung Afrika, aber andere bleiben selbst in der kalten Jahreszeit im Norden. Im Gegensatz zu Seen und Flüssen friert das Meer nicht zu. Warum Tausenden Kilometer in den Süden fliegen? (Bäurle, Anne: „Romeo und Julia auf Krabbenfang“, in: Die Zeit 39/2014: 40)