Zug nach Norden

1915 taten die Autohersteller in Detroit einen ungewöhnlichen Schritt: Sie schickten Werber in den Süden, bis nach South Carolina, um dort schwarze wie weiße Arbeiter anzuheuern. Wie kam das? Es herrschte Arbeitskräftemangel, und zwar als Folge des Ersten Weltkriegs. Der Strom der Einwanderer aus Polen, Italien, Deutschland und Irland war abgebrochen. Man brauchte neue Arbeitskräfte. Und die Schwarzen kamen. In  Scharen. Sechs Millionen Schwarze wanderten vom Süden nach Norden. Sie hatten gute Gründe, zu fliehen. Nach dem Bürgerkrieg wollten die Nordstaaten den Süden völlig neu aufbauen, nach ihrem Bild formen. Nur befreite Sklaven und Weiße, die sich gegen die Sklaverei gestellt hatten, sollten dort das Sagen haben. Dagegen wehrte sich die alten weiße Eilte, mit Erfolg. In den Südstaaten wurden Rassengesetze erlassen, die die Schwarzen zu Bürgern zweiter Klasse machten, ohne Wahlrecht, ohne Zugang zu guten Schulen, ohne das Recht, neben Weißen sitzen zu dürfen. So setzte eine Flüchtlingsbewegung großen Ausmaßes ein. Das kann man an nackten Zahlen ablesen: Bis 1915 lebten noch 90% aller Schwarzen im Süden, danach nur noch 50%! Die große Migration veränderte das Gesicht der USA. Wenn sie trotzdem oft unterschätzt oder gar nicht erst gekannt wird, dann liegt das daran, dass sie innerhalb eines Landes stattfand. Es gab keine Sprachprobleme und keine Grenzen, die man schließen konnte. (Piper, Nikolaus: „Revolution ohne Anführer“, in: Süddeutsche Zeitung 297/2015: 25)

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