Madrid (2025)

3. November (Montag)

Deutschland erstreckt sich über 9 Längengrade, von Görlitz bis Aachen. Das bedeutet: dieselbe Uhrzeit, aber ein anderer Sonnenstand. Der Westen hinkt dem Osten hinterher. Es gibt nur eine einzige Stadt in ganz Deutschland, wo die Sonne mittags um 12 im Zenit steht, und das ist Görlitz, das genau auf dem 15. Längengrad Ost liegt. Eine Zeitzone umfasst 15 Längengrade, also ist man westlich von Dortmund, bei 7.5° Ost, vom Sonnenstand her schon näher am Nullmeridian dran, an Greenwich, als an Görlitz. Das gilt natürlich erst recht für Spanien. Madrid liegt sogar westlich von Greenwich, auf 4° West, Santiago sogar auf 9° West. Trotzdem gilt hier unsere Zeitzone, MEZ. Bei Portugal ist das anders. Dort gilt  GMT, wie in England.   

Seit Tagen haben wir nichts als Regen gehabt. In Madrid ähnlich, aber für diese Woche sieht es marginal besser aus. Apropos Regen: Wie schnell fallen eigentlich Regentropfen? Da bietet sich ein Vergleich mit Fallschirmspringern an. Die fallen mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h und mehr. Regentropfen sind leichter und stoßen auf mehr Luftwiederstand, fallen also langsamer. Wenn sie dick sind, gehen sie in die Breite, sind dann zwar schwerer, treffen aber durch ihre Breite auf mehr Luftwiderstand. Sie fallen also genauso langsam, mit einer Geschwindigkeit von ca. 20 km/h (kann von 5 bis 50 variieren), und brauchen, wenn sie aus einer typischen Stratuswolke fallen, etwa drei Minuten bis zur Erde. Regentropfen sind also rund oder breit. Die typische Vorstellung, die wir von einem Regentropfen haben, ein Tropfen, der unten dicker ist und ober schmal ausläuft, so wie man ihn auf der Wetterkarte oder in Symbolen auf Haushaltsgeräten sieht, den gibt es in Wirklichkeit nicht. Wenn überhaupt, dann bei einem langsam tropfenden Wasserhahn.

Auf dem Rollfeld in Luxemburg, über das wir zum Flugzeug gehen, bläst einem der Wind die Gischt ins Gesicht. Die Wetteraussichten für Madrid sind zwar auch nicht gerade vielverheißend, aber es kann wohl nur besser werden.

Im Flugzeug bin ich von einer Gruppe französischsprechender junger Männer mit blau-gelben Fußballschals umzingelt. Den Verein kann ich nicht identifizieren, aber das Internet hilf: Saint-Gilloise, belgischer Meister. Die spielen morgen gegen Atlético Madrid.

Als wir auf den Abflug warten, kommt mir die Frage in den Sinn, warum bei Flugzeugen der Einstieg immer links ist, auf der Seite des Piloten. Vielleicht ist das die Schauseite. Die praktische Erklärung ist, dass rechts das Gepäck eingeladen wird. Aber es könnte ja auch umgekehrt sein. Und es scheint, unabhängig von Kontinent und Fluglinie, überall gleich zu sein.

In Madrid geht es zügig am Flughafen. Bei der Touristeninformation empfiehlt man mir den Bus, um in die Stadt zu kommen. Der fährt nach Atocha, hat nur drei Haltestellen und kostet nur 5 Euro. Eigentlich wollte ich ein Taxi nehmen, nicht aus Bequemlichkeit oder wegen der Müdigkeit, sondern aus Angst vor der Suche nach der Unterkunft im nächtlichen Madrid, mit allen Wertsachen und Unterlagen. Die Befürchtung erweist sich aber später als gegenstandslos.

Im Bus wird man aufgefordert, mit Geldkarte oder Handy zu zahlen. Der Mann vor mir, vermutlich Marokkaner, will bar bezahlen, aber der Busfahrer kann seine 20 Euro nicht wechseln. Also zahle ich erst einmal für beide, und später im Bus kramt der Mann ein paar Münzen zusammen und gibt mir das Geld zurück.

Die Fahrt durch das nächtliche Madrid gleicht einer Sightseeingtour, nachdem wir das riesige Flughafengelände hinter uns gelassen haben: Puerta de Alcalá, Cibeles, Prado, Retiro, Neptuno und am Ende das palastartige Gebäude des Landwirtschaftsministeriums, alle hell erleuchtet. Dann kommen wir in Atocha an.

Viel Volks unterwegs, man kommt von der Arbeit oder trifft sich mit Freunden. Kleine Verkaufsstände am Straßenrand. Ganz gelassene Atmosphäre, keine Spur von Gefahr.

Vor dem Bahnhof eine lange Schlange am Taxistand. Ich beschließe, es zu Fuß zu versuchen. Es ist etwas kühl, aber nicht kalt, und es regnet nicht.

Ich weiß grob, in welche Richtung es geht, muss mich aber durchfragen: Santa María de la Cabeza? Scheint nicht so bekannt zu sein, obwohl es eine große Straße ist. Drei junge Leute zeigen mir, wo es langgeht, dann frage ich einen Aufpasser vor dem Reina Sofía. Der zückt sein Handy und zeigt mir den Weg. Es geht über zwei große Kreuzungen. Ein Straßenschild kann ich nicht entdecken, aber ein Mann in einem Kiosk bestätigt mir, dies sei die richtige Straße. Er geht sogar mit mir und klingelt nebenan an der Pension.

Es ist ein großes, älteres Mietshaus, und irgendwo ist die Pension. Ich fahre mit dem wackligen, etwas schmuddeligen Aufzug in die sechste Etage, aber hier ist nichts. Dann gehe ich die Treppe runter und schelle an der Pension. Der etwas unfreundliche Mann sagt, auf meinen Namen liege keine Reservierung vor. Er schickt mich in den sechsten Stock. Dort klingele ich an Tür Nummer 4, aber es tut sich nichts. Ich überlege, für die erste Nacht hier in der Nähe ein Hotel zu nehmen, bin schon an mehreren vorbeigekommen, da öffnet sich doch noch die Tür. Ein freundlicher Mann mittleren Alters nimmt mich in Empfang. Er drückt mir sofort einen Schlüssel in die Hand und lässt mich ihn ausprobieren. Es stellt sich heraus, dass er hier wohnt und dass ich der einzige Gast bin.

Wir setzen uns, und er kramt eine Karte von Madrid hervor. Zeigt mir, wo wir sind und empfiehlt eine Ausstellung im Reina Sofía und eine in Atocha, in einem der Bahnhofsgebäude. Und sagt mir, ich bräuchte die Metro gar nicht, von hier aus könne ich alles zu Fuß machen.

Dann geht es endlich zur Sache: Er gibt zeigt mir das Bad und die Küche und dann mein Zimmer. Ja, hier könne ich alles ganz beruhigt liegen lassen. Hier komme kein fremder rein. Am Ende bekomme ich noch den Internetzugang.

Das Zimmer ist winzig, ich finde kaum einen Platz, wo ich meine Sachen lassen kann. In einer Kommode bewahrt der Vermieter seine Sachen auf, und in dem Schrank auch, bis auf ein Fach mit zahlreichen Bügeln, das es für mich freigelassen hat.

Ich richte mich notdürftig ein und mache mich fertig für die Nacht. Um ins Bad zu kommen, muss ich über meinen Koffer und meinen Rucksack steigen. Aber damit werde ich für die nächsten fünf Tage wohl zurechtkommen.