13. November (Samstag)
Als wir in Porto ankommen, ist das Wetter nicht so schlimm wie angekündigt. Der Himmel ist bedeckt, aber von Regen und Wind vorläufig keine Spur.
Der Flughafen von Porto ist hypermodern. Ein gläserner, flacher Rundbau wird von flachen, weit ausgreifenden Armen aus Beton gehalten. Der Arme sind so viele, dass man an einen Kraken denkt. Zufall?
Es geht hier ruhig zu wie auf einem Provinzflughafen, aber der Eindruck täuscht: Von hier aus geht es in die große, weite Welt, nach Mexiko, Kapstadt, New York und Rio. Direkt, und mehrmals in der Woche.
In die Innenstadt geht es am besten – so jedenfalls wird uns gesagt – mit dem Bus. Direkt bis zur Endstation. Auch der Busbahnsteig ist hypermodern, mit elektronischer Anzeige der Fahrt- und Wartezeiten. Ist das wirklich Portugal? Der Bus lässt zwar auf sich warten, ist aber auf die Minute pünktlich und mit allen technischen Neuigkeiten ausgestattet. Die Pendler „zahlen“ elektronisch, indem sie ihren Pass gegen ein Gerät halten. Man kann aber auch bar zahlen. Die Fahrt kostet gerade einmal 1,50 €. Und das, obwohl es sich um eine halbe Weltreise handelt. Es geht durch winzige Vorortstraßen, über eine Stadtautobahn, an einem riesigen Containerhafen und an einem Stadtpark und an einem Einkaufszentrum vorbei, über einen vierspurigen Boulevard und dann wieder durch Niemandsland. Einmal fährt der Busfahrer von der Hauptstraße auf eine Tankstelle ab, umkurvt die elegant, und fährt dann wieder auf die Hauptstraße. Und dann stehen wir im Stau. Als der sich auflöst, beginnt es, irgendwie innerstädtisch auszusehen. Wir kommen an der Casa da Música vorbei, der ersten (aus dem Reiseführer) bekannten Sehenswürdigkeit. Dann ist tatsächlich irgendwann Endstation. Als wir aus dem Bus aussteigen, fängt es an zu regnen. Eher zu fisseln.
Man sagt, es gehe nichts über den ersten Eindruck. Was ist der erste Eindruck von Porto? Es geht überall rauf und runter. Ich habe noch ganz vage Erinnerungen an Lissabon, wo das auch so ist.
Wir haben keine Ahnung, wo wir sind und fragen nach der Straße unseres Hotels. Erst später merken wir, dass es viel einfacher gewesen wäre, nach dem Hotel zu fragen: Hotel da Bolsa. An der Börse. Die kennt jeder.
Das Entziffern der Antworten ist eine Mischung aus Verstehen, Raten und Entziffern von Wörtern und Gesten. Die sind oft eindeutig und sagen: Rauf und runter. Schon bei den ersten Fragen ist man angetan von der Geduld, mit der geantwortet wird, und der Detailfreude der Beschreibungen. Die ist allerdings manchmal eher hinderlich als hilfreich.
Als wir ein älteres Ehepaar vor einem Geschäft nach dem Weg fragen, stellen wir plötzlich fest, dass wir vor der Libreria Lello & Irmão stehen, nicht irgendeiner Buchhandlung, sondern der Buchhandlung Portos. Sie steht in jedem Reiseführer, und drinnen drängeln sich keine Kunden, sondern Touristen mit ihren Kameras. Das scheint aber still geduldet zu werden.
Erst mal müssen wir uns aber um unser Hotel kümmern. Wir werden ein paar Straßen runter und dann andere rauf geschickt. Als wir gerade mal wieder unten sind, werden wir die Straße rauf geschickt, und das ist tatsächlich das Hotel. Als wir ankommen, fällt uns das grüne Leuchtkreuz einer Apotheke ganz in der Nähe des Hotels auf – und wir merken, dass wir die ganze Zeit im Kreis gelaufen sind. Das Hotel sieht vornehm aus, mit goldenen, gebogenen Lampen und gepflegten Blumenkübeln am Eingang, ist aber ganz normal. Das Fenster des Zimmers geht auf die seitwärts zum Hotel liegende Straße hinaus und gibt den Blick auf historische Häuser und eine erhöht liegende Kirche frei.
Wir machen uns sofort auf den Weg. Der kurze Aufenthalt soll schließlich genutzt werden, und die erste Sehenswürdigkeit kennen wir ja schon: die Buchhandlung. Wir haben Glück. Es ist jetzt nicht mehr so voll wie vorher. Man ist gleich beim Eintreten beeindruckt von dem herrlich im Jugenstil dekorierten Raum. Der schmale Raum, am Eingang an einer Seite von einer Theke flankiert, ist in der Mitte durch eine Treppe in zwei Teile geteilt und wirkt dadurch noch kleiner, als er ohnehin schon ist. Hinter der Treppe ist die Decke durchbrochen und gibt den Blick in das Obergeschoß frei. Die Treppe mit schönem, verzierten Holzgeländer und roten, sich nach oben verjüngenden, abgerundeten Stufen ist in zwei Läufe getrennt, die sich auf halber Höhe treffen und dann wieder auseinanderlaufen. Die Decke des Obergeschosses wird fast in der ganzen Länge und Breite von einer bunten Glasdecke eingenommen. An der Stirnseite ein dreigliedriges, oben mit Maßwerk nach gotischer Art verziertes Fenster. Die Wirkung ist phantastisch. Nichts wirkt überladen, nichts wirkt protzig.
Bücher gibt es auch. Die stehen in beiden Geschossen an den beiden Längsseiten in hohen Holzregalen. Owohl gar nicht viel Platz ist, ist das Angebot ziemlich gut. Wir stöbern ein bisschen in den Bücherregalen und machen uns einen Spaß daraus, die Titel von übersetzten englischen und deutschen Büchern in die Originalsprache zurückzuübersetzen. Dann nehmen wir eine portugiesische Bibel in die Hand und werfen einen Blick in die Schöpfungsgeschichte. Dabei fällt eine altertümlich anmutende Form auf, das enklitische Personalpronomen, genauso wie in älteren Sprachstufen des Spanischen und in modernen spanischen Dialekten: movíase statt, wie im modernen Standardspanisch, se movía. genauso wie in früher. Dann fällt uns eine in den Boden eingelassene Schiene auf. Man stutzt erst, aber die Erklärung ist nur ein paar Schritte entfernt, in der Form eines wie eine Lore aussehenden Wagens. Um die Regale aufzufüllen, braucht man die Bücher nicht heranzuschleppen, sonder kann sie mit dem Wagen an Ort und Stelle bringen. Beim Verlassen der Buchhandlung hat man ein etwas schlechtes Gewissen. Nichts gekauft, nur besichtigt.
Die eigentliche Überraschung wartet aber draußen. Hier informiert ein Schild über die Sehenswürdigkeit Buchhandlung. Demzufolge sind die ganzen schönen Holzschnitzereien in der Buchhandlung gar nicht aus Holz. Es ist Gips, das so bemalt worden ist, dass es nach Holz aussieht!
Eine kleine Verwirrung entsteht durch das Wort no, das in dem Schild an der Buchhandlung auftaucht. Es bedeutet auf Portugiesisch nicht ‚nein‘, sondern ‚in‘.
Auf einem Platz ganz in der Nähe der Buchhandlung fällt uns die Fassade eines Gebäudes auf, genauer gesagt, die zwei Fassaden eines Gebäudes. Das Gebäude beherbergt eine Doppelkirche, und jede der beiden Fassadenhälften hat ihren eigenen Stil, links eine ziemlich strenge, glatte, fast schmucklose Fassade, rechts eine bewegte Fassade mit Nischen, Zinnen und Rocaillen und Figuren, klassizistisch links, barock rechts, wie zum Anschauungsunterricht in Kunstgeschichte gebaut.
Irgendwo gibt es Oro e Prata zu kaufen, Gold und Silber. Wo das Spanische /l/ hat, hat das Portugiesische /r/. Nicht nur Chinesen und Japaner haben Schwierigkeiten mit den beiden Lauten, auch in der Sprachgeschichte zeigt sich, dass sie leicht zu verwechseln sind: prata/plata, igreja/iglesia, praça/plaza. Die Börse heißt aber bolsa, nicht borsa.
Kurzentschlossen steigen wir in einen Bus ein, mit dem man eine Stadtbesichtigung machen kann. Er hält zufällig gleich neben uns. Er bringt uns in Bezirke, in die wir zu Fuß nicht kommen würden.
Erst geht es über einen breiten Boulevard, zunächst wieder an der Casa da Música vorbei. Es ist ein unregelmäßiger Bau, hochmodern, mit einem „schiefen“ Dach, aus beigen Betonplatten, unterbrochen von unregelmäßigen Glasflächen, die geometrische Muster nachbilden. Nicht zu übersehen.
Die Casa da Música befindet sich in Boavista, und bald kommen wir auch an dem Stadion von Boavista vorbei, einem Club, der ursprünglich von Engländern gegründet wurde. Das Stadion, hochmodern, wurde für die Europameisterschaft neu gebaut. Das andere große Stadion, das des FC Porto, liegt außerhalb des Zentrums und außerhalb unserer Route. Jetzt fällt mir wieder ein, dass sie einmal die Bayern in einem Europapokalendspiel besiegt haben, was damals eine dicke Überraschung war, jedenfalls für die Bayern: 2:1 für Porto. Auch jetzt führen sie die Tabelle souverän an. Aber wo ist Boavista? Die waren doch früher auch oft auf europäischer Ebene zu finden. In der höchsten Klasse sind sie nicht, und in der nächsten, der verwirrenderweise Liga de Honra heißt, auch nicht, und in der dann folgenden, der dritten, die verwirrenderweise Segunda Divisão, heißt, auch nicht. Sie scheinen wirklich Viertligisten zu sein. Mit dem Stadion!
Wir brennen darauf, das Meer zu sehen, und der Busfahrer scheint das zu ahnen. Immer wieder geht es Richtung Meer, aber im letzten Moment wird dann wieder in eine andere Richtung abgebogen. Dann aber geht es doch zum Meer runter. Das Wasser ist grau, der Himmel bedeckt, die Sicht begrenzt. Auch das Meer hat nicht ewig Sommer. Die breite, sich lang hinziehende Strandpromenade, mit breitem Flanierweg auf der einen Seite und einer elegenaten Steinbalustrade und endlosen Lokalen auf der anderen Seite deutet aber darauf hin, dass das nicht immer so ist. Die Bäume, die die Strandpromenade zieren, sind eigens aus Neuseeland eingeführt worden, eine besondere Baumart, der das Salz des Meeres nichts anhaben kann.
Dann geht es wieder in die Innenstadt zurück und in die andere Richtung weiter, flußaufwärts. Diese Fahrt bietet einige spektakuläre Blicke von oben in das Flusstal. Der Höhenunterschied ist, gemessen an der kurzen Entfernung, riesengroß, und man sieht wie in eine Schlicht hinunter. Den zweiten Reiz erhält die Fahrt durch die Brücken. Es sind sechs oder sieben, allein hier im Stadtgebiet, zwei schwere, gußeiserne, auf den ersten Blick gar nicht so leicht zu unterscheiden, und mehrere leichte, moderne, von unterschiedlichen Konstruktionstypen. Das alles macht sich im Abendlicht ausgesprochen gut. Man kann nie alle Brücken gleichzeitig sehen, denn der Duero mäandert sich hier seiner Mündung entgegegen, ein weiterer Reiz des Panoramas.
Am Schluss geht die Fahrt über die berühmteste all dieser Brücken, den Ponte Dom Luis I. Sie wurde von Eiffel erbaut und führt von der Altstadt nach Vila Nova di Gaia. Dort reihen sich die Portweinkeller aneinander. Irgendwo habe ich im Internet gelesen, dass Touristen die Brücke als die erste Sehenswürdigkeit Portos gewählt haben, wegen des gigantisches Stahlgerüsts und des atemraubenden Blicks hinunter in das Tal des Duero.
Als unsere Busfahrt zuende geht, ist es dunkel, aber noch nicht spät. Wir haben Glück und können noch St Francisco einen Besuch abstatten. Am Eingang der Kirche wird man allerdings zuerst zurückgewiesen. Hier wird kassiert. Im Eingang des gegenüberliegenden Gebäudes, das auch wie eine Kirche aussieht, genauso wie das dazwischen liegende Gebäude und das daneben liegende, gibt es Eintrittskarten.
Wenn man den Kirchenraum betritt, ist man überwältigt. Der ganze Raum ist über und über mit Gold verziert, Decken, Pfeiler, Wände, Altäre. Portugal hat sich bei seinen Kolonien bedient und stellt seinen Reichtum zur Schau. Dennoch ist man hier nicht erschlagen von Gold, sondern schlichtweg beeindruckt. Das Gold, auf Holz aufgetragen, ist dunkel und fast glanzlos. Der gesamte Kirchenraum ist voller Zier und dennoch nicht überladen.
Die Kirche muss ursprünglich mal gotisch gewesen sein, und so sieht sie auch von außen aus, aber im Innenraum gibt es nur noch eine gotische Kapelle. Der Rest ist barock umgebaut, mit hohen Altären mit mächtigen, großformatigen Figuren. Hier wurde nicht gekleckert. Zwei Altäre, die kaum als Altäre zu erkennen sind, sind außergewöhnlich: Im Norden eine Wurzel Jesse, im Süden ein Martyrium. Die Wurzel Jesse nimmt die gesamte Höhe der Wand ein. Sie geht von dem liegenden Jesse aus, aus dessen Körper ein kräftiger Baumstamm hervorwächst. Auf dessen Ästen stehen die Könige von Juda, vollplastische Figuren in bunt gefasstem Holz. Der Baum läuft aus in einen kitschigen Marienaltar, der nicht zu der übrigen Darstellung passen will. Die Darstellung ist eingerahmt von einer Architektur aus Sockeln, Nischen, Pfeilern und Bögen, alle mit Gold überzogen. In Portugal scheint dieses sonst nicht so übliche Motiv der Wurzel Jesse ganz gängig zu sein.
Im Süden die makabre Darstellung der Abschlachtung von Franziskanermönchen durch (marrokanische) Heiden mit bunten Gewändern und bunten Turbanen, die mit den einfachen braunen Kutten der Franziskaner und deren Tonsuren kontrastieren. Mit viel Vergnügen am Grauen wird anschaulich dargestellt, wie den Mönchen die Köpfe abgehackt werden. Drei Mönche warten ergeben auf ihr Schicksal, während einem ihrer Brüder gerade nach einem herzhaften Säbelschlag der Kopf zur Seite knickt und der eines anderen von einem der Henker lässig in der Hand gehalten wird, der mit einem Seil in der anderen Hand den kopflosen Körper durch einen Graben zieht, mit einem hämischen Grinsen im Gesicht. Photographieren ist leider verboten.
Als man die Kirche verlässt, wird man noch in die gegenüberliegende Kirche, die vermutlich keine ist, geschickt, und zwar in deren Untergeschoss. Das iwar für gut hundert Jahre der Bestattungsort aller Mönche des Ordens. Der Kontrast könnte nicht größer sein. In dem überwölbten Raum sind, in Längsrichtung, auf drei Etagen an allen vier Seiten weiße Sarkophage eingelassen, alle gleichförmig und mit schlichten, in Weiß gehaltenen Inschriften. Wer hier nicht mehr hinpasste, wurde unter den Holzbohlen des Fußbodens bestattet. Hier ist praktisch kein Platz verschwendet worden. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts begann man, als Folge eines staatlichen Gesundheitsgesetzes, öffentliche Friedhöfe zu bauen. Auf denen wurden auch die Franziskanermönche begraben. Bis dahin fanden sie hier ihre Ruhestätte. Man fragt sich, was in den Jahrhunderten zuvor verfahren wurde. In der Kirche selbst gibt es zwar auch ein paar in den Boden eingelassene Grabstätten, aber nicht für die Mönche, sondern für Bürger, die was auf sich hielten.
Draußen genießen wir noch im Laternenlicht den herrlich unregelmäßigen Platz vor der Kirche, mit seinen verschiedenfarbigen Fassaden und der großen Treppe, die zu dem Innenhof mit den verwirrenden Gebäudekomplex hinaufführt. Die Photos entschädigen für die, die man drinnen nicht machen durfte.
Erst als wir aus der Kirche herauskommen, merken wir, dass wir ganz in der Nähe unseres Hotels sind. Zwischen den beiden liegt nur die breite Fassade eines mächtigen Gebäudes, das weder zu der Kirche noch zu dem Hotel passt. Zum Essen gehen wir allerdings in die Innenstadt zurück..
Wir suchen den Bahnhof und merken, dass wir schon mehrmals daran vorbeigekommen sind. Er ist sehr zentral gelegen und sieht nicht wie ein Bahnhof aus, eher wie ein Museum. Und er hat auch eine Sehenswürdigkeit: Kacheln. Das gesamt Foyer ist an allen vier Seiten mit blau-weißen Kacheln verkleidet, die portugiesische Traditionen und historische Ereignisse Portugals darstellen. Allerdings haben die Tauben hier gute Arbeit geleistet und die Darstellungen mit einem nivellierenden, gräulichen Belag überzogen. Man stellt sich allerdings jetzt der Aufgabe und hat einen Fries freigelegt, der jetzt wieder heller, klarer und kontrastreicher ist. Der Rest ist in Bearbeitung.
Auf den Gleisen stehen moderne, kurze, völlig einheitliche aussehende Züge. Am nächsten Tag wollen wir hier unsere Fahrkarten für die Fahrt zum Flughafen lösen, werden aber in zur U-Bahn geschickt. Dort gibt es andere Strecken und Karten, aber die Züge sehen genauso aus.
An einem riesigen, länglichen Platz mit einer Reiterstatue in Zentrum und einem einem die ganze Breite des Platzes am oberen Ende einnehmenden Gebäude überholt uns eine alte, aus einem einzigen Wagen bestehende Straßenbahn, heute nur für touristische Zwecke genutzt.
Die Suche nach einem Lokal stellt sich schwerer dar als erwartet. Wir landen am Ende in einem etwas ungemütlichen, länglichen Lokal, das, wie eine Bar in Spanien, mit einer Unzahl von praktischen und unpraktischen Dingen vollgestopft ist. Aber das Essen ist hervorragend. Es gibt Kaninchen und und etwas, das polvo heißt, aber weder Hähnchen noch Staub ist, sondern eine Spezialität dieser Gegend: Tintenfisch.
14. November (Sonntag)
Am nächsten Morgen mögen wir gar nicht glauben, dass wir erst einen Tag hier sind. Je kürzer die Reise, so scheint es, umso mehr sieht man.
Jedenfalls haben wir schon einen Eindruck von Porto bekommen und von dem, was seinen Reiz ausmacht: das Gefälle innerhalb der Altstadt und die Kacheln an vielen Kirchen- und Häuserfassaden. Und die ungewöhnliche Mischung: gut erhaltenes Altes, heruntergekommenes Altes, schön renoviertes Altes, geschmacklos und stillos Neues und wunderbar Neues.
Porto ist in Portugal immer die Nummer 2 geblieben, und das, obwohl es dem Land seinen Namen gegeben hat. Die Verteilung der Rollen ist so: In Porto verdient man das Geld, das in Lissabon ausgegeben wird.
Das Wetter ist besser, und am Morgen scheint sogar die Sonne. Wir erkunden erst die unmittelbare Umgebung des Hotels, d.h. den großen, abschüssigen Platz, an der oberen Seite von den ehemaligen Markthallen begrenzt, mit roten Stahlrohren und einer Eisen-Glas-Fassade, heute ein Kulturzentrum.
In der Mitte des Platzes die Statue von Heinrich dem Seefahrer, der, wie ich irgendwo gelesen habe, nie zur See gefahren ist. Er hat aber Portugal zur See geschickt, sozusagen. Zu seiner Zeit war es vor allem Afrika, das erkundet wurde, weiter südlich, als das bis dahin der Fall gewesen war. Später kamen Amerika und Asien dazu, und das Endergebnis was ein riesiges Kolonialreich, riesig vor allem gemessen an der Ausdehnung des Mutterlands. Verschiedene allegorische Figuren sind in den Sockel eingelassen, und eine weibliche Figur, die fahnenschwenkend nach vorne stürmt, geht dem Denkmal voran, Sinnbild des unerschütterlichen Glaubens der Entdecker, während der Seefahrer, erhöht auf dem Sockel stehend, mit entschiedener Handbewegung die Richtung vorgibt: zum Meer.
Zufällig sehen wir, dass in der Börse Publikumsbetrieb ist. Sie ist wirklich heute geöffnet. Wir melden uns zu einer Führung an und lernen bei der Gelegenheit, dass bei dem portugiesischen Wort für danke eine weibliche und eine männlich Form hat, also eine Frau anders, mit obrigada dankt als ein Mann, obrigado.
Immer wieder begegnen wir, wie auch hier im Souvenirgeschäft, der auffällig geformten Figur eines bunten Keramikhahns, eines heimlichen Symbols Portugals. Die Legende, die man mit ihn verbindet, ist kurioserweise genau dieselbe wie in Santo Domingo de la Calzada auf dem Jakobsweg. Dort wurden die Hühner, speisefertig auf dem Teller eines Richters oder irgendeiner Autoritätsperson, plötzlich wieder lebendig und bewiesen so die Unschuld eines Angeklagten. Hier ist es ein Hahn, der krähte, obwohl er schon tot war, und die Legende wird auf die portugiesische Nation bezogen.
Die Führung ist auf Spanisch und Französisch, und die wichtigste Erklärung kommt gleich zu Anfang, in der Sala de Naciones, dem Foyer des Gebäudes: Die Börse steht auf dem Gelände des ehemaligen, bei der Säkularisierung aufgelösten Franziskanerklosters. Das erklärt, warum dieses Gebäude so eng an die Franziskanerkirche angrenzt. Das Zusammentreffen des Ostchors der gotischen Kirche und der Flanke der klassizistischen Fassade der Börse hat seinen Reiz, schreit aber geradezu nach einer Erklärung.
Die Sala de Naciones ist ein hoher, quadratischer Raum, der seine Wirkung vor allem der bunten Glasdecke mit seiner flachen Kuppel verdankt, durch die gebrochenes Licht in den Raum strömt. Der Boden ist ganz mit Mosaiken bedeckt, jedenfalls glauben wir das. Erfahren dann aber, dass nur das Emblem in der Mitte echtes Mosaik ist, der Rest sind in der Art von Mosaiken bemalte Fliesen. Das kann man kaum unterscheiden. Ich erinnere mich an die Gipsdekoration in der Buchhandlung, die auch vorgibt, etwas anderes zu sein, als sie ist.
Den Namen hat die Sala de Naciones von den Emblemen der „Nationen“ (das Wort ist nicht ganz wörtlich zu nehmen), die auf dem Fries hoch oben an der Wand erscheinen, der Partner im Ausland, mit denen hier Handel getrieben wurde.
Langsam dämmert es mir, das die Börse keine Börse im modernen Sinne ist, sondern die Handelskammer. Das wird bei dem weiteren Rundgang deutlich.
Der nächste Raum, im Obergeschoss gelegen, ist der Gerichtsraum. Hier werden an den Wänden Gerichtsszenen in Bildern festgehalten. Aber wer hält hier über wen Gericht? Man erfährt zu seiner Verblüffung, dass der Handel bis vor kurzer Zeit tatsächlich seine eigene Gerichtsbarkeit hatte, wenn ich das richtig verstanden habe, bis in die Siebzigerjahre. Heute ist der Saal Sitz der Weingenossenschaft.
Es geht durch eine Reihe anderer Räume, die alle sehr repräsentativ sind. Hier setzt sich das Motiv des Vortäuschens fort: In einem Raum hängt ein Bronzeleuchter von einer Tonne Gewicht, und an den Seiten befinden sich Bronzerelief. Die aber sehen wieder nur nach Bronze aus, täuschend echt allerdings, sind aber aus Gips. Aus Gips auch die Holzpanele in einem anderen Raum, dessen unterer Fries aber wirklich aus Holz ist. Das, was wirklich aus Holz ist, ist vom Feinsten, Tische mit Einlegearbeiten und Fußböden mit dreidimensional aussehenden Mustern mit Hölzern unterschiedlicher Farbe, solche, die man mit dem Auge umspringen lassen kann. Die Hölzer kommen aus Afrika und aus Brasilien. Hier stellt die Handelsgesellschaft ihren Reichtum und ihren Wirkungskreis zur Schau. In einem Raum hängen Königsportraits, auch das von dem letzten König, der am 5. Oktober 2010 abtrat. Der 5. Oktober ist weiterhin Feiertag, und in Porto hält man die republikansiche Tradition hoch. Das passt durchaus zu der Stadt, in der Handel und Bürgertum vorherrschen und Paläste rar sind. In dem fast überdimensionalen Gebäude der Börse findet diese Ausrichtung ihren sinnlichen Ausdruck.
Der Paukenschlag wird bis zum Schluss zurückgehalten: der Maurische Saal. Nach den eleganten, aber eher gediegenen, dunklen Räumen, durch die wir bisher geführt wurden, ist man beim Eintritt in den Saal wie vor den Kopf geschlagen: reiche Verzierungen in Arabesken im gesamten Raum, fast keine Stelle ist frei, die Farben Blau und Weiß und Gold stechen hervor. Von besonderem künstlerischem Wert ist das vermutlich nicht, wohl aber ein Augenschmaus. In seiner überbordenden Pracht erinnert der Raum an den Innenraum von San Franciso, aber mit anderen Vorzeichen: hell und feingleidrig, eher Trompetenstoß als Paukenschlag. Es gibt, getreu der arabischen Tradition, keine Darstellungen von Tieren und Menschen, wohl aber Inschriften, die so schön sind, dass sie als Verzierungen durchgehen. Tatsächlich kann man sie nicht richtig entziffern. Sie wurden nicht von Arabern angebracht, sondern in einer Zeit, als längst keine Araber mehr in Portugal waren. Die Arbeit ist als Reminiszenz an die arabische Zeit gedacht und in erster Linie dafür da, um zu beeindrucken. Das ist gelungen.
Wir gehen hinunter zum Fluß, dessen Promenade hier wie eine Strandpromenade aussieht. Die kommt bei dem besseren Wetter richtig zur Geltung. An einer altarähnlichen Gedenktafel, vor der Friedhofslichter brennen, bleiben wir stehen. Die Tafel ist ein Bronzerelief – ob das wohl wirklich Bronze ist? – die die einstürzende Brücke darstellt. Bei dem Unglück kamen zahlreiche Menschen ums Leben. Aber irgendetwas stimmt hier nicht. Das ist eine einfache, niedrige, einzügige Brücke, nicht der berühmte Ponte Dom Luis I, auf den wir von hier aus sehen. Erst als wir die Inschrift lesen, geht uns ein Licht auf: Es ist nicht die heutige Brücke, sondern deren Vorgänger. Das Unglück passierte während der Napoleonischen Kriege, als die französische Armee die Brücke überquerte. Vielleicht war diese Zerstörung sogar der Grund für den Bau der neuen Brücke.
Auf dem Weg zum Fluss steht ein auffälliges, rechteckiges Haus mit einer ganz glatten, roten Fassade, das uns schon gestern aufgefallen ist. Ich muss einsehen, dass es nicht rot bemalt, sondern ganz mit roten Kacheln verkleidet ist, auf allen vier Seiten.
Etwas weiter, dort, wo der Unterlauf der Brücke beginnt, geht eine Drahtseilbahn in die Oberstadt. Alles ist hier hochmodern, nur der Fahrkartenautomat hat seine Tücken. Es gibt aber einen Angestellten, der einem wortlos behilflich ist, nicht nur bei den vielen Entscheidungen, die man treffen muss, um die richtige Fahrkarte zu ordern, sondern vor allem dadurch, dass er im richtigen Moment an der richtigen Stelle auf den Automaten einschlägt.
Die Kabine ist ziemlich voll, aber sofort steht ein älterer Herr auf und will Platz machen. Nach einigem Hin und Her, bei dem wir uns gegenseitig an Höflichkeit überbieten, kommen wir mit ihm und seiner redseligen Frau ins Gespräch, so dass die Fahrt völlig an uns vorbeigeht. Er ist Schotte, sie Portugiesin. Sie machen sofort Kommentare zu Kuba, zum Wetter, zur Situation Portugals und informieren uns, dass man nur in der Oberstadt vernünftig essen könne. Unten gebe es höchstens gute Cafés. Das passt tatsächlich zu unserer längeren Suche nach einem vernünftigen Lokal am Vortag. Als wir oben ankommen, bekommen wir gleich eine Einladung zum Mittagessen, aber wir lehnen dankend ab, da wir den Tag ausnutzen wollen, um uns noch etwas anzusehen. Damit treffen wir auf Verständnis.
Oben angelangt, irren wir etwas in der Gegend herum und lavieren uns durch eine Baustelle, bis wir auf dem Platz der Kathedrale stehen, einem großen, ebenen Platz mit Aussicht in das Flußtal und einer Statue in der Mitte. Die Kathedrale, geschlossen, ist ein typischer Barockbau. Wieder kämpfen wir uns durch die Baustelle durch und gelangen durch eine verlassen daliegende, ansteigende Straße mit vielen historischen Gebäuden am Ende doch noch an die Brücke, über die man auf die andere Seite gelangt. Dieser obere Zug der Brücke ist für Fußgänger und Züge bestimmt, der untere, viel kürzere, für Autos und Fußgänger. Von der Brücke aus hat man einen fantastischen Blick nach unten auf den Fluss. Als wir die Brücke überqueren, kommt wirklich ein Zug, einer der hochmodernen Züge, wie wir sie gestern am Bahnhof gesehen haben. Der Zug ist kurz und kaum von einer U-Bahn zu unterscheiden.
Auf der anderen Seite angelangt, ragt links gleich hinter der Brücke eine Felswand auf, mit der es etwas Besonderes auf sich zu haben scheint, aber wir finden nicht heraus, was. Wir müssen aber nach unten, und das geht über einen gewundenen Weg, erst durch einen Park und dann durch ein altes Wohnquartier.
Unten gibt es, parallel zur anderen Seite, wieder einen ebenen Streifen entlang der Straße, aber dahinter steigt der Berg sofort steil auf. Wir gehen die Straße entlang. Hier reiht sich eine Portweinkellerei an die andere. Im Hotel hat man uns die lakonische Auskunft gegeben, die seien alle gleich, als wir nach einem Tipp gefragt haben. Wir landen bei Sandeman, weil dort die nächste Führung stattfindet. Die Kellerei liegt etwas von der Straße zurückgezogen und ist in einem alten horizontalen Gebäude mit Holzgittern untergebracht, das aussieht wie das Herrenhaus einer spanischen Finca. An der Häuserwand sind, wie in den Moselorten, die Hochwasserstände der verschiedenen Jahre angegeben.
Während man auf den Beginn der Führung wartet, kann man sich in dem kleinen, aber informativen Museum umsehen. Ein kurioses Ausstellungsstück ist ein riesiges, bauchiges Glas, das angeblich einem Bürger gehörte, dem der Arzt die Empfehlung gegeben hatte, nicht mehr als ein Glas Portwein pro Tag zu trinken. Daneben sieht man große Karaffen mit Familienwappen. Mit diesen wurden die Diener in die Schenke geschickt, um sie dort auffüllen zu lassen. So einfach. Flaschen gab es keine. Man brauchte allerdings Diener.
Sandeman war ein junger Schotte, der nach London ging und dort versuchte, sich durchzuschlagen. Seine Bude lag eher zufällig in der City, mitten im Geld- und Geschäftsviertel, und er hörte immer wieder Gespräche mit, bei denen die aktuellen Geschäftsaussichten und neue Trends diskutiert wurden. Diese Gespräche gaben ihm die Idee zu dem Handel mit spanischen und portugiesischen Weinen. Erfinden brauchte er nichts, Portwein und Sherry wurden bereits produziert. Wohl aber musste er für Import und Vertrieb sorgen und für Qualität. Er besorgte sich eine Lizenz zur Einfuhr dieser Weine, und los ging’s.
Im Museum sieht man alte Fässer, von 1805, die damals schon das Brandzeichen der Firma trugen, als Ausweis von Qualität. Das war nicht nur eine Art Garantie für die Kunden, sondern auch eine verfrühte Form von Werbung: Unser Wein taugt was.
Und um Werbung geht es auch in einer anderen Ecke des Museums. Im Zentrum steht der mysteriöse Don, das Emblem von Sandeman. Es gibt Plakate aus verschiedenen Epochen, mit immer neuen Variationen desselben Themas, teilweise fast parodistisch. Die schwarz gekleidete Figur, von der ich mich immer frage, ob man sie von hinten oder von vorne sieht, trägt einen spanischen Hut und einen portugiesischen Cape und taugt deshalb für beide Sparten: den Sherry und den Portwein. Sein erster Auftritt bedeutete den ersten großen Erfolg einer Werbekampagne von Sandeman. Werbung gab es allerdings
schon vorher, und das war keineswegs selbstverständlich. Es war sogar umstritten. Die herrschende Meinung im Bürgertum verurteilte Werbung, jedenfalls für Firmen, die etwas auf sich hielten. Für die sprach die Qualität des Produktes. Werbung war etwas für Scharlatane, die einem etwas vormachen wollten, die ihre schlechten Produkte durch schöne Worte besser machen wollten. Sandeman setzte deshalb von vornherein auf hochwertige Werbung. Es wurde nicht dilettiert, es wurden renommierte Künstler zur Gestaltung der Drucke angeheuert. Allmählich bröckelte der Widerstand.
Als wir zur Führung gerufen werden, taucht aus dem Halbdunkel des Kellers eine mysteriöse Figur auf, gekleidet mit dem schwarzen Hut und dem schwarzen Cape des Don. Es ist unsere Führerin.
Sie ist eine sprachgewandte Französin, die fast akzentfrei auf Spanisch führt, aber auch fließend auf Portugiesisch antwortet, wenn sie von Portugiesen gefragt wird.
Das Wichtigste erfahren wir fast ganz zu Anfang der Führung, nämlich was den Portwein zum Portwein macht. Das ist der Gärungsprozess. Der wird nämlich unterbrochen, und zwar durch die Zugabe von Branntwein. Das erhöht einerseits den Alkoholgehalt, und macht andererseits den Wein süßer, weil nicht der gesamt Zucker in Alkohol umgewandelt wird.
Obwohl alle Portweine süß sind, spricht man bei den drei Unterklassen auch von seco. Das ist der hellste der drei, die anderen haben dunklere Schattierungen.
Die Trauben kommen alle aus einem Gebiet, aber nicht aus Porto, sondern aus einem Gebiet ca. 100 Kilometer von Porto entfernt. Wir sehen später in einem Film steil abfallende Hänge, die eher an die Mosel erinnern als an Spanien oder Frankreich.
Es werden ausschließlich Holzfässer verwendet, und wir spazieren im Halbdunkel an ganzen Galerien von Fässern vorbei. Die Fässer sind unterschiedlich groß – wir bleiben vor einem stehen, dass mehr als 20.000 Liter fasst – und das beeinflusst auch die Qualität. Wie genau, verstehe ich nicht, aber es hat etwas mit dem Verdunsten zu tun: Je größer das Fass, umso mehr Flüssigkeit kann verdunsten. Die Fässer haben eine Skala an der Vorderseite, die den aktuellen Stand anzeigt. Wenn viel Flüssigkeit verdunstet ist, wird irgendetwas nachgefüllt, und die Menge dieser Nachfüllflüssigkeit prägt den Geschmack, zusammen mit der Länge der Lagerung. So ungefähr.
Wir bleiben vor einem erhöht liegenden, durch ein hölzernes Gitter abgetrennten Raum stehen, in dem Flaschen lagern, alte Flaschen, wie man auch aus der Distanz sehen kann. Das sind die Vintage-Jahrgänge. Von einer unabhängigen Kommission wird bestimmt, ob der Wein eines Jahrgangs etwas ganz Besonderes ist und somit in die Vintage-Kategorie gehört. Wenn ja, wird dieser Wein von vornherein in Flaschen gegoren. Und dieser Raum mit Flaschen aus den verschiedenen Jahrgängen ist Sandemans Schatzkammer. Hier lagern Flaschen, die 12 Jahre alt sind, aber auch welche, die fast 100 Jahre alt sind. Jemand will wissen, was denn so ein Fläschchen kostet. Die jüngsten Jahrgänge gibt es schon für ca. 50 €, für die ältesten muss man schon eher 5000 € hinlegen.
Zum Abschluss sehen wir einen Film, in dem sich Sandeman von seiner besten Seite zeigt: Es wird gewarnt vor Alkohol am Steuer, vor Alkohol bei Schwangerschaft, vor Alkohol von Jugendlichen, und es wird allgemein vor unmäßigem Alkoholgenuss gewart. Eine Art Anti-Werbung, die auch eine Form von Werbung ist.
Das Beste kommt, als wir aus dem Weinkeller herauskommen. Er werden zwei Glas Portwein kredenzt, ein hellgoldener und ein dunkelgoldener. Himmlisch. Wobei mir der jüngere sogar noch besser schmeckt als der ältere.
Für den Rückweg nehmen wir wieder die Brücke, diesmal die untere, viel kürzere Spur. Auf der anderen Seite angekommen, nehmen wir noch mal den Touristenbus, eine andere Route.
Als es aus der Stadt hinausgeht, fahren wir zwischen zwei Häuserreihen her. Das ist eigentlich nichts Besonderes, aber hier wohl. Auf der linken Seite müsste das Meer sein, aber das wurde, in einem umstrittenen städtebaulichen Projekt, durch den Bau einer Häuserzeile am Ufer von der Stadt abgetrennt. Man ist jetzt vom Meer getrennt, aber auch vom Meer geschützt, das heißt von Wasser, von Salz, vom Wind, vom Schmutz. Die Einwohner dieser Straße nahmen es dankbar an.
Etwas weiter öffnet sich dann die linke Seite wieder zum Meer hin. Hier sieht man, wie sich die Hausbewohner gegen das Meer schützten: mit Kacheln. Viele der Hausfassaden sind, zumindest teilweise, mit Kacheln verkleidet, viele davon in Grün, was sehr schmuck aussieht, aber wohl erst nicht dafür gedacht war. Hier wohnt traditionell das Handwerk: Fischer, Schreiner, Metzger.
Dieses Viertel geht in das Fischerdorf Miragaia über, jetzt ein mondäner Ferienort. Wir passieren einen Kreisverkehr, über dem ein überdimensionales Netz hängt, eine Skulptur, die auf die Fischerei als den alten Broterwerb verweist.
Am Meeresrand sehen wir eine Skulptur, die fünf Menschen darstellt, die reglos auf das Meer hinaussehen, jeder für sich allein. Sie beklagen ihre Männer und Väter, Fischer, die nicht nach Hause zurückgekehrt sind.
Weiter aus der Stadt heraus passieren wir zwei Kastelle und den modernen Containerhafen, eine riesige Anlage, wie eine eigene Stadt, mit Docks, Molen, Lagerhäusern. Der Hafen war schon immer wichtig für Porto. Schließlich hat er der Stadt ihren Namen gegeben.
Der Weg zurück in die Innenstadt ist kurios: Es geht über einen Steg über dem Wasser. Der läuft an der Rückseite der Häuser vorbei, die zum Schutz vor dem Meer errichtet wurden.
Als wir aussteigen, werden wir Zeuge eines rätselhaften Spektakels. Schon von weitem hört man laute, helle Stimmen, ohne etwas zu sehen. Wir gehen den Stimmen nach, die aber aus verschiedenen Richtungen zu kommen scheinen, und entdecken schließlich, hinter einer Biegung, einen ganzen Menschenauflauf. Jugendliche sind in verschiedene Gruppen aufgeteilt, jeweils in einer einheitlichen Farbe gekleidet und werden von jungen Erwachsenen, vermutlich Studenten, in schwarzen Umhängen begleitet. Die Jugendlichen nehmen eine Hockstellung ein und laufen dann, von den Studenten dirigiert, los und skandieren mit voller Lautstärke, von Rasseln unterstützt, irgendwelche Sprüche, kurz, rhythmisch, lautstark. Es ist wie eine Mischung aus Karneval, Fußball und Demonstration. Es scheint irgendwie um Blech zu gehen. Die Jugendlichen tragen Kränze aus Blech und ziehen Schlangen aus Blech hinter sich her. Irgendwo liegt sogar ein Schirm aus Blech auf der Straße. Man hat den Eindruck, dass es um Protest handelt, aber andererseits scheint es zu fröhlich dafür zuzugehen. Bis heute wissen wir nicht, was es mit diesem merkwürdigen Umzug auf sich hat. Ein bemerkenswertes Ende einer kurzen, intensiven Reise. Porto, eigentlich eine Notlösung, hat sich als lohnenswertes Reiseziel erwiesen.