Exmoor (2005)

17. September (Samstag)

Zu früh wach, zu früh aufgestanden, zu früh am Flughafen, so früh, dass ich noch früheren Flug nach London erwischt hätte! Flug mit unbekannter Fluggesellschaft (nur GB und Benelux) in Propellermaschine mit Platz für 50 nach London City Airport. Ganz klare Sicht beim Anflug: Brücken, Öldepots, Schiffe, Fußballfelder, sogar Radfahrer und Jogger deutlich zu erkennen, aber keine Sehenswürdigkeiten – die liegen alle weiter westlich. City Airport wirbt mit dem Slogan “The only airport in London“.

 

Auf dem Flug Lektüre: “I have picked some flowers” = unklar, ob es Blumen derselben Sorte oder verschiedene Sorten sind. In anderen Sprachen wird differenziert. „Flights of the Earls“ habe ich mir immer als Flucht einer ganzen Gruppe von Grafen vorgestellt, jetzt lese ich, dass es nur zwei waren. Auch dieser Unterschied wird, im Gegensatz zu anderen Sprachen, nicht grammatikalisiert.

 

St. Patrick, der irische Schutzpatron, war Engländer und sein Namensfest wurde von einem Waliser festgelegt!

 

City Airport klein und modern, alles geht schnell. Aber es gibt keine Anbindung an die U-Bahn – noch nicht: Ein Plakat verkündet, im Dezember 2005 werde es soweit sein.

 

Shuttle Bus zur U-Bahn kostet 3£, Fahrt dauert gerade mal 10 Minuten. U-Bahn von Canning Town nach Waterloo kostet 2.80£. Eine Station ist heute gesperrt, und per Lautsprecher werden die Kunden, die customers – ausgesprochen mit dem Vokal von push – um Verständnis gebeten.

 

Auf der Fahrt zum Bahnhof handele ich mir einen Ohrwurm ein, den ich den ganzen Tag nicht mehr los werde: „Waterloo Station“ von den Kinks.

 

Über die notorisch schnellen Londoner Rolltreppen geht es zur U-Bahn. Alles ist modern und sauber. Die meisten der neun Stationen auf dem Weg nach Waterloo sind mir unbekannt. In Waterloo habe ich noch eine Stunde bis zur Abfahrt des Zuges. Dies ist der berühmte renovierte Bahnhof, den ich schon einmal bei einer Stadtführung besichtigt habe. Von hier aus startet der Eurostar, und von hier aus geht es in den englischen Westen. Ein Photomotiv in Form eines Kiosks, der A Piece of Cake heißt. Die Kamera ist im Koffer, aber durch Zufall finde ich sie sofort. Im Zug nach Exeter, sagt man mir, gibt es ein Bistro, aber mir wird empfohlen, mich hier zu versorgen. Das sei besser und billiger. Die Tchibo-Regenjacke bewährt sich, nicht als Regenschutz, sondern wegen der vielen Taschen, in der scone und pastry verschwinden, damit ich noch eine Hand für den Kaffee frei habe.

 

Auch im Zug ist alles modern und sauber. Alles öffnet und schließt sich auf Knopfdruck. Es ist eine dreistündige Fahrt ohne Vorkommnisse durch nichtssagende Landschaft. Die Ähren, die in Deutschland in Form von Rädern auf den Feldern liegen, stehen hier in Form von Pfeilern auf den Feldern.

 

In Exeter erfahre ich, dass mein Hotel in den outskirts ist und dass man am besten mit dem Taxi dorthin kommt. In der Nähe ist ein Taxi-Shop, und sofort wird jemand herbeitelephoniert. Also bin ich heute mit dem Auto nach Luxemburg, mit dem Flugzeug nach London, mit dem Bus nach Canning, mit der U-Bahn nach Waterloo, mit dem Zug nach Exeter und mit dem Taxi zum Hotel gefahren – sechs Transportmittel!

 

Der große Taxifahrer mit der sanften Stimme findet mein Englisch gut und  erzählt von Stadtführungen, die täglich stattfinden und gratis sind. Dennoch verbessert sich meine Stimmung nicht angesichts des langen Weges. Das Reisebüro scheint eine eigenwillige Vorstellung von „zentraler Lage“ zu haben. Der Taxifahrer sagt, als ich von der Wanderung in Exmoor erzähle: „But that’s in North Devon“, so als wenn das abenteuerlich, gefährlich, extravagant oder unerreichbar weit weg wäre.  Schließlich geht es an einem kleinen Bahnhof vorbei, Pinhoe, und ich merke zu meinem Entsetzen, dass das die letzte Haltestelle des Zugs vor Exeter war. Ich hätte hier aussteigen können! Es geh noch ein Stück die Landsraße und dann einen Weg entlang zum Hotel. Dort angekommen, bin ich um 10£ ärmer.

 

An der Rezeption versichert man mir, es gebe Busse ins Zentrum. Also geht es fast postwendend wieder zurück. Die Busse haben Buchstaben statt Zahlen. Meiner ist der B. Die Frage des Busfahrers „Single?“ überfordert mich – ich bin allein auf weiter Flur – dass ich ja sage, obwohl ich nachher zurückfahre. Im Bus bin ich, um 3 Uhr am Samstag Nachmittag, der einzige, bis zu meiner Überraschung ein Ausländer einsteigt, hier, in einem bürgerlichen Vorort in der englischen Provinz. Er spricht (per Handy) in einer schwer zu identifizierenden Sprache. Ich tippe auf Türkisch, und es ist Türkisch.

 

In der Stadt ist es rappelvoll. Erster Eindruck eher enttäuschend: Das Tor zu einer normannischen Burg, ein kurioser, ganz niedriger gewölbter Durchgang neben einer Kirche, 2-3 schöne kleine Kirchen, ein Kaffeehaus im Tudorstil, aber kein schönes Ensemble. Für alles entschädigt aber die Kathedrale mit einer schönen Fassade und einem überwältigenden Inneneindruck. Zwei mächtige normannische Türme stehen am Ende des Querhauses (!), der Rest ist neuer, aber alles fügt sich harmonisch zusammen. Nicht sehr hoch, aber lang, mit einer breiten, mit mehreren Skulpturenreihen geschmückten Fassade, ein langgestrecktes Längsschiff mit dem (angeblich) längsten durchgehenden gotischen Gewölbe der Welt. Sehr schön, Schmuck durch architektonische Elemente, vor allem durch eine Vielzahl von Wülsten an den Säulen und durch eine Vielzahl von sehr dekorativen Schlusssteinen. Einer der restaurierten Schlusssteine zeigt die Szene der Ermordung Beckets. An der Nordseite des Längsschiffs eine ungewöhnliche Skulptur mit 12 musizierenden Engeln, alle mit anderen Instrumenten. Prächtiger Lettner und Schnitzaltar trennen Chor von Gemeinde. Darüber Orgel, die mit ihren Pfeifen architektonische Formen aufnimmt und gut passt, aber den Blick auf den Chor versperrt.

 

Vor dem Lettner zur Anschauung die Kopie einer Ikone, die einen von zwei Grundtypen repräsentiert: Jesus weist mit einer Hand auf aufgeschlagenes Buch und konkrete Textstelle, Daumen und Mittelfinger der anderen Hand sind aneinander gedrückt. Das bedeutet die Verbindung von Welt (Daumen) mit irdischem Jesus (Mittelfinger). 1. Finger ist Gottvater, 2. Finger Hl. Geist, 4. Finger Himmlischer Jesus.

 

Danach in die Stadt und Weintrauben und Käse für den Abend gekauft und nach Briefmarken, Postkarten und Plastikbesteck gesucht – am Ende erfolgreich.

 

Zurück mit dem K, den ich zufällig irgendwo sehe, der aber eine andere Route als der B nimmt und mich irgendwo in Pinhoe herauslässt. Ziellos durch den Ort gewandert, niemanden getroffen außer einem Jungen, der mich glatt in die falsche Richtung schickt. Immer müder werdend am Ende zufällig auf den Bahnhof gestoßen und mich noch gerade bis zum Hotel geschleppt.

 

Am Abend Dokumentarfilm über Selbstportraits gesehen, bei der Verbindungen zwischen Michelangelo und Rembrandt (der nur 50 Jahre nach dessen Tod geboren wurde) hergestellt werden. Beide waren düster-pessimistisch und sahen sich allein gelassen, obwohl sie gefeiert wurden und der Gesellschaft gaben, was diese wünschte. Rembrandt hat sich selbst über 100 Mal portraitiert, auch als Zeuge in biblischen Szenen, z.B. bei der Kreuzigung. Auch von Gogh wird erwähnt, der hier von Goff ausgesprochen wird.

 

Zitat aus der Times: “Germany is incapable of electing a strong and radical leader”! (S. 41)

 

Heute allein für den Transport im Lande ausgegeben: 3.00£ + 2.80£ + 10.00£ + 1.50 £ + 1.50£ = 18.80£!

 

Das Hotel heißt Gipsy Hotel, in der Stadt gibt es Modekleidung der Marke Gypsy. Britisches vs. Amerikanisches Englisch.

 

Im Zusammenhang mit einem Fernsehbericht über das VW-Werk in Dresden im Rahmen der Berichterstattung über die Bundestagswahlen wird Hitler erwähnt.

 

Das englische Buch, das die meisten Neudrucke erfahren hat, ist nicht die Bibel und auch nicht Shakespeare oder Agatha Christie, sondern The Complete Angler, jedenfalls dem Rough Guide zufolge.

 

18. September (Sonntag)

Der Trainer von Charlton Athletics sagt im Interview: “They’re hard to beat and that wasn’t always the case”, mit beat als bate und case als kise.

 

Das Frühstück gibt es in einem großem, nicht sehr einladenden Raum, in dessen Ecke Plastikstühle gestapelt sind, was den Reiz des üppigen Frühstücks erheblich reduziert. Außerdem gibt es Selbstbedienung.

 

Im Hotel bin ich der einzige Ausländer. Selbst die Bedienung ist einheimisch. Für den kontinentalen Gast ist es immer wieder ein komischer Anblick, wenn ergraute Herren im Geschäftsanzug Cornflakes essen.

 

Der B verkehrt sonntags nicht, deshalb muss ich den K nehmen. Der Busfahrer sagt, ich könne zurück auch mit dem T fahren. In seiner Aussprache reimt sich T auf K.

 

Der Bus ist rappelvoll, hauptsächlich mit Müttern mit Kleinkindern, alle offensichtlich unterwegs zum Sonntagseinkauf ins Stadtzentrum. Im Bus gibt es ein elektronisches Laufband mit lokalen Informationen und sogar Stellenanzeigen öffentlicher Arbeitgeber.

 

Am Morgen Führung durch „das Herz von Exeter“ mit internationaler Beteiligung: Kanadier, Amerikaner, Norweger, eine Spanierin und eine Neuseeländerin.

 

Der Name der Stadt geht zurück auf das vorrömische Eska, was ‚Wasser’ oder ‚Quelle’ heißt. Die Römer nannten es Eska Dumnoniorum. Nach dem Abzug der Römer verfällt die Stadt und wird erst unter Alfred wieder aufgebaut und erhält den Namen Esca Castrum > Exeter. Langer Widerstand gegen die Normannen, Stadt wehrt sich am längsten, und William befestigt die Stadt gegen die Aufrührer und schickt seine Frau als Aufpasserin hin. Wird durch Wollhandel zur florierenden Stadt, bis zum Niedergang in der Zeit der Industriellen Revolution. Es fehlt Kohle, um den Manufakturen im Norden Konkurrenz machen zu können. Im 2. Weltkrieg wurde die Stadt stark zerstört.

 

Die Westfront, die Schaufront der Kathedrale, ist eine spätere (aber noch mittelalterliche) Hinzufügung, die dritte Phase des Baus, nach den normannischen Türmen und der Hauptkonstruktion im Decorated Style (XIII-XIV). Der Umbau mit Gewölbe wurde unter Bischof Grandison beendet, bei seinem Tod (1369) hatte die Kathedrale fast das heutige Aussehen.

 

Der unterschiedliche Erhaltungszustand der Figuren an der Westfront erklärt sich auch aus unterschiedlichen Gesteinsarten: Zunächst wurde vor allem Beer Stone verwendet, ein sehr weicher Stein aus Beer, einem Ort in der Nähe von Exeter, später der härtere Bath Stone.

 

Der Platz um die Kathedrale, der Cathedral Close, war früher viel dichter bebaut. Spuren eines Giebels sind am normannischen Nordturm zu sehen. Die Häuser schlossen sich also direkt an die Kathedrale an. Rechts und links des Turms am nördlichen Seitenschiff Ersatz mittelalterlicher Kragsteine (corbels) durch neue, einige aus den 30er, andere aus den 70er Jahren. Darunter befindet sich die Abbildung der Tochter des Steinmetzen (nicht sehr schmeichelhaft) sowie ein wie eine Katze aussehender Hund mit Pfeife und eine Möwe, das erste eine Anspielung auf einen Hund aus Exeter, Butch, dessen Herrn ihm das Pfeife rauchen beibrachte und der zu nationaler Bekanntheit gelangte, das zweite eine Anspielung auf eine Möwe, die regelmäßig vor Spielen auf dem Rasen des Stadions des Exeter City Football Club landete und als gutes Omen geschätzt wurde.

 

Am Cathedral Close Häuser der höheren Klerus. (Bischofspalast unzugänglich auf anderer Seite). Darunter Haus mit mit 612 Nieten beschlagener Wicket door und schönem Innenhof mit Glyzine (wisteria) an allen Seiten.

 

Unter den profanen Bauten Mol’s Coffee House im Tudorstil, einem Haus eines Bilderrahmenmachers, der im Obergeschoss seine Werkstatt hatte. Als erster Auftrag fertig, war Bild so groß, dass er Schlitze in alle Fußböden machen musste, um Bild hinunter zu bekommen. Schlitze bis heute erhalten.

 

Royal Clarence erstes Hotel am Ort und das erste in England, das das Wort Hotel im Namen führte (1769). Man hatte einen französischen Hotelchef (manager) engagiert.

 

Auf der High Street eine moderne Skulptur, sehr auffällig, aber ohne Erklärung nichtssagend. Es ist eine Art kristallene Pyramide mit mehreren Längseinschnitten. In jedem Längsschnitt ist ein Rätsel angebracht, dessen Lösung sich auf einer gläsernen Kugel am Fuß des Einschnitts befindet, allerdings auf der Rückseite. Man kann sie lesen, weil sie sich unten im Glas der Einschnitts spiegelt. Die Skulptur ist eine Anspielung auf das berühmte Exeter Book, ein mittelalterliches Buch mit Gedichten und Rätseln, das sich in der Sammlung von Bodley befand, die den Grundstock der berühmten Oxforder Bodleian Library bildete. Er ließ es als einziges Buch in Exeter zurück, da es Fettflecken, Ringe und Einkerbungen aufwies. Man hatte es als Bierdeckel und Brettchen benutzt.

 

An dieser Stelle wird die High Street breiter. Dieser Teil wurde nach einem Bombenangriff 1942 stark zerstört und später nicht wieder aufgebaut. In dem hinteren, schmaleren Teil der High Street ein auf der Stirnwand eines Hauses angebrachtes Portrait in Renaissance-Manier: Hillyard, der Portraitmaler, Henrietta Ann, die Tochter Charles I., die im Bürgerkrieg hier in der Sicherheit der Provinz aufwuchs, und Bodley, der hier geboren wurde.

 

In der Nähe zwei benachbarte große Kaufmannshäuser, eins im Tudor-, eins in Stuartstil. Nur die Fassaden sind erhalten (und vermutlich stark restauriert), aber sie liefern eine schöne Gegenüberstellung der beiden Stile.

 

Gegenüber das Abbey, ein Tudorhaus, das aber von 1913 stammt und von Boots, dem Besitzer der Kette, erbaut wurde, mit der Auflage, alles wie zur Tudorzeit zu machen. Es durften sogar nur Werkzeuge verwendet werden, die es damals schon gab.

 

Gegenüber die Guildhall (geschlossen), mit einem schönen, in einer zweiten Bauphase angefügten steinernen Portikus (XVI), ein Haus, das später vom Stadtrat benutzt wurde und bis heute benutzt wird. Daneben The Turk’s Head, heute Restaurant, früher Pub. Hier verkehrte Dickens, dessen Eltern aus Exeter stammten, und ließ sich zu von der Kundschaft und den Gesprächen inspirieren.

 

In der Nähe eine Straße, die man beim Vorbeigehen kaum wahrnimmt, schon gar nicht als Straße. Es ist aber die (angeblich) engste Straße der Welt, nicht mehr als ein sich langsam nach hinten erweiternder Durchgang zwischen zwei hohen Gebäuden, hat aber einen richtigen Straßennamen, Parliament Street, angeblich ein Spottname aus der Zeit der Reform Bill, und ein offizielles Straßenschild.

 

Durch das moderne Shopping Centre läuft die Waterbeer Street, ein scheinbar transparenter Name, der aber mit verwässertem Bier nichts zu tun hat, sondern eine Verballhornung von Waterbearer Street ist. Hier liefen die Wasserträger entlang, die Wasser vom Fluss in die reichen Kaufmannshäuser trugen.

 

Vom Cathedral Close geht die mittelalterliche St. Martin’s Lane ab, in der ein altes Pub ist, das Drakes Lieblingslokal gewesen sein soll – und es nicht unterlässt, damit zu werben. Er soll hier einmal so betrunken gewesen sein, dass er anschließend nur noch in Begleitung kommen durfte, eine milde Form des Lokalverbots. Was betrunken heißt, habe ich gestern auf einer Spruchkarte erfahren: „You are not drunk if you lie on the floor and do not have to hold on to it.“

 

Am Ausgang auf der anderen Seite des Cathedral Close eine kleine Fußgängerbrücke, die ein bequemer Bürgermeister anbringen ließ, der bei der alljährlichen Inspektion der Stadtmauer hier immer herunter und dann wieder hinauf musste. Daneben ein touchstone, den man beim Entritt in die Stadt berührte, um alle Sünden hinter sich zu lassen. Ritter durften auch das Schwert benutzen, um ihn „von oben herab“ zu berühren.

 

Stadtführer ist ganz beschämt und entschuldigt sich kleinlaut für auf dem ganzen Cathedral Close herumliegenden Müll, obwohl er persönlich nichts dafür kann und obwohl es sooo schlimm nun auch wieder nicht ist. Es sind offenbar die Spuren von einem Treffen vorwiegend junger Leute, die gestern hier überall saßen (und lagen!), viele davon in Schwarz gekleidet, vielleicht Gothic People.

 

Am Mittag ein Muffin mit Milchkaffee in einem Nichtraucherlokal, das seine Gesundheitsideologie überall paradiert. Kommt mir eher kleinkariert als fortschrittlich vor.

 

Bei den Briefkästen verwirrt mich die Wahl zwischen franked mail und stamped mail. Was ist was, und wofür gibt es überhaupt die Unterscheidung?

 

Am Nachmittag Tour entlang der Stadtmauer mit überforderter Stadtführerin, wieder mit internationaler Beteiligung: eine Russin, eine Belgierin, eine Neuseeländerin. Die Stadtführerin wartet auf den Glockenschlag von der Kathedrale. Es ist wirklich nur ein Schlag. Die Glocke ist so schwer, dass man sie nicht läuten kann.

 

Von der Stadtmauer ist nur sporadisch etwas zu sehen. Sie soll römisch sein. Es wurden verschiedene Gesteinsarten verwendet, Vulkangestein und zwei weitere, darunter eine rötliche. In einem niedrigen Durchgang kann man die herringbone technique sehen, bei der zur Stärkung der Statik die Steine mal nach rechts, mal nach links ausgerichtet sind.

 

Mehrere Türme der Stadtmauer wurden zu unterschiedlichen Zeiten als Gefängnis genutzt. Die Insassen wurden aber nicht ernährt, sondern ließen, wie man auf einer Abbildung sieht, einen Schuh an einer Kordel aus dem Gefängnis herunter, in dem Freunde oder Wohltäter milde Gaben deponieren konnten, die dann mittels der Kordel in die Gefängniszelle gezogen wurden. Daher erklärt sich (angeblich) der Ausdruck on a shoestring.

 

Die am Vormittag schon bemerkten Ruinen in der Nähe des Cathedral Close gehören nicht zu einem Kloster, sondern zu einem Armenhaus (almshouse!) mit Kapelle (XV). Es wurde im 2. Weltkrieg zerstört.

 

In der Nähe im Park ein unsägliches heroisches Denkmal des 1. Weltkriegs, das alle wunderbar finden. Da zeigen sich Grenzen des interkulturell zu vermittelnden.

 

Das Rätsel mit dem castle löst sich auf. Die Normannen fügten zwei römischen Mauerabschnitten zwei weitere hinzu und schufen dadurch einen ummauerten Bezirk, und der heißt, etwas irreführend, castle. Darin befanden sich mehrere Gebäude, heute noch das inzwischen leerstehende ehemalige Gebäude der Assize Courts.

 

An einem Abhang an der Mauer Katakomben, die man gleich neben dem Friedhof errichtete, weil dieser von Grabräubern – body snatchers – heimgesucht wurde. Ein Bischof ließ eine Trennmauer anbringen, die quer durch Friedhof und Katakomben lief und „Rechtgläubige“ von „Ketzern“ trennte.

 

Der Weg führt vorbei am Kai, der aber rechts liegen gelassen und nicht besichtigt wird. Den Fluss sieht man nur aus der Ferne.

 

Auf dem Weg weist die Führerin auf eine Pflanze mit wolliger, weißliche Blüte hin Sie heißt Old Man’s Beard (Waldrebe).

 

Leider gleich an einer Schnellstraße gelegen eine malerische Ecke. Hier steht ein beliebtes Postkartenmotiv, das House That Moved, ein unregelmäßiges Fachwerkhaus auf Stützen, das wegen des Verkehrs vor einigen Jahren auf Rollen von seinem ursprünglichen Standort ein paar Meter entfernt hierher gebracht wurde. Gegenüber zwei Häuser aus der Tudorzeit, daneben eine steinerne Stiege, die auf flachen Stufen einen verwinkelten Weg zwischen zwei Häusern nimmt. Daneben eine Kirche mit einer kleinen astronomischen Uhr und drei sehr weltlich aussehende Figuren, die sich beim Stundenschlag bewegen und jede vierte Stunde eine Glocke schlagen.

 

Nach der Führung noch ausgiebig in einer Buchhandlung gestöbert, Waterstone’s. Sehr gut, aber am Ende entschieden, den eigentlichen Bücherkauf auf Bristol zu verlegen, um mir unnötiges Gepäck zu ersparen. Sollte sich als Fehler erweisen. So bleibt es am Ende bei einem Buch über englische Ortsnamen, in dem ich zufällig etwas über Exmoor finde. In geographischen Bezeichnungen – auch Dartmoor, Yorkshire Moors – bedeutet moor nicht unbedingt ‚Moor’ im engeren, modernen Sinne, sondern steht ganz allgemein für ‚Ödland’, ‚nicht bebautes Land’, ob Moor, Heide oder Marsch.

 

Als ich zurückfahre, ist der Bus wieder voll, mit den gleichen Müttern mit Kleinkindern wie am Vormittag, aber diesmal mit vollgepackten Einkaufstüten.

 

Am Ende einer Fernsehsendung verabschieden sich die Moderatoren mit „Good night.“ Es ist aber erst sieben Uhr abends.

 

Eine Ankündigung gesehen für eine Sendung, die The Big Heist heißt. Was heißt das?

 

Bei Wahlberichterstattung aus Deutschland zeigt sich das englische Unverständnis für das deutsche Wahlsystem: Nur die Ergebnisse der beiden großen Parteien werden genannt, und das ändert sich bis spät in den Abend nicht.

 

19. September (Montag)

Am Morgen erst in der Touristeninformation Instruktionen für die komplizierte Weiterfahrt nach Exmoor am Mittwoch eingeholt. Dort eine Karte mit dieser Zeichnung gesehen: Ein volles Kino mit einem lachenden Publikum, mitten unter ihnen ein junger Mann mit langem Gesicht. Titelzeile: „ I just realized that my English is not as good as I thought“.

 

Dann Führung in der Kathedrale mit ausgezeichneter, professioneller Führerin. Sie erklärt, dass in den letzten Jahren immer mehr Deutsche diese Gegend Englands besuchen. Sie liefert auch gleich die Erklärung für diese überraschende Tendenz mit: Es liegt an der Verfilmung der Romane von Rosamond Pilcher!

 

Sie führt uns zunächst in einen Innenhof an der Südseite, von wo aus man einen guten Blick auf den normannischen Turm hat. Hier befand sich das Kloster der Angelsachsen, in dem (vielleicht) Bonifatius erzogen wurde. Im Innenhof hat man an einige Restaurierungsarbeiten vorgenommen, die nicht ihren Beifall finden (und auch nicht zu Ende geführt wurden).

 

Außerhalb des Innenhofs das Haus des Deans, des eigentlichen Hausherren der Kathedrale, ein Haus aus dem für diese Gegend typischen Sandstein.

 

Trotz der verschiedenen mündlichen und schriftlichen Erklärungen wird mir die frühe Geschichte der Kathedrale einfach nicht klar. Es fallen viele Namen, von denen mir einige unbekannt sind und von denen ich die anderen nicht richtig einordnen kann: Leofric (XI), Athelstan (X), Bischof Grandison (XIV).

 

Im Giebel der Kathedrale erschient die ungewöhnliche Statue eines jungen Petrus mit Fischernetz. Petrus ist der Schutzpatron der Kathedrale, deren Symbol zwei gekreuzte Schlüssel sind. Wenn man irgendwo in England auf ein Pub stößt, das The Crossed Keys heißt, kann man sicher sein, dass in der Nähe eine Peterskirche ist.

 

Westfront verwittert, einige Figuren erneuert, z.B. die des Eroberers, andere weisen Farbreste auf. Deshalb und aufgrund der vielen erhaltenen Auftragsbücher können die ursprünglichen Farben gut rekonstruiert werden. Zustand der Skulpturen beeinträchtigt durch a) bonfires, die unmittelbar vor der Kathedrale veranstaltet wurden, b) Wind und Regen (kommen vorwiegend aus Südwest), c) sauren Regen, d) Beschädigungen in den Religionskriegen. Da wundert man sich, dass überhaupt noch etwas da ist.

 

Das Gewölbe ist kein fan-vaulting, obwohl es so in einem Führer steht. Es stammt aus einer früheren Epoche.   Nur ein kleines unter dem nördlichen Eingangstor ist fan-vaulting.

 

Der Stein innen ist Purbeck Marble, ein im Gegensatz zum italienischen nicht polierter Marmor.

 

Die Leute der West Country gelten als bequem und träge. Dazu passend sind (angeblich) die Pfeiler der Kathedrale, deren Sockel so breit auslaufen, dass man sich drauf setzten konnte, lange bevor Kirchen bestuhlt waren. Auch den Seiten ein Gesims, auf das man sich setzen kann.

 

Die Schlusssteine (englisch bosses, weil sie oben sind!) durchziehen die gesamte Länge des Hauptschiffs, es sind über 100. Einer der Ritter, die Becket (ursprünglich ein Spottname, von franz. bec, ‚Schnabel’ abgeleitet) ermordeten, kam aus Devon.

 

Im nördlichen Querschiff eine Holztür mit Loch. Tatsächlich ein Katzenloch: Die Kathedrale hielt sich lange Zeit ein Katze, um die Kirche mäusefrei zu halten.

 

Davor eine astronomische Uhr auf blauem Hintergrund, mit der Erde im Zentrum und drei konzentrischen Kreisen. Zeigt die Stunde, die Mondphase und, auf einem zweiten, später angebrachten Zifferblatt, die Minuten.

 

Daneben die Statue Northcotes, eines begabten, aber nicht genialen Malers, eines Schülers von Reynolds. Da er sehr klein war, wurde er sitzend dargestellt.

 

Im südlichen Querschiff eine Grabplatte mit einer trauernden Jungfrau, bei deren Darstellung ein Fehler unterlaufen ist: Sie hat zwei linke Beine.

 

Im Chorumgang mehrere Kapellen, darunter die Grabkapelle eines gewissen Hugh Oldham (XVI), einem bedeutenden Erzieher und Gründer der Manchester School. Er ist in vollem Ornat dargestellt, bunt gefasst. Unter seinem Kopfkissen guckt, auf die seiner Bedeutung entsprechende Größe reduziert, ein Schüler hervor. Mehrmals in der Kapelle taucht das Motiv der Eule auf, eine phonetische Anspielung auf Oldham.

 

Unter den Schlusssteinen im Chor auch eine Sirene! Im Mittelalter mischte man fröhlich durcheinander, so sie Kinder es tun, hier weltliche und geistige Motive.

 

Die Miserikordien sind von besonderem Wert, können aber nicht gesehen werden. Ausgestellt ist die eines Elefanten, mit Pferdeschwanz und Kuhbeinen, aber bestens als Elefant zu erkennen, obwohl nur nach Hörensagen geschaffen.

 

Im Cathedral Shop kaufe ich anschließend, sehr zum Vergnügen der alten Dame an der Kasse, einen Aufkleber mit der Aufschrift: „ Dull women have immaculate houses“.

 

Anschließend im Cathedral Café einen leckeren Tee mit scone für nur 1.95£!

 

Wegen des guten Wetters aufs Museum verzichtet und statt dessen zum Kai gebummelt. Dabei teilweise den Weg von gestern nachgelaufen, aber diesmal die Eisenbrücke und den Fluss zu sehen bekommen. Die Eisenbrücke (XIX) wurde unter dem Protest der Leute gebaut, die heute gegen ihren Abriss protestieren würden. Grün gefasst, überspannt sie in mehren Bögen die Straße, nicht, wie ich dachte, den Fluss.

 

Die Gegend um den Fluss war ursprünglich die ärmste Gegend der Stadt, heute ein Vorzeigestück, vor allem an solchen Tagen. Hier gibt es in den alten, renovierten Lagerhäusern alles, was der Tourist begehrt, aber doch keinen Rummel. Ich leiste mir ein (hervorragendes) Eis mit Rum und Rosinen, eine neuen Film für die Kamera und Tee auf einem kleinen Platz am Fluss.

 

„Sorry, I am not allowed to accept Scottish bills“, sagt man mir, als ich den Film kaufe. Am Abend kann ich mein Geld aber im Supermarkt unterbringen.

 

Im Information Centre gibt es eine Film über Exeter: Die Römer verließen nach 20 Jahren Exeter wieder und zogen nach Wales weiter, jedenfalls die Legionen. Nach dem Niedergang nach Ende des Römerreichs wurde die Stadt unter Alfred wiederaufgebaut: Gandy Street und St. Martin’s Lane entsprechen noch dessen Stadtplan.

 

Die Stadt florierte durch den Serge Trade, hatte aber ein Problem: die Verkehrswege. Der Exe war stellenweise zu seicht, also wurde ein Kanal gebaut, und Topsham wurde zum Hafen von Exeter. Von da an hatte man Handelsbeziehungen zum ganzen westlichen Atlantik (Porto, Bilbao, La Rochelle usw.), wo man Wein bekam,  und später nach Amerika, wo man Tabak und Zucker bekam.

 

Nach dem Niedergang der Industrie wurde Exeter zu einem Modeort für pensionierte Kapitäne und überlebte so: Die wachsende Stadt stellte Diener, Kaufleute, Ärzte, Waren, die von diesen gefragt wurden.

 

Danach ins Kino: Pride and Prejudice, eine schöne Romanverfilmung mit Figuren, die trotz ihrer vornehmen Stellung auch mal ganz wörtlich Dreck am Stecken haben, wenn sie über den Hof laufen, auf dem auch Hühner und Schweine zu Hause sind, und die in Häusern leben, die, wenn auch vornehm, nicht von abblätterndem Putz verschont bleiben.  Sehr schön der Ball, bei dem es nicht vornehm-reserviert, sondern laut und fröhlich zugeht und bei dem gesprungen und geklatscht wird. Auch schöne Landschaftsaufnahmen, aber nicht kitschig, da oft eher düster-melancholisch, unbewegt und ohne unterlegte Musik. Die Mutter nicht ganz die Nervensäge, die sie sein sollte, der Vater schön kauzig und sehr verständnisvoll, aber irgendwie merkwürdig und etwas zu alt, die Töchter oft, ihrem Alter entsprechend, durchaus kindlich, Darcy kaum ein überzeugender Bösewicht: Er sieht nicht böse aus, sondern wie ein Schauspieler, der versucht, böse auszusehen.  Bewegende Szene, als jüngere Schwester den von älterer Schwester verworfenen Bewerber, einen Pedanten und Schwätzer, zu deren Entsetzen akzeptiert: „I have no choice“.  Dies mag nicht der Traumprinz sein, aber angesichts meines Alters und meiner Mittellosigkeit ist das meine Chance (Später einmal in einem anderen Zusammenhang gehört: Bei Jane Austen scheint es um Liebe zu gehen, aber tatsächlich geht es um Geld). Bei allen Vorzügen fragt man sich am Ende, warum man sich solche Filme ansieht: Die Handlung ist dürftig, die Dialoge sind trivial, und das kaschiert der Film zwar, solange man im Kino sitzt, aber dann bleibt ein etwas fahler Nachgeschmack.

 

20. September (Dienstag)

Erste Regentropfen in dem Moment, in dem ich das Hotel verlasse, und als ich an der Haltestelle bin, regnet es in Strömen. Dort auf eine nette Frau getroffen, die mir, da der B nicht kommt, die Abkürzung zur Haltestelle des K zeigt und ein paar Informationen gibt: Bei Debenhams gibt es ein Café mit gutem Ausblick und schlechtem Kaffee, die riesige Baustelle im Zentrum ist eine Redevelopment area, wo man archäologische Funde gemacht und Häuser abgerissen hat, die den Blick auf die Kathedrale verstellten. Nebenbei identifiziert sie einen Aussprachefehler von mir – maritime – und korrigiert ihn stillschweigend.  Sie erwähnt auch das unterirdische Wasserreservoir, eine der Attraktionen Exeters, das aber im Moment wegen Restaurierungsarbeiten geschlossen ist, und gibt mir einen wertvollen Tipp: Ich soll am nächsten Tag mit dem Zug zum Bahnhof fahren!

 

Unterwegs versucht, ein Photo von Bitsa this …Bitsa that zu machen, aus dem fahrenden Bus. Als wir im Zentrum ankommen, hat es aufgehört zu regnen.

 

Im Informationszentrum der Redevelopment Area ein Schild: “To aid orientation, the location in which you are stood .. will eventually become an important link between …” [Exeter City Council]. Hätte ich in jedem Schüleraufsatz angestrichen.

 

Auf der Suche nach Notizblöcken komme ich im an einer kleinen Kirche vorbei, die mitten im modernen Einkaufszentrum liegt, auf tieferem Niveau, wie die Kirchen in Athen. Es ist St. Pancras, eine einschiffige, einfache Kirche mir einer schönen, schlichten Holzdecke in der Form eines umgekehrten Schiffskiels. In der Mauer eine Auslassung, in der liturgische Geräte gewaschen wurden. Das Inventar stammt z.T. aus der abgebrochen Kirche All Hallows: eine schöne, schlichte Holzkanzel, ein paar Grabplatten und ein zylindrisches Taufbecken. Sehr schöne Atmosphäre. In der Wand eine Treppe, abenteuerlich eng und gewunden, die früher zum Lettner führte. Warum man dazu eine Treppe benötigte, wird nicht erklärt.

 

Anschließend noch mal durch die Stadt gegangen, um Photos zu machen. Die Figuren der Kathedrale sind so angeordnet: unten Engel, Mitte Könige, oben Mönche, Apostel, Märtyrer. Mir fällt auf, dass alle Apostel Bärte haben außer Johannes und Simon, lange, struppige Bärte, Jesus aber einen sauber geschnittenen Kinnbart! Die Beine der Könige sind gekreuzt oder übereinandergeschlagen, vielleicht Symbol ihrer Teilnahme an Kreuzzügen.

 

Das Royal Clarence hieß früher einfach The Hotel – da es kein anderes gab, bedurfte es keines Namenszusatzes.

 

Mol’s Coffee House ist kein Kaffeehaus und war wohl auch nie eins. Als Thomas Mol, der Namensgeber, hier wohnte (XVI), war der Kaffee noch gar nicht nach England gelangt. Vermutlich diente es später als Handelshaus, in dem Kaffee bestellen konnte.

 

Das Eckhaus der St. Martin’s Lane ist ein 500 Jahre altes Haus, das jetzt eine Buchhandlung beherbergt. Es ist das Resultat der Zusammenlegung von zwei früher getrennten, dreistöckigen Häusern. Sie hatten früher „Garderoben“, eine frühe Form von Toilette, die in die hintere Wand eingelassen waren.

 

Exeter wurde als unmittelbarer Vergeltungsschlag für die Bombardierung Lübecks bombardiert.

 

Der Name Rougemont Castle bezieht sich auf die erhöhte Position und den roten Sandstein.

 

Am Mittag belebt sich der Cathedral Close, Schüler und Geschäftsleute sitzen auf Bänken, Mauern und Rasen.

 

Die Queen Street ist eine gerade, etwas breitere Straße, die von der High Street abgeht. Auf einem Gebäude hoch über der Straße eine Staue von Queen Victoria, nach der die Straße benannt ist, ausnahmsweise als jugendliche, schlanke Erscheinung.

 

Passenderweise befindet sich hier auch das Prince Albert Memorial Museum, passenderweise in einem viktorianischen Gebäude untergebracht. Beachtliches Sammelsurium mit etwas veralteter Präsentation, alles vorhanden vom ausgestopften Bären über Standuhren bis zu Mumien und Faustkeilen.

 

Devon in Altsteinzeit am äußersten Rand der bewohnten Welt. Zwischen Eiszeiten nur sporadisch bewohnt. Aus dieser Zeit Faustkeile, multifunktional: Holz hacken, Fleisch schneiden, Löcher graben.

 

Nach letzter Eiszeit (ab 8000) siedeln sich Jäger an, in Jungsteinzeit Bauern aus Europa. Aus dieser Zeit (Zeit der monumentalen Burial grounds) Waren, die über größere Entfernungen ausgetauscht wurden, z.B. Keramikgefäße aus Cornwall (aus nur dort vorhandenem Mineral). Gründe ungeklärt: Prestige? Praktischer Nutzen? Geschenktausch?

 

Bronzezeit: Begräbnis in Urnen in Burial grounds. Gefallen an Luxusgütern entwickelt sich, z.B. fein gearbeitet Goldaarmbänder (könnten in einem modernen Juwelierladen liegen) und verzierte Becher.

 

Römer setzten von Deutschland aus zur Eroberung Englands an (43), erreichten dann Devon (55-75). Römische Straßenanlage noch gut am modernen Stadtplan zu erkennen: High Street ist Nord-Süd-Achse, Queen Street ist Verlängerung der nördlichen Stadtmauer.

 

Afrika war bis 7.000 viel nasser als heute. Ähnliche Techniken von Nil bis Niger, auch später Verbindungen von Ägypten bis Südafrika, aber kein Export der Pharaonenkultur. Warum nur?

 

Glass gibt es schon seit 3.000 Jahren! Es ist dekorativ und funktional, haltbar und brüchig, durchsichtig und farbig, und war bis zur Industriellen Revolution ein Luxusgut.

 

Zwei grundlegende Herstellungsverfahren: Kieselerde (Sand, Feuerstein, Quarz) oder alkalische Erde (mit Soda, Pottasche). Zur Stärkung konnte Kalk, zur Erhöhung des Gewichts Blei hinzugefügt werden.

 

Die Brennöfen oft kuppelförmig (um Hitze nach unten zu leiten) und mit mehreren Öffnungen (um verschiedene Arbeiten ohne Unterbrechung bewältigen zu können).

 

Exponate belegen vielfältige Verwendung: Tintenglas, Bierkrug, Medaillon, Vase, Briefbeschwerer, Weinglas, Öllampe, Blasebalg und (dekoratives) Objekt in Form eines Horns (bugle).

 

Erste Techniken in Westasien, ab 4. Jh. BC Techniken mehr oder weniger bekannt und unverändert bis Industrielle Revolution. Wichtige Zentren Venedig (vor allem Luxusglas), in Frankreich (vor allem für Fenster), in Dolomiten und in Böhmen. Gelangte nach China erst im 17. Jh.!

 

Venedig: Fabrikation (XIII) nach Murano verlegt, wegen Brandgefahr! Fast Monopolstellung: geographische Lage + Seemacht. Besonderes Merkmal: Durch Hinzufügung von Substanzen wurde Kristall entfärbt. Verboten, im Ausland zu arbeiten und Geheimnisse der Herstellung zu verraten.

 

Niedergang, als weniger erlesene Formen aus Deutschland und Böhmen mit Gravierungen in Mode kamen: biblische Szenen, Jagdszenen, Landschaften.

Außerdem war das Glas weniger zerbrechlich, weil Pottasche statt Soda verwendet wurde.

 

Bis weit in die Neuzeit (XVII) tranken oft alle aus einem Glas. Dann erforderte die neue Etikette, für jeden ein Glas zu haben, und einheitliche Formen und Gedecke wurden zur Norm.

 

Kurios: Karaffe mit Stöpsel für Bier (laut Aufschrift), dagegen frühere Weinflaschen in der Form heutiger Bierflaschen. Jetzige Form relativ neu. Wein gibt es erst seit relativ kurzer Zeit in Flaschen (XVII), früher nur in Fässern und Schläuchen!

 

Aufschrift auf einem Glas: “If ye cant be aisy, be as aisy as ye can!” (XIX)

 

Kleine, aber feine Uhrensammlung mit Information zur Zeitmessung: Zeitsysteme waren lange unterschiedlich, es galten lokale Zeiten, erst 1850 wurde GMT eingeführt und erst 1880 obligatorisch. Exeter war 14 Minuten hinter London, was nach der Einführung der Eisenbahn für Verwirrung sorgte. Die Züge verkehrten nach Londoner Zeit, es gab zwei Fahrpläne mit unterschiedlichen Zeiten und einige Bahnhöfe hatten Uhren mit zwei Minutenzeigern. Exeter schloss sich erst nach langem Widerstand der einheitlichen Zeit an!

 

1884 wurden auf internationaler Konferenz 24 Zeitzonen eingeführt. 1958 ersetzt Atomzeit astronomische Zeit und später GMT. Diese ist zehn Sekunden hinter Atomzeit. Warum? Die Messgeräte waren genauer als die Erde selbst, die langsamer wird!

 

Existiert Zeit? Newton sagt ja, Einstein nein. Für Newton gab es eine absolute Zeit, verschieden von der gewöhnlichen Zeit und nicht messbar, sie ist das Behältnis, in dem das Universum sich befindet, und existiert unabhängig vom physischen Universum und hat kein Anfang und Ende. Für Einstein ist die Zeit relativ, mit Beginn der Zeit beginnt das Universum.

 

Unser Bewusstsein von Zeit ist relativ: Wenn es langweilig ist, scheint die Zeit langsam zu vergehen, wenn es interessant ist, schnell. Dafür gibt es keine wissenschaftliche Erklärung!

 

Länge- und Breitengrade gab es schon bei Ptolemäus, aber erst seit der Neuzeit wurden sie praktisch genutzt.

 

Mechanische Uhren gab es schon seit dem Hochmittelalter, aber erst Jahrhunderte später ersetzten sie großflächig die Sonnenuhren.

 

Im Zentrum des Museums, im Foyer, mit Galerien auf allen vier Seiten, eine ausgestopfte Giraffe, mit den Füßen im ersten und dem Kopf im zweiten Stockwerk. Giraffen haben vier Mägen, und das und eine gute Sicht und die Höhe sind ihre Stärken. Der Löwe ist ihr wichtigster Feind, und eine liegende Giraffe ist schwach, deshalb schläft sie im Stehen. Die Herden werden manchmal von Bullen angeführt, aber es gibt auch einzelne Bullen und Bullenherden – genau wie bei uns.

 

Schöner Museumsteil über die Entwicklung Exeters, mit nachgebauten Häusern und Geschäften und vielen originalen Teilen aus Kirchen und Wohnhäusern. Exeter wurde von Alfred wiedergegründet, als Teil eines Netzwerks befestigter Städte gegen die Wikinger. Stadt wuchs schnell und war bei der Eroberung durch die Normannen die sechstgrößte Stadt Englands, mit 2.000 Einwohnern! Das Münster wurde zur Kathedrale, als Leofric (XI) seinen Sitz hierher verlegte. Dann Neubau einer Kathedrale (XII) > Münster wird zur Pfarrkirche (später, XIX, abgerissen).

 

Auf ITV die 20 besten Werbungen der letzten 50 Jahre. An erste Stelle eine Werbung mit Mars-Menschen. Schwer nachzuempfinden, wenn man es nicht miterlebt hat. Natürlich auch dabei die mit den Badetüchern auf Mallorca. Kurios eine Werbung, in der nacheinander ein Hund, eine Katze und eine Maus ein Zimmer betreten und sich friedlich nebeneinander an den Ofen legen. Zum Schluss scheint die Katze der Maus einen Kuss zu geben.

 

21. September (Mittwoch)

In Ruhe alles zusammengepackt und zum Bahnhof gegangen, bei strahlendem Sonnenschein. Unbewachter Bahnhof mit allem, was man erwarten kann, außer dem, woran mir jetzt am meisten gelegen wäre, einer Sitzgelegenheit. Es gibt klare, übersichtliche Informationstafeln mit  Adressen und Telephonnummern, eine elektronische Anzeige der nächsten Züge, einen beleuchteten Lageplan und ein Funktelephon, über das man 24 Stunden am Tag Informationen bekommt oder Notfälle melden kann. Ganz wie in Trier Süd!

 

In der Gegenrichtung wird ein Zug angekündigt, dessen Endbahnhof, Waterloo, hier, in „London Waterloo“, auf der letzten Silbe betont wird.

 

Von Exeter geht es über Taunton (Zug) und Minehead (Bus) nach Holnicote (Taxi). Dabei geht es von Devon nach Somerset. Besichtigungen fallen wegen des Gepäcks flach, und Taunton scheint ohnehin eher nichtsagend zu sein. In Minehead bekomme ich in einem kleinen Lokal ein Moussaka, die ihren Namen nicht verdient.

 

Unterwegs lese ich über eine Inszenierung des Nathan in London. Auch hier geht es nicht ohne Erwähnung Hitlers.

 

Im Buch über Ortsnamen gefunden: George Stephenson war ein Ingenieur, der eine Lampe erfand. Diese Lampe wurde nach ihm George’s oder Geordie’s genannt. Dann wurde der Name der Lampe auch auf die Leute ausgedehnt, die sie bei der Arbeit benutzen, nämlich die Bergleute aus Newcastle. Schließlich griff der Name auf die Menschen aus Newcastle allgemein und die der Umgehung über. So kamen die Menschen aus Tyneside zu dem Namen Geordies.

 

Unbedingt nachschlagen, in welcher Umgebung <u> weiterhin /u/ ausgesprochen wird: full, bull, pull, bush, push, butcher, put, pulpit, cushion, aber: dull, hush, cut. Gibt es da eine Regelmäßigkeit?

 

In Holnicote House ist alles bestens, auch wenn ich mich im Anfang sehr fremd fühle. Das Badezimmer hat sogar heizbare Handtuchstangen.

 

Am Nachmittag gibt es nach einer kurzen Begrüßung für die Neuankömmlinge einen Spaziergang im Regen in das vorzeigbare Dorf Selworthy (lauter strohgedeckte Häuser mit lehmgelbem Anstrich). Die kleine Kirche hat eine schöne Holzdecke und eine Sanduhr über der Kanzel.

 

Beim Abendessen sitzt man an Tischen zu acht, gerade wie’s kommt, ohne feste Sitzordnung. Das Essen ist hervorragend, vor allem das Huhn am ersten Tag, aber gammon und spinakoppita and den nächsten Tagen sind auch nicht zu verachten, und die Käseplatte, die ich zum Abschluss gewählt habe, zieht die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. An unserem Tisch sitzt eine völlig überforderte, kleine, dicke, ungepflegte Frau, Susan, der es für diese Wanderungen an Beweglichkeit mangelt und die kaum in der Lage ist, ein Formular auszufüllen, das alle anderen schon längst abgegeben haben. Sie löchert den ebenfalls an unserem Tisch sitzenden Leader, der ihr inzwischen ein zweites Formular besorgt hat, da sie das erste verloren hat,  das dann aber wieder auftaucht und für noch mehr Verwirrung sorgt, mit allen möglichen Fragen, die er schon beantwortet hat oder die überflüssig sind. It takes all sorts … Als die Rede auf Trier kommt, ist sie erstaunlicherweise die einzige, die es kennt. Erst glaube ich, sie habe mich vielleicht falsch verstanden, sie weiß aber, dass Gloucester unsere Partnerstadt ist und empfiehlt mir, wenn ich mal dorthin käme, unbedingt das in der Nähe gelegene Tewkesbury zu besuchen.

 

Es gibt ausführliche Erklärungen zu den Wanderungen am nächsten Tag. Man kann zwischen schwer, mittelschwer und leicht wählen. Die Distanzen hören sich harmlos an, aber man ist den ganzen Tag unterwegs. Ich wähle den mittelschweren.

 

Am Abend bestellt man die Marschverpflegung für den nächsten Tag. Mann kann zwischen sandwich und bap wählen. Nie gehört. Stellt sich als eine Art weiches Brötchen heraus.

 

Im Laufe des Tages einen Taxifahrer getroffen, der in Berlin gearbeitet und eine sächsische Freundin hat, einen Berufssoldaten, der in Ingolstadt stationiert war und einen Lehrer, der in Bad Kreuznach und Köln Englisch unterrichtet hat.

 

Danach spreche ich mit den spanischen Mädchen (aus Bilbao und Santander), die hier arbeiten.

 

22. September (Donnerstag)

Nach etwas weiterer Busfahrt geht es los, ca. 10.15. Die Wanderung führt durch schöne, aber nicht spektakuläre Landschaft, das ganze letzte Stück an einem schönen Fluss entlang, dem Barle. Am Ende bin ich trotz der relativ kurzen Distanz ziemlich erschöpft.

 

Die Einklärungen unterwegs sind sehr dürftig, ein paar Sätze zum Caratacus Stone, fast gar nichts zu den Starr Steps, und eine etwas haarspalterische Unterscheidung zwischen fern und bracken, von denen eins nur einen Stiel hat.

 

Die Grenzen zwischen den verschiedenen Landbesitzern sind gekennzeichnet durch einen aus Steinen geformten, inzwischen überwachsenen Wall, auf dem Buchen gepflanzt werden. Die Wurzeln der Buchen treten stellenweise aus dem Wall heraus und haben bizarre Formen. Die Wälle sehen natürlich gewachsen aus, und wenn man die Erklärung nicht wüsste, würde man sich fragen, woher sie kommen.

 

An der Endstation, Dulverton, bleibt Zeit für ein Pint bei besten Wetter im Freien. Vorher sehe ich an einem Café das Schild „Polite dogs welcome“.

 

Nicht zum ersten Mal in GB kommt die Rede auf Lidl, von dem die Engländer viel halten. „I go to Germany every Saturday to do my shopping. I go to Lidl.”

 

Bei der Vorstellung der Strecken des nächsten Tags sagt Tony, einer der Leader, warum die Zahlen irreführend sein können: Höhenunterschiede werden nur dann als solche registriert, wenn sie mehr als zehn Fuß betragen. Alles andere gilt als geradeaus.

 

23. September (Freitag)

Zweite Wanderung. Diesmal entschiede ich mich für die schwerere Tour, wie die meisten. Diesmal geht es ans Meer, und es gibt ein paar spektakuläre Ausblicke von unserem schmalen Pfad hoch über dem Meer auf die Buchten (aber kein Vergleich mit Irlands Südwesten).

 

Der Ausgangspunkt ist eine ehemalige coaching station bei Culbone, wo die Pferde ausruhen konnten nach dem steilen Anstieg, ganz egal, von welcher Seite sie kamen.

 

Culbone soll die kleinste englische Kirche haben. Schon wieder ein Superlativ. In der Nähe schrieb Coleridge seinen „Kubla Khan“, und es soll ein Mann aus Culbone gewesen sein, der seinen drogeninduzierten Schreibfluss unterbrach, als er an die Tür klopfte. Ich kann mich, als davon die Rede ist, kaum an die erste Zeile erinnern, aber im Laufe des Tages kehrt die Erinnerung ungewollt Stück für Stück zurück, und am Abend ist mindestens das halbe Gedicht wieder präsent. Und das ohne Drogen.

 

Unterwegs erfahre ich, dass old bracken (der braun wird) ein Wachstumshindernis für andere Pflanzen ist und rechtzeitig, d.h. bevor er braun ist, entsorgt werden muss, am besten durch Schafe, die allerdings den braun gewordenen nicht mehr essen.

 

Von einigen Stellen kann man, wenn man sich anstrengt, die Küste von Wales sehen, aber der Himmel kommt heute über ein Hellgrau nicht hinaus, und die See ist noch dunkler. Wenigstens ist es trocken, was beim Aufbruch nicht zu erwarten war. Die Leute haben sogar Schutzbezüge für ihre Rucksäcke.

 

Zwischendurch geht es bequem über die Zufahrt zu einem Landgut (estate), der längsten Zufahrt zu einem Haus im ganzen Land, mehr als drei Meilen.

 

An vielen Stellen sind die jungen Triebe der Bäume unten beschnitten, um sie gegen das Wild zu schützen, ein Vorgang, der pollarding genannt wird. Warum man die Triebe schützt, indem man sie abschneidet, wird nicht erklärt.

 

Rob, ein sehr netter, ruhiger Mann aus Berkshire, der sich niemandem aufdrängt und doch immer zur Stelle ist, zeigt mir, was gorse ist, ein Wort, das ich Hunderte von Malen gelesen und nachgeschlagen (Stechginster), unter dem ich mir aber was ganz anderes vorgestellt habe. Es ist eine hohe Pflanze mit starken Stielen und mit harten Dornen. Es steht nicht vereinzelt in der Landschaft herum, sondern bildet Hecken. Später wird auch noch honeysuckle gezeigt, aber das würde ich heute schon nicht mehr erkennen.

 

Wir machen Halt an einer Quelle, an der, der Legende zufolge, auch Joseph von Arimathäa haltgemacht hat. Die Legende ist irgendwie verbunden mit der Theorie von Jesus als Ehemann Maria Magdalenas.

 

Eine junge Engländerin erzählt mir, sie habe Lorna Doone dort angefangen zu lesen, wo es spielt, und in dem Moment, als in dem Buch ein stote (wohl eine Art Wiesel) erschient, sei auch vor ihren Augen ein stote aufgetaucht. Wie um ihre Geschichte zu bestätigen, erscheint später auch abseits unseres Weges tatsächlich ein stote.

 

Unterwegs wird meine Fähigkeit getestet, englische Akzente zu unterscheiden, und ich scheitere kläglich. Joyce, eine aufgedrehte, wendige kugelrunde, ältere Dame, ist Londonerin, klingt aber für mich wie Eddies Frau aus „The Archers“ und nicht wie Chris, unser Leader, der auch Londoner ist.

 

Im letzten Teil des Weges kommen wir an einer einsam auf einem Hügel liegenden Kirche mit einem alten Friedhof vorbei, auf dem die Grabsteine noch die früher üblichen Totenköpfe tragen.

 

Im Waldstück wächst am Abhang Rhododendron, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Es sind eher Bäume als Sträucher. Er steht in dichten Reihen. Muss ein Spektakel sein, in der Zeit der Blüte hier vorbei zu kommen.

 

Auf dem Weg sollen wir einen Fehler auf einem Schild finden: wier statt weir. Es heißt, der Fehler sei absichtlich gemacht worden. Warum, finde ich nicht heraus. Jedenfalls ist die richtige Schreibweise eine Ausnahme von der Regel, denn die heißt: „<i> before <e> except after <c>“: believe, conceive, etc.

 

Die Ankunft ist in Lynmouth, einem Ort, der in den späten 50er Jahren nationale Aufmerksamkeit erregte, als er überflutet wurde, mit Autos und Dächern und Bäumen, die einfach mitgerissen wurden und mit vielen Todesopfern. All das immer noch Teil des kollektiven Gedächtnisses der Engländer. Heute sind davon keine Spuren mehr zu sehen. Alles ist wiederaufgebaut und man hat einen hübschen Ort vor sich, der bestimmt sehenswert ist, aber nach der Anstrengung ist mir das Pint, das ich mir als Lynns Sherpa verdient habe, lieber als alle Besichtigungen.

 

Beim Abendessen bekomme ich Tipps zu Bristol. Vor allem ein Name taucht ständig auf: Brunel, ein vorausblickender Ingenieur, der sowohl die Hängebrücke in Clifton als auch das Passagierschiff Great Britain gebaut hat.

 

Wenn die Engländer untereinander sprechen, kann ich der Konversation kaum folgen. Bei den Amerikanern ist es merkwürdigerweise besser.

 

24. September (Samstag)

Am Morgen geht es im Sammeltaxi nach Taunton, ausgerechnet mit Susan (der ich am Ende sogar die Schuhe zubinden muss), und mit einem älteren Kanadier aus Vancouver, einem der wenigen, mit dem ich noch kein Wort gesprochen habe. Er bricht von hier gleich zu seiner nächsten Wanderung auf, seiner achten. Er erweist sich als sehr gesprächig und gut über die politische Lage in Europa informiert, und es entwickelt sich ein anregendes Gespräch über Geschichte und Politik, Themen, die die Engländer eher meiden. In der ganzen Zeit bin ich nur von Rob (Sheffield) und Rob (Berkshire) auf die Bundestagswahlen angesprochen worden.

 

Das Hotel in Bristol ist gleich am Bahnhof, aber da kein Zimmer frei ist, mache ich mich gleich auf den Weg in die Stadt. Man merkt bald, dass Bristol nicht gerade als Englands Schönheitskönigin gilt. Beeindruckend auf der linken Seite St. Mary Redcliff, die nur eine Pfarrkirche ist, aber wie eine Kathedrale aussieht.

 

Das Hafengelände sieht besser aus, ein großes Areal an der ehemaligen Werft, die völlig umgestaltet wurde, mit hochmodernen, zeltartigen Glaskonstruktionen zwischen alten, renovierten Lagerhäusern. Bei der Touristeninformation erfahre ich, dass ich die letzte Stadtführung des Jahres um 15 Minuten verpasst habe. Am Nachmittag gibt es aber noch eine Führung durch das maritime Bristol. Vorher bleibt noch Zeit für einen Bummel auf die andere Flussseite, vorbei am Industriemuseum, und für eine kleine Bootsfahrt durch das Hafengelände. Als es losgeht, sind wir nur vier Erwachsene und zwei Kinder. Zuerst geht es den Avon hinunter, einen Fluss mit einer Besonderheit: Er hat die zweithöchste Tide aller Flüsse (der erste ist in Kanada), was Höhenunterschiede bis zu 12 Metern auslösen kann, ungünstig für das Hafengebiet. Deshalb hat man den Fluss vor 200 Jahren umgeleitet und mit einem Wehr für einen konstanten Pegel gesorgt. Dieser Teil heißt deshalb Floating harbour. Bald geht es links ab in Richtung Altstadt, aber die erreicht man nicht, wie das früher der Fall war, denn man hat den Fluss unter die Erde verlegt, auch eine Entscheidung, die man heute wohl nicht mehr fällen würde. Zurück geht es an Hausbooten vorbei, früher Armenbehausungen, jetzt, wo sich die Makler ihrer angenommen haben, Modewohnungen für Neureiche. Dann geht es vorbei an zwei holländischen Schiffen, die das Vorbild für die Handelsflotte von Bristol waren und an einem Schiff aus Hamburg, der Thekla, das früher Obst transportierte und jetzt als Nachtclub dient. Der Name wird von den Engländern „englisch“ ausgesprochen, mit sog. th am Anfang. Alle Schiffe sind weiblich. „She was built in …”

 

Zurück geht es vorbei an der Matthew, einer modernen Replik des Schiffes, mit dem Cabot Neufundland (im Englischen auf der ersten Silbe betont!) erreichte. Dann vorbei am Vorzeigeobjekt Nummer Eins, Brunels Great Britain, dem ersten überseeischen Passagierschiff, das vor der Küste der Falklands vor sich hin rostete, bevor es hierher gebracht und restauriert wurde. Als Brunel das Schiff entwarf, wurde er für verrückt erklärt. Man war überzeugt, dass das Schiff sinken würde.

 

Danach geht es zur Stadtführung. Hier bin ich der einzige Ausländer, obwohl Bristol am Wochenende bis zu 30.000 Besucher hat. Wir stehen auf dem Millennium Square, dem modernen Platz am Hafen. Am anderen Ende des Platzes wird noch gebaut, moderne Apartmenthäuser. Man versucht, die Innenstadt wieder für Bewohner attraktiv zu machen. Das hat schon Erfolge gezeitigt, vor allem bei alten Leuten und bei auswärtigen Studenten, die nach dem Studium hier geblieben sind.

 

Auch auf dem Platz eine die Aufmerksamkeit auf sich ziehende silberne Kugel, in der das Planetarium untergebracht ist. Von außen führt eine Treppe zur Kugel, aber nicht hinein. Es ist nur eine Attrappe. Der Eingang zum Planetarium befindet sich innerhalb des Gebäudes, neben dem es steht. Was die Funktion der Treppe ist, bleibt unklar.

 

Am Ende des Platzes die Bronzestatue eines gewissen Archibald Leach, besser bekannt als Cary Grant, in Bristol geboren. Auf zwei Parkbänken sitzend zwei weitere Bronzestatuen, zwei weitere Bristonians: Tyndale, der Bibelübersetzer, und Chatterton, ein Dichter, der schon mit 18 Selbstmord beging und dessen Gedichte dennoch bis heute gelesen werden, der eine in mittelalterlichem Gelehrtenhabit, der andere in romantischem Outfit und mit langen Haaren.

 

Auch nach der Umleitung des Flusses war der Hafen irgendwann zu klein für die Handelschiffe und wurde vor die Stadt verlegt. Das wichtigste Importgut sind heute japanische Autos, daneben Holz und Kohle.

 

Das Industriemuseum gegenüber ist in einer langgezogenen Eisenhalle am anderen Ufer untergebracht. Davor vier große, graue dampfgetriebene Kräne, offensichtlich eine Seltenheit. Die Pläne, Gebäude abzureißen, werden von den Einheimischen nicht mit Begeisterung aufgenommen.

 

Über Pero’s Bridge, einer modernen Fußgängerbrücke, einer Auslegerbrücke (cantilever bridge), die in Anspielung auf die Geschichte Bristols den Namen eines schwarzen Sklaven trägt,  geht es auf die andere Seite, über den Frome Richtung Altstadt. Am Zusammenfluss von Frome und Avon, da, wo vorher auch das Schiff abgebogen ist, die sitzende Bronzestatue Cabots, als Gigant mit rauen Gesichtszügen dargestellt.

 

Von hier aus Blick auf die andere Seite des Avon und den Stadtteil Redcliff, früher eine selbständige Stadt. Das erklärt die Größe der Kirche, sicher in Konkurrenz zu Bristol entstanden. Der Name erklärt sich aus den roten Sandsteinfelsen, auf die man von hier sehen kann. Man sieht auch noch die inzwischen zugemauerten Zugänge zu den unterirdischen Höhlen, in den früher der Sandstein abgebaut wurde, vor allem für das berühmte Bristol Glass. Erstaunlicherweise steht auf den Felsen eine Reihe georgianischer Häuser.

 

Von hier aus zum Queen Square, einem parkähnlichen, autofreien Platz mit georgianischen Häusern an allen Seiten. In einem haus lebte Woodes Rogers, ein privateer, also eine Art staatlich lizenzierter Seeräuber, der Alexander Selkirk von der Insel zurückbrachte, auf der er gestrandet oder zurückgelassen worden war und der Defoe zum Robinson Crusoe inspirierte. An diesem Platz befand sich auch das erste amerikanische Konsultat überhaupt außerhalb Londons, ein Zeichen der früheren Bedeutung Bristols. Hier wohnte im 18. Jh. die feine Gesellschaft Bristols, bis es im 19. Jh. Mode wurde, in die Vororte zu ziehen, besonders nach Clifton, wo man fern vom Fluss war und Panoramablicke genießen konnte. Nichts könnte schöner den wechselnden Zeitgeist illustrieren.

 

An einem lauten Platz die ehemaligen Merchants Almshouses, die im 2. Weltkrieg stark zerstört wurden und von denen nur noch zwei Flügel stehen. Die Kaufleute waren diejenigen, die das Leben Bristols bestimmten und die den Bürgermeister, den Sheriff und die Stadträte (aldermen) stellten. Merchant wurde man nicht einfach, sonder war es. Es handelte sich um einen geschlossenen Zirkel, in den man in der Regel nur durch Erbe eintrat, in Ausnahmefällen, indem man sich einkaufte, oder in ganz seltenen Fällen, indem man als Lehrling angenommen wurde. Daneben gab es auch Ehrenmitglieder, aber in der Regel waren das nur Adlige.

 

Dann geht es durch die King Street, vorbei am Old Vic, dem ältesten Theater Englands, in dem ohne Unterbrechung gespielt wird. 50 Kaufleute spendeten £49 zur Gründung des Theaters und erhielten eine Scheibe, die ihnen lebenslangen freien Eintritt gewährte. Die Scheiben gibt es heute noch.

 

Auf der King Street zwei Pubs in schönen Häusern, The Old Duke, mit einem Bild Duke Ellingtons im Wirtshausschild, einem Pub, das früher Duke of Wellington hieß und dann seinen Namen änderte, als es zum Jazzclub wurde. Gegenüber in einem prächtigen Fachwerkhaus The Llandogger Trow, nach einem Ort in Wales und einer Art Schiff benannt, das früher Waren aus Wales hierher brachte.

 

Weiter zur Bristol Bridge, deren Vorgängerin der Stadt ihren Namen gab: Bridge-Stow. Die heutige ist eine viktorianische Erweiterung einer älteren Steinbrücke, die Gegenstand einer Revolte war: Es sollte nur solange eine Maut erhoben werden, bis die Kosten abgetragen waren, aber dann bleib die Maut doch bestehen, bis einer den Betreibern auf die Schliche kam.

 

Weiter zum St. Nicholas Market, dem schönsten Teil Bristols, einem offenen, aber überdachten Markt auf kleinen Straßen des Zentrums. Just außerhalb des Markts, auf der Corn Street, der zentralen Straße dieses Viertels, eine Kirche, Christ Church, mit Figuren, die die Stunden schlagen. Bei einem von beiden heißt es Daumen drücken, weil sein Hammer manchmal knapp an der Glocke vorbeischrammt.

 

Etwas weiter ein viktorianisches Haus mit völlig überladener, wenn auch interessanter Fassade, mit umrankten, von Pferden bewachten Wappen, mit überdimensionalen Figuren von Gorgonen, Putten und Musen, mit geschwungenen Balkonen und mit Säulen und Pfeiler jeder Größe. Heute Sitz von Lloyds. Im Vorgängerbau, dem Coaching Inn The Bush,  war die Wahlkampfzentrale Burkes und die Wohnung von Dickens’ Winkle aus Pickwick Papers.

 

Auf der Corn Street stehen an verschiedenen Stellen beinahe mannshohe eiserne Nägel, auf denen man früher Verträge abschloss. Daher soll der Ausdruck pay on the nail kommen. Wahrscheinlich ist es eher umgekehrt: Die Nägel sind da, weil es den Ausdruck gibt!

 

Die Führung endet auf dem College Green, dem Platz vor der Kathedrale. Hier hat man einen Baum in eine moderne Skulptur verwandelt, indem man Turnschuhe, viele verschiedene Paare, in die hohe Äste gehängt hat. Vom College Green geht die Park Street, steil ansteigend, zur Universität rauf, deren zentrales Gebäude, ein zu stumpf geratener, sakral aussehender Turm, das Ende der Straße markiert.

 

Als ich zurückkomme, geht gerade die Brücke, mit der man wieder auf die andere Flussseite kommt, zu. Es ist eine alte Eisenbrücke, und  sie wird nicht hochgezogen, sondern seitlich verschoben. Erstaunlicherweise geht es dabei, bis auf einen dumpfen Knall am Ende, völlig geräuschlos zu, ohne das geringste Quietschen und Knirschen.

 

Jetzt wird es höchste Zeit fürs Hotel. Da wartet eine böse Überraschung auf mich: Man will meinen Voucher nicht akzeptieren. Ich sammle meine Koffer wieder ein und ziehe weiter. Das nächste Hotel ist voll, beim übernächsten habe ich Glück. Erst glaube ich, dass es sogar billiger ist, aber dann wird mir klar, dass ich umrechnen muss. Man hat sich so sehr daran gewöhnt, bei den Reisen durch die Euroländer (E, I, F, GR, IRL, B, LUX) nicht umzurechnen, dass man das in GB leicht vergisst. Aber das macht einen Aufschlag von 50% aus.

 

Jetzt bin ich rechtschaffen müde vom Wandern, aber auch hungrig. Als erstes versuche ich es am Bahnhof. Auf dem Weg dahin fragt mich jemand nach dem Weg zum Bahnhof, und ich kann Auskunft geben! Am Bahnhof gibt es nicht einen Kiosk, nicht ein Lokal. Merkwürdig. Also geht es wieder in die andere Richtung, Richtung Stadt. Nach langer Suche lande ich in einem Lokal mit dem irreführenden Namen Pizza Express. Keine Ähnlichkeit mit Pizza Hut oder ähnlichen Etablissements, sondern ein gutes, eher teures Lokal im unwahrscheinlichsten Ambiente: ein gar nicht sehr großer, aber sehr hoher, überkuppelter Quadratbau, vielleicht früher ein Handelshaus. Das Essen ist jeden Penny wert.

 

Am Abend im Fernsehen Mark Lawson gesehen. Seine Stimme kenne ich seit Jahren aus dem Radio. Natürlich sieht er ganz anders aus, als ich ihn mir vorgestellt habe.

 

Kuriose Parallelen GB – D: 1. Es wird mehr Wein und weniger Bier getrunken, und die Leute wollen nicht nur trinken, sondern auch verstehen, was sie da trinken (Tipp: Wenn man Zucker im Kaffee trinkt, soll man Merlot statt Cabernet Sauvignon trinken). 2. Klagen über nachlassendes Interesse am Fußball durch Überflutung mit Spielen im Fernsehen und durch Entzerrung der Spielpläne. 3. Rätselraten über die Frage, warum so viele Studenten das Studium abbrechen. Und noch eine: Wie Kohl wurde Prescott im Wahlkampf handgreiflich, als jemand ihm ein Ei an den Kopf warf!

 

Mehrmals Schwierigkeiten, sogar schriftliche Texte zu verstehen, z. B. Instruktionen zur Regulierung von Temperatur und Wasserdruck in der Dusche: „Switch the end of the overide switch in the lower knob“.

 

In beiden Städten an vielen Stellen Hinweise, dass Überwachungskameras angebracht sind. Das hat vermutlich mehr abschreckende Wirkung als hohe Strafen.

 

18. September (Sonntag)

Gleich am Morgen versucht, Buchung für Rückweg zu bestätigen. Alle Möglichkeiten probiert, mit einer Null, mit zwei Nullen, ohne Null, mit Landesvorwahl mit und mit Landesvorwahl ohne Nullen – alles falsch. An der Rezeption versucht man es auch, ebenfalls vergeblich, findet dann aber heraus, dass man mir eine falsche Nummer gegeben hat. Es fehlt eine Null am Ende. Ich versuche es vom Zimmer aus, und bekomme einen AB mit der Ansage, mein Anruf könne nicht entgegengenommen werden. Ohne Begründung.

 

Auf dem Weg in die Stadt Photo von Ye Shakespeare gemacht, in der Stadt von den Turmschuhen, auf dem Rückweg von Hole in the Wall, zwischendurch von Chatterton, dem Dichter.

 

Dann mit dem Bus nach Clifton, ein doch ein ganzes Stück außerhalb liegender Stadtteil (ca. 25 Minuten), eigentlich eine eigene Stadt. Im Bus ein buddhistischer Mönch in dem typischen orange-brauen Ornat und mit geschorenem Kopf und asiatischen Gesichtszügen. Als er aussteigt, sagt er in akzentfreiem Englisch: „Thanks, mate.“

 

In Clifton vom zentralen Park zu Fuß zur Hängebrücke. Für den modernen Besucher ist die Brücke vielleicht weniger beeindruckend als der Blick in die darunter liegende Schlucht mit dem Avon, der allerdings wiederum durch die Brücke besonders akzentuiert wird. Es gibt ein kleines Observatorium oberhalb der Brücke, wo es eine Camera obscura gibt, eine wirklich obskure Einrichtung, die einem einen Eindruck von der Brücke aus der Vogelperspektive geben soll. Schon lohnender ein steil hinabführender, enger, in den Felsen gehauener Gang, der in eine Grotte ausläuft, vor der sich eine Gitterplattform befindet, von der man auf die Brücke und in den Abgrund sehen kann. Nichts für klaustrophobisch veranlagte oder schwindlige Kandidaten. Auch der Gang über die Brücke ist nicht ohne, aber da es anfängt zu regnen, als ich gerade mitten auf der Brücke bin, nehme ich das als Zeichen des Himmels und kehre um.

 

Dann nach Clifton selbst, einem ganz vorzeigbarem Ort, und zum Royal York Crescent, dem größten seiner Art in England. Der Crescent ist allerdings so groß, dass man ihn, aus der Nähe jedenfalls, nicht in seiner Gesamtheit sehen kann. Meist in weiß oder weißgelb gehaltene Fassaden, mit einem Balkon im zweiten und Mansarden über dem dritten Stock, früher sicher fürs Gesinde. Die Häuser sind auch entgegen der englischen Tradition unterkellert, unter Ausnutzung der Hanglage. Keine Wohngegend für arme Leute, wie man auch an den Autos ablesen kann.

 

Zu Fuß zurück in die Stadt, was auch nicht länger dauert als mit dem Bus, der einige Umwege fährt. Allerdings am „falschen“ Ende ausgekommen und erst auf die andere Flussseite wechseln müssen. Dann die ziemlich stark ansteigende Park Street hochgegangen, um zum Georgian House zu kommen.

 

Das Haus wurde 1790 von dem Plantagenbesitzer John Pinney gebaut. Es ist außen eher unscheinbar, und man sieht von vorne nur vier der sechs Stockwerke, da das Haus an einem Hang liegt. Innen stilvoll, aber ohne Extravaganzen. Das entsprach der Philosophie des Besitzers und der Schicht, der er angehörte. Es wurden nur lokale Handwerker beauftragt, nichts ist vergoldet, und die hölzernen Teile – Fenstersprossen, Fensterläden, Türfassungen usw. – sind beige gefasst und nicht weiß, was teurer gewesen wäre! Im Untergeschoss entpuppen sich rätselhafte, in den Boden eingelassene Gitter als Öffnungen der Fußbodenheizung.

 

Im ersten Obergeschoss ein schöner, gläserner Bücherschrank mit einem Kabinett für den Sammler mit über 500 Schubladen. So etwas brauche ich auch! Über einem Kamin ein Bild mit der Darstellung von Ruinen. Es ist nicht gemalt, sondern aus Vogelfedern gemacht.

 

Im zweiten Obergeschoss guter, wenn auch nicht sonderlich schöner Blick auf Hafengebiet und Türme der Kathedrale. Im Schlafzimmer ein Himmelbett mit Gardinen und Bettbezügen aus Baumwolle. Die wurde gegen Ende des 18. Jh. Mode in vornehmen Häusern und ersetzte Seide und Wolle und hatte den Vorteil, gewaschen werden zu können!

 

Eine blinde Frau kommt ungestüm herein und stürzt auf das Bett zu, um die Vorhänge zu betasten. Sofort wird die Alarmanlage aktiviert. Ein Mädchen kommt von unten, um sie auszustellen und reagiert mit reservierter Höflichkeit, die beiden Begleiter, denen das peinlich ist, murmeln eine Entschuldigung, und die Blinde hat nichts besseres zu tun, als ihnen auch noch Vorwürfe zu machen: „How am I to know?“ Dabei hatte sie selbst ungestüm die Absperrung zur Seite gerissen.

 

Pinney war durch seinen Stiefvater zu einer Plantage in Westindien gekommen und galt als humanitärer Sklavenhalter. Das geschah aber weniger aus Nächstenliebe als aus Kalkül. Medizinische Fürsorge, vernünftige Ernährung und maßvolle Beanspruchung zeitigten bessere Ergebnisse als Vernachlässigung und exzessive Beanspruchung. Und gelegentliche Kleiderspenden und Geschenke hielten die Sklaven bei Laune und förderten das „Betriebsklima“, zum Vorteil des Sklavenhalters! Pinney war entsetzt, als er zum erstem Mal auf einem Sklavenmarkt war, tröstete sich aber mit dem Gedanken, dass Gott sicher ein Zeichen senden würde, wenn dies nicht sein Wille wäre!

 

Beim Verlassen des Hauses wird mir empfohlen, noch die Red Lodge zu besuchen, das elisabethanische Gegenstück zum Georgian House. Das tue ich, ohne zu ahnen, wie weit mich das von den Buchhandlungen entfernen würde, die ich jetzt ganz in der Nähe habe. Wieder geht es Straßen rauf und runter. Die Red Lodge ist eigentlich nur der klägliche Rest eines riesengroßen Guts, das aus nicht genannten Gründen abgebrochen wurde (XIX). Original erhalten ist der Old Oak Room im ersten Obergeschoss, mit dunkler Holzpaneele an den Wänden und geschnitztem Eingangsbereich. Als Prunkstück ein zweigeschossiger Kamin aus Bath Stone, mit einem Wappen und einer Kartusche und mit phantastischen Gestalten und floralen und geometrischen Motiven.

 

Als ich herauskomme, werde ich schon zum zweiten Mal heute freundlich und aufgefordert angesprochen. „Are you lost?“

 

Auf dem Weg in die Stadt komme ich an einem großen Gebäude vorbei, an dem Colston Hall steht. Am Eingang stehen lauter alte Männer in der Schlange. Merkwürdig. Etwas später komme ich an einem großen Theatergebäude vorbei, und über dem Eingang steht Colston Hall. Jetzt bin ich ganz verwirrt, da ich inzwischen ein ganzes Stück durch die Gegen geirrt bin, aber dann merke ich, dass ich vorher den Hintereingang gesehen habe. Die Männer in der Schlange waren keine Besucher, sondern Künstler. Heute findet ein Festival der Männerchöre statt!

 

Irgendwie lande ich wieder am Hafen und muss zum Bücherkauf wieder die Park Street rauf. Und ich dachte, ich hätte die Wandertage hinter mir. Waterstone’s ist eine einzige Enttäuschung, also muss ich zu Blackwell’s. Auch das ist im doppelten Sinne schlecht sortiert. Unter „Drama „ gibt es außer Shakespeare fast gar nichts, und als ich nach Sprachwissenschaft frage, werde ich in die Fremdsprachenabteilung geschickt. Ich hätte doch in Exeter zulangen sollen. Am Ende nehme ich ein modernes Drama mit (Carol Churchill), ein Buch über Weihnachtstraditionen, ein Buch mit dummen Zitaten von Politikern und anderen Berühmtheiten, ein Buch mit Erklärungen zur Herkunft von Redewendungen und ein Buch zur Sprachgeschichte (David Crystal).

 

An der Kathedrale entdecke ich, völlig überrascht, die Statue eines Inders, eines gewissen Rajar Roy (Verbindung zu Arundata Roy?), einem indischen Philosophen (XIX), der in Bristol lebte und starb. In all den Tagen habe ich immer wieder Inder gesehen, heute morgen gleich vier im Bus nach Clifton. Ob es da einen Zusammenhang gibt?

 

An mehr als einen Pub Schilder gesehen, auf denen der geneigte Kunde in großen Lettern aufgefordert wird, für ein bevorstehendes Großereignis Plätze zu reservieren: Weihnachten! Das ist für mich noch ganz weit weg.

 

Am Abend nächster Versuch, den Flug zu bestätigen. Ich werde verbunden, aber dort bin ich falsch. Dies sei nicht die Reservierung, sondern der Ticketverkauf. Die Reservierung hat eine andere Nummer. Ich wähle sie und bekomme einen AB mit der Ansage, für heute sei geschlossen.

 

26. September (Montag)

Letzter Akt in der Farce um die Bestätigung des Rückflugs: Als ich endlich durchkomme und Namen und Flugnummer genannt habe, sagt man mir, alles sei in Ordnung, aber dies sei ein intereuropäischer Flug und eine Bestätigung nicht nötig.

 

Danach fast zwei Stunden lang Notizen gemacht und dann bei herrlichem Sonnenschein in die Stadt. Jedenfalls glaube ich das, aber sobald ich aus dem Hotel komme, zieht die Sonne sich zurück.

 

Wie in Exeter ist auch in Bristol alles sehr gut ausgeschildert. Trotzdem ist die Wesleyan Chapel, die mitten im Einkaufszentrum liegt, schwer zu finden. Der schmale Zugang liegt zwischen zwei Geschäften, und die Kirche liegt zurückversetzt. Durch einen schönen Innenhof, den man inmitten all der gesichtslosen Gebäude hier har nicht erwartet, geht es in die „älteste Methodistenkirche Kirche der Welt“. Hier gibt es einfache Holzbänke, einfache Fenster ohne Buntglas,  schmucklose Pfeiler mit ein paar Messingkerzenhaltern und ein doppelstöckiges Podium mit einer großen Bibel. Sonst nichts: keine sakralen Geräte, keine Farben, kein Bild, nicht einmal ein Kreuz, wohl aber eine laut tickende, große Wanduhr.

 

Zusätzliches Licht kommt von der Kuppel in der Mitte, in der auch ein Fenster versteckt ist, von dem aus Wesley junge Prediger bei der „Arbeit“ beobachten konnte.

 

Wesley selbst sprach lieber vom New Room als von einer Kapelle oder gar einer Kirche. Er hielt sich immer in Bristol auf, wenn er nicht durch die Lande zog und predigte, vorzugsweise im Freien. Die Predigten wurden immer wieder durch von der Church of England zumindest geduldeten, wenn nicht angestifteten Randalierer unterbrochen, wobei es auch zu Gewaltanwendung kam.

 

Wesley selbst mochte den Namen Methodisten gar nicht.  Er war ursprünglich ein Spottname, den er und seine frommen Anhänger sich in Oxford zuzogen, genauso wie Bible Moths.

 

Im Obergeschoss einige persönliche Objekte Wesleys, das Bett, das Feuer fing und in dem er fast verbrannte, ein kurioser, aus dem hohlen Stamm einer Ulme gearbeiteter Sessel mit dunklem Lederbezug, usw. Daneben Fanartikel der Wesley-Gemeinde: Teekannen mit seinem Abbild oder seinen Aussprüchen, die Kapelle oder Wesley (in Predigerpose) als bunte Keramikfiguren usw. Daneben ein Exemplar der Originalausgabe seiner Explanatory Notes und anderer seiner über 200 Schriften, darunter ein Buch zur Medizin mit unkonventionellen Ratschlägen: „ A roasted fig in ear as hot as may be“ wird bei Ohrenschmerzen empfohlen. Ob Wesley sich an seine eigenen Ratschläge hielt, ist nicht überliefert.

 

Wesley predigte auch Sauberkeit, Körperpflege, adrettem Aussehen: „Let no-one ever see a ragged Methodist“. Sicher auch ein „politisches“ Anliegen im Kampf um Anerkennung.

 

Danach lange in der Stadt umhergeirrt, um „Curiosities of Bristol“ zu finden, die ein Faltblatt der Touristeninformation ankündigen. Schließlich eine mysteriöse „verschleierte Frau“, eine etwas verwitterte Skulptur an einer Häuserfassade und The Elephant gefunden, ein Pub, dessen Geschichte angeblich an der Fassade steht, aber nicht zu finden ist.

 

Suche aufgegeben und zur Kathedrale gegangen. Kunstgeschichtlich bedeutend als Hallenkirche, darin das beste Beispiel in England und Modell für viele europäischen Kirchen.

 

Das Hauptschiff wurde zwar erst im 19. Jahrhundert umgebaut, aber nach mittelalterlichen Plänen, so dass der Gesamteindruck einheitlich ist (Wie das Schiff ursprünglich aussah und ob es überhaupt bestand, wird nicht klar. War Bristol wie Köln Jahrhunderte lang Baustelle?). Chor und Chorumgang sind original, d.h. stammen vom mittelalterlichen Umbau (XIV).

 

Im südlichen Seitenschiff ein angelsächsischer Stein, beim Umbau gefunden, dem ältesten Teil der Kirche überhaupt. Jesus durchpflügt die Hölle, ein Kreuz in der Hand, eine Frau, wahrscheinlich Eva, zieht sich an dem Kreuz aus dem Höllenschlund.

 

Im südlichen Querschiff flache, ausgetretene Stufen, die ins angrenzende Kloster führten. Das südliche Querschiff ist deshalb erheblich verkürzt.

 

Im südlichen Chorumgang ein Raum, der zu einer Kapelle führt und als Sakristei diente. Hier eine Nische für einen Ofen, in dem das Brot für die Hostien gebacken wurde, mit einem hinter einer Fiale versteckten Luftschacht! Darüber die Skulptur eines Mannes mit weit aufgerissenem Mund.

 

In Osten der typisch englische gerade Abschluss mit der Lady Chapel. Am Ende des nördlichen Seitenschiffs Bischofsgräber in schönen, sternenförmig umrahmten Nischen, darunter das des ersten Bischofs von Bristol (1542-1554), Paul Bush, der abgesetzt wurde, weil er verheiratet war. Dennoch hatte er danach bis zum Lebensende eine Pfarrei in Bourne und dennoch ist er hier begraben, und zwar ganz in der Nähe seiner Ehefrau!

 

Im nördlichen Seitenschiff die ältere Lady Chapel, früher eine eigene Kirche, mit schlanken Säulen vor den Fenstern und kuriosen Skulpturen, darunter ein musizierendes Duo aus Widder und Affe.

 

Am Ende noch ins normannische Kapitelhaus, dem ältesten Gebäudeteil, mit Säulchen und geometrischen Mustern an drei Seiten. Schön. Das Kapitelhaus wurde 1831 von Bristoler „Mob“ gestürmt, wobei die Fenster zu Bruch gingen. Sie wollten das Kapitelhaus und die ganze Kathedrale in Brand stecken. Warum, wird nicht gesagt. Das Datum deutet auf einen Zusammenhang mit der Reform Bill hin.

 

Dann zur Great Britain auf der anderen Hafenseite. Die revolutionäre Idee war, Stahl satt Holz zu verwenden. Ein erheblich größeres Schiff konnte gebaut werden (mehr als100 m lang!), und es gab mehr Stauraum, da die dicken Holzplanken durch dünnere ersetzt werden konnten. Es gab erhebliche Zweifel an Brunels Plänen. Man befürchtete, das Schiff werde sinken oder in der Mitte durchbrechen. Aber das Schiff war ein Erfolg und erreichte ein Arbeitsleben von über 80 Jahren (ca. 60 Jahre mehr als ein Holzschiff). Es fuhr erst nach Amerika, wurde dann, als der Goldboom ausbrach, umgebaut, um weniger Fracht und mehr Passagiere aufnehmen zu können und fuhr nach Australien. Es umschiffte in 23 Jahren 32 Mal die Erde!

 

Stahl war für Brunel eine naheliegende Lösung, da er aus dem Eisenbahnbau kam. Neben dem Schiff plante er die Hängebrücke in Clifton, die Great Western Railway (London – Bristol) und den Zielbahnhof in Bristol, das erste eigentliche Bahnhofsgebäude überhaupt. Das Schiff war gewissermaßen als „Verlängerung“ der Great Western Railway konzipiert: Die Passagiere nahmen in London den Zug, fuhren auf der von Brunel geplanten Strecke nach Bristol, stiegen in der von Brunel geplanten Bahnhofshalle aus und an dem von ihm erbauten Dock in den von ihm erbauten Ozeandampfer, der sie nach Amerika brachte!

 

Man geht aufs Außendeck, dann unter Deck, und am Ende „unter Wasser“, wo man den Rumpf des Schiffes und einen riesigen Propeller bewundern kann (5 m Durchmesser!), der das Schiff antreibt.

 

Oben sieht man erstaunlich leichte Masten. Auch das wurde vor dem Stapellauf (1843) kritisiert. Aber warum gab es überhaupt Segel? Für eine solch lange Reise mit einem solch langen Schiff konnte man nicht genug Kohle transportieren, wenn man nicht das ganze Schiff damit volladen wollte. Deshalb dachte sich Brunel die „duale Lösung“ aus: Solange der Wind gut steht, wird gesegelt, wenn nicht, werden die Maschinen angeworfen.

 

Der Gebrauch von Stahl brachte zwei Probleme mit sich: Unkraut setzte sich am Rumpf fest, und die Kompassnadeln wurden beeinträchtigt. Auch dafür fand Brunel eine Lösung.

 

Am Ende lag die Great Britain vor den Falklands und drohte zu verrotten. Dann wurde sie in einer von einem Amerikaner initiierten Rettungsaktion hierher geschleppt und liegt jetzt genau da, wo sie auch gebaut wurde.

 

Unter Deck sind die Kabinen so hergerichtet worden, wie sie damals aussahen. Einige durch Tagebücher belegte Ereignisse sind szenisch nachgestellt, z.B. die Entbindung eines Kinds auf der Reise. In der dritten Klasse sind die Kabinen so eng, dass zwischen den Betten nur einer stehen kann. In der ersten Klasse ist es nicht viel besser, aber hier sind nur zwei statt vier Betten. Aber auch hier sind die Kajüten sehr kurz und vor allem sehr schmal. In der dritten Klasse gibt es keinen Sichtschutz – jeder Vorüberkommende kann hineinsehen, in der ersten Klasse sind die Kajüten durch eine Holzwand von der Promenade abgetrennt. Der Speisesaal der ersten Klasse, der damals, wie das ganze Schiff, journalistisch eine Sensation war, ist original nachgebaut, mit bordeauxroten Samtbezügen auf den Sitzen, Säulen aus falschem Marmor (die das Stahlgerüst verbergen) und einem dicken Teppichboden (der Unebenheiten im Boden verbirgt).

 

In einer Kabine die Figur eines schwarzen Barbiers, der die Aufmerksamkeit aller in den abendlichen Debating Societies auf sich zog und für die Abschaffung der Sklaverei und die Todesstrafe für Jefferson Davis, den Präsidenten der Südstaaten, eintrat.

 

Durch Tagebücher bekannt das traurige Schicksal eines jungen Ehepaars: Der Mann hatte zuerst seine Braut in England zurückgelassen, um in Australien Arbeit zu suchen, war dann zurückgefahren, um sie zu holen. Sie hatten geheiratet und sich gemeinsam auf den Weg nach Australien zu machen, als die Frau nach wenigen Tagen erkrankte und bald darauf starb. Sie hatte in den Tagen zuvor immer über Schmerzen geklagt, aber man hatte sie nicht ganz ernst genommen, da sie als hypochondrisch veranlagt galt. Die traurige Geschichte verbietet eigentlich die sehr praktische Frage, die sich mir stellt: Was machte man mit den Leichen?

 

Als ich das Schiff verlasse, fährt gleich vor mir eine Fähre ab. Die hätte mir jetzt gute Dienste geleistet, denn sie fährt direkt zum nächsten Ziel, nach Redcliff.  Zu Fuß ist es zwar auch nicht weit, aber die Beine werden immer schwerer und die Füße tun weh.

 

Statt in die Kirche zuerst ins Café der Kirche. Broccolisuppe mit Brot dazu Rotwein. Dann zur letzten Besichtigung des Tages.

 

Die Kaufleute, die sich hier, gerade außerhalb der Stadtmauern, ansiedelten, taten dies, um die hohen Steuern zu vermeiden, mittelalterliche Steuerflüchtlinge sozusagen. Gleichzeitig hatten sie die Werft in der Nähe und die Innenstadt mit Corn Exchange, Banken und Kaffeehäusern. Der Handel konzentrierte sich zunächst auf Wales und den Kontinent und Mineralien und Agrarprodukte, später kamen Amerika und die Karibik und Wolle, Wein, Fisch, Felle, Korn und Sklaven hinzu. Der Sklavenhandel ist viel älter als wir glauben, er florierte schon unter Wilhelm dem Eroberer, und von hier wurden damals Sklaven von und nach Irland transportiert. Die Sklavenhalter wurden nach der Abschaffung des Sklavenhandels großzügig vom Staat entschädigt, was wiederum der Wirtschaft nutzte.

 

Die Kirche betritt man von Norden durch eine ungewöhnliche sechseckige Vorhalle. Rechts dahinter am Eingang zu einer Kapelle ein Walfischknochen, der von Cabot aus Amerika mitgebracht worden sein soll.

 

In derselben Kapelle eine künstlerisch wenig wertvolle Statue Elisabeths I., die St. Mary Redcliff besuchte und sie zur „goodliest and most famous parish church in England“ erklärte.

 

Im nördlichen Querschiff hat man das Chaotic Pendulum installiert, eine moderne Konstruktion, bei der man sich auf den ersten Blick fragt, was sie in einer Kirche zu suchen hat: Wasser fließt in ein wagerechtes Rohr und am linken oder rechten Ende wieder hinaus, mal nach rechts, mal nach links. Es gibt keine wissenschaftliche Erklärung und keine Möglichkeit der Vorhersage, wann und wie oft es nach links oder nach rechts ausschlägt. Das Pendel ist die Materie gewordene Version der Chaostheorie. Die Kirche nutzt dies clever als Beleg für die Grenze der wissenschaftlichen Erkenntnis und folglich (!) als Beleg für die Existenz Gottes!

 

Am anderen Ende des nördlichen Querschiffs hört man Wasser rauschen, aber es regnet gar nicht. Rätselhaft. In der Nähe ist die Grabstatue von Robert de Berkeley (XII), der der Gemeinde eine Wasserleitung, die über sein Land verlief, vermachte und das Wasser von der 2km entfernten Quelle direkt zum Hügel vor der Kirche brachte. Gibt es die Leitung immer noch? Kommt das Rauschen daher?

 

Im gegenüberliegenden Querschiff ein weiterer Stifter, William Canynges (XV), der gleich mit zwei Grabmälern vertreten ist, einmal als Kaufmann, mit Geldbeutel um die Taille und Hund mit Knochen im Mund zu Füßen, einmal als Priester, in vollem Ornat. Er wurde nach dem Tod seiner Frau Priester, nachdem er vorher Kaufmann mit einer Flotte von 9 Schiffen und 800 Mann gewesen war sowie Parlamentsmitglied und Bürgermeister von Bristol. Komischweise liegt seine Frau neben ihm als Priester, nicht als Kaufmann.

 

Auf einem Hügel vor der Kirche eine kleine Grabplatte für die Church Cat. Warum sie so privilegiert begraben wurde, wird nicht erklärt.

 

Dahinter, schräg im Hügel steckend und aus ihm herausragend, ein merkwürdiges rostfarbenes Eisenteil. Es ist ein Stück einer Straßenbahnschiene, das bei einem Bombenangriff 1941 über die anliegenden Häuser in den Kirchhof geschleudert wurde und in der Erde stecken bleib! Bristol war im 2. Weltkrieg eine der am stärksten bombardierten Städte Englands, durch die Werft, den Bahnhof und die Flugzeugfabriken nördlich der Stadt – heute ist Bristol Sitz von British Aerospace – ein gesuchtes Ziel.

 

Der damals schon 300 Jahre alte Turm der Kirche stürzte nach einem Brand (XV) ein. Dann blieb er ein Stumpf bis zum 19. Jh. Erst dann wagte man sich an den Wiederaufbau. Das erklärt vermutlich die unverhältnismäßige Höhe: 100 Meter, der dritthöchste Turm des Landes.

 

Früh zurück zum Hotel, mit Wein, Käse und Keksen. Das alles zu Zeitung, Radio und Fernsehen genossen.

 

Nottingham Forest, ehemaliger Europapokalgewinner, ist nur noch in der League One, und das ist inzwischen die dritte Liga, Maldini macht sei 571. Spiel für Milan und überholt Zoff, und Fergusson ist im 20. Jahr Trainer von Manchester United!

 

Zum Start von ITV vor 50 Jahren ließ die BBC Grace Archer, eine der populärsten Figuren aus den „Archers“, sterben, nur um ITV die Eröffnungsfeier zu verderben.

 

Im Russischen gibt es ein Wort für jemanden mit sechs Fingern, angushtizaid, im Indonesischen ein Wort für die unkontrollierte Angewohnheit, peinliche Dinge zusagen, latha, und im Japanischen ein Wort für eine Frau, die von hinten besser aussieht als von vorne, bakku-shan.

 

Augustine of Hippo: “Give me contingency and chastity – but not yet.” (In “Quote, Unquote” gehört).

 

Alte journalistische Regel: “When in doubt, leave out”.  Neue Erweiterung der Regel: “When stuck, make up.”

 

Mutter zu Sohn im Bus: “Your face is dirty. Do you never wash?” Ein perfekter jambischer Pentameter.

 

27. September (Dienstag)

Es regnet und im Radio wird ein typischer Herbsttag angesagt. Zeit zurückzufahren.

 

In Bristol muss man die Fahrkarte vorzeigen, um überhaupt aufs Bahnhofsgelände zu kommen. Jetzt verstehe ich auch, warum ich hier dieser Tage nicht  zu essen gefunden habe: Alles befindet sich hinter der Sperre. Dafür komme ich heute zu einem Frühstück in Form einer Waffel.

 

In der Londoner U-Bahn wimmelt es von Geschäftsleuten, allerdings nur bis Canary Wharf, Margaret Thatchers Paradies fürs Geldmachen. Danach bin ich der einzige Weiße.

 

In den Zeitungen ist jeden Tag ein Sudoku, ein Zahlenrätsel japanischen Ursprungs. Es scheint die ganze Nation angesteckt zu haben.

 

Am City Airport trinken erstaunlicherweise alle Wartenden wie auf Verabredung Bier. Ich lasse mich anstecken und trinke mein letztes englisches Bier: ein belgisches.

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