Malta (2012)

10. Februar (Freitag)

Malta hat eine eigene Fluglinie. Das ist durchaus der Rede wert, denn Malta ist ein kleines Land. Es hat noch nicht einmal eine halbe Million Einwohner. Das ist so, als ob Bremen eine eigene Fluglinie hätte.

Der Flug dauert fast drei Stunden, etwas länger, als ich gedacht hatte. Die Durchsagen kommen in drei Sprachen, Englisch, Deutsch und Maltesisch, einer mit Italianismen durchsetzten semitischen Sprache. Geschrieben wird Maltesisch, oder Malti, mit lateinischen Buchstaben.

Das Essen an Bord ist sehr bescheiden, sogar im Vergleich zu dem, was man sonst so bekommt in Flugzeugen. Das dänische Paar neben mir trifft die weise Entscheidung, das Essen mit Hilfe von Rotwein und Weißwein aufzubessern, während ich beim Wasser bleibe. Den Rest der Flugzeit verbringen sie damit, laut schmatzend Küsse auszutauschen, wie Teenager, aber sie haben die Midlifecrisis längst hinter sich.

Die maltesische Zeitung, The Times, ist auch nicht viel besser als das Essen. Die wichtigsten Nachrichten sind die vom Wetter, also von der Kälte. Von Rekordniedrigtemperaturen ist die Rede, von Temperaturen, die viele Malteser noch nie erlebt haben, und die Aussichten für die nächsten Tage sind alles andere als rosig. Der beste Tag soll ausgerechnet heute sein. Die anderen Urlauber haben sich entweder genauso verschätzt wie ich oder nehmen das in Kauf. Das Flugzeug ist jedenfalls rappelvoll.

Als wir in Malta ankommen, fühlen sich die 12°, trotz Wind, tatsächlich sommerlich an nach den eisigen Tagen in Deutschland. Die Sonne scheint, und der Himmel ist blau.

Man braucht die Uhr nicht umzustellen und kein Geld umzutauschen. Malta hat seit 2008 den Euro, obwohl es erst seit 2004 in der EU ist.

Die Fahrt nach Valletta, mit einem ganz normalen, ziemlich modernen Linienbus, kostet 2,20. Das ist nicht teuer, aber auch nicht der Preis eines Billigreiselands.

Im Bus sitzen viele Schwarze: Malteser? Gastarbeiter? Flüchtlinge? Malta hat, wie Sizilien, viele Bootsflüchtlinge.

Natürlich wird hier links gefahren. Das Empire lässt grüßen. Die Strecke führt durch eine uninteressante Gegend, und so scheint es auch der Busfahrer zu sehen, der so auf die Tube drückt, als wolle er sagen: Nichts wir weg hier. Es ist aber erstaunlich grün. Von der Stein-und Sandwüste, als die Malta oft beschrieben wird, nichts zu sehen. Aber das liegt vielleicht an der Jahreszeit und dem ungewöhnlichen Wetter.

Schon vor der Endstation kommen die Ausläufer der mächtigen Stadtmauer in Sicht. Das sieht wie Rhodos aus. Kein Wunder, da waren die Johanniter, bevor sie nach Malta kamen. Malta war ihnen von Karl V. angeboten worden, aber sie standen lange nicht darauf, denn Rhodos sollte von den Türken zurückerobert werden. Schon vorher habe ich bei einem Blick auf einen Kartenausschnitt von Valletta an Rhodos gedacht. Die Altstadt liegt auf einer Landzunge, auf beiden Seiten vom Meer umgeben, mit der Befestigung an der äußeren Spitze. Der Kartenausschnitt täuscht  aber. Rhodos liegt auf der äußersten Spitze der Insel, im Norden, Valletta im Osten, etwa auf mittlerer Höhe.

Der Ausstieg ist an einem palmenbestandenen, runden Platz, gleich vor dem Zugang zur Altstadt von Valletta. Hier ist ziemliches Gedrängel. Eine große Gruppe von Schülern steht auf dem Rand eines Brunnens und springt für das Photo auf Kommando unter fröhlichem Geschrei gemeinsam herunter.

In die Altstadt geht es durch das City Gate. Das verbirgt sich aber hinter Bauzäunen. Eine großangelegte Restaurierung ist im Gange. Ich kann auch die Reste des Opernhauses nicht entdecken. Das ist als einziges Gebäude nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut worden. Malta wurde durch italienische und deutsche Bombenangriffe schwer getroffen.

Der erste Eindruck, wenn man hinter das Stadttor kommt, ist: Das ist schön, sehr schön. Der zweite: still, sehr still, vor allem im Vergleich zu dem Treiben vor dem Stadttor. Dafür kann es zwei Gründe geben: Mittagszeit (in südländischer Definition) oder Feiertag. Im Flugzeug habe ich gelesen, dass heute, am 10. Februar, das Patronatsfest Maltas ist, das Fest des Hl. Paulus, genau genommen das Fest Paulus des Schiffbrüchigen. Der Hl. Paulus ist nämlich auf seiner Reise nach Rom als Schiffbrüchiger in Melite gelandet, und das wird gerne mit Malta gleichgesetzt, vor allem von den Maltesern. Schon wieder eine Parallele zu Rhodos. Ich kann mich erinnern, dass es dort irgendwo eine St. Paul’s Bay gibt, genau wie hier auf Malta, der Ort, an dem der Apostel an Land gekommen ist. Der Unterschied ist der, dass Malta sich dabei auf die Apostelgeschichte berufen kann, in der von dem Schiffbruch die Rede ist.

Das Hotel liegt ganz in der Nähe des Stadttors, gleich in der zweiten Querstraße, der South Street. Alle Straßennamen sind zweisprachig. Auf dem Weg sehe ich zum ersten Mal etwas, was den ganz besonderen Reiz von Valletta ausmacht: steil abfallende, schnurstracks verlaufene, enge Straßen, die auf das Meer zulaufen. Nicht schlecht.

Das Hotel ist unscheinbar von außen, eher klein, aber gepflegt und modernisiert und gut in das alte Gebäude eingepasst, mit einer kleinen Eingangshalle mit Marmorfußböden, großen Blumentöpfen und Teppichen.

Kassiert wird hier im Voraus. Und nichts ist im Preis inbegriffen: Frühstück, Safe, Internetzugang, für alles muss extra bezahlt werden. Das war im teuren Schweden alles inbegriffen. Der freundliche ältere Herr an der Rezeption will meine Laune aufbessern, indem er mir mit strahlendem Lächeln ein Zimmer mit Meerblick ankündigt. Wenn man aus dem Fenster sieht, sieht man aber erst einmal gegen eine Wand. Um das Meer zu sehen, muss man sich schon strecken, aber immerhin. Sonst hat das Zimmer alles, was man begehrt, nur mal wieder keinen Schreibtisch und keine vernünftige Leselampe, aber die erwarte ich schon längst nicht mehr.

Wie komme ich zu dem Privileg des Zimmers mit Meerblick? Vielleicht bin ich für Valletta ein Langzeitgast. Die meisten wohnen vermutlich in den klassischeren Touristenorten oder machen eine Rundreise und bleiben nur eine Nacht hier – oder gar nicht.

Es ist noch früh genug, eine erste Erkundung zu machen. Damit hatte ich für heute gar nicht mehr gerechnet. Ich folge der South Street Richtung Mittelachse. Alles ist regelmäßig, schachbrettartig angelegt. Sofort fallen die vielen schönen Fassaden und Balkone auf, oft bunt, meistens aus Holz.

Ich gehe ziellos weiter und stehe nach ein paar Minuten unversehens vor der Kathedrale mit ihrer strengen, fast fensterlosen Fassade mit den zwei stumpfen Türmen. Rechts sind drei Zifferblätter angebracht, die Stunde, Datum und Wochentag anzeigen. Hoch im Giebel über dem Portal ein bronzener Christuskopf, und darüber das Malteserkreuz, auch aus Bronze. Der Platz vor der Kathedrale, mit zwei Cafés und den weiteren, unmittelbar an die Kirche anschließenden Gebäuden, ist schön.

Ich gehe weiter und höre irgendwo Musik. Hört sich nicht gerade südlich-ausgelassen an. Ich folge den Klängen und stoße auf die Prozession aus Anlass des Paulus-Festes, die mir der Portier so sehr ans Herz gelegt hat. Die Straßen sind mit grünen Girlanden und gelb-roten Bannern geschmückt, und an verschiedenen Stellen stehen bunte Heiligenfiguren und Säulen aus den Kirchen. Die Prozession selbst, die sich durch die engen und steilen Straßen bewegt, kann ich nicht sehen. Vermutlich wird die Apostelstatue durch die Straßen getragen. Sehen kann man aber die weißen Papierstreifen auf dem Boden und das weiße Konfetti, das von den Balkonen auf die Prozession hinuntergeworfen wird. Das Konfetti, von der Kamera kaum einzufangen, scheint in der Luft herumzutänzeln, von den hellen Sonnenstrahlen beleuchtet.

Hier drängt sich alles, und ich mache mich in andere Ecken auf. Ich komme an mehreren ehemaligen Palästen vorbei und an unendlich vielen Kirchen. Die Kirchen sind, im Gegensatz zu der Kathedrale, die einen Vorplatz hat, oft kaum zu entdecken, da sie in die engen Gassen eingezwängt sind, manchmal mit kunstvollen konkaven Fassaden. Die Paläste sind meist die ehemaligen Residenzen der einzelnen „Zungen“, d.h. der Landsmannschaften, des Johanniterordens oder einzelner Ritter. In einigen von ihnen sind heute Ministerien untergebracht. Die Politik wusste schon immer, wie die Kirche, wo es sich gut lebt.

Ich muss zum Theater und zur Touristeninformation. Es geht um Karten für eine Theaterbesichtigung und um Karten für die Besichtigung des Hypogäums in Paola. Aber das Theater ist geschlossen, und die Touristeninformation lässt sich noch nicht einmal finden. Also lasse ich mich einfach durch die einsamen Straßen treiben und genieße Sonne und Stadt. Plötzlich habe ich, als ich um eine Ecke biege, ein spektakuläres Bild vor mir: Von einer erhöhten Warte sieht man, der Sonne entgegenblickend, auf die sich entlangschlängelnde Stadtmauer, das blaue Meer, eine Insel und die Ausläufer der gegenüberliegenden Städte hinunter.

Trotz eines Plans vom Hotel muss ich mehrmals nach dem Weg fragen. Mit Englisch kommt man wirklich bestens zurecht. Fast alle sprechen Englisch, wenn auch nicht alle. Aber mit Standardenglisch hat das oft wenig zu tun, nicht nur in der Aussprache. Der Portier des Hotels sagt tatsächlich, als er mir den Schlüssel gibt, Please,  und eine Frau, die mir den Weg zeigt, sagt You have to go to the right. Das ist Schülerenglisch. Es ist Ergebnis einer cleveren Marketingstrategie, dass Malta sich als „englischsprachiges“ Land verkauft und Englischkurse anbietet.

Je weiter ich mich von der Prozession entferne, umso einsamer wird es. Als ich gedankenverloren eine Straße entlang gehe, hört man plötzlich einen Böllerschuss, und dann noch einen, und ich schrecke zusammen wie ein Schulmädchen. Dann entwickelt sich das Ganze zu einem echten Feuerwerk, nur dass man nichts sehen kann. Manchmal glaubt man einen Rhythmus zu erkennen, so als handele es sich um eine Feuerwerkssymphonie, aber dann wieder hört es sich einfach nach Krach an. Der Lärm ist jedenfalls ohrenbetäubend.

Als ich am unteren Ende der Landzunge, auf der Valletta liegt, ankomme, bin ich praktisch alleine. Hier liegt das Fort St. Elmo, in dem passenderweise das Kriegsmuseum untergebracht ist. Darüber weht die maltesische Flagge, rot und weiß mit dem Georgkreuz (nicht dem Malteserkreuz!) in der oberen weißen Hälfte. Die Farben gehen zurück auf das Wappen eines der französischen Johanniter.

Immer wieder neue Reisebilder stellen sich ein, unwillkürlich: Rhodos, Jerusalem, Porto, Sizilien, Havanna. Das ist nicht an den Haaren herbeigezogen: Jerusalem und Rhodos sind die vorherigen Standorte der Johanniter, und Porto, Sizilien und Havanna gehörten alle zu dem Reich Karls V., als der den Johannitern Malta vermachte.

Auf dem Rückweg zum Hotel frage ich mich, ob es stimmen kann, dass Valletta wirklich nur 8.000 Einwohner hat. Ich hätte mich grandios verschätzt.

11. Februar (Samstag)

Als erstes am Morgen genieße ich den Meerblick aus meinem Zimmer. Wie befürchtet, zeigt sich der Himmel heute weniger freundlich. Dichte Wolken. Aber kein Regen.

Die Dusche des Hotels hat nicht einen und nicht zwei, sondern drei Ausgänge für das Wasser. Einen festen oben, einen festen unten, für die Badewanne, und einen beweglichen. Es gibt aber nur einen Regler, und das Wasser kommt, in unterschiedlichen Kombinationen, immer aus zwei von denen gleichzeitig heraus, was immer man tut, manchmal aus allen dreien. Da kann man Kopf, Rücken und Beine gleichzeitig bearbeiten.

Das Frühstück im Hotel ist britisch. Das merkt man am Vorhandensein von Baked Beans und dem Nichtvorhandensein von Dosenmilch.

Danach mache ich mich gleich auf den Weg. Auch bei Wolken ist Valletta schön, und im Laufe des Tages bricht immer mal wieder die Sonne durch.

Das erste Ziel ist die Touristeninformation. Ein erster Fortschritt: Durch eine zufällig offen stehende Tür kann ich jetzt wenigstens lokalisieren, wo sie sich befindet. Aber sie ist geschlossen.

Das nächste Ziel ist die Bibliothek, einfach deshalb, weil sie früher öffnet als die Museen und Kirchen. Auf dem Weg dahin komme ich an der Kathedrale vorbei. Dort ist gerade Gottesdienst. Ein Schild weist darauf hin, dass das Betreten mit Stöckelschuhen verboten ist, und es gibt sogar eine Abbildung, die angibt, wie hoch die Absätze sein dürfen. Die Tür steht einen Spalt auf, und man hört deutlich die Stimme des Priesters, der den Herrgott anruft. Der heißt hier Signor Alla.

Ich frage eine ältere Dame, die gerade aus einem Hauseingang kommt, nach der Bibliothek. Sie ist etwas verdutzt und sagt, die Bibliothek sei, soweit sie wisse, nach Floriana verlegt worden. Ich zeige ihr das Bild aus dem Reiseführer und sofort fällt der Groschen: Ah, big building. Jetzt ist sie im Bilde und weist mir den Weg, etwas peinlich berührt von ihrer eigenen Unkenntnis. Die Bibliothek ist gleich um die Ecke.

Dort bekommt man einen Besucherausweis verpasst und wird in die erste Etage geschickt.

Vor dem Eingang in den Leseraum sind zwei Maschinen aufgestellt, wahre Ungetüme, eine mit einer großen Handkurbel betriebene Guillotine von 1929, mit der Buchdeckel geschnitten wurden, und ein Apparat, mit dem Bücher auf Mikrofilme kopiert wurden. Beide sehen aus wie aus einer anderen Welt, aber sind bis vor gar nicht allzu langer Zeit noch im Einsatz gewesen, die Guillotine noch bis 2005! Vor den Apparaten steht ein Schild mit der Aufschrift TmissxDo not touch.

Die eigentliche Bibliothek ist in einem einzigen Saal untergebracht, mit Büchern auf allen vier Seiten. Ich bin der einzige Besucher. Die Bücher, alle ehrwürdig gealtert, in Leder gebunden, mit Buchdeckeln in Braun und Beige, sind nach Größe geordnet. Der Abstand zwischen den Regalen wird nach oben immer kleiner. Die unteren Reihen sind durch Drahtgitter vor dem Zugriff der Benutzer geschützt, aber man kann die Titel lesen. Ich sehe eine Biblia Polyglotta in 12 Bänden.

Alles in dem Raum ist trotz der altehrwürdigen Bücher etwas vernachlässigt: verkratzte Rahmen, schief hängende Portraits, geflickte Glasscheiben, verbogene Drähte, lockere Kacheln, eine stehen gebliebene Uhr, und zwischen den Regalen rote Gasfässer und Feuerlöscher.

Den hinteren Bereich der Bibliothek darf man nicht betreten. Der ist nur für Forscher. Tatsächlich sitzen irgendwo zwei alte Männer über Bücher gebeugt. Die habe ich erst gar nicht gesehen.

Vorne, im Besucherbereich, gibt es unter altertümlichen Holzvitrinen eine Ausstellung. Alles hier handelt sich um Ninu Cremona: Photos, Urkunden, Manuskripte, Briefe, Ausweise, Portraits, Diplome, ein Postsiegel, sogar ein Poesiealbum von Ninu Cremona. Was es mit diesem Ninu Cremona auf sich hat, bekomme ich nicht heraus, denn die Beschriftung ist nur auf Maltesisch. Ich meine erst, er hätte etwas mit Sprache zu tun, aber die einzige englische Urkunde ist ein Diplom in Sanitary Engeneering. Ein paar Bücher tragen als Autorennamen A. Cremona, und erst glaube ich, es wäre ein Verwandter, aber dann merke ich, dass A. für Antoni steht, und das ist die vollständige Form von Ninu.

Beim Verlassen des Raums fällt mein Blick auf eine kleine Bronzestatue, die ich bis dahin nicht gesehen hatte. Es ist – oh Wunder – eine Statue von Ninu Cremona.

Vor dem Bibliotheksgebäude sehe ich erst jetzt eine Marmorstatue auf einem Sockel. Die Inschrift ist so verwaschen, dass man sie nicht mehr lesen kann, aber die Dargestellte ist unschwer zu erkennen: Queen Victoria.

Dann kommt der dritte Versuch mit der Touristeninformation. Jetzt ist sie geöffnet. Aber von einer reservierten Karte für das Hypogäum weiß man nichts. Nach einigem Drängen und einigen Telefonaten wird dann bestätigt, ich sei für Montag auf der Besucherliste.

Dann gehe ich zum Theater. Das ist jetzt auch geöffnet. Man kann Karten unmittelbar vor der Führung kaufen. Ich solle einfach fünf Minuten vorher da sein.

In die Kathedrale gelangt man als Besucher durch einen Nebeneingang. Dem ersten Eindruck tut das aber keinen Abbruch: überwältigend. Eine überbordende Pracht von Farben und Ornamenten. Und das nach der strengen Fassade.

Die Wand der Seitenkapelle, auf die man zuerst zuläuft, hat, von oben bis unten, auf blauem Untergrund, eine unendliche Folge von vier Motiven, alle in Gold: die Initialen des Großmeisters, seine Krone, sein Emblem und das Malteserkreuz.

Und wie zur Steigerung kommt dann der eigentliche Kirchenraum: Marmorskulpturen, Bodenplatten, Deckengemälde, ein riesiger Baldachin, Wappen, zwei Orgeln, ein silberner Lüster, vergoldetes Blattwerk. Pure barocke Lust an der Pracht. Von den nackten Mauern ist so gut wie nichts zu sehen.

Die Kirche war der erste Bau der Johanniter nach der Gründung Vallettas. Sie sollte das Zentrum des neuen Zentrums werden. Nach der Belagerung der Insel durch die Türken, die nur unter großen Verlusten überstanden worden war, kam man zu dem Entschluss, die Insel zu befestigen. Bei der Standortwahl gab das Fort St. Elmo den Ausschlag, das sich bei der Belagerung bewährt hatte. Hinter diesem Fort entstand die neue Stadt, benannt nach dem Großmeister Jean de la Valette, einem der Helden der Belagerung. Die Kirche sollte ganz im Zentrum der neu zu gründenden Stadt stehen.

Die Kirche wurde in nur vier Jahren Bauzeit vollendet, und das ursprüngliche Kircheninnere war genauso schmucklos wie das Äußere. Erst später spürte man das Bedürfnis, es den großen Barockkirchen Roms gleichzutun und die Kirche auszuschmücken. Mit einem Jahrhundert Verspätung, und auf ganz eigene Weise.

Eine Besonderheit der Kirche sind die Bodenplatten, bunte, flache Marmorplatten, alles gleich groß, die eine an die andere anschließend. Ob es Erinnerungsplatten sind oder tatsächliche Grabplatten, finde ich nicht heraus, aber jede einzelne ist einem bestimmten Ritter gewidmet. Die wichtigsten Embleme sind Lorbeer und trompetende Engel, beide für Siege in Schlachten stehend, und als Kontrast dazu Skelette und Totenköpfe.

In der italienischen Kapelle eine Skulptur, die den Großmeister zeigt, begleitet von zwei Engeln, die einen Schädel und einen Turban zertreten. Zwei weitere Engel ziehen hinter der Büste des Großmeisters einen Vorhang auf, der die Sicht freigibt auf ein Relief, das eine Seeschlacht darstellt. Religiöse Bezüge muss man hier mit der Lupe suchen, aber das interessierte die Zeit vermutlich nicht. Der Einsatz im Kampf gegen die Achse des Bösen war religiöse Begründung genug.

Die Johanniter waren in acht „Zungen“, acht Landsmannschaften aufgeteilt, die jeweils für einen anderen Teil der Befestigungslinie zuständig waren. Daher hat das Johanniterkreuz acht Seiten! Und die Kirche acht Seitenkapellen!

Bei der Zusammenstellung der acht Landsmannschaften sieht man, dass sie aus der Zeit vor der Entstehung der europäischen Nationalstaaten stammt. Es gibt eine französische, aber auch eine provenzalische Landsmannschaft, und außerdem eine der Auvergne. Neben der kastilischen gibt es eine aragonesische Landsmannschaft, und deutsch schloss auch österreichisch, holländisch, schwedisch, dänisch und norwegisch mit ein.

An einem Kreuz von Caravaggio vorbei geht es in das Oratorium, eine Kirche in der Kirche, ursprünglich eine Kapelle für Andacht und Meditation für die Novizen. Auch hier herrscht dieselbe Pracht wie im Hauptraum der Kirche, aber der Blick fällt sofort auf das Gemälde an der Stirnseite der Kapelle. Es beeindruckt schon aus der Distanz, bevor man die Details sieht oder das Thema kennt, vor allem durch die starke Kontrastierung von Hell und Dunkel. Das Licht, das einzelne Partien des Bildes in grelles Licht hüllt, scheint von außen zu kommen.

Das Gemälde ist von einem gewissen Michelangelo Merisi – Caravaggio. Es ist eine Auftragsarbeit für die Johanniter und stellt die Enthauptung Johannes‘ des Täufers dar. Die Darstellung ist ganz und gar unkonventionell. Das gilt für die Verteilung der Figuren – der Heilige liegt am Boden, der Henker nimmt die Mitte des Bildes ein – aber auch für den Moment, den Caravaggio gewählt hat. Es ist nach der Enthauptung. Blut fließt aus dem Körper des Heiligen, das Schwert ist zur Seite gelegt, und der Henker macht sich jetzt mit einem Messer am Hals des Heiligen zu schaffen, um die letzten Sehnen abzutrennen. Links steht schon eine Frau mit einem goldenen Tablett bereit, um das Haupt des Heiligen an Salomé zu übergeben. Die unwürdige Eile und der unwürdige Hinterhof, auf dem sich das Geschehen abzuspielen scheint – aus einem Gefängnis im Hintergrund beobachten zwei Insassen die Szene – nehmen dem Geschehen jede Feierlichkeit. Es ist das einzige Bild, das Caravaggio signiert hat. Die Signatur befindet sich in der Lache des Blutes des Täufers.

Caravaggio war das enfant terrible der Barockmalerei. Er war in Malta auf der Flucht, und musste später auch wieder aus Malta fliehen. Er war bekannt für sein aufbrausendes Temperament und seine Gewalttätigkeit und geriet immer wieder in Messerstechereien. Eine davon war tödlich geendet, und Caravaggio entging nur aufgrund der Intervention eines Fürsprechers dem Gefängnis. In Malta wurde er in den Orden der Johanniter aufgenommen und fertigte verschiedene Gemälde für die Johanniter an, wurde später aber wieder ausgeschlossen. Eines der anderen hier gemalten Bilder hängt an der Rückseite des Oratoriums. Es zeigt Hieronymus bei der Übersetzung der Bibel, mit kardinalsrotem Tuch um den Leib, aber nacktem Oberkörper, in schäbiger Umgebung, mit einem Totenkopf, auch ein Bild, dessen Komposition ganz auf Kontrasten beruht.

In der Kirche ist es inzwischen sehr voll geworden. Sie gehört neben dem Palast des Großmeisters zu den zwei Sehenswürdigkeiten, die man sich in Valletta nicht entgehen lassen soll. Vor dem Verlassen der Kirche lese ich noch, woher der merkwürdige Titel der Ko-Kathedrale kommt, den die Kirche trägt. Es liegt daran, dass der Papst nach dem Weggang der Johanniter die verwaiste Kirche aufwerten wollte, aber das Bistum bereits seine Kathedrale in Mdina hat. Deshalb wurde diese Kirche zur Ko-Kathedrale. Das Patrozinium ist – kein Wunder – Johannes.

Von der Kathedrale gehe ich voller Erwartung zum Theater. Aber da muss ich erfahren, dass die Führung wegen der Proben für eine Premiere kurzfristig abgesagt worden ist.

Als Alternative gehe ich zur Casa Rocca Piccola, keinem Museum, sondern dem Wohnhaus einer maltesischen Adelsfamilie, das auch weiterhin bewohnt wird, aber teils besichtigt werden kann. Durch einen schönen, bewachsenen Innenhof mit einem krächzenden Papagei, der alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, geht es in das erste Obergeschoss.

Gleich der erste Raum ist vollgestellt mit Objekten aller Art, zu voll für eine Wohnung und zu voll für ein Museum, zu ungeordnet für eine Wohnung und zu ungeordnet für ein Museum.

Gleich zu Anfang bekommen wir das älteste überhaupt erhaltene Möbelstück Maltas zu sehen, eine schwarze hölzerne Truhe mit einem Kreuz an der Front. Sie stammt allerdings nicht aus Malta.

Gegenüber steht ein schwer zu verordnendes Möbelstück, eine Art Sekretär mit einer gemalten Landschaftsszene vorne, über eine Reihe von Schubladen. Wir werden gefragt, was das denn wohl sein könnte. Es wird wild geraten, aber keiner kommt der Wahrheit nahe. Der Führer will uns helfen, indem er sagt, es handele sich um etwas „typisch Maltesisches“. Das gebe es in jedem Dorf. Eine Kirche! In dem Möbelstück verbirgt sich eine mobile Kapelle. Die Schubladen sind keine, sondern sind die ausklappbare Trittfläche, auf der der Priester steht. Wenn sie nach unten geklappt wird, kommt ein Altar zum Vorschein. Unter der oberen Verdeckung verbirgt sich der Altaraussatz mit Kreuz, Tabernakel, Kerzen, Buchstützen und Messgeräten. Angeblich nahm man solche tragbaren Kapellen mit, um die Messe im eigenen Kreis hören zu können und nicht in Gemeinschaft mit dem niederen Volk. Eine wahrhaft christliche Gesinnung. Wichtiger aber war wohl eine andere Funktion, und der ursprüngliche Standort der Kapelle im Schlafzimmer des Hauses verweist darauf. Hier konnte gleich nach der Geburt eines Kindes die Taufe vorgenommen werden.

In einem anderen Raum sehen wir ein weiteres Möbelstück. Diesmal ist es wirklich ein Sekretär. Dessen Besonderheit ist, dass er aus maltesischem Holz ist. Malta hat keine Wälder und muss sein Holz aus Italien einführen. Hier aber hat man das Holz von maltesischen Bäumen verwandt, und zwar von Olivenbäumen, Orangenbäumen und einem weiteren Baum, dessen Name mir unbekannt ist, den aber alle anderen kennen, carob. Das ist, wie ich später feststelle, Johannisbrotbaum. Ich lasse mir im Andenkenladen eine Frucht dieses Baumes zeigen. Sie sieht aus wie eine Bohne. Alle drei  Hölzer haben unterschiedliche Helligkeiten, was die schönen Einlegearbeiten an dem Sekretär ermöglicht.

Ein alter Dokumentenschrank wird geöffnet, und dahinter kommen ganz moderne Pappschachteln zum Vorschein. Eine der Pappschachteln wird geöffnet, und dahinter kommen uralte Dokumente mit schönen Siegeln zum Vorschein. Das ist das Archiv der Familie. Alle Dokumente sind auf Italienisch. Das war lange die Amtssprache Maltas. Malti selbst war die Sprache des Volkes, und hatte nur sehr begrenzte Funktion im Schriftverkehr. Außerhalb der Oberschicht konnte ohnehin kaum jemand lesen und schreiben, und die, die lesen und schreiben konnten, konnten auch Italienisch. Selbst zur Zeit der Briten blieb Italienisch lange Amtszeit, trotz eines Versuchs der Briten, es durch Englisch zu ersetzen. Das führte zu wilden Protesten, die als Sprachenstreit in die Geschichte eingingen. Erst 1936 wurde dann schließlich Englisch Amtssprache, zusammen mit Malti.

Der Reichtum dieser Adelsfamilie beruht auf dem Handel, der Einfuhr von Weizen und der Ausfuhr von Spitzen. Auf einer gedeckten Tafel wird deren Besonderheit vorgeführt: die italienische Spitzen sind rau, die maltesischen fein. Damit machte man sich einen Namen.

Es gibt ein paar Objekte, die wir nur mit Hilfe identifizieren können, darunter zwei Geräte, die entfernt wie Scheren aussehen. Das eine dient zur Glättung der Handschuhe, das andere zur Glättung der Haare. Es wird im Feuer heiß gemacht und dann zur Bändigung der ungeliebten Locken eingesetzt.

Dann geht es auf einen der typisch maltesischen Balkone. Die Briten brechen in Begeisterung aus, dabei gibt es gar nichts zu sehen, höchstens einen wie einen Barhocker aussehenden Korbstuhl, der es erlaubte, aus dem Fenster zu sehen. Die Balkone hatten einerseits die Funktion, die Hitze draußen zu halten, andererseits, es den vornehmen Frauen zu gestatten, von hier aus am Leben der Straße teilzunehmen, ohne der Sonne und der Gefahr ausgesetzt zu sein, die vornehme Blässe zu verlieren. Demselben Zweck diente auch die onella, eine Mischung aus Hut, Umhang und Kapuze, die maltesischen Frauen trugen, wie man hier auf einem Bild sehen kann.

Wir sehen noch eine Statue des Apostels Paulus, silbernes Geschirr, das im der Krankenpflege zum Einsatz kam – die Johanniter hatten entdeckt, dass es hygienisch besser ist als Keramik – und ein Schachspiel, bei dem der König ein Malteserritter ist.

Im Keller kann man einen verwinkelten Luftschutzbunker besichtigen, der nicht der Familie vorbehalten war. Hier konnten bis zu 200 Menschen Zuflucht finden. Die Zeit der Angriffe auf Malta während des 2. Weltkriegs gilt als „Zweite Belagerung“, die genauso heroisch überstanden wurde wie die „Erste Belagerung“ durch die Türken während der Johanniterzeit.

Zum Mittagessen kehre ich zum Theater zurück. Dort habe ich ein gutes Restaurant gesehen. Es erfüllt alle Ansprüche: gutes Essen (Kaninchen, eine maltesische Spezialität), guter Wein (ein einheimischer Merlot), freundliche Bedienung. Nur die Einrichtung ist nicht unbedingt berauschend. Aber dafür werde ich noch unfreiwillig Zeuge eines Schauspiels mit dem Thema britische Alltagskultur. Eine Frau bekleckert sich mit Rotwein, und das bringt die beiden britischen Ehepaare, die bisher in schweigender Distanz zueinander gegessen haben, in einen geradezu rauschhaften Kommunikationszustand. Es gibt Anekdoten, Ratschläge, Witze und natürlich Entschuldigungen. Und dann, als ich es schon fast vermisse, kommt das obligatorische: „Das passiert sonst immer nur mir.“

Weinselig mache ich mich auf die Suche nach Skulpturen eines maltesischen Bildhauers, Sciortino. Die Skulpturen befinden sich an verschiedenen Stellen der Stadt. Die schönste ist eine Skulptur von drei Straßenjungen mit zerlumpten Kleidern, lückenhaften Zähnen und ausdrucksstarken Gesichtern. Ein größerer Junge, mit hochgekrempelten Hosen und Hut mit Krempe, zieht ein widerwilliges, kleines Mädchen hinter sich her und legt den Arm um einen anderen Jungen.

Diese Skulptur befindet sich in den Upper Barraca Gardens, dem vermutlich schönsten Aussichtspunkt Malta, hoch über dem Meer mit Blick aufs Meer hinunter.

Die Suche nach den Skulpturen Sciortinos bringt mich vor das Stadttor. Auf dem Weg dahin sehe ich jetzt auch die Ruinen der alten Oper hinter den Bauzäunen. Einige Arkaden sind noch gut zu erkennen.

Eine ziemlich pathetische Skulptur Sciortinos stellt eine vor Christus kniende Frau dar und versteht sich als Allegorie auf Malta. Sie steht nahe einem Park, einer länglich verlaufenden Grünanlage mit eingezäunten Beeten und Statuen großer Malteser, von den Autoritäten angeblich deshalb angelegt, um die Soldaten zum Lustwandeln im Park zu animieren und von lasterhaften Freizeitaktivitäten abzuhalten. Über den Erfolg der Maßnahme wird keine Auskunft erteilt. Der Park heißt Maglio, nach dem Ballspiel, genauso wie Pell Mell in London. Dieser Teil der Stadt gehört schon zu dem Stadtviertel Floriana. Auch Floriana ist, wie Valletta, nach einem Mann benannt.

Danach bin ich nur noch reif fürs Fernsehen. Die italienischen Sender haben nur ein Thema: Schnee. Man sieht Bilder aus der Basilikata, den Marken und dem Latium, alle in Schnee begraben. In einigen Gegenden ist noch einmal 40 cm Neuschnee gefallen.

12. Februar (Sonntag)

Die ganze Nacht bläst der Wind furchterregend, aber am Morgen hat er sich wieder beruhigt.

Das Kunstmuseum ist wirklich nur einen Steinwurf vom Hotel entfernt, in derselben Straße, einen Häuserblock weiter. Es hat ein schönes, helles Treppenhaus mit einer weißen Marmortreppe, aber wenn man oben ankommt, steht man im Dunkel. Und vor dunklen Barockgemälden. Was man schnell erkennt, ist die Obsession des Barock mit Tod und Gewalt. Mord und Totschlag überall. Man sieht eine Judith, die mit dem Blick eines Schulmädchens, das über seine Matheaufgaben nachdenkt, Holofernes den Kopf abschneidet. Selbst ein Bild, das Der Barmherzige Samariter heißt, zeigt einen Mann, der sich mit gezücktem Messer über einen am Boden liegenden anderen Mann beugt. Das muss die Szene sein, bevor der Samariter auftritt.

Interessant ein Bild von Baglione, dem Gegner und Gegenspieler Caravaggios, Das Martyrium der Hl. Agatha, einer Heiligen, der man auf Malta immer wieder begegnet. Baglione und Caravaggio bekämpften sich ein Leben lang, auch vor Gericht, wo der eine den anderen der Verleumdung bezichtigte. Techniken und Themen der Bilder sind durchaus verwandt, aber die Haltung ist eine ganz andere. Hier fließt kein Blut – der Maler hat den Moment vor der Exekution eingefangen – und die Heilige steht im Zentrum, nicht der Henker. Die Heilige, halbnackt dargestellt, hat einen makellosen Körper und blickt nachdenklich in die Ferne, und der Soldat in Rüstung, mit weißer Haut und gepflegtem Schnurrbart, steht nur dabei und tut ihr nichts Böses. Der Henker erscheint am äußersten unteren Rand des Bildes, über die Exekutionswerkzeuge gebeugt.

Interessant ebenfalls die Römische Caritas von Preti, der hier mit mehreren Gemälden vertreten ist und in Malta als maltesischer Maler gilt. Er malte auch die Decke der Kathedrale. Seine Caritas, eine füllige, vor Gesundheit strotzende Frau, reicht einem am Boden liegenden alten Mann ihre Brust zur Nahrung. Das ist sicherlich symbolisch gemeint, wirkt aber hier ganz und gar real. Auch hier sind die Figuren etwas idealisiert. Der alte Mann ist zwar hager, aber nicht ausgezehrt, und an seinem ganzen Körper ist kein Schmutz, kein Kratzer, keine Wunde. Ob mit der römischen Caritas die klassische oder die kirchliche gemeint ist, bleibt unklar. Im klassischen Rom, so sagt man, gab es Tugenden wie die Nächstenliebe gar nicht. Sie sind ein Beitrag des Christentums. Aber ob der Maler das wusste?

Wenn man durch die anderen Räume geht, merkt man, wie im Verlauf der Jahrhunderte die Themen wechseln. Auf einmal kommt auch die Lebenswirklichkeit, die reale Welt ins Bild. Man sieht ein Künstleratelier, die Stube eines Geldleihers, die Werkstatt eines Buchbinders. Noch wieder etwas später kommt dann auch das gemeine Volk ins Bild, aber immer idealisiert: ein Hochzeitszug, fröhliche Straßenmusikanten, singende Frauen bei der Handarbeit in einer gemütlichen Bauernstube.

Erst ganz spät werden Landschaften hoffähig, Landschaften um ihrer selbst willen. In einem gesonderten Raum gibt es verschiedene Veduten von Valletta, meist den Grand Harbour zeigend, darunter eins von Turner. Der war selbst nie in Malta, musste sich also auf Augenzeugenberichte verlassen. Er brauchte das Bild für die Illustration von Gedichten von Byron, und der war mehrmals in Malta gewesen.

Im Untergeschoss sind neben Bildern auch Sammlungen von Alltagsgegenständen ausgestellt: Fächer, Taschenuhren, Schmuckdöschen. Als ich die Fächer sehe, fällt mir unvermittelt auf, dass Fächer sowohl Singular als auch Plural ist und außerdem der Plural von Fach. Aber das ist hier natürlich ohne jede Bewandtnis. Was hier deutlich wird, ist die Vielfalt. Fächer ist nicht gleich Fächer. Bei den Taschenuhren gibt es zwei Grundtypen, zuklappbar und nicht zuklappbar, wie bei den modernen Handys. Die Ziffern sind entweder römisch oder arabisch oder nur durch Striche angedeutet, das Ziffernblatt ist bemalt oder mit Wappen und Emblemen verziert oder ganz einfach leer.

Wie in allen Museen ist es kalt hier drin, und man kann paradoxerweise aus der Kälte des Museums nach draußen flüchten. Bevor es weiter geht, möchte ich etwas klären. Was für ein Gebäude ist das mit der Kuppel, die die Skyline von Valletta bestimmt, aber an dem man nie vorbeikommt? Von allen möglichen Seiten sieht man sie, aber sie gehört zu keiner der klassischen Sehenswürdigkeiten. Es stellt sich heraus, dass es eine Kirche ist, und zwar die Kirche vom Carmel. Als ich ankomme, ist gerade der Gottesdienst zu Ende, und wahre Besucherströme kommen aus der Kirche. Ich begnüge mich damit, herausgefunden zu haben, was es mit der Kuppel auf sich hat und nehme noch ein Photo von einem Poster am Eingang der Kirche mit: Give yourself a faith lift – come to church.

Der Palast des Großmeisters liegt an einem der wenigen Plätze Vallettas, dem größten, und nimmt die ganze Längsseite des Platzes ein. Gegenüber liegt ein Gebäude, das offiziell aussieht, aber was es ist, kann ich nicht herausfinden. Es war früher der Sitz der britischen Verwaltung.

Den Palast teilen sich der Präsident und das Parlament mit den Touristen. Der Palast hat zwei Eingänge. Das hat was damit zu tun, dass der Platz nicht eben ist, und man musste das ansteigende Straßenniveau bei dem Bau berücksichtigen. Besucher betreten den Palast durch den rechten Eingang, zwischen zwei schönen Säulen, die mir schon dieser Tage aufgefallen waren, als ich noch gar nicht wusste, was für ein Gebäude das war.

Man kommt zuerst in die Staatsräume in der ersten Etage. Lange Korridore mit großen Fenstern, lebensgroßen Portraits und Ritterrüstungen in regelmäßigen Intervallen führen auf alle möglichen Säle zu. Man verliert hier leicht die Orientierung.

Die Portraits zeigen alle Großmeister des Ritterordens, fast alle in eleganten, aber einfachen schwarzen Gewändern mit dem Malteserkreuz auf der Brust. Nur einer ist in einer Rüstung dargestellt, und zwar ausgerechnet der Großmeister, der die Insel kampflos an Napoleon übergab und damit das Ende der Malteser auf Malta einleitete, der einzige deutsche Großmeister des Ordens, Ferdinand von Hompesch.

In einem der Säle sieht man die Portraits der maltesischen Präsidenten, insgesamt neun seit 1949. In den Boden sind Wappen eingelassen, auf denen der offizielle Name Maltas steht: Repubblika ta Malta.

Außer den Staatsräumen sieht man das Waffenarsenal. Schließlich waren die Johanniter Ritter. Man sieht unter anderem die Rüstung Jean de la Valettes, des Namensgebers Vallettas und Helden der Großen Belagerung. Er hatte bereits in Rhodos gekämpft, war in Gefangenschaft geraten, hatte als Galeerensklave gedient und war freigekauft worden. Bei der Großen Belagerung war er schon 71!  Die Rüstung ist sehr fein gearbeitet. Das sieht man aber nur aus kurzer Entfernung und bei genauem Hinsehen. In den gesamten Rüstungspanzer sind geometrische Muster gestanzt, und auf der Brust sind ein Wappen, das Lamm Gottes mit Johannes dem Täufer und die Inschrift Ecce Agnus Dei eingraviert.

Wenn man sich die Rüstungen neutral ansieht, ist man geradezu angetan von der Weiterentwicklung des Handwerks- oder gar Industrieprodukts: Brustpanzer mit sich überlappenden Stahlplatten, die die Beweglichkeit verbessern, ebenso wie bewegliche Teile an den Armklappen, Rüstungen, die statt eines Brust- und eines Rückenteils zwei Seitenteile haben und in der Mitte „zugeknöpft“ werden, Rüstungen mit horizontalen und vertikalen „Lamellen“, Visiere, die aus immer mehr Einzelteilen bestehen, um möglichst viel zu verbergen, ohne Sehen und Atmen zu behindern oder gar zu verhindern.

Stolz wird in einer eigenen Vitrine erbeutetes Rüstzeug präsentiert, mit türkischen Mannequins. Die Türken schützten danach ihr Gesicht viel weniger, mit nicht viel mehr als einer Art Stahlbrille vor den Augen. Sie tragen den typischen, konischen Helm und natürlich den berühmten Krummsäbel.

Dass die Türken Malta letztlich angriffen (1565) und dass es zu der „Großen Belagerung“ kam, ist kein Wunder. Suleiman hatte den Johannitern in Rhodos freien und ehrenhaften Abzug gewährt, aber die Johanniter betrachten Rhodos als ihren Besitz und griffen immer wieder an. Der Angriffskrieg war also letztlich ein Verteidigungskrieg. Jedenfalls werden ihn die Türken als solchen der Weltöffentlichkeit verkauft und auch sich selbst gegenüber gerechtfertigt haben. Auch hier: Nichts Neues unter der Sonne.

Der tatsächliche Angriff verzögerte sich, weil der dritte Kommandant mit seiner Flotte nicht eintraf. Dann, im Mai, wurde Zejtun angegriffen, von 3000 Soldaten. Der Kampf um Malta dauerte bis September. Noch heute ist der 8. September der Nationalfeiertag Maltas.

Aus späteren Epochen sieht man ein deutsches Schwertgewehr, ein Hybride, mit dem man auf die alte oder die neue Art kämpfen kann. Und dann gibt es irgendwo ein Luftgewehr, und da merke ich, dass ich das Wort schon oft gehört habe, aber ohne zu merken, dass es wirklich etwas mit Luft zu tun hat. Hier hat das Gewehr eine Kugel an der Seite, in die Luft gepumpt wird. Diese Luft wurde dann beim Schuss freigegeben. Und schließlich sehe ich noch ein Gerät, mit dem Kanonenkugeln gewogen wurden!

Nach einem schlechten Essen mit schlechtem Wein in einem Lokal in der Republic Street gehe ich ein paar Schritte weiter ins Archäologische Museum, untergebracht in der Auberge de Provence. Die Eingangshalle hat ein farbenfreudiges Deckengemälde, das man leicht übersieht, da hier bereits ein paar Stücke ausgestellt sind, um die Besucher ins Museum zu locken. Und ein großes Plakat mit einem Bild der Magna Mater, einer vorgeschichtlichen Figur, die eine Art Maskottchen des Museums und ganz Maltas ist, von der Tourismusindustrie unendlich reproduziert und auf  Bechern, Schlüsselanhängern, Kugelschreibern und Kühlschrankfiguren vermarktet.

Die Exponate sind auf zwei Etagen verteilt, und das hat hier seinen ganz besonderen Grund: Es gibt nämlich keinerlei Verbindungen zwischen den  Kulturen der Steinzeit, die unten ausgestellt sind, und den Kulturen der Bronzezeit, die oben ausgestellt sind. Die Steinzeitmenschen sind einfach verschwunden. Um 2.500 bricht alles plötzlich ab. Niemand weiß, warum. Anzeichen für eine Naturkatastrophe gibt es nicht. Als später, etwa 500 Jahre später, die ersten Siedler der Bronzezeit in Malta ankamen, haben sie ganz von vorne angefangen. Die anderen waren einfach weg. Und dass trotz all ihrer Techniken und Fertigkeiten, die hier in Malta und hier im Museum besonders zur Schau gestellt werden.

So wird auf einer Schautafel gleich im ersten Raum gezeigt, mit verborgenem Stolz, wie alt diese Kulturen sind: Die Ggantja Tempel entstanden 2.000 Jahre vor Knossos, 1.500 Jahre vor Stonehenge, 1.000 Jahre vor den Pyramiden. Man sieht viele, vor allem mit Spiralen verzierte Bauteile der Tempel, aus mehreren Anlagen in ganz Malta, die meisten aus Tarxien, der Tempelanlage, die als der Höhepunkt in Malta gilt. Neben Spiralen und anderen geometrischen Mustern sieht man Fische und Pflanzen. Auf einem Fries ist eine ganze Prozession von Tieren, vielleicht Steinböcken, in einer Doppelreihe dargestellt. In diesen Tempeln, folgt man daraus, wurden Tieropfer dargebracht. Eine maltesische Besonderheit sind die Punktbohrungen, runde, gleichmäßige Aushöhlungen, die in ganzen Reihen die Steine verzieren.

Daneben gibt es zahlreiche Figurinen, meist mit breiten Oberschenkeln. Viele haben keinen Kopf. Aber sie haben Bohrlöcher. Vielleicht wurden auf den Rumpf wechselnde Köpfe aufgesetzt!

Die berühmte Magna Mater hat einen eigenen Raum. Man ist erst einmal überrascht, wie klein sie ist. Sie stammt aus dem Hypogäum von Hal Saflieni. Es handelt sich um eine liegende Figur mit starken Oberarmen und länglichem Gesicht, vor allem aber mit breiten Hüften. Die sind so breit, dass man eine realistische Darstellung ausschließen kann. Es handelt sich vielleicht um eine Fruchtbarkeitsgöttin oder eine Figur, die den Kreislauf des Lebens darstellt. Sie liegt in einer Art Schale. Warum wird sie liegend dargestellt? Hat es etwas mit Schlaf zu tun? Mit dem Tod?

Die Toten wurden in Höhlen begraben, die eigens dafür in den Fels gehauen wurden. Es handelte sich um Begräbnisstätten für alle, über verschiedene Generationen hinweg. Die Knochen wurden immer weiter nach hinten verschoben, um Platz für Neuankömmlinge zu machen. Es war also eine Bestattungsform, die das Kollektiv und die Kontinuität betonte. Aber welche genauen Vorstellungen die Menschen vom Tod hatten, das geben die Funde nicht her. Wichtig ist jedenfalls, dass überhaupt eine Trennung vollzogen wurde, eine Trennung zwischen Alltagsstätten und rituellen Stätten.

In der Bronzezeit war die Bestattungsform anders, fast radikal anders. Die Toten wurden eingeäschert und individuell in Urnen begraben. Wieder möchte man gerne wissen, welche genaue Vorstellung dahinter stand.

In Malta gibt es kein Eisenerz. Die Bronze muss also eingeführt oder von den ersten Siedlern mitgebracht worden sein. Eine Kette aus Straußeneierschalen zeigt Kontakte nach Nordafrika, Gegenstände aus Obsidian Kontakte nach Sizilien.

Es gab vor allem drei Siedlungsorten: auf Hügeln, in Höhlen und natürlich geschützte Orte. Alle Siedlungen waren stark befestigt. Es war also eine konfliktreiche Zeit. Das, so heißt es hier, unterscheide die Bronzezeitkulturen auf Malta von den Steinzeitkulturen, in denen man harmonisch zusammenlebte. Kann das wahr sein? Hat es je so etwas gegeben? Und lässt das Fehlen von Verteidigungsanlagen diesen Schluss zu?

Aus der Bronzezeit, also im Obergeschoss, gibt es vor allem Keramik und Schmuck. Bei der Keramik fallen die vielen Zwillingsgefäße auf, zwei kleine Gefäße, die miteinander verschweißt sind. Was kann der Sinn davon sein? Bei den persönlichen Gegenständen gibt es sehr schöne Halsketten aus Fischknochen und ein wunderbares Messer mit punziertem Griff.

Viele der Gegenstände waren Grabbeigaben, und für die Gräber hatte man zum Teil spektakuläre Stätten ausgesucht. Man sieht auf einem Photo, wie Archäologen sich in einem Boot einem Felsen nähern, in den, hoch über ihnen, der Eingang zu einer Grabkammer liegt. Es ist kaum vorstellbar, wie man dorthin gelangt ist.

Aber es gibt nicht nur Grabbeigaben. In einem Glasgefäß sieht man kleine, schwarze Kugeln. Was kann das nur sein? Es sind karbonisierte Bohnen!

Man sieht auch flache Steine mit Körnern. Es sind Getreidekörner, die sich in den Stein, der als Mahlstein benutzt wurde, eingegraben haben.

Zwei Dinge geben besondere Rätsel auf. An vielen Orten hat man glockenförmige Vertiefungen im Boden gefunden. Vorratsspeicher für Wasser? Oder für Getreide? Oder bronzezeitliche Abfalleimer?

Das andere Rätsel sind Straßenschienen. Die sind hier wunderbar nachgebaut und man kann auf Glas darüber weg spazieren. Unter sich hat man steiniges Gelände, und in das Gelände sind Rinnen eingelassen. Sie sehen aus wie Schienen, breite Schienen, aber sie verlaufen sehr unregelmäßig und kreuzen sich manchmal, laufen manchmal aber auch parallel zueinander, aber nur ganz grob parallel. Was kann das gewesen sein? Abflussrinnen? Aber warum dann so aufwendig? Schienen? Aber wie soll das funktioniert haben?

Dann geht es wieder aus der Vergangenheit zurück in die Gegenwart und ins Freie, nach Sliema. Um eine Hafenrundfahrt zu machen, muss man mit dem Bus nach Sliema fahren. Obwohl Valletta zwei Häfen hat, gibt es keine Anlegestelle für Schiffe. Trotz dichter werdender Wolkendecke mache ich mich auf den Weg. Sliema hat eine riesige Uferpromenade und steht für Modernität, Ausgehen, Nachtleben. Es ist die Partymeile Maltas, zumindest im Sommer.

Im Hafen liegen auch einige der traditionellen bunten, Nussschalen ähnelnden maltesischen Schiffe, aber unsere Rundfahrt ist auf einem ganz normalen Schiff.

Falls man noch Zweifel hatte, nach der Rundfahrt sind sie ausgeräumt:  Valletta ist eine befestigte Stadt. Überall Forts, Mauern, Bastionen, Türme, Wehrgänge. Die Befestigungsanlagen haben insgesamt eine Länge von dreieinhalb Kilometern!

Die erste Befestigung sehen wir gleich nach dem Ablegen auf der rechten Seite. Sie liegt auf einer Insel, Manuel Island. Wir befinden uns im Marsamxett Harbour, dem Hafen in der Bucht zwischen Sliema und Valletta. Auf der Insel befinden sich die Reste eines Krankenhauses des Ordens, eines von Europas ersten Isolationskrankenhäusern, vor allem für Pestkranke.

In der Nähe liegt ein schwarzer Dreimaster, der ehemals einem Filmstar aus Hollywood gehörte, Errol Flynn, aber mehrmals sank und dann zu einem Restaurant umgebaut wurde. Dahinter kommt ein Yachthafen.

Dann kommen wir schon an die Spitze der Halbinsel, auf der Valletta liegt. Vom Wasser aus sieht man, dass man diese Spitze noch einmal künstlich verlängert hat, mit einem langgezogenen Kai, auf den man über eine Brücke kommt und an dessen Ende ein Leuchtturm steht.

Wir umfahren den Leuchtturm und kommen in Vallettas zweiten Hafen, den Grand Harbour. Von hier aus sieht man auf die Stadteile, durch die ich bei meinen Erkundungen gestern und vorgestern gekommen bin. Alle Gebäude stehen dicht gedrängt, alle in einheitlichem hellbraunen Sandstein. Die einzigen Farbtupfer sind das rote Dach der Marienkapelle (der französischen Zunge angehörend) und die Türen und Fensterläden der Lagerräume am Ufer. Die unterschiedlichen Farben von Fensterläden und Türen bezeichnen, was wo gelagert wird.

Dann kommen wir zu den auf der anderen Seite des Grand Harbour liegenden sog. Three Cities, auch Contonera genannt. Als wenn das nicht schon kompliziert genug wäre, hat jede für sich auch noch zwei eigene Namen: Senglea (auch: L’Isla), Birgu (auch: Vittoriosa), Bormla (auch: Cospicua). Sie sind alle älter als Valletta und wurden nach dessen Gründung zu Vorstädten. Hier wohnten die einfachen Leute und die Tagelöhner, hier waren die Soldatenunterkünfte und Sklavenquartiere und Werkstätten. Später wurden sie zum Zentrum der Arbeiterbewegung. Von hier stammte Dom Mintoff, der erste sozialistische Präsident Maltas. Auch diese Städte sind mit einer geschlossenen Festungsmauer umgeben.

Dann kommen wir zu den Werften. Riesige blaue und gelbe Kräne beherrschen das Bild. Die Werfen sind durchnummeriert. Die größte ist die sog. Chinesische Werft, auf der Schiffe von bis zu 320.000 Tonnen liegen können. An der sog. Französische Werft liegt der Landeplatz Napoleons, der 1798 Malta eroberte, es aber nach zwei Jahren an Lord Nelson verlor. Danach wurde Malta britisch.

Die Rückfahrt führt dann noch an ein oder zwei Befestigungsanlagen vorbei. Ich bin aber nicht traurig, als die Fahrt zu Ende geht. Das Schlingern des Schiffs verträgt sich nicht gut mit dem schlechten Wein vom Mittagessen.

In Sliema gehe ich noch in die Stadt rauf, aber trotz einiger Suche lässt sich kein eigentliches Stadtzentrum finden. Es gibt allerdings ein paar sehr schöne Straßenzüge. Bunte Balkone überall.

Im Bus nach Valletta werde ich von tschechischen Touristen gefragt, ob ich Lokale empfehlen könnte, in der „echte“ Malteser, keine Touristen verkehren. Man suche Kontakt zu den Einheimischen. Kann ich leider nicht. Und ich bin noch nicht einmal sicher, ob es so etwas gibt. Höchstens ein paar schäbige Cafés, in denen alte Männer den ganzen Tag bei einem Kaffee sitzen. Aber ob es das ist, was die Tschechen suchen? Natürlich wird es auch Junge und Reiche geben, die, dem „europäischen“ Modell folgend, ausgehen, aber auch das suchen die Tschechen vermutlich nicht. In vielen traditionellen Gesellschaften geht man vermutlich gar nicht aus, und Esslokale sind etwas für Festlichkeiten wie Hochzeit oder Kommunion.

In Valletta finde ich eine winzige Kneipe, in der es ganz gutes Essen gibt. Hier ist auch kein „echter“ Maltese. Als ich aufbreche, ist es stockdunkel, und ich kann ein paar schöne Bilder von den beleuchteten steilen Straßen machen, die zum Hotel führen. Und von einem ungewöhnlichen Verkehrsschild, einem Verbotsschild für Pferdekutschen.

13. Februar (Montag)

Mit dem Bus geht es nach Paola und in die Vorgeschichte. Tempel und Hypogäum stehen auf dem Programm.

Paola ist eine laute und lebendige Stadt, mit unzähligen hupenden Autos, die sich durch die engen Straßen zwingen, und Einheimischen, die sich den Platz auf den engen Bürgersteigen streitig machen. Hier gibt es kaum Touristen, außer ein paar Verrückten, die wegen der alten Steine hierher kommen.

Die traditionellen maltesischen Häuser hatten alle eine Zisterne. Die trockenen Sommer machten sie nötig, die feuchten Winter möglich. Beim Graben für eine Zisterne für ein neues Haus, vor etwa hundert Jahren, brach plötzlich der Boden ein, und einer der Arbeiter fiel, ohne es zu wissen, in die Vorgeschichte, in das, was heute das Hypogäum ist. Was dann geschah, ist nur auf den ersten Blick überraschend: Man verschloss das Loch, baute weiter und versuchte, den Fund zu verheimlichen. Nur keinen Ärger. Das ging auch eine Zeitlang gut, aber dann sickerte doch etwas durch, und drei Jahre später kam die Sache an die Öffentlichkeit. Jedenfalls ist man noch heute überrascht, wenn man gleich in der Nähe des Stadtzentrums in eine Seitenstraße geschickt wird und plötzlich vor einem ganz normalen Hauseingang steht, über dem Hypogäum steht.

Da stehe ich jetzt und will erst mal sicher stellen, ob das mit der Eintrittskarte geklappt hat. Hat es. Ich bin auf der Liste und soll einfach fünf Minuten vorher da sein. Daraufhin entspinnt sich folgender Dialog: „Kann ich jetzt schon zahlen? – Die Karten werden immer im Voraus bezahlt. – Ja, aber es handelt sich hier um eine Ausnahme. Ich habe die Karte nur vorbestellt. – Ist aber bezahlt. – Es war so: Ich habe keinen Zugriff auf die Seite gehabt und Herrn Sant telefonisch gebeten, mir eine Karte zu reservieren. Er hat sich nur zur Sicherheit meine Kreditkartennummer aufgeschrieben. – Hier, sehen Sie selbst. Hier steht  „bezahlt.“ Daraufhin gebe ich den Kampf auf. 20 € gespart.

Dafür habe ich kein Kleingeld. Daran herrscht in Malta notorischer Mangel. Und kein Kleingeld bedeutet kein Kaffee. Stattdessen gehe ich zu dem archäologischen Gräberfeld, das etwas außerhalb des Stadtzentrums liegt, inmitten von Feldern, so wie man sich auch die Lage des Hypogäums vorgestellt hat. Das Gräberfeld liegt in Tarxien, jetzt einem Stadtteil von Paola.

Man läuft trotz einiger Informationen etwas verloren über die Holzstege durch das Gräberfeld. Man sieht Steine mit Reliefs, übereinandergeschichtete Steine, Steine mit Bohrlöchern, Steine, die einen Halbkreis bilden, andere, die eine Art Eingangstor bilden und wieder andere, die eine Apsis bilden. Jedenfalls scheinen die Steine bearbeitet worden zu sein. Sie sind glatt und regelmäßig. Es ist ein bisschen wie Stonehenge im Kleinformat, aber es ist schwer, eine Struktur zu erkennen. Kein Wunder, die verschiedenen Tempel stammen aus einer Periode von 1.000 Jahren. Tempel dieser Art sind vermutlich der historische Hintergrund zu der Legende, dass Malta einst von Riesen bewohnt war. Was hier genau geschah, ist ungewiss, aber die vielen Tierdarstellungen lassen vermuten, dass Tiere geopfert wurden. Kurios ist ein Stein, der als Nachweis dafür gilt, dass auch zu dieser Zeit schon Recycling angesagt war. Man hat fast die gesamte Fläche einer Seite von den Punktbohrungen befreit, um andere anzubringen, aber unten, da, wo die Säule unter der Erde war, sieht man noch die alten Punktbohrungen.

Ich spreche mit einer Amerikanerin, die sehr professionelle Photos macht, und mit einer sehr kenntnisreichen englischen Familie, und dann kommt eine Mitarbeiterin der Tempelanlage auf mich zu, und alle helfen mir, ein paar der etwas verborgenen Steine zu finden – die meisten sind Kopien und schon wieder verwittert – aber meine allgemeine Orientierungslosigkeit bleibt bestehen.

Dann geht es zurück in die Innenstadt. Vor dem Hypogäum habe ich noch Zeit für einen Kaffee. In dem kleinen Café, wo ein militärischer Ton herrscht, gibt es Kaffee und Apple Pie für unschlagbare 2 €. Und ohne mit den Augen zu zucken, wechselt man mir meine 50 €.

Der Besuch des Hypogäums gilt als einer der Höhepunkte einer Reise nach Malta, nicht zu Unrecht. Es überkommt einen ein metaphysischer Schauer, wenn man in Momenten der Stille mitten in der vor Tausenden von Jahren geschaffenen und lange völlig verschollenen Anlage steht. Die Stille wird gelegentlich markiert durch die Musik, die man auf dem Kopfhörer hört, eine Art Symphonie für Steine, die aneinander geklopft werden. So könnte die Musik damals geklungen haben.

Es gibt einen kuriosen Kontrast zwischen der uralten Kultstelle und der hochmodernen Technik, die zum Schutz der Anlage und bei der Führung zum Einsatz kommt.

Das Hypogäum erstreckt sich über drei Ebenen, von denen nur die beiden unteren streng genommen unter der Erde liegen. Die mittlere Ebene ist die wichtigste. Oben sieht man eine Art Halbkreis aus Steinen und mehreren niedrigen Eingangstoren, die vermutlich zu dahinter liegenden Kammern führten. In diese Kammern wurden die älteren Knochen der Toten, die hier im Halbkreis begraben wurden, geschoben, um Platz für neue zu machen. Das alles beruht auf der Annahme, dass es sich um eine Grabstätte handelte. Dafür sprechen die vielen, vielen Knochen, die man hier gefunden hat.

Die untere Ebene betritt man nicht. Man sieht nur von der mittleren in sie hinunter. In die untere Ebene führen sieben sehr, sehr unregelmäßige Stufen. Sie haben weder die gleiche Breite noch die gleiche Form. Und wohin führt die Treppe? Ins Nichts, in die Leere. Wenn man nach der untersten Stufe einen weiteren Schritt macht, fällt man meterweit nach unten. Die verlockendste Erklärung ist die, dass dies eine Maßnahme gegen Räuber und Eindringlinge war, die im Halbdunkel das gefährliche Ende nicht sehen und auf den unregelmäßigen und vermutlich rutschigen Stufen ausgleiten würden. Eine andere, weniger spektakuläre Erklärung besagt, der Boden sei früher höher gewesen, hätte bis an die untere Stufe gereicht. Aber warum dann diese komischen Treppen, angelegt von Menschen, die ganze Tempelanlagen schaffen konnten, in denen nicht ein Stein unregelmäßig ist?

Ein weiteres Rätsel betrifft die Beleuchtung. Es wurden nirgendwo Spuren von Ruß gefunden, es wurden also keine Fackeln benutzt. Aber was dann?

Auf der mittleren Ebene bleiben wir an verschiedenen Stellen der labyrinthischen Gänge stehen. Dabei sehen wir eine Art Badewanne. In der wurde die berühmte Figur der Magna Mater gefunden. Aber das ist auch komisch. Die Badewanne, grob den Maßen einer richtigen Badewanne entsprechend, ist viel zu groß für die winzige Figur.

An einer Stelle, bei der die Bauarbeiten nicht zu Ende geführt wurden, kann man die Arbeitsweise sehen. Zunächst wurden Löcher in den Stein gehauen. Erstaunlich, dass das überhaupt ging. Man hatte noch keine Bronzewerkzeuge, nur Stein, Flintstein und Geweihe. Die Löcher wurden in Schwachstellen des Felsens geschlagen, und dann wurde der Felsen gebrochen. So entstanden Durchgänge und Korridore. Es ist tatsächlich so, dass die gesamte Anlage künstlich angelegt, in den Felsen gehauen ist und es sich nicht, wie man glauben könnte, um eine natürliche Höhle handelt. Unglaublich!

Der wichtigste Raum ist das „Allerheiligste“. Hier erkennt man auch gut das künstlerische Prinzip: Alles sieht wie gebaut aus, ist es aber nicht. Die beiden Pfeiler und der Architrav sind nicht aufgestellt, sondern aus dem Felsen gehauen. Die Decke besteht aus verschiedenen, sich überlappenden Scheiben, ein Hinweis darauf, wie die Decken der Tempel gebaut worden sein könnten.

Der andere ganz besondere Raum hat eine bemalte Decke. In Sechsecken finden sich Spiralen aller Art, und zwar in Rot. Das muss im Halbdunkel und bei frischer Farbe geradezu magisch ausgesehen haben.

Der rote Farbstoff muss von außerhalb Malta importiert worden sein! Trotzdem gibt es keine Verbindungen zu Kulturen außerhalb von Malta und auch keine zu späteren Zeiten. Die „Riesen“ waren eine Sache für sich. Und sind irgendwann einfach verschwunden. Man steht staunend davor und fragt sich, warum. Warum sind sie verschwunden, warum haben sie dies geschaffen? Von ganz zentraler Bedeutung ist, wenn man in größeren Zusammenhängen denkt, das Symbol. Die ganze Anlage und deren Teile standen für etwas anderes. Das ist etwas existentiell Menschliches.

Als ich wieder in die Stadt zurückgehe, fällt mein Blick auf ein Straßenschild. Das beschert eine Wiederbegegnung mit einem alten Bekannten: Ninu Cremona!

Die Außenbezirke von Paola, z.B. die um die Tempel herum, wirken fast ländlich und sind sehr gepflegt. Das Zentrum bietet das Gegenprogramm. Der zentrale Platz, angeordnet zu beiden Seiten einer schönen, aber vom Verkehr umflossenen Promenade, die durch beschnittene Bäume, die Stämme wie Platanen und Blätter wie Olivenbäume haben, Sonnenschutz erhält, hat ein paar etwas verfallene Häuser zwischen ganz neuen mit modernen Geschäften, meistens Telekommunikation.

Etwas darüber liegt die mächtige Pfarrkirche, und hier bekomme ich es jetzt auch schriftlich. Nur ein Wort der Inschrift kann ich verstehen, aber das ist das entscheidende: Alla.

An jeder Ecke gibt es Verkaufsstände, an denen man etwas zu essen bekommt, meist Teigrollen oder etwas von der Art, und die werden auch gut frequentiert von den Einheimischen, aber ein richtiges Lokal kann ich nicht entdecken. Das bestätigt meine Vermutung, dass Ausgehen etwas für Auswärtige ist und ein Luxus, den man sich nicht leistet. Also fahre ich nach Valletta zurück.

Dort geht es gleich in das Teatru Manoel. Die mit Spannung erwartete Führung ist eine einzige Enttäuschung. Was die Führerin bietet, grenzt an eine Unverschämtheit. Erst lässt sie uns warten, weil sie noch essen muss – dass sie uns überhaupt wahrgenommen hat, ist nur der Insistenz des anderen Teilnehmers, eines Briten, zu verdanken – dann rappelt sie, im Parkett Platz nehmend, ein paar Daten zum Theater herunter und entlässt uns. Dabei gibt es durchaus etwas zu erzählen. Davon zeugt ein Schild im Innenhof, das eine Episode erzählt: Ein gewisser Oreste Kirkop saß seelenruhig in einer Aufführung des Rigoletto und wurde dann, am Ende des 2. Akts, ohne jede Vorwarnung gebeten, für den indisponierten Tenor einzuspringen. Er tat das, legte allmählich seine Nervosität ab und steigerte sich in einen künstlerischen Rausch hinein, der ihm stehende Ovationen und eine spontane Wiederholung von „La donnna e mobile“ einbrachte. Das ist unserer Führerin keine Erwähnung wert.

Auch die wunderbaren alten Instrumente zur Imitation von Wind und Donner, die vor dem Eingang stehen, sind ihr nicht mehr als einen halben Satz wert. Dabei ist das Theater eine wahre Schatztruhe, ein bestens erhaltenes Barocktheater, wie aus einem Guss, ebenfalls, wie man zur größten Überraschung erfährt, von den Johannitern gegründet. Seinen Namen hat es von dem Großmeister, der es gründete, 1731.

Der ganze Innenraum ist aus bemaltem Holz. Auch die Decke ist aus bemaltem Holz, blau, mit vergoldetem Blattwerk, flach, aber von unten gewölbt erscheinend. Diese Dekoration scheint aber erst aus dem 19. Jahrhundert zu stammen. Das Theater hat vier Ränge, nach oben hin immer niedriger werdend, und fasst 600 Zuschauer.

Es werden Stücke auf Englisch und Malti aufgeführt und Opern und Barockkonzerte. Die Finanzierung ist fast ausschließlich staatlich.

Das Theater wurde, im Gegensatz zu der Oper am Eingang zur Stadt, nie zerstört. Das wundert nicht. Es ist ganz in die Häuserzeile eingefügt und, auch wenn der Eingang durch zwei Säulen markiert ist, kaum als öffentliches Gebäude zu erkennen.

Wieder nur dank der Nachfrage des Briten können wir auf die Ränge gehen. Die Führerin bleibt unten sitzen. An den Türen, die Zugang zu den Plätzen geben, steht Shhhhhht!

Selbst die Logen im ersten Rang sind weder bequem noch geräumig. Das sieht von außen immer so toll aus. Und oben sitzt man auf Bänken mit Plastikbezug und wird beim Blick nach unten schwindlig.

Anschließend gehe ich wieder in das Lokal gleich neben dem Theater, wo ich am Samstag so gut gegessen habe. Das Essen ist wieder gut, aber der Service diesmal schlecht. Der junge Mann, der alleine für alles zuständig ist, ist mit einer Truhe beschäftigt, die gerade angeliefert worden ist und die er draußen reinigt. Die Tische werden nicht abgeräumt, nicht gewischt,  Bestellungen ignoriert. Die Türe zum Lokal steht auf – eine maltesische Spezialität – und ein französisches Paar bittet den Mann, die Tür zu schließen. Er fragt, ob es wegen des Lärms sei. Nein, wegen der Kälte, antworten die. Er verspricht, die Tür zu schließen, tut das aber nicht, auch dann nicht, als er dann wieder nach draußen geht, um sich seiner Truhe zu widmen. Ich stehe auf und schließe die Tür. Als er wieder hinein kommt, lässt er sie wieder offen stehen, und ich schließe sie wieder. Und das geht immer so weiter. Man fragt sich, wie sich diese Gewohnheit eingeschlichen hat. Im Sommer, bei Hitze, würde man doch auch die Türen schließen, um die Hitze draußen zu lassen. Die Malteser scheinen von der Kälte weniger beeindruckt zu sein als wir. Ähnliche Szenen wiederholen sich in den nächsten Tagen immer wieder.

14. Februar (Dienstag)

Ohne Gozo hat Malta gerade mal die Ausdehnung von Frankfurt am Main, nicht mehr. Da müsste man an einem Tag auch ganz gut nach Gozo fahren können, überlege ich mir. Ich tue es, obwohl dadurch ein paar Dinge liegen bleiben, die ganz in der Nähe von Valletta sind. Das ist schade, aber auf der Fahrt nach Gozo sieht man vielleicht auch was von Malta. Und außerdem soll Gozo ganz anders sein als Malta. Ich lasse mich von dem sehr freundlichen Herrn an der Rezeption überreden, das mit einer organisierten Tour zu machen. Man wird sogar am Hotel abgeholt und zur Fähre gebracht. Auf Gozo gibt es dann einen Touristenbus, bei dem man aussteigen kann, wo man will.

Als ich vor dem Hotel auf den Transfer warte, sagt eine vorbeikommende alte Frau zu mir: „Cold today.“ Recht hat sie.

In einem vergammelten Transporter mit zerschlissenen Polstern, schmutzigen Türen und löchriger Verkleidung, in dem überall Lappen, Tüten und Zettel herumliegen, werde ich von Valletta zur Fähre gebracht. Ich bin der einzige. Bald stehen wir im Stau, aber dann geht es weiter, der Küste entlang. Wieder ist es erstaunlich grün, aber schön ist die Gegend nicht. Die Orte, durch die wir kommen, sind es auch nicht. Die Distanz zwischen den Orten ist relativ gering. Malta ist eins der am dichtesten besiedelten Länder der Welt.

Es gilt, zwei brisante Situationen zu überstehen, eine, bei der der Fahrer hinter einem Baustellenfahrzeug aus dem Windschatten rechts auf eine Hauptstraße einbiegt, und eine, bei der an einem Platz ein paar Männer einen hohen Flaggenmast manövrieren, den sie im letzten Moment zu halten bekommen. Er wäre lang genug gewesen, um auf dem Auto zu landen.

Wir machen noch zwei Abstecher zu Hotels, und als wir am Kai ankommen, ist die Fähre weg. Das ist dem Fahrer aber nicht einmal eine Bemerkung wert. Inzwischen hat auch heftiger Regen eingesetzt. Im Dauerlauf geht es zu der Abfertigungshalle, aber als ich ankomme, bin ich zum ersten Mal durch und durch nass.

In der Halle, die nicht geheizt ist und deren Türen offen stehen, gibt es einen warmen Kaffee. Und eine Zeitung. Dort lese ich, dass es in Israel, wo ich vor zwei Jahren um diese Zeit gefroren habe, heute 21° und in Athen, wo ich vor ein paar Jahren noch im März gefroren habe, heute 19° Grad warm ist. Gleichzeitig setzt hier ein Hagelschauer ein, der auf das Dach der Halle prasselt und alle verstummen lässt.

In der Zeitung steht etwas über die Schwierigkeiten von Air Malta und deren Überprüfung durch die Europäische Union. Man hat einen Plan vorgelegt, demzufolge man Einnahmen steigern und Ausgaben verringern will. Wie das gehen soll, ist mir ein Rätsel. Beim Essen für die Passagiere lässt sich jedenfalls nicht sparen. Ab 2015 will man Gewinne erzielen.

Ein irischer Schauspieler ist im Alter von 82 gestorben. Am Ende seiner Karriere sagte er, den größten Ruhm habe er einem neunminütigen Auftritt als Handwerker in Fawlty Towers zu verdanken. Nach 50 Jahren im Film und im Theater. Das muss auch eine ernüchternde Erkenntnis sein. All die alltäglichen Mühen vergebens und vergessen, unterbewertet, überschattet von einem einzigen, vermutlich künstlerisch wertlosem Auftritt. Wie ein Lehrer, der merkt, dass höchstens ein Detail, eine zufällige Episode, eine Randbemerkung bei den Schülern Spuren hinterlassen hat, während alles andere sich in Luft aufgelöst hat.

Aus diesen tiefsinnigen Überlegungen weckt mich die Fähre. Der Weg dahin geht durch den Regen, der kein bisschen nachgelassen hat. Auf dem ersten Schild, das ich auf der Fähre sehe, steht: Sonnendeck.

Die Überfahrt dauert eine halbe Stunde. Als wir auf Gozo zukommen, bricht die Sonne durch, aber die hat sich wieder versteckt, als wir ankommen.

Das erste, was man von Gozo sieht, ist eine Zitadelle, hoch über der Stadt, Mgarr, der Anlegestelle der Fähre. Ich fahre aber gleich nach Rabat durch. Schon während der kurzen Fahrt sieht man, dass Gozo ländlicher ist als Malta, und auch grüner und wohl auch fruchtbarer. Überall sieht man Gemüseanbau, immer in kleinen Parzellen, mitten in der Landschaft.

Bald geht es auf Rabat zu, der Hauptstadt von Gozo. Auch Rabat hat einen zweiten Namen, Vittoria, zu Ehren der britischen Königin, aber man ist jetzt fast ausschließlich auf den alten arabischen Namen zurückgegangen.

Ich steige hier als einziger aus und mache mich sofort auf den Weg zu der Zitadelle, auch hier hoch über der Stadt, aber mitten im Zentrum gelegen. Man betritt die Zitadelle, die wie eine Stadt in der Stadt ist, durch ein Tor. Gleich dahinter liegt eine riesige Kirche. Dem Reiseführer zufolge handelt es sich um eine Kathedrale, und die Ausmaße würden dem auch entsprechen, aber irgendwo in der Kirche lese ich, dass es sich um eine Pfarrkirche handelt. Man gelangt zu dem Eingang über eine große Freitreppe – und den Regen. Als ich oben ankomme, werde ich wieder durch den Regen hinunter geschickt, um eine Eintrittskarte zu kaufen. Dann geht es wieder rauf.

Auf den ersten Blick lohnt sich der Besuch nicht sonderlich. Es ist eine dunkle Barockkirche voller barocker Pracht und barockem Kitsch. Es gibt sogar drei hintereinander geschaltete Altäre, alle aus Marmor. Dafür entschädigt aber das Deckengemälde in der Vierung, ein trompe d’oeil, das eine Kuppel vortäuscht, aber flach ist. Das ist so meisterlich gemacht, dass ein Schweizer Ehepaar darüber streitet, ob es nun eine Kuppel ist oder nicht. Die freundliche Aufpasserin lässt uns hinter die Sperre treten, so dass wir unmittelbar unter der „Kuppel“ stehen. Erstaunlicherweise ist deren Zentrum, die Laterne, durch die das vermeintliche Licht strömt, am Rand der Kuppel. Die Laterne wird getragen von grauen, gestaffelten Gewölberingen. Perfekt. Schade, dass es so dunkel ist.

Am Ausgang sehe ich noch zwei monumentale Taufbecken aus Marmor. Sie haben die Form von überdimensionalen Vasen mit Deckel. Darüber, wie man diese Deckel entfernt, um die Taufbecken überhaupt als solche nutzen zu können, kann man spekulieren. Der Pfarrer alleine schafft es jedenfalls nicht.

Als ich aus der Kirche komme, hat der Regen nachgelassen. Über schöne, enge, unregelmäßige Steinwege geht es weiter nach oben. Teile der Zitadelle stammen noch von den Aragonesen. An verschiedenen Stellen sieht man Mauerreste und Steinbrocken. Teile der Zitadelle liegen noch in Trümmern, seitdem sie einst von den Türken stark zerstört wurde.

Anderes ist aber der Zerstörung entgangen, darunter ein paar richtige mittelalterliche Wohnhäuser. Das hat Seltenheitswert. Als die Gefahr von Überfällen am größten war, mussten alle Bewohner von Rabat nachts in die Zitadelle. Daraus entwickelten sich im Laufe der Zeit feste Wohnungen.

In einem dieser Häuser ist das Folkloremuseum untergebracht. Hier sieht man Zeugnisse des traditionellen Landlebens von Gozo, von Sicheln und Waagen bis zu Getreidemühlen und Fischernetzen und dem Steuerruder eines der traditionellen Schiffe. Es gibt auch eine Sammlung von Türklopfern, die man hier tatsächlich überall sieht, auch in der Innenstadt von Valletta, und eine ganze Sammlung von Mörsern, die zur Befeuerung von Feuerwerkskörpern für die ländlichen Feste dienen.

Der besondere Reiz des Museums liegt in der labyrinthischen Anordnung der kleinen Räume, die sich auf verschiedene Häuser verteilen und sich auf verschiedenen Ebenen befinden. Immer wieder stößt man auf einen neuen Raum, immer wieder stößt man auf einem Raum, in dem man vorher schon einmal war.

Die Exponate sind alles andere als spektakulär, aber sehenswert. Auch hier ist die Vielfalt bemerkenswert: Balkenwaagen, Waagen mit verschiebbaren Gewichten, Waagen mit einer oder mit zwei oder ohne Schalen. Es sind auch Gewichte ausgestellt, und eine Schautafel zeigt die traditionellen maltesischen Gewichte. Sie basieren auf dem Qantar (ca. 70 kg), das wiederum in Teilgewichte aufgegliedert, mit Einheiten von 12 bis 30, ohne dass man eine Regelmäßigkeit erkennen könnte.

Auch, was Berufe angeht, lernt man zu differenzieren. Schmied ist nicht gleich Schmied. In Gozo gab es traditionell vier Spezialisierungen: Schmiede für Hufeisen und Pflüge, Schmiede für Sicheln und Haushaltsgeräte, Schmiede für Türklopfer und Scharniere und Geländer von Treppen und Balkonen, Schmiede für Wagenräder und Fassreifen.

Am meisten in Erinnerung bleiben mir zwei Vitrinen mit Gegenständen aus der Puppenkiste: Stühle, Tische, ein Himmelbett. Das Besondere: Die Gegenstände sind aus Stein! Malta hat immer viel Stein und wenig Holz gehabt.

Bevor ich meine Tour fortsetzte, flüchte ich vor dem hier oben deutlich spürbaren, kalten Wind in ein kleines, gemütliches Café, von einer freundlichen Schottin betrieben. Sie schlägt einen heißen Kakao zum Aufwärmen vor. Einverstanden.

Dann geht es weiter zu dem ehemaligen Gefängnis. Man kann einige der Zellen besichtigen und erfährt einiges von der Geschichte. Es gibt eine alte Tradition von Malta als Verbannungsort. Von Heraclitus, einem byzantinischen Kaiser, wird berichtet, dass er einen gewissen Theodorus, einen Verschwörer, nach Malta bringen und ihm vor der Abreise zur Sicherheit noch die Hände und die Nase und nach der Ankunft ein Bein abschneiden ließ. Warum die Nase ein Sicherheitsrisiko darstellte, wird nicht erklärt. Der Ortsname Gerduf wird auch aus dieser Tradition abgeleitet und soll ‚Ort des Exils für Ausländer‘ bedeuten. Erstaunlich, dass sich all das in so einen kurzen Namen fassen lässt.

Das Gefängnis an dieser Stelle wurde auch von den Johannitern gegründet. Hier saßen vor allem unbotmäßige Ritter ein, meistens Duellanten oder notorische Streithähne. Gozo diente aber auch außerhalb des Gefängnisses als Ort des Exils für Ritter, die man einfach loswerden wollte.

Der berühmteste Insasse ist Valette selbst, der spätere Held der Belagerung und Namensgeber von Valletta. Er saß hier vier Monate wegen eines tätlichen Angriffs auf einen Laien ein.

Nachdem die Ritter Malta verlassen hatten, stieg die Zahl der Häftlinge an, einfach deshalb, weil der Dienst auf der Galeere als Strafe entfallen war!

Die Haftbedingungen sollen relativ gut gewesen sein: passable hygienische Verhältnisse, gutes Essen, eine ärztliche Untersuchung zu Beginn der Haft, aufgrund derer Sonderregelungen getroffen werden konnten – und zwar durch den Arzt, nicht durch die Gefängnisleitung. Besuch konnte man einmal im Monat, an einem Sonntag empfangen. Allerdings macht die Beschriftung keinen Unterschied zwischen den einzelnen Perioden, und man fragt sich, ob alles immer so wunderbar war. Die Gefangenen wurden auch zu Arbeiten herangezogen, auch außerhalb des Gefängnisses, beim Bau von Straßen, vor allem aber bei der Freilegung des archäologischen Feldes von Ggantija.

Das Gefängnis ist nicht groß, und die Zellen sind es auch nicht. Es gibt aber keine Einrichtungsgegenstände mehr, so dass es schwer ist, sich ein Bild zu machen. Es gibt aber Graffiti aller Art an den Wänden. Neben den obligatorischen Daten und Initiale auch Kreuze – keine Malteserkreuze! – und vor allem Schiffe, sehr schön und kenntnisreich in die Wand geritzt.

Ganz in der Nähe liegt ein kleines Naturkundemuseum. Das nehme ich auch noch mit, trotz der Unfreundlichkeit der Frau an der Rezeption, dem Gegenstück zu den freundlichen Männern im Folkloremuseum und im Gefängnis.

Es gibt auf zwei Ebenen eine bescheidene, aber schön präsentierte Sammlung. Gleich am Eingang ist ein Beet von Stalagmiten und Stalaktiten angelegt, bei dem vor allem Wert auf die verschiedenen Farben gelegt wird: Je weißer, umso reiner. Weiß ist selten zu finden.

Die Stars der Ausstellung befinden sich oben, eine Pflanze und ein Pilz. Nicht wegen ihrer Besonderheit, sondern wegen ihrer Bedeutung für Malta sind sie die Stars. Die Blume, eine blaue blühende, langstielige Wiesenblume, ist die nationale Blume Maltas. Der Fungus, der Malteserschwamm, der aussieht wie ein verkohlter Penis, bezieht seine Bedeutung aus der medizinischen Anwendung. In der Zeit der Johanniter war er das Allheilmittel überhaupt. Vor allem bei Wunden, Blutungen und Verletzungen fand er Verwendung, aber auch als Aphrodisiakum. Der Extrakt wurde für horrende Summen an die europäischen Fürstenhäuser verkauft. Die Malteser waren auch Marketingexperten. Eine neuere Untersuchung durch britische Forscher konnte in der Pflanze keinen einzigen Heilstoff entdecken.

Am interessantesten finde ich aber eine Vitrine zu dem auf Malta allgegenwärtigen Sandstein, der hier in verschiedenen Formen präsentiert wird. Der Sandstein hat drei Schichten, von denen die mittlere die weichste ist, nicht hart genug für den Hausbau. Aus diesem Stein werden Statuetten und Figürchen gemacht, vermutlich auch die Ausstattung der Puppenstube, die mir vorher im Folkloremuseum aufgefallen ist. Die obere Schicht ist härter und wird für den Hausbau verwendet. Sie ist aber noch so weich, dass man, wie im Gefängnis gesehen, mit jedem spitzen Gegenstand Linien hineinritzen kann. Die untere Schicht ist die härteste und feuerresistent. Daraus werden Öfen gemacht.

Danach zieht es mich wieder in das Café der freundlichen Schottin. Ich bestelle zum Aufwärmen neben dem Hauptgericht eine Suppe. Ein Fehler. Alles dauert unendlich lange, und mir wird bange wegen der Busse. Ich muss um 4 Uhr an der Fähre sein. Deshalb fällt die Besichtigung der schönen Innenstadt von Rabat flach. Bei den Bussen gibt es tatsächlich einiges an Durcheinander. Ich fahre eine Station mit einem leeren, dann den Rest der Strecke mit einem vollbesetzten Bus und erwische nur noch einen Platz hinter der Treppe, von dem aus man fast nichts sehen kann. Die Kommentare sind ebenso spärlich wie dämlich: „Hier gibt es gute Fischlokale“ oder „Hier könnten Sie Ihren ersten Tauchkurs machen.“ Man hat für alle Sprachen einen Muttersprachler für die Aufnahme genommen, außer für Englisch, von dem die Malteser glauben, sie könnten es selbst. So hört es sich auch an. Ich wechsle auf Deutsch, aber da ist eine Schweizerin zugange, und bei der hört es sich an, als wäre von den „Johannieten“ die Rede.

An einer Stelle ragt ein Hügel, im wahrsten Sinne des Wortes, aus der Landschaft und den ihn umgebenden flachen Hügeln hinaus. Er ist durch eine Imitation des Christus von Rio de Janeiro im Kleinformat bekrönt. Seine konische Form hat Anlass zu der Vermutung gegeben, er sei vulkanischen Ursprungs, aber das stimmt nicht. Malta war ursprünglich Meer. Die vielen Meeresfossilien auf den Hügeln beweisen es.

Der Weg führt durch eine schöne Landschaft, viele grüne Hügel, die durch halbhohe Mauern unterteilt sind, an England und Irland erinnernd. Was deren Zweck ist, erfährt man aber nicht. Dann kommt eine schöne Strecke mit hohen Felsen. Alle Orte haben riesige Kirchen, die vermutlich viel mehr Menschen fassen, als hier wohnen.

Der Ort Xlendi hat seinen Namen von einem Wort, das ich für eine Heilpflanze halte. Ich werde aber sofort korrigiert. Es geht zurück auf einen Schiffstyp aus der byzantinischen Zeit.

Um das Dorf Qala herum gibt es Zitronen- und Orangenbäume, keine riesigen Plantagen, sondern eher Felder. Ihre Besonderheit: Man sieht die Bäume kaum. Sie sind eingefriedet von Bambuszäunen, zum Schutz gegen den Wind.

Nach Wartezeiten auf beiden Seiten der Fähre geht es dann zurück nach Valletta. Das wirkt bei der Rückkehr schon fast heimisch. Und ich sehe auch die schöne, beleuchtete Einfahrt in die Stadt durch das Stadttor von Floriana und entlang einer langen Reihe von beidseitigen Arkaden.

Hat sich der Ausflug nach Gozo gelohnt? Schwer zu sagen. Warten und Transport nehmen viel Zeit in Anspruch, und in Valletta und in der Nähe gibt es viele interessante Dinge zu sehen. Demnächst gilt wieder die Devise: Das Naheliegende zuerst.

15. Februar (Mittwoch)

Wenn die elektronische Anzeige einer Apotheke in der Republic Street stimmt, ist es am frühen Vormittag 12° warm. Fühlt sich kälter an, viel kälter. Aber im Laufe des Tages kommt die Sonne raus, und das Wetter bemüht sich, der Anzeige gerecht zu werden.

Dass Straßennamen ein Politikum sind, sieht man an der Republic Street. Sie hieß zuerst Strada Reale und dann Kingsway.

Bei all seinem Militarismus vergisst man leicht, dass der Johanniterorden ursprünglich zur Krankenpflege gegründet wurde. Schon vor dem ersten Kreuzzug machte man es sich zur Aufgabe, Pilger in Jerusalem zu betreuen. Meistens bedeutete das: zu verarzten. Was müssen das für Anstrengungen gewesen sein. Schon die konnten einen zum Pflegefall machen, von Krankheiten, Unfällen, Verletzungen, Räuberattacken ganz zu schweigen. Diese Tradition der Betreuung Kranker wurde lange aufrechterhalten und hat in Valletta seinen materiellen Niederschlag in der Santa Infermeria, dem Hospital des Ordens.

Auf dem Weg dahin komme ich an der Markthalle vorbei, einem Quadratbau mit hohen Fenstern und grünen Fensterläden. Über dem Eingang steht eine Inschrift in Malti, in der das Wort Suk vorkommt. Das kenne ich irgendwie aus arabischen Ländern. Es heißt so etwas wie ‚Markt‘.

Da die Markthalle nur vormittags geöffnet hat, sehe ich kurz rein. Eine ziemliche Enttäuschung: keine Stände, sondern Geschäfte hinter Glas, viele davon geschlossen oder renovierungsbedürftig; schummriges Licht, da man auch zu dieser Jahreszeit die Jalousien nicht hochzieht, die noch nicht einmal Licht durch die Ritzen der Fensterläden eintreten lassen; eine defekte Rolltreppe, leere Geschäfte mit rauchenden, nach Kundschaft Ausschau haltenden Verkäufern, bescheidene Auslagen, ein ungemütliches Café, in das sich zwei Kunden verirrt haben. Oben, wo es Obst und Gemüse gibt, ist es etwas besser. Mehr Geschäfte sind in Betrieb, und sie haben bessere Auslagen. Zwei Feinkostgeschäfte mit vollen Regalen und geöffneten Säcken mit Gewürzen und Nüssen geben einen Eindruck davon, wie es sein könnte.

Weiter auf meinem Weg zum Hospital, das am fast entgegengesetzten Ende der Altstadt liegt, komme ich an der Pauluskirche vorbei, St. Paul’s Shipwreck. Die ist so in die Häuserzeile eingebunden, dass man sie leicht übersehen kann. Der Besuchereingang liegt in der Seitenstraße, wo es noch weniger nach Kirche aussieht.

Drinnen sind immer noch die letzten Umbauarbeiten von dem Patronatsfest am Freitag zugange. Aber der Innenraum nimmt sofort alle Aufmerksamkeit in Anspruch. Noch nie habe ich eine Kirche gesehen, bei der es so sehr nach Theater, nach Inszenierung aussieht. Das liegt vor allem an den drapierten Vorhängen, die über allen Kapellen hängen, aber auch an den drapierten Säulen und den vielen Bannern, die die Ecken verdecken und an dem mit einer Monumentalfigur bekrönten Baldachin über dem Altar. Dazu kommen all die bewegten Skulpturen. Eine Sinnesspektakel. Die barocken Baumeister wären zufrieden, auf uns wirkt es eher wie ein Zeugnis schlechten Geschmacks. In einer Seitenkapelle wird die Säule aufbewahrt, an der der Hl. Paulus gefoltert wurde, jedenfalls die untere Hälfte der Säule. Die obere ist in Rom. Zur Komplettierung hat man hier einen silbernen Kopf drauf gelegt.

Danach geht es wieder ans Tageslicht. Gott sei Dank. Ich kehre auf einen Kaffee in ein altmodisches Café mit einem völlig uncharmanten Interieur ein, in dem nur alte Männer sitzen. Sie sprechen auf Malti, aber das Thema kann man identifizieren, wegen der vielen Eigennamen: Autos. An der Theke stehend, trinke ich einen Kaffee, der kaum nach Kaffee schmeckt. Über der Theke hängt an zwei Bindfäden eine Sammlung von Kulis, eines der wenigen Schmuckstücke des Lokals. Als ich den Besitzer nach der Bewandtnis dieser Kollektion frage, sagt er: „Collection.“

Gleich um die Ecke ist das Hospital der Johanniter, gegründet 1574 für Verwundete, Kranke und Pilger. Es war also Hospital und Hospiz in einem. Man wurde, und das war das Besondere, aufgenommen unabhängig von Glauben und sozialem Stand.

Oben gelangt man gleich in den Hauptsaal, zu seiner Zeit, und auch jetzt noch, einer der längsten Säle Europas (155 m), das Resultat der Verbindung zweier ursprünglich kleinerer Säle, wie noch an den unterschiedlichen Fenstern zu sehen ist. Der Saal ist aber nur lang und hat außer einer Kassettendecke nichts zu bieten.

Die eigentliche Ausstellung ist unten, unter der Erde, wo sich das Magazin  befand. Wie so oft in diesen Tagen, bin ich hier wieder der einzige Besucher.

Die Ausstellung hebt vor allem darauf ab, wie modern alles war. Unter anderem hatte jeder Kranke ein eigenes Bett, keine Selbstverständlichkeit zu der Zeit. Die Betten hatten einen hohen Baldachin und zogen sich an der ganzen Längsseite des großen Krankensaals entlang.

Das Personal wurde streng überwacht: Essensausgabe, Sauberkeit, Arzneiausgabe, alles wurde ständig überprüft. Es gab getrennte Säle für Patienten mit Magen- und Darmerkrankungen. Würfel-, Schach- und Kartenspiel waren verboten.

Es gab Reis, Tauben, Wild, Eier, Milch, Brot und Rosinen, für Patienten wie fürs Personal. Das muss purer Luxus gewesen sein. Findlinge bekamen, wenn keine Amme zur Verfügung stand, Ziegen- oder Eselsmilch.

Wie schon in der Casa Rocca Piccola gesehen, wurde Silbergeschirr benutzt, aus hygienischen Gründen. Nur die Straftäter bekamen Zinngeschirr!

Im Laufe der Zeit wurde auch eine eigene Forschungsstation aufgebaut. Das Hospital hatte sogar einen eigenen Lehrstuhl für Anatomie. Einer der Lehrstuhlinhaber vermachte dem Hospital 15.000 Bücher über die Heilkunst und legte im Graben der Festung einen Kräutergarten an, um seinen Studenten die Heilkraft der Kräuter demonstrieren zu können.

In der Chirurgie kam es, in den Tagen vor der Anästhesie, auch auf Schnelligkeit an. Ein Arzt des Hospitals, Mikiel d’ang Grima, erwarb sich einen besonderen Ruf für die Schnelligkeit, mit der er operierte. Man sagte von ihm, er könne in zweieinhalb Minuten eine Harnblase öffnen und die Steine entfernen.

Schusswunden wurden lange mit kochend heißem Holunderöl behandelt. Bei einer militärischen Kampagne in Turin (1537) ging das Öl aus, zum Glück für spätere Generationen von Verwundeten. Man ersetzte es durch eine Mischung aus Rosenöl und Terpentin.

Während der Pest brachte man die Patienten zuerst getrennt für drei Tage auf Probe unter. Wenn sich Symptome zeigten, wurden sie in einen eigenen Krankensaal im Fort. St. Elmo verlegt.

Noch weiter unter der Erde gibt es verwinkelte Gänge, von denen einer eine Verbindung zum Fort St. Elmo herstellte und im 2. Weltkrieg als Geheimgang genutzt wurde.

Ich mache mich auf den Weg zu den Upper Barraca Gardens. Im Vorübergehen kaufe ich mir Foccaccia. Die Verkäuferin wärmt sie für mich auf und fragt mich: „I cut it for you?“ Maltesisches Englisch.

Pünktlich komme ich an den Upper Barraca Gardens an. Hier soll es eine Führung in der Saluting Battery geben. Ich werde von einem freundlichen Soldaten angesprochen, der mir meinen Wunsch von den Augen abliest und erklärt, man befinde sich in einer Phase der Renovierung und die Saluting Battery, von der aus um 12 Uhr eine Kanone abgeschossen wird, sei für zwei Monate geschlossen. Er spricht Englisch wie ein Engländer. Vielleicht zweisprachig aufgewachsen?

Stattdessen kann ich die Lascaris War Rooms besichtigen. Die liegen ganz in der Nähe. Sie sind aber schwer zu finden. Und das ist kein Zufall. Sie waren die geheime Kommandozentrale der Briten während des 2. Weltkriegs. Und geheime Kommandozentralen wollen gut versteckt sein. Sie liegen tief unter den Upper Barraca Gardens, in einem tief in den Felsen gehauenen Tunnel, und man erreicht sie nach mehreren Windungen und mehreren in den Felsen gehauenen Treppen über ein Wohnviertel.

Die Führung hat schon angefangen, und das trägt wenig dazu bei, dass ich verstehe, wovon die Rede ist, genauso wenig wie der knorrige maltesische Akzent und die vielen militärischen Details. Vor allem komme ich nicht mit, als es um die unterschiedlichen Angriffsstrategien von Italienern und Deutschen geht. Die Italiener, das wird klar, flogen ihre Angriffe aus einer Höhe von 12.000 Fuß. Die Briten mussten sie also auf 10.000 Fuß herunterbekommen, denn ihre beste Abwehrrakete, die hier in einer Vitrine ausgestellt ist, kam gerade so weit. Wie die Briten das bewerkstelligten und warum die Deutschen nicht auch so hoch flogen, verstehe ich nicht.

Ganz entscheidend für den Verlauf des Kampfs ums Mittelmeer  war wohl das Radar. Das war noch neu, in den Kinderschuhen, und man verweist hier mit Stolz darauf, dass man eine entscheidende Entdeckung machte. Die Reichweite des Radarsystems war gering, und hier verfiel man auf die Idee, die Radarsender auf erhöhten Punkten zu positionieren. Dadurch wurde die Reichweite viel größer. Man sieht das auf einer großen Karte, auf die wir, wie damals die militärischen Kommandeure, von oben herabblicken, auf der der Radius der einzelnen Stationen eingezeichnet ist. Die größten reichten so gerade bis in den Süden Siziliens, und das muss strategisch wichtig gewesen sein.

Eine andere maltesische Besonderheit war eine Strategie, die hier Box barrage genannt wird, wenn ich das richtig verstanden habe, eine Art konzertierter Aktion. Dabei wurden Abwehrraketen rund um den Grand Harbour aufgestellt und zielten alle gemeinsam auf Angreifer, in der Hoffnung, irgendwer werde schon treffen. Das war erfolgreicher als die herkömmliche Strategie, und die Zahlen sprechen tatsächlich dafür.

Malta und damit die Lascari War Rooms waren das britische Operationszentrum für die militärischen Aktionen der Briten im Mittelmeer, und später dienten sie Eisenhauer und Montgomery als Hauptquartier für die Operation Husky, die Invasion Siziliens.

An einer Tafel an der gegenüberliegenden Wand wurden, wie in Fußballstadien, die Zwischenergebnisse festgehalten, das heißt die Zahlen der getroffenen und abgeschossenen gegnerischen Flugzeuge und der getöteten und gefangenen Soldaten. Man bekam nur einen Eintrag, wenn der Treffer von mindestens einem anderen Piloten bestätigt wurde.

Eine dramatische Geschichte erzählt man sich um den Tanker Ohio, der dringend benötigten Nachschub nach Malta bringen sollte. Ein abgeschossenes Flugzeug landete auf dem Tanker, und der fing Feuer. Die Besatzung suchte das Weite, aus Angst vor einer Explosion, aber der Tanker explodierte nicht. Die Besatzung kehrte zurück, löschte das Feuer und zog den nicht mehr manövrierfähigen Tanker in weiteren zwei bangen Tagen in den Hafen. Das ist der Stoff, aus dem Nationalepen entstehen.

Am Ende erfahre ich noch, dass auch der Name Lascaris von den Johannitern kommt. Jean Lascaris, einer der Großmeister des Ordens, hatte sich hier einen privaten Garten anlegen lassen, und auf diesem Grund bauten die Briten später das Fort Lascaris. Die War Rooms wurden 1940 angelegt, indem man einen aus der Ritterzeit vorhandenen Tunnel nutzte und erweiterte.

Als ich wieder aus dem Tunnel komme, sehe ich an der gegenüberliegenden mächtigen Felswand, wie sich ein einzelnes grünes Gewächs trotz der unfruchtbaren Umgebung durchgesetzt hat.

Danach kaufe ich Ansichtskarten, auf denen Valletta schöner aussieht, als ich es je gesehen habe, eine Luftaufnahme, die einen Teil von Valletta und Manoel Island und einen Teil von Sliema und das dazwischenliegende Meer zeigt.

Dem Kioskbesitzer sind die Briefmarken ausgegangen. Also muss ich mich auf die Suche nach dem Postamt machen, und das versteckt sich fast so gut wie die Lascari War Rooms. Aber Ende finde ich es. Eine Briefmarke kostet 37 Cent. Die maltesische Post muss ihre Kosten genau berechnet haben. Oder es handelt sich noch um die Folge der Umstellung auf den Euro. Die Briefmarke zeigt ein Barockgemälde mit Maria und zwei ganz unheilig herumspringenden Jungen, Jesus und – Johannes!

Ich folge einem Tipp des Portiers und fahre mit dem Bus nach Marsaskala. Der Reiseführer bevorzugt Marsaxlokk, aber das ist etwas weiter. Und in beiden gibt es nicht so schrecklich viel zu sehen, sie sind in erster Linie schön. Der gemeinsame Namensbestandteil, marsa, weist auf die Lage an der Küste hin. Es ist das maltesische Wort für ‚Hafen‘.

Der gesamte Busbahnhof mit seinen 15 Bussteigen ist ein Modell von Organisation und Transparenz, aber beim Einsteigen benutzt man den Ellbogen. Die Briten waren nicht lange genug hier, um Schlangestehen populär zu machen.

Die Fahrt dauert gerade mal eine gute halbe Stunde, wirkt aber länger. Schließlich ist dies ein Linienbus, und der hält eben alle Nase lang.

Die Fahrt lohnt sich aber schon für den kurzen Blick aus dem Bus heraus auf Marsaskala. Das ist Idylle pur. Die niedlichen bunten Boote zwischen den bunten Bojen im blauen Meer unter der hellen Sonne, das ist wie im Bilderbuch. Danach könnte man eigentlich wieder zurückfahren.

Zu sehen gibt es, wie gesagt, nicht viel, aber ich mache einen langen Spaziergang an der breiten Uferpromenade entlang, Richtung offenes Meer. Um diese Zeit ist hier fast nichts los, aber im Sommer ist das bestimmt anders.

Der erste Eindruck purer Idylle relativiert sich dabei. Die gesamte Küste ist dicht und nicht immer schön bebaut.

Der Spaziergang führt bis zu einem Turm, dem St. Thomas Tower, in alten Zeiten einer der wenigen Schutzorte für die Bevölkerung. Bei der muss panische Angst geherrscht haben, sobald ein Schiff am Horizont erschien. Nicht nur, dass man an ihr Hab und Gut wollte, man wollte auch sie selbst – als Galeerensklaven. Also flüchtete man sich mit ein paar Habseligkeiten in den Turm oder eine Wehrkirche, um wenigstens das zu verhindern.

Auf dem Weg zu dem Turm sehe ich, wie schon an anderen Stellen, Fahrradständer in Form von Fahrrädern. Sieht lustig aus, aber ein Fahrrad habe ich in der ganzen Zeit noch überhaupt nicht gesehen.

Der Wind, der auch hier kräftig bläst, hat einen Ast von einer Palme geweht. Und gibt mir einen Fingerzeig in die Geschichte der Zivilisation. So etwas muss irgendwann irgendwer irgendwo gesehen und dabei gedacht haben: Damit kann man ja den Boden sauber machen. Der Besen brauchte nicht erfunden, nur entdeckt zu werden.

Die moderne Zivilisation stellt hier Abfalltonnen zur Verfügung. Auf denen steht ausdrücklich, dass sie nur für die Boxen aus Fast-Food-Restaurants verwendet werden sollen!

Fast noch rechtzeitig vor dem einsetzenden Regen kann ich mich in ein Lokal an der Bucht retten. Dort bekomme ich einen sehr heißen, sehr dunklen, sehr zähflüssigen Kakao. Dabei lese ich, dass Marsaskala eigentlich ‚Hafen der Sizilianer‘ heißt, denn hier wurden sizilianische Soldaten angesiedelt. Italienisch sieht auch der Kirchturm aus, der auch fast wie ein Campanile getrennt von der Kirche dasteht.

Am Abend leiste ich mir ein Essen in einem „richtigen“, vom Reiseführer empfohlenen Restaurant in der Merchant Street in Valletta. Ich zahle am Ende 20 €, das teuerste Essen dieser Woche.

Als man mir den Platz anweist, den schlechtesten im ganzen Lokal, ist mir schon fast wieder danach, zu gehen. Warum bekommt man als einzelner Gast immer den Katzentisch? Selbst die Paare kommen nicht viel besser weg. Alle drei Paare hat man an winzige Tischchen verbannt, während alle anderen Tische, die ganz normalen, leer sind. Man hat nicht den Eindruck, dass der große Kundenansturm noch bevorsteht.

Ich bekomme einen etwas besseren Tisch, aber da zieht es. Auch hier steht die Tür auf. Erst auf die Bitte einer Touristin schließt man sie dann doch. Aber man hat die Rechnung ohne den Wind gemacht. Der schlägt sich auf die Seite der Malteser und weht die Tür wieder auf, und zwar gleich beide Flügel.

Nachdem ich zuerst eine vegetarische Vorspeise gewählt habe, diese aber ausgegangen ist, bestelle ich das genaue Gegenteil: eine gefüllte Wurst, und zwar mit Schweinefleisch und Rindfleisch gefüllt! Außerdem mit Reiskörnern und Kräutern. Schmeckt sehr würzig.

Am Nachbartisch hat ein Mann zwei Bier bestellt. Ich vermute, dass seine Begleitung noch kommt, aber er ist allein. Dann vermute ich, dass er heftigen Durst hat und sich ein Bier reinschütten und das zweite in Ruhe genießen wird. Aber auch das tut er nicht. Er genießt beide in Ruhe, und schenkt sich immer aus beiden Flaschen ein. Also vermute ich, dass er zwei Arten Bier vermischt, Hell und Dunkel oder so. Ich versuche, unauffällig zu seinem Tisch hinüber zu sehen, aber es ist ein und dasselbe Bier. Ich habe noch ein halbes Abendessen Zeit und komme endlich auf die einzig logische Erklärung, und die lasse ich mir von ihm, als ich das Lokal, verlasse, nur noch bestätigen: „One cold, one warm.“

Im italienischen Fernsehen gibt es am Abend Tempestà d’amore – Sturm der Liebe!

16. Februar (Donnerstag)

Das Photographieren auf dieser Reise ist ein einziger Reinfall. In der Casa Rocca Piccola stellec ich mich so blöd an, dass gleich beim ersten Bild, tortz ausdrücklichen Verbots, der Blitz ausgelöst wird. Alle schauen mich vorwurfsvoll an, und ich stecke die Kamera verschämt in die Tasche. In der Kathedrale geling es mir dann, die Blitzlichtfunktion abzustellen, aber dabei habe ich ungewollt eine andere Funktion aktiviert, und alle Bilder haben einen Gelbschimmer. Und als ich außerhalb von Valletta bin, lässt mich gleich zweimal die Batterie im Stich. Nur die Bilder im nächtlichen Valletta sind gut geworden.

Von den Alternativen, die sich für den letzten Tag anbieten, favorisiere ich Mdina, die alte Hauptstadt Maltas, im Zentrum der Insel gelegen. Aber am Ende entscheide ich mich dagegen und bleibe einfach hier. Die Füße streiken, und der Kopf auch. Er ist voll. Oder leer. Und das nach nur einer Woche. Wie machen das Menschen, die auf Weltreise gehen und ein ganzes Jahr unterwegs sind?

Ich gehe ganz gemächlich durch die Straßen und mache Photos von Balkonen und Türklopfern. Die Balkone nehmen manchmal fast die gesamte Fassade ein, hinter- und übereinander angebracht, manchmal ist nur ein einziger an der ganzen Fassade. Die klassischen maltesischen Balkone sind die geschlossenen, meistens aus Holz, aber es gibt auch ganz herkömmliche. Die haben meistens verzierte Gitter aus Gusseisen, entweder gerade abschließend oder bauchig. Die bauchigen Gitter sieht man auch vor Fenstern im Erdgeschoss. Sie schaffen Platz für Blumentöpfe.

Die Türklopfer sind häufig einfach, manchmal auch figürlich. Da gibt es den klassischen Löwenkopf, aus dem der Ring herausguckt, aber auch Fische, eine beliebtes Motiv hier. Bei den Fischen ist der Fisch selbst der Klopfer, anders als bei den Löwen. Als ich gerade überlege, dass ich noch keinen Türklopfer mit Malteserkreuz gesehen habe, sehe ich einen. Verrückt.

Im Hotel zu frühstücken, habe ich längst aufgegeben. Es ist viel interessanter, unterwegs etwas zu bestellen. Das bewährt sich auch heute, schon wegen des Lokals, in dem ich Kaffee und Mandelgebäck bekomme. Es ist eine perfekte Kombination von Café und Laden, das einen Preis für optimale Raumnutzung verdient hat. Regale an drei Seiten: Keksdosen und Gebäcktüten, Bonbonieren, Schokoriegel, Pasta, an der Stirnseite oben sogar eine beträchtliche Reihe von Weinflaschen, alles Produkte, die nicht selbst hergestellt werden. Hier ist der Laden ganz Laden. Die vierte Seite nimmt das Schaufenster ein: Teilchen und Gebäck. Hier ist der Laden Bäckerei. In der äußersten Ecke ein runder Stehtisch. Hier ist der Laden Café. Und das alles auf höchstens 12m2. Als noch weitere vier Kunden kommen, ist der Laden voll. Sie stehen in einer Reihe längs der Theke. Für zwei nebeneinander ist kein Platz. Die Theke hat rechts Pasteten und andere deftige Waren und links die Ingredienzien zur Zubereitung von belegten Broten. Zwischen Theke und Durchgang steht noch ein kleiner runder Tisch mit Chipstüten. An der Stirnwand ein hoher Kühlschrank und ein hoher Gefrierschrank. An der Wand hinter dem Verkäufer eine Kaffee- und eine Espressomaschine, eine Waage und sogar zwei kleine Spülbecken. Es ist wirklich an alles gedacht. An einem Fleckchen Wand ohne Regal eine Uhr, ein Kreuz und zwei Photos. Trotzdem fühlt man keine bedrohliche Enge, und alles sieht qualitäts- und stilvoll aus.

Ganz in der Nähe sehe ich einen mit Schläuchen, Besen, Eimern und Leitern vollgepfropften Laden. Auch die Lebensmittel kauft man in solchen Läden. Supermärkte gibt es keine. Viele der Läden sind in ähnlich kleinen, länglichen Räumen untergebracht. Die Namen der Geschäfte sind auf Englisch, manchmal auf Italienisch, aber nie auf Malti.

 

Abends werden die Läden früh hochgeklappt, oder besser: die Gitter runtergelassen. Die Innenstadt ist dann, sobald es dunkel wird, so gut wie ausgestorben. Das maltesische Nachtleben findet woanders statt.

An einer etwas vergammelten Häuserfassade sehe ich in einem winzigen Drahtkäfig einen Wellensittig, der unruhig hin und her hüpft. Dem ist es vielleicht nicht nur zu eng, sondern auch zu kalt.

In einer Seitenstraße sehe ich ein altmodisches Schreibwarengeschäft mit einer altmodischen Auslage und einem altmodischen Schriftzug. Es heißt Hollywood. Über einer schiefen Tür an einer vergammelten Fassade prangt ein Schild mit der Aufschrift Movie Busters. Auch typisch das Nebeneinander von Gegensätzen: Neben einem eleganten Juweliergeschäft ein längst aufgegebenes Geschäft mit verbeulten Planken, einer kaputten Neonreklame und einem zerkratztem Gitter, überklebt mit halb abgekratztem, nicht mehr lesbaren Aushängen.

Unten, in der Nähe des Forts St. Elmo, haben sich  Fußabdrücke in den Stein der Bürgersteige eingegraben. Im Sommer muss der weiche Sandstein bei Hitze zu Lehm werden.

Da ich ohnehin schon ganz unten angekommen bin, gehe ich spontan in das Kriegsmuseum im Fort St. Elmo. Da gibt es zu sehen, was man in einem Kriegsmuseum erwartet: Bomben, Gasmasken, Uniformen, Gewehre. Es gibt aber auch Dinge, die man nicht erwartet. Dazu gehören Trümmerteile von der Fassade des Opernhauses und die – handschriftlichen – Noten des Dirigenten der letzten aufgeführten Oper vor der Zerstörung, Donizettis L‘elisir d’amore.

Der Star des Museums ist Faith, ein Kriegsveteran. Es handelt sich um ein Flugzeug, ein kleines Propellerflugzeug, ein Gladiator der Marke Gloster. Dieses Flugzeug ist eine nationale Ikone. Als Italien 1940 den Krieg erklärte, hatte Malta nur drei Flugzeuge zur Abwehr: Faith, Hope und Charity. Man leistete trotzdem erbitterten Widerstand, und der ist die Grundlage der Verklärung der Geschichte, der Abwehr des Feindes im 2. Weltkrieg, als Parallele zum Widerstand während der türkischen Belagerung zur Zeit der Kreuzritter gedeutet. 1941 war von den drei Flugzeugen nur noch Faith im Einsatz. Die wurde später auch mächtig lädiert, aber nach dem Krieg wieder weitgehend zusammengeflickt und ins Museum gestellt.

Von den über Malta abgeschossenen deutschen Flugzeugen sieht man eine Messerschmitt und eine Stuka. Die schwerste Zeit für Malta war der April 1942, als es für zwölf Tage unter Dauerbeschuss war und als 2.100 Bomber 6.700 Tonnen Bombenmaterial abwarfen, fast so viel wie während der gesamten Battle of Britain über London.

In dem Jahr stand Malta kurz vor der Aufgabe. Das war das Jahr der legendären Ohio. Von der sieht man hier das Steuerruder, ein Bullauge, das Namensschild und ein Modell. Der Konvoi umfasste neben dem Tanker dreizehn Handelsschiffe, von denen nur vier ankamen. Und insgesamt 32.000 Tonnen an Gütern, von ursprünglich 85.000 Tonnen, nach Malta brachten. Der Rest landete auf dem Meeresboden.

An einer Ecke stehen zwei Meilensteine. Orts- und Namensangabe sind bei einem unkenntlich gemacht. Das tat man, um dem Feind im Falle einer Invasion das Leben schwerer zu machen. Aber manchmal wurde eben der eine oder andere übersehen.

Es gibt auch eine komplette Sammlung der Geldscheine und Münzen aus der britischen Zeit, eigene Geldscheine mit dem Aufdruck The Government of Malta, aber der Büste des Königs. Der höchste Wert überhaupt ist ein Pfund.

Man sieht einen nachgebildeten Luftschutzbunker, mit Schemeln, Hockern und Liegestühlen, Paraffinlampen, Madonnen und Boxen mit Wertgegenständen. Den größten Luftschutzbunker gab es in Floriana, für 3.000 Menschen. Die Luftschutzbunker boten normalerweise nicht genug Platz für Betten und hatten im Allgemeinen kein elektrisches Licht. Die Wände waren feucht, und die hygienischen Verhältnisse bescheiden. Die größte Gefahr war der Ausbruch einer Epidemie. Das geschah nicht, aber Furunkel, Krätze, Rachitis waren weit verbreitet.

Man sieht in verschiedenen Vitrinen auch von deutschen Kriegsgefangenen hergestellte Artikel, eine Lederhandtasche, ein Aquarellgemälde, vor allem aber Zigarettenhalter und Bilderrahmen aus maltesischem Stein, mit schönen, eingeritzten Verzierungen. Man ist ganz angetan von der Kunstfertigkeit. In einer anderen Vitrine sieht man Sandalen, die ein englischer Kriegsgefangener in Japan aus Autoreifen gebastelt hat. Irgendwie berühren einen diese Alltagsgegenstände, von menschlicher Hand geschaffen, inmitten all der Kriegsmaschinerie.

Schon gegen Ende der Ausstellung sieht man Husky, den Jeep, den Eisenhauer in Malta vor der Invasion Siziliens benutzte, einer von 600.000 von Ford eigens für den Krieg produzierten Willys. Derselbe Jeep diente auch Roosevelt bei seinem Besuch auf Malta. An Devotionalien gibt es den Spazierstock von Eisenhauer und den Zigarrenhalter von Churchill.

Als die Alliierten 1943 Sizilien einnahmen, war der Krieg für Malta praktisch beendet. Das endgültige Kriegsende bedeutete dann auch den Wegfall vieler Arbeitsstellen, und es kam zu einer erheblichen Emigration, gemessen an der Gesamtbevölkerung. 100.000 wanderten aus, vor allem in britische Kolonien.

Zu denken gibt, dass Malta vor der Unabhängigkeit ein Gesuch auf Aufnahme in das Vereinigte Königreich stellte. Das wurde abgelehnt. Die Gründe werden nicht genannt, und die ganze Geschichte wird heute eher unter den Teppich gekehrt.

Zum Mittagessen gehe ich in die Bar Sicilia, vom Reiseführer ausdrücklich empfohlen. Aber ihren Reiz bezieht die Bar wohl in erster Linie durch die Terrasse, von der aus man einen schönen Blick über den Hafen hat. Dafür ist es mir zu kalt, obwohl dort ein paar Gäste sitzen. Für das Essen würde sich ein Umweg nicht lohnen. Als ich auf das Essen warte, höre ich, wie die Bedienung einen anderen Gast fragt „Something else?“ Maltesisches Englisch.

Beim Verlassen der Bar bekomme ich dann zum Ausgleich einen ästhetischen Genuss in der Schaufensterauslage der Bar: ein Photo vom Papst und ein Photo von einem Kardinal gleich neben Chivas Regal und Jack Daniel’s, eine uralte Coca-Cola-Leuchtreklame, ein alter Vorhang, eine alte Jacke, kitschige sizilianische Miniaturpferdekutschen, ein Weinfass, ein kitschiges silbernes Kreuz vor einer Muschel, das Modell eines Kriegsschiffs, und zwischen all dem verschiedene Kabel, die von einer Steckdose zu dem Coca-Cola-Schild führen und es erleuchten!

Ganz oben in der Stadt identifiziere ich zum ersten Mal ein Gebäude, an dem ich schon mehrmals vorbeigekommen bin. Es ist die Auberge de Castille, der prachtvollste aller Paläste der Ritter. Heute ist er der Sitz des Ministerpräsidenten.

Gegenüber, im Zentrum eines Kreisverkehrs, ein kleiner, runder Park mit einer modernen Statue. Der Mann scheint in Bewegung zu sein. Er hat einen Fuß vorgestellt, und seine Krawatte weht ihm um die Schulter. Die Kleidung ist gut, aber nicht elegant. Die Hose sieht eher wie eine traditionelle Arbeiterhose aus. In einer Hand hält er seinen Hut, in der anderen vermutlich eine Schriftrolle. Es scheint, als habe er etwas zu sagen, eine Nachricht zu überbringen. Die Skulptur stellt einen gewissen Manwel Dimech dar. Dimech, ein früher Sozialist, wurde ganz in der Nähe, in der St. John’s Street, geboren, und in St. Paul’s Shipwreck getauft. Er wurde trotz widrigster Umstände eine außergewöhnliche öffentliche Figur, als die er gegen die Macht der Kirche und gegen die Macht der britischen Besatzer agierte, vor allem aber das Maltesische förderte und zur Ausbildung einer politischen Klasse beitrug, die sich nicht aus den traditionellen Bildungsschichten rekrutierte. Er wurde in eine bettelarme Familie geboren, die in einer Wohnung lebte, die nur aus einem Zimmer bestand. Nach dem frühen Tod des Vaters wurde er für einen Diebstahl ins Gefängnis gesperrt. Die erst noch harmlosen Straftaten wurden immer schlimmer, und Dimech verbrachte insgesamt zwanzig Jahre im Gefängnis. Dort begann er sich zu bilden und begann zu schreiben.

Ganz in der Nähe sehe ich einen rätselhaften Eingang in den Felsen, ein beleuchteter, ansteigender Gang über gut ausgebaute Stufen mit dünnen Eisenpfeilern, die die Intervalle markieren. Man sieht nicht, wohin der Gang führt. Das will ich wissen. Am Ende des Gangs befindet sich eine moderne Kunstgalerie. Perfekt untergebracht in dem alten Gemäuer. Obwohl es nur ein kurzes Stück ist, spüre ich jetzt Muskelkater in den Waden. Die steilen Straßen von Valletta fordern ihren Tribut.

Gleich daneben befindet sich ein kleines Wachhäuschen für die Polizei. Die heißt auf Malti Pulizija. Das muss sich für Italiener wie ‚Reinigungsdienst‘ anhören.

Als ich am Abend noch einmal, eine ftira, geröstetes maltesisches Brot mit Putenfleisch und einer leckeres Paste aus Kapern, Oliven und Tomaten auf der Hand, durch die Stadt gehe, fällt mir auf, dass ich in der ganzen Woche keinen einzigen Bettler gesehen habe.

Auch fällt mir auf, dass ich ständig auf den Spuren der Johanniter, der Briten und der Steinzeitmenschen gewesen bin, aber dass von Rom, von Byzanz und von den Arabern und von wem sonst noch nie die Rede war. Vielleicht war ich an den falschen Orten, vielleicht haben die weniger Spuren hinterlassen. Was in Erinnerung bleibt, sind die Festungen und die Fassaden, aber auch die offen stehenden Türen, die Puppenstube aus Stein, der Mann mit den zwei Bier, die tragbare Kapelle und Ninu Cremon

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