Wundersames Wirtschaftswunder

Das Land liegt im Trümmern. Dann kommt die D-Mark, von Ludwig Erhard eingeführt. Dann der Marshall-Plan. Kombiniert mit dem Fleiß der Deutschen bringen sie Wirtschaftswachstum: das Wirtschaftswunder. So weit die Legende. Die Wirklichkeit sah anders aus. Tatsächlich lag Deutschland nicht in Trümmern. Aber es gibt doch die Photos und Berichte von den zerstörten Städten? Ja, viele Innenstädte waren zerstört, man hat die Bilder vor Augen. Kein Stein steht mehr auf dem anderen. Aber: Das waren nur die Innenstädte. Hätte der Photograph, hätte der Kameramann sich umgedreht, hätte er lauter gut erhaltene Vorstädte vor Augen gehabt. Aber die zogen kaum die Aufmerksamkeit auf sich. Die Vorstädte, die kleineren Städte, die Dörfer waren meist völlig intakt. (Ich erinnerte mich in diesem Zusammenhang an eine Passage bei Ian McCourt, der als GI nach Deutschland kam, aufs Land in Bayern und sich verwundert die Augen rieb angesichts der adretten Dörfer, bei denen von Krieg nichts zu sehen war). Die D-Mark wurde zwar eingeführt, nach einer streng geheim gehaltenen Klausurtagung deutscher Wissenschaftler, dem sog. Konklave, aber Ludwig Erhard war auf dem Konklave gar nicht anwesend! Und die Einführung der D-Mark war längst vor dem Konklave beschlossen worden, und zwar von den Amerikanern. Sie richteten es so ein, dass die Mitglieder des Konklave den Eindruck hatten, sie hätten die Entscheidung gefällt. Den Marshall-Plan gab es nicht nur für Deutschland, sondern auch für andere Länder. Und mit dem Marshall-Plan kamen hauptsächlich Waren nach Deutschland, die die USA sonst nicht absetzen konnten, vor allem Baumwolle. Davon hatten sie einfach zu viel. Und Wirtschaftswachstum gab es auch in anderen Ländern, vor allem in Italien und Frankreich. In Deutschland war es aber tatsächlich etwas – aber nicht bedeutend – höher als dort. Das hatte aber nichts mit D-Mark und Marshall-Plan und Fleiß zu tun – auch woanders war man fleißig – sondern mit zwei spezifischen Faktoren: dem Korea-Krieg und den Flüchtlingen. Wirtschaftswachstum und Korea-Krieg? Die Alliierten brauchten Rüstungsnachschub, und nirgends gab es so viele freie Kapazitäten wie in Deutschland. Die Industrieanlagen waren nicht ausgelastet, und Deutschland bekam die Aufträge. Die Flüchtlinge, die meistens als eine Belastung wahrgenommen werden, gaben der deutschen Wirtschaft im Gegenteil einen Schub, durch ihre Arbeit und ihren Konsum. Besonders profitierte Deutschland von den gut ausgebildeten Arbeitskräften, vor allem den Ingenieuren, die aus den ehemaligen deutschen Gebieten, aber auch aus der SBZ in den Westen kam. Die wurden, wie ein Augenzeuge, selbst ein Schleuser, in der Fernsehsendung, der ich diese Informationen verdanke (Weber, Christoph: “Unser Wirtschaftswunder. Die wahre Geschichte”, in: Phoenix: 18/09/2013), berichtet, systematisch abgeworben und in nächtlichen Aktionen über die Grenze geschleust.

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