Fremdartige Speise

Manchmal erzähle ich im Seminar folgende Episode aus meiner Studentenzeit: Ein Kommilitone fragte: Hast jemand Lust, mitzugehen? Wir wollen eine Pizza essen. Meine Antwort war: Was ist das? Ich hatte keine Ahnung. Von Pizza hatte ich noch nie gehört. Heute kennt jedes Vorschulkind das Wort. In einem Zeitungsartikel finde ich jetzt diese Beschreibung von Anna Seghers, die genauso verblüfft war wie ich, als sie zum ersten Mal eine Pizza gegessen hatte (allerdings 30 Jahre früher): Rund und bunt wie eine Torte. Man erwartet etwas Süßes. Da beißt man auf Pfeffer. Man sieht sich das Ding näher an; da merkt man, dass es nicht mit Kirschen und Rosinen gespickt ist, sondern mit Paprika und Oliven. Man sieht an der Beschreibung auch den relativ bescheidenen, italienischen Belag, anders als später bei der Wohlstandspizza der prosperierenden Bundesrepublik. Nicht nur die Pizza war anders, auch das Wort. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: Pizza ist Pizza, sollte man meinen. Aber im Deutschen klingt Pizza anders als im Italienischen und wiederum anders als im Englischen. Und auch der Plural ist anders: Pizzen und pizze und pizzas. Nicht nur außerhalb Italiens musste sich die Pizza erst durchsetzen. Auch in Italien war sie lange nicht gang und gäbe. Mitte der 50er Jahre soll es in Italien außerhalb von Neapel nur zehn Pizzerien gegeben haben. In Deutschland konnten sich die Pizzerien und italienischen Restaurants gegen die Konkurrenz aus Griechenland, Jugoslawien und China durchsetzen, weil Italien zur EWG gehörte und italienische Restaurantbetreiber nicht erst die Bedarfsprüfung überstehen mussten, die sonst vorgeschrieben war. Die fiel später weg.  (Staas, Christian: “Deutschland al dente”, in: Die Zeit 52/2012: 18)

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