Kerry (2005)

25. August (Donnerstag)

Unfreundliche Abfertigung beim Autoverleih: einsilbig, ungeduldig und im Kommando-Ton.

 

Citroen komfortabel, aber breit, immer wieder Probleme beim Abschätzen des Abstandes nach links. Merkwürdiges, tiefes Armaturenbrett, auf dem in einem breiten Display, eher einem Flugzeug angemessen, die Geschwindigkeit in Zahlen angezeigt wird. Vor sich hat man nur die Drehzahl, alle anderen Informationen, darunter der aktuelle Benzinverbrauch, in einem schlecht lesbaren Display in der Mitte. Außerdem geht Beleuchtung an, wenn kein Licht eingeschaltet ist, und aus, wenn eingeschaltet. Gewöhnungsbedürftig.

 

Noch trockenen Fußes ins Auto gekommen, aber bald fängt es an zu regnen, dann zu schütten, wie nie mehr danach.

 

Durch verschiedene Orte, darunter dem schmucken Macroom,

Richtung Kinsale, das aber nicht ausgeschildert ist. Immer wieder auf Hinweise Richtung Bandon gestoßen, aber nie dorthin gelangt. An Kreuzungen sind entweder nur Orte angezeigt, die falsch sind, oder gar keine. Fahrt über einige erstaunlich enge Straßen. Die Einheimischen zeichnen sich dadurch aus, dass sie auch dann die Geschwindigkeit nicht reduzieren, wenn sie einem an Stellen entgegenkommen, die gerade breit genug für ein Auto zu sein scheinen.

 

Die Geschwindigkeitsbegrenzungen sind erstaunlicherweise in km/h angegeben. Die Entfernungen sind auf der Nationalstraße in Kilometern, auf den Nebenstraßen in Meilen ausgewiesen!

 

Beim Überholverbotsschild ist nur das überholende Auto durchgestrichen. Nur ein Detail, aber es wirkt ganz anders.

 

Das Straßenschild für Bauarbeiten (auf orangefarbenem Grund) zeigt einen dynamisch nach vorne gebeugten Bauarbeiter, der sogar Erde auf seiner Schaufel hat. Sieht aus der Distanz wie ein Eishockeyspieler aus.

 

Irgendwann doch ein Schild Richtung Kinsale, einem hübschen Ort mit gepflegten Fassaden. Im Zentrum ist es voll, aber es wird sehr vorsichtig gefahren. Bei der Touristeninformation Erklärung für den Weg zur Unterkunft bekommen, und diese auch auf Anhieb gefunden, wenn auch mit einer kleinen Panne bei einem plötzlichen steilen Anstieg nach Abbiegen.

 

B&B, durch Kleeblatt als „approved“ gekennzeichnet, heißt „Seabreeze“ und liegt in der Featherbed Street auf einer Anhöhe ein bisschen außerhalb des Zentrums. Junge, energische Vermieterin begrüßt uns mit Handy in der Hand und einem Wortschwall, durch den wir über die Bezahlungsmodalitäten, über Schwierigkeiten anderer Flugreisender, über den Fußweg ins Zentrum und über die lokale Gastronomie aufgeklärt und über unsere Route und unsere Pläne befragt werden, bevor wir überhaupt das Zimmer betreten haben. Als das geschieht, ist auch das Wasser für Tee und Kaffee schon heiß.

 

Kleines Zimmer mit winzigem Bad. Nach kurzer Pause zu Fuß ins Zentrum – hinten herum – das in Zeit von nichts zu erreichen ist. Motive für Photos bieten sich von selbst an. Der Ort hat einen Hafen, liegt aber nicht am offenen Meer. Der Pier ist eher ein Kai. Von einem nachgebauten Schiffsbug aus kann man auf die Bucht sehen. Berge in der Ferne, ein Yachthafen davor, Möwen in Hülle und Fülle und in zwei Variationen. Auf der anderen Straßenseite ein bemerkenswerter Garten mit üppiger, aber kontrollierter Vegetation, eine schöne Kombination zwischen Wildwuchs und Kultur. Erstaunlicherweise wachsen hier auch Palmen. Die Temperaturen sinken nie unter den Gefrierpunkt.

 

Spaziergang durch die Stadt. Im Zentrum der Markt mit einem quadratischen Gebäude mit einer auch mit einem Fisch bekrönten Laterne, in dem jetzt ein Museum untergebracht ist und in dem die Untersuchung über das Schicksal der Lusitania, dem vor der Küste von den Deutschen gesprengten amerikanischen Passagierschiff, durchgeführt wurden. Nur wenige Passagiere überlebten, und der Gerichtssaal ist jetzt eine Gedenkstätte für die Opfer. Es ist immer noch umstritten, ob die Lusitania auch Munition an Bord führte und ob vorher eine Warnung ausgegeben wurde, aber der Vorfall beschleunigte den Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg.

 

Im Zentrum zwei oder drei sehr schöne Straßen mit Häusern mit schönen, abwechslungsreichen Fassaden, malerisch, ohne kitschig zu sein.

 

Die Briefkästen sind in Irland natürlich grün, und sogar die „englischen“ Telephonhäuschen!

 

Auf den Toilettenhäuschen steht an einer Seite Mná. Das bedeutet ‚Frau’! Gut, dass auch noch eine Abbildung über die Bedeutung aufklärt!

 

Stadtkirche hat einen festungsartigen, sich nach oben verjüngenden Turm und an dessen Spitze keinen Hahn, sondern einen Fisch! Innen Messingplatten, Grabplatten und die obligatorischen Flaggen. Gebäude wurde restauriert und gerade vor Einsturz bewahrt. Beim Eintritt ein Plakat: „We have to talk. God“.

 

Etwas erhöht, aber in eine Häuserzeile integriert, liegt Desmond Castle, heute ein Weinmuseum. Die Informationen gibt es zweisprachig. Von den keltischen Wörtern ist eins bekannt: Familie = Clann!

 

Am Abend nach einigem Zögern ganz früh in eines der teueren Lokale gegangen, Hoby’s, wo das Menu pro Person 25 € kostet, das aber jeden Cent wert ist. Schwerer chilenischer Rotwein, ein Cabernet Sauvignon der Marke Lazo, und sehr leckeres, ganz frisches, noch warmes, selbstgemachtes Sodabrot. Als Vorspeise gefüllte Champignons bzw. Paté in Portweinsauce, die süßlich und fast so wie die Sauce zum Dessert aussah und schmeckte. Als Hauptgericht mit Hackfleisch gefüllte Hähnchenbrust mit erstaunlich gut schmeckenden Kartoffeln und mit Gemüse. Als Nachtisch, in Abwesenheit der Creme brulée, Mousse au chocolat.

Beim Verlassen des Lokals geblendet – es ist noch heller Tag. Auch die Geschäfte sind noch geöffnet.

 

26. August (Freitag)

Am Vormittag Stadtrundgang. Der findet bei jedem Wetter statt, bei Regen wird man mit Schirmen ausgestattet, und „on desperate days“ findet er bei Tea und Scones drinnen statt. Das geht auch, denn er besteht weitgehend aus Erklärungen und lässt die Innenstadt fast außen vor. Etwas einseitig, trotzdem interessant.

 

Viele der Gäste Amerikaner. Der Führer bemerkt, dass viele bei der Suche nach ihren Vorfahren folgende irische Besonderheit beachten müssen: Frauen nahmen bei der Heirat den Namen des Ehemannes an, wurden dann aber wieder unter ihrem Mädchennamen begraben!

 

Name Kinsale ist nicht englisch, sondern englische Adaptation des keltischen Worts für Old Head of Sea, dem Namen des äußersten Ausläufers der hufeneisenförmigen Landzunge. Diese geschützte Lage an der Mündung des Bandon die Besonderheit Kinsales.

 

War ursprünglich Fischerdorf, bekam unter Edward III. Stadtrechte. Lag ursprünglich auf schmalem Streifen zwischen doppelter Stadtmauer, äußere Mauer an der Küste. Straßenverlauf zeichnet noch heute Verlauf der gewundenen Küste nach. Alles andere ist dem Meer abgerungenes Land: Marktplatz und Kirche lagen ursprünglich direkt am Wasser.

 

Bei Entdeckung Amerikas neue Bedeutung als letzte Versorgungsstation für Reise. Kinsale hatte Hafen, Mauer und eine Reputation für Qualität der Fässer (ursprüngliche starke Bewaldung in der Umgebung fast verschwunden). Fässer waren wichtig für Transport von Wein und später (als man es in Fässern lagern konnte) Bier zur Versorgung der Mannschaft: Menge belief sich auf eine Gallone Bier pro Mann und Tag! Spezialität der Gegend buttered eggs, Eier, die durch die Behandlung mit Butter „luftdicht“ verschlossen wurden und bis zu drei Monate hielten.

 

Wichtigstes Datum 1601, Schlacht von Kinsale: Spanien wandte sich nach der Niederlage der (ersten) Armada wieder gegen England und verbündete sich mit Iren, um in Irland eine Bastion zur späteren Eroberung Englands errichten zu können. England beherrschte Irland, nicht aber Ulster, wohin sich die Iren zurückgezogen hatten. Die befeindeten O’Neill und O`Donnell, nur auf Verteidigung spezialisiert, verbündeten sich und bitten Spanien um Hilfe. Spanier aber landen am äußersten Südwestende Irlands, nicht, wie Iren vorgeschlagen hatten, in Galway > Iren müssen langen Marsch antreten, um sich mit Spaniern zu vereinigen, Engländer unter Mountjoy sind schneller als Spanier glaubten und sind schon zur Stelle, bevor Iren eintreffen, stellen sich zwischen Iren und Spanier, schließen Spanier ein und besiegen Iren. Wichtiger Moment in irischer Geschichte: Hat Flucht der Grafen zur Folge, Auflösung der Clans und die Plantation of Ireland, d.h. die Ansiedung von Protestanten im Norden. Kinsale wird durch zwei Forts gesichert, Charles Fort und James Fort.

 

In Kinsale landete auch James II mit französischer Verstärkung, um den Thron wiederzuerlangen, und aus Kinsale segelte er auch nach der verlorenen Schlacht endgültig ab.

 

Desmond Castle, heute Weinmuseum, war ursprünglich das Stadthaus der Fitzgeralds, dem dominierenden Clan von Munster, und das bedeutet auch sein Name. Sie wurden enteignet, nachdem sie in einer politischen Auseinandersetzung auf der falschen Seite gestanden hatten. Später war es dann Gefängnis, Suppenküche und Kaserne. Zum Castle führt die Chairman’s Lane, benannt nach den Sänftenträgern! Darauf winzige Häuser, die ironische Namen wie Giant’s Castle haben.

 

Bei den Erklärungen ist auch von Cobh die Rede, das Cove ausgesprochen wird. In der Nähe davon gibt es einen Ort namens Ballycotton, und wir fragen uns, was das heißt, denn dem Wortbestandteil begegnet man immer wieder in Ortsnamen. Das Mineralwasser ist aus Ballygowan. Überhaupt gibt es abenteuerliche Ortsnamen wie Inchydoney, Timoleague oder Ballydehob, von denen klingen, als wären sie aus amerikanischen Eingeborenensprachen importiert.

 

Danach Spaziergang, an „The Spaniard“ vorbei, auf eine Anhöhe ins Dorf Scilly, von der aus man einen wunderbaren Panoramablick aufs Meer hat: auf den rechts hinten ins Meer eintretenden Fluss, auf den Hafen, auf die sich dahinschlängelnde, unregelmäßige Bucht, die dann eine auf beiden Seiten von Festungen bestandene Meerenge bildet, und aufs offene Meer dahinter. Preisverdächtig.

 

Dann zur Touristeninformation, nur um zu erfahren, dass die Bustour in die Umgebung ausfällt. Schade. Statt dessen eine Hafenrundfahrt, bei der man von einem unbeholfen lesenden jungen Iren mit starkem Akzent über die Gegend informiert wird. Es geht vorbei an dem Fischerdorf Scilly, das vermutlich, wie viele andere Namen, eine englische Adaptation des ursprünglich keltischen Namens ist. Am Charles Fort vorbei aufs offene Meer, dann am James Fort vorbei in den Hafen zurück, bis zur Brücke über den Fluss. Beide Forts haben den Nachteil, dass sie niedriger liegen als die sie umgebenden Hügel. Dieser Schwachpunkt wurde bei den Belagerungen ausgenutzt.  Die Torpedierung der Lusitania wird erwähnt, nicht aber die Kontroverse ob ihrer Berechtigung.

 

Anschließend zur Brauereibesichtigung, aber die fällt aus etwas fadenscheinigen Gründen aus.

 

Im Zentrum ein Sportgeschäft, dessen Namen auf die irische Aussprache anspielt: D’ Sports Shop.

 

In der Nähe ein Geschäft, in dem es Hardware in der alten Bedeutung gibt.

 

Am Abend in gemütliche, lebendige Kneipe, die, laut Aufschrift, folgendes zu bieten hat: Kitchen – Bar- Live Music (sometimes). Wir sitzen in der „Bullshit Corner“, essen Hähnchen und trinken, trotz allem, das lokale Lager. Bei der Bestellung verwechsle ich „wedges“ mit „vegies“.

 

Auf einem Zuckerstück eine irische Weisheit: „Nil aon leigheas ar an ngrá ach pósadh – The only cure for love is marriage“.

27. August (Samstag)

Fahrt an der Südküste entlang, durch schöne, aber zunächst unspektakuläre Landschaft, wobei die Küste nur bisweilen in Sicht kommt. Erstes Ziel Clonakilty, der Geburtsort Michael Collins’. Ebenso herausgeputzt wie Kinsale, aber alles an einer Straße gelegen. In der Presbyterian Church ist das Postamt untergebracht.

 

Das Rauchverbot in Lokalen wird strikt gehandhabt, und seine Einhaltung wird mit etwas fragwürdigen Methoden überprüft: Bei Zuwiderhandlung kann man die Behörden informieren, und die Telephonnummer wird auch gleich mitgeliefert. Die Schilder, die auf das Rauchverbot hinweisen, sagen in falschem Englisch: „It is illegal to smoke in this premises“. Später finden wir auch mehrfach die korrigierte Version.

 

Eine moderne Skulptur von Michael Collins an der Ecke eines parkähnlichen Platzes, an dem er eine Zeitlang wohnte. Er wurde nur 32! Seine letzte Tagebuchaufzeichnung lautete: „The people are splendid“.

 

Nächster Halt, etwas abgelegen am Ende eines gewundenen Feldwegs, der Drombeg Stone Circle. Schön gelegen, abseits der Zivilisation, mit Blick auf umliegende Berge und Fernblick aufs Meer.

 

Sehr kleiner Kreis, was den Vorteil hat, dass er nicht so viele Besucher anzieht und gut erfassbar ist. 16 aufrechte Steine, davon zwei etwas höhere als Eingangspforte, und, denen gegenüber, ein flacher, ein ganz klein wenig außerhalb des Kreises positionierter Altarstein. In der Mitte wurde unter einer Platte die Asche eines jungen Mannes gefunden. Wir wundern uns, wie man wohl herausgefunden hat, dass es sich um einen jungen Mann handelt. Und was bedeutet die Asche?

 

Hinter dem Steinkreis die Fundamente von zwei Hütten und, links davon, eine raffiniert geplante Kochstelle: Sie liegt gleich neben einer Quelle. Deren Wasser wird in ein rechteckiges Bassin geleitet, und dahinter befindet sich eine Feuerstelle, an der Steine erhitzt werden. Die erhitzten Steine werden dann ins Wasser gerollt, und das Fleisch wird in dem heißen Wasser gedunstet. Man kann 300 Liter Wasser in 20 Minuten erhitzen und das Fleisch 3 Std. lang warm halten!

 

Dann Fahrt über immer aufregendere Landschaft bis zur Spitze der Halbinsel nach Mizen Head. Dort kommt dann das Meer voll in Sicht. Von oben blickt man auf Felsen, Gischt, Hügel, Kühe und türkisfarbenes Wasser hinunter. Die Straße mündet in einen länglichen Platz, und man hat die Südwestspitze Irlands erreicht – aber noch nicht ganz. Auf dem Platz befinden sich ein Museum, ein Café und eine Schiffsschraube als Andenken an ein Schiffunglück, das hier Anfang des 20. Jahrhunderts passierte. Ein Stein erzählt die bewegende Geschichte. In Sturm und Nebel zerschellte das Schiff an den Klippen. Die Matrosen versuchten, sich an Land zu kämpfen und mussten sich mehrere Stunden an den Kippen festklammern. Dann wurden sie gerettet. Die einzige Frau an Bord, eine Stewardess, wurde sofort in ein Rettungsboot gehievt, aber genau in dem Moment kenterte das Schiff und begrub sie unter sich.

 

In dem Informationszentrum erfahren wir, dass der Geruch, der bei der Anfahrt immer wieder zu bemerken war, der von Kamille war, einer hier gängigen wild wachsenden Pflanze.

Wenn der Ausblick von diesem Platz schon beeindruckend ist, kommt der Höhepunkt erst jetzt. Nachdem man eine Sperre passiert hat – hier kostet die schöne Aussicht Geld – geht man über einen schmalen Fußweg und über eine Brücke, die dramatisch auf halber Höhe zwischen zwei Felsen hängt, bis an das äußerste Ende der Halbinsel, dem Schneidepunkt von Südküste und Westküste, und sieht von dort aufs offene Meer – und das bei strahlendem Sonneschein. Gleichzeitig sieht man gleich gegenüber, zum greifen nahe, aber durch das Wasser getrennt, auf eine riesige Felswand, in der man die Gestalt eines überdimensionalen Fisches zu sehen glaubt.

 

Dann Weiterfahrt und Pause in Durrus, einem Straßendorf, wo es in einem schäbigen Pub erstaunliche Scones und Filterkaffee gibt, die man im Freien genießen kann.

 

Nach der Aussicht in Mizen Head, sollte man meinen, kann alles andere nur noch ein müder Abklatsch sein, aber die Landschaft bis Killarney, durch Berg und Tal, mit atemberaubenden Panoramablicken, wildschöner Landschaft und dem Nebeneinader von dunklen Wolken und blauem Himmel, von Licht und Schatten, lässt keine Wünsche an Naturschönheit mehr offen.

 

Unterwegs, an einer kleinen Haltebucht, die eine der großartigen Aussichten genießen lässt, treffen wir auf ein freundliches älteres Ehepaar aus Donegal, das heftig Werbung macht für – Donegal.

Erst in diesen Tagen haben wir bemerkt, dass nicht ganz Nordirland Nordirland ist. Der westliche Abschnitt, eben Donegal, erstreckt sich genau so weit, und sogar noch ein Zipfelchen weiter nördlich als Nordirland.

 

Gerade die letzte Teilstrecke auf dem Weg nach Killarney, die durch den Nationalpark führt, hat es in sich. Zwei Aussichtspunkte bleiben in Erinnerung: eine Kreuzung, an der es zum Gap of Dunloe geht, und der Ladies’ View, von dem man von oben ins Tal und auf eine Seenplatte hinunterblickt.

 

Am Abend Eintreffen in Killarney. Wieder finden wir unter kundiger Leitung das B&B auf Anhieb. Hier ist die Landlady das Gegenteil der dynamischen Fiona aus Kinsale, aber auch sie versorgt uns mit Tipps fürs Essen. Die gehen aber ins Leere, denn alle von ihr empfohlenen Lokale sind voll. Es ist Samstag Abend, und Killarney ist ein Touristennest. Hier ist, wie Fiona sagte, jedes zweite Haus B&B. Diesmal ist das Essen nicht nur teuer, sondern unangemessen teuer.

 

28. August (Sonntag)

Auch hier gibt es „Full Irish“ zum Frühstück, und auch hier ist die Aushilfe Polin.

 

Fahrt nach Limerick durch eher eintönige Umgebung, aber gegen Ende über die einzige autobahnähnliche Strecke. Bei der Anfahrt zweisprachige Hinweise auf den nahe liegenden Lough Gur.

 

Limerick nahe der Mündung des Shannon gelegen. Völlig andere Stadt, eine Mischung aus Neu und Alt, etwas schmutzig, etwas verwahrlost, nicht sehr einladend, und am Sonntag Vormittag noch nicht ganz erwacht. Passend dazu ist auch der Himmel bedeckt.

 

Touristeninformation in ganz modernem Zentrum. Tour auf den Spuren von Frank McCourt gibt es am Nachmittag.

 

Kaffe bei McDonald’s. „I am loving it“ auf Servietten als Beispiel für die immer weiter vordringende Verlaufsform.

 

Über die schlechten Toiletten im modernen Shopping Centre geklagt und später erfahren, dass das Shopping Centre genau da steht, wo die erbärmlichen Bruchbuden standen, in denen in Angela’s Ashes die Kinder leben, denen es noch schlechter geht als den McCourts. Leicht schlechtes Gewissen aufgrund der eigenen Ansprüche.

 

Im Nieselregen über zwei Brücken zur Burg, vorbei an zwei Kirchen aus grauen Steinquadern. Dann wieder zurück, um festzustellen, dass Burg viel näher am Ausgangspunkt liegt.

 

Drinnen Informationen zur Geschichte von Stadt und Burg, im Innenhof altes Kriegsgerät, und von den Bastionen Blick auf den Shannon und den am anderen Ufer liegenden Treaty Stone, den  Stein, auf dem der unrühmliche Vertrag mit den Engländern nach der Niederlage gegen William unterzeichnet worden sein soll. Heute hat man den Treaty Stone symbolisch versetzt und seine Inschriften entfernt.

 

Name der Burg, St. John’s Castle, bezieht sich auf den englischen König. Älteste Teile der Burg gehen auf diese Zeit zurück. Besonders das mächtige Doppeltor, damals eine Neuerung, beeindruckend, vor allem von außen.

 

Stadt war im Mittelalter in zwei Städte aufgeteilt, die irische und die englische, die beide befestigt waren, gegen äußere Gegner, aber auch gegeneinander. Ohne es zu wissen, hatten wir die Grenze, die Brücke über den Abbey, vorher überschritten. Die Burg liegt in der englischen Stadt, und folgerichtig ist die in der Nähe gelegene St. Mary’s Cathedral (heute geschlossen, bekannt für ihre Miserikordien) die Kathedrale der Church of Ireland, also protestantisch. Die Trennung kam mit der Ankunft der Normannen, die mit der Befestigung die Iren draußen halten wollten. Damit kehrte aber auch eine gewisse Stabilität ein. Bis dahin gab es ständige Auseinadersetzungen zwischen den Wikingern und den Iren und den Iren untereinander.

 

John in letzter Zeit durch Biographen rehabilitiert, aber in Irland durch grobes Benehmen nicht sonderlich beliebt, pflegte angeblich irische Stammesfürsten am Bart zu zupfen. Gewährte Limerick aber bedeutende Freiheiten, u.a. das Münzrecht, zum ersten Mal in Irland.

 

Burg zweimal durch Belagerungen im Zentrum der Gesichte, unter Cromwell und in der Glorreichen Revolution. In beiden Fällen stand Limerick auf der „falschen“ Seite. Cromwells Schwiegersohn Ireton belagerte die Stadt sechs Monate lang und stürmte dann die Festung, und nach der Niederlage von James in der Battle of the Boyne stand Limerick noch auf der Seite von James, als alle andere sich bereits ergeben hatten. Es kam zu einer langen Belagerung, die zunächst, unter der Führung des lokalen Helden Sarsfield abgewehrt werden konnte, aber im zweiten Jahr erfolgreich war.

 

Danach zur Stärkung einen Burger gegessen, der paradoxerweise ausgerechnet beim Burger King nicht Burger, sondern Whopper heißt.

 

Danach Führung auf den Spuren von Angela’s Ashes. Führer einfacher Mann, der die McCourts persönlich kannte und kennt und betont, er mache die Führung mit der ausdrücklichen Approbation von Frank. Er misst die Qualität des Roman an seinem Wahrheitsgehalts, und die ist hoch, denn er kann alles aus persönlicher Anschauung bestätigen: „Genau so war’s.“ Nachträglich beschleicht uns der Verdacht, dass er vielleicht sogar in dem Roman vorkommt, eventuell als eins der Kinder aus den „Slums“, bei denen der (wie er selbst sagt) etwas ältere Frank einmal vorübergehend unterkommt.

 

10 Millionen Exemplare verkauft, aber Rezeption des Romans in Limerick durchaus gemischt: McCourt ist entweder geachteter Werbeträger für Limerick oder verachteter Nestbeschmutzer.

 

Bei der Führung ist  auch von dem legendären Cuchulain die Rede, der auf der zweiten, nicht, wie ich dachte, auf der dritten Silbe betont und ganz anders ausgesprochen wird, als ich dachte.

 

An vielen Stationen des Romans vorbei, mit immer einer passenden Episode, oft witzig, manchmal ergreifend. Mehrere der Häuser, in denen die McCourts wohnten, sind bereits abgerissen, in einem Fall sogar die ganze Häuserzeile! Dagegen die öffentlichen Gebäude noch alle da: Kirche, Schule, Armenhaus (St. Vinzenz von Paul), Kneipe. Alles liegt nahe beieinander, und wir kommen überhaupt nicht in die englische Stadt. Von der Burg oder der Kathedrale, den Vorzeigeobjekten des Tourismus,  ist im Roman gar nicht die Rede.

 

Als der Roman verfilmt wurde, regnete es, aber dem Regisseur genügte das nicht, und er ließ die Feuerwehr auf ein Hochhaus klettern und es von dort herabregnen. Gibt es einen besseren Beleg dafür, dass Kunst sich nicht mir der Wirklichkeit begnügt?

 

Führer erklärt ohne jeden Neid, sogar mit Anerkennung, dass Frank McCourt jetzt, wenn er nach Limerick kommt, in einer renovierten Burg außerhalb Limericks, einem der teuersten Hotels Irlands, absteigt.

 

Titel des Romans hat nichts mit Zigarettenasche zu tun, sondern mit Asche der Leiche Angelas.

 

In der der Franziskanerkirche gegenüberliegenden Kneipe sind die Toilettentüren mit Frank und Angela gekennzeichnet.

 

Der Stadtführer entlässt uns, ohne auch nur ein einziges Wort über Limerick selbst und seine Geschichte gesagt zu haben. Wir machen uns auf die Suche nach dem Auto, haben aber nach all dem Hin und Her und Links und Rechts längst die Orientierung verloren, aber die Ecke kommt uns vage bekannt vor. Wir entdecken ein Straßenschild, und stellen fest, dass wir auf der richtigen Straße sind, blicken uns um, und stehen vor unserem Auto. Es ist so, als hätte der Stadtführer uns zu unserem Auto gebracht.

 

Am Abend, heute ist es nicht mehr so voll, geht es ins Murphy’s, einer Kneipe mit Pub Food. Es ist viel Fisch auf der Karte, aber was finden lässt sich allemal. Ich versuche das Stout von Murphy, muss aber einsehen, dass es mir genauso wenig schmeckt wie das von Guinness. Zu allem Übel ist das Gulasch auch noch mit Stout gemacht. Zum Ausgleich muss ich auf das Lager von Guinness, Harp, umsteigen.

 

29. August (Montag)

Den Warnungen der Reiseführer zum Trotz den Ring of Kerry gefahren, die Touristenroute Irlands überhaupt. Die Befürchtungen sollten sich als gegenstandslos erweisen: Von Massenauflauf keine Spur. Außerdem folgt die Route einer gut ausgebauten Straße, auf der die paar Touristenbusse kein nennenswertes Hindernis darstellen. Man soll den Ring entgegen dem Uhrzeigersinn fahren, weil das alle tun und man sich Ausweichmanöver erspart, und weil man sich so die Südküste, den schöneren Teil, für den Schluss der Fahrt aufspart. Auch das können wir nicht bestätigen.

 

Der Ring of Kerry ist der gebräuchlich gewordene Name für die Rundfahrt über die Halbinsel Iveragh, dem dritten von vier Fingern, die das Land nach Westen ins Meer streckt.

 

Schon bald bietet sich ein wunderbarer Blick aufs Meer, und, auf der anderen Seite der Straße, dort, wo das Auto steht, ein kristallklarer Bach, der rauschend die Böschung hinunterfließt.

 

Nach der Hälfte der Fahrt biegen wir von der Route ab und fahren nach Valentia Island, einer Insel, die mit dem Festland über eine (allerdings am „falschen“ Ende) liegende Brücke verbunden ist. Ein Umweg, der sich lohnt. An einem Ende der Insel liegt die „Hauptstadt“ Knightstown, am anderen eine Erhöhung, von der man einen, wie der Reiseführer sagt, „unvergesslichen Blick“ auf die Skellig Islands hat, kaum eine Übertreibung. Die zwei Inseln ragen wie Felsblöcke aus dem Wasser, und gleich vor ihnen stehen wie abgeschnitten aussehende, schroff abfallende Klippen, die bis zum Ende mit sattem Grün bewachsen sind. Beide Inseln sind unbewohnt, aber auf einer gab es früher ein Kloster. Man kann bei gutem Wetter mit dem Boot um die Inseln herum fahren, aber auch dann passiert es, dass die Passagiere wegen plötzlichen Wetterumschwungs mit dem Hubschrauber gerettet werden müssen. Wenn man sich umblickt, ist es manchmal schwer, zu unterscheiden, was Insel und was Festland ist, und wenn Festland, ob Iveragh oder eine andere Halbinsel. Jedenfalls glauben wir einen Landstreifen als Beara identifizieren zu können, die Halbinsel, die wir vorgestern von Mizenhead aus von der anderen Seite gesehen haben.

 

Wir fahren nach Knightstown. Hier sieht die Landschaft wie an der deutschen Nordseeküste aus. Die Insel ist nur ca. 11×3 Kilometer groß und war früher eine englische Enklave im schnell wieder „irisch“ gewordenen Irland. Von hier aus wurde später das erste Überseekabel nach Amerika verlegt.

 

Knightstown verdankt seinen Namen den Fitzgeralds, den Herren von Kerry. Der Ort selbst besteht nur aus wenigen Häusern an der Strandpromenade und auf der Hauptstraße. Dort gibt es in einem schmucken Café mit Geranien und schweren grün gestrichenen gusseisernen Stühlen und Tischen einen hervorragenden Kaffee.

 

Auf der Rückfahrt befinden wir uns urplötzlich nach einem freiwillig-unfreiwilligen Umweg direkt an einem perfekten Badestrand, Ballynskellig: rauschendes Meer, das aber von einer geschützten Buch abgefangen wird, die einen feinen Sandstrand hat, aber an den Seiten von wilden, nackten Klippen und nach hinten von einem sanften Hügel begrenzt wird. Dazu heller Sonnenschein, angenehme, trockene Hitze und kühles, klares Wasser. Was will man mehr? Das Wasser ist kalt, aber als die Flut hereinkommt, stürzen sich die Leute unbeirrt in die Fluten, und ich komme an meinem Geburtstag zu einem Bad im Atlantik, wenn auch nur bis Kniehöhe. Hier, inmitten des Nichts, kann man sogar Ferien machen: Es gibt ein B&B gleich auf dem den Strand begrenzenden Hügel. Man braucht wirklich nur die kleine Straße überqueren und ist am Strand. Welcher Pauschalurlaub kann das bieten?

 

Pause in Waterville. Hier ballen sich wirklich zum ersten Mal die Reisebusse, aber wir gehen in die „falsche“ Richtung und landen in einem ganz einfachen Café, wo sonst wohl nur die Einheimischen verkehren. Der Raum ist eher ein Kuriositätenkabinett, vollgestopft mit Krimskrams und Kitsch aller erdenklichen Art, von handgestrickten Puppen bis zu Werbung für Langnese (das hier HB heißt). Die Besitzerin spricht in kaum verständlichem, breiten, irischen Englisch mit einer Gruppe von Besuchern aus Dublin.

 

Nach der Weiterfahrt geht es von der Straße ab und über einen Schotterweg zum Staigue Fort, einem Fort aus der Bronzezeit. Es handelt sich um eine kreisrunde Mauer, in die man durch ein niedriges und durch zusätzliche Steine eigens noch einmal verengtes Tor gelangt. Innerhalb dieses Forts befanden sich die Hütten und Geräte und Vorräte. Außer durch die dicken Mauern war das Fort außen durch einen Wall und einen Graben geschützt, dessen Verlauf man außen noch gut erkennen kann, sowie durch seine Lage: Von dem sanft abfallenden Hügel hat man einen perfekten Fernblick aufs ca. 3 Kilometer entfernte Meer und kann den Feind kommen sehen. Beeindruckend der gute Zustand der Mauern, die Dimensionen (4 Meter breite und 6 Meter hohe Mauern und ein Durchmesser von 30 Metern), die geschickte Technik der Zusammenfügung verschiedener Steine, vielleicht Granit und Schiefer, zu einem runden, regelmäßigen Ganzen, ohne Mörtel, und die Einfügung von inneren Treppen durch negative Technik, d.h. durch Auslassen von Steinen.

 

Auf dem Rückweg kommen wir, noch bevor wir die „Hauptstraße“ wieder erreichen, an eine romantischen Bogenbrücke aus grauen Stein über einem glasklaren Flüsschen, ein Photomotiv, das man nicht auslassen kann.

 

Pause in Sneem bei ausgezeichnetem, hausgemachten Eis. Auch hier, wie in vielen Orten, sind die Häuserfassaden in hellen und sehr verschiedenen Farben gestrichen, angeblich, damit die Fischer abends wieder nach Hause finden. Für die Touristen ist aber auch gesorgt, mit einer Unzahl von Souvenirs und Postkarten. Mit deren Hilfe können wir erkennen, dass die Blumen, die wir heute immer wieder unterwegs am Wegesrand gesehen haben, mit glockenförmig nach unten hängenden, dunkelroten Blüten, Fuchsien sind. Aber was sind die anderen, ebenso häufig vorkommenden Blumen mit karmesinroten Blüten?

 

Postkarten auf den Kontinent kosten 65 Cent, mehr als bei uns ein Brief.

 

Wie schon auf der anderen Strecke haben wir auch heute immer wieder Golfplätze gesehen, oder besser Schilder, die zu Golfplätzen führen. Und nicht immer an den unschönsten Plätzen.

 

Dann die Entscheidung getroffen, zum Gap of Dunloe zu fahren, ohne zu ahnen, worauf wir uns einließen, und ohne zu wissen, was es genau ist. Dann im irischen Schilderwald verloren gegangen, was im Nachhinein vielleicht ein Glücksfall war, denn je später es wurde, umso weniger Autos waren unterwegs, und man kann um jedes Auto dankbar sein, dem man nicht ausweichen musste, zumal wir ohnehin, wie es schien, in die falsche Richtung fuhren und uns alle Autos von Killarney entgegenkamen.

 

Irgendwann jedenfalls den Pfeilen nach Black Valley gefolgt und dabei richtig gelegen. Sofort geht es über eine steil abfallende, kurvenreiche Straße in bisher nicht bekannte Wildnis. Dass dennoch hin und wieder ein Haus auftaucht, mag man kaum glauben, aber die meisten sind „For Sale“. Im Zwielicht der ganz allmählich hereinbrechenden Dämmerung entwickelt die Schlucht mit ihren schroffen Felsen ihre wahre Magie, aber es wird einem doch auch etwas bang ums Herz, ob man denn noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder hinauskommt. Und die Strecke ist bei Tageslicht schon nicht zu verachten. Das Gap, wird uns bald klar, ist keine bestimmte Stelle, sondern die Bezeichnung für die Schlucht selbst. Auf halber Strecke erklärt uns eine entgegnkommende Engländerin: Sie sind auf dem richtigen Weg, brauchen noch ca. 45 Minuten, es ist sehr steil, aber es lohnt sich. Sie sollte mit allem Recht behalten. Gegen Ende des Weges ist es an einer Stelle sogar so breit, dass wir für einen Moment anhalten können. Dort grasen Pferde, und bei der Ausfahrt aus der Schlucht wird uns klar, dass es die Pferde der Kutschen sind, die tagsüber die Touristen durch die Schlucht bringen. Auch deshalb ist es gut, dass wir erst spät losgefahren sind. Ob wir jetzt auch im Black Valley gewesen sind, dem letzten Ort Irlands, der mit Elektrizität versorgt wurde, wissen wir nicht.

 

Wegen der vorangeschrittenen Zeit entscheiden wir, den Torc Wasserfall auf die nächste Irlandreise zu verschieben. Am Abend gibt es gutes Essen in einem kleinen Lokal, in dem es kein Bier gibt, wohl aber Wein.

 

 

 

 

 

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