Athen (2003)

Samstag, den 8. März

Kurzer Flug von Luxemburg nach Zürich in winzigem, halbleerem Flugzeug. Im Luxemburger Wort ein Leserbrief einer jungen Amerikanerin, die “whose” mit “who’s” verwechselt. Im langweiligen Flughafen Zürich für eine ganz normale Tasse Kaffee 2,90 bezahlt (Euro!). Im Zürcher Flughafenbus auf zweisprachigen Anzeigen bequemere Transportmöglichkeiten, d.h. Busse mit Sitzplätzen, in Aussicht gestellt, deutsch “In Kürze”, englisch “In a few minutes”. Wieder etwas für die Fehlersammlung.

 

Von Zürich in vollgepacktem Flugzeug über Innsbruck, Split, Dubrovnik direkt Richtung Bagdad nach Athen (1600 Kilometer). Swissair Magazine (3/2003, S. 134) empfiehlt Wasser, Tee und Orangensaft und rät von Alkohol und Koffein ab. Und dann sagen sie, Sprache beeinflusse das Denken nicht!

 

Athen mit neuem, ultramodernem, aber nicht unterscheidbarem Flughafen. Von dort unendliche Busfahrt im Stehen bis zum Syntagma-Platz. Neben mir zwei Amerikaner, die ununterbrοchen redeten, die meiste Zeit über einen Dritten, der zwar ein netter Mensch sei, aber einem auf den Geist gehen könne, weil er ununterbrochen rede. Sie laut, mit ewigem “Okay” als Zeichen der Zustimmung oder sogar nur der Aufmerksamkeit (“He’s a nice guy”. – “Okay”.), und beide mit der merkwürdigen, nach oben gehenden Intonation im Aussagesatz. Unterwegs Hinweistafel, wie viele Tage noch bis zu den Olympischen Spielen fehlen (531). Am Ende der neuen, modernen Stadtautobahn sofort das alte, chaotische Athen mit Schlaglöchern, Stau, Hupen, Durcheinander.

 

Am Syntagma-Platz im Nieselregen erst Schwierigkeiten, ein Taxi zu finden, dann einen Taxifahrer, der nicht wusste, wo die Straße ist und absichtlich oder nicht Umwege fuhr > 7 € für einen Weg, den man zur Not auch zu Fuß machen kann.

 

Schule nur ein paar Minuten von der “Akademie” entfernt, der Universität (hier sitzt aber nur noch die Verwaltung). Dennoch hat man nicht das Gefühl, in der Nähe des Zentrums zu sein, eher in ganz normalem Stadtviertel mit vielen kleinen Geschäften. Große Wohnung direkt über der Schule, ganz für mich allein. Dann Einkauf, da die Geschäfte kurz darauf schlossen und die nächsten beide Tage Feiertage sind. Supermarkt rappelvoll, lange in der Schlange gestanden. Dann vergeblich mit vollgepackten Taschen nach einer Telephonkarte gesucht. Überall vergeblich, die Begründung nicht verstanden. Dann noch zu einem Basar mit gebrauchten Büchern in der Nähe des Universitätsplatzes. Vorher mit fremder Hilfe beim dritten Versuch doch noch eine geeignete Telephonkarte gefunden. Glücklicherweise haben die Kioske großzügige Öffnungszeiten: 24 Stunden. Davon können wir in Deutschland nur träumen! Basar auch rappelvoll, bald völlig übermüdet zurückgegangen.

 

Dann Schwierigkeiten mit der Sicherung, die bei jeder Gelegenheit heraussprang. Wohnung eiskalt, und Schwierigkeiten mit dem Telephon. Man muss zuerst aus dem Haus raus, dann eine freie Nummer wählen (7 Stellen), dann den Geheimcode eingeben (12 Stellen), dann die eigentliche Telephonnummer wählen (12 Stellen), nur um am Ende immer Besetztzeichen zu bekommen – oder keiner da oder Handy abgeschaltet, vorausgesetzt, man erinnert sich überhaupt an die Vorwahl für das eigene Land. Dann immer wieder von vorne, manchmal Nachricht, diese Nummer existiere nicht, und schließlich Abbruch mit der Empfehlung, man solle es doch lieber später versuchen. Dann zu Tode erschreckt, als mir beim Herausgehen aus dem Bad urplötzlich ein fremder Mann direkt gegenüberstand, in einer Entfernung von wenigen Zentimetern. Am ganzen Körper zitternd und völlig  verschüchtert gemerkt, dass es mein eigenes Spiegelbild im Spiegel der Badezimmertür war.

 

Dann im Schlafzimmer wenigstens eine Klimaanlage und das Licht angemacht und Tür geschlossen, nach zehn Minuten geht mit einem Knall alles aus und es brennt nur noch ein Notlicht im Flur. Von jetzt an Weg zur Toilette und zum Telephon nur noch ertastet. Schließlich bei einem der vielen Versuche doch noch durchgekommen.

 

Sonntag, den 9. März

Am Morgen doch noch zu der freundlichen Leiterin der Schule durchgekommen, die sofort Abhilfe versprach und ihren Bruder vorbeischickte. Kommunikation mit ihm in zwei Sprachen: unverständlichem Griechisch und unverständlichem Englisch. Jedenfalls prüfte er mit Kennermiene die Sicherungen und stellte fest, was ich auch schon ahnte. Die Sicherung des Boilers ist kaputt. Kein großer Erfolg mit einer ironischen Antwort auf die Frage, ob der Kühlschrank funktioniere. Wenigstens funktionierten jetzt, bei ausgestelltem Boiler, zwei Teile der Klimaanlage. Schon ein Fortschritt, wenn auch keine Wärme.

 

Zum Aufwärmen einen Spaziergang gemacht. Auch draußen nicht gerade warm, aber wärmer als im Haus. Zum Universitätsplatz hinunter (dort für einen ganz normalen Tee 3,23 € bezahlt, noch teurer als in der Schweiz!), dann Richtung Syntagma, vorbei am noch geschlossenen “Grande Bretagne” (wird seit 2001 restauriert), das bescheiden behauptet, nach der Wiedereröffnung werde es das einzige Hotel sein, das sechs Sterne bekommen würde, wenn es die gäbe.  Dann zur Touristeninformation, die noch genauso mickrig und mit ebenso mickrigen Angeboten und unfreundlichen Angestellten ausgestattet ist wie früher. Dann den Ermou hinunter, wegen des Karnevalssonntags (während bei uns schon die Fastenzeit begonnen hat)  mit Essständen, Schaustellern, Musikgruppen, Verkäufern usw. und verkleideten Kindern. Die Verkleidungen ähneln eher Theaterkostümen, mit vielen als Märchenprinzessinnen verkleideten Mädchen. Ansonsten viele Standardverkleidungen wie verrückte Hüte wie bei internationalen Fußballspielen. Am Ende des Ermou die kleine, quadratische, unter Straßenniveau liegende Kirche Kapnikarea wiedergesehen. Dann eine Ecke mit traditionell aussehenden Restaurants. Daneben Bauarbeiter an einer Baustelle, nicht die einzige, an der auch am Sonntag gearbeitet wird. Dann an den Markthallen vorbei (alles unverändert), an dem Platz vorbei, den ich  bisher für den Omoniaplatz gehalten habe, der aber der Rathausplatz ist, dann weiter zu dem richtigen Omoniaplatz, auf dem an allen Enden und Ecken gebaut wird. In den Kiosken Zeitungen in einer fremden Sprache mit lateinischen Buchstaben. Nach langem Rätselraten gemerkt, dass es Albanisch sein muss. In der Nähe ein Kiosk mit den typischen Fußballaccessoires, vor allem Schals der beiden Rivalen: Olympiakos (die Roten) und Panathinaikos (die Grünen, mit Kleeblatt). Dann mit der modernen U-Bahn eine Station zurück und zu Fuß in die kalte Wohnung.

 

Montag, den 10. Marz

Trotz Feiertag erster Unterricht, und zwar Einzelunterricht, da alle anderen mehr können. Am Vortag einen Blick ins Lehrbuch aus Trier geworfen, das mal wieder mit dem Thema Hochzeit beginnt. Kennen die kein anderes Thema? Dann Beginn des Unterrichts mit der Ankündigung, das erste Thema sei – Hochzeit.

 

Ein paar Stücke von Sesambrot bekommen, das gut schmeckt, aber doch so normal ist, dass man sich über seinen Status als besonderes Brot für diesen Tag wundert. Nach dem Unterricht mit Lehrerin und einem deutschen Ehepaar (aus Bielefeld!) zum Philopappos, einem Hügel, wo an diesem Tag, keineswegs dem Rosenmontag, sondern dem “Reinen Montag”, dem Beginn der Fastenzeit, ein Fest stattfindet, mit Essständen, Musikgruppen und vor allem mit Drachensteigen, das weniger von Kindern als von den Großvätern betrieben wird – mit ebensoviel Ernst und Begeisterung wie Geschick. Die Drachen sind Sechsecke und haben einen langen, dünnen, flatternden Schwanz, die Kinder haben lediglich an einer kurzen Leine Ballons in Form eines Tiers – ein ganze Menage, vom Windhund bis zum Schwein. Am Eingang des Hügels ein Plakat, auf dem gegen die Schließung des Hügels aus archäologischen Gründen protestiert wird. Demnächst soll Eintritt genommen werden. Auf dem Weg über holprige Straßen von der Aktion der Stadtverwaltung gehört, die ein Bürgertelephon einrichtete, bei dem man Schlaglöcher melden konnte, mit vollem Erfolg: Nach zwei Monaten gab es mehr als 3500 Meldungen.

 

Filme werden grundsätzlich in der Originalversion gezeigt. Ich könnte mir also einen japanischen oder einen russischen Film mit griechischen Untertiteln ansehen. Pest und Cholera zusammen.

 

Dienstag, den 11. März

Um das Wasser laufen zu lassen, drückt man im Bad die Hebel nach unten. Gewöhnungsbedürftig, man zieht sie unwillkürlich nach oben. Sofort hielt ich das für eine nationale Besonderheit, aber als die Sekretärin der Schule es heute probierte, hatte sie die gleichen Schwierigkeiten. Es ist also wohl nur eine Besonderheit dieser Wohnung.

 

Am Abend den Versuch gemacht, den Fernseher einzuschalten. Dazu muss man ein Gerät, das wie ein Ventilator aussieht, anschließen. Dann kommen ein paar Sender zum Vorschein, nichts Aufregendes. Macht nichts, ist sowieso noch zu schwierig. Leider ist der Kanal, auf dem “Wer wird Millionär?” gesendet wird, nicht zu bekommen.

 

Arbeit am Computer mit unbekannten Hindernissen. Erst muss man von griechischen Buchstaben auf lateinische Buchstaben umschalten, dann muss man die griechischen Beschriftungen verstehen. Was heißt “Speichern”? Außerdem gibt es kein Fragezeichen und natürlich keine Umlaute, und das <y> hat mit dem <z> den Platz getauscht.

 

Als Hausaufgabe ein Gedicht aufbekommen und das zum Anlass genommen, auch ein Gedicht auf Deutsch zu schreiben.

 

Istanbul kommt von griechisch Eiς thn polin, ‘in die Stadt’. Die lautliche Veränderung muss dann spätestens eingetreten sein, als unter den Türken das Bewusstsein für die Bedeutung verloren ging.

 

Mittwoch, den 12. März

Die griechischen Geschäfte schließen nicht bis 15 Uhr, sondern ab 15 Uhr. Dumme Frage. Aber wann sie danach wieder öffnen, ist weiterhin ein Rätsel, jedenfalls waren die beiden Buchhandlungen gestern um kurz nach fünf immer noch geschlossen.

 

Der Unglückstag in Griechenland ist nicht Freitag, der 13. sondern Freitag, der 17. In Italien ist es Dienstag, der 13. (oder war es Freitag, der 17.?, jedenfalls eine Mischung der beiden anderen Vorstellungen). Laut einer griechischen Philologin soll es hier Dienstag, der 17. sein, weil an diesem Tag Konstantinopel in die Hände der Türken fiel. Kollektive Täuschung, die vermutlich ungern korrigiert wird. Diese Vorstellungen sind natürlich viel älter.

 

Wenn jemand niest, sagt man “Geitseς“ und nennt irgendeine Zahl. Deren Quersumme ergibt dann einen Buchstaben, anhand dessen Stelle im Alphabet, z.B. 562 = 13 = N. Das ist der Anfangsbuchstabe des Namens eines Mannes oder einer Frau, die in diesem Moment an einen denkt. Ein paar Tage später höre ich eine hervorragend Deutsch sprechende Griechin sagen: „Habt ihr gesehen, wie die Katze genießt hat?” Das würden viele Deutsche falsch machen.

 

Donnerstag, den 13. März

Autowerbung mit exakten Preisangaben, wie in Amerika.

 

Euro wird auf der zweiten Silbe betont. Die Scheine werden durch das <Y> als griechisch identifiziert. Die Cent heißen weiterhin lepta, und so steht es auch auf der nationalen Seite der Münzen. Auch Minuten heißen lepta, aber Geld lefta. Die Kupfermünzen haben Schiffe, die großen Silbermünzen Eule und Stier aus der Mythologie, und die kleinen Silbermünzen die Büsten bekannter Griechen der Neuzeit: Fereos (10), der Dichter der Unabhängigkeitsbewegung und einer der Wortführer der Aufklärung, Kapodistrios, der charismatische erste Gouverneur des freien Griechenland, der u.a. auch (trotz anfänglicher Ablehnung) die Kartoffel in Griechenland populär machte und nach dem auch die Universität benannt ist (20), und Venizelos (50), der langjährige, populäre Ministerpräsident, nach dem auch die Universitätsstraße und der Flughafen benannt sind!

Im Diktat in einem Wort (suggnwmh) vier Rechtschreibfehler gemacht. Das dürfte unübertreffbar sein.

 

In einer Buchhandlung ein paar Bücher gefunden, die in Ordnung sein können, u.a. die griechische Version des “Vorleser” und ein altes, wieder aufgelegtes Schulbuch von 1952. Aber kein vernünftiges Wörterbuch gefunden und völlig gescheitert bei dem Versuch, zu erklären, was die Defizite der vorhandenen Lexika waren sowie bei dem Versuch, als Schüler des Zentrums Rabatt zu bekommen. Danach eine Tiropitta und einen sehr süßen Kaffee. Sehr unsicher beim Bestellen.

 

Nach dem Unterricht zum ersten Mal an der Theke des Supermarkts etwas bestellt. Mann an der Fleischtheke hat zu allem Überfluss einen Sprachfehler. Resultat: Filet statt Hackfleisch bekommen.

 

Am Abend Einfall zur Illustration eines Problems von Sprachwandel: coach und car (alte Wörter für neue Sache) gegenüber pizza und crepe (neue Wörter, obwohl pancake vorhanden), und ranzig als Beispiel für extrem eingeschränkte Kollokation.

 

Trier hat einen griechischen Namen, Trebhroi, und ist unter diesem Namen wenigstens den Historikern bekannt. Die Form ist Plural, wie früher Athen.

 

Die Ostfriesen Griechenlands sind die pontioi, die Schwarzmeergriechen, Griechen in Russland, Bulgarien und der Türkei, die seit Generationen eine zweisprachige Kultur pflegen.

 

Alle U-Bahn-Stationen und alle Straßen sind „zweisprachig“ ausgeschildert, ein bemerkenswerter Service für uns westliche „Analphabeten“.

 

Freitag, den 14. März

In einem Geschäft nach einem Korkenzieher gefragt und positive Antwort bekommen. Darauf gesagt, in dem Falle hätte ich gerne einen, und darauf die Antwort bekommen, der sei nicht zum Verkauf, das sei sein privater Korkenzieher.

 

Am Kiosk einen falschen Fünfeuroschein zurückbekommen. Die Kioskbesitzer haben eigene Geräte zur Prüfung. Immerhin endlich mal was verstanden, und den falschen Fünfer im Supermarkt losgeworden.

 

Die Geschäfte sind grundsätzlich montags und mittwochs nachmittags geschlossen. Daher die unverständlichen Reaktionen auf meine Frage am Mittwoch.

 

Den Abfall bringt man in große Container am Straßenrand, d.h. der gesamte Abfall, jedenfalls in diesem Haus,  wird so entsorgt, wie bei uns Glas oder Papier.

 

Fasten bedeutet in Griechenland, jedenfalls in der strengeren Version, auch Verzicht auf Öl, auf Fisch und auf alle Milchprodukte. Im Supermarkt Gutscheine für einen Rabatt auf Jogurth bekommen. Ist das Absicht oder Zufall? Die Regeln werden durch einige herrliche Spitzfindigkeiten zurechtgebogen, die die Griechen natürlich nicht als Spitzfindigkeiten sehen: Milchschokolade ist verboten, aber Bitterschokolade ist erlaubt, weil sie keine Milch enthält, Fisch ist verboten, aber Tintenfische (und Meerestiere im allgemeinen?) sind erlaubt, weil sie kein Blut haben (oder, in einer anderen Version, weil sie keine Füße haben!)

 

Briefkästen sind dünn gesät und schwer zu identifizieren, von der Angabe von Leerungszeiten ganz zu schweigen. Und wir dachten immer, Deutschland sei die Servicewüste.

 

Das beherrschende innenpolitische Thema ist der Prozess gegen den “17. November”, einer (linksgerichteten) terroristischen Organisation, deren Anführer letztes Jahr gefasst wurden. Der 17. November, der Tag des Sturzes der Militärdiktatur, gilt allerdings auch dem offiziellen Griechenland als erinnerungswürdig.

 

Der “Krieg” um die Ersetzung der Katharevousa durch das Dimotiki wurde ausgelöst durch die Veröffentlichung von Andonis Matessis Roman O Vassilikos. “Es gibt nur vulgäre Leute, keine vulgäre Sprache”  (Lorenzo Mavilli, Dichter und liberaler Politiker im Parlament) wurde zu einem Motto der Verfechter der Dimotiki, die dann erst in den Militärdiktatur zur Norm wurde.

 

Die Griechen lieben das /i/: Man fährt nach Madridi, isst einen Jaurti, trägt einen Turbani und nimmt eine Aspirini. Und Locher heißt Tripitiri (mit drei verschiedenen Buchstaben für den Vokal geschrieben!)

 

Die Putzfrau der Schule ist Bulgarin. Jetzt kehren sich die Verhältnisse um, und die Griechen, die das Wort Gastarbeiter, mit deutlich negativen Untertönen, übernommen haben, haben jetzt selbst Gastarbeiter.

Samstag, den 15. März

Panathinaikos ist traditionellerweise der “vornehmere”, Olympiakos der volkstümlichere Verein. Olympiakos hat so viele Anhänger, dass auch politischer Druck ausgeübt und der Staat zur Übernahme von Verbindlichkeiten des Vereins veranlasst werden kann! Der Präsident von Panathinaikos, Bardinogiannes, ist einer der reichsten Männer Griechenlands (erstaunlicherweise ein Reeder), während der Präsident von Olympiakos hauptsächlich durch Geschäfte in der Telekommunikation zu Reichtum gekommen ist. Er soll einst auch gute Beziehungen zur Stasi gehabt haben. Ein gabroς (Sardelle?) ist ein Anhänger von Olympiakos, ein bazeloV (hat eine entfernte Verbindung mit einem Kleeblatt) ein Anhänger von Panathinaikos, beide wohl ursprünglich Spottnamen der anderen Seite.

 

Romeo und Julia am Parthenon: Mary Webber, eine englische Nanny in den Diensten des Palastes, verliebte sich in einen Arzt der griechischen Armee. Als ihre Eltern sich weigerten, die Zustimmung zur Ehe zu geben, kletterte sie auf das Gerüst des Parthenon und stürzte sich die Akropolis hinunter. Als der Arzt davon hörte, erschoss er sich. Die bestürzten Eltern verständigten sich darauf, die beiden zusammen zu begraben.

 

Apotheke heißt farmakeio, und eine apoqhkh ist ein Lagerraum (hier aber auch an einer Art Haushaltswarengeschäft gesehen). Bisher noch keine Kaufhäuser gesehen.

 

Aufstieg auf den Lykabettos, den Hausberg Athens, eher ein Hügel, aber höher als die Akropolis und von seiner Beschaffenheit, mit schroffen Seiten und großen Felsbrocken, eher dem gleichend, was wir uns unter einem Berg vorstellen. Der Mythologie zufolge ist der Lykabettos entstanden, als Athene Marmorblöcke vom Penteli zur Akropolis trug und, durch eine Krähe erschreckt, einen fallen ließ! Karge Spitze guckt aus einem grünen Kranz hervor: Kakteen zweierlei Art, die mit den rundlichen, fleischigen Blättern und die mit den langen, spitz zulaufenden Blättern (die so hart sind, dass die Leute ihre Namen einritzen können), Büsche mit gelben Blüten (vielleicht Ginster) und Büsche mit violetten Blüten (vielleicht Heidekraut) und dünne Bäume mit kahlen Stämmen und verdorrten, bräunlichen Fruchthülsen, alles

erstaunlich üppig. Auf halber Höhe schöner Blick auf die auf der anderen Seite liegende Akropolis und dahinter aufs Meer. Oben auf der Aufsichtsplattform eine schöne, weiße, quadratische Kapelle mit Kuppeln (geschlossen), früher, wie alle Kapellen auf Anhöhen, dem Propheten Elias geweiht, ein Glockenturm, eine große griechische Flagge und (ziemlich unpassend) ein paar dürre, vergammelte Fernseh- oder Telephonmasten. Nirgendwo Informationen oder Wegweiser. Auf dem Rückweg (andere Route) in der Nähe eines Freilufttheaters einen bereits in voller Blüte stehenden knorrigen Baum (vielleicht Kirsche) gesehen. Auf beiden Wegen die Standseilbahn noch nicht einmal gesehen. Die Erklärung: Sie verläuft unterirdisch! Dann in einem anderen Stadtteil gelandet. Alles erinnert an Spanien: die Hauseingänge, die Bürgersteige, die Flachdächer, die vielen Markisen, Blendläden und Balkons. Auch die Lotterieverkäufer und die mit Maschinenpistolen bewaffneten Schutzleute erinnern an Spanien.

 

Dann noch ins Zentrum gelaufen. In einem Viertel ein Beispiel der verfallenden alten Häuser gesehen, von denen in den Lehrbüchern immer die Rede ist, einem zweistöckigen Wohnhaus mit einer einst prächtigen Fassade, das jetzt als Lagerhalle dient. An der Omonia ausländische Straßenhändler, Osteuropäer, aber auch Asiaten (Pakistani?). Eine ältere griechische Frau kickte eine leere Dose, die auf Bürgersteig lag, vehement zur Seite, ein Ausdruck dessen, was sie von diesen Ausländern und ihrem Benehmen hielt. Erweckt heimatliche Gefühle.

 

Ein griechischer Bauer oder Schäfer, Spiros Louis, nahm auf Drängen seiner Freunde wegen seiner starken Konstitution 1896 an den Olympischen Spielen teil, obwohl er kein Sportler war. Er lief den Marathon, hielt durch und – gewann! Die Zeit lag unter drei Stunden, und er hat weder vorher noch nachher jemals Sport getrieben! Er lebt in dem griechischen Ausdruck egine louiV ‚er wurde Luis’, fort, mit dem man jemanden bezeichnet, der sich plötzlich aus dem Staub macht, gewöhnlich, um einer schwierigen Situation auszuweichen.  Nach einer anderen, an Bahamontes erinnernden Version, war Louis Wasserträger, der das Laufen ohne Wasser geradezu als Vergnügen empfand.

 

Die Restauration des Parthenon dauert jetzt schon länger als ihr Bau! Die Restaurierung ist deshalb so schwierig, weil die Marmorblöcke Stück für Stück auseinandergenommen und wieder zusammengefügt werden müssen, um die rostenden Eisenteile zu ersetzen, die bei der ersten Restaurierung statt der antiken Bronzeklammern eingesetzt wurden!

 

Sonntag, den 16. März 2003

Artikel in der Nea: Mit der Kartoffel wurden zu Anfang in Deutschland nur Sträflinge  ernährt, in Schottland lehnte man deren Verzehr ab mit der Begründung, sie fände keine Erwähnung in der Bibel!

 

Mit der ältesten, meist überirdisch verlaufenden Metrolinie von Omonia aus (schöner Bahnsteig mit großen, farbigen, geschmackvollen Fliesen) für nur 60 Cent in einer halbstündigen Fahrt in den Norden Athens, ins noch kältere Kifissia, das gerade wegen der kühleren Temperaturen privilegierter Wohnsitz der Privilegierten ist, was man schon bei der Ankunft an einer schön angelegten Allee spürt. Dort von in ein sehr schönes, rustikales Lokal, ’En Elladi, geführt worden, mit exzellentem Essen. Die Vorspeisen werden von einem Kellner in großer Zahl in ovalen Steingutgefäßen auf einem riesigen Tablett angeboten, von dem der Gast auswählt, was sowohl praktisch als auch schön anzusehen ist. Es gab in Essig eingelegte Kräuter, Rouladen in einer Soße aus Eiweiß und Zitronen (Eins A), Tintenfisch und gebratene Auberginen mit Füllung (Eins A), dann Lammkeule aus dem Backofen und schließlich Kazan Tipi, einen Nachtisch nach einem von den nach “kleinasiatischen Katastrophe” (1922) nach Griechenland geflüchteten Griechen aus der Türkei mitgebrachtem Rezept – hausgemacht.

 

Deutliche Parallelen in der Ausländerfrage zu Deutschland und anderen Ländern, ungeachtet des klugen Spruchs “Die Albaner von heute sind die Griechen von gestern”: Unterscheidung zwischen “guten” und “schlechten” Ausländern (Pakistanis – Albaner), Furcht vor der schieren Zahl der Einwanderer (ein Drittel aller Albaner lebt in Griechenland), Schuldzuweisungen (erhöhte Kriminalität), Kritik an Lebensformen (mehrere Familien teilen sich eine Wohnung), Unterbezahlung, Versuch, illegale Einwanderung in den Griff zu bekommen, indem man sie legal macht usw.

 

Nach dem Essen Spaziergang durch Kifissia, vorbei an einem Wohnhaus traditionellen Stils mit abgeflachtem Ziegeldach, vorbei an einem Kiosk mit einem internationalen Bestand an Zeitungen, vorbei an Orangenbäumen mit Früchten, vorbei an einem Museum für Naturgeschichte, das von einer der renommiertesten Familien Griechenlands, den Gulandri, gestiftet wurde, vorbei an riesigen Gebäuden, die wie die Hotels mitteleuropäischer Kurorte aussehen und von denen eins Sitz der Eurobank ist, der Privatbank eines der reichsten Männer Griechenlands, Latses, naheliegenderweise einem Reeder.

 

Griechenland hat die relativ höchste Zahl an Zeitungen und Zeitschriften weltweit. Da sich einige davon kaum tragen, gibt es Vermutungen, es handele sich um ein System der Geldwäsche.

 

Frauen behalten jetzt ihren eigenen Namen nach der Ehe. Bisher hatten sie den Namen des Mannes angenommen. Die unterschiedlichen Konventionen bei den Namen in den unterschiedlichen Ländern haben miteinander gemeinsam, dass die Leute immer das, was in ihrem Land gilt, als normal und “richtig”, das andere als Abweichung ansehen. Ähnlich bei der Frage, ob Filme übersetzt werden sollen oder nicht.

 

Künstlerpech: Als eine griechische Deutschlehrerin einmal im Unterricht von einer Kollegin mit einem viel stärkeren Akzent vertreten wurde, sagten ihr die Schüler, die Kollegin könne man viel besser verstehen!

 

Anschließend mit dem Auto Richtung Nordosten zum Marathonsee, vorbei an der fürstlichen, mit einer Steinmauer umgebenen Residenz des Reeders und Halt an der ebenso fürstlichen Villa einer griechischen Freundin. Weiterfahrt mit Blick auf den schneebedeckten (!) Penteli, dem klassischen Steinbruch für das Athener Marmor. Entlang des Weges das blaue Band, das den Verlauf des Marathonlaufs markiert. Halt an einer schmalen Brücke am Marathonsee, einem künstlich angelegten Stausee zur Wasserversorgung Athens, dessen Wasserspiegel durch die Niederschläge der letzten zwei Jahre deutlich gestiegen ist, so sehr, dass das Kellergeschoss eines Hauses am Wasserrand im Wasser stand. Dunstige Atmosphäre und viel Vegetation am Rand des Sees, insgesamt eine “ungriechische” Szenerie.

 

Die Griechen haben angeblich seit Einführung des Euro die höchsten Preise bei den niedrigsten Gehältern. Kann sein. Bei der Kalkulation wird allerdings das Grundvermögen verschwiegen. Man kann in Athen wohnen und sein Haus im Heimatdorf gewinnbringend als Ferienhaus oder anderswie vermieten.

 

Von einem Aussichtspunkt aus Blick auf Athen und den links davon liegenden Hymettos mit dem Kesariani-Kloster. Einige Berghänge kahl als Folge von Waldbränden, einmal durch einen Hubschrauberunfall, aber in den meisten Fällen durch Brandstiftung von Grundstücksspekulanten. Weiterfahrt nach Marathon und dort Fahrt bis an die im Bau befindliche Ruderstrecke (wo man den Eindruck haben muss, dass noch viel zu tun ist), bis an den Hügel, unter dem die Toten der Schlacht von Marathon begraben sind (und an dem der Marathonlauf vorbeiführt) und bis direkt an den Strand, alles mit dem Auto!

 

Auf dem Rückweg durch die fast unheimlich aufragenden Berge in der abendlichen Landschaft, vorbei an einem deutschen Soldatenfriedhof mit der unvermeidlichen Diskussion über unser Desinteresse am Nationalsozialismus.

 

Nothalt an einem McDonalds, nicht zum Essen. Vernünftigerweise gibt es in Griechenland die Regel, dass es verboten ist zu verbieten (das WC zu benutzen).

 

Montag, den 17. März

Als Athen 1834 Hauptstadt wurde, hatte es gerade einmal 6000 Einwohner! Die neue Stadt wurde für 50.000 Menschen geplant, hatte aber schon um die Jahrhundertwende doppelt so viele.

 

Die griechische Kirche verdankt ihre Reputation ihrer Rolle in den Befreiungskriegen und der Tatsache, dass ihr die Erhaltung der griechische Sprache zu verdanken ist. Bis heute gibt es enge Beziehungen zur Politik, und jede Regierung wird durch den Erzbischof von Athen vereidigt!

 

Dass der Parthenon nur noch eine Ruine ist, wird allgemein hingenommen (Zahn der Zeit), aber dabei wird vergessen, dass er erst seit 300 Jahren Ruine ist. Die entscheidende Kanonenkugel der Venezianer – ein Volltreffer – wurde ausgerechnet von einem Deutschen, einem Soldaten aus Lüneburg, abgefeuert.

 

Die Entfernung der Reliefs durch Elgin – zeitweilig waren mehr als 400 Arbeiter damit beschäftigt – war legal, wurde von vielen Experten gutgeheißen und bewahrte die Reliefs vor dem Verfall – die am Ort gelassenen Skulpturen sind bis zur Unkenntlichkeit entstellt – und war für ihn alles andere als ein Geschäft. Sie wurde aber schon zu seiner Zeit auch scharf kritisiert (Byron, Humboldt, Pückler-Muskau): Tempelschändung, Raub, rohe Zerstörung.

 

Dienstag, den 18. März

In Griechenland gibt es eine von der Kirche unterstützte Bewegung, die Harry Potter als Teufelszeug verwirft und alles, was damit zu tun hat, am liebsten auf den Index setzen würde.

 

Der Entwurf von Schaubert und Kleanthes zur Anlage von Athen wurde kritisiert, weil er zu groß angelegt war. Der neue Entwurf von Klenze, der deren Ideen beibehielt, aber den Maßstab verkleinerte, wurde dann bald kritisiert, weil er zu klein angelegt war.

 

Die beiden bekanntesten Griechen der 20. Jahrhunderts dürften Maria Callas und Aristoteles Onassis sein. Aber wer ist die Nummer drei? Melina Merkuri? Andreas Papandreu? Mikis Theodorakis? Dimitris Mitropoulos? Kostas Kazanzakis? Kostas Gavras? Jedenfalls nicht Seferis und Elytis, obwohl beide den Nobelpreis für Literatur erhalten haben! Irgendwo gelesen, dass die griechische Literatur sich durch ihre Obsession, wahre Kunst von Kommerz zu unterscheiden, selbst ins Abseits stellt. Ob das stimmt, weiß ich nicht, aber man könnte das auch für die deutsche Literatur sagen.

 

Griechen halten ihre Kultur gerne für die Brücke zwischen Ost und West, westlicher Lebensstil und Standard, östliche Haltung und Temperament, aber diese Vorstellung ist eher romantisch als wahr.

 

In Griechenland sind alle Bücher für die Ausbildung, sowohl Schule als auch Universität, kostenlos!

 

Mittwoch, den 19. März

Besichtigung des Zeustempels am Rand des Nationalgartens. Ein Gelände, das etwas unaufgeräumt aussieht, überall liegt und steht etwas herum: Felsbrocken, Mauerreste, Sockel, Sarkophage, dazu Zypressen, verschiedene Kiefern, niedrige Palmen, alle möglichen Büsche, alles zerstreut in dem unebenen Gelände. Der eigentliche Tempelbezirk, abgesperrt, ein riesiges Rechteck, etwa ein Fußballfeld, mit riesigen Marmorsäulen mit korinthischen Kapitellen, ursprünglich über einhundert, von denen noch gut ein Dutzend steht, davon zwei vereinzelt, die anderen in einer Gruppe. Dazwischen eine, die zerstört ist und am Boden liegt, aber am besten Dimensionen deutlich werden lässt. Am Rande des Tempels steht unmotiviert ein mannshoher Pinienzapfen, wie ein überdimensionaler Phallus. Lange Baugeschichte: schon im 6. Jh. v. Chr. begonnen, aber nicht abgeschlossen, da sie die Bewohner Athens geweigert haben sollen, einen Bau der Tyrannei, auch so einen prächtigen, nach deren Sturz zu vollenden. Im 2. Jh. v. Chr. weitergeführt, dann wieder Baustopp, und erst im 2. Jh. n. Chr. (unter Hadrian) vollendet. Zerstörung teils durch Nutzung als Steinbruch im Mittelalter, teils durch Erdbeben und Orkane. Von hier aus Blick auf die naheliegende Akropolis, deren Festungsmauern von hier aus wie Pappmaché aussehen. Am Ausgang des Geländes das mächtiges Hadrianstor (in Restaurierung), das einst die Grenze zwischen “Altstadt” und “Neustadt” markierte. Auf dem Bogen steht zur einen Seite: “Dies ist Athen, die alte Stadt des Theseus” und auf der anderen “Dies ist die Stadt des Hadrian, nicht die des Theseus”.

 

Zurück über die Plaka und den Ermou. Um viertel vor drei zum Mittagessen in einem Grillrestaurant, und längst nicht der letzte. Wein bestellt man in Griechenland per Kilo: Ein Gyros, einen Bauernsalat und ein halbes Kilo Rotwein. Immer wieder schön. Dafür 10 € bezahlt, angemessen, aber auch nicht sonderlich preiswert. Beim Wechselgeld fehlten fünf Euro, was Zufall gewesen sein kann, aber man ist versucht, Absicht zu unterstellen.

 

Taxifahrern, auch solchen, die schon Passagiere haben, ruft man durchs offene Fenster das Fahrziel zu. Der Taxifahrer kann einen dann, die Erlaubnis des anderen Passagiers vorausgesetzt, mitnehmen, wenn es in die gleiche Richtung geht. Der Fahrpreis verringert sich aber dadurch nicht! Sind wir in Ikaria also gar nicht übers Ohr gehauen worden?

 

Der Karagiogis ist der Held des gleichnamigen, traditionsreichen Schattentheaters, ein listiger Außenseiter, der sich immer wieder durchzuschlagen versteht. Das Wort ist türkisch und bedeutet ‘Schwarzauge’, was metaphorische Bedeutung hat, etwa wie wenn es einem angesichts der gesellschaftlichen Misere schwarz vor Augen würde. Die Tradition war in Arabien und Nordafrika verbreitet (die einzige dramatische Form, die bei orthodoxen Mohammedanern erlaubt war) und kam über die Türkei nach Griechenland und wurde um typisch griechische Figuren und Themen erweitert. Die Schattentechnik stammte aus Java und war von arabischen Händlern von dort mitgebracht worden. Ursprünglich machte der Karagiosisspieler alles alleine, die verschiedenen Stimmen, Effekte, Geräusche, Lieder und spielte auch noch Instrumente, heute werden auch technische Hilfsmittel eingesetzt. Die verschiedenen Charaktere werden beim Auftritt durch bestimmte Lieder, die sie auch regional verorten, angekündigt. Zuerst war das Karagiosis eine Art der preiswerten Familienunterhaltung, während der deutschen Besatzung wurde es auch zum (unangreifbaren) Instrument der politischen Opposition.

 

Donnerstag, den 20. März

In fachkundiger Begleitung Keramikos besichtigt. Gute Übersicht von der Straße aus über das Ausgrabungsfeld, das weit unter dem heutigen Bodenniveau, auf dem Niveau des antiken Athen, liegt. Wichtige archäologische Stätte, aber weniger beachtet als Akropolis und Agora. Keramikos antiker Stadtteil. Name von berühmten Athener Töpfern, die hier ihre Werkstätten hatten. Name aber auch der eines antiken Helden, der dem Viertel wiederum den Namen gegeben haben kann, das den anderen europäischen Sprachen wiederum den Namen für Steingut gab. Im freigelegten, d.h. außerhalb der Stadtmauern gelegenen Teil, auch der Friedhof. Hier  waren die beiden wichtigsten, mit Türmen überhöhten Stadttore Athens, das Heilige Tor (das Ende der Heiligen Straße, über die man zu den Mysterienspielen nach Eleusis zog) und das Doppeltor (durch das man zu den Panathenäischen Spielen in die Stadt zog). Durch die eine Hälfte des Doppeltors floss der Eridamos, dessen Flussbett noch deutlich zu erkennen ist. In dem Pflaster der Stadttore kann man noch deutlich Einlassungen für die Tore selbst sehen und sogar Spuren von Rädern. Zwischen den Toren das noch mit Pfeilerresten bezeichnete Pompeion (in dem der Festzug hergerichtet wurde). Neben den Toren die Reste eines Brunnens, der zur Versorgung der ankommenden Reisenden diente. Entlang der Straße der öffentliche Friedhof, vom 9.Jh. bis in römische Zeit benutzt. Grabdenkmäler von erstaunlicher Qualität und Vielfalt, eins mit einem skulptierten Stier, eins mit einem Relief, das einen Reiter im Kampf zeigt (Vorläufer der Georgsdarstellungen), eins mit einem Relief, das eine häusliche Szene zeigt, in der eine Dienerin (stehend) ihrer Herrin (sitzend) ein Schmuckkästchen reicht. Diese Grabmonumente aus der Zeit vor dem 4. Jh., als ein Dekret festlegte, dass Grabmonumente einfach zu sein hätten. Die späteren Grabmonumente sind niedrige, runde, fast ununterscheidbare Stelen, in die der Name des Verstorbenen eingraviert ist. Sie stehen zu Dutzenden am Rande des Ausgrabungsfeldes, mit deutlich zu erkennenden Namen (die griechische Schrift hat sich in all der Zeit fast gar nicht verändert!). Das Grabungsfeld liegt in einem unschönen Industrieviertel, dessen alter Gasometer jetzt für Kulturveranstaltungen und als Station eines lokalen Radiosenders genutzt wird.

 

Von hier aus über die breite, jetzt autofreie, kopfsteingepflasterte Straße, die zwischen Philopappos und Akropolis verläuft. Maßnahme im Hinblick auf Olympische Spiele, und ein echter Gewinn für Athen. Weg führt vorbei an überkuppelter Sternwarte, die aber verlegt werden musste, da es in Athen für die Beobachtung des Himmels immer zu hell ist, an Freiluftkino, am Areopag, dem Felsen, auf dem in der Antike Gericht gehalten wurde und wo später Paulus zu den Athenern gesprochen haben soll (Auszug aus Apostelgeschichte auf Steintafel).  Von einem der (vielen) Straßencafés aus Blick auf Thiseion und Apostelkirche. Im unteren Teil der Straße, die hier nach Dionysos Areopagit, dem ersten Schüler des Paulus, benannt ist, auf der linken Seite das Odeon. Von Herodes Attikus (II), einem Athener, der in Rom Karriere gemacht hatte, im Andenken an seine Frau gestiftet. Durch Stoa mit dem weiter unter liegenden Dionysostheater verbunden. Rechts klassizistische Wohnhäuser, meist dreistockig, jetzt meist Sitz von Botschaften oder Kulturinstituten. Links, am Ende der Straße, die Statue eines der allgegenwärtigen griechischen Freiheitskämpfer, Makrygianni, der vor allem auf die Zusammenführung der verschiedenen Gruppen und die Koordination der Aufstände kümmerte. An der neuen Metrostation ein zweistöckiger, fast quadratischer Backsteinbau, von dem deutschen Architekten Weiler als Militärhospital konzipiert, jetzt Sitz eines Informationszentrums zur Akropolis (vorübergehend geschlossen).

 

Im Supermarkt Corned Beef gekauft, also ein Gericht mit englischem Namen, gemacht aus argentinischem Fleisch, vertrieben von einer holländischen Firma. Gekauft in Griechenland. Von einem Deutschen.

 

Freitag, den 21. März

Zur Erläuterung von nicht gradierbaren Adjektiven: “Sind Sie katholisch? – Ja, sehr”. (Alternative: “Sind sie verheiratet?” – “Ja, sehr”).

 

Zur Erläuterung von Kollokationsbeschränkungen: *Frühstück kochen und *Hausaufgaben tun sind im Deutschen nicht zulässig, wohl aber im Englischen. Dafür gibt es keine logischen Gründe, nur Konvention.

 

Was gab es heute zum Essen? Erst eine Suppe (französisch), dann  Spaghetti (italienisch) mit Tomaten- (amerikanisch) Soße (französisch), Wein (Latein) und zum Nachtisch (deutsch) Pudding (englisch). Ziemlich ernüchternde Bilanz, und das, obwohl ich Nachtisch (deutsch) statt Dessert (französisch) gesagt habe. Wie gehen Fremdwortgegner damit um? Erst einmal verblüfft, dann, indem sie einwenden, das seien ja keine Fremdwörter, das würde ja jeder verstehen – ein Beweis dafür, dass Wörter nicht an sich fremd sind, sondern nur als fremd empfunden werden können.

 

Wir können selbst nicht entscheiden, wann unser Gedächtnis funktionieren soll. Manchmal sucht und sucht man nach einem Wort oder nach einem Namen, aber man kann sich beim besten Willen nicht erinnern. Ein paar Stunden später, wenn man den Versuch, sich zu erinnern, längst aufgegeben hat, fällt es einem plötzlich wieder ein, es kommt ungerufen. Das ist unstrittig. Das ist eben so, es ist selbstverständlich, und Selbstverständlichkeiten diskutiert man nicht. Man diskutiert, was strittig ist, ob man den Müll trennen soll, ob man LehrerInnen schreiben soll, ob die Steuern gesenkt werden sollen. Aber die Selbstverständlichkeiten machen viel mehr aus, und sie sind natürlich gar keine Selbstverständlichkeiten. Wenn man die Welt noch einmal von vorne beginnen würde, würde man dann dem Menschen ein Gedächtnis geben, über das er gar nicht verfügen kann? Es wäre doch viel besser, einleuchtender, ja selbstverständlich, ihm ein Gedächtnis zu geben, das ihm jederzeit die Informationen gibt, die er braucht. Auf die jetzige Konstruktion würde so leicht niemand kommen. Darüber, dass das so ist, wundert sich aber niemand.

 

Heute an Karikatur erinnert, bei der zwei Besucher das Britische Museum verlassen und sagen: “I wonder why it’s called the British Museum”. Auch für Pragmatik zu gebrauchen.

 

Heute im Zentrum große, lebendige, laute Demonstration gegen Bombardierung Iraks, meist junge Leute. Gut ausgerüstet mit all den Paraphernalia des Demonstrationsgeschäfts. Geschäftsleute im Zentrum machen mit und schließen bis fünf Uhr, genauso wie Sehenswürdigkeiten. Auf dem Rückweg der Demonstration ausgewichen und in einem feineren Viertel gelandet, das mir  am Ende irgendwie bekannt vorkam, bis ich merkte, dass ich am Kolonaki war, dem Platz, an dem sich diejenigen treffen, die davon träumen, einen Sportwagen zu haben – und diejenigen, die wirklich einen haben. Dann in einer Odyssee fast auf dem Lykabettos gelandet. Beim Abstieg eine solch steile Straße, das man das Gleichgewicht verlor. Man glaubte, nur noch die Wahl zu haben, nach hinten oder nach vorne zu fallen.

 

Aus gegebenem Anlass an das “russische” Stück gedacht, in dem kein Wort Russisch gesprochen wurde, sondern ein völlig bedeutungsfreies Kauderwelsch, das sich wie Russisch anhört. Genauso kommt man sich vor, wenn man die Griechen reden hört, mit dem einzigen Unterschied, dass von Zeit zu Zeit ein identifizierbares Wort erscheint: Bla bla bla bla Athen bla bla bla bla Taxi bla bla bla bla Metro. Erinnert auch an die Karikatur, in dem ein Hund die wortreiche Standpauke seines Herrchens hört (die in der ersten Sprachblase erscheint) und immer nur seinen Namen und “Knochen” versteht (was in der zweiten Sprechblase erscheint). Das russische Stück wiederum hat eine entfernte Verbindung mit den Hieroglyphen, die in der ptomolomäischen Zeit auf ägyptischen Sarkophagen eingeritzt sind und keinerlei Bedeutung mehr haben, sondern nur noch um ihrer selbst willen existieren. Das signifié hat sich aus der Zwangsgemeinschaft mit dem signifiant gelöst. Auf spielerische Weise auch im Kinderreim “Empompi”.

 

Heute chaotischer Tag, an dessen Ende auch noch der Wohnungsschlüssel abbrach und im Schloss stecken blieb. Wieder waren die Handwerker umgehend zur Stelle. Vorbildlich!

 

In einem Grillrestaurant gesehen, wie Wein für einen Kunden, der das Essen mit nach Hause nahm, aus einem Plastikbehälter mit einem Plastiktrichter in eine Plastikflasche abgefüllt wurde, die in ihrer früheren Existenz mal Mineralwasserflasche gewesen war. Bei der Bestellung die Kopfbewegung des Kellners – schräg nach unten, aber nur ganz leicht – als Verneinung missverstanden. Ein Einzelfall? Glaube nicht. Dennoch ist es nicht das, was man sich vorstellt, wenn es im Reiseführer heißt, Kopfschütteln gelte in Griechenland als Zustimmung. Das wiederum empfinden die Griechen, einer kompetenten griechischen Gesprächspartnerin zufolge, als Kommunikationsproblem mit den Bulgaren, bei denen Kopfschütteln – oder das, was von den Griechen als solches wahrgenommen wird – als Zusage gilt.

 

Das Bier, das ausgeschenkt wird, ist fast ausschließlich holländisch, in den Lokalen normalerweise Amsel. Eine Kapitulationserklärung der deutschen Brauereiindustrie? Dabei gab es hier doch einmal einen bayerischen König.

 

Was man kaum sieht, sind ausländische Lokale (wenn man McDonalds usw. nicht mitrechnet), weder italienische noch chinesische noch sonst etwas. Die Griechen scheinen mit Souvlaki und & Co. zufrieden zu sein.

 

Athen gibt einem ein großes Gefühl der Sicherheit. Man fürchtet nicht um sein Portemonnaie, geschweige denn um sein Leben. Ungewöhnlich für eine solch große Stadt!

 

Samstag, den 22. März

Pünktlich zum Frühlingsanfang wieder Rückgang der Temperaturen und dazu ein eisiger Wind, nachdem es einige Tage lang ganz angenehm war. Trotzdem, da es (noch) nicht regnete, zur Akropolis, um Theater und Odeon anzusehen. Dort aber vor verschlossenen Türen gestanden (keinerlei Hinweisschilder auf Öffnungszeiten, Wege oder Identität des Monuments) und mir dann eine Eintrittskarte für den gesamten Komplex der Akropolis andrehen lassen, die ich eigentlich gar nicht haben wollte. Dann doch noch einen Zugang gefunden (Zum Odeon kommt man nur durch das Theater!). Dort die Dummheit begangen, auf eine englische Frage auf Griechisch zu antworten, und plötzlich einen Wärter neben mir gehabt, der mich über das Gelände begleitete und in einem völlig unverständlichen Redeschwall auf mich einredete. Selbst schuld! Mich damit begnügt, die Fragen abwechselnd mit Ja und Nein zu beantworten. Nur verstanden, dass drei verschiedene, an der Farbe erkennbare Arten von Marmor zum Einsatz kamen und dass es in römischer Zeit ein Sonnensegel gegeben haben soll.

 

Im Dionysostheater, dem Vorbild der späteren antiken Theater, wurden die großen Dramen der Antike uraufgeführt. Seit dem 6. Jh. v.Chr. gab es hier Theateraufführungen aus Anlass der Dionysien, zunächst Tänze und Chorgesänge. Das Theater im eigentlichen Sinne entstand, als Thespis dem Chor einen Sprecher zur Seite stellte, einen Gegenspieler. Zuerst saßen die Zuschauer einfach auf dem Berghang, dann begann man, Zuschauerränge auszuheben und Holzbänke aufzustellen (V), dann wurden die Holzbänke durch Steinbänke ersetzt (IV). Die Zuschauer zahlten keinen Eintritt, sondern erhielten seit der klassischen Zeit sogar noch einen Obulus fürs Kommen! Nachahmenswert. Heute ist knapp die Hälfte der Ränge erhalten, die ursprünglich bis an den Felsen der Akropolis heranreichten. Soll Platz für 17.000 Zuschauer gehabt haben! In der unteren Reihe Ehrensessel aus Marmor für Priester, Promis und andere Privilegierte mit gemeißelten Armlehen und Füßen und dem eingeritzten Namen des Promis. Von den Rängen aus Blick auf die in römischer Zeit angefertigten Reliefs auf der Vorderbühne. In römischer Zeit soll es auch eine hochfahrbare Bühne gegeben haben. Nach Verbot der Aufführungen, die als heidnisch galten, durch Theodosius (V) Verfall des Theaters, Wiederentdeckung erst in der Neuzeit (XVIII).

 

Von hier aus über die Stoa zum Odeon, das man nur von außen besichtigen kann. Name stammt von Musikaufführungen, die hier häufig stattfanden. Hat im Unterschied zu Dionysostheater steil aufsteigende Ränge. Platz für 5.000 Zuschauer. Von hier aus auf einem kleinen Pfad über steile Stufen zur Plattform vor der Akropolis. Dort zehn Postkarten für einen Euro, was so günstig war, dass mir erst Zweifel aufkamen.

 

Von hier aus zum (alten) Olympiastadion, am Rand des Nationalparks gelegen. Hier ist die Besichtigung umsonst und man bekommt sogar noch eine informative Broschüre dazu. Außerdem kann man hier auch trainieren, was zwei oder drei Verwegene auch tatsächlich trotz der Temperaturen taten. Stadion größer, als es auf Photos wirkt, mit 44 durch einen Gang in der Mitte unterteilten und in 47 Blöcke aufgeteilten Sitzreihen, mit einem Fassungsvermögen von 60.000!  Kontrast zwischen schwarzer Laufbahn und weißen Rängen, Hufeisenform, baumbestandene Hügel hinter den Rängen: verdient den Namen Kalimarmaro. Am Eingang wie Grabdenkmäler aussehende weiße Steintafeln, auf denen die griechischen Olympiasieger verzeichnet sind. Als erster Name taucht der von Louis Spiros auf (dessen Nachname aber auf Griechisch etwas anders lautet), aber als Gewinner der Silbermedaille, was Rätsel aufgibt. Dann Erklärung: In der ersten Zeit gab es für den Sieger Silber, für den Zweiten Bronze und für den Dritten – nichts!  Von Spiros heißt er, er habe die ihm angebotenen Siegprämien abgelehnt, wohl aber einen Karren angenommen, mit dem er das Wasser aus seinem Heimatdorf Maroussi nach Athen transportieren konnte, um es hier zu verkaufen. Selbst eine Runde auf der modern ausgelegten Laufbahn (Tartan?) gedreht, aber gemütlich gehend. Die Kurven sind sehr eng, so dass das Stadion für moderne Wettbewerbe nicht benutzt werden kann. Am Eingang zur Kurve und zur Geraden steht jeweils sinnigerweise eine Statue des Hermes mit Doppelantlitz. Die Spiele von 1896 fanden im Frühjahr statt, mit der Eröffnungsfeier am griechischen Nationalfeiertag (25. März) – der Kälte trotzend? Schon Mitte des Jahrhunderts waren in Griechenland Olympischen Spiele abgehalten worden, aber nicht hier. Für die ersten offiziellen Spiele kam es dann zur Wiederherrichtung des inzwischen völlig verfallenen Stadions, mit Geldspenden aus der Bevölkerung, aus dem Ausland (von den griechischen Botschaften eingeworben), vor allem aber der Spenden eines griechischen Kaufmanns aus Ägypten, Giorgos Averof. Zur Errichtung der Ränge waren gleichzeitig 500 Arbeiter beschäftigt, im Stadion und an drei Steinbrüchen. Die Bauleitung hatte Charles Perry. Da man mit der Errichtung der Marmorränge nicht rechtzeitig fertig wurde und ein Plan, die restlichen Ränge aus Stein zu bauen, verworfen wurde, wurden die restlichen Ränge aus Holz gebaut, das dann weiß angestrichen wurde! Nach den Spielen wurden die Arbeiten dann fortgesetzt, und zur Zehnjahresfeier war das Stadion fertig. Die Wiederrichtung ist im wesentlichen ein Wiederaufbau des antiken Olympiastadions, unter Lykurg (IV), der zu der Zeit Stadtregent war, für die Panathenäischen Wettbewerbe errichtet – daher der Name. Im Anfang nur der Wettbewerbsbereich paniert, die Ränge ergaben sich durch die gegenüberliegenden Hügel von selbst, dann Holzsitze, dann in spätrömischer Zeit (II) Marmorsitze.

 

Dann, nach kurzem Blick auf das Zappion, einem Ausstellungsgebäude, in dem der Vertrag über den Beitritts Griechenlands zur EU unterzeichnet wurde, zurück durch den von Königin Amalie angelegten Nationalpark, mit geschlungenen Wegen, einem künstlich angelegten Teich, in dem die Steine weiß bemalt sind, so dass sie wie Eis aussehen, einem kleinen Tiergehege, in dem auch ein paar riesige Sträuße vertreten sind, einer unendlichen Vielfalt von Bäumen und kleinen hölzernen Hinweisschildern, die einen immer im Kreis durch den Park zu schicken scheinen. Am Ende doch ein kleines, vor allem warmes Café gefunden, in dem ich mir einen Platz gleich neben dem Heizkörper sicherte. Beim Eintritt von einer älteren Dame feindselig angesehen, von einem älteren Herrn, der eigens aufstand, mit Verbeugung höflichst begrüßt worden. Zu dem stolzen Preis von 3,50 gab es einen sehr starken, sehr guten Kaffee. Dann zurück, am Sitz des Staatspräsidenten und am Parlamentsgebäude vorbei. Die Garde, die am Denkmal des unbekannten Soldaten Wache hält, die Evzonen, sehen eher so aus, als hätte man sie in die Kostüme von Balletttänzerinnen gesteckt, aber es sind harte Jungs, die darin stecken, Mitglieder einer speziell ausgebildeten Elitetruppe. Dass sie sich beim Wachwechsel auf dem engen Bürgersteig an einem Zeitungskiosk und amerikanischer Zigarettenwerbung vorbeidrängen müssen, trägt allerdings auch nicht gerade zur Feierlichkeit bei. Das Parlamentsgebäude, ursprünglich Königsschloss, mit einer schlichten, gelb gestrichenen Fassade, ist etwas zu breit geraten, um schön zu sein. Schinkel hatte ursprünglich die auf den ersten Blick ziemlich verrückte Idee, das Schloss auf die Akropolis zu setzen, aber der Vater des Königs lehnte entrüstet ab. Heute meinen viele Experten, das wäre gar nicht so schlecht gewesen und hätte vielleicht zum Schutz der antiken Stätten beigetragen. Schinkel wollte den Tempelbezirk selbst ausdrücklich ausnehmen, und der Rest wäre ein Park geworden. Jetzt steht er, leicht erhöht, an einem Platz, von dem man das “neue” Athen überblicken kann, das Athen der großen Boulevards. Die große Zahl der schnurgerade und oft parallel laufenden Straßen zeigt, dass es sich um eine geplante Stadt handelt. Die Viertel östlich der Akropolis sind die einzigen richtigen Ausnahmen.

 

Entlang der ganzen Universitätsstraße hört man aus den offiziellen, fest installierten Lautsprechern, die offensichtlich dafür benutzt werden dürfen, die Aufrufe und Kundgebungen einer unsichtbaren Demonstration. Auf dem Antikriegsflugblatt einer kommunistischen Partei (mit Zusatz marxistisch-leninistisch) ist von der Schaffung eines amerikanischen Reichs die Rede, unter vielsagender Benutzung des deutschen Worts “Reich”.

 

Immer wieder verblüffend die Alltäglichkeit wohlklingender Namen: Haushaltswaren Aristoteles.

Klingt besser als Haushaltswaren Schmitz.

 

An jeder Ecke gibt es Straßenverkäufer, die koulouria, Gebäckkringel mit Sesam anbieten, manchmal etwas hart, aber gut schmeckend, sehr praktisch für die “laufende” Erledigung des Hungers. Ebenso allgegenwärtig kleine Imbissstuben, in denen es die traditionellen Pasteten gibt. Die klassische Füllung ist Käse, wobei der in der kaseropita anders als ist als der in der tiropita (feta). Alternativen sind melopita (mit Äpfeln), spanakopita (mit Spinat, mit oder ohne Käse), karidopita (mit Wallnuss). Besser als Hamburger oder Bratwurst, aber auch besser als belegte Brötchen, weil es doch so etwas wie eine “richtige” Mahlzeit ist.

 

Am Abend ins Kino: “Catch me if you can”, durchschnittlicher Film, eine moderne Köpenikiade, in typischer Manier von Hollywood aufgemotzt, mit nostalgischen Familiengefühlen, mit Integration des Bösewichts, mit Vater-Sohn-Komplex und abenteuerlichen Szenen. Im Kino geht es gleich mit dem Film los, ohne die lästige Werbung und Vorschau. Dafür geht mitten im Film das Licht an und es gibt eine Pause. Aber sogar während der Pause gibt es keine Werbung! Die Amerikanisierung ist nur so weit fortgeschritten, als auch hier der Besuchs des Kinos automatisch Hunger auf Popkorn auszulösen scheint.

 

Die drei klassizistischen Gebäude an der Akademias, die Nationalbibliothek, die Universität und die Akademie, alle durch einen gemeinsamen Vorplatz miteinander verbunden und alle aus weißem Marmor, sind ein gelungenes Ensemble. Vor der Akademie, wenig überraschend, die Statuen von Sokrates und Aristoteles, vor der Universität die von Kapodistrias und Kanaris, auch nicht überraschend, aber dann auch eine Statue, die, dem Reisefüher zufolge, Gladstone darstellen soll, und tatsächlich erscheint auf dem Sockel der Staue der Name Gladstone, nur: Was macht der hier? Und: Warum sollte er mit einem Stapel Bücher unter seinen Füßen dargestellt werden?

 

Straßennamen werden häufiger geändert, so dass das Straßenschild nicht immer mit dem Namen der Straße auf dem Stadtplan übereinstimmt. Dazu sind einige Straßen unter ihrem populären Namen besser bekannt als unter ihrem offiziellen, z.B. die Universitätsstraße. Dazu gehört auch Klafthmonos Square, der “Platz der Tränen”, auf dem früher (XIX-XX) entlassene Regierungsbeamte vor dem Innenministerium ihr Schicksal “beweinten” und auf Wiedereinstellung drängten, oft erfolgreich, was zu vielen Regierungswechseln führte.

 

Im Reiseführer heißt es, man verliere in Athen fast nie die Akropolis aus den Augen. Das stimmt aber wohl nur für die weitere Umgebung. In diesen Vierteln sieht man sie jedenfalls nicht (was ja auch eigentlich ganz normal ist). Entweder sind die Straßen zu eng oder die Bauten zu hoch. Eher schon sieht man den Lykabettos, sowohl im Hellen als auch im Dunkeln ein schöner Anblick.

 

Sonntag, den 23. März

Statt “mehr oder weniger” sagt man “weniger oder mehr”. Wenn man es umdreht, kommt dabei “sehr wenig” heraus, und das ist dann ja meistens doch nicht gemeint. Oder doch? Und statt “eine weitere Woche” sagt man “weitere eine Woche”. Wenn man es umdreht, kommt “eine andere Woche” dabei heraus. Und das ist wirklich etwas anderes.

 

Im Reiseführer heißt es, Athen habe im Gegensatz zu Saloniki keine Kontinuität, es gäbe nur Antike und Neuzeit. Immerhin gibt es aber eine beträchtliche Anzahl byzantinischer Kirchen. Dagegen ist aus der Türkenzeit wenig erhalten. In der ehemaligen Basarmoschee ist jetzt das Museum für griechische Volkskunst untergebracht!

 

Was ich bei dem Führer im Dionysostheater auch verstanden habe, ist die Frage danach, aus welchem Teil in Deutschland ich komme. Dabei stellt sich heraus, dass Stuttgart in Griechenland die beste Antwort auf diese Frage ist, so wie Düsseldorf in Spanien. Keiner weiß, wo Stuttgart liegt oder wie es ist, aber man “kennt” es, man identifiziert es, und das genügt. Ähnlich haben Griechen in Deutschland nur die Wahl zwischen Saloniki und Athen, wenn sie nicht gerade aus Kreta stammen.

 

Spaziergang durch die Altstadt, der uns am Ende nach Anafiotika, ein kurioses Viertel am Nordhang der Akropolis führte. Kleine, weiße Häuser, wie man sie auf einer griechischen Insel erwarten würde, und tatsächlich siedelten sich hier einst Übersiedler aus der Kykladeninsel Anafi an, die als Arbeiter für den Aufbau des neuen Athen rekrutiert wurden. Alles ist dem Felsen angepasst, die Häuser liegen alle auf unterschiedlichem Niveau, gerade da, wo der Felsen es zulässt, und die schmalen Wege zwischen den Häusern sind direkt in den Fels gehauen, und genauso getüncht wie die Häuser selbst.

 

Vorher den Weg am Südhang der Akropolis in anderer Richtung gemacht, durch den Trödelmarkt in Thiseion und verfallenden Häusern in der Ermou nach Monastiraki, wo sich eine Filiale von McDonalds befindet, von deren zweiten Stock man den besten preiswerten Blick auf die Akropolis haben soll. Das teure Gegenstück dazu ist Restaurant Dionysos am Südhang der Akropolis. Dann in die Plaka, vorbei am römischen Forum mit dem Turm der vier Winde. Dann eine winzige orthodoxe Kirche gesehen, in einem dunklen, von Kerzenschein erleuchteten Kellergewölbe, vollgestopft mit aller Art sakraler Instrumente und Ikonen und mit Fresken an den Wänden. Dann vorbei an einer pittoresken Ecke, die Schauplatz vieler griechischer Spielfilme ist, einer nach oben sich verjüngenden Treppe mit Häusern zu beiden Seiten.

 

In einer abenteuerlichen Aktion entfernten während der deutschen Besatzung zwei junge Griechen die deutsche Flagge auf der Akropolis und ersetzten sie durch die griechische, eine Heldentat, Teil des kollektiven Gedächtnisses der Griechen. Einer von ihnen, Manolis Glezos, ein politisch aktiver Mann, der Europaparlamentsabgeordneter war und sich heute für Entschädigungen für Griechen, die unter den Nazis gelitten haben, einsetzt, ist den meisten Griechen mit Namen bekannt. Paradoxerweise wurde er später als linker Aktivist politisch verfolgt und verbrachte insgesamt 14 Jahre seines Lebens im Gefängnis.

An gleicher Stelle auch heute eine griechische Flagge.

 

Dimension des Zeustempels auch daran zu erkennen, dass die beiden einzelnen und die zusammenstehenden Säulen, wenn man von Syntagma kommt, so aussehen, als gehörten sie zu zwei verschiedenen Stätten.

 

Die deutsche Aussprache von Trier klingt wie die griechische Aussprache von Troja, und wenn ein Grieche sagt, er wolle einen Deutschkurs in Trier besuchen, klingt das ziemlich merkwürdig. In Deutschland klingt die Frage, ob man nicht einen guten Pathologen empfehlen könne, ziemlich bizarr, aber wenn ein Grieche das sagt, meint er damit das, was es im Griechischen bedeutet, nämlich einen ganz normalen Allgemeinarzt.

 

Montag, den 24. März

Heute einen Versuch mit einer Theatervorstellung gemacht, ein durchschlagender Misserfolg, was das Verstehen angeht, obwohl das Stück, Zoo Story, bekannt und die Sprache einfach ist. Eine der beiden Figuren sagt an einer Stelle “Den katalabainw tipota”. Dem konnte ich mich nur anschließen. Alternatives Theater in einer alten Lagerhalle in einem Szeneviertel nahe der Schule, überwiegend junges Publikum. Einfache Bühne mit Gitterwerk an drei Seiten, gegen das ständig Bälle geworfen oder Fäuste geschlagen wurden, wenn man nicht gerade daran hochkletterte. Sehr laute, sehr dynamische, etwas überkandidelte Inszenierung mit einem überraschenden Effekt, als sich plötzlich auch die vierte Seite des Gitters schloss und einerseits die Schauspieler und andererseits die Zuschauer in einen Käfig sperrte. Nichts für Leute mit Klaustrophobie.

 

Dienstag, den 25. März

Griechischer Nationalfeiertag, in Erinnerung an – wen  wundert’s? – die Befreiung von der türkischen Herrschaft. Unterricht trotz Feiertag. Praktischerweise fällt der staatliche Feiertag mit dem religiösen Feiertag der Verkündigung zusammen. Zur Militärparade auf die Panepistimiou. Das Übliche, einschließlich Militärmusik und Stechschritt, Fahnen schwenkender Kinder und einiger bedrohlich niedrig fliegender Formationen von Düsenflugzeugen, aber auch Frauen in Uniform sowie eine Einheit von Gebirgsjägern, die mit Skiern bewaffnet waren und eine Einheit der Marine, die mit Sauerstoffflaschen bewaffnet waren. Der Militärdienst, für Jungen obligatorisch, dauert in Griechenland (noch) zwei Jahre.

 

Anschließend in die Stoa tou Bibliou, einer Passage mit Dutzenden von (heute geschlossenen) kleinen Buchhandlungen und einem Café. Dort, bei dem schlechtesten Service aller Zeiten, eine hervorragende Pita, die wie Quiche Lorraine aussah, aber griechisch schmeckte, mit pikantem Käse. Dazu ein Bier zu dem stolzen Preis von 5 €! Danach ins Ägeion, einem einfachen, traditionsreichen Café in einem Kellergeschoss in der Universitätsstraße zu Kaffee und loukoumadeV, Gebäckkringel mit Zimt und warmem Honig. Die Straßen wie leergefegt, von Feier keine Rede. Der Tag wird eher zu Hause vor dem Fernseher verbracht.

 

Mittwoch, den 26. März

Das Cello, hat mal jemand gesagt, ist ein unmögliches Instrument. Oben quietscht es und unten brummt es. So ähnlich ist es mit Birnen. Sie sind entweder hart oder faul. Aber wenn man zufällig mal eine erwischt, die nicht mehr hart und noch nicht faul ist, ist es einfach ein Genuss. So muss es auch mit dem Cello sein.

 

Auch die Metrostationen und die Wagen der Metro, einschließlich der Lautsprecheransage, erinnern an Madrid.

 

Jetzt, wo ich einen Pullover gekauft habe, wird es plötzlich wärmer. Sehr günstig für den heutigen Aufstieg auf die Akropolis. Makrygianni hält neben dem Schwert in der rechten Hand jetzt in der linken Hand eine griechische Fahne aus Plastik, Überbleibsel des gestrigen Nationalfeiertags.

 

Akropolis in der Geschichte in erster Linie Festung. Felsen fällt an drei Seiten steil ab. Nur von Westen her zugänglich. Plateau groß genug für eine Vielzahl von Bauten. Heute, nach gründlicher Restaurierung im Sinne eines “puren” Klassikverständnisses, nur noch nacktes Gestein. Alles, was nicht ins Bild passte, wurde abgerissen (auch mit Hilfe deutscher Archäologen, die mit “deutscher” Gründlichkeit vorgingen). Kritisiert als “künstliches Ruinenfeld” mit isoliert herumstehenden Großbauten. Auf Abbildungen sieht man, dass Akropolis vor weniger als 200 Jahren noch lebendige Stadt, mit Häusern und Gärten und Ställen und mit Gassen, in denen sich Menschen und Tiere drängten. Heute unvorstellbar.

 

Wechselvolle Geschichte:

–          schon in mykenischer Zeit besiedelt, auf höchstem Punkt Königspalast, verfällt nach dorischer Einwanderung (XI)

–          danach, in der Zeit der herrschenden Adelssippen (VIII), nicht mehr Machtzentrum, sondern Heiligtum für verschiedene Gottheiten

–          dann Heraushebung der Athene aus Vielzahl der Götter durch ersten monumentalen Tempel, zum Teil aus Holz (VI), dann, in der Zeit des Tyrannen Peisistratos und seiner Söhne, Abriss und Bau eines ganz aus Stein gebauten Tempels, außerdem Eingangstor und Tempel für Artemis

–          zweimal gründlich zerstört, von Persern (als Athener sich mit Sack und Pack nach Salamis zurückzogen) und von Herulern. Nach Perserkrieg blieb Ruine absichtlich erhalten. Fragmente der alten Bauten wurden in Festungsmauer eingefügt, noch heute von Plaka aus zu sehen! Dann, unter Perikles, Errichtung der klassischen Bauten.

–          Parthenon in byzantinischer Zeit orthodoxe Kirche, unter den Franken lateinische Kirche, in türkischer Zeit Moschee und später Pulvermagazin, Propyläen in byzantinischer Zeit Amtssitz des Bischofs, unter Venezianern Palast, in türkischer Zeit Sitz des Festungskommandanten, Erechtheion in türkischer Zeit Harem!

 

Noch vor den Propyläen, links vom (heutigen) Eingang, Beule-Tor, ein festungsartiges Tor, viel jünger als andere Bauten, errichtet vor dem Heruler-Einfall unter Valerian (III), Benannt nach dem franz. Archäologen, der es unter den türkischen Befestigungen entdeckte.

 

Propyläen “nur” ein Eingangstor, trotz gewaltiger Dimensionen und Ähnlichkeit mit einem Tempel. Stellte alles in den Schatten, was es bis dahin gegeben hatte. Wird, wie Parthenon, den “Neueren” zugeschrieben, dagegen Nike-Tempel und Erechtheion eher “konservative” Bauten. Unterhalb des linken Seitenflügels Pfeilermonument, auf dem Viergespann stand. Dorische Säulen (sechs auf jeder Seite) außen, ionische Säulen innen, die prachtvolle Kassettendecke trugen. Linker Seitenflügel diente als Pinakothek und als Raststätte für Ankommende. Rechter Seitenflügel wurde mit Rücksicht auf Nike-Tempel kleiner gehalten. Erstaunlich, dass Asymmetrie in Kauf genommen wurde, aber auch erstaunlich, wie wenig Asymmetrie auffällt. Propyläen dienten u.a. als Vorbild für Brandenburger Tor.

 

Nike-Tempel hatte, im Gegensatz zu Parthenon, wirkliche Tempelfunktion. Der Göttin Athene geweiht, im Tempel auf Kultbild als Siegesgöttin, aber ohne Flügel dargestellt (um sie von der geflügelten Nike abzusetzen). Davor Altar, auf dem Opfer dargebracht wurden.

 

Parthenon kein eigentlicher Tempel. Kein Opferaltar, Statue der Athene (aus Gold und Elfenbein) hatte eher Repräsentationsfunktion. Auch Aufbewahrungsort für die Kasse des Seebundes (aus der die Bauten finanziert wurden). Fast der gesamte Bau aus Marmor vom Penteli. Berühmte Kunstgriffe, um monumentalem Bau die Schwere zu nehmen:

–          Säulen haben mehr Kanneluren als üblich

–          Säulen verjüngen sich nicht gleichmäßig, sondern sind bauchig wie Flasche, mit Schwerpunkt unter Mitte

–          Säulen ganz leicht nach innen geneigt

–          alle waagerechten Linien leicht gekrümmt (Kurvatur)

Neben architektonischer Leistung reichster Skulpturenschmuck, sowohl an Außenwand des Tempels als auch an Außenwand der Cella: in den Metopen des (dorischen) Tempels Darstellung des Kampfs der Götter gegen die Giganten, der Kentaurenschlacht, der Amazonenschlacht und der Götterversammlung, am Fries der (ionischen) Cella Darstellung der Prozession der Panathenäischen Feier, in zwei Richtungen losgehend und sich am Eingang vereinigend. In den Giebelfeldern Darstellung der Geburt der Athene und des Wettstreits zwischen Poseidon (Quelle) und Athene (Ölbaum) um das Patronat Athens. Athene soll, weil auch Frauen wählen durften, die Mehrheit von einer Stimme gehabt haben, worauf man das Frauenwahlrecht abschaffte!

 

Nach Auskunft einer Archäologin wurde der fatale Schuss auf die Akropolis doch nicht von einem Deutschen, sondern von einem Venezianer namens Morosini abgefeuert. Glaube ich gerne.

 

Hinter dem Parthenon die Reste eines ionischen Rundtempels aus der Zeit Augustus.

 

Erechtheion unregelmäßiger Bau, eine Art Pantheon, allen übrigen in Athen verehrten Gottheiten und Helden geweiht. Hier Kassettendecke noch erhalten. Berühmtester Teil die sechs Karyatiden. Erechtheion war u.a. Vorbild für St. Pancras in London.

 

Am Ausgang ein beeindruckender Blick auf Aeropag, Thiseion und Pnyx, den Ort der Vollversammlung der freien Athener Bürger.

 

Auch hier bemerkenswerte Kontinuität: Die byzantinische Kirche hieß Hagia Sophia, die lateinische Kirche war der Jungfrau Maria geweiht, beides Attribute der Athene!

 

Immer wieder schön, hinter der griechischen Umschreibung (santouitV) ausländische Wörter zu entdecken, besonders Eigennamen, am schönsten Oskar Ouailnt.

 

Am Abend nach Psirri, einem Stadtteil, der vorher einen etwas zweifelhaften Ruf hatte und jetzt generalsaniert wurde: Fußgängerzonen, Straßencafés usw. Zum ersten Mal bei der Abenddämmerung, wenn Athen am schönsten ist, draußen gewesen. Auf dem Rückweg zufällig auf Agia Dinami gestoßen, von der vorher die Rede gewesen war, die winzige Kirche in der Nähe des Syntagma-Platzes, die unter einem Hochhaus steht, das ihretwegen auf Stelzen gesetzt wurde!

 

Donnerstag, den 27. März

In Griechenland besteht Wahlpflicht. Wenn man ihr nicht nachkommt, droht eine Geldstrafe und Entzug des Personalausweises.

 

In Hausaufgaben unsere wichtigsten Verblendungen genannt: Wir glauben, dass wir frei sind, wir glauben, die Welt sei so, wie wir sie wahrnehmen, wir glauben, anderen Zeiten überlegen zu sein, wir glauben, dass wir selbst denken: “Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst, denn wenn das Denken Denken Denken wäre, das wär’ das Denken gar nicht mal so schwer”.

 

Eine junge Französin antwortet im Unterricht auf die Frage, wo es ihr bisher am besten gefallen habe, erstaunlich abgeklärt: Überall. Sie habe bisher alle ihr Reisen genossen und überall Schönes und Neues entdeckt. Bis dahin konnte ich ihr folgen. Dann kam der Zusatz, sie fühle sich immer da wohl, wo sie gerade sei. Uns weniger Glücklichen geht es wie Freddy Quinn: “Fährt ein weißes Schiff nach Hongkong, hab’ ich Sehnsucht nach der Ferne, aber dann in weiter Ferne, hab’ ich Sehnsucht nach zu Haus'”.

 

Beim griechischen Vokabular hat man wenig, auf das man zurückgreifen kann, im Gegensatz z.B. zum Spanischlernen: pasaporte, aber diabathrio, policía, aber astunomia, interesante, aber endiaferon.

 

Freitag, den 28. März

In einer einfachen Grillstube drei Männer beobachtet, die typisch griechische Vorspeisen bestellten, Feta und Taramosalata usw. Dazu gab es Coca-Cola. Typisch griechisches Getränk eben. Einer von ihnen hatte die Höflichkeit, immer aufzustehen, wenn das Handy klingelte. Er verließ dann das Lokal zum Telephonieren. Immerhin! (An Ausschalten war allerdings wohl nicht zu denken). Dagegen auf der Straße ein junger Mann, der seine Freundin fest umschlungen hatte und gleichzeitig telephonierte (nichts typisch Griechisches!). Beim Verlassen des Lokals hielt ich einem Mann, der Kisten trug, die Tür auf. Er hielt es nicht für nötig, danke zu sagen. Kann mit den Leuten in Geschäften und Kiosken konkurrieren, die kaum ein Nein über die Lippen bringen. Unwillkürlich erinnert man sich an die merkwürdige Entscheidung des IOC, die Olympischen Spiele 1996 an Atlanta zu geben, als Athen die logische Wahl gewesen wäre. Bei der Begründung hieß es, die Amerikaner seien einfach viel freundlicher gewesen.

 

Am Abend zu einem Benefizkonzert für Asylanten ins Amerikanische Kolleg: ein paar bekannte Figuren der griechischen Musikszene (darunter eine Opernsängerin, eine Rocksängerin, ein Folksänger und ein Schnulzensänger), die zum Teil alleine, zum Teil mit einem anderen Orchester, zum Teil mit ihrem eigenen Orchester auftraten, dazu ein paar Schüler des Kollegs zur Ausstaffierung. Das Ganze ziemlich bunt zusammengewürfelt, laut und schier unendlich. Ein paar schöne Stücke eines dynamischen Orchesters aus Saloniki (mit Akkordeon und Xylophon, mit Flügel und Buzuki!), das traditionelle Musik modern spielte, besonders ein instrumentales Stück, das zum Schluss immer schneller wurde. Wunderbar. Das Kolleg in einem monumentalen Neo-Renaissancebau im Norden der Stadt untergebracht. Am Ausgang auf  den Außenminister aufmerksam gemacht worden, Papandreu, den Sohn von Andreas Papandreu. Für die ziemlich lange Rückfahrt im Taxi den Spottpreis von 5 € bezahlt. Dafür schalten sie in Deutschland kaum den Motor an.

 

Motor gehört, wie Musik, zu den Wörtern, die auf der ersten oder auf der zweiten Silbe betont werden können. Betonung auf der zweiten Silbe in beiden Fällen höhere Stilebene, aber Betonung auf der ersten Silbe bei Motor viel stärker akzeptiert (und bei Komposita die Norm) als bei Musik. Die “falsche” Betonung bei Musik könnte sich aber auf das Griechische berufen. Im Kreuzworträtsel auf Bucht gestoßen, das unterschiedlich ausgesprochen werden kann (vgl. Knie), je nach grammatischer Funktion: “Bucht die Fahrt an die Bucht!”

 

Der Hymettos musste nach dem Krieg aufgeforstet werden, da er von den Nazis völlig abgeholzt worden war.

 

Samstag, den 29. März

Numismatisches Museum unweit der Universität im ehemaligen Wohnhaus Schliemanns.

Schöne Namensverwirrung: griechisches Pendant zu Heinrich ist Erico, und als Folge davon wird daraus im Englischen Eric Schliemann! Prächtiger Neorenaissance-Bau mit doppelstöckiger Galerie zur Straße hin. Innen mit geometrischen Figuren und Motiven aus Pompeji, darunter auch die Swastika – in beiden Richtungen – in den schönen Deckenbemalungen und den Fußbodenmosaiken. Schliemann, Träumer und Pragmatiker, Autodidakt und Autokrat, charismatisch und halsstarrig, besessen von seiner Idee. Kinder hießen Agamemnon und Andromeda, Haus hieß Iliou Melathron.

 

Ursprüngliche Transaktionen durch Überschuss an Materialien. Davon sprachliche Spuren in Rupie (von Sanskrit rupa) und Kapital (von lat. capita, Kopf eines Weidetiers) und einem hebräischen Wort. In Übergangszeit Wertangabe in Anlehnung an Güter: Bronzewaffe ist neun Ochsen wert (Homer).

 

Münzen meist aus Gold, Silber und Bronze, selten auch Bernstein. Krösus macht als erster Legierungen aus Gold und Silber. Bald nach Einführung von Münzen auch Fälschungen, sowohl von Einzelnen als auch von Staaten. Bald drastische Strafmaßnahmen.

 

Münzen wurden in der Antike in der Regel gehämmert, nur wenige Beispiele (Italien, Spanien) für gegossene.

 

Erste Münzen mit ikonographischen Motiven in der Zeit der Tyrannei des Peisistratos (VI): Gorgone, Löwe, Amphore, Stierkopf. Zirkulierten kaum außer Athen, Zeichen der innengerichteten Weltsicht der Tyrannei. Athene und Eule erscheinen in der Demokratie, in der Zeit des Kleisthenes. Motiv bleibt bis in christliche Zeit erhalten, wird Standard wie Schildkröte in Ägina und Fohlen in Korinth. Später auch Ölzweig um Athene: Anerkennung der Hilfe der Göttin bei Perserkriegen! In Krise (nach Sizilienexpedition), viel mehr Bronzemünzen und Einschmelzen von sieben Statuen des Parthenon!

 

Aussehen einiger antiker Statuen nur bekannt durch Abbildung auf Münzen, z.B. Phidias Zeusstatue in Olympia, aber: nicht zuverlässig. Münzpräger wehrten sich, vor allem in der klassischen Zeit, dagegen, getreue Wiedergaben zu machen. Sie wollten ihren eigenen Stempel aufdrücken.

 

Auch Flora und Fauna abgebildet, aber kann auch emblematisch sein! Pferde in Thessalien nehmen Bezug auf Poseidon, der dort verehrt wurde, Rehe und Bienen in Ephesos auf Artemis. Auch Wortspiele mit dem Namen der Stadt: Apfel (mhla) in Milos, Rose (rodo) in Rhodos, auf Selmos der Sellerie (selino)!

 

Versuch der Standardisierung durch Athen stieß auf Widerstand, erst Alexander setzte Standardisierung durch. In dessen Zeit auch erstmals Portraits von Staatsmännern auf Münzen.

 

Tempel und Sehenswürdigkeiten erst in römischer Zeit, als Römer, um ein Gefühl von Autonomie zu vermitteln, eigene Münzprägungen erlaubten. Nostalgischer Rückblick auf glorreiche Vergangenheit, Beschwörung der kulturellen Leistungen – damals schon.

 

Auch Ausstellung einige sensationeller Schatzfunde, wie dem von Korinth mit über 50 Goldmünzen, der über 25 Jahrhunderte unentdeckt blieb!

 

Heutige große Kollektionen gehen auf meist in ihrer Grundsubstanz auf bekannte private Münzsammler zurück, darunter Petrarca, Alfons V. von Aragón, der Duc de Berry und Kaiser Maximilian.

 

Anschließend  Ausgrabungsfunde in U-Bahn-Stationen angesehen. In Panepistimiou kleine Amphoren und Behälter aus Keramik, bemalt und unbemalt, eine mit kleeblattförmiger Tülle. Auch merkwürdige, in der Form an Bomben erinnernde kegelförmige Objekte aus Stein, die der Beschriftung zufolge zur Jagd eingesetzt wurden. Wie ist ein Rätsel. Auch zwei rechteckige flache Steinsärge, zu klein für einen Körper, zu groß für eine Urne. Noch in Rätsel.

 

In Syntagma auch Gefäße, z.T. viel größer, aber interessanter eine hohe, lange Wand, ein freigelegter Teil des Bodens, auf dem die verschiedenen Kulturschichten abzulesen sind. Alles etwas unregelmäßig, aber grob ist die Entwicklung abzulesen. Unten Flussbett mit Teil der Kanalisation aus Zeit des Peisistratos (versorgte Athen mit Wasser von Hymettos). Darüber ein Straßenfundament, dann Sockel von Grabmonumenten und ein Grab mit Skelett. Dazwischen überall verschiedene Mauerreste. Viertel war ursprünglich außerhalb der Stadtmauern, daher die Gräber, wurde später nach Stadterweiterung zu privilegiertem Wohnviertel. Auch Tiergräber gefunden, ein Hund und Hund mit Pferd zusammen. In Hundegrab auch Nieten des Halsbands und zwei gläserne Gefäße mit Salben gefunden!

 

Lange eine moderne Plastik gesucht, die in dem Bahnhof ist, Aiqrio (1999). Die Lösung: Man muss ein Schild “Bitte nicht betreten” ignorieren, um dahin zu kommen. In einem hellen, hohen Schacht hängen, von unten sichtbar, an unsichtbaren Bindfäden schwarze Leitern und schwarze, aufgespannte Regenschirme, die sich an der glänzenden Außenschicht des Schachts gebrochen spiegeln und sich bei Einfahrt der Züge bewegen.

 

Bei der Rückfahrt in das Gedränge der sich auflösenden Demonstration gekommen, worauf man in der U-Bahn bestens vorbereitet war. Aufseher und Lautsprecherdurchsagen verhindern gefährliches Nachdrängen.

 

Man soll die Fahrkarte in der U-Bahn zwar bis zum Schluss aufbewahren, braucht sie aber nicht zum Verlassen der U-Bahn. Bedeutet das, dass man zwischendurch die U-Bahn verlassen und dann mit derselben Karte weiterfahren kann?

 

Zum Mittagessen in dem kleinen Lokal in der Nähe der Schule, Oi tria adelfia, gewesen, in das wir dieser Tage irrtümlich geraten waren. Besser und freundlicher als die anderen. Erstaunlicherweise leisten es sich diese kleinen Familienbetriebe, die mpakalotaberneV, nur mittags zu öffnen. Vielleicht ist abends die Nachfrage nicht so groß. Man geht eher mittags zum Essen, und wenn man abends geht, geht man in ein “richtiges” Restaurant. Oder es ist einfach die weise Entscheidung, nur so viel zu arbeiten wie nötig?

 

Als Faustregel für Preise gilt: Vom Syntagma nach Kolonaki teuer, vom Syntagma in die Plaka mittlere Preislage, um Omonia billig.

 

Auf Athens Erstem Friedhof liegen viele berühmte Griechen begraben, deren Namen in den letzten Tagen auftauchten: Makrygiannis, Averoff, Benakis, Melina Merkuri, Papandreu und Lambrakis, der Politiker, dessen Mord Gegenstand des Romas und später des Films Z wurde. Außerdem das Grabmonument eines weiteren “Griechen”, Schliemann. Auf dem Friedhof auch die Bronzeskulptur einer Mutter, die ihr Kind an die Brust drückt, in Erinnerung an die Überlebenden der deutschen Besatzung. Nach der Bestattung wird in Griechenland nicht nur in ein Café eingeladen, sondern den Trauergästen auch ein kleines Paket koliba mit nach Hause gegeben.

 

Artikel in Nea: Lord Byron, der Superstar der Romantik, ließ sich immer nur mit dem linken Profil abbilden. Selbstdarstellung ist keine Erfindung von Michael Jackson.

 

In den Fußballtabellen für die Europameisterschaftsqualifikationsspiele taucht neben den üblichen Ländernamen eine Abkürzung auf FYROM, die man nicht so ohne weiteres enträtseln kann. Stellt sich heraus als Kurzwort für „Former Yugoslavian Republic of Macedonia“, das man wohl geprägt hat, um das Wort Mazedonien zu vermeiden. Warum Mazedonien nicht gleichzeitig die Bezeichnung einer griechischen Region und eines unabhängigen Landes können sein soll, bleibt mir rätselhaft.

 

Sonntag, 30. März

Der offizielle englische Namen der griechischen Post ist erstaunlicherweise Hellenic Post – steht so an Postämtern.

 

Mit einer Tiropitta auf der Hand in die Metrostation und auf dem Weg zum Fahrkartenautomaten die automatische Durchsage gehört: “Wir machen darauf aufmerksam, dass Essen, Rauchen und Trinken im gesamten Bereich der Metro verboten ist”. Erst ignoriert, dann kurzes Zögern: Sollte das etwa mir gelten? Dann Zweifel, kann nicht sein. Dann Zweifel am Zweifel: Kann kein Zufall sein. Ich hatte die Durchsage vorher noch nie gehört, und sie kam nur auf Englisch. In der Athener Metro sitzt Big Brother.

 

Noch einmal hinaus nach Kiffisia, das bei besserem Wetter und mit mehr Volk auf der Straße ganz anders, mediterran, wirkte.

 

Die erhöhten Preise wirken sich für die normalen Griechen, für diejenigen, die sich ohnehin keine großen Reisen leisten können, vor allem insofern aus, als das Essen im Lokal um die Ecke teurer und für einige unerschwinglich geworden ist, ein wichtiger Einschnitt in der Lebensqualität.

 

Die Skala der Schulnoten geht von 1-20, mit 20 als Bestnote und 10 dem Minimum fürs Bestehen, an der Universität von 1-10, mit 5 als Minimum.

 

Für mich ist das Glas Wasser, das man unaufgefordert zum Kaffee bekommt, eine schöne Einrichtung, ein nettes Detail, eine Kuriosität am Rande, eine griechische Besonderheit, die man schätzt, aber kaum für wesentlich hält, für die Griechen ist das Glas Wasser ein unverzichtbarer Bestandteil des Service, der Lebensweise, eine Selbstverständlichkeit, auf deren Fehlen im Ausland man nur mit Unverständnis regieren kann. Beide haben recht. So zeigen sich auch an den Dingen, die wir positiv finden, die Grenzen unserer Verständigungsmöglichkeiten.

 

Bei dem Versuch, tiropita zu übersetzen, auf Teigtaschen gestoßen, und auch die schwäbischen Maultaschen werden nach demselben Prinzip gemacht, aber jede Übersetzung scheitert natürlich an der ganz anderen Stellung der Tiropita im Alltagsleben.

 

Auch wenn es wie die starken Verben das Partizip auf –en bildet, dürfte hauen ein schwaches Verb sein, da es den Stammvokal nicht verändert.

 

Montag, den 31. März

Die Handflächen zweimal hintereinander kurz mit schräg versetzten Händen aneinander reiben, bedeutet “nichts”, “weg”, “Schluss”. Den nach vorne gerichteten Zeigefinger auf dem ebenfalls nach vorne gerichteten Daumen hin- und herreiben, bedeutet “wenig”.

 

Manche griechischen Wörter kehren als “Fremdwörter” wieder ins Griechische zurück, wie Metropole, das ursprünglich einfach die Bezeichnung der Athener im Ausland für ihre ‘Mutterstadt’ war und dann in erweiterter Bedeutung wiedereingeführt wurde, wahrscheinlich aus dem Französischen.

 

Dienstag, den 1. April

Heute enttäuschender Besuch des Byzantinischen Museums, das zwar geöffnet ist, dessen interessante Abteilungen aber alle geschlossen sind. Zu sehen mehrere Fresken (XIV), zum Teil ziemlich schlecht erhalten, die gar nicht “byzantinisch” aussahen, vor allem eine Grablegung, im Gegensatz zu den Tafelbildern, darunter das bekannte Bild eines streng blickenden Michael.

 

Dutzende von Kreuzen, eisern, schwarz und ziemlich groß, dafür, dass man sie um den Hals trug. Gedrungener und breiter als bei uns, oft mit nach außen sich erweiternden Armen.

 

Anschließend Ausgrabungen in der U-Bahn-Station Evangelismos: Teile einer Wasserleitung (VI) mit Rohren aus Ton, die kurioserweise mit einem dekorativen Band bemalt waren, mit Nummern und Pünktchen bezeichnet, die als Richtschnur für die Verlegung dienten und mit kleinen, verschließbaren Auslassungen, die der Kontrolle dienten!

 

Die Augenbrauen scharf nach oben ziehen, so dass sich die Augen weit öffnen, heißt offensichtlich “Nein”. Das schuf in einer Buchhandlung heute ein Kommunikationsproblem. Dies eine Variante zur Standardversion, bei der man den Mund nach rechts unten zieht, ohne einen Ton zu produzieren, so als wolle man emphatisch “Oxi” sagen, ohne es zu sagen. Das ist schon eher zu verstehen, wenn auch alles andere als eindeutig.

 

Mittwoch, den 2. April

An der U-Bahnstation Akropolis Haushaltsgefäße, Webstuhlgewichte usw. Funde zum großen Teil aus “Müllhalden”: Nicht mehr gebrauchte Gefäße wurden in Brunnen geworfen, nachdem diese ihre Funktion durch Wasserleitung verloren hatten.

 

Auch große, schwarzfigurige Amphoren, die ursprünglich mit Öl gefüllt waren. Aus Resten der Beschriftung als Preis für Gewinner der Panathenäischen Spiele erkennbar. Zahl der Prämien zwischen 1 und 140, d.h. so viel, dass für den Privatgebrauch nicht nötig > Stiftungen an Weihestätten, zum Teil weit entferne Weihestätten.

 

Angesichts der vielen geschlossenen Museen auf kleinere Museen verlegt. Das Juwelenmuseum ist eigentlich eher ein Juweliersmuseum, nämlich das von Ilias Lalaounis, eines berühmten griechischen Juweliers, der in den Vierzigerjahren, “in dieser schweren Zeit für Griechenland”, Karriere machte, offensichtlich nicht zum Schaden seines Nachruhms. Er ist später auch Mitglied der Französischen Akademie der Künste geworden. Das Museum ist nicht zuletzt eine Verkaufsschau. Besuch fast überflüssig, aber zum ersten Mal überhaupt außerhalb der Schule eine etwas längere Konversation auf Griechisch gehabt. Opfer war eine Angestellte des Museums.

 

Den chronischen Kleingeldmangel aus der Zeit der Drachmen haben die Griechen auch in den Euro gerettet. Überall wird man gefragt, ob man es nicht kleiner habe, so auch im Juweliermuseum, wo ein Zehneuroschein für den Eintritt von drei Euro zu groß war. Als ich dann meine letzten Münzen zusammenkratzte, darunter auch Kupfer, um wenigstens einen Euro für die Metro zu behalten, schaute der Mann sogar ganz unverblümt in mein Portemonnaie. Als er auch noch die Finger ausstreckte, um hineinzugreifen, wies ich ihn, aus Mangel an sprachlichen Mitteln, sehr barsch mit “Oxi, oxi” zurück. Plötzlich wich er zurück, wurde freundlich und lächelte sogar! Unvorstellbar! Nur so verschafft man sich Respekt. “When in Rome, do as the Romas do”. Alles andere wird als Zeichen der Schwäche verstanden. Höflichkeit ist etwas für westeuropäische Weicheier.

 

Danach ins Türkische Bad in der Plaka, die um diese Jahreszeit am frühen Vormittag noch fast wie ein normales Stadtviertel wirkt und in der man sich, wie ich, prächtig verlaufen kann. An einer Straßenecke sprießen aus einem Autowrack Blumen, und drum herum steht aller möglicher Abfall, zu schön geordnet, um Abfallhalde zu sein, zu “natürlich”, um eine Skulptur zu sein. Aber was bedeutet dann das Schild “Keep Athens clean” davor?

 

Das Türkische Bad ist eins von nur zwei erhaltenen Gebäuden aus der türkischen Zeit und das einzige von ursprünglich drei türkischen Bädern von Athen. Das Gebäude hat zwei Stockwerke und einen komplizierten Grundriss. Es gab bei den Türken zwei Typen von Bädern, solche, bei denen gemeinsame Räume für Frauen und Männern zu verschiedenen Zeiten benutzt wurden, und solche, bei denen zur gleichen Zeit in getrennten Räumen gebadet wurde. Dieses Bad gehörte ursprünglich zum ersten Typ und wurde dann zum zweiten Typ umgebaut. Das erklärt den komplizierten Grundriss. Eine Art Dreiteilung wie in der Römerzeit wurde beibehalten, aber das Frigidarium wurde zu einem Empfangs- und Umkleideraum umfunktioniert. Dann ging es über warm nach heiß, mit Temperaturen, die über 40 Grad gehalten wurden, auch in den angrenzenden kleinen Räumen. Die Hitze wurde in einem Ofen produziert, der zwei Funktionen hatte, das Wasser zu erwärmen und Heißluft zu produzieren, die dann unter dem Boden hergeleitet wurde. In den Räumen Bänke und Fußwaschbecken aus Marmor, in den überkuppelten Räumen kommt das Licht durch kleine Rundungen in der Kuppel, was die Räume mystisch erhellt. Die Reinigung hatte von jeher nicht nur hygienische, sondern auch spirituelle Bedeutung und auch rituelle (für Frauen vor der Verlobung und vor und nach der Hochzeit Pflicht). Auf Bildern sieht man hochhackige, stelzenartige Schuhe, die wohl getragen wurden, um den Kontakt mit dem heißen Boden zu vermeiden. Man sieht Dienerinnen, auch schwarze, die Badegäste bedienen. Zum Baden gehörte auch Massage und Musik, und das Bad war auch wichtiges Kommunikationszentrum, vor allem für die Frauen angesichts der sonst eingeschränkten Bewegungsfreiheit.

 

In einem Café für ein Croissant und einen Kaffee 5 € bezahlt, ein Preis, dessen Zusammensetzung Rätsel aufgibt: 3,50 plus 1,50. Wenn der Kaffee 3,50 kostet, ist das Croissant unverhältnismäßig billig und der Kaffee unverhältnismäßig teuer, wenn nicht, warum ist dann der Kaffee so viel billiger als woanders? Zum ersten Mal überhaupt ohne Hilfe den Refrain eines Liedes verstanden: “Das Leben ist kurz”.

 

Anschließend in das wunderbare, etwas verstaubte, sehr charmante Museum für Instrumente der Volksmusik, wo man die Instrumente nicht nur sehen, sondern auch hören kann! Das Klarino (Klarinette), bei uns ein klassisches Instrument, kam aus der Türkei nach Griechenland (XIX) und machte mit Laute, Geige, Tamburin und Dulzföte die klassische Besetzung einer Volksmusikgruppe aus. Beim Klarino wurden die Griffe der herkömmlichen Volksmusik auf das neue Instrument übertragen.

 

Der Bogen, ursprünglich aus Zentralasien, kam über die Araber nach Byzanz (X). Das Instrument behielt den Namen Leier bei, obwohl es jetzt mit dem Bogen gespielt wurde. Die Leier hat drei Saiten. Sie werden aber nicht mit den Fingerspitzen auf den Steg hinuntergedrückt, sondern mit den Fingernägeln gedrückt. Überraschenderweise hat die Leier einen keltischen Klang. Die Schalmei klingt dagegen arabisch oder türkisch.

 

Im Untergeschoss alle möglichen Idiophone, Glocken, Schellen, Rasseln, Hörner, Holzlöffel, Wallnussschalenhälften und kleine Gläser, die aneinandergeschlagen werden (eins auf dem Daumen, eins auf dem Mittelfinger), Münzenkränze, die auf Karnevalskostümen auf der Brust getragen werden usw. Glocken, auch am Hals von Weidevieh, hatten zuerst Funktion, böse Geister zu vertreiben, dann praktische Funktionen (Tiere lokalisieren), aber auch ästhetische Funktion (wurden auf Instrumente der Hirten abgestimmt).

 

Am Ausgang Daoli (Trommel), auf dem Festland klassisches Rhythmusinstrument der älteren Volksmusik (über Schulter getragen, mit zwei unterschiedlich starken Stöcken geschlagen), das Gegenstück zur Toumbeleki der Inseln (zwischen Füssen oder unter dem Arm eingeklemmt, mit den Händen geschlagen).

 

In der Nähe des Theaters vor Beginn des Stücks einen Kaffee getrunken. Suche nach einem ruhigen Café vergeblich. Rätselhaft, wie sich junge und ältere Leute hier unterhalten, völlig unbeeindruckt von der lauten Popmusik, die außerhalb des Cafés wahrscheinlich keiner von ihnen hören würde. In der Friedhofsruhe deutscher Cafés sehnt man sich nach südländischem Leben, in südländischen Cafés sehnt man sich nach der Friedhofsruhe deutscher Cafés.

 

Auf der “Jungen Bühne” des Nationaltheaters eine packende Aufführung von Pirandellos Sechs Personen gesehen, eine Aufführung mit immer neuen, verblüffenden Licht- und Toneffekten, mit viel Bewegung und leisen und lauten Tönen. Plötzlich konnte es dunkel und ebenso plötzlich wieder hell werden, so grell, dass man geblendet wurde. Schüsse knallen plötzlich in die Stille, Figuren verschwinden wie bei einem Zaubertrick, Handys klingeln, Statuen werden zu Figuren und Figuren werden zu Personen. Konnte man genießen, auch ohne etwas zu verstehen.

 

Immer wieder die Frage, warum ich Griechisch lerne. Wenn man Englisch lernt, wird man das nie gefragt. Noch keine funktionierende Antwort gefunden: “Aus Interesse an Sprachen”, “Weil die Buchstaben so schön aussehen” “Griechenland ist die Wiege der europäischen Zivilisation” “Nur so” und “Aus Masochismus” alle nicht sonderlich erfolgreich.

 

Donnerstag, den 3. April

Die Diskussion um die Tilgung der Religion aus dem Reisepass ist kein Streit, wie ich dachte,  zwischen EU und Griechenland, sondern ein innergriechischer  Streit. Es war ein Beschluss einer von der Regierung eingesetzten Kommission, der als Verwaltungsakt rechtskräftig wurde und dann auf Widerstand stieß.

 

Eleftherios Venizelos ist so bekannt, dass viele meinen, der Eleftherias Park sei nach ihm benannt, zumal in dem Park eine Statue von ihn steht. Ist er aber nicht. Der Name heißt ganz wörtlich “Freiheitspark” und erinnert an die während der Diktatur von der Militärpolizei gefolterten Abweichler. Deren Zellen waren da angesiedelt, wo heute der Park ist.

 

Venizelos, in Kreta noch unter türkischer Herrschaft geboren,  schafft als Premierminister stabile Grenzen zwischen Griechenland und Türkei, veranlasst Bevölkerungsaustausch, erreicht durch Kriegseintritt an Seite der Entente Gebietsvergrößerung (Thrakien, Dodekanes), leitet Reformen in Bildung und Landwirtschaft ein und errichtet Luftflotte. Charismatischer Politiker, auch von Gegnern anerkannt, nimmt aber zweimal Spaltung der Nation in Kauf, einmal (1915) durch Konflikt mit König (König geht ins Exil  > dann Plebiszit > Rückkehr des Königs > Venizelos geht ins Exil, stiftet Revolte an > König geht ins Exil!), einmal (1935) durch Gründung  einer provisorischer Regierung im Ausland und Staatsstreich. Geht am Ende des Lebens wieder selbst in Exil und stirbt dort. In seinem Museum ist u.a. das Unterhemd ausgestellt, das er bei einem Attentat auf ihn in Lyon trug (1920) und das zwei Löcher von Kugeln aufweist, und das Auto, in dem er bei einem weiteren Attentat saß (1933) und an dem auch die Einschläge der Kugeln zu sehen sind.

 

Heute am späten Nachmittag ziellos in der Gegend um die Akropolis herumgelaufen und dabei auf Agios Asomaton gestoßen, eine kleine Kirche, die ein gutes Stück unter dem heutigen Bodenniveau liegt und deshalb niedriger wirkt als sie ist. Zentraler, nach Westen ein wenig verlängerter Bau mit drei kurzen Apsen im Osten und kleiner, sechseckiger Kuppel. Innen strömt Licht nur durch kleine runde Auslassungen in Kuppel und Querschiffwänden, was Ikonen, Fresken (auf leuchtendem Goldhintergrund in den Apsen) und die allseits herabhängenden Leuchter besonders in Szene setzt, obwohl die Feierlichkeit etwas dadurch beeinträchtigt wurde, dass ein Bügeleisen auf dem kleinen Tisch vor dem Ikonostat stand.

 

Dann direkt an der Stoa vorbeigekommen und dann auf einem Fußpfad, der wohl das Ende des ehemaligen Heiligen Weges gewesen sein muss, von unten an den Areopag gekommen, eine der schönsten Stellen des Zentrums, mit steil aufragenden Felsen und hohen Bäumen. Auf den Aeropag geklettert. Dort guter Überblick und schöner Blick auf das Thiseion, das von Ferne her die Akropolis glatt ausstechen kann – aber so etwas kann wohl nur ein Barbar empfinden. Dann rechtzeitig wieder heruntergeklettert, um die Paare nicht zu stören, die hier den Sonnenuntergang erwarten.

 

Heute festgestellt, dass die Metrostation Panepistimiou einen zweiten Eingang hat, der viel günstiger für mich ist. Vier Wochen lang auf dem Hin- und Rückweg daran vorbeigelaufen und den entfernteren Eingang benutzt. Deutsche Organisation.

 

Eine schöne Sitte ist es, angesichts fehlender Speisekarten dem Koch in den Topf schauen zu können. Erleichtert die Auswahl und gibt heimisches Gefühl.

 

Freitag, den 4. April

Zwischen Akademias und Panepistimiou Bäume mit violetten Knospen, aus denen Ansätze von Blättern sprießen. Ungewöhnlich – man glaubt zuerst, das Violette seien Blüten – und ungewöhnlich schön, Schönheit noch akzentuiert durch die darunter stehenden Motorräder.

 

Am Morgen ins Stadtmuseum, wo ich der einzige Besucher war, dafür fast ein Dutzend Aufseher in den verschiedenen Abteilungen. Außer Möbeln des 19. Jh. und einem handgeschriebenen Exemplar der Verfassung von 1842 vor allem Gemälde, darunter zweimal Byron, einmal ein bekanntes Portrait eines unbekannten Malers, einmal ein unbekanntes Bild mit Byron, griechisch gewandet, an einem Baum sitzend und den Blick in die Ferne auf die Akropolis gerichtet. Daneben hauptsächlich Stadtansichten (XIX): zwei Stadtmauern, mit fast allen Häusern innerhalb des ersten Rings und dem Hadrianstor noch außerhalb des zweiten Rings! Häuser dichtgedrängt, mit vier schlanken Minaretten, die herausragen. Akropolis mit Frankenturm und einer verlängerten und erhöhten Festungsmauer, hinter der die klassischen Gebäude fast verschwinden. Hirten am Lysistratos-Denkmal und Kamele am Hadrianstor. Oft mit volkstümlichen Figuren ausstaffiert und nicht immer wörtlich zu nehmen, aber bebaute Akropolis wiederholt sich zu oft, um Zufall zu sein. Unter den Gemälden auch ein Turner, der sich durch die hellen, leuchtenden Farben abhebt. In einem Stadtmodell von 1842 sieht man noch die Moschee in der (ansonsten “gesäuberten”) Akropolis und den beginnenden Ausbau der Neustadt, vor allem zwei zirkelförmig von Omonia ausgehende Trassen.

 

Nach dem Abendessen in einer nahegelegenen Taverne, bei der mal wieder die gemischten Vorspeisen das Beste waren, in ein Rembettiko-Lokal, untergebracht in den etwas schummrigen Räumen eines ehemaligen Wohnhauses. Gruppe auf einem winzigen Podium eingezwängt, tat Qualität aber keinen Abbruch. Schöne Musik, für das ungeübte Ohr vielleicht nicht sehr abwechslungsreich, immer etwas melancholisch, auch bei schnellen Rhythmen, eine Art griechischen Blues. Musiker sitzen alle während der Aufführung. Rembettiko wurde von den Flüchtlingen aus Kleinasien mitgebracht, ist in seinem Ursprung auch mit Halbweltmilieu assoziiert. Erreichte in den Vierzigerjahren Höhepunkt ihrer Popularität, erlebt seit den Achtzigerjahren Renaissance.

 

Samstag, den 5. April

Abfahrt in strömendem Regen, wie es ihn in den ganzen vier Wochen nicht gegeben hat. Erleichtert die Abreise.

 

____________________________________________________________________________________________

Die Restauration des Parthenon dauert jetzt schon länger als sein Bau.

Bei den Olympischen Spielen gab es für den ersten Platz Silber, für den Zweiten Bronze und für den dritten nichts.

Spiro Louis gewann den Marathonlauf, obwohl er noch nie Sport getrieben hatte.

Propyläen waren in türkischer Zeit Sitz des Festungskommandanten, Erechtheion sein Harem.

In der Metro überwacht Big Brother die Fahrgäste.

Im Kino gibt es mitten im Film eine Pause.

In antiken Theater zahlten die Zuschauer nicht, sondern bekamen sogar noch einen Obulus.

 

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *