Kapstadt (2006)

24. Dezember (Sonntag)
Erste unliebsame Überraschung am Bahnhof: Entgegen der Internetauskunft fährt der Zug nicht bis zum Flughafen, sondern nur bis Duisburg. Dort gibt es aber eine gute Umsteigmöglichkeit. Als ich in Duisburg den Bahnsteig wechsele, kommt eine weiße Taube in einem Affentempo vom Bahnsteig in den Tunnel hinuntergeflogen und fliegt zielsicher am anderen Ende des Tunnels wieder hinaus.

In Düsseldorf wird mein Versuch, schon am Bahnhof einzuchecken, torpediert durch eine Frau, die mich fragend in der Gegend stehen sieht und mich mit zum Sky-Train schleppt, keinen Widerspruch duldend.

In der Cafeteria gibt es einen lauwarmen, teuren Kaffee auf wackligen Stühlen an wackligen Tischen. Hier wimmelt es von Türken. Eine türkische Mutter redet mit kontrollierter Strenge auf ihren kleinen Sohn ein. Der antwortet halb Türkisch, halb Deutsch.

Die Stewardessen tragen alberne rote Häschenohren (oder sind es Rentierohren?). Die Piloten glücklicherweise nicht, was mein Vertrauen in ihre Professionalität festigt.

Neben mir sitzt im Flugzeug ein Deutscher, der behauptet, noch nie geflogen zu sein. Daran gemessen steht er die ganze Sache gelassen, fast routiniert durch.

Das Flugzeug steigt, wenn der Tank nicht mehr so schwer ist, weiter nach oben, auf über 12.000 Meter.

Mit meiner Meinung, eine solch lange Fahrt lohne sich, stehe ich allein auf weiter Flur. Dabei fahren andere genauso lange, um sich ein anderhalbstündiges Fußballspiel anzusehen. Dennoch: Die Strecke beträgt 9.500 Kilometer. Und der Flug dauert 12 Stunden. Das ist lang. Wenn man 5 Stunden hinter sich und noch 7 vor sich hat, nimmt die Geduld mächtig ab. Das kann man nur mit Lektüre überstehen.

Südafrika hat etwas mehr Einwohner als Spanien und ist mehr als doppelt so groß. Außer der Kapprovinz gibt es noch Natal, Oranje und Transvaal, aber die Kapprovinz ist mehr als doppelt so groß wie die anderen zusammen. Daneben gibt es noch einige „unabhängige“ Republiken. Lesotho und Swasiland sind dagegen selbständige Staaten, Losotho als Enklave in Südafrika gelegen, Swasiland auf der Grenze zu Mosambik. Sie haben aber nie zu Südafrika gehört. Die nach dem Vorbild der Zulus organisierten Swasi und die Sotho, die sich im 19. Jahrhundert im Gebirge gegen die Zulus zusammengeschlossen hatten, bewahrten ihre Selbständigkeit.

Die Wassertemperatur liegt in Durban, das am Indischen Ozean liegt, in den meisten Monaten 5°, in einigen sogar 6° über der von Kapstadt, das am Atlantik liegt.

 

Der erste Mann, der in der Kapprovinz als Winzer in Erscheinung trat, bemerkte, dass an seinen Stiefeln derselbe lehmige Boden klebte wie in Burgund. Deshalb entschied er sich für den Anbau von Pinot Noir und Chardonnay. Eine schöne Begründung für den Genuss von Wein lieferte ein Offizier: Nach einem Sieg hat man ihn verdient, nach einer Niederlage hat man ihn nötig.

Bei der Besichtigung des einzigen Atomkraftwerks Südafrikas wurde 1989 Journalisten erklärt, in dem ganzen Komplex sei nur ein Schwarzer beschäftigt – aus Sicherheitsgründen. Erst als den Journalisten am Ende der Führung die Wachhunde vorgeführt wurden, sahen sie, welche Funktion er hatte. Er wurde von den Wachhunden gejagt. Sie waren auf ihn abgerichtet.

 

In Kapstadt dauert die Passkontrolle unendlich lang, aber alles ist viel moderner als in Tansania. Auch auf dem Weg zum Hotel ist alles modern und neu. Man hat den Eindruck, in Europa zu sein, nur dass es dort kaum um 11 Uhr nachts noch so warm sein dürfte: 19°.

Obwohl ich es eigentlich besser wissen müsste, will ich wieder auf der falschen Seite einsteigen. In Südafrika wird links gefahren. Es ist nach England, Irland, Australien, Zypern, Japan, und Tansania schon das 7. Land, das ich kennen lerne, in dem links gefahren wird.

Der Taxifahrer kommt aus dem Osten der Kapprovinz, immerhin mehr als 1.000 Kilometer von Kapstadt entfernt. Als ich mit seiner Hilfe die Verwirrung um die Lokalisierung meines Hotels entwirren will, geht das gründlich schief. Ich weiß nicht, ob es die St. George’s Mall oder die St. George’s Road ist, und er fängt an, von der St. George’s Street zu sprechen. Später im Hotel finde ich heraus, dass es die St. George’s Mall ist. Das Hotel liegt damit mitten in der historischen Innenstadt und etwas weiter von den Stränden und von der Waterfront entfernt.

Es geht ganz schnell, ein paar Kilometer über eine Autobahn, an dem Krankenhaus vorbei, in dem die erste Herztransplantation stattfand, dann am leicht erleuchteten Tafelberg und an der Burg vorbei auf die Stadtmitte zu, und dann Richtung Strand ab. Gleich dahinter liegt schon das Hotel. Das Zimmer ist im 7. von 15 Stockwerken. Der Blick geht auf einen bezaubernden Innenhof, aber das ist mir egal, um diese Zeit sowieso. Ich gebe aber keine Ruhe, bis alles ausgepackt ist und auch das letzte T-Shirt und der letzte Notizblock an der richtigen Stelle sind. Dann geht es mit Magenknurren ins Bett. Die Versorgung der Passagiere liegt bei LTU in den Händen von Herrn Schmalhans.

25. Dezember (Montag)
Um halb sechs ist es taghell, aber ich drehe mich noch mal um und schlafe wieder ein.

Die Gründung von Kapstadt war ein Versehen, jedenfalls keine gewollte Stadtgründung. Eigentlich ging es darum, eine Versorgungsstation einzurichten, eine, die auf halbem Weg zwischen Amsterdam und Batavia lag und an der die holländischen Seefahrer mit frischem Gemüse und Fleisch versorgt werden konnten. Dadurch sollte der Skorbut bekämpft werden. Aus dieser Versorgungsstation entstand im Laufe der Zeit die Stadt Kapstadt. Der erste Organisator der Versorgungsstation, ein gewissen Jan van Riebeeck, ist der Namensgeber der Straße in der Nähe des Hotels, die mir gestern den Hinweis darauf gab, in welchem Teil von Kapstadt ich gelandet bin.
Kapstadt heißt auch „Schlappstadt“, in Anspielung auf die Trägheit seiner Bewohner. Die wiederum wird dem Klima angelastet.

Beim Frühstück bedienen, genauso wie an der Rezeption, nur Schwarze. Es sind aber auch Schwarze unter den Gästen.

Als ich auf den Platz vor dem Hotel trete, blicke ich auf den sonnenbeschienen Tafelberg. Der Blick wird allerdings beeinträchtigt durch ein sich davor auftürmendes Hotel. Die Straßen sind fast menschenleer.
Ich frage mich erst mal zum Touristeninformation durch. Die ist sogar geöffnet. Ich werde mit Informationen eingedeckt und an die Waterfront geschickt. Dort sei auch heute was los, und dort könne ich sicherer Geld abheben. Die Museen seien heute ohnehin alle zu.

Auf dem Weg ins Zentrum sehe ich, dass fast alles zweisprachig beschildert ist: Waterfront heißt auch Waterkant. Man sieht die Ähnlichkeit zum Plattdeutschen. Wie der Taxifahrer gestern schon richtig vermutete: „Deutsch? Das ist doch so eine Art Afrikaans, oder?“

Das Halteverbotszeichen sieht aus wie ein Dollarzeichen, und auf einer Plakatwand wird für ein Einkaufszentrum geworben mit einem Zeichen, das wie ein Verkehrszeichen aussieht. Centre wird hier nach englischer Art geschrieben

Ein Mann, den ich nach dem Weg frage, ruft mir am Ende hinterher: „Enjoy!“ Nicht das erste Mal, das ich das höre. Das ist Sprachwandel der schleichenden Art, gelenkt von einer unsichtbaren Hand. Ursache und Entwicklung sind kaum zu erklären und nicht einmal zu beobachten.

Aus Mangel an Alternativen mache ich eine Stadtrundfahrt mit einem der Busse, bei denen man nach Belieben aus- und einsteigen kann. Ist aber für einen ersten Eindruck gar nicht so schlecht. Man erfährt, dass traffic lights hier robots heißen, dass Südafrika 11 offizielle Sprachen hat, dass Afrikaans im westlichen Kap die meist gesprochene Sprache ist, dass Juden wie Lutheraner unter den Holländern nur heimlich ihre Religion ausüben konnten, dass die Judikative in einer dritten Stadt angesiedelt ist, das Parlament dagegen hier und die Regierung in Pretoria. Und dass man in dem vornehmen Nelson Hotel, das die Schiffslinien einst zur Versorgung ihrer zahlungskräftigen Passagiere erbaut haben, hervorragende Afternoon Teas bekommt.

An einem Kreisverkehr steht die Statue von Bartolomeo Dias, und an einer
palmenbestandenen Avenue die von Jan van Riebeeck. Dias hatte Glück und Pech
gleichzeitig, Glück, weil er durch einen Sturm um das Kap herum getrieben wurde und es so als erster passierte, Pech, weil er sich kurz darauf einer Meuterei seiner Matrosen gegenüber sah und daher die Weltumseglung beenden musste. Er nannte das Kap der Guten Hoffnung Kap der Stürme.

Wir kommen wieder dahin, wo ich gerade herkomme, in die Nähe des Hotels. Die Fremdenführerin spricht von dem ruhigsten Tag des ganzen Jahres, aber auch davon, dass man jetzt den Versuch mache, wieder mehr Bewohner in die Innenstadt zu locken.

Die Straßen bieten einen interessanten Architektur-Mix: Zwischen vielen Hochhäusern immer wieder alte Kolonialhäuser. KFC ist zum Beispiel in einem schmalen, weißen Haus untergebracht, das die Jahreszahl 1863 trägt, und die Methodistenkirche ist zwischen hohen Bürohäusern eingezwängt. Das erinnert, wie die gesamte Stadt, sehr an Sydney, obwohl Kapstadt viel mehr alte Gebäude hat. Der Eindruck verfestigt sich im Laufe des Tages immer mehr.

Das Straßennetz ist sehr geradlinig. Die Grundidee ist die, eine Verbindung zwischen Hafen und Berg zu schaffen. Alles andere ergibt sich aus dieser Grundidee.

Es geht vorbei an den Company Gardens, heute einem Park dieses Namens, der eigentlichen Keimzelle Kapstadts: Hier wurden die ersten Nutzpflanzen zur Versorgung der holländischen Seefahrer angebaut.

In der Victoria Street hat man zwei der alten Sitzbänke mit der Aufschrift whites Only und non-Whites Only wieder aufgestellt, in Erinnerung an die Zeit der Apartheid.

Es geht an Kirchen verschiedener Konfessionen, aber auch an Moscheen und an der alten Synagoge vorbei, die jetzt Teil eines Museumskomplexes ist.

Dann geht es über den Strand. Die Straße heißt so, weil das Meer früher bis hierher reichte. Alles andere ist dem Meer abgerungenes Land, die Foreshore, ein ganz schön großes Areal. Die meisten Hochhäuser stehen hier.

Auch die Burg lag ehemals direkt am Meer, und der Eingang war vorne. Das war keine gute Idee, denn schon kurz nach der Fertigstellung wurde der Bau überflutet und der Eingang zur Seite verlegt. An der Burg wehen sechs Flaggen, die die geschichtlichen Etappen von Südafrika vertreten, darunter auch die heute verbotene aus der Zeit der Apartheid. Der Union Jack ist gleich zweimal vertreten, für zwei verschiedene Epochen der britischen Herrschaft.

Auf der Darling Street steht die City Hall, von der aus Nelson Mandela die erste Rede nach seiner Freilassung hielt. Der Sandstein zum Bau wurde eigens aus England eingeführt.

In der Nahe ein Art-Déco-Bau, ehemaliger Sitz einer Versicherungsgesellschaft, heute Mietshaus. Es hat dreieckig nach außen vorspringende Fenster und an der Seitenfassade Figuren, die die verschiedenen Völker Südafrikas darstellen.

Dann geht es rauf Richtung Tafelberg und dann am Meer vorbei zur Waterfront zurück. Der Tafelberg besteht aus dem flachen Felsen in der Mitte und dem Devil’s Peak zur einen und dem Lion’s Head zur anderen Seite. Oft ist der Tafelberg oder wenigstens seine Spitze in Wolken gehüllt, so auch heute. Als weiterer Ausläufer gehört auch noch der Signal Hill dazu, der seinen Namen nicht umsonst trägt. Von hier wurde früher zur Orientierung der Seefahrer um 12 Uhr mittags eine Kanone abgeschossen. Heute wird das weiterhin praktiziert, aus Tradition, aber die Kanone ist verkabelt mit der Atomuhr im Stadtteil Observatory. Der Signal Hill kann auch von Amateuren bestiegen werden, gefahrloser als der Tafelberg.
Bei der Fahrt hinunter in die Stadt hat man eine sehr schöne Sicht auf die Tafelbucht mit dem Meer vor und den 12 Aposteln, einer Felsformation aus 12 Blöcken, hinter sich. Hier, in Clifton, gibt es einen schönen, langen Sandstrand, aber im Wasser halten es wenige lange aus. Das Wasser ist das ganze Jahr über kalt. Deshalb hat man an einer Stelle gleich am Strand, etwas erhöht gelegen, ein Schwimmbad gebaut. Es ist heute, am 1. Weihnachtstag, rappelvoll.

 

Die Kälte gefällt ganz offensichtlich dem Seetang, das hier überall aus dem Wasser ragt. Das  sieht aus wie lauter braune Entenkopfe. Dann kommen wir nach Seapoint, wo es statt Sand Felsen gibt. Was machen die Menschen eigentlich, die da auf den Felsen sitzen? Sie kratzen Muscheln von den Felsen ab. Dann geht es an einem rot-weißen Leuchtturm aus dem 19. Jh. vorbei. In der Ferne ist Robben Island zu sehen, wo viele Jahre das Gefängnis der politisch Gefangenen war und wo auch Nelson Mandela lange einsaß. Mandela animierte seine Mitgefangenen, die Haftzeit zu Studienzwecken zu nutzen. Das brachte der Insel den Namen Mandela University ein. Die Folge: Im ersten Kabinett Mandelas saßen später elf ehemalige Sträflinge. Robben Island wurde schon lange vorher von den Holländern als Gefängnis benutzt. Die Sträflinge mussten in den Schieferbrüchen arbeiten und Muscheln sammeln, aus denen Kalk für den Bau der Burg und anderer Gebäude gewonnen wurde. Als James Cook auf dieser Insel landete, nahm er ein paar von den entzückenden Kaninchen, einst von Riebeeck hierher gebracht, mit auf sein Schiff und mit nach Australien. Mit den bekannten Folgen.

Dann kommen wir wieder an die Waterfront. Sie ist benannt nach Queen Victoria und ihrem Sohn Alfred, der hier den ersten Steinbrocken ins Meer warf, als man entschlossen hatte, die Wellenbrecher und Docks zu bauen. Diese Stelle, heute mitten in den Waterfront, ist mit einem Gedenkstein markiert. Vor 15 Jahren, als der Hafen dann nicht mehr groß genug für die modernen Schiffe war, beschloss man dann, gegen vielfachen Protest, die Sanierung des Viertels und den Bau eines Vergnügungs-, Einkaufs- und Kulturzentrums. Wenn man nach den Besucherzahlen am heutigen Tag geht, ein voller Erfolg. Vor allem Familien sind zuhauf unterwegs. Die ganze Anlage ist so, als verbinde man Centro und Duisburger Hafen, verdoppelte das Ganze und verlegte es in die südliche Hemisphäre. Es erinnert auch sehr an Bristol: alte Lastschiffe, Hebekräne, Lagerhallen, moderne Museen und Kinos, Lokale aller Art. Dazwischen der Clock Tower von 1882, der unterirdisch mit dem Meer verbunden ist. Das diente dazu, genaue Informationen über die Bewegungen der Gezeiten an die Seefahrer zu übermitteln. Vom zweiten, rundum mit Spiegeln ausgestatteten Stock des schönen, vieleckigen, rot und grau gefassten Gebäudes aus kontrollierte der Hafenmeister die Bewegungen aller Schiffe des Hafens.

Ich sehe mir noch die Statuen der vier südafrikanischen Friedensnobelpreisträger an, neben Mandela und de Klerk (1993) und Bischof Tutu (1984) ein gewisser Luthuli (1960). Die Bronzestatuen, grünlich, gedrungen und mit großen Köpfen, sehen wie Karikaturen aus. Aber das halt die Südafrikaner nicht davon ab, sich reihenweise mit ihnen photographieren zu lassen.

In der Nähe Schilder, die die Entfernung zu anderen Orten angeben. Man sieht: Von hier aus ist alles weit. Nach Boston und Sydney sind es 12.000, nach Osaka 15.000, nach San Fransisco 16.000 Kilometer. Nur zum Südpol sind es gerade mal 6.000.

Dann flüchte ich vor den Massen in die Touristeninformation, um Exkursionen für die nächsten Tage zu buchen. Das ist mit allerhand Schwierigkeiten verbunden, und Robben Island ist leider bis Januar völlig ausgebucht.

 

In der Touristeninformation fragt jemand, der sich eine Broschüre nimmt: “Can I grab one of these?“ Bei der Exkursion haben die Engländer gesagt: „We’ll just grab a sandwich“. Grab scheint immer mehr einfach das Synonym von take zu werden und es allmählich zu ersetzen.

Als ich zurückfahre, sitzt neben mir ein afrikanisches Paar, das abwechselnd in voller Lautstärke in einer afrikanischen Sprache in ein Handy spricht. Die Sprache ist, wie ich erfahre, Sotho. Das wird in der Gegend um Johannisburg gesprochen, und das Wort ist auch in dem Namen des Landes Lesotho enthalten.

Da ich mir am ersten Tag nicht mehr Sonne leisten kann und die Museen zu sind, gehe ich ins Hotel und probiere die Computer aus.

Der erste Kontakt mit dem südafrikanischen Fernsehen endet nach 10 Minuten. Auf einem Kanal gibt es Tennis, auf einem Comics, auf einem eine Rockschnulze und auf einem sieht man zwei junge Leute, die sich unter den Augen einer „Moderatorin“ gegenseitig zerfleddern.

Am Abend dann noch der abenteuerliche Versuch, etwas zu essen zu finden. Nachdem ich lange durch fast leere Straßen irre und ein paar nicht sehr vertrauenswürdigen Gestalten begegne, lande ich auf einmal auf einer vollen Straße mit kitschiger Weihnachts-beleuchtung, mit Massen von Menschen auf den Bürgersteigen und im Schritttempo fahrenden Autos mit offenem Verdeck. Dennoch gibt es hier kein einziges Lokal, jedenfalls keins, das geöffnet ist. Am Ende komme ich wieder in die verlassenen Straßen und suche nach einem Kiosk, den ich vorher irgendwo gesehen habe und wo ich wenigstens ein paar Kekse bekommen könnte. Der ist natürlich wie vom Erdboden verschwunden. Die Suche wird nicht leichter dadurch, dass es kaum Straßenschilder gibt. Aber auch mit Straßenschildern wäre ich verloren, nur befürchte ich, jetzt auch nicht mehr den Weg ins Hotel zu finden. Dann stehe ich auf der etwas belebteren Strand plötzlich vor Steers, wohl der südafrikanischen Ausgabe von McDonalds. Endlich was zu essen, denke ich, aber die Sache zieht sich in die Lange. Das alles für einen Burger mit Pommes. Entschädigt werde ich aber durch den wunderbaren Beleg, den ich während der langen Wartezeit genau in Augenschein nehmen kann und der voller sprachlich-kultureller Besonderheiten steckt. Dazu gehört der Slogan der Kette: Real food made real good.

26. Dezember (Dienstag)
Am Morgen ist es stark bewölkt und es fallen sogar ein paar Tropfen. Aber der Fahrer, der mich zur Tour über die Halbinsel abholt, versichert mir, dass ich meine Sonnencreme dennoch nicht umsonst eingepackt habe. Es werde noch aufklären. Er soll recht behalten.

Die Mitfahrer sind ein schwedisches Ehepaar mit vier Töchtern, eine weitgereiste, leicht alternativ angehauchte Spanierin aus Barcelona und ein englisches Paar, das letztes Jahr hier seine Flitterwochen verbracht hat und jetzt auf getrennten Wegen hierher gekommen ist, er als Mitglied der Besatzung eines Schiffes, das hier drei Tage anlegt, und sie mit dem Flugzeug, um die drei Tage mit ihm zu verbringen.

Wir kommen an dem Fußballstadion vorbei, in dem das Halbfinale der WM stattfinden soll. Das wird wohl gerade umgebaut. Sonst sehe ich in diesen Tag nichts, was nach Vorbereitung für die WM aussieht. Das Finale findet in Johannisburg statt.

Dann geht es zum Meer runter. Im Hintergrund sieht man im hellen Sonnenlicht die 12 Apostel, deren Spitzen in einer dünnen Wolkendecke liegen. Das hat was.

Wir kommen an die lange Strandpromenade, wo Frauen ihre Hunde oder ihre Männer spazieren führen.

 

Es geht durch Kamps Bay, das seinen Namen von einem gestrandeten deutschen Seemann haben soll, der von einer reichen Witwe gesund gepflegt und später geheiratet wurde. Dann kommen wir durch das nach dem Ort in  Wales benannte Llandudno, wo die Beckhams und Elton John Immobilien haben, vermutlich nicht gerade Hundehütten.

Unten im Meer sehen wir Robben auf den Felsen. Oder besser gesagt, die anderen sehen sie. Was immer wir auch im Laufe des Tages sehen, an mir geht es vorbei. Die Robben sind hier, im kalten Wasser, sicher, denn die Haie bevorzugen das wärmere Wasser der anderen Seite der Halbinsel. Wale gibt es hier zu dieser Zeit nicht, nur von Juli bis November. Dann verschwinden sie Richtung Antarktis. Es wird ihnen hier wohl zu warm.

Der Fahrer ist in doppelter Hinsicht interessant. Erstens ist Englisch seine Muttersprache, und ich kann ein paar Besonderheiten des südafrikanischen Englisch beobachten: ships klingt wie shups, beaches wie beachuz, every hat einen sehr offenen Anfangsvokal, hill klingt wie heel. Einiges klingt mir wie Schottisch, so wie er the whole area sagt, aber die Engländer finden das nicht. Er erklärt außerdem, dass napkins nappies sind. Komischerweise gebraucht er durchgehend people im Singular: People is on the beach all day.

Zweitens hat er eine eigene Rassengeschichte. Sein Vater ist Weißer, seine Mutter Mulattin, er selbst sieht wie ein Mulatte aus. Er wurde auch als Mulatte klassifiziert, seine jüngeren Geschwister aber als Weiße. Das musst wohl daran gelegen haben, dass in seinem Fall seine Mutter, bei seinen Geschwistern sein Vater die Eintragung im Einwohnermeldeamt vornahm. Dadurch wurde ihm selbst der Zugang zur Universität verwehrt, die seine Kinder jetzt besuchen können. Später, als wir auf die Straußenfarm gehen, zieht er seine Hose ein Stückchen hoch und zeigt mir seine Waden. Er ist schneeweiß. Er ist schlichtweg ein Weißer, der viel Sonne abbekommt und deshalb wie ein Mulatte aussieht.

Die Schwarzen stellen 80% der Bevölkerung Südafrikas, die Mulatten 9%, die Weißen 8%. Die anderen sind meist Asiaten.

Auf der Weiterfahrt sieht man Eukalyptusbäume. Sie sind aus Australien importiert. Sie gelten hier als Feuerlöscher. Komisch, in Amerika gelten sie als Brandstifter. Die folgende  Erklärung wird uns angeboten: Hier handele es sich um ein „mediterranes“ Klima, die Bäume wüchsen viel schneller als in Amerika und nähmen deshalb viel mehr Wasser auf und hätten gar nicht die Zeit, Öl zu produzieren. Wenn’s stimmt, ist es eine ingeniöse Erklärung. Später sehen wir auch noch rot blühende Eukalyptusbäume. Das seien die neuseeländischen.

Dann kommen wir an einem Schild vorbei, das den Eintritt in die Republic of Hout Bay anzeigt. Eine Republik mitten in Südafrika? Ist das etwa eine der „unabhängigen“ Republiken, von denen ich gelesen habe? Aber lagen die nicht ganz woanders? Die Erklärung ist diese: Als während der Apartheid Südafrika von der internationalen Staatengemeinschaft boykotiert wurde, wurde weißen Südafrikanern oft die Einreise in andere Länder verwehrt. Die waren die Sache leid, deklarierten eine eigene Republik und gaben ihren eigenen Pass heraus!

Kurz darauf kommen wir an einen Berg, auf dessen Abhang eine Burg gebaut ist, nach mittelalterlicher Machart, die Burg Liechtenstein, ein Überraschungsgeschenk eines Mannes an seine Ehefrau. Der Frau gefiel die Burg aber nicht. Jetzt steht sie da und es gibt keinen Zugang zu ihr, und sie wird auch nicht bewohnt. Man kann sie aber mieten, muss dann aber die Gäste im Hubschrauber einfliegen lassen!

Die Vegetation, die wir auf einigen der Berghänge sehen, ist der typisch südafrikanische fynbosch. Sträucher und Büsche, keine Bäume. Die Bäume seien meistens importiert. Die Pinien kommen aus Italien.

Dann kommt der schönste und spektakulärste Teil einer sehr abwechslungsreichen Strecke, der Chapman’s Peak. Hier wird für die Weiterfahrt kassiert. Links, ganz nahe an der Straße, hohe, schräg über uns ragende Felsen aus rotem, in kleine Stücke „zersägtem“ Sandstein mit schwarzen Manganstreifen, rechts tief unter uns das Meer in verschiedenen Grün- und Blauschattierungen mit frischer Gischt und den sich im Wasser reflektierenden Sonnenstrahlen. Die Straße ist gegen den Felsen durch Netze gesichert, und da, wo der gerade ist, durch Tunnel.

Unten sieht man Pferde auf einem Strand, dem Long Beach. Der Strand ist Schauplatz einer Szene aus Ryan’s Daughter. Die Pferde werden hier gezüchtet.

Dann geht es über eine flache Strecke und weniger aufregende Landschaft. Junge Männer, die am Straßenrand liegen, sind Tagelöhner. Sie waren darauf, dass jemand kommt und ihnen für einen Tag Beschäftigung gibt.

Das Weiße, das an der Oberflache im Meer schwimmt, ist Plankton. Ich wusste nicht, dass man es von außen sehen kann.

Wir sehen auch Olivenbäume, die weder wie Olivenbäume aussehen noch Oliven haben. Warum sie Olivenbäume genannt werden, wird nicht verraten.

Wir, d.h. alle anderen, sehen wilde Strauße. Dann kommen wir zu einer Straußenfarm. Hier schaffe ich es dann auch, welche zu sehen, aus etwas zwei Metern Entfernung. Das Fleisch soll sehr gesund, da fettarm sein. Der Strauß ist das zweitschnellste Landtier der Welt nach dem Jaguar. Das Männchen ist schwarz, das Weibchen grau. Die Weibchen liegen tagsüber auf den Eiern, die Männchen nachts. Das Gehirn des Straußes ist kleiner als sein Augapfel, so klein, dass er das Fliegen verlernt hat. Die Männchen haben rote Beine als Zeichen der Geschlechtsreife.
Dann wird die Landschaft wieder dramatischer. Wir kommen in den Kap Nationalpark. Das Kap der Guten Hoffnung liegt in dem Park, d.h. man muss Eintritt bezahlen, um dahin zu kommen.

Erst kommen wir zur False Bay. Die hat ihren Namen daher, dass die Schiffe, die von Osten kamen, hier landeinwärts einbogen, in der falschen Meinung, dies sei die richtige, d.h. die Tafelbucht.
Dann kommen wir zum Kap selbst, mit den Schildern, die man in jedem Reiseführer und jedem Photoalbum sieht. Tatsächlich stehen die Leute hier an, um das Erinnerungsphoto zu machen. Man bekommt allerdings Berg und Meer nur schwer auf ein Photo, und gerade die beiden zusammen machen den Reiz der Gegend aus. Die Benennung des Kaps scheint ein politisches Manöver gewesen zu sein. Der eigentliche Entdecker, Dias, hatte es Kap der Stürme genannt. Das aber kam beim portugiesischen Königshof nicht so gut an. Man wollte ja schließlich die Seefahrer weiterhin dorthin schicken und nicht schon durch den Namen abschrecken. Also benannte man es um in das politisch korrekte Kap der Guten Hoffnung. Hoffnung existiert schließlich noch beim stärksten Sturm. Schon nach den Erfahrungen der wenigen sommerlichen Tage in Kapstadt kann ich mir vorstellen, dass das mit den Stürmen die passendere Bezeichnung war.

Unser Führer betont, was ich in diesen Tagen immer wieder höre und gehört habe: Hier treffen keine zwei Ozeane zusammen, und es ist auch nicht der südlichste Punkt Afrikas. Der liegt ein paar Autostunden weiter östlich. Und da treffen die Ozeane aufeinander. Hier am Kap treffen zwei Strömungen zusammen. Was genau das bedeutet, weiß auch keiner so richtig. Jedenfalls gibt es eine dem Laien verständliche Erklärung dafür, warum es auf der einen Seite der Halbinsel so viel kälter ist als auf der anderen: Die starken Winde entfernen die wärmeren, oberen Wasserschichten und an ihre Stellen treten die kälteren Schichten aus der Tiefe.

Während die anderen mit einer Seilbahn auf einen Berg fahren, gehe ich mit der Spanierin zum Mittagessen. Dabei erfahre ich, dass ich unbedingt nach Argentinien reisen muss. Das sei das schönste Land, das sie bisher bereist habe. Und sie muss wissen, wovon sie spricht. Sie scheint schon überall gewesen zu sein. In Argentinien soll ich nach Buenos Aires und von da aus weiter nach San Martín de los Andes fliegen und dort die Ruta de los siete
lagos machen. Unverfälschte Natur, sensationelle Eindrucke, bester Service, und das alles zu Spottpreisen. Nur dahin kommen muss man erst einmal.

Danach kommen wir nach Simon’s Town, dem ehemaligen Marinestützpunkt der Briten, und dort nach Boulders Beach. Hier kann man am Strand gegen Eintritt Brillenpinguine in freier Laufbahn sehen – die einzigen Pinguine Afrikas. Auf Englisch heißen sie Jackass Penguins, wegen der Eselslaute, die sich von sich geben. Und so hört es sich tatsächlich an. Wenn man die Augen schließt, kann man kaum glauben, dass diese Schreie von den „süßen“ Pinguinen kommen. Man ist überrascht, die Pinguine, die man so sehr mit Kalte und Eis verbindet, hier in aller Ruhe beim Sonnenbaden am Strand zu stehen. Als Behausungen nutzen sie Höhlen in den Felsen oder bauen sich Nester, aber was für welche! Regelrechte Strohhütten. Auch das überrascht. Was machen die Tiere, die so ins Wasser vernarrt sind, hier auf dem trockenen Strand mit Sand und ein paar Gradbüscheln in Behausungen aus Stroh?

In den Beschriftungen erfährt man, dass bei Pinguinen im Gegensatz zu anderen Vögeln die Knochen nicht hohl oder mit Luft gefüllt sind zur Gewichtsreduktion, dass sie Salzdrüsen haben, aus denen überflüssiges Salz ausgeschieden wird, und zwar durch Schütteln des Schnabels, und dass sie bei der Mauser 21Tage lang an Land und 21 Tage lang ohne Nahrung bleiben müssen und sich daher vorher so richtig voll fressen.

Wie kommen die Pinguine hierher? Der Führer bietet die Theorie eines untergegangenen Eisbergs an, von dem sie an Land geflüchtet sind. Mein Reiseführer hat etwas Besseres: Sie lebten vorher auf Inseln und bauten sich ihre Höhlen in den Guano. Seitdem der von  Menschen als Dünger entdeckt und abgebaut wird, haben sie keine Möglichkeit mehr,  Nester zu bauen und sind ans Land emigriert. Hier lauern viel mehr Gefahren auf sie, und ihre Zahl ist auch schon beträchtlich dezimiert worden.

Als der Fahrer nach einer traditionellen Weihnachtssitte in Südafrika gefragt wird, sagt er: „An den Strand gehen.“

Wir kommen durch Fish Hoek, ein Ort der als dry town bezeichnet wird. Das kommt daher, dass hier kein Alkohol verkauft wird (außer in Gaststätten zum Essen), da die Seeleute aus Simon’s Town hierher kamen und sich betranken. Daraufhin traf man diese einschneidende Entscheidung, zum Wohle des Rufs von Fish Hoek – und dem der Seeleute?

In der Ferne sehen wir Constantia, das erste Weinanbaugebiet Südafrikas. Hier befand sich Mandelas Gefängnis, als er krank wurde und aus Robben Island entlassen wurde. Unser Führer ist ein uneingeschränkter Bewunderer Mandelas und war Augenzeuge seiner berühmten Rede nach seiner Entlassung. Alle erwarteten eine feurige Rede zum Umsturz und zur Abrechnung mit den Weißen. Was folgte, war ein Aufruf zur Kooperation. Und zwar auch aus ganz praktischen Gründen: „Könnt Ihr ein Unternehmen leiten? Könnt ihr eine Bank leiten? Könnt ihr eine Regierung leiten? Also lasst uns mit den Weißen zusammenarbeiten, von ihnen lernen. Ich bin nicht für die Schwarzen im Gefängnis gewesen, sondern für alle Südafrikaner“.

Zum Abschluss der Rundfahrt geht es noch in den berühmten Botanischen Garten von Kirstenbosch. Leider merkt man jetzt, dass der Fahrer es eilig hat, nach Hause zu kommen. Wir werden im Schnelldurchgang durchgeschleust und sehen eine Straße, in der Pflanzen aus verschiedene Teilen des Britischen Empire angepflanzt sind. Wir sehen einen roten Mahagonibaum, dessen Name, Kaya, denselben Ursprung haben soll wie der des Känguru (was vermutlich ebenso wenig stimmt). Wir sehen Kampfer und riechen daran. Wir sehen die Nationalblume Südafrikas, auf Englisch partea. Und wir erfahren, dass viele unserer Gartenpflanzen, z.B. die Geranie, die eigentlich Pelargonium heißt, ursprünglich aus Afrika stammt.

 

Wir kommen früher als geplant nach Kapstadt zurück, da wir gegen den Uhrzeigersinn gefahren sind. Auf der ganzen Strecke sind uns, vor allem am Nachmittag, Autos in endlosen Schlangen entgegengekommen. Gut, dass ich kein Auto selbst gemietet habe.

Am Abend gerate ich, diesmal rechtzeitig auf der Suche nach Essen aus dem Haus gehend, in das südafrikanische Pendant einer Pommesbude, von Indern betrieben. Dort bestelle ich samusas, dreieckige, gefüllte Teigtaschen, wie spanische empanadillas. Lecker.

Als ich wieder auf die Straße komme, merke ich, dass ich auf der Straße mit der kitschigen Weihnachtsbeleuchtung gelandet bin, der Adderley Street. Hier gibt es heute und in den nächsten Tagen eine Art Straßenfest mit Live-Musik und Ständen, an denen es unglaublichen Ramsch zu kaufen gibt. Außerdem gibt es Dutzende von Fressständen. Heute hat man es in dieser Beziehung gut mit mir gemeint, zu gut, im Vergleich zu gestern. Hier gibt es u.a. die typisch südafrikanische boerewors, ‚Burenwurst’, mit Koriander gewürzte Wurst.

 

An einem Stand preist ein Verkäufer einen Zwiebelschäler an, der die Zwiebeln in einen einzigen durchgehenden Ring schneidet. Dazu verspricht er: „This will make your future life much easier“.

27. Dezember (Mittwoch)
Der Tafelberg hat die Angewohnheit, immer irgendwie verdeckt zu sein. Meist stehen Hochhäuser oder Baukräne davor, und an der Waterfront ein Gebäude mit Schächten, das entweder eine ehemalige Zementfabrik oder eine ehemalige Mehlfabrik sein könnte.

Als ich am Morgen durch die Straßen laufe, scheint mir die Sonne ganz schon auf den Pelz, nur merkt man es meistens nicht, weil es fast immer windig ist.

Das sog. Koopmans de Wet Haus am Strand (XVIII) war das Wohnhaus eines reichen
Kaufmanns und ist im Stil des 18. Jahrhunderts wieder hergestellt worden. Es ist äußert geräumig, viel mehr, als man von außen vermutet. Alle Räume sind sich irgendwie ähnlich, mit viel Holz und Porzellan und Messing. Überall wird kontrolliert Wohlstand zur Schau gestellt. Alles ist gepflegt und hochwertig, aber wirkt gleichzeitig schlicht. Gold, Teppiche, Vorhänge fehlen. Es ist ein kaufmännischer Wohlstand, kein fürstlicher. Das Holz ist meist Mahagoni, aber auch eine Holzart ist vertreten, deren kurioser Name mir schon dieser Tage
aufgefallen ist: stinkwood. Daraus sind unter anderem zwei schön gedrechselte Kerzenhalter. In den Ecken stehen Möbel, meist Anrichten, die dreieckig sind und sich dem Winkel des Raums anpassen. Das Haus lag früher an der Hauptstraße, die von auswärts an der Burg vorbei in die Stadtmitte führte. Gleich gegenüber ging es zum Hafen runter.

In mehreren Räumen an der Wand befestigte Waschbecken aus Messing, kunstvoll
beschlagen. Auf Hygiene und vor allem wohl auf die Zurschaustellung der Wichtigkeit von Hygiene legte man offensichtlich wert. In mehreren Räumen Instrumente wie Barometer und Ferngläser, die geschäftlichen Zwecken dienten.
Oben, wo es fast genauso vornehm zugeht, ein ganz kurioses Instrument, ein goffering iron, dessen Bestimmung sich nicht ohne weiteres erschließt. Es handelt sich um zwei übereinander angebrachte Röhrchen mit Rillen, die mittels einer Handkurbel in Bewegung gesetzt werden. Die Röhrchen werden mit heißem Wasser gefüllt, und dann werden Stoffe hindurchgerollt, um sie in Rüschenform zu bügeln.

Der schöne, langgestreckte Innenhof bietet den Blick frei auf die über ihn hinausragenden Hochhäuser, ein kurioser Kontrast von Alt und Neu.
Unterwegs zur Burg komme ich über die Darling Street, sehe Busse, die nicht ganz auf dem neuesten Stand sind, aber Golden Arrow heißen, Straßenkehrer, die Leuchtkleidung mit dem Aufdruck „Jesus Saves“ tragen, und berittene Polizei.

Um die Burg herum führt ein Wassergraben. Das Wasser kommt aus den Bergen. So ist es jetzt und so war es ursprünglich. Dazwischen aber wurde das Wasser aus den Bergen in die privaten Haushalte geleitet und dafür der Graben der Burg als Abwasserbecken benutzt. Das war zu der Zeit bestimmt sinnvoll, wurde aber bei der Restaurierung der Burg wieder ruckgängig gemacht.

Über dem Eingang, der 1683 von vorne zur Seite verlegt wurde, ein Relief mit einem Löwen, der 7 Pfeile in den Klauen hält. Die stehen für die 7 Provinzen der Niederlande. Darüber ein kleiner, mehreckiger Glockenturm aus Ziegeln, die eigens aus Holland importiert wurden.

Die Burg ist fünfeckig und hat eine Bastion an jeder Ecke. Diese Struktur war besonders geeignet, da so jeder Winkel außerhalb der Burg von innen eingesehen werden konnte. Vergebliche Liebesmüh: Die Burg musst nie einen Angriff abwehren. Vielleicht sorgte ihr wehrhaftes Äußeres, mit großen, dunklen Steinblöcken, für genügend Abschreckung.

 

Das Innere wirkt ganz anders.. Hier sieht alles viel wohnlicher aus. Die Fassaden sind gelb getüncht, mit weiß gefassten Sprossenfenstern auf zwei Etagen und den Fensterlaibungen, Blendladen und Pforten in dunkelgrün. Nur in einem Teil des Gebäudes wird Rot statt Grün verwendet. Hier wurde das Schießpulver aufbewahrt. Rot signalisierte wirklich Gefahr. Auch die fünfeckige Struktur ist verschwunden. Ein Gebäude teilt den Innenhof in zwei Teile, und ein weiteres, die ehemalige Bäckerei, steht mitten im hinteren Teil und nimmt dessen Fläche zum großen Teil ein.
Die Beschilderungen sind hier dreisprachig, und die dritte Sprache ist Xhosa, und das ist auch, wie sich herausstellt, die Muttersprache des Führers. Es gibt eine große Besuchergruppe für die Führung, die aber glücklicherweise geteilt wird in eine mit Englisch und eine mit Afrikaans. Erstaunlicherweise ist unsere, die englische Gruppe, kleiner. Das bringt aber nicht viel, denn man versteht wenig und erfährt noch weniger. Wir werden in das dark hole geführt, eine unterirdische Kammer, in der man zunächst Schießpulver aufbewahrte, dann aber merkte, dass es dafür hier zu feucht war, woraufhin die Kammer zum Verlies umfunktioniert wurde. Dann wird demonstriert, woher sie ihren Namen hat, und diese Demonstration ist wahrlich beeindruckend und bedrückend. Als das Licht gelöscht und die Tür geschlossen ist, sieht man wirklich nichts mehr, nicht einmal die sprichwörtliche Hand vor den Augen. Es ist eine andere Art von Dunkelheit als die, die wir in unseren Wohnungen haben, wo wenigstens das Schwarz noch anders, irgendwie heller ist als das geschlossene, dunkle Schwarz, das wir hier haben.

In der Burg lebten 300 Soldaten. Der obere Stock war Wohnraum, der mittlere Vorratslager, und der untere beherbergte die Werkstätten.

Wir kommen auch noch in eine Folterkammer ohne Folterinstrumente. Man erfährt nicht, wer hier gefoltert wurde und warum, dafür aber, dass die Ziegel, aus denen ein Teil der Wand gemauert ist, aus Holland importiert wurden und die Funktion hatten, als Ballast für die Balancierung der Schiffe zu sorgen. An der Eingangstür zur Folterkammer ist ein nach unten ausgerichtetes Hufeisen angebracht. Das soll Pech bedeuteten. Das Glück fällt sozusagen nach unten durch. Da die Burg praktischerweise am Meer lag, konnten die zu Tode Gefolterten gleich danach umweltschonend entsorgt werden.

Vom ältesten Gebäude Kapstadts geht es danach in das zweitälteste, die Slave Lodge. Vorher aber gibt es in der schönen, im Kellergewölbe untergebrachten Cafeteria der Anglikanischen Kathedrale ein gesundes Mittagessen mit Suppe, Salat und Mineralwasser. Während die Cafeteria offen ist, ist die Kathedrale selbst geschlossen.
Die Anglikanische Kirche war die einzige, die während der Apartheid die Rassentrennung nicht beachtete. Nur so konnte Desmond Tutu („Just call me Arch“) hier Bischof werden.

Am Eingang zum Park macht eine kleine Gruppe afrikanischer Kinder afrikanische Musik, barfuss und in afrikanischen Röckchen. Als ich später wieder hier vorbei komme, packen sie gerade ein. Sie tragen jetzt Turnschuhe, Jeans und T-Shirts. Trotzdem haben sie sich ihr Geld verdient. Mit einfachsten Mitteln, einer großen Trommel und ein paar Schellentrommeln, wird eine eingängige Musik gemacht, die sich ständig wiederholt und doch nicht langweilig ist.

Die Slave Lodge ist jetzt Museum der Sklaverei und war früher der „Aufbewahrungsort“  für Sklaven, die der VOC, der Holländischen Ostindienkompanie, gehörten. Die anderen Sklaven, die privaten, wurden sofort auf einem der Plätze der Stadt verkauft. In der Zwischenzeit (ab 1811) diente das ansehnliche, weiß getünchte Gebäude verschiedenen Regierungsstellen und dann dem Obersten Gerichtshof als Sitz.

Das Gebäude gruppiert sich um einen Innenhof, in dem Ankündigungen gemacht,
Anordnungen getroffen und Geißelungen und Hinrichtungen durchgeführt wurden. Der Innenhof hat einen Brunnen. In Ausgrabungen wurden zahllose Tonpfeifen gefunden, Beleg dafür, wie populär das Rauchen unter den Sklaven war.

Die Sklaven kamen meist über den Indischen Ozean, aus Madagaskar und Mozambique,
aber auch aus Java, Ceylon und Indien. Die Sklaven aus Asien galten als hochwertiger, da sie sich auf Gewürze verstanden und bessere technische Kenntnisse mitbrachten. Nach dem Ende des Sklavenhandels in Großbritannien klaute die englische Marine mit Billigung der Regierung Sklaven von Sklavenschiffen anderer Länder! Die ersten Sklaven kamen 1658. 1795 lebten 16.000 Sklaven am Kap. Da im Laufe der Zeit immer mehr Sklaven hier geboren wurden, lies die Zahl der Importe langsam nach.

Die Sklaven verwalteten sich selbst. Unter ihnen gab es eine klare Hierarchie. Die Mulatten standen besser, die Sklaven aus Goa galten als Abschaum. Nachts wurde von außen abgeschlossen. Damit wollte man verhindern, dass es zu Brandstiftung kam. Die Sklaven würden sich selbst in Gefahr bringen.

Bis 9 Uhr abends konnte Besuch empfangen werden. Davon machte viele Frauen unter den Sklaven Gebrauch, die sich erhofften, von Weißen ein Kind zu bekommen. Das Kind sollte
es einmal besser haben. Diese Form von milder Prostitution wurde geduldet, da es nicht unmittelbar um Geld ging, heißt es.

Insgesamt lebten 250-300 Sklaven hier, etwas mehr Frauen als Männer, und ein Drittel Kinder.

In Afrika gab es schon Sklavenhandel, bevor die Europäer kamen. Der wurde von Arabern betrieben, und der Kontakt zwischen Arabern und Schwarzen war der Ursprung der Suaheli- Kultur.

Eine besondere Funktion hatte die Namensgebung. Den Sklaven wurden grundsätzlich neue Namen gegeben, oft unter Verwendung von klassischen oder biblischen Namen (Moses, Hannibal, Titus), ihrem Herkunftsland oder dem Monat des Eintreffens: Augustus von Batavia, Oktober von Mozambique. Damit wurde eine Datenbasis geschaffen, die eine Kontrolle ermöglichte über die Identität der Sklaven. Die Namen hatten u.a. die Funktion, sicherzustellen, dass nie mehr als zwei Sklaven desselben Ursprungslandes in einem Haushalt arbeiteten. Heute haben diese Namen eine wichtige Funktion für die Forschung.

Durch Gerichtsprotokolle ist belegt, dass die Sklaven Buginese, Javanesisch, Tamil, Portugiesisches Kreol und Malay sprachen, aber auch etwas Holländisch, und dass Buren auch etwas von diesen Sprachen verstanden. Aus der Mischung entstand Afrikaans.

Die Sklaven bekamen Uniformen, die viele von ihnen aber immer wieder verkauften. Einen Hut zu tragen war ein besonderes Privileg. Man durfte ihn nur tragen, wenn man Holländisch konnte. Es war möglich, in die Freiheit entlassen zu werden, aber schwierig. Man musste 30 Jahre gearbeitet haben, Holländisch können und Geld genug haben, um sich freizukaufen und selbständig ernähren zu können. Das passierte nicht viel öfter
als einmal pro Jahr. Ebenso oft kam es zu Hinrichtungen.

Die Slave Lodge hatte ein Hospital und eine Schule. Die Kinder der Sklaven wurden bis zum Alter von 12 Jahren unterrichtet und erlernten ein Handwerk. Es gab sogar Versuche von Freien, ihre Kinder in dieser Schule unterzubringen. Das wurde aber abgelehnt. Das Hospital war allerdings eher eine Knochenbrecherinstitution, und die hygienischen Verhältnisse eine Katastrophe.

Danach geht es gleich weiter in die Gardens. Das ist die Keimzelle Kapstadts. Hier wurden Obst und Gemüse zur Versorgung der Seeleute angepflanzt. Heute sind die Gardens ein wunderbarer Park und eine Art Botanischer Garten. Auch hier gibt es eine Führung, aber die ist genauso armselig wie die in der Burg. Ich werde mir aber klar – jetzt erst – wie viele der historischen Bauten sich um den Park herum gruppieren: das Parlament (das der Führerin zufolge zwischen Kapstadt und Pretoria hin und her pendelt) und die Nationalbibliothek an einem Ende des Parks, das Planetarium, die Kunstgalerie, das Holocaust-Museum und das Südafrikanische Museum an der anderen Seite und das Tuynhuys, der ehemalige und jetzt noch für repräsentative Zwecke genutzte Sitz des Präsidenten an der Längsseite. Auf meine Frage, wo denn die Regierung sitze, sagt das Mädchen, das mich führt, die pendele auch, wie das Parlament. Ich habe hier aber noch von keinem Ministerium etwas gehört. Als ich dann frage, ob der Präsident denn in Kapstadt sitze, entscheidet sie sich nach einigen Zögern für die salomonische Losung: Der pendelt auch. Später stellt sich heraus, dass sie damit sogar Recht hat. Der Präsident ist während der Parlamentssession in Kapstadt, sonst in Pretoria.

Wir sehen eine Skulptur und eine steinerne Laterne, beides Geschenke Japans an Südafrika – zur Bekräftigung der besonderen Beziehungen zwischen Südafrika und Japan!  Japanische Flüchtlinge wurden hier in den 30er Jahren aufgenommen. Dann sehen wir die fälschlicherweise so genannte Slave Bell, tatsächlich eine Brandglocke, und ein paar Statuen, darunter die von Grey, einem Gouverneur der Provinz und dem ersten, der eine Geschichte des Kap schrieb und Schriften über das Kap sammelte. Er steht richtigerweise vor der Nationalbibliothek. Am anderen Ende des Parks die Statue von Rhodes. Er zeigt nach Norden und sagt, der Inschrift zufolge: „Your hinterland lies there“.  Sowohl von Grey als auch von Rhodes, zwei Exponaten der Kolonialkultur, wird ganz ohne Hass, ja sogar mit Bewunderung gesprochen. Rhodes, der gerade außerhalb von Südafrika geradezu die Personifizierung des Imperialismus ist, gelte es für drei Hinterlassenschaften zu danken: Der Groote Schuur, dem Krankenhaus, in dem später die erste Herztransplantation stattfand, den Ländereien um den Tafelberg, die er der Provinz vermachte mit der Auflage, sie als Naturschutzgebiete zu erhalten, und dem Stipendium, das seinen Namen trägt.

Wir sehen außerdem den ältester Baum des Parks, einen bestimmten Birnenbaum, jetzt eingezäunt und gestützt, einen riesigen Gummibaum, der viel kleinere Blätter hat als das, was bei uns unter‚ Gummibaum’ läuft, und eine Aloe, die irgendeine besondere Bedeutung für Kapstadt hat. Dazu Bambusbäume, einen Mahagonibaum aus den USA und einen sog. Weihnachtsbaum aus Neuseeland.

Abschließend haben wir noch eine Diskussion über Bettler. Meine Begleiterin sagt entschieden, man solle den Leuten kein Geld geben. Es gebe shelters, und dort gebe es alles. Man solle besser den shelters eine Spende geben. Klingt einleuchtend, aber warum suchen einige Leute in den Papierkörben herum? Warum sollen sie nicht einmal etwas kaufen dürfen, wonach ihnen ist?

Anschließend gibt es in der Cafeteria des Parks Tee mit scones. Dann mache ich mich auf die Suche nach den Bänken mit den Aufschriften whites only und non-whites only. Keiner weiß etwas davon. Nach langer Suche finde ich sie dann doch, gar nicht weit von den Gardens entfernt. Sie stehen symbolträchtig genau vor dem Gerichtsgebäude, in dem jahrzehntelang über Klagen gegen die Einordnung in eine der Farbgruppen verhandelt wurde. Manchmal waren die Klagen sogar erfolgreich. Es gab insgesamt sieben Klassen, von Weißen als höchster bis zu Zulus als niedrigster Klasse.

Und dann der langwierigen Versuch, weitere Dinge für die nächsten Tage zu organisieren. Ein irischer Film, der sehr gute Kritiken bekommen hat, „The Wind That Shakes the Barley“ – handelt von dem irischen Konflikt mit den Briten – läuft nirgendwo. Wenn man keinen Hollywood Blockbuster sehen will, hat man es hier schwer. Dabei sind die Themen Irlands doch auch die Themen Südafrikas.

Dann geht es um eine Fahrt ins Weinland. Dabei ergibt sich ein schönes Missverständnis: Die nette Dame im Touristenbüro fragt: „Would you have a pen?“ Darauf halte ich ihr meinen Kuli entgegen. Sie sieht mich verständnislos an. Sie wollte die PIN. Als ich eine halbe Stunde vorher schon mal da war, hatte ich ihr tatsächlich einen Kuli gegeben, als sie einen Anruf für mich machte und sich vergeblich nach einem Kuli umsah, um eine Notiz zu machen.

28. Dezember (Donnerstag)
Auf den Geldscheinen sind Tiere statt bekannter Persönlichkeiten abgebildet: Büffel, Löwe, Elefant, Nashorn. Der höchste Schein, den es gibt, ist der zu 100 Rand. Das sind gerade einmal 10 Euro. Man hat also immer ein gut gefülltes Portemonnaie bei sich.

Heute geht es in die Townships. Ich bin wieder der einzige. Der erste Halt ist in dem abgebrochenen District Six, der jetzt wiederaufgebaut werden soll. Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl: Es gibt zwei Kirchen und zwei Moscheen und Straßen, aber keine Häuser. Der gesamte Stadtteil, bemischt bewohnt, wurde im Zuge der Rassentrennungspolitik aufgelöst und Schwarze und Farbige in die Townships umgesiedelt, 20 Kilometer entfernt. Die Wiederansiedlung von Menschen im District Six ist mit vielen juristischen Problemen verbunden – es handelt sich jetzt oft schon um die nächste Generation – und es kommt hinzu, dass gar nicht mehr alle unbedingt zurück wollen. Dazu geht der Bau der Häuser wohl nur sehr schleppend voran.

Mein Führer, der selbst aus dem Township stammt, in das wir fahren, gibt mir erst noch ein paar geschichtliche Hintergrundinformationen: Die Präsenz der verschiedenen afrikanischen Völker erklärt sich teilweise daraus, dass Nordafrikaner auf der Suche nach Grasland und der Flucht vor Krankheiten, vor allem der durch die Tsetsefliege übertragenen Krankheiten, hierher kamen.

Der Konflikt zwischen Briten und Buren  ergab sich, oder eskalierte endgültig, als in den Gebieten, in die die Buren vor den Briten „geflüchtet“ waren, Oranje und Transvaal, Gold und Diamanten entdeckt wurden. Die wollten die Briten den Buren nicht so ohne weiteres überlassen. Die Buren ihrerseits hatten zwar die Bodenschätze, mussten aber Materialien und Maschinen über das britische Kapstadt einführen.  Die Union wurde 1910 gegründet, nach den daraus resultierenden Burenkriegen.

Das Kap ist der einzige Ort in Afrika, zu dem Sklaven gebracht wurden. Sonst wurden Sklaven aus Afrika nur exportiert. Sie hatten einen erheblichen Anteil an dem Aufbau Kapstadts, sie waren bei dem Bau der Burg, der Docks und der Wohnhäuser beteiligt und halfen im Weinanbau.

Während die Xhosa hauptsächlich am Kap leben, leben Sotho und Zulu hauptsächlich in der Gegend um Johannisburg. Der Sprachenname Sotho ist auch Teil des Ländernamens Lesotho, der Sprachenname Suana des Ländernamens Botsuana. Die Muttersprache meines Führers ist Xhosa. Sie ist verwandt mit Zulu, Swatis und Mdebele, hat aber im Gegensatz zu diesen Klicklaute. Diese haben sie durch Kontakt mit den Buschmännern, den San, in ihre Sprache übernommen, oder zumindest drei davon. Sie werden durch die Buchstaben x, c und q repräsentiert. Er amüsiert sich sehr über meine Versuche, die Klicklaute zu lernen.  Keine Ahnung, warum.

Bei der Fahrt in Richtung Townships sehen wir je einen Golfplatz zu beiden Seiten der Straße. Auch sie hatten eine Funktion innerhalb der Apartheidpolitik. Sie wurden als Pufferzone zwischen den Wohnvierteln der Weißen und den Townships errichtet.
Wir kommen in Langa an, dem Township, das wir besuchen wollen. Langa bedeutet ‚Sonne’, aber das ist nicht die eigentlich intendierte Bedeutung. Das Township sollte nach einem schwarzen Rebellenführer benannt werden, dessen Namen den Bestandteil Langa aufwies. Die Verwaltung entschied, der Name des Rebellenführers sei zu lang für ein Wohnviertel und kürzte zu Langa ab. Der Rebellenführer war auch in Robben Island inhaftiert.

Das Township ist zur einen Seite durch die Straße, zur anderen durch die Bahnlinie begrenzt. Dadurch wollte man ein Auswuchern verhindern.

 

Es gibt Steinbauten, aber auch Hütten. Die sind durch den Wind und durch Feuer in Gefahr. Die Bewohner benutzen häufig Paraffin oder Gas, weil beide billiger sind als Elektrizität, und die Feuer sind vorprogrammiert. Dadurch, dass die Townshipbewohner oft dem Trunk ergeben sind, wird es auch nicht besser.

Mein Begleiter erzählt mir, dass sein „Zuhause“ daheim für ihn weiterhin sein Dorf im Ostkap ist. Dort hält er auch Tiere, was in seiner Kapstädter Wohnung unmöglich wäre. Tiere sind als Mitgift unerlässlich und sind Statussymbol, werden aber auch wegen der Tradition gehalten.

Auf einem Kiosk, der, wie man erst auf den zweiten Blick sieht, in seinem ersten Leben  Eisenbahncontainer war, ist eine Werbung mit dem Wort Kuyafiwa angebracht. Das kenne ich doch: kuya heißt ‚sterben’ auf Suaheli. Ist das Zufall? Nein, erfahre ich, so ist es gemeint: Dieses Getränk ist so gut, dass man dafür sterben könnte. Mein Begleiter meint, das sei gar nicht unüblich, Wörter aus dem Suaheli in anderen, nicht verwandten afrikanischen Sprachen anzutreffen.
Der erste Eindruck der Häuser in Langa ist ganz positiv. Farbig gefasste, niedrige, solide aussehende Reihenhäuser. Mein Begleiter wendet aber ein: Es wurde beim Bau viel Asbest verwandt, und die nahen Industrieanlagen brächten schlechte Luft. Außerdem sei beim Bau der Häuser viel Beton verwandt worden. Warum das schlecht ist, weiß ich nicht, aber er scheint Stein zu bevorzugen.

 

Dann kommen wir in das Haus seiner Bekannten, Faith. Sie ist heute alleine, wohnt aber zusammen mit sechs anderen in dem Zweizimmerhaus. Das erste Zimmer, in das man sofort eintritt, ist das Wohnzimmer für die ganze Familie, im zweiten Zimmer schläft sie mit Mutter und Sohn, alle in einem Bett – obwohl dort auch ein Sofa steht – und ihr Bruder ist mit Frau und Tochter in einem Holzverschlag untergebracht, den sie sich selbst im Hinterhof gebaut haben. Dort gibt es auch ein funktionstüchtiges WC mit Wasserspülung, das selbst sauber ist, aber in einem Raum mit dicken, schwarzen Spinnenweben an der Wänden.

 

Beide Räume sind vollgestopft mit Dingen, viele in westlichen Sporttaschen verpackt. Es gibt sogar einen riesigen Kühlschrank, eine Mikrowelle und einen Fernseher mit Flachbildschirm. Das will nicht so recht zu der Armut passen. Für den Strom gibt es einen Zähler an der Wand, in den man eine vorher aufgeladene Geldkarte steckt. Wenn die Karte leer ist, gibt es eben keinen Strom mehr.

 

Die Kinder gehen bis zu 12 Jahren in die Schule, müssen aber Schulgeld bezahlen, so dass viele dann eben doch nicht gehen.
Dann bekomme ich ein Photoalbum mit Initiationsriten des Stammes zu sehen. Über die Hochzeitszeremonie, als wohl weiblich empfundene Domäne, unterrichtet sie mich, er über die Beschneidungszeremonie.

 

Die Hochzeit wird gleich zweimal gefeiert, einmal nach Stammesart, einmal nach westlicher Art. Man kann das Hochzeitspaar in den westlichen Klamotten gar nicht wiedererkennen. Wichtig sind vor allem die Farben, bei jedem Stamm verschieden, in diesem Fall hellblau, dunkelblau und weiß, alle mit symbolischer Bedeutung ausgestattet. Auch die Kleidung hat immer einen symbolischen Wert: Wer keine Jacke trägt, ist noch nicht Mutter, wer einen Hut trägt, ist verheiratet. Traditionellerweise tragen Frauen den Oberkörper frei.
Die Beschneidung der Männer kann jetzt aus rechtlichen Gründen erst mit 18 vorgenommen werden. Die jungen Männer bemalen den Körper mit weißer Farbe und leben wochenlang zusammen, getrennt von dem übrigen Stamm. Nur ein kleiner Junge darf sie als Botschafter aufsuchen. Sie üben während der Zeit die rituellen Tänze, die sich nach ihrer Rückkehr ins Dorf in allen Häusern vorführen. Am Ende der Probezeit springen sie ins Wasser, reiben sich die weiße Farbe ab und ziehen westliche Kleidung an, als Zeichen der Transformation, des Eintritts in eine neue Lebensphase.  Danach können sie heiraten. Das haben sie dann davon.

Vermutlich habe ich es hier mit privilegierten Schwarzen zu tun, die schon durch den Kontakt mit dem Tourismus eine Erwerbsquelle haben. Das würde auch die Präsenz der Elektrogeräte erklären. Und Faiths gutes Englisch. Sie verkauft sehr kitschigen Schmuck, der aussieht, wie aus dem Kaugummiautomaten gezogener Mädchenschmuck. Ein oder zwei vorzeigbare Ketten sind auch darunter, eine mit Engelsgeduld aus selbst gesammelten kleinen weißen Muscheln gemacht, eine aus bläulichen Körnern.

Von hier aus geht es in ein anderes Wohnviertel. Hier sieht alles wirklich heruntergekommen aus. Zwischen den Häusern, sog. hostals, sandiger, unebener Boden,  mit zerbeulte Getränkedosen, aufgeschlitzten Plastikflaschen, Steinen, alles voller Staub und Gestank.  Die hostals waren ursprünglich Gastarbeiterwohnungen, d.h. Häuser mit Einzelzimmern für die aus den Dörfern in die Stadt wandernden Einzelpersonen, meisten Männern. Die holten dann ihre Familien nach oder gründeten hier Familien und lebten mit ihnen in den Einzelzimmern. Der Eingangsbereich ist gleichzeitig Gemeinschaftsküche, Gemeinschaftswaschraum und Gemeinschafswäscheraum, mit sehr primitiven Vorrichtungen. Von hier aus „flüchteten“ dann viele Familien in die shacks, die Baracken, die zwar primitiver waren, aber wenigstens Privatsphäre boten.

 

Die sehen wir im Anschluss.  Hier ist es umgekehrt wie bei den Reihenhäusern. Sie sind besser als sie auf den ersten Blick aussehen. Angesichts einer ziemlich windschiefen Hütte gerät mein Begleiter fast ins Schwärmen, und tatsächlich merkt man, wenn man genau hinsieht, dass die Hütten doch sehr gepflegt sind, mit einem ordentlichen Anstrich und sogar einem mittels eines Draht abgetrennten „Vorgarten“. Hie gibt es allerdings keine Wasserspülung, sondern die andere Seite der Straße zierenden Donnerbalken in Holzverschlägen. Die Baracken werden jetzt nach und nach durch Häuser aus Stein ersetzt, die als Eigentum erworben werden können. Das geht allerdings nur sehr schleppend voran. Hier und da hört man doch Klagen darüber, dass viele der Vorsätze seit der Abschaffung der Apartheid noch nicht umgesetzt worden sind. Eine neue Verfassung macht eben noch kein neues Land. Und die Rassentrennung ist zwar rechtlich aufgehoben, aber faktisch immer noch da. Man zieht ja nicht gleich in ein anderes Viertel, nur will man es jetzt darf – abgesehen davon dass man es sich leisten können muss.

 

Dann kommen wir zu einem Kulturzentrum, Guga Shebe, dessen Name so etwas wie ‚alt gewordenes Tablett’ heißt. Warum das ein geeigneter Name für ein Kulturzentrum sein soll,  weiß ich nicht.

 

Hier kann man Keramik, Schnitzkunst und Musik erlernen, Informationen zur Aids-Bekämpfung bekommen und an von Bill Gates gestifteten PCs sein Computeranalphabetentum ablegen. Das Zentrum hat auch schon einen Opernsänger hervorgebracht, der hier als Autodidakt durch das Hören von Schallplatten begann.

Langa war 1960 auch der Schauplatz eines Protestmarschs, der durch geschickte Strategie der Regierung verpuffte, aber ins kollektive Gedächtnis der Leute eingegangen ist. Der Ausgangspunkt war auf der Mandy Street, nach einem Schiff benannt, in dem afrikanische Emigranten in einem Schiffsunglück untergingen.

Dann kommen wir zu dem Teil, in dem die Oberschicht des Viertels wohnt, nahe der Straße. Das war auch absichtlich so angelegt, damit man von außen einen besseren Eindruck bekam. Tatsächlich sind die Häuser hier größer und komfortabler. Die Strategie der Regierung wurde dann aber durch die Bewohner der Townships torpediert, die ausgerechnet hier, zwischen Straße und Oberschicht, ihre Baracken erbauten. Das wiederum führte zu Konflikten mit der schwarzen Oberschicht, denn die Bewohner der Baracken kletterten schon mal über den Zaun, um sich hier umsonst Wasser zu besorgen und ihren Abfall zu entsorgen.

 

Zum Abschluss geht es dann durch ein Township der Farbigen. Hier ist der Durchschnitt so, wie bei der Oberschicht der Schwarzen, und die Straßen sind breiter und in einem besseren Zustand. Hier ist es nicht viel anders als in dem Arbeiterviertel einer englischen Industriestadt.

 

Dann geht es Richtung Kapstadt zurück zur Groote Schuur, dem Krankenhaus, in dem die erste Herztransplantation stattfand. Dort will ich ins Museum. Doch das ist auch geschlossen. Die Warnung des Reiseführers, diese Reisezeit zu meiden, war nicht unberechtigt: Nach Parlament, Evangelischer Kirche und Robben Island ist dies schon der vierte Punkt, der ins Wasser fällt. Andererseits kann man in einer Woche ohnehin nicht alles unterbringen.

 

Als wir nach Kapstadt reinkommen, haben wir zwei unschuldig aussehende Fußgängerbrücken vor uns. Auch sie sind relevant. Die erste, eine offene Gusseisenbrücke, war für Nichtweiße, die zweite, eine geschlossene Kunststoffbrücke, nur für Weiße.

Am Nachmittag gehe ich noch ins Planetarium. Dort erwartet mich eine Überraschung: Statt einer Erklärung des südlichen Sternenhimmels gibt es eine Erklärung über die Ägyptischen Pyramiden. Immerhin verlassen wir den Kontinent nicht. Wie früher im Planetarium, verstehe ich nur Bahnhof. Im groben läuft es wohl darauf hinaus, dass alles an den Pyramiden eine astronomische Grundlage hatte. Es fängt damit an, dass alle ägyptischen Pharaonengräber, auch die Pyramiden, westlich des Nil liegen. Im Westen geht die Sonne unter, hier „stirbt“ sie, und wie die Sonne, so der Pharao. Außerdem sind alle drei großen Pyramiden genau nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet. Bei der großen, der Cheops-Pyramide, beträgt die Abweichung gerade einmal ein Zwanzigstel eines Grads. Und dann wird es phantasievoll: Durch die Pyramide laufen zwei Schächte diagonal von der Grabkammer nach außen. Davon ist einer so ausgerichtet, dass seine verlängerte Linie genau den Nordpol des Himmels trifft, also die Sterne, die nie untergehen – genauso wie der König. Bei dem südlichen Schacht ist es so, dass diese Linie durch das Sternbild des Orion läuft, und zwar genau durch den Gürtel des Orion, der von den drei hellsten Sternen des Sternbilds dargestellt wird. Und das, was wir heute Orion nennen, war für die Ägypter das Sternbild des Osiris, des höchsten Gottes – mit dem der Pharao durch diese Konstruktion in Zusammenhang gebracht wird. Wenn die Ägypter das alles so gut konnten, stellt sich die Frage, warum die drei Pyramiden nicht in einer Achse stehen, sondern etwas verschoben. Das wäre doch eine Kleinigkeit gewesen. Auch hierfür gibt es eine „göttliche“ Erklärung: Die Ausrichtung der drei Pyramiden zeichnet genau den Verlauf der drei hellsten Sterne des Orion nach!  Alles, was danach an Erklärungen angeboten wird, gilt der Widerlegung einer ohnehin abenteuerlichen These und entzieht sich völlig meinem Verstehen. Als wenn das andere nicht schon abenteuerlich genug wäre.

Danach fühle ich mich so müde, dass ich mich auf den Heimweg mache. Woher die Müdigkeit kommt, weiß ich nicht. Geschlafen habe ich weiß Gott genug in den letzten Tagen.

Später mache ich noch ein Photo von der Statue Jan van Riebeecks, gar nicht weit vom Hotel. Sie soll angeblich genau an der Stelle stehen, an der der Dargestellte zum ersten Mal den Boden Südafrikas betreten hat. Jetzt ist hier ein Kreisverkehr mit riesigen Hochhäusern. Alles, was hinter der Statue liegt, ist dem Meer abgetrotztes Land. Riebeeck trägt langes Haar, einen hohen Hut mit breiter Krempe, einen eng geschnittenen Gehrock, Kniehosen, Seidenstrümpfe und Schnallenschuhe. Sieht alles sehr nach Holland aus. Er stützt sich leicht rückwärts gelehnt auf einen Stock und sieht sehr stolz aus. Kurioserweise wurde die Statue von Rhodes gestiftet.

Am Abend lande ich, ohne es recht zu planen, ausgerechnet in einer spanischen Tapas-Bar mit dem sehr spanischen Namen Fork. Draußen keine Speisekarte, drinnen kein einziger Gast, das kommt mir erst sehr spanisch vor, aber als ich reinkomme, merke ich, dass fast alle Tische reserviert sind. Und es lohnt sich. Hochoriginelle tapas verbinden sich mit traditionelleren wie gefüllten Kroketten. Der Höhepunkt ist: “Gebratener Ziegenkäse mit Tomatenbiskuits und Zwiebeln mit Portmarmelade“. Wer hätte gedacht, dass das schmeckt?
Freitag, 29. Dezember 2006
In der Nacht heult der Wind. Man glaubt, in einem europäischen Herbststurm zu sein. Ausgerechnet am Morgen des Tages, an dem es auf den Tafelberg rauf gehen soll,
ist es bewölkt. Also geht es zuerst ins Südafrikanische Museum.

Die Fußgängerampeln sind nicht sehr fußgängerfreundlich. Sie sind meistens Rot,
und wenn dann Grün kommt, muss man sofort durchstarten, wenn man rüber kommen
will. Während der Grünphase ist das nicht zu schaffen. Man hat etwa eine Sekunde
für zwei Meter.

Wie in Tansania gibt es auch hier die Kleinbusse, die privaten Personentransport
betreiben. Wie in Tansania, machen die Schaffner, meist ganz junge Männer oder Jugendliche, mit Pfeifen, Schreien und Ausrufen des Zielorts auf sich aufmerksam. Die Busse sind aber in einem viel besseren Zustand. Dadurch fällt eins flach: Man haut nicht, wie in Tansania, immer wieder von außen auf die Karosserie, um für sich zu werben.

In der Nähe der Gardens ist mit einer schlichten Steinplatte der Ort markiert, an dem, unter einer Palme, früher die Sklaven an Privatleute verkauft wurden. Gleich gegenüber die Kirche der Reformierten Holländischen Kirche, der Kirche der ‚Rechtgläubigen’, der „zum Gebet versammelten Nationalen Partei“. Man betritt einen breiten, einfachen, weitgehend schmucklosen Raum mit Sitzbänken auf allen Seiten und in der Empore. Die Kirche fasst sagenhafte 2.000 Menschen. Einen Altar scheint es gar nicht zu geben, dafür aber eine mächtige Kanzel, an der Stelle, an der bei uns der Altar steht, und gleich gegenüber eine ebenso mächtige Orgel, an der dem Vernehmen nach ein „weltberühmter“ Organist spielt. Er hat auch schon Konzerte in Ulm und Ottobeuren gegeben. Eine Besonderheit ist die Decke, die größte ihrer Art auf der Welt, eine suspended rib vault ceiling. Sie hat wohl die Funktion, Geräusche in das Innere der Decke abzuleiten und dadurch die Akustik zu verbessern. Die Löcher, durch die der Schall nach oben entweicht, sind verdeckt durch große Rosetten, in denen sich die südafrikanische Nationalblume, die Partea, mit europäischem Eichenlaub paart. Die Gottesdienste werden hier in Afrikaans abgehalten.

Auf dem Weg zum Südafrikanischen Museum mache ich Halt auf einer Parkbank in den
Gardens. Ein graues Eichhörnchen kommt mir bis auf einen halben Meter nahe.

Im Südafrikanischen Museum fehlt das eigentlich erwartete Highlight: die Fußspuren eines frühen Menschen (oder eines Vorgängers des Menschen), die ältesten, die es überhaupt gibt. Es ist aus unerfindlichen Gründen nicht ausgestellt. Von dem Rest ist besonders das sehenswert, was einen gleich am Eingang erwartet: Felszeichnungen. Die ältesten sind so alt, dass sie nicht datiert werden können. Jedenfalls sind sie älter als 40.000 Jahre – die längste Zeitspanne, die mit Radiokarbonuntersuchungen erfasst werden kann. Als Material
wurden Steine verwendet, aber auch Fragmente von Straußeneinern sind erhalten.
Erkennen kann man so gut wie nichts, mit etwas Phantasie einige Füße, aber es
ist deutlich, dass Farbe verwendet wurde.

Die Zeichnungen aus der nächsten Epoche sind dagegen schon bestens zu erkennen. Hier wird der Stein nicht bemalt, sondern beritzt. Man erkennt eine Sonne, ein Strichmännchen, und ein paar Tiere, alle wie von Kinderhand geschaffen.

Die dann folgende Epoche bietet Kunstwerke, bei denen man den Mund nicht zukriegt vor Staunen. Ein ganzer Felsbrocken mit Dutzenden von Antilopen – wohlproportioniert, genau und vollständig dargestellt, mit fühlbarer Körperfülle. Sensationell. Die Antilopen sind in Ocker und Weiß. Leider wird nicht verraten, woraus die Farben hergestellt sind. Dazwischen, aber erst auf den zweiten Blick zu erkennen, ein paar Paviane und menschliche Figuren, die wie Jäger aussehen. Die Beschriftung klärt uns aber auf, dass es sich nicht um Jäger handelt, sondern dass die Männer sich mit den Antilopen bewegen, ihnen folgen, sich unter sie mischen, um etwas von der übernatürlichen Kraft der Tiere zu erlangen.. Jedenfalls galten sowohl Antilopen als auch Paviane als etwas Besonderes. Pavianhaar wurde auch bei Heilsprozessen eingesetzt. In einer Szene sollen einer Antilope sogar die Haare zu Berge stehen, und dem ihm folgenden, es am Schwanz packenden Menschen ebenfalls. Jedenfalls, das ist wohl die Schlussfolgerung, handelt es sich um mystische Szenen, nicht etwa um Bilderbücher von Jagderlebnissen oder gar Anleitungen zum Jagen. Ganz nebenbei, und hier verbindet sich das Mystische mit dem Praktischen,  kommen die Antilopen, wenn sie sich lange bewegt haben, zum absoluten Stillstand und sind dann leichte Beute der menschlichen Pfeile.

In der Eingangshalle ein 250 Millionen Jahre altes Fossil eines Reptils, einer Art Wiesel, sehr gut erhalten. Ursprünglich guckten nur die Nase und ein Fuß aus dem Stein hervor. Das Tier hat sehr unterschiedliche Rippen vorne und hinten, aber wozu das gut ist, verstehe ich nicht.
Unten moderne Dioramen, die Fauna des Wassers darstellend, und im Zentrum die berühmten, riesigen Walskelette, die auf mehreren Etagen von der Decke herabhängen. Man sieht, dass die größten Wale, aber wirklich nur die allergrößten, tatsächlich größer als Elefanten sein müssen. Besonders die Backenknochen, wenn es denn welche sind, sind enorm. Die viergliedrigen Hände – nach außen als Flossen getarnt, aber hier klar als Hände zu erkennen – sehen geisterhaft aus.

 

Bei den Vögeln bemerkenswert ein Albatrossjunges, mit schneeweißem, flauschigen Fell, mutterseelenallein auf einem als Nest dienenden Sandhügel mit einer Kuhle, mitten in einer Ebene sitzend. Die Eltern sind zum Teil wochenlang unterwegs und kommen dann erst mit Nahrung zurück.

 

Sehr ansehnlich eine riesige, anderthalb Meter lange Wasserschildkröte mit grünlich schimmerndem Panzer. Sie legt 115- 197 Eier pro Gelege, mehrmals im Zweiwochenrhythmus. Wozu all der Aufwand? Die Jungen haben nur geringe Überlebenschancen. Die meisten schaffen es nicht einmal bis ins Meer. Fällt der Natur keine einfachere Art ein, die Art zu schützen?

Über die Menschen Südafrikas gibt es einen Ausstellungssaal, der wohl sehr umstritten ist. Die Dargestellten verwehrten sich gegen den Eindruck, der hier entstanden sein soll, alle Schwarzen lebten im Busch. Es wurde auch kritisiert, dass reale Menschen für die ausgestopften Figuren Modell gestanden haben. Zur Ergänzung der eigentlichen Ausstellung hat man moderne Photos an die Vitrinen gehängt mit Szenen aus dem Alltagsleben. Ich glaube nicht, dass die Sache so entstellend ist. Man erwartet nicht, dass ein Museum die aktuelle Lebenswirklichkeit abbildet.

 

Auch hier gibt es Informationen zu den Initiationsriten, ganz ähnlich dem, was ich in Langa im Township erfahren haben. Als Ergänzung dazu erfahre ich, dem, dass die Jungen nach dem Ende ihrer Isolationszeit die typischen Kleidung, die sich während dieser Zeit getragen haben samt der Hütte, in der sie gelebt haben, abfackeln, als Zeichen dafür, dass sie das jetzt hinter sich lassen.

 

Bei den Zulu sieht man farbenprächtige, rechteckige, Ohrringe auf weißem Grund, mit schönen geometrischen Mustern und dem Abbild der Mondsichel. Sie sind aus Holz oder Elfenbein und Teil des weiblichen Initiationsritus’: Die Ohren sind jetzt, wenn man die ersten Ohrringe bekommt, „größer“, man hört, d.h. man versteht besser, man ist gereift. Im Laufe der Zeit werden die Ohrringe – im Englischen earplugs, nicht earrings – immer größer. Wer weiß, vielleicht bewundern die Teenager der Zulus ihre Großmütter, weil sie so große Ohren haben.

Die Sotho machen wie alle Bantus Bier. Bier hat seine Funktion nicht nur als erfrischendes Getränk, sondern auch als Zahlungsmittel für Dienstleistungen und als „Friedenspfeife“, d.h. man geht einen trinken, um sich zu versöhnen. Wer sagt denn, dass unsere Zivilisationen so weit voneinander entfernt sind?

Es gibt auch etwas über die Geschichte der verschiedenen Völker Südafrikas, aber die vielen, sich teils überschneidenden Bezeichnungen machen das Verständnis schwer. Jedenfalls erfährt man, dass das Sotho-Gebiet  zuerst von Buschmännern bewohnt war. Dann kamen Bantusprecher, vor allem, Nguni, in die Gegend, mit denen es zwar Streit um Vieh gab, mit denen man sonst aber zurecht kam. Dann kamen andere Nguni, Plünderer, die selbst woanders vertrieben worden waren, und das führte zu gravierenderen Konflikten. Was mir nicht klar wird, ist, ob die Nguni identisch sind mit den Zulus und die hier erwähnten Konflikte mit der sog. Mfecane. Dabei handelt es sich um Kriegszüge der Zulus, die das Land verwüsteten, und die Errichtung eines Militärstaates, der die alten, seit Jahrhunderten stabilen Strukturen aufbrach. Viele Menschen, die sich nicht unterwerfen wollten, wurden in die Flucht getrieben – wenn sie überlebten. Auf diese entwurzelte Bevölkerung trafen die Buren, als sie die Kapkolonie verließen.
In einem anderen Saal gibt es wunderbare, wie Aquarellzeichnungen aussehende Blätter aus dem Codex Witseni, der Handschrift über eine von Simon van der Stel im Auftrag des Namensgebers, Witsen, dem Präsidenten der VOC, unternommenen Expedition in die Kupferberge, ins Namaqualand. Man glaubt hier, Kunstwerke vor sich zu haben, aber es handelt sich um Dokumente. Jedes Blatt enthält eine einzelne Pflanze oder ein einzelnes Tier mit Zeichnung und Beschriftung. Die Expedition verlief im Sande, brachte aber die erste wissenschaftliche Erfassung der südafrikanischen Natur – und bedeutete gleichzeitig das erste Eindringen der Weißen ins Innere Afrikas.

Am Ende sehe ich noch ein Modell des Tafelbergs, meinem nächsten Ziel. Man sieht, dass es sich weniger um einen einzelnen Berg als um ein ganzes Ensemble handelt und dass er oben gar nicht so flach ist, wie er von unten aussieht.

 

Zum Tafelberg geht es mit dem Taxi. Auf der Fahrt erfahre ich, dass Benzin billig ist – weniger als 1 Dollar pro Liter. Die meisten Autos sind japanische Fabrikate, aber das Taxi ist ein Ford und in die Townships sind wir mit einem VW gefahren. Man erzählt mir, es gebe auch viele indische Autos, aber die habe ich nicht gesehen.

 

Am Tafelberg bezahle ich für meinen Entschluss, nicht am frühen Morgen gegangen zu sein, mit dem Warten in einer ansehnlichen Schlange. Es ist aber alles bestens organisiert, und die Seilbahn braucht gerade mal fünf Minuten – modernste Schweizer Technik – um einen nach oben zu bringen. Trotzdem bewundert man die Geduld der Leute, die hier mit Rollstuhl oder Kinderwagen hochfahren. Oben verläuft sich alles sehr schnell, und als ich ein paar Hundert Meter gegangen bin, bin ich plötzlich ganz allein. Aber das Weiterkommen ist gar nicht so einfach. Der Weg führt über Gesteinsbrocken und ständig auf und ab. Dabei umläuft man das zentrale Plateau, das wirklich flach und ganz mit fynbosch bewachsen ist, so ähnlich wie Erika bei uns. Die Aussicht, oder besser die Aussichten, von hier oben sind wirklich phantastisch, aber mehr als bewundern und photographieren kann man nicht, und bald fahre ich wieder runter.

 

In der Touristeninformation, einer der „besten der Welt“, kennt man die Evangelisch-Lutherische Kirche nicht. Erst nachdem ich meine Karte zeige, erklärt man mir, wie ich dorthin komme, und als ich sie erreiche, ist sie geschlossen. Von einem Film, den ich suche, „The Departed“, behauptet man, er laufe nur in einem Kino, ich hätte „nicht richtig geguckt“. Als sich dann herausstellt, dass der Film in vier Kinos läuft, sagt man mir, für diese Kinos habe man keine Karten. Als ich dann frage, ob man nicht mal unter T statt D nachsehen könnte, erscheint der Film auf dem Computerbildschirm und ich bekomme meine Karte. Später muss ich einsehen, dass ich mir die ganze Mühe für einen völlig hirnrissigen Film gemacht habe.

Als ich aus dem Kino komme, kurz nach acht, beginnt es zu dämmern. Ich lande in der Long Street ausgerechnet in einer irischen Kneipe, weil es hier Straußenfilet gibt. Dazu bestelle ich ein Castle Beer. Beides ist passabel, aber nicht umwerfend. In der Long Street fühlt man sich wie in New Orleans. Oder so, wie man glaubt, man fühle sich in New Orleans. Überall Live-Musik aus den Kneipen, Tavernen und Restaurants, Menschen auf der Straße, und auf den gusseisernen Balkonen der Lokale.

30. Dezember (Samstag)
Die San, die „Buschmänner“, waren Nomaden – Jäger und Sammler – und bewohnten den Südwesten der Region. Die Khoikhoi, die „Hottentotten“, Hirten, drangen dann von Norden ein, etwa aus dem heutigen Botsuana. Und schließlich kamen Bantu-Sprecher, Ackerbauern, aus dem Osten hinzu, etwa aus dem heutigen Transvaal und Natal. Das ergab das Völker- und Lebensgemisch Südafrikas, bevor die Weißen kamen.

Die gerieten einerseits in Konflikt mit den Khoikhoi als Konkurrenten in der Viehzucht und zusammen mit ihnen in Konflikt mit den San, die alles Vieh als ihre natürliche Beute ansahen. Noch zu holländischen Zeiten und später nochmals kam es zu den „Kaffernkriegen“ gegen die Xhosa. Diese wurden in das Gebiet des späteren Transkei zurückgedrängt und unterworfen.

 

Nach dem Wiener Kongress kam die Kapkolonie an Großbritannien, das sie vorher, während der Napoleonischen Kriege, schon zweimal besetzt hatte. Die Ansiedlung schottischer und anderer englisch sprechender Siedler und die Emanzipation der Sklaven führten zu Konflikten zwischen der Verwaltung und den Buren. Die Buren machten sich auf den Großen Trek und gründeten die Burenrepubliken außerhalb der Grenzen des Empire. Die Buren wollten Autonomie und beriefen sich dabei auf die Französische Revolution! Das ist seltsam, denn gerade die Schritte der Verwaltung am Kap, wie die Abschaffung der Sklaverei, gegen die sie opponierten, waren wenigstens indirekt selbst Resultate der Gedankenbewegung, die zur Französischen Revolution geführt hatten. Hier berufen sich also „Reaktionäre“ auf eine Revolution, die im Namen des „Fortschritts“ geführt wird. Sie waren selbst durch den Imperialismus überwältigt worden und machten sich das gleiche Projekt zueigen wie später die Führer des Schwarzen Afrika: politische Macht erringen und ihren Völkern damit Wohlstand und Fortschritt zu bescheren. Das ist die Ironie der Geschichte.

 

Heute ist Regen angesagt und ich nehme eine Regenjacke mit, was sich als unnötig und lästig erweist. Der einzige Artikel aus der Reiseapotheke, der zum Einsatz kommt, ist wieder einmal das Blasenpflaster, die größte Erfindung seit der Erfindung des Rads.

Heute geht es auf eine geführte Besichtigungstour durch die Innenstadt und das
sog. Malaienviertel, das Bo-Kaap, das ‚Hohe Kap’. Es wird von der Buitengracht von der Innenstadt abgetrennt und liegt zwischen ihr und dem Tafelberg auf einem Abhang. Niedrige, farbig gefasste Reihenhäuser in hellen Farben, sehr gepflegt, auf Straßen mit Kopfsteinpflaster. Malerisch. Das Viertel sollte wie der District Six abgerissen werden, wurde aber am Ende verschont. Es wird fast ausschließlich von Muslimen bewohnt.

Viele Häuser sind ‚anglisierte’ holländische Hauser. Der Führer zeigt, auf welche Unterschiede man achten kann. In einem Fall haben wir ein Haus, das auch im Georgian Viertel von Dublin oder in Bath stehen konnte: flacher Abschluss der Fassade (holländisch: geschwungener Giebel), Türflügel (holländisch: horizontal in zwei Teile geteilte Türen, wie in deutschen Bauernhäusern), halbkreisförmiges Oberlicht (holländisch: rechtwinklig), Türklopfer, Briefschlitz, farbige Fassade (holländisch: weiß), große Fenster, Blendläden mit Schlitzen (holländisch: ganzteilig).

 

Viele Häuser haben eine Sitzbank, zum Plausch mit dem Nachbarn, zum Teetrinken, am Ende des erhöhten liegenden Eingangs. Erhöht deshalb, weil man dann von den Schmutzspritzern der vorbeifahrenden Ochsenkarren verschont blieb.

 

In der Mitte des Viertels die Longmarket Street, die steil zum Markt abfällt und über die man früher die Waren zum Verkauf hinunter brachte. Man kann nur hoffen, dass die Ochsenkarren gute Bremsen hatten.

Die Muslime kamen nach Kapstadt, weil sie aus den asiatischen Besitzungen der Holländer ausgewiesen und hierher strafversetzt wurden. Paradoxerweise verbreiteten sie ihren Glauben dann hier. Das ist heute noch spürbar: Kapstadt hat einen viel höheren Anteil an Muslimen als Südafrika insgesamt (nur 4%).

Die erste Moschee, die wir sehen, ein zweistöckiges, gelb gefasstes Haus mit Balkon, sieht wie ein Wohnhaus aus, zumal es zwischen Wohnhäusern steht. Erst auf den zweiten Blick, von der Seite aus, sieht man dahinter das Minarett. Das Jahr des Baus der Moschee ist 1834, das Jahr der Befreiung der Sklaven.

Auf der nächsten Straße kommen wir an eine ganz anders aussehende, grün gefasste Moschee mit Palmen davor. In ihr residierte ein türkischer Imam, der als Schlichter in
einer religiösen Auseinandersetzung hierher gerufen wurde. Er soll das erste Buch auf Afrikaans überhaupt verfasst haben, eine Verteidigung des Glaubens, in arabischer Schrift!

All das hatte ich noch gar nicht gesehen. In der Innenstadt dagegen gibt es Dinge, die ich schon gesehen und doch nicht gesehen habe, und auf die der hervorragende Führer jetzt aufmerksam macht. Dazu gehört ein in den Bürgersteig eingelassenes Emblem, auf das man überall stößt, aber das ich noch nie beachtet habe. Es stellt den Grundriss der fünfeckigen Burg dar und hat darin das Monogramm der Ostindienkompanie, die ineinander verschlungenen goldenen Lettern VOC.

Der Führer hat einen deutschen Namen, scheint aber Afrikaans zu sprechen. Der einzige andere Teilnehmer ist wohl Australianer, aber während der gesamten zweieinhalb Stunden ist von unserer Herkunft nie die Rede.

Die Niederländer kannten das Kap schon lange, bevor sie ihre Versorgungsstation hier errichteten. Es lag auf ihrem Weg nach Batavia.

Die Heerengracht ist benannt nach den Herren, d.h. den Präsidenten der VOC. Ein Teil der ehemaligen Herrengracht heißt jetzt Adderley Street, nach einem britischen Politiker. Dem war Kapstadt zu Dank verpflichtet. Die Briten wollten eigentlich ihre Sträflinge nach Kapstadt verschiffen, aber Adderley setzte sich dafür ein, dass es Sydney wurde. Das fanden die Kapstädter gut.

In einer unterirdischen Passage bleiben wir vor einer Vitrine stehen, in der ein Stein liegt. Es ist einer der sogenannten postal stones. In diese Steine wurden von der Schiffsbesatzung Nachrichten über die Seereise eingraviert. Dann wurden die Steine von einem anderen Schiff mit nach Holland genommen, zur Information der nächsten Schiffsbesatzung. Eine Art von Snail-Mail des vorvorigen Jahrhunderts. Die eingravierten Buchstaben sind erstaunlich sorgfältig gemacht und heute noch deutlich lesbar. Muss eine Wahnsinnsarbeit gewesen sein.

Dann sehen wir Ausgrabungen, die fast wie römische Funde aussehen. Man fand sie bei dem Neubau des Bahnhofs an der Stelle des alten Bahnhofs. Es ist das erste Wasserreservoir Kapstadts. Es befand sich gleich neben der ursprünglichen, viereckigen Burg, die sich wiederum gleich neben der aktuellen, fünfeckigen befand, da, wo heute der Platz des (alten) Rathauses ist, der Platz, an dem Mandela seine berühmte Rede hielt, vom der City Hall aus. Das Gebäude ist im Stil der Neorenaissance. Es besteht aus Granit und Sandstein. Beide sind hier reichlich vorhanden, wurden aber für die City Hall aus Edinburgh bzw. Bath importiert. Da muss es tüchtige Geschäftsmänner gegeben haben, die den Siedlern ihre Produkte aufschwätzten – wie der sprichwörtliche Kaufmann, der den Eskimos Kühlschränke verkauft.

Die Judikative, erfahren wir, ist in einem Ort namens Bloemfontein in Oranje. Die dezentrale Verteilung der unterschiedlichen Staatsorgane ist historisch bedingt. Als es zur Union kam, wollte jeder etwas abbekommen. Einen Ministerpräsidenten, erfahren wir jetzt auch, gibt es nicht, die Stellung des Präsidenten ist wie die des französischen.

Dann kommen wir zu dem Art-Déco-Gebäude, an dem wir auch im Bus schon vorbeigekommen sind. Es ist mit seiner nach oben sich verjüngenden Fassade dem Empire State Building nachempfunden. Oben an der Fassade, an den horizontalen Enden, sind vereinzelte Tierköpfe angebracht, Löwe, Pavian, Elefant. Weiter unten ein durchgehender Fries, auf dem Geschichte Südafrikas, in verschiedenen Szenen, dargestellt wird. Die Perspektive ist hier die der weißen Siedler. An der Seite acht lang gezogene Figuren, die die verschiedenen Stämme darstellen, darunter die Zulus und Xhosa, nicht aber die Hottentotten. Die Figuren sehen etwas stereotyp aus und haben leicht asiatisch wirkende Gesichter, aber die Accessoires sollen alle historisch richtig sein.

Bei der Holländischen Kirche, die ich dieser Tage schon besucht habe, macht der Führe auf einen dahinter stehenden Glocketurm aufmerksam, den ich noch gar nicht zur Kenntnis genommen habe. Er ist Teil des Vorgängerbaus. Das moderne Hochhaus daneben macht einen eleganten Bogen um den Turm herum. Der Altar der Kirche ruht auf zwei Löwen, weil die puritanischen Holländer gegen die drei halbbekleideten Jungfrauen opponierten, mit denen der Künstler, Anreith, Glaube, Hoffnung und Liebe darstellen wollte. Anreith war eigentlich Soldat und schuf dann für seine Kirche, die der Lutheraner, eine Kanzel, die die Aufmerksamkeit der Calvinisten auf sich zog, die ihn dann, obwohl Ketzer, auch für ihre Kirche verpflichteten.
Um den Kreis zu schließen, erhielt Anreith dann auch noch einen Auftrag von den Engländern, allerdings nur einen. Er konnte nicht nur Holz, sondern auch Stein bearbeiten und schuf das Emblem im Giebelfeld der Slave Lodge. Das geriet ihm zur Parodie, mit einem lahmen Löwen ohne Kraulen und einem schielenden Einhorn.

Später, in den Gardens, weist unser Führer uns auf zwei Putten am neoklassischen  Tuynhuys hin, Neptun und Merkur darstellend. Auch die sind von Anreith!

Auf dem Platz, an dem die Calvinistische Kirche steht, steht auch die Statue eines gewissen Hofmeyer, eines Mannes, der sich für Afrikaans einsetzte, das erst mehr als ein Jahrzehnt nach der Union offizielle Sprache wurde. Viele Farbige sprechen Afrikaans, so auch eins der Zimmermädchen des Hotels und, wie sich herausstellen sollte, der Taxifahrer, der mich zur Abreise an den Flughafen bringt.

Vor der Slave Lodge steht die Statue von Christiaan Smuts, dem Politiker und mehrmaligen Premierminister der Kapprovinz. Er ist mit einem Stock dargestellt. Was hat das für eine Bewandnis? Er war ein guter Wanderer und ging jedes Mal, wenn er nach Kapstadt kam, den Tafelberg rauf. Als das englische Königspaar zu Besuch kam und mit der Seilbahn raufgefahren wurde, empfing Smuts sie oben. Er war gewandert. Er hatte sich als militärischer Stratege einen Namen gemacht, und zwar im Kampf gegen die überlegenen Engländer, war dann zum Jurastudium nach London gegangen und wurde dann von den Engländern selbst zum Gouverneur gemacht und wurde später Premier. Er schreib auch die Präambel für die Verfassung des Völkerbunds.

Es gibt auch noch Erklärungen zu den Statuen von Grey und Rhodes in den Gardens: Grey, der die Hälfte seiner Büchersammlung der Nationalbibliothek vermachte, ist mit einem Manuskript in einer Hand und der anderen Hand auf einem Bücherstapel dargestellt. Rhodes kam bereits mit 17 Jahren wegen Asthmas nach Südafrika, wo seine Brüder bereits Unternehmer waren. Er kaufte dann eins der Unternehmen, wurde erfolgreich, wohlhabend und berühmt. Er starb schon mit knapp 50.

Dann geht es noch mal ins Planetarium. Diesmal gibt es auch tatsächlich den südlichen Sternenhimmel. Leider habe ich nicht mehr viel Gelegenheit, ihn zu beobachten.

Wieder wird viel zu viel erklärt, und viel zu komplizierte Sachverhalte, und ständig raus und rein gehende Besucher und das zappelnde und unentwegt babbelnde Kind neben mir auf dem Schoss einer Mutter, die die ganze Stuhlreihe durch Schaukeln in Bewegung hält, macht die Konzentration auch nicht leichter. Als dann mitten in der Vorführung ein Handy klingelt, braucht man nicht lange zu raten, wem es gehört.

Am Anfang gibt es eine Demonstration: Die Moderatorin zeigt, sich um sich selbst und um die Sonne drehend (d.h. den zentralen inneren Ring, wo das Projektionsgerät postiert ist) und auf den Himmel (d.h. die Kuppel des Planetariums) schauend, wann man was sehen kann – und was nicht. Dann kommt ein Tipp zur Beobachtung des Sternenhimmels: Man soll sich einen Fixpunkt merken, wo die Sonne untergeht, dann in der Nacht diesen Fixpunkt suchen und mit dem ausgestreckten linken Arm dahin zeigen und nach oben sehen. Dann sieht man genau auf den himmlischen Nordpol.
Das, was ich verstehe, ist wenig, aber genug: Wieder wird betont, dass auch die Sterne im Osten aufgehen und im Westen untergehen. Außerdem erfährt man, dass die Sonne unser nächster Stern ist, dass die Sonne ein gelber Stern ist, aber in ein paar galaktischen Minuten, d.h. in ein paar Millionen Jahren, zu einem roten Stern werden wird, dass es 13 Sternbilder, nicht 12, und 88 Konstellationen gibt. Diese wurden irgendwann international festgelegt, damit man sich verständigen kann.

Seitdem Pluto zum Zwergplaneten degradiert wurde (es gibt noch zwei weitere), gibt es noch acht Hauptplaneten. Ich muss mir einen neuen Merkspruch ausdenken. Davon sind nur Merkur, Erde, Venus und Mars solide. Auf den anderen kann man nicht landen. Sie bestehen aus Gas und Flüssigkeit. Die Ringe des Saturn sind aber solide. Zwischen diesen vier Planeten und dem viel größeren Jupiter fliegen alle möglichen Gesteinsbrocken durch die Gegend. Man vermutet, dass sich hier ein Planet bilden wollte, was aber von der Anziehungskraft des mächtigen Jupiter verhindert wurde.

Die Konstellationen zu erkennen ist ohnehin schwer genug, aber hier im Süden stehen sie zu allem Überfluss auch noch auf dem Kopf. Übersteigt mein Fassungsvermögen. Nicht
einmal das Kreuz des Südens kann ich erkennen.

Der von mir nicht zu identifizierende Stier hat einen Punkt, der nicht aus einem Stern, sondern aus sechs eng beieinander liegenden besteht. Kurioserweise heißt der in zwei afrikanischen Sprachen Sieben Geschwister. Warum sieben statt sechs? Der klassische griechische Name dafür enthalt auch die Zahl sieben. Man schließt daraus, dass sich der Himmel einfach verändert hat und man früher wirklich sieben sehen konnte.

Ganz beindruckend ist die Demonstration des Kapstädter Sternenhimmels. Wir sehen erst, wie er bei den tatsachlichen Lichtverhältnissen aussieht, und dann, wie er aussehen würde, gäbe es keine künstliche Beleuchtung. Das ist nicht nur viel klarer, sondern auch viel geheimnisvoller, und wenn der Himmel allmählich dunkler wird, überkommt einen ein metaphysischer Schauer.

Zum Abschluss gibt es noch eine Besonderheit Kapstadts. Es gibt eine Konstellation namens Mons Mensa. Die einzige Konstellation, die nach etwas konkretem Irdischen benannt ist: der Tafelberg.

Dann ins Hotel zum Umziehen und wieder zurück, von wo ich kam und noch etwas weiter – dem Blasenpflaster sei Dank – zum Mount Nelson Hotel zum High Tea. Man erreicht das Hotel am Ende der Gardens durch ein monumentales Portico und über eine steil ansteigende palmenbestandene Einfahrt.

 

Oben geht es vornehm zu, aber nicht alle Gäste sind vornehm gekleidet oder benehmen sich so. Volles Haus: nur noch draußen ist Platz, der Teeraum und der Wintergarten sind voll, aber es gibt noch Terrasse und Garten. Ich setze mich auf die Terrasse. Ein Tischtuch gibt es wegen des Winds erst gar nicht. Man wird auch nicht bedient, sondern bedient sich selbst. Es gibt – ganz unenglisch – auch kontinentale Torten, aber auch – ganz englisch – scones und cucumber sandwiches. Nach drei Gängen kalorienreich gesättigt kehre ich ins Hotel zurück.

Auf dem Rückweg sehe ich außer den Eichhörnchen schwarze Vögel, die mir schon auf der Rundfahrt zum Kap aufgefallen waren. Aus der Ferne glaubt man, es seien Krähen, aber aus der Nahe sieht man, dass sie viel kleiner sind, ein schillerndes Federkleid haben und kleine rotbraune Strähnen, die erst ganz sichtbar werden, wenn sie die Flügel ausbreiten.

Erst heute entdecke ich auf dem Weg zum Computerraum einen Rechtschreibfehler auf den Wegweisern im Hotel: Millenium Suite. Ob meine Studenten das wohl merken?

31. Dezember (Sonntag)

Zum Abschluss geht es noch einmal aus der Stadt hinaus, nach Stellenbosch ins Weinland. Stellenbosch und Simon’s Town – wir kommen heute durch beide – sind nach demselben Mann benannt, Simon van der Stel, einem Gouverneur der Provinz. Der sorgte u.a. für die Wiederaufforstung der Gegend und für den Ausgleich des Männerüberschusses am Kap durch den Import holländischer Waisenmädchen. Simon’s Town wurde von ihm als Winterhafen angelegt, um den gefürchteten Winden der Tafelbucht zu entgehen. Später wurde es von den Briten zum Marinestützpunkt ausgebaut. Stellenbosch dagegen entstand dort, wo er den idealen Ort für die zweite Siedlung der Niederländischen Ostindienkompanie ausmachte, die erste im Landesinnern. Stellenbosch ist die zweitälteste Stadt Südafrikas und die besterhaltene.

 

Erst mal geht in die falsche Richtung, an der Küste der Halbinsel entlang. Dadurch komme ich noch einmal in den Genuss der Landschaft und kann in Ruhe Photos machen und erfahre noch etwas dazu.

 

Dazu gehört die Bronzestatue eines Leoparden – ich frage noch mal nach: Ja, eines Leoparden – auf einem Felsstück direkt am Meer. Sie erinnert an die Leoparden, die früher hier lebten und sich von Fisch ernährten, eine verblüffende Anpassung an die Lebensumstände, genauso wie die Paviane dieser Gegend, die Muscheln in ihre Nahrung aufgenommen haben. Und die Haie der False Bay, die von den Walen das Auftauchen aus dem Wasser mit gekrümmten Rücken abgeschaut haben und es lustig praktizieren, obwohl sie physiologisch dafür gar nicht gut gerüstet sind. Irgendeine Funktion wird es wohl haben. Zu diesen drei Fällen, alle Beispiele des Wechselspiels von Umwelt und Erbgut zugunsten des Überlebens, passt etwas anderes, von dem ich durch ein Kalenderblatt erfahre: Mikroben, sog. Extremophile, die in Umgebungen gedeihen, die einst als unbewohnbar galten, wie solche mit hoher Konzentration von Giften oder Radioaktivität. Im Gegensatz dazu steht der arme Dodo, der ausstarb, weil seine Flügel immer schwerer wurden, wodurch er flugunfähig wurde, wodurch er leichte Beute seiner Feinde wurde. Warum hat die Natur, die sich sonst so flexibel zeigt, hier für keinen Ausgleich gesorgt, z.B. durch erhöhte Schnelligkeit wie bei den Straußen?

 

Unser erster Halt ist an dem East Fort, den Ruinen eines hoch über dem Meer in den Bergabhang gebauten Forts aus dem 19. Jahrhundert. Hier hat der Mensch flexibel reagiert: Es wurden vorgefertigte Holzbauten aus Constantia hierher gebracht, frühe Fertighäuser für die Armee!

 

Am Strand sehen wir in der Ferne einen Leuchtturm. Der wurde komplett aus England hierher geschifft.

 

In Simon’s Town machen wir Halt, um einem Hund namens Just Nuisance zu huldigen. Ihm wird hier mittels einer Statue gedacht. Vor ihm liegen eine Soldatenmütze und ein Orden. Beides wurde ihm auf Drängen der Seeleute von der Marine verliehen. Er begleitete die Seeleute auf ihren Landausflügen und sorgte dafür, dass sie heil wieder zu ihrer Einheit zurückkehrten, auch wenn sie einen über den Durst getrunken hatten. Er fuhr auch mit dem Zug mit ihnen. Ein kleinkarierter Schaffner wollte Fahrgeld von ihm, woraufhin die Matrosen ihn als ordentliches Mitglied in die Marine aufnehmen ließen, so dass er ein Gehalt bekam, von dem er dann die Fahrkarten kaufen konnte. Das schönste Detail dieser etwas überschätzten Anekdote, die meine Begleiterin, Kim, aber mit Enthusiasmus erzählt, ist die Namensgebung. Der Hund hieß Nuisance und als er offiziell registriert wurde, wurde auch nach dem Vornamen gefragt, worauf der Matrose sagte, er habe keinen, er heiße „just nuisance“. Und schon hatte er einen.

 

Kim hat einen viel schwächeren Akzent als unser Fahrer bei der Kaprundfahrt, aber zwei Vokale sind bei ihr auch völlig aus dem Lot: best klingt wie beast („the beast wines“) und pit wie put. Und als sie von breed and mulk spricht, muss ich zweimal nachdenken, was damit gemeint sein kann. Ihr Mann, sagt sie, mache dafür ihre Herkunft aus Durban verantwortlich, aber mir scheint, dass hier alle so sprechen.

 

Sie sagt, Wale sehe man hier ganz regelmäßig, auch ganz nahe am Strand. Sie sei auch schon mal auf einem Boot zur Walbeobachtung gewesen. Angst habe sie keine gehabt, nur die lauten Atemgeräusche der Wale seien gewöhnungsbedürftig gewesen. Die Walart dieser Gegend ist der Southern Right Whale. Der Name kommt daher, dass die Walfänger des 18. Jahrhunderts sie wegen ihres Fleisch- und Fettgehalts für die „Richtigen im Süden“ hielten.

 

Bei einem Halt unterwegs bekomme ich am allerletzten Tag dann auch noch die Gelegenheit, Biltong zu probieren, durch kräftiges Würzen und anschleißende Trocknung konserviertes Fleisch, meist von Antilopen, aber auch von Straußen und Rindern. Es wird  entweder in Wurstform angeboten oder in kleine Schnipsel geschnitten. Nur die Zweifel, wie man so etwas bestellt, haben mich bisher davon abgehalten, es zu probieren. Schmeckt ganz passabel, hat eine entfernte Verwandtschaft mit Schinken.

 

Von Geschichte versteht Kim nicht so viel, und die Führung in Stellenbosch fällt enttäuschend aus, aber von Wein versteht sie was. Schon durch den Geruch identifiziert sie abenteuerliche Aromen wie frisch geschnittenes Gras, Spargel, Pfirsich, Nuss, Karamell, Staub, Orange, Schokolade, Honig und viele andere. Die meisten bleiben mir verborgen, aber hin und wieder erkenne ich das Aroma, nachdem sie mir gesagt hat, um welches es sich handelt. Wenn das nicht pure Einbildung ist, dann zeigt es eine interessante Verbindung von Sprache und Denken.

 

Die meisten Weine schmecken mir nicht besonders, obwohl es sich um Qualität handelt und obwohl wir eine ganze Reihe von Trauben durchprobieren: Sauvignon, Chardonnay, Cabernet Sauvignon, Merlot usw. Der einzige Wein, bei dem ich ins Schwärmen gerate, ist ausgerechnet ein Noble Late Harvest, das Pendant zu unserer Trockenbeerenauslese – das Wort kann sie sogar auf Deutsch! Ihr zufolge ist der Merlot am Kap nur Mittelmaß, Chardonnay und Cabernet Sauvignon dagegen Spitze. Sie spricht vom südafrikanischen Wein „als Altem Wein aus der Neuen Welt“, im Gegensatz zum australischen, dem „Neuen Wein aus der Neuen Welt“. Was immer das bedeuten mag. Etwas neidisch kommentiert sie, wie gut die Australier ihren Wein vermarkten.

 

Auch sie spricht wieder von dem „mediterranen Klima“ des Kaps. Sowohl Fässer als auch Korken müssten aus Europa importiert werden, da die hiesigen Gewächse aufgrund des schnellen Wachstums, Folge des „mediterranen Klimas“, poröses Holz und porösen Kork hergäben.

 

Unterwegs lerne ich, dass das Autokennzeichen, und übrigens auch das E-Mail-Kennzechen, für Südafrika ZA ist, nach der holländischen Bezeichnung. CA steht nicht etwa für Capetown, sondern bedeutet so etwas wie die erste Stadt am Kap, das Alphatier der Provinz. Stellenbosch hat deshalb CB.

 

Stellenbosch, eine alte Stadt, ist keineswegs ein großes Dorf, wie ich es mit vorgestellt habe, sondern eine kleine Großstadt mit Universität, Tourismus  und großen Einkaufskomplexen. Im Gegensatz zu Kapstadt hat hier aber alles niedrige Geschosshöhe, und das ganze Stadtzentrum ist voll von weiß getünchten Häusern der kapholländischen Art. Vier davon hat man in einem Heimatmuseum zusammengefasst und können auch von innen besichtigt werden. Obwohl sie alle ganz ansehnlich wirken, sieht man vom ersten, um 1700 gebaut, bis zum letzten, um 1830 gebaut, die Verfeinerung von Wohnkultur. Bilder, Tapeten, Musikinstrumente, Spielzeug, Kinderbetten, Öfen (statt Feuerstellen) gesellen sich erst im Laufe der Zeit hinzu.  Zwei Besonderheiten sind ein aufrechtes Klavier (wovon es nur insgesamt fünf auf der Welt geben soll) und eine Dusche, ein Holzgestell mit einem Wasserbehälter oben, durch dessen löchrigen Boden, ganz wie bei einem modernen Duschkopf, mittels einer Kordel Wasser auf den Duschenden herabgelassen werden kann.

 

In den Gärten sehen wir Grantäpfel, Feigen und weiß blühenden, aber trotz des schönen Aussehens hoch giftigen Oleander und verschiedene Kräuter, die, wenn man sie in der Hand zerreibt, einen erstaunlich intensiven Geruch abgeben.

 

Dann gehen wir noch durch Oom Samie de Winkel, ein altes, in allen Reiseführern erwähntes Geschäft, einer Mischung aus Tante-Emma-Laden, Souvenirshop und Second-Hand-Shop. Man schlängelt sich durch die verschiedenen Verkaufsräume und fragt sich, angesichts der Hüte, Marmeladen, Puppen, Tassen, Gewürze, Atlanten, Vogelkäfige, was es hier eigentlich nicht gibt. Obwohl der Besuch quasi obligatorisch ist, ist nicht sicher, ob hier überhaupt jemand etwas kauft.

 

Nach meiner Einordnung von Kapstadt gefragt, fasse ich, nachdem ich pflichtschuldig die Schönheit der Umgebung erwähnt habe, so zusammen: eine Mischung aus Sydney und Bristol mit mehr Wind und Menschen mit dunklerer Hautfarbe. Die drei am häufigsten genannten Merkmale sind: Kapstadt war nicht das Resultat einer geplanten Stadtgründung, der Strand verläuft an der Stelle, an der früher das Meer war, und das Kap ist nicht der südlichste Punkt Afrikas.

 

Nachdem wir auf einer Terrasse noch so gerade etwas zu essen bekommen, kehren wir noch zu am späten Nachmittag nach Kapstadt zurück. Ich mache noch einen Spaziergang an die Waterfront und trinke dort einen Kaffee. Dabei lerne ich, worin sich der Cappuccino vom Café au lait unterschiedet:  Der Cappuccino enthält je ein Drittel Espresso, heiße Milch und Milchschaum, beim Café au lait stellt die heiße Milch die Hälfte. Um das zu erfahren, musste ich bis an Ende der Welt fahren.

 

1. Januar (Montag)

Am frühen Morgen geht es zurück. Der Kapitän scheint uns einen Gefallen tun und einen kleinen Rundflug gratis einbauen zu wollen und fliegt erst ein Stück in die falsche Richtung, bei niedriger Höhe und ganz langsam. Von oben hat man einen phantastischen Blick auf den Tafelberg, die False Bay, das Kap und Kapstadt, alles von der schräg stehenden Morgensonne erleuchtet. Nicht umsonst sprach Drake, nach seiner Weltumseglung vom Kap der Guten Hoffnung als dem „schönsten Kap auf dem ganzen Erdenrund“.

 

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