Zypern (2003)

25. Dezember (Donnerstag)

Viel zu früh am Flughafen in Düsseldorf. Vor dem Abflug eine kleine Mahlzeit, bei der mir ein Stück eines Zahns herausbricht.

 

Beim Durchleuchten des Gepäcks werden wir „festgenommen“ und mit strengem Blick nach einem Messer in unserem Gepäck gefragt. Wir wissen von nichts. Es ist ein Schweizer Taschenmesser, das noch von der letzten Reise im Gepäck war. Wie Schwerverbrecher werden wir abgeführt und müssen das Messer in eine Box werfen, in der schon andere Hijacker ihre kriminellen Werkzeuge hinterlassen mussten.

 

Knapp vier Stunden Flug, direkt von Düsseldorf nach Larnaca. In einer Broschüre eine Werbeanzeige mit je einer Flasche Scottish Whisky und Irish Whiskey gefunden, ideal für einen anstehenden Vortrag. Bei Ankunft (eine Stunde Zeitverschiebung) bereits stockdunkel.

 

Am Flughafen eine Werbung, die ortsgebunden ist: Auf einem Plakat sieht man eine braune Tüte mit einem großen, gelben M und der Aufschrift: „Unpack and relax“.

 

Beim Abholen des Autos scheitert erster Versuch, Griechisch zu sprechen an Zypriotin, die in Croydon geboren und aufgewachsen ist und Englisch schnell, idiomatisch und mit regionalem Akzent spricht.

 

Auto wird auf Parkplatz übergeben, ohne größere Mühe um Freundlichkeit oder Erklärungen. Man hätte schon gerne etwas über Licht, Scheibenwischer, Gänge, Tank usw. erfahren. Laut Marta sind Mietwagenfahrer daran zu erkennen, dass sich plötzlich unmotiviert die Scheibenwischer in Bewegung setzen. Ich reihe mich ein. Links fahren, rechts sitzen und mit links schalten – am Anfang fuchtelt die linke Hand ständig im leeren Raum herum. Am allerschwersten, wie sich in den nächsten Tagen erweist: rechts einsteigen!

 

Über eine ausgezeichnete Autobahn Richtung Tochni, dann auf einer guten Landstraße weiter, von dort auf eine schlechte Landstraße, von dort auf eine schmale, unbeleuchtete Dorfstraße, die plötzlich – zu Ende ist. Wir stehen im Wald. Umdrehen ist angesagt, aber das ist leichter gesagt als getan: Wo ist der Rückwärtsgang? Alle Versuche bringen uns immer nur ein kleines Stück weiter nach vorn, die Wiese hinunter. Plötzlich die Erleuchtung: ein Ring unter dem Schaltknüppel muss nach oben gezogen werden. Zurück in das Dorf, das wie ausgestorben wirkt. Hinweise auf die Apartments nirgends zu sehen. Dann taucht ein Mann auf, und ich mache den zweiten Versuch, Griechisch zu sprechen. Es ist ein Deutscher, und er weiß den Weg.

 

Über steile, in den Fels gehauene Stufen am Rande des Abgrunds geht es in der Dunkelheit nach oben, zum Lokal, dann, mit einem merkwürdigen, wie sich später herausstellt schwachsinnigen Mann zurück über die Stufen und andere Stufen hinauf zum Apartment. Wieder Griechisch unnötig, der Mann hat 28 Jahre in Australien gelebt und spricht perfekt klingendes, wenn auch wenig kohärentes Englisch. Apartment schön, aber sehr rustikal, und unbeheizt. Ein kleiner Heizofen geht erst nach vielen Versuchen an, und die Klimaanlage funktioniert trotz gegenteiliger Beteuerung überhaupt nicht.

 

Dann wieder zurück ins Lokal, Stufen runter, Stufen rauf. Zum Abendessen ein zyprisches Bier bestellt, Keo, das in einer riesigen Flasche serviert wird, mit einem merkwürdigen Maß, das sich auch durch Umrechnung aus englischen Maßen nicht erklärt: 0,63.

 

26. Dezember (Freitag)

Bei Licht erweist sich Tochni als Bergdorf mit Hähnen, Ziegen, Katzen und Hunden, Wellblechgaragen, auf zwei durch eine tief gelegene Straße getrennte Felsblöcken gelegen.

 

Beim auf den europäischen Gast zugeschnittenem, aber bescheidenem Frühstück liegen die Oliven gleich neben der Marmelade.

 

Von Zypern aus sind es nur 70 Kilometer bis zur Türkei, 100 Kilometer bis Syrien.

 

Fahrt über die Autobahn nach Nikosia, nur ungefähr 50 Kilometer entfernt. Hat 200.000 Einwohner, ein Drittel des (griechischen) Zypern. Bis zum Ende gelingt es uns nicht, herauszufinden, woher der Name Nikosia kommt, wenn die Zyprer es Leukosia nennen. Name kommt von Leukos, einem ägyptischen König aus der Zeit, als Zypern zu Ägypten gehörte! Stadt bildet regelmäßiges Achteck, Ergebnis einer von den Venezianern angelegten Stadtmauer, die noch in Teilen besteht. Nikosia letzte geteilte Hauptstadt der Welt. An die Grenze kommt man ganz unverhofft, wenn man eine Einkaufsstraße des Zentrums hinuntergeht. Unvermittelt taucht die Grenze auf. Quer zur Straße Stacheldraht, Sandsäcke, Tonnen. Durch Gucklöcher kann man, auf einer Barrikade stehend, in den andern Teil sehen. Dort verfallene Häuser und Geröll, zerschlagene Schaufensterscheiben und Reklameschilder. Das ist vermutlich gewollt, denn es handelt sich um griechisches Gebiet. Man hat die Grenze etwas vorgezogen.

 

In einer Kirche, Pangía, eine orthodoxe Hochzeit gesehen. Viel Bewegung, Kinder laufen herum, Männer verlassen die Kirche zwischendurch, um zu rauchen, Frauen sprechen ungeniert.

 

Im Zentrum eine Tafel, auf der die Tage bis zum Eintritt in die Europäische Union gezählt werden (z.Z. 120).

 

Die Türken kamen erst im 16. Jh., kurz nach dem Bau der Stadtmauern durch die Venezianer. Auf einem offenen Platz eine Moschee, die man auch als Nichtgläubiger betreten darf. Schon die Vorhalle mit Teppichen ausgelegt. Gläubige, wie immer, sehr leger, einige knien, aber andere sitzen, hocken oder lehnen zwanglos an einem Pfeiler, einige beten, andere lesen, andere tun gar nichts. Alle zur Seite gewandt, nicht zur Apsis. Gebäude ist ehemalige christliche Kirche, mit Rosette, klassizistischen Fenstern, ornamentalem Portal. Auf dem großen Platz das nachträglich errichtete große Minarett, das den niedrigen, länglichen Kirchenbau um das Dreifache überragt. Am Portal eine Apologie des Islam, mit der Versicherung, mit Gewalt habe er nichts zu tun. Im übrigen habe Marx Recht gehabt mit der Behauptung, Religion sei Opium für das Volk, nur gelte das nicht für den Islam!

 

Im Café Erodos gegenüber auf der Terrasse einen Kaffee getrunken. Aus dem Lautsprecher kommt „White Christmas“, passt wie Faust aufs Auge zu dem Minarett, zum sonnigen Wetter und zum dem alten Haus.

 

Auf der Straße und auf Balkonen verblüffenderweise überall asiatische Immigranten, wahrscheinlich Inder.

 

Vor dem Erzbischöflichen Palast eine Kolossalstatue von Makarios in vollem Ornat. Führte Volksbefragung durch (1950), nach der angeblich 96% den Anschluss an Griechenland und die Beendigung der englischen Herrschaft wollten. (Aber: Listen lagen in Kirchen aus und Abstimmung war nicht geheim!). Stimmte später, als GB nachgab, den Verträgen zur Selbstbestimmung Zyperns zu, obwohl Zypern selbst nicht an den Verhandlungen (TR, GR, GB) beteiligt worden war. Wurde Präsident. Wurde von EOKA, die für Vereinigung mit GR war, bekämpft. Versuchte, sich zwischen verschiedenen Interessensgruppen – EOKA, Türken, Kommunisten, TR, GR, USA, SU durchzulavieren. Besteht auf Selbständigkeit, als Athen auf Vereinigung drängt, aber flüchtet nach Staatsstreich des Militärs in Griechenland (1967). Türkei interveniert, um Vereinigung zu verhindern. Makarios kehrt nach Sturz der Militärjunta zurück, kann aber nichts mehr ausrichten.

 

Auf dem Gelände des Erzbischöflichen Palastes die Kathedrale St. Johannis, klein (nur ca. 100 Sitzplätze), einschiffig, gewölbt, außer den Fensterlaibungen nicht eine leere Stelle. Gewölbe mit Fresken (XVIII) auf dunklem Untergrund. Ikonosthase vergoldet mit zahlreichen Bildern in hellen Farben. Ausstattung: Kerzenleuchter überall, eine Standuhr (!), eine frei schwebend an der Wand hängende Kanzel, zu der es keinen sichtbaren Zugang gibt, und vergoldete Figuren.

 

Durch das bis auf zwei oder drei proppevolle Restaurants (lauter Einheimische) wie ausgestorben wirkende restaurierte Touristenviertel (2. Weihnachtstag ist Feiertag) zum Paphos-Tor und zum Sperrgebiet der UNO. Auf dem Rückweg gewitterartiger Regen, der aber bald schon wieder vorbei ist.

 

In Tochni in den Supermarkt, um Wasser zu kaufen. Erst im allerletzten Moment gemerkt, dass die Plastikflasche mit der klaren Flüssigkeit, die wir in der Hand hielten, kein Wasser war, sondern Essig.

 

Fahne der „Türkischen Republik Zypern“ sieht der der Türkei zum Verwechseln ähnlich, genauso wie die der „Republik Zypern“ der Griechenlands.

 

27. Dezember (Samstag)

Ohne erkennbaren Anlass an Oscar Wildes Aphorismus „The only true fiction is autobiography“ gedacht.

 

Lange geschlafen, Einkauf im Supermarkt. Dorf wirkt am Werktag genauso ausgestorben wie am Feiertag. Ein paar alte Männer im Kafeneion, eine alte Frau, ganz in Schwarz, mit Ziege auf der Straße – das ist alles.

 

Vor dem Apartment ein Baum mit Bündeln von kleinen, gelben, runden Früchten – nicht zu identifizieren, jedenfalls nicht mit unseren botanischen Kenntnissen.

 

Nach ganz kurzer Fahrt erste Station in Chirokitía, einer vorgeschichtlichen Siedlung. Auf dem Parkplatz nur Autos mit rotem Kennzeichen, d.h. Leihwagen, d.h. Touristen (die Eingeborenen haben, wie in GB, hinten gelb, vorne weiß, auch die doppelten gelben Linien am Straßenrand in Innenstädten sind britisches Erbe).

 

Neolithische Siedlung kennt zwei Phasen, eine ab 7. Jahrtausend, eine ab 5. Jahrtausend. Was man jetzt sieht, ist wohl aus der zweiten Phase: die Grundmauern von vielen kleinen Rundhäusern, merkwürdigerweise in den Berg gebaut. Die andere, ungeschützte Seite hatte eine Mauer. Mehrere Rundbauten zusammen waren ein Wohnkomplex, da die Bauten unterschiedliche Funktionen hatten: Feuerstelle, Arbeitsraum (Getreideverarbeitung), Wohnraum. Die Mauern waren aus (hellen) Steinen der umliegenden Berge, (dunklen) Steinen aus dem naheliegenden Fluss und luftgetrockneten Lehmziegeln, zusammengehalten von einer Art Mörtel. Die Dächer aus Holz und Stroh waren wahrscheinlich flach, nicht gewölbt, wie man es auf den Abbildungen sieht (das hatte man wegen der Erdverschiebungen und verschiedener Experimente geglaubt). Nahrung gab es durch Sammeln, Anbau und Jagd – das komplette Programm. Die Toten wurden in einer Grube des Wohnhauses in embryonaler Stellung begraben – einige mit Grabbeigaben, darunter Halsketten, die mit einer Platte verschlossen wurden. Dann lebte man fröhlich in der Präsenz der Toten weiter. Der Zugang zur Siedlung war durch ein kompliziertes System aus Treppen (in die Begrenzungsmauern eingelassen) und durch Wachposten kontrolliert. Die Bauten erforderten genaue Planung und Koordination. Wie die Menschen darauf kamen und warum sie nicht einfach ausgestorben sind als untauglich zum Überleben wie andere Tiere ist mir weiterhin ein Rätsel.

 

Weiterfahrt nach Larnaca. Vor der Stadt (früher mit dem Meer verbunden) die Moschee Hala Sultan Tekke (hala = ‚Schwester der Vaters’, teke = ‚Kloster’). Sehr schön in einem kleinen Palmenhain am Ufer des Salzsees gelegen. Hier stürzte beim Arabereinfall eine Frau, der Überlieferung nach die Tante Mohammeds, vom Pferd und brach sich das Genick. Sofort kamen drei Steinplatten mit göttlicher Kraft aus Mekka herangeflogen. Unter diesen Steinplatten liegt sie heute noch in einem Nebenraum der Moschee begraben. Das Innere der Moschee, wie oft, eher enttäuschend. Eine hölzerne Kanzel für den Imam, ein paar Medaillons mit den Namen einiger Kalifen in kufischer Schrift, sonst nichts außer Teppichen. Trotzdem erzählt man uns, es handele sich um das viertwichtigste Heiligtum des Islam – wie überall. Untergeschoss quadratisch, dann achteckiges Obergeschoss, darüber die Kuppel. Hinter der Moschee ein paar kuriose weiße Grabstelen und Blick auf den See und dessen Flamingos. Vor der Moschee ein alter, stoppelbärtiger Mann, der mit Freundlichkeit und gebrannten Nüssen fremden Männern das Geld aus der Tasche zieht und fremden Frauen unaufgefordert stachelige Küsse auf die Backen drückt – nicht jedermanns Sache.

 

In der Innenstadt lange Parkplatzsuche in den engen, verstopften Straßen. Dann Kaffee in einem Lokal vor der Lazaruskirche im Zentrum. Dann, an noch einer Moschee vorbei, zum türkischen Fort (samstags geschlossen) mit einer Wehrmauer zum Meer und einem schönen, venezianisch anmutenden Handelshaus mit Fassade zur Seite. Erster Blick aufs Meer enttäuschend: dunkler, flacher Strand voller Geröll und Blick auf die Kräne des nahegelegenen Hafens.

 

Dann über lange, breite, gesichtslose Uferpromenade mit den typischen Einrichtungen des modernen Massentourismus. Dort, in einem hohen Neubau, völlig deplaziert, das Rathaus, in dessen Untergeschoss Pizza Hut und Kentucky Fried Chicken untergebracht sind. Danach, immer noch an der Strandpromenade, aber etwas nach hinten versetzt, schöne, restaurierte, alte Lagerhäuser, in denen ein archäologisches Museum und ein Kunstmuseum untergebracht sind (samstags geschlossen). Dann zurück zur Lazaruskirche, einer ehemaligen katholischen Klosterkirche (Reste des Kreuzgangs noch erhalten), die dann, unter den Türken, als der Katholizismus verboten wurde, an die orthodoxe Kirche ging! Aus hellem Sandstein mit schönem Glockenturm mit reichen, an Plateresco erinnernden Reliefs.

 

In der Kirche eine Gruppe von Touristen mit unbekannter Sprache. Auf Nachfrage herausgefunden, dass es Ungarisch war!

 

In einem Schaufenster ein Schachspiel, in dem nicht Schwarz gegen Weiß, sondern Christen gegen Mohren kämpfen!

 

Am Stadtrand von Larnaca die nicht unerheblichen Reste eines türkischen Aquädukts auf mächtigen Pfeilern. Erst oben sieht man den kleinen Wasserkanal, der in keinem Verhältnis zu der monumentalen Konstruktion steht, aber ihr eigentlicher Zweck ist. Immerhin wurde so die ganze Stadt in einem wasserarmen Land mit Wasser versorgt – bis ins 20. Jahrhundert!

 

28. Dezember (Sonntag)

Am Morgen vom Sprechgesang des Popen aus der Kirche geweckt – über Außenlautsprecher auf den Dorfplatz übertragen. Als Entschädigung wenigstens gutes Wetter. Klarer Himmel, Pullover reicht.

 

Fahrt nach Paphos, einer der ältesten europäischen Siedlungen, das schon seit dem 4. Jh. v.Chr. Neu-Paphos heißt! König Nikokies (?) errichtete es an der Stelle von Alt-Paphos.  Als erste Stadt in Zypern nach dem hippodamischen System errichtet – was immer das sein mag. Wurde dann ins Ptolemäerreich integriert und gewann Bedeutung durch Lage auf dem Weg von Alexandria zur Ägäis und durch Metallvorkommen im Hinterland. Wurde Hauptstadt Zyperns. Mehrmals durch Erdbeben zerstört. Dann wieder Blüte in römischer Zeit. Aus dieser Zeit Odeon, Agora, Villen, Mosaike.

 

Riesiges Ausgrabungsfeld am Meeresrand, in dem man sich verliert und in dem man sich verlaufen kann. Mehrere Fußbodenmosaike aus antiken Villen: eins mit Orpheus mit Leier im Zentrum und wilden Tieren um ihn herum, erstaunlich naturalistisch dargestellt: Hirsch, Löwe, Stier, Wildschwein, Bär usw.

 

Zwei große Häuser mit bis zu 70 Räumen, viele mit Mosaiken ausgestattet, waren Wohnsitz hochrangiger Römer, vielleicht des Vizekonsuls: Haus des Theseus und Haus des Dionysos (nach Motiven auf den Mosaiken benannt). Im Haus des Dionysos auch ein tiefer gelegenes Mosaik aus viel älterer Zeit. Einige Mosaike erinnern mit Schmuckbändern an den Seiten und mit geometrischen Motiven an die Trierer Mosaike, auch mit der Aufteilung in verschiedene Felder. Sehr schöne szenische Darstellungen, manchmal fast wie ein antiker Schnappschuss. Das erste Mosaik wurde erst 1962 entdeckt, von einem Bauern, der das Feld bearbeitete – wie im Bilderbuch. Auf dem weiten Gelände wird weiter gegraben. Außer Mosaiken ein z.T. rekonstruiertes Odeon, ein Forum und ein verfallenes Kastell, mit einem sehr schönen, dem einzig erhaltenen Torbogen, der vor allem aus der Distanz reizvoll aussieht.

 

Außerhalb des Grabungsfeldes ein türkisches Kastell gleich am Meer am Ende der Bucht, die auch heute noch von einem römischen Wellenbrecher geschützt wird! Davon profitieren heute die Jachten, früher war hier ein wichtiger Liegeplatz für die römischen Flotte, mit der wichtigste im östlichen Mittelmeer. Von dem gut erhaltenen Kastell, dessen Dach man besteigen kann, schöner Blick auf das tiefblaue Meer, die sich darin brechenden Sonnenstrahlen und die Wellen, die sich an den riesigen Felsbrocken brechen, die das Kastell schützen. Das Kastell diente später auch als Salzlager und in der britischen Zeit als Gefängnis. In unmittelbarer Nähe Reste des Vorgängerkastells, von den Lusignans gebaut und von den Venezianern, den nächsten Besitzern, selbst zerstört wurde, nur um es nicht den Türken überlassen zu müssen, gegen die sie es nicht verteidigen konnten.

 

An der Strandpromenade eine äußerst füllige, nicht mehr ganz junge Frau mit halblanger Stretchhose und einem bunten T-Shirt und einer Handtasche mit dem Bildnis von Marilyn Monroe.

 

Beim Mittagsessen an der sehr touristischen, aber vorzeigbaren Strandpromenade, die einen halben Bogen bis zum Kastell schlägt, von einer Chinesin bedient und  von Briten umzingelt, bei denen jedes zweite Wort Fish and Chips ist.

 

Außerhalb der Stadt die „Königsgräber“, eigentlich Gräber hochgestellter Bürger der Antike, denn Könige gab es zu der Zeit nicht. Unterschiedliche Anlagen auf einem riesigen Terrain. Aufwändige unterirdische Gräber, manchmal aus mehreren Kammern bestehend, in einigen Fällen um einen Säulenhof mit Metopen und Triglyphen herum gruppiert, in die  eine Treppe hinunterführt. Jede Kammer hat mehrere Loculi, die eigentlichen Grabstellen. Alle Gräber ausgeraubt, und die wenige Keramik, die in neuer Zeit gefunden ist, ist in Museen gewandert. Trotzdem, auch wenn man sich die Pracht kaum vorstellen kann, erinnert die Anlage an das Tal der Könige in Karnak.

 

Gerade vor dem einsetzenden Regen wieder im Auto. Rückfahrt durch die Oberstadt mit Reihen klassizistischer Häuser aus der englischen Zeit. Dann an einer der Sehenswürdigkeiten abseits der Autobahn vorbeigefahren, erst im Nachhinein gemerkt, dass es sich um den „Felsen der Aphrodite“ handelte, dem Ort, wo sie aus dem Meer erstanden sein soll. Hesiod spricht zwar von Zypern, aber von keinem bestimmten Ort, der Rest ist ein Beitrag der Tourismusindustrie.

 

Wir sagen bewundernd von einem besonders gelungenen Stofftier, es sehe aus wie ein echtes Tier, und von einem besondern putzigen echten Tier, es sehe aus, wie ein Stofftier. Es können auch ein Mädchen und eine Puppe oder echte und gemalte Trauben sein.

 

29. Dezember (Montag)

In Wittgenstein’s Poker auf Russels Satz zur Sprachphilosophie „Der König von Frankreich hat eine Glatze“ gestoßen.

 

Wieder nach Nikosia. Auf der Autobahn eine Abfahrt nach Dali, und bei der Anfahrt auf Nikosia eine überdimensionale, in den Berghang integrierte Fahne der Türkischen Republik Zypern, aus kilometerweiter Entfernung zu sehen. Nicht die geringste Erklärung, wie die da hinkommt. Aus Stoff? Aufgemalt? Eingemeißelt? Lichtprojektion? Fata Morgana?

 

Am Grenzübergang politische Propaganda gegen die „türkische Inhumanität“, mit den typischen Bildern von Vermissten. Ohne große Probleme (und ohne Gebühren) ein Tagesvisum für den Nordteil bekommen. Auf der anderen Seite erst verwirrt: keine Hinweiszeichen, keine Menschenmengen, denen man folgen könnte, nichts, was den Weg ins Zentrum verrät. Auf gut Glück nach rechts.

 

Überall ziemliches Elend. Kinder in Lumpen, Hinterhöfe voller Geröll, primitivste Einrichtungen, verfallende Häuser. Aber der erste Eindruck täuscht, der Nordteil ist zwar ärmer, aber durchaus nicht verarmt. Nur sind wir hier gleich an der Zonengrenze, und die hier einst wohnenden Armenier und Griechen gingen nach der Teilung in den Südteil, die Türken weiter in den Norden, und das Viertel wurde von den Ärmsten der Armen und von Flüchtlingen in Besitz genommen.

 

Weiter von der Grenze entfernt normalisiert sich die Lage und der Nordteil erweist sich sogar als der schönere. Höhepunkt gleich als erstes: eine zu Beginn der Türkenzeit errichtete, hervorragend restaurierte Herberge (XVI), Büyük Han, zweistöckig um einen großen, quadratischen Innenhof angeordnet, mit weit ausholenden Arkaden in beiden Stockwerken und sich gegenüberliegenden Eingangstoren. In der Mitte ein überkuppeltes, kleines Bauelement, dessen Funktion unklar bleibt (vielleicht früher für Ablutionen verwandt). In dieser Herberge wurden früher Reisende und Pilger aus der Türkei und Zypern aufgenommen und versorgt.

 

Vom Büyük Han kommt man in ein Viertel im Stadtzentrum, das in einer beliebigen Stadt in Südfrankreich liegen könnte. Lauter Gebäude aus der Zeit der Lusignans (XIV–XV), die von den Türken nicht zerstört, sondern umgewidmet wurden, in ein Bad, eine Bibliothek und natürlich in Moscheen, z.B. die Sophien-Kathedrale, eine riesige dreischiffige gotische Kirche, bei der einer der Turmstümpfe als Minarett fortgesetzt wurde. Auch innen ist die Struktur der Kirche noch gut zu erkennen,  aber der ganze Boden ist mit Teppichen ausgelegt, diagonal angeordnet, wohl um die Gebetsrichtung anzuzeigen. Unter einigen Teppichen zeigt ein Aufseher die Grabplatten mittelalterlicher Adeliger (und erlässt nebenbei noch eine Doktrin zum Fußball „In England, Liverpool – yes, Manchester United – no“, der die englischen Besucher geflissentlich zustimmen). An einer der leuchtend weißen Säulen ein schwarzer Schriftzug in perfekter Kalligraphie, ein Kunstwerk, man kann und will es gar nicht verstehen. An anderen Pfeilern die türkische und die türkisch-zyprische Fahne!

 

Bei einer Mittagspause auf dem Atatürkplatz (trotz einiger bedrohlicher Wolken kann man im Pullover draußen sitzen, irgendwo sehen wir sogar einen Touristen in Shorts) räumt ein übereifriger Kellner des Nachbarlokals unseren Tisch ab und verschwindet mit den Tellern im Nachbarhaus. Dann merkt er den Fehler und kommt mit den inzwischen sauberen Tellern wieder zurück.

 

Auf dem Platz wird das Nebeneinander von Lebensstilen sinnfällig: junge Frauen mit Kopftuch in weiten Kleidern und langen Mänteln neben geschminkten, modisch gekleideten, rauchenden jungen Frauen mit Handy.

 

Danach ins Mevlevi-Museum, dem Ort des ehemaligen Mevlevi-Klosters, dem Kloster eines Derwischordens, der von einem gewissen Mevlava Rumi (XIII) gegründet wurde. E stammte aus dem heutigen Afghanistan, wirkte aber vor allem von Konya aus. Er war Gelehrter, Mystiker und Dichter. Die Derwische verstehen sich als Alternative zum Islam und zu dessen „materialistischen Zielen“! Die wichtigsten Maximen sind persönliche Bescheidenheit und radikale Gleichheit. Die Tänze dienen dazu, die Sorgen und Ambitionen des täglichen Lebens zu vergessen. Die Ausbildung zum Derwisch dauert 1001 Tage. Eine zentrale Funktion hat das ritualisierte Essen, das in völligem Stillschweigen gemeinsam eingenommen wird, auf Kissen im Schneidersitz im Kreis sitzend. Das Essen beginnt und endet mit Salz. Wenn man trinken will, hält man ein Stück Brot mit der rechten Hand über die linke Schulter. Das ist für einen Bediensteten das Signal, Wasser zu reichen, für die anderen, ihre Mahlzeit kurz zu unterbrechen.

 

Hier, in der Tekke, wurden Bedürftige versorgt und gepflegt und die religiösen, militärischen und politischen Eliten in den Freien Künsten unterwiesen. Alles wurde mit Spenden und Stiftungen finanziert, u.a. durch einen reichen Kaufmann, der verfügt hatte, das für jedes Gebet zu seinem Gedächtnis, für jede Rezitation eines bestimmten Gedichts usw. dem Kloster eine bestimmte Menge Geld zukommen sollte, das aus dem Erlös seiner Ländereien stammte.

 

In einem langen Gang unter sechs Kuppeln die mit Tüchern verhüllten Sarkophage von mehr als einem Dutzend Derwischen. An jedem Sarkophag, immer am gleichen Ende, die Nachbildung der typischen zylinderförmigen Kopfbedeckung der Derwische, je nach Funktion unterschiedlich geformt.

 

Über der tiefer liegenden Tanzfläche der Derwische ein Balkon, auf dem die Musiker saßen. An der Wand ein mit Arabesken verzierter Vers aus dem wichtigsten Gedicht des Klosters.

 

Im Innenhof weiße Stelen aus der Zeit der Ottomanen, kurioserweise mit barocken oder Rokoko-Schmuckelementen und arabischer Inschrift.

 

Langes Rätseln, welche Währung hier gilt. Tatsächlich gibt es eigene Nordwährung. Die Preise liegen bei etwa 1,5 Millionen für einen Kaffee. Man kann aber auch mit Südgeld bezahlen und bekommt auch Südgeld als Wechselgeld. Die Geldscheine des Südens scheinen die alten zu sein: sie sprechen einfach von „Zypern“ und sind dreisprachig (Rückseite: englisch).

 

Auch langes Rätseln, auf welcher Seite gefahren wird, denn die engen Altstadtstraßen sind alle Einbahnstraßen. Und es gibt genauso viele Autos mit Lenkung rechts wie mit Lenkung links. Erst am Ende können wir uns überzeugen, dass  auch hier links gefahren wird.

 

Ladenbesitzer im Nordteil der Stadt scheinen alle Hassan Jussuff oder Mustafa Achmed zu heißen.

 

Paradox: Die Türken benutzen das (griechische) Wort Polis, die Griechen nicht!

 

In einem Innenhof im Armenviertel eine riesige Zeder mit kerzengeradem, glattem  Stamm und einer wie am Reißbrett entworfenen, ganz und gar regelmäßigen, dicht bewachsenen Krone. Sieht aus wie die Bäume, die wir in der Volksschule malten und die vom Lehrer getadelt wurden mit der Bemerkung, so sähen keine Bäume aus. Beim Überschreiten der Grenze kommen uns Gruppen von Männern entgegen, die, seitdem die Grenze auch für Zyprer offen ist, in den Südteil arbeiten gehen und abends wieder nach Hause zurückkehren.

 

Über die schon bekannte Strecke zurück nach Tochni. Das Lokal, das zu unserem Apartment gehört, ist rustikal und schön. Man blickt auf den gegenüberliegenden Berghang, und in der Ferne sieht man das Meer, aber die Ausstattung ist getragen vom gleichen horror vacui wie die der Byzantinischen Kirchen. Überall hängen, liegen und stehen Werkzeuge und Accessoires aus alten Handwerksbetrieben (eigentlich ganz passend), dazwischen gewebte Teppiche, dann, eher unpassend, Dutzende von modernen Bildern aus Eigenproduktion aller erdenklichen Stilarten und Größen, und dazu, völlig unpassend, kitschiger Weihnachtsschmuck. Kontrastierend dazu stehen in den Ecken schwere Kerzenständer aus Messing (?) wie man sie in orthodoxen Kirchen findet.

 

Das Essen ist gut und reichhaltig, am besten, wie immer die mezedes. Einige der griechischen Speisen, z.B. die dolmades, schmecken ganz anders als in den griechischen Restaurants in Deutschland. Es gibt auch einige verwegene Kombinationen wie Reis mit Spinat. Alles gibt es natürlich, getreu dem englischen Erbe, ungesalzen.

 

 

30. Dezember (Dienstag)

Rein physikalisch gesehen, ist es unsinnig zu sagen „Die Sonne scheint“. Natürlich tut sie das, was soll sie sonst tun?

 

Es wird erstaunlich zivilisiert gefahren, keine Raserei, keine Hupkonzerte, keine gewagten Überholmanöver, keine quietschenden Reifen. Auch das vermutlich ein englisches Erbe.

 

In Kalawassos das neolithische Pendant zu Chirokitía gesehen, im Prinzip dasselbe in Grün, aber mit einem hochmodernen Zeltdach überspannt, das man von weitem sieht und das wie ein avantgardistischer Kirchenbau aussieht. Hier lebten nur ca. 150 Menschen. Das Verhältnis zur Nachbarsiedlung ist nicht bekannt. In einem Rundbau hat man Werkzeuge zur Herstellung von Ocker und in einem anderen ein rätselhaftes Wandgemälde mit Figuren mit erhobenen Händen gefunden (davon aber nichts zu sehen). Die Siedlung wurde ohne Gewalteinwirkung aufgegeben, aus unbekannten Gründen. Vielleicht war es ihnen zu laut so nah an der Autobahn.

 

Entgegen den Planungen dann doch noch nach Lemessos (Limasol). Gesichtslose Stadt mit einer schönen Gasse mit Souvenirläden, einem schönen Minarett an einer neugebauten Moschee, einer hässlichen neobyzantinischen Kathedrale und einer Burg, in der Richard Löwenherz, der auf dem Weg ins heilige Land noch eben Zypern eroberte (von wem eigentlich?), Berengara von Navarra heiratete. Die Snackbar gegenüber heißt denn auch Heinrich und Berengara. In der Burg alle möglichen Ausstellungsgegenstände, von Rüstungen bis zu Küchenutensilien, nicht nur mittelalterliche. Am schönsten glasierte Keramikgefäße (X-XII) mit sehr modernen Farben (lindgrün) und Formen.

 

Das Schmuckstück der Stadt eine (vom Verkehr abgetrennte) breite, palmenbestandene Uferpromenade mit einer moderner Skulptur alle paar Meter. Sehr windig, so dass die Gischt uns ins Gesicht blies.

 

Im Kastell von Lemessos tauchen in einer Beschriftung die griechischen Wörter für Gotik und Renaissance auf, eins als Lehnübersetzung (Wiedergeburt), das andere als Lehnwort, wobei aber wohl die englische Schreibweise, nicht die Aussprache zugrunde gelegt wurde, weshalb es V heißt.

 

31. Dezember (Mittwoch)

Am Ende fehlen wieder, meint man jedenfalls, ein-zwei Tage. Wir entscheiden uns gegen die spektakulären Möglichkeiten (Taxifahrt durch den Norden Zyperns, Wandern im Troodos-Gebirge) für die weniger spektakuläre Alternative: nach Nikosia ins Zypern-Museum.

 

Endlich ein Erfolg bei der Verständigung: eine Passantin, die wir nach dem Weg fragen, sagt, sie spreche kein Griechisch, versteht aber die Frage und erklärt uns den Weg besser als alle Einheimischen – auf Russisch!

 

Museum veraltet und zu klein für all die Exponate, die es enthält, aber was es zu sehen gibt, ist vom feinsten, vor allem das Zuckerstück des Museums, eine Gruppe von unzähligen Terrakottafiguren (mehrere Hundert), in mehreren Reihen im Halbkreis aufgestellt, so wie ursprünglich, um einen Altar gruppiert, gefunden.  Einige nur handflächengroß, andere mannshoch, die meisten stehend (viele in militärischer Haltung mit stramm angelegten Armen), einige auf Streitwagen, die meisten mit an Heinzelmännchen erinnernden Zipfelmützen. Alle Figuren sind Votivfiguren, die von Kriegern als Dank für die unversehrte Rückkehr oder als Beschwörung zukünftigen Kriegsglücks gestiftet wurden, wobei die Größe dem Einkommen entspricht. Die Einzelfiguren gelten nicht als künstlerisch besonders wertvoll, aber als Ensemble sind sie unschlagbar.

 

Bestens repräsentiert sind das Neolithikum und die Bronzezeit, die Exponate der Griechen- und Römerzeit eher unspektakulär. Marmorfiguren gibt es gar nicht, da es keinen Marmor gibt. Statt dessen Kalkstein. Alle Exponate stammen aus Zypern!

 

In rauen Mengen kleine, kreuzförmige menschliche Figuren aus der Steinzeit, mit beiden Armen schnurgerade zur Seite ausgebreitet, aus glatt poliertem Stein. Einige fast quadratisch, andere länglich. Entwicklung gut abzulesen: Bei späteren Figuren sind Hände und Füße ausgebildet, bei noch späteren auch Gesichtszüge. Eine Zwillingsfigur, bei der der „Querbalken“ des Kreuzes, also die ausgebreiteten Hände der einen Figur, gleichzeitig der Körper einer anderen Figur ist, rechts der Kopf, links die Füße. Die Antwort auf die Frage, wozu diese Figuren dienten, gibt eine Figur selbst: Sie trägt eine Figur, quasi sich selbst, um den Hals. Es waren Amulette!

 

Älteste Schrifttafeln um 1500, Sprache nicht bekannt, Schrift nicht entziffert. Kein Wunder, wenn man die dicht aneinandergefügten, keilförmigen, alle gleich aussehenden  Schriftzeichen sieht. Interessant aber die Anordnung: Sieht nicht nach Auflistung von Gegenständen aus, eher nach Dichtung!

 

Keramik in Hülle und Fülle. Gutes Anschauungsmaterial, um verschiedene Entwicklungsphasen zu erkennen:

–          roter Grund, Verzierungen entweder gar nicht vorhanden oder eingeritzt, meist Striche oder Kreise, die ein Muster bilden (frühe Bronzezeit)

–          weißer Grund, bemalt, später auch zweifarbig (mittlere Bronzezeit)

–          schwarzer Grund, rot bemalt, normalerweise Figuren rot, manchmal aber auch umgekehrt, als „Schattenriss“, d.h. die Umrisse werden (rot) gemalt und das, was ausgespart ist (schwarz), sind die Figuren (späte Bronzezeit)

 

Unglaublich der Einfallsreichtum bei Trinkgefäßen: Kannen mit mehreren Bäuchen, mit mehreren Ausgüssen, oder beidem, zoomorphe Trinkgefäße, Trinkgefäße, auf deren Schalenrand Tiere spazieren gehen, Miniaturkannen, die auf einem Schlangenkörper aufgesetzt sind, ein auf den Innerrand einer Tasse skulptierter Frosch, der in die Tasse hineinzugleiten scheint. Alles ziemlich unpraktisch, aber phantasievoll. So auch ein Gefäß aus mehreren halbkugeligen Schalen, die alle mit miteinander verbunden sind und einen weit nach oben gezogenen Henkel haben, der sich oben wieder zu einer Schale ausweitet, an deren Henkel sich eine menschliche Figur festhält, die in die Schale klettern will! Wer kommt auf so was?

 

Auch sehr schön: rotpolierte Keramikfiguren der frühen Bronzezeit, die ganze Szenen des täglichen Lebens darstellen, z. B. Bauern mit Ochsengespann beim Pflügen, flankiert von anderen, die mit einem Tuch (Sieb?) Saatgut bearbeiten (2000 v. Chr.!).

 

Menschliche (und auch tierische) Figuren meist ganz langgestreckt, mit überlangen Hälsen, vielleicht ein Schönheitsideal der Zeit. Noch merkwürdiger andere, in großer Zahl vorhandene, brettförmige (menschliche?) Figuren. Der Körper ist ganz flach, bis auf die Brüste, die immer ausgebildet sind. Nase und Ohren durch Auslassungen, weitere Gesichtszüge durch Einritzungen angedeutet. Die ganze „Platte“ dann mit eingravierten Verzierungen geschmückt.

 

Herrliche Bronzefigur: zwei Löwen, antithetisch angeordnet, attackieren einen Stier (500 v. Chr.!) Mähne, angespannte Muskeln, hervorstehende Knochen und gewundener Schwanz in realistischem Detail.

 

Im Prolog des Katalogs die unvermeidliche Polemik gegen die Türken. Unter ihrer Herrschaft seien die Schätze nicht geschützt worden und ins Ausland gewandert (u.a. ins Metropolitan Museum). Nicht erwähnt wird, dass gerade während der Türkenherrschaft verfügt wurde, mindesten ein Viertel der Schätze müsse im Land bleiben.

 

Für „Drücken“ oder „Ziehen“ an Türen in öffentlichen Gebäuden gibt es ein nichtverbales Hinweisschild: ein Mann zieht, nach hinten gebeugt, mit aller Leibeskraft an einem Seil, oder drückt mit aller Leibeskraft, den Oberkörper nach vorn gebeugt, mit beiden Händen die Tür auf. Da braucht man nicht lange zu überlegen, was was ist, wie bei „Push“ oder „Pull“.

 

Vom Organisationskomitee ohne Stadtplan, aber mit überragendem Orientierungssinn vom Museum zum nächsten Punkt am andere Ende der Innenstadt geführt, einem Patrizierhaus (renoviert, aber so behutsam, dass man es nicht merkt), das einem Griechen gehörte, Hadsigeorgakis Kornesios, der 30 Jahre lang Dragoman war, der höchste Vertreter der Griechen während der Türkenherrschaft, ein Posten, der im Laufe der Zeit immer wichtiger wurde. Das Haus zeugt von Reichtum und Stil. Eingang durch einen niedrigen Spitzbogen unter einem hölzernen Erker führt in einen säulenbestanden Innenhof. Unten Wirtschaftsgebäude, Wohnräume oben. Große Eingangshalle mit schwerer Holzdecke mit runden Balken und Sitzecke. In allen Räumen Möbel und Gebrauchsgegenstände aus der Zeit, Schlafzimmer mit Himmelbetten. Interessantester Teil der Ausstattung ein Kaffeeservice mit chinesischen Tassen aus weißem Porzellan und Tablett, Zuckerdose und Tassenhalter (wie große Eierbecher) aus punziertem Messing, mit Arabesken und geometrischen Ornamenten verziert. Auf dem Boden der Tassen als winzige goldene Verzierung Stern und Halbmond.

 

Prunkstück der Gästeraum mit stilvoll bemalter, farbiger und mit einem riesigen vergoldeten Stern in der Mitte verzierter Holzdecke. Auf einem zum Kälteschutz  (oder heißt es Wärmeschutz?) leicht erhöhten Fußboden in Hufeisenform an der Wand entlang laufende niedrige, aber noch zum „normalen“ Sitzen geeignete gepolsterte Bank mit Kissen. In der Mitte ein Ofen und ein Kaffeeservice, an der vierten Wand eine Holzkonstruktion mit Öffnungen (vielleicht ursprünglich ein Speiseaufzug), und natürlich überall Teppiche.

 

Danach zum Famagusta-Tor, dem besterhaltenen Tor der Stadtmauer, eher breit als hoch, an den Enden graduell niedriger werdend und in die niedrigere Stadtmauer übergehend.

 

Dann in das Labyrinth der Gassen an der Zonengrenze geraten, immer wieder bei demselben, immer strenger blickenden Wachposten mit MP gelandet. Leere und verfallende Häuser, deren Fassaden man noch ansieht, dass hier früher ein „besseres“ Wohnviertel war. Atmosphäre furchteinflössend, glücklicherweise war es der „nationale Grilltag“, so dass man alle paar Hundert Meter in und vor einer Lagerhalle auf eine Traube von Menschen mit Schnaps- und Biergläsern traf, die andächtig um einen Grill herumstanden, auf dem das Fleisch bei beißendem, dunklen Rauch traktiert wurde, offensichtlich in dem Bemühen, es so schwarz wie möglich zu kriegen. Plötzlich, als wir es schon fast aufgegeben haben, sind wir wieder mitten in der Einkaufsstraße, einer anderen Welt.

 

Lehrer: „Heinrich VIII. hatte zwei Frauen. Richtig oder falsch?“ Schüler: „Richtig.“  Lehrer. „Falsch“. Wer hat recht? Der Lehrer natürlich.

 

Der „Halbmond“ ist der Beleg dafür, dass wir uns durch Sprache nicht in die Irre führen lassen, wenn die außersprachliche Wirklichkeit einen Hinweis enthält: Wir würden, wenn dazu aufgefordert, das Symbol zu zeichnen, keinen Halbmond zeichnen und ihn trotzdem so nennen.

 

1. Januar (Donnerstag)

Am letzten Tag vom niederprasselnden Regen geweckt, dann, beim Versuch, wieder einzuschlafen, vom Popen geweckt, der den Muezzins Konkurrenz machen zu wollen scheint – mit Erfolg.

 

Bei der Rückgabe des Autos beruhigt man uns mit der Versicherung, in Zypern sei man „noch ehrlich“. Das scheint sich bestens damit zu vertragen, dass man den Touristen das Geld aus der Tasche zu zieht: In der Cafeteria bezahle ich für einen Orangensaft 2,50 £, d.h. 5 €, d.h. 10 DM!

 

Das Jahr des Islam ist ein paar Tage kürzer als das christliche, da es sich nicht nach der Sonne, sondern nach dem Mond richtet (deshalb ist der Ramadan auch jedes Jahr etwas früher), also werden sie sich irgendwann treffen, aber das dauert noch ein paar Tausend Jahre!

 

Die Rückreise mit Zwischenlandungen in Paphos und München dauert insgesamt 14 Stunden, obwohl der Flug Zypern – Deutschland gerade mal dreieinhalb Stunden dauert. In München liegt Schnee, und man weiß im Nachhinein das Wetter von Zypern zu schätzen.

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