Da steckt Musik drin

Musik macht klug. Musik macht klüger. Diese Annahme hat dazu geführt, dass in zwei Bundesstaaten der USA jedes neugeborene Baby mit einer Mozart-CD beglückt wird. Doch die Sache hat einen Haken: Die Annahme stimmt nicht. Es gibt keinerlei wissenschaftliche Grundlage dafür. Seit Jahrzehnten versuchen Forscher (meist selbst Musiker), den allgemeinen Bildungseffekt des Musikunterrichts zu belegen. Seit Jahrzehnten polemisiert Glenn Schellenberg, ein kanadischer Psychologe (selbst Musiker) dagegen. Sein wichtigster Einwand: Es wird, wie so oft, Korrelation und Kausalität verwechselt. Erstaunlich, wie viele Wissenschaftler nicht immun sind gegen diesen methodischen Bazillus. Wenn ein Kind, das Musik spielt, ein größeres Abstraktionsvermögen, bessere Sprachfähigkeiten oder bessere Noten in Mathematik hat, dann liegt das nicht zwingend daran, dass es Musik macht. Die Transferleistungen sind nicht durch die Musik zustande gekommen. Wer Klavier spielt und bessere Noten hat, ist vielleicht einfach allgemein leistungsbereiter. Oder stammt aus einem Elternhaus, in dem Wert auf Bücher und anregende Gespräche gelegt wird. Ein weiteres methodisches Problem ist der Faktor Langzeitwirkung. Forscher vergleichen Kinder, die Musik machen mit Kindern, die keine Musik machen, aber sie können kaum beobachten, wie sich die Musik im Laufe der Jahre auswirkt. Dennoch wird in unzähligen Studien immer wieder der Zusammenhang behauptet. Besonders unkritisch zeigen sich, Schellenberg zufolge, Hirnforscher, wenn es um ihre Methode geht. Sie neigen dazu, ihre Studien mit EEGs und Kernspintomographen zu untermauern. Aber mit beeindruckenden Apparaturen lassen sich nicht so ohne Weiteres objektive Sachverhalte messen. Und man kommt leicht zu falschen Ergebnissen, wenn man Talent und Durchhaltevermögen “herausrechnet”, weil man nicht weiß, wo sie im Gehirn sitzen. (Drösser, Christoph: “Macht Musik wirklich klüger?”, in: Die Zeit 53/2019: 39.)

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Tageslichttauglich

“Eine kleine Nachtmusik” ist nicht der eigentliche Titel von Mozarts Stück. Der lautet Serenade Nr. 13 für Streicher in G-Dur. Die Nachtmusik hat sich zwar eingebürgert, beruht aber auf einem Missverständnis: Serenate ist von sereno, ‘fröhlich’, abgeleitet, nicht von sera, ‘Abend’. Die Musik ist also tageslichttrauglich.

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Poliert der Polier?

Der Polier poliert nicht, und der Bauer baut nicht. Er baut auch nicht an, jedenfalls nicht im ursrüprünglichen Sinne des Wortes. Der Bauer war einfach ein Bur, ein Bewohner, ein Anwohner, eine Bedeutung, die sich noch in engl. neighbour erhalten hat. Die engere Bedeutung, die Berufsbezeichnung, hat sich erst später herausgebildet, wahrscheinlich, weil die meisten eben Bauern waren. So wurde der Anwohner zum Bauern.

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Mit dem Auto ins Schleudern gekommen

In einer Fernsehsendung sagt ein Verkehrspsychologe, der Deutsche sei nicht Autofahrer, sondern das Auto selbst. Das könne man auch Aussagen wie „Ich stehe da hinten“ ableiten, in denen der Autofahrer sich nicht auf sich, sondern auf sein Auto beziehe. Das ist natürlich hanebüchener Unsinn Es handelt sich um einen ganz normalen metonymischen Gebrauch von Sprache. Schlussfolgerung auf die Verfassung des Sprechers oder gar „des Deutschen“ lässt die nicht zu. Das sieht man schon daran, dass die gleiche Aussage sich auch auf ein Fahrrad beziehen könnte. Niemand würde deshalb auf den Gedanken kommen, dem Sprecher zu unterstellen, er sei ein Fahrrad. „Du bist Zweiter“ auf der Tribüne der Galopprennbahn oder „Du musst ins Gefängnis“ bei Monopoly lassen nicht den Schluss zu, der Sprecher identifiziere den Angesprochenen mit einem Pferd oder einem Spielstein. Und außerdem: Wenn die Schlussfolgerung des Verkehrspsychologen richtig wäre, müsste dieser Sprachgebrauch exklusiv im Deutschen und nicht in anderen Sprachen zu finden sein. Das dürfte kaum der Fall sein.

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Da hab ich sozusagen das Gefühl …

Von einem einzigen Journalisten innerhalb einer einzigen Sendung produziert, in der er seine Redezeit mit einem Moderator und drei Kollegen teilen musste: “Man muss sozusagen mit reinnehmen – Es gab andere sozusagen Großlagen nicht – Dazu kommt sozusagen der Lernprozess — Dass sie sozusagen der Information meist nachkamen, kann ich sozusagen nicht feststellen – Hat ja auch sozusagen was mit Bildern zu tun – Das sieht man jetzt sozusagen bei der zweiten Welle – Ich kann sozusagen das nicht ganz nachvollziehen – Geht es jetzt sozusagen um die 5 Thesen? – Ich glaube, was sozusagen diese eine Ordnung angeht – Die Kommunikation, ich sag mal jetzt, sozusagen das Vorgefertigte – Anstatt sozusagen mit einem Overkill zu reagieren – Es gibt einmal ein sozusagen inhärentes, ganz grundsätzliches Problem – Wie erkläre ich sozusagen, wenn ich sage, eine Meinung, was weiß ich… – Dass Personalisierung für die Medien sozusagen gut ist – Sie sozusagen das gelernt haben – Da sind die Medien über die Wissenschaft sozusagen hinweggegangen – Da war‘s natürlich … hab ich sozusagen das Gefühl — Ich glaube, dass wir sozusagen uns immer noch schwer damit tun – Weil, es ist sozusagen ne Mischung aus Faszination und Abgestoßenheit – Das sieht man ja jetzt auch sozusagen, wie geht man eigentlich damit umgeht – Es ist sehr schwierig, mit solchen sozusagen sinnfreien Behauptungen – Und sozusagen viele Journalisten sind so gepolt – Ich bin mir nicht so sicher, ob man sozusagen Verschwörungserzählungen – weil diese Verschwörungstheorie sich sozusagen immer ein bisschen weiterdreht – Das ist schwierig, dann sozusagen dafür zu argumentieren – Ich glaube, Medien tun gut daran, das sozusagen zuzulassen” (Deutschlandfunk: Medienquartett, 30/10/2020) Ich kann das sozusagen nicht ganz nachvollziehen.

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Auf der Insel des Kaisers

Friedrich Spee wurde hier geboren, in Kaiserswerth, und nicht in Trier, wie ich dachte. Dort hat er nur ein paar Jahre als junger Mann und die letzten Jahre vor seinem Tod verbracht. Die Friedrich-Spee-Gesellschaft ist auch hier in Kaiserswerth ansässig, und im Zentrum gibt es eine Friedrich-von-Spee-Straße. Ob mit oder ohne von scheint eher willkürlich zu sein.

Wer sich über Friedrich Spee in Kaiserswerth wundert, wundert sich erst recht über Florence Nightingale in Kaiserswerth. Aber die hat hier wirklich ihre Ausbildung zur Krankenschwester gemacht, gegen den Willen ihrer vornehmen Familie, die so etwas als ihrem Stande nicht würdig empfand. Die Legende hat die Wirklichkeitihres Wirkens etwas verzerrt, denn ihre Aufgabe war in erster Linie der Aufbau einer funktionierenden Krankenversorgung, die Organisation der Abläufe, die Sicherung von Nachschub, und erst in zweiter Linie der direkte Kontakt mit den verletzten oder erkrankten Soldaten. Sie war eine Macherin, eine Managerin. Und zwar eine sehr erfolgreiche. Auf unserem Rundgang durch Kaiserswerth stoßen wir nicht auf sie. Vielleicht hat sie ihre Ausbildung in der Diakonie gemacht, dem evangelischen Gegenstück zur katholischen Caritas. Die wurde, wie ich jetzt erfahre, hier, in Kaiserswerth, von dem Ehepaar Fliedner gegründet, im 19. Jahrhundert. Die Gebäude der Diakonie nehmen einen ganzen Straßenzug ein, auf dem Kaiserswerther Markt, der lang gestreckten Geschäftsstraße des Zentrums, die sich hier in zwei Teile teilt. Auf dem nördlichen Teil befindet sich die Diakonie. Die ganze Gebäudestrecke ist in zwei gleichmäßige Teile geteilt durch eine etwas erhöht liegende, weiß getünchte Kirche, der man ansieht, dass sie evangelisch ist. Eine zweiläufige Treppe führt zu dem Eingang mit einem erhöhten Abschluss, barock, aber einfach. Wir erfahren auf einer der Schautafeln, dass die Diakonie ursprünglich ein Asylantenheim war, obwohl nicht ganz klar ist, was damals unter Asylanten zu verstehen war. Das Krankenhaus, das der Diakonie angeschlossen ist, heißt Florence-Nightingale-Krankenhaus. Also doch wenigstens eine Spur.

Kaiserswerth trägt seinen Namen zu Recht: Hier waren die Kaiser am Werk. Sie errichteten hier eine Pfalz. Der eigentliche Erbauer war Heinrich II. Diese Pfalz wurde später von Friedrich Barbarossa ausgebaut (der im übrigen auch in Kaiserslautern eine Pfalz errichten ließ). Der verlegte eine Zollstation von Holland hierher, und diese Zollstation bestand jahrhundertelang, die Grundlage für den Reichtum Kaiserswerths. Der Ort entwickelte sich um die Pfalz herum und wurde später zur Stadt erhoben. Das kaiserliche Erbe erklärt auch, warum auf dem Stadtwappen, auf das wir immer wieder stoßen, ein doppelköpfiger, schwarzer Adler auftaucht. Der zierte schon im Mittelalter das Wappen der Stadt. Das Kreuz, das er auf der Brust trägt, ist kurkölnisch.

Das alles erklärt den Kaiser in Kaiserswerth, aber es erklärt nicht Kaiserswerth. Der zweite Wortbestandteil ist nicht so offensichtlich wie der erste. Er ist abgeleitet von dem althochdeutschen Wort werid, ‚Insel‘. Wir befinden uns also auf der ‘Insel des Kaisers’. Aber: Wo ist die Insel? Keine Spur davon. Die Erklärung: Die Insel gibt es nicht mehr. Sie wurde früher gebildet von dem Rhein und einem Nebenarm des Rheins, der einen Winkel bildete. Dieser Nebenarm wurde zugeschüttet von Angreifern, die es auf die Burg abgesehen hatten. Und das alles nur, um den Bischof von Münster zu befreien! Und weg war die Insel! Fehlt noch ein kurioses Detail, das dem Ganzen den Gipfel aufsetzt: Der Nebenarm des Rheins war kein natürlicher Nebenarm, sondern zum Schutz der Burg künstlich angelegt worden!

Zu der gelangen wir zuerst, über eine schön angelegte Allee. Es sind zwar nur noch Ruinen erhalten, und es ist nicht ganz einfach, das, was man sieht, in Einklang zu bringen mit dem, was man auf Abbildungen sieht, die die alte Burg darstellen, aber was an Ruinen übrig geblieben ist, ist beachtlich. Vor allem die Höhe der Anlage – sie umfasste drei Stockwerke – kommt noch voll zur Geltung.

Von oben sieht man auf den Rhein und die gegenüberliegende Rheinseite, die linke. Hier verkehrt tatsächlich noch eine Fähre. Auch heute ist sie in Betrieb. Der Blick rheinaufwärts wird pointiert durch eine moderne Skulptur, die man hier vor der Burg aufgestellt hat. Sie zeigt einen Menschen in stark stilisierter Form. Was für eine Bewandtnis es mit der Skulptur hat, erfährt man nicht.

Die Grundmauern der Burg sind aus unbearbeiteten, großen Granitsteinen, durch Zement zusammengehalten. Man sieht aber auch Wände aus Sandstein und aus Ziegelsteinen. Auffällig ist ein runder Turm mitten in der Anlage. Er beherbergte ursprünglich die Burgkapelle und wurde später, als bei einem Umbau eine neue Kapelle hinzukam, zum Brunnen umgebaut. Hört man auch nicht alle Tage.

In die Umfassungsmauer der Kaiserpfalz sind Grabsteine eingelassen. Auf einem lesen wir, dass der „achtbare Petter Duckdorff“ im Alter von 63 Jahren, „im Herrn erschlaffen“ sei. Kein Rechtschreibfehler, sondern Zeichen für die Verlängerung des Vokals. Der verlängerte Vokal wurde früher, jedenfalls in vielen Varianten des Deutschen, durch einen Doppelkonsonanten angezeigt. Das sieht man auch an Petter, dem Vornamen des achtbaren Mannes. Deshalb ist ein Schäffer ein Schäfer genauso wie ein Guttenberg ein Gutenberg und die Utta eine Uta ist.

Von der Kaiserpfalz kommen wir zur Stiftskirche, einer dreischiffigen, flachgedeckten Basilika mit auffällig niedrigen Seitenschiffen. Von wann die verschiedenen Bauteile stammen, ist schwer zu sagen. Die Glasfenster sind modern, ihre Form eher romanisch. Der Raumeindruck ist nicht überwältigend, aber das Licht kommt an diesem sonnigen Tag gut zur Geltung.

Von der Ausstattung ist ein goldener Reliquienschrein im Chor das wertvollste Stück. Dummerweise ist der Chor abgeschlossen und man kann ausgerechnet diesen Schatz nicht aus der Nähe ansehen. Aus der Distanz sieht er aus wie der kleine Bruder des Dreikönigsschreins in Köln. Der Schrein beherbergt die Reliquien des Hl. Suitbert, einem angelsächsischen Missionar, der im Gefolge von Willibrord auf den Kontinent kam. Dem ist die Existenz Kaiserswerths zu verdanken. Er gründete hier das Kloster und war dessen erster Abt. Über sein abenteuerliches Leben weiß man etwas durch Bedes berühmte Geschichte. Sein Anliegen brachte ihn aus Irland nach England, nach Rom und zu den Franken und Sachsen. Es ging hin und her. Was er allein an Reisen in diesen gefährlichen Zeiten hinter sich gebracht hat, ist beeindruckend. Zum Heiligen wurde er durch die Bekehrung fränkischer Stämme, die zwischen Ruhr und Lippe angesiedelt waren. Dabei konnte er auf die Unterstützung von Pippin zählen.

Zur Ausstattung der Kirche gehört auch ein fünfeckiger Taufstein, der von Löwen bewacht wird, die das Aussehen von Hunden haben. Im südlichen Seitenschiff eine Kreuzigungsszene mit einem zu groß geratenen Kreuz, und im nördlichen Seitenschiff ein schöner Christus, ganz spärlich bekleidet, ausgezehrt, mit gesenktem Kopf und weit ausgebreiteten Armen. Das Kreuz fehlt. Die Figur hängt vor einer vergoldeten Wand.

Auf dem Stiftsplatz befinden sich Spees Geburtshaus und andere historische Häuser, ein schönes Ensemble. An der Außenwand der Kirche, im Osten, ist ein großes Bronzerelief angebracht, in Erinnerung an Spee. Im Zentrum des Reliefs stützt Spee eine in Ketten gelegte Frau, die als Hexe verurteilt worden ist. Er beugt sich über sie. Das Relief hat so viele Szenen und Figuren, dass wir immer wieder was Neues entdecken, u.a. die Folterwerkzeuge der Hexenprozesse, die Stiftskirche selbst, das Emblem des Jesuitenorden und einen Stern. Der steht für Suitbert, und dem Stern begegnet man hier in Kaiserswerth immer wieder.

Wir kommen zum Kaiserswerther Markt. Hier gibt es einen Friseur, der einfach Friseur heißt, einen anderen Friseur, der Hairlich heißt, und eine Buchhandlung, die Lesezeit heißt. Die Straße hat auf beiden Seiten historische Häuser mit schönen Fassaden. Die meisten sind aus einem dunklen Backstein gebaut. Eins von ihnen beheimatet das Restaurant Im Schiffchen, ein Restaurant der Spitzenklasse. Die Speisekarte hört sich aber gar nicht abschreckend an, und die Preise sind hoch, aber nicht astronomisch.

Auf der gegenüberliegenden Seite steht ein Haus mit Giebel, in dessen Fassade mit Ankersplinten die Jahreszahl der Erbauung eingelassen ist. Das Haus war das ehemalige Zollhaus, und als Erinnerung daran sieht man in einer Nische an der Ecke des Hauses eine Figur, die mit einem Anker und einem Geldbeutel ausgestattet ist, Erinnerung an die einträgliche Zollstation, die Kaiserswerth vom Mittelalter an über Jahrhunderte Reichtum verschaffte. Das scheint auch heute noch zu sein, obwohl das Zentrum teils auch gediegen und teils sogar bäuerlich aussieht.

Wir gehen bis zum anderen Ende des Kaiserswerther Markts, bis zu einer Brücke, unter der man Wasser vermutet, aber keins findet. Beides hat seinen Grund: Hier verlief ehemals der Nebenarm des Rheins, und der markierte die Stadtgrenze, und auch heute noch markiert die Brücke das Ende der Altstadt.

Nach der Besichtigung machen wir Rast in einem schön gelegenen Biergarten, unter Bäumen, direkt am Rhein. An den Preisen merkt man, das Kaiserswerth auch heute nicht gerade ein Armenviertel ist.

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Das Leben ein Traum

Kein Tier kann ohne Schlaf überleben. Schlaflosigkeit, wenn künstlich herbeigeführt, macht krank und führt im schlimmsten Fall zum Tod.

Das Schlafbedürfnis der Kleinsten ist dabei am größten. Babys haben den Schlaf so nötig, dass sie sich beim schlimmsten Lärm tief schlafen. Die REM-Phase ist bei jüngeren Tieren in der Regel aktiver als bei älteren Tieren und dauert länger.

Warum wir überhaupt schlafen, darauf gibt es keine schlüssige Antwort. Oft wird das Bedürfnis nach Ruhe als Grund angeführt, aber das Gehirn ist während des Schlafs alles andere als ruhig. Wir sprechen im Schlaf, wir schlafwandeln, wir träumen. Und nicht nur derjenige, der am Tag aktiv war, schläft, sondern auch derjenige, der den ganzen Tag auf dem Sofa verbracht hat. Der Schlaf scheint andere Funktionen zu haben. Vielleicht geht es eher um das Aufräumen im Kopf. Der Tagesrhythmus ist dazu von biochemischen Prozessen bestimmt, nicht von dem Grad der Erschöpfung. Vereinfacht gesagt: Wir schlafen, weil es dunkel wird.

Die Länge des Schlafs variiert im Tierreich sehr. Giraffen schlafen nur etwas zwei Stunden pro Tag, Fledermäuse schlafen bis zu zwanzig Stunden pro Tag. Elefanten kommen mit fünf Stunden aus, aber der Anteil der Traumphasen ist bei ihnen sehr hoch, höher als beim Menschen. Vögel schlafen um die zehn Stunden, aber nicht am Stück. Mauersegler schlafen im Flug. Vom Beginn ihres ersten Flugs an verbleiben sie mehr als zwanzig Monate in der Luft. Dabei trinken sie, fangen Insekten, lieben sich und schlafen.

Enten schlafen in Gruppen. Dabei haben die, die außen positioniert sind, ein Auge geschlossen, eins geöffnet. Im Laufe der Nacht wechseln sie die Position, im doppelten Sinne: Sie drehen sich um, so dass das jeweils andere Auge geschlossen bzw. geöffnet ist, und sie tauschen mit Enten, die im inneren Kreis waren und die jetzt die Wache übernehmen, während sie beide Augen schließen können. Auch Meeressäuger schlafen halbseitig. Und junge Wale schlafen gar nicht. Sie müssen es erst lernen.

Augenlider sind eine relativ neue Erfindung der Evolution. Sie sind die Voraussetzung fürs Träumen. Nur Säugetiere, Vögel und Reptilien haben Augenlider. Stachelhäuter, Fische, Krebse haben keine Augenlider, auch Schlangen nicht. Sie können deshalb die Augen nicht schließen. Bestimmte Reptilien wie Frösche können allerdings die Augen komplett einfahren. Sie schlafen, aber sie träumen nicht.

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Schleierhaft

Warum heißt der Graue Star eigentlich Grauer Star? Das hat sich wahrscheinlich jeder schon mal gefragt, der die Diagnose gehört hat. Haben die Stare oder gar die Stars etwas damit zu tun? Nein, weder noch. Der Graue Star kommt von starr und bezieht sich auf den starren Blick, den man Patienten mit dieser Krankheit attestierte. Zugrunde liegt mittelhochdeutsch starra plint, Blindheit durch Erstarrung.

Der medizinische Terminus ist Katarakt. Das Wort bezeichnet das Augenleiden, aber auch einen Wasserfall. Was war zuerst da? Die Bedeutung ‚Wasserfall‘ war die ursprüngliche, das tertium comparationis der Schleier, der sich bei herabstürzendem Wasser bildet und der Schleier, der sich vor dem Auge bildet, wenn man dieses Augenleiden hat. Die Araber nennen die Erkrankung heute noch ‚Weißes Wasser‘. Man meinte früher, es würde etwas über die Pupille fließen.

Kunstmaler mit Katarakt malen mit zunehmender Krankheit in dumpfen, weniger kontrastreichen Farben, z.B. Turner, der nachgewiesener Weise den Grauen Star hatte. Das Wort kam aus dem Lateinischen ins Deutsche, ist aber ursprünglich griechisch. Das griechische Wort ist Maskulinum, das lateinische Femininum. Das schlägt sich im heutigen deutschen Gebrauch nieder: Katarakt in der Bedeutung ‚Wasserfall‘ ist Maskulinum, Katarakt in der Bedeutung ‚Augenleiden‘ ist Femininum! Auch andere Sprachen haben das Wort in beiden Bedeutungen übernommen, darunter Englisch und Spanisch, aber ohne Genusunterscheidung. Das griechische Wort bedeutete ursprünglich ‚Fallgitter‘ oder ‚Tor‘. Der dynamische Aspekt des Herabstürzens war verantwortlich für die Bedeutung ‚Wasserfall‘. Die in King Lear erwähnten Katarakte sind, oberflächlich betrachtet, Teile des tosenden Sturms, können aber auch als Verweis auf Lears Blindheit verstanden werden.

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Ein Hingucker

In Luxemburger Wörtern taucht gelegentlich der Buchstabe <ë> auf. Er wurde anstelle des ursprünglichen <ö> eingeführt, um einen Laut zu bezeichnen, der irgendwo zwischen denen von <ö> und <e> angesiedelt ist. Natürlich findet sich das Trema auf dem <e> auch in anderen Sprachen wie dem Französischen. Am häufigsten vertreten ist es im Albanischen, wo es der häufigste Buchstabe überhaupt ist. Im Deutschen taucht es höchstens in Eigennamen wie dem Nachnamen Piëch auf und ist ein Indiz dafür, dass die ursprüngliche Aussprache anders war als die assimilierte deutsche Aussprache heute. Das Trema hat hier seine „eigentliche“ Funktion, die Funktion der Trennung der Vokale. Anders ist es bei Mme. de Staël, bei der der Buchstabe keinen Laut vertritt. Bei den englischen Brontës ist es eine reine Spielerei. Die Geschwister wollten den ursprünglich Bronte geschriebenen Namen irgendwie aufwerten, cooler wirken lassen. Das <ë> ist weder historisch relevant noch für die Aussprache. Im Luxemburgischen, dem Ausgangspunkt dieser Bemerkungen, hat der ungewöhnliche Buchstabe seinen prominentesten Platz im Namen des Landes, Lëtzebuerg.

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Milkman

The protagonist of Milkman is not a milkman. Nobody quite knows why he is called Milkman. There is also a real milkman, a character who is gaining protagonism as the story develops. To distinguish him from the other milkman, he is referred to as real milkman. After some dramatic events, in which both milkmen are affected by acts of violence, it is revealed that the first milkman is called milkman because his name is Milkman. First, the narrator is puzzled but then she starts thinking: Butcher‘s a name, Sexton‘s a name. And so is Weaver, Hunter, Roper, Cleaver, Player, Mason, Thatcher, Carver, Wheeler, Planter, Trapper, Teller, Doolittle, Pope and Nunn. Why shouldn‘t Milkman be one? (Burns, Anna: Milkman. London: Faber & Faber, 2018: 304)

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Bestimmung

Die Stimme eines Menschen gibt uns Hinweise auf das Alter des Sprechers, aber die sind nicht so zuverlässig wie die Hinweise durch das Aussehen. Die Experimente, so weit es zuverlässige Experimente gibt, zeigen, dass man sich bei einem Photo im Schnitt um sechs Jahre verschätzt, bei der Stimme um zehn Jahre. Aber die Stimme verändert sich definitiv mit dem Älterwerden. Die Stimmlippen schließen nicht mehr so gut, die Stimme wird rauer. Und sie wird tiefer. Die Stimme von Männern, die im Stimmbruch um eine Oktav tiefer geworden ist, wird im Alter wieder höher. Die Stimme von Frauen, die sich während der Pubertät nicht ändert, sinkt mit wachsendem Alter, vor allem nach den Wechseljahren. Zusätzlich bewirken kognitive Veränderungen, dass wir langsamer sprechen. (Drösser, Christoph: “Stimmt’s”, in: Die Zeit 19/2020: 33)

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Geheimschrift

Astrid Lindgren, die ausgebildete Sekretärin war, schrieb ihre Manuskripte in Kurzschrift. Erst wenn sie ganz zufrieden war, tippte sie sie ab. Deshalb gibt es in diesen Texten kaum Korrekturen. Bis heute können viele ihrer Manuskripte nicht gelesen werden. Bei einer erfahrenen Stenotypistin wie Lindgren ähneln die Zeichen der Kurzschrift einer Geheimschrift. (Hörnlein, Katrin: Pippis Erben”, in: Die Zeit 19/2020: 53-54)

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Zeigt her eure Knie

Nicht alle Menschen haben sie: die Fabella. Es handelt sich um ein kleines, rundes Knöchelchen in der Kniekehle. Immer mehr Menschen, heißt es, besäßen heute eine Fabella. Das legt eine Untersuchung aus dem Jahr 2019 nahe. Die untersuchte Studien aus den letzten 150 Jahren und sah, dass in denen immer häufiger von der Fabella die Rede war. Aber, wie so oft in der Forschung, werden Ergebnisse, besonders wenn sie Aufmerksamkeit erregen, weil sie verblüffend sind, falsch dargestellt. Wenn in den untersuchten Studien vermehrt von der Fabella die Rede ist, heißt das noch nicht, dass mehr Menschen eine Fabella haben. Es kann einfach sein, dass sie mehr Beachtung gefunden hat. Das verschweigt die Studie (oder erwähnt es nur ganz am Rande). Und das führt zu falschen Schlussfolgerungen. Was den ästhetischen Reiz des Knies angeht, hatte Coco Chanel eine besonders dezidierte Meinung: Nicht eine von hundert Frauen habe ein schönes Knie, befand sie. Nicht schwer zu erraten, wie sie zum Minirock stand. (Rezec, Oliver: “Das große Osterrätsel ist gelöst”, in: Süddeutsche Zeitung 96/2020: 57)

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Gesundschrumpfen?

Als das Weströmische Reich unterging, blieb das Oströmische Reich bestehen. Und nicht nur das. Es verstand sich als einzige Großmacht, höchstens von Persien in seiner Hegemonie bedrängt. Zu dem Reich gehörten im Jahre 600 noch Antiochia, Karthago, Alexandria und auch Rom selbst, sowie sämtliche Mittelmeerinseln! Und Konstantinopel selbst war eine prächtige Stadt mit Hunderttausenden von Einwohnern. 200 Jahre später sah das ganz anders aus. Das Reich war auf ein Viertel seines ehemaligen Territoriums zusammengeschrumpft, reduziert auf Griechenland, Kleinasien und Süditalien. Doch gerade das war seine Rettung. Aus einem unregierbaren Reich wurde ein viel kleineres, homogeneres Staatswesen geworden, mit einem höchst effizienten System der Verteidigung und einer überschaubaren Verwaltung. Dieses System hielt sich noch Jahrhunderte. (Käppner, Joachim: “Betet, meine Kinder”, in: Süddeutsche Zeitung 96/2020: 51)

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Yid

Yid is a word used to refer to supporters of Tottenham Hotspur because many of their supporters are (believed to be) Jewish. The word has an entry in the OED and a variegated history. Yid war originally a Jiddish word used by Jews to refer to themselves. A neutral word. From the 1930s onwards, it began to gain negative connotations and was used by non-Jews to refer to Jews, in a derogatory way. This is, at least approximately, the way it is used by supporters of other football clubs to refer to the Spurs supporters (though one could argue that the racial undertones are not relevant here). It has become a nickname, as the OED calls it. And, as has happended to other words in recent decades, it has now been reclaimed by its former victims. In a response to the hostile word used by supporters of other clubs, Spurs supporters (some of them) have begun to use it themselves, thus allieviating the word of its charge. In a recent survey amongst Spurs supporters, 33% of respondent said they used the word regularly, though almost half of them said the word should be used less or not at all. Amongst Jewish Spurs supporters, 16% said the word should be used less, 26% said that it should be used not at all, but 58% said they did not object at all to the use of the word. The fact that the word was included in the OED spurred a lot of protest, a protest which is based on false assumptions about dictionaries (and probably language). The headline of the Guardian article says it all. (Murphy, Lynne: “The point of dictionaries is to describe how language is used, not to police it”. The Guardian: https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/feb/17/dictionaries-language-tottenham-hotspur-oed-y-word-definition (accessed 24/04/2020)

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