Vernünfftler und Gegen-Vernünfftler

Die erste deutsche Wochenzeitung hieß Der Vernünfftler. In ihm erschien auch der erste Leserbrief überhaupt, geschrieben von einer Frau. Der Vernünfftler überlebte nur ein Jahr. Dabei hatte Matheson, der Herausgeber, anonym einen Konkurrenten auf den Markt gebracht, um Aufsehen zu erregen, den Gegen-Vernünfftler. Der schlug kräftig auf seinen angeblichen Konkurrenten ein.  Diese und andere Publikationen nannten sich Moralische Wochenschriften. Der Moralist war kein Moralprediger, sondern ein Gesellschaftskritiker. Eine Moralische Wochenschrift sollte eine Zeitung sein, die das Leben und die Gesellschaft schildert und ihr nützt und zu Themen wie Steuerhinterziehung Stellung nimmt. (Erenz, Benedikt: “Die Ur-Zeit”, Interview mit dem Pressehistoriker Holger Böning, in : Die Zeit 21/2013: 18)

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Nocebo-Effekt

Das Gegenstück zu dem Placebo-Effekt ist der Nocebo-Effekt: Wer schlimme Wirkungen befürchtet, bei dem zeigen sie sich auch. Der Effekt trat u.a. in einem Experiment auf, bei dem einer Gruppe ein Film vorgeführt wurde, der vor Infraschall warnte, der anderen Gruppe ein Film, in dem die Wirkung verneint wurde. Dann wurden die Probanden Infraschall ausgesetzt, allerdings nur die Hälfte der beiden Gruppen. Bei den beiden anderen Gruppen wurde das nur behauptet. Das Ergebnis: Unabhängig davon, ob sie wirklich Infraschall ausgesetzt waren oder nicht, klagten die Probanden, die das warnende Video gesehen hatten, vermehrt über Symptome wie Kopfschmerzen. (Drösser, Christoph: “Stimmt’s?”, in: Die Zeit 22/2013: 42)

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Out of context

When we hear context, we usually think of the immediate physical situation in which an utterance is made (or, for that matter, of the words surrounding an utterance, more technically known as co-text). Widdowson makes us see that context is often just a construct, with the physical context being irrelevant. He invites us to invisage this utterance heard in a dialogue between two friends sitting on a train: He has put it in a safe place and it will not be found. Here, clearly, the train is irrelevant. The utterance would have the same context if it was heard on the platform, in the station café or on the way to the station. (Widdowson, H.G.: Discourse Analysis. Oxford: Oxford University Press, 2007: 20)

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Lesen statt Rechnen

In einem modernen Mathematiktest, in dem lauter lebensnahe Aufgaben gestellt wurde, wurden zwei Aufgaben eingeschmuggelt, die auf exakt dieselbe Rechnung hinausliefen. Nur wurde die Aufgabe beim zweiten Mal mit drei Sätzen beschrieben statt mit zwei Sätzen – und prompt sank die Zahl der richtigen Antworten. (Drösser, Christoph: So rechnet Deutschland, in: Die Zeit 23/2013: 31)

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Peacekeeping force language

An Italian friend was walking in a park, carrying his young son, a baby, in his arms, in a bundle in front of his chest. He came across a bunch of young boys kicking a ball, and it so happened that the ball came his way, so he decided to kick it back to the boys. He did not do this particularly well, or rather too well, and managed to hit the boy who came running for the ball straight in his face. No big harm had been done but the boy immediately started crying and making a fuss. My friend immediately stepped forward to soothe the boy, trying out both his French and his German on him, the whole story happening in Luxemburg. To no avail. The boy continued crying his heart out. At that moment the boy’s mother approached, furious, giving my friend a hard time and scolding him for what he had done to her beloved son. Again, he tried to apologise and make her see that no big harm had been done. To no avail. Then, all of a sudden, he heard the boy speak to his mother, and it turned out that he was speaking Italian to her. Both the boy and the mother were Italian. Immediately, things calmed down, the boy calmed down, the mother calmed down, and they fell into a friendly, lively conversation about the world and his wife, in Italian.

 

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Faule Katholiken?

Dass es in katholischen Ländern mehr Feiertage gibt als in protestantischen, ist allgemein bekannt. Ein Kulturwissenschaftler, Peter Hersche, beziffert und erklärt das in einem Radiointerview. Bei den Reformierten gibt es traditionell gerade einmal 5-7 Feiertage pro Jahr, bei den Lutheranern 15-20, bei den Katholiken mindest doppelt so viele wie bei den Lutheranern, Sonntage nicht eingerechnet. Das hat einmal etwas mit der protestantischen Arbeitsethik zu tun, andererseits aber auch damit, dass die Industrialisierung eher in protestantischen Ländern zum Zuge kam als in katholischen. Die blieben länger durch Landwirtschaft geprägt. Und Arbeit in der Landwirtschaft, jedenfalls in der traditionellen, hat ihre natürlichen Grenzen. Zu bestimmten Zeiten kann man einfach nicht viel tun. Und das schlägt sich auch im Festtagskalender nieder: Es gibt viele Feste zu Zeiten, wo es in der Landwirtschaft wenig Arbeit gab und wenige Feste zu Zeiten, wo es in der Landwirtschaft viel Arbeit gab, z.B. zur Aussaat und zur Ernte. (“Ganz schön üppig”, in: Matinée, SWR 2: 05/05/2013)

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Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?

“Worauf gründet sich die Hoffnung”, fragt ein Radiomoderator, “dass man sich bei dem Konflikt im Nahen Osten vielleicht einer friedlichen Lösung annähern könnte”. Das ist mir zu umständlich. Als erstes würde ich vielleicht streichen. Das ist im Konjunktiv, in könnte, enthalten. Ich würde aber auch den Konjunktiv vermeiden. Es handelt sich ja um eine Hoffnung. Dann ist der Satz einfacher und zeigt erst ganz deutlich seine Schwächen: “Worauf gründet sich die Hoffnung, dass man sich bei dem Konflikt im Nahen Osten einer friedlichen Lösung annähert.” Es besteht aber doch keine Hoffnung auf Annäherung. Wenn man sich einer friedlichen Lösung annähert, gibt es immer noch keinen Frieden. Die Hoffnung richtet sich auf Frieden, nicht auf eine Annäherung an den Frieden. Und auch nicht auf eine friedliche Lösung, sondern auf Frieden. Also: “Worauf gründet sich die Hoffnung auf Frieden im Nahen Osten?”. Das ist klarer und besser.

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The name of the Lord

Jehovah is said to be a false reading of the Hebrew name of God, Yahweh. This developed from the sacred tetragrammation YHVH. As it was considered too sacred to pronounce, the vowels of Adonai, another word for ‘God’, were inserted to give the substitute name Yahovah. At least, this is the explanation provided in one source. (Room, Adrian: A Dictionary of True Etymologies. London, Boston and Henley: Routledge & Kegan Paul, 1986: 92). Other sources are rather more cautious in their explanations but several point in the same direction.

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Süß, diese Kinder

Ein deutsches Kind verzehrt pro Jahr mehr Süßigkeiten, als es wiegt. (“La dolce vita”, in: Matinée. SWR 2: 28/04/2013)

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Taxicab

They say that it was a certain Harry Nathaniel Allen of New York who imported 600 cars from France for his transport company. From taximeter cabriolet he coined the word taxicab. This was then further clipped, at the end in Britain, at the beginning in America, thus giving taxi and cab! A cabriolet was a horse-drawn carriage, from French cabrioler, ‘leap’, ‘caper’, ultimately going back to Latin capreolus, ‘roebuck’ (which is also at the bottom of German Kapriolen!). Taximeter is an adaptation of French taximètre, from German taxameter, coined on the basis of Medieval Latin taxa, ‘tax’, ‘charge’ and Greek metron, ‘measure’. The OED describes the uncertainty when it came to naming the new invention: “Every journalist … has his idea of what the vehicle should be called. It has been described as the (1) taxi, (2) motor-cab, (3) taxi-cab, (4) taximo … (7) taximeter-cab. (Daily Chronicle 26 Mar 1906: 6/7)

 

 

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Arroba

Im Italienischen heißt es chiocciola, im Spanischen arroba, im Schwedischen snabel-a, im Deutschen benutzen wir meist nur das schnöde at für das @-Zeichen. (Zur Not gibt es immerhin den Klammeraffen). Beim Herumstöbern im Internet habe ich gesehen, dass es im Zusammenhang mit Computern schon 1972 zum ersten Mal auftaucht und auf einer Schreibmaschine schon 1902. Außerhalb der Computerwelt hat es natürlich eine noch längere Geschichte und wurde im spanisch-portugiesischen Raum als Hohlmaß oder Gewicht benutzt, auch damals schon unter dem Namen arroba. Das Wort taucht auch in meinem vorsintflutlichen spanischen Wörterbuch auf. Ursprünglich war es vermutlich eine Ligatur von <a> und <d>. Jedenfalls lässt die Form des Zeichens das vermuten. Wenn das stimmt,  hat sich beim (lautlich bedingten) Übergang von lateinisch ad zu englisch at die Bedeutung ziemlich verändert, von ‘hin’ zu ‘bei’.

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Absatzgebiet

Im Fremdsprachenwörterbuch Absatz nachgeschlagen und dabei gemerkt, was für ein facettenreiches Wort es ist: Schuhe haben Absätze, Texte haben Absätze, Treppen haben Absätze, Märkte haben Absätze.

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Der Müller Simon

In einer Erzählung von Frank Meyer, dem Trierer Stadtschreiber von 2012, lacht einer der Jungen, um die es in diesen Erzählungen geht, über die Dämlichkeit seines Freundes, den Müller Simon einfach Herr Müller zu nennen (S. 57). Er glaubt nämlich, dass mit Müller Simon, wie das auch im Hochdeutschen der Fall ist, der Beruf gemeint ist (wobei, zur zusätzlichen Verwirrung, Simon Vor- oder Nachname sein könnte). Im Saarland, wo die Geschichte spielt, ist es allerdings üblich, den Vornamen hinten den Nachnamen zu stellen (womit er seine eigene Bezeichnung Vorname Lügen straft), so dass mit Müller Simon zweierlei gemeint sein kann: Wo hattest du denn überhaupt das Gewehr her? … – Vom Müller Simon.  Du weißt doch, dass der Müller damals dieses Problem hatte (S. 89) . Ähnlich verhält es sich bei einem anderen Mann, der in dem Ort wohnt: Weißte noch, wie wir damals dem Wagner Hans das kleine Stallfenster eingeworfen haben? (S. 63). In diesem Fall stellt sich aber heraus, dass der Müller Simon nicht nur Müller ist, sondern auch so heißt! (S. 57). Das geht natürlich nur wegen der saarländischen Konvention, Vor- und Nachnamen miteinander zu “vertauschen”. Eine Eigenart, die das Saarländische (und das Bayerische – die Älteren werden sich an den Maier Sepp erinnern) mit der Standardform anderer Sprachen teilt wie dem Ungarischen und dem Japanischen! (Meyer, Frank: Es war mir, ehrlich gesagt, völlig egal. Weimar: Bertuch, 2008)

 

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Is he Jewish?

Die Frage Is he Jewish? kling in Manhattan ganz anders als Ist er Jude? in Berlin. Umstand, Ort, Biographie bedingen, wie die Frage wirkt. So argumentiert eine sowohl in Manhattan als auch in Berlin heimische Autorin. Man könnte noch hinzufügen: Frequenz spielt eine Rolle. Je geläufiger eine Frage ist, umso weniger markiert ist sie. (Runge, Irene: Wie ich im jüdischen Manhattan zu meinem Berlin fand. Berlin: Kulturmaschine, 2012: 8.)

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Rücktritt des Papsttums?

Der alte Papst, so ein Radio-Reporter, habe den Rücktritt des Papsttums in Spiel gebracht. Wie bitte? Wie kann das Papsttum zurücktreten? Was hat er ins Spiel gebracht? Das ist formuliert nach der Devise Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht? Da predigen wir unseren Studenten einfache Sprache, und die Journalisten gehen mit schlechtem Vorbild voran. Gut, dass die Studenten kein Radio hören.

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