Das Salz der Erde

Salz konserviert, nicht nur das, was es konservieren soll. Manchmal ist die Konservierung ein unbeabsichtigter Nebeneffekt, wie ich jetzt in einer Ausstellung eindrucksvoll vor Augen geführt bekam. Der Salzstollen aus dem Hallstätter Salzbergtal stürzte 1245 zusammen, wurde dann erneuert (aber erst 400 Jahre später) und stürzte dann endgültig ein. Der Stollen hat bewahrt, was sonst verloren gegangen wäre, gibt aber auch ein paar Rätsel auf. Man kann zum Beispiel einen Kinderschuh aus Leinen (Größe 30-31), eine Säuglingsmütze aus Fell und Tragesäcke aus Rinderhaut sehen, alle aus dem 13. Jahrhundert vor Christus! Die Säuglinge wurden offensichtlich mit in den Stollen genommen. Kinder mussten mitarbeiten. Erstaunlich, was die Forscher aus den Funden ableiten: Im Stollen arbeiteten Frauen und Männer. Das weiß man, weil sich die Skelette von Frauen und Männern aus dem Stollen ähneln. Die Menschen waren bei der Arbeit ständig überbelastet. Das weiß man, weil Gelenke abgenutzt und Knochen verändert sind, an den Stellen, wo die Muskeln ansetzen. Neben der harten Arbeit gab es Läuse (in Kleidern entdeckt), die Infektionskrankheiten übertragen konnten und Spülwürmer, die Durchfall, Koliken und Bauchschmerzen verursachen konnten. Man hat Pestwurz gefunden, der zu Bündel zusammengefügt wurde. Vielleicht diente er der Behandlung von Wunden, vielleicht als Medizin gegen Darmparasiten, vielleicht als Toilettenpapier! Durch die Exkremente weiß man etwas über der Ernährung. Ein Forscher schlägt aufgrund der Untersuchungen folgendes Rezept vor: Füße, Schwänze und Schwarten vom Schwein, Saubohnen, Gerste, Hirse. Weich kochen, mit Essig, Thymian und Bohnenkraut würzen und mit Zwiebeln servieren. Und natürlich salzen! Dieses Gericht, das Ritschert, wurde im Stollen selbst zubereitet. Als Beleg sieht man in der Ausstellung einen riesigen Holzlöffel und ein Kegelhalsgefäß, das 50 Liter fasste. Die Zubereitung von Essen im Stollen erklärt auch die zunächst rätselhaften Tonscheiben, die in den Stollen gefunden wurden. Die Technik der Salzgewinnung war hervorragend entwickelt. Die Stollen gehen bis zu 200 Meter in die Tiefe. Man sieht hier große, abgebrochene Grubenhölzer. Auch Werkzeuge sind zu sehen. Ein Rätsel gibt ein Pickel auf, mit einem langen, dünnen Stiel und einem spitzen Arbeitswinkel aus Metall. Wie wurde der genutzt? Man hat es in verschiedenen Improvisationen ausprobiert, aber keine Lösung gefunden. Für einen direkten Schlag wie mit dem Hammer ist der Winkel zu spitz. Für eine ziehende Bewegung ist der Stiel zu dünn. Für eine Benutzung als Brecheisen ist ebenfalls der Stiel zu dünn. Und eine Benutzung als Schlägel kommt nicht in Frage, weil man keine Schlagspuren finden konnte. Außerdem wurde eine hölzerne Treppe gefunden, die mobil war und deren Stufen man verstellen konnte. Hallstatt hatte sogar sein eigenes Markenzeichen: herzförmige Salzplatten. Die gab es nur hier! Man meißelte vermutlich zuerst herzförmige Rillen in die Wand und löste dann die Salzplatte durch Druck heraus. Das erforderte eine präzise Handhabung von Pickel und Meißel. Bis heute weiß man nicht, warum ausgerechnet dieser Stollen bearbeitet wurde. Er war schwer zugänglich, lag 400 Meter über dem See und 30 Meter in der Erde und war bis in den Sommer zugeschneit. 40 Kilometer weiter gab es besser zugängliche Stollen. Trotzdem kamen schon vor 7.000 Jahren Menschen hierher, um Salz zu gewinnen. Und schon vor 4.000 Jahren hab es arbeitsteilige Verfahren bei der Salzgewinnung. Hallstatt hatte ein richtiges Monopol. Die anderen Salzförderstätten waren weit entfernt: Volterra, Tusla, Wielicka, Schwäbisch Hall. Salz machte von Jahreszeiten unabhängig. Man konnte Lebensmittel haltbar machen. Das machte man auch hier, vor Ort. Man hat Surbecken gefunden, in die mindestens 200 Schweine passten. Dort wurden Speck und Schinken produziert, und die kamen in den Handel. All das bedeutete großen Reichtum. Den dokumentieren die 1.500 im Salzbergtal gefundenen Gräber, mit ihren reichen Grabbeigaben. So wurde Hallstatt zu dem Namen für eine ganze Kulturepoche. Die Grabbeigaben, die man hier sieht, stammen meist aus der älteren Eisenzeit (800-400). Das Gräberfeld ist eine Art global village, mit exotischen Grabbeigaben aus allen Himmelsrichtungen: eine skytische Axt aus Eisen, ein norditalienisches Messer, Glas von der Adria, eine Bernsteinkette, afrikanische Vasen, Keramik aus Slowenien. Das Prachtstück der Ausstellung ist ein Schöpfergefäß aus Bronze, bei dem der Griff eine Kuh ist, hinter der ein Kälbchen an dem Gefäß hochklettert. Vermutlich ein Ritualgefäß, zu schade für den täglichen Bedarf. Ein Rätsel der Gräber stellt das Gold da: Es gibt so gut wie keins. Gab es eine Salzelite, deren noch unentdeckte Gräber all das Gold enthalten? Oder hatte Gold keinen guten Ruf? Dazu würde Cassiodorus‘ Ausspruch passen: „Auf Gold kann man verzichten, auf Salz nicht“. Gefärbt wurde auch in Hallstatt, und zwar, wenn ich das richtig verstanden habe, sowohl Kleidung als auch Keramik. Blau gewann man aus Waid, Gelb aus Färbervanille oder Färberginster. Und Grün? Da lernt man etwas Erstaunliches: Keine Pflanze färbt grün! Grün ergibt sich aus der Mischung von Blau und Gelb. Die am schwersten herzustellende Farbe aber war Schwarz. Und das war genau die Farbe, die den Schmuck der Hallstätter am besten zur Geltung kommen ließ. („Das weiße Gold der Kelten“, in: Landesmuseum Herne)

 

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