Leseprobe

Liest man Schriften mit Serifen schneller als Schriften ohne Serifen? Bin bisher immer nur auf Hinweise gestoßen, die sagen: Man weiß es nicht. Zu unterschiedliche Untersuchungsergebnisse. Jetzt irgendwo etwas gesehen, das vielleicht zeigt, warum die Untersuchungsergebnisse unterschiedlich sind: Danach liest man Schriften mit Serifen schneller (um etwa ein Fünftel), vorausgesetzt, die Serifen sind nicht allzu fett und vorausgesetzt, die Serifen sind nicht allzu fein. Und noch was: Das Ergebnis gilt für Druckerzeugnisse, nicht aber für Bildschirme. Die meisten der handelsüblichen Bildschirme haben keine ausreichende Auflösung. Mit einem Wort: Die Frage ist zu einfach gestellt.

 

 

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Grob gesprochen

“Das war ein brutal wichtiges Spiel”; “Wir haben brutal gegen den Ball gearbeitet”; “Der Abstiegskampf ist brutal”;  “Fehler viel brutaler bestraft als in der 3.Liga.” Die deutschen Fußballspieler haben ein neues Modewort entdeckt. Früher wurde man höchstens mal brutal gefoult.

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Preise verdorben

Heutzutage müsse man sich von neunjährigen Kindern verspotten lassen, weil man nicht lesen könne. So klagt Klaras Mutter in Hebbels Maria Magdalena. Früher sei alles anders gewesen. Da hätten die Herren sich um einen geschickten Schreiber gerissen. Wenn ein Sohn einen Neujahrswunsch für den Vater aufsetzte, dann kassierte der Schreiber für das Aufsetzen des Neujahrswunsches genauso wie für das Vorlesen des Neujahrswunsches hinter verschlossenen Türen, damit man nicht aufgedeckt werde und die Unwissenheit ans Licht kam. Es gab also doppelte Bezahlung, und das machte das Bier teuer!

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Verfluchte Buchstaben

Lesen sei wie eine Sucht, sagt Friedrich, der Sekretär, in Hebbels Maria Magdalena. Die Schulkinder ahnten es wohl, wenn sie sich so sehr dagegen sträubten, das ABC zu lernen. Von der Fibel geht es zur Bibel und von der Bibel zum Corpus juris, und dann merke man, in welche Wildnis einen die verdammten 24 Buchstaben gebracht hätten. Diese Buchstaben, die sich anfangs im listigen Tanz nur zu wohlschmeckenden und wohlriechenden Wörtern wie Kirsche und Rose zusammenstellten.

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Auf die Prüfung!

Leonard in Maria Magdalena hat die Stelle des Kassiers bekommen. Das berichtet er stolz. Es ist ein unerwarteter Erfolg. Der aussichtsreichste Kandidat – und der einzige Mitbewerber – war der Neffe des Pfarrers. Was denn aus dem geworden sei, will Klara wissen.  Der war betrunken, sagt Leonard. Er verbeugte sich vor dem Ofen statt vor dem Bürgermeister, stieß gleich zu Anfang , als er sich setzte, drei Tassen vom Tisch und benutzte, als es ans Rechnen ging, ein selbsterfundenes Einmaleins, das ganz neue Resultate lieferte.

 

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Unschöne Details

In Nürnberg auf der Messe habe er mal ein Glas Wasser unter dem Mikroskop gesehen, sagt Meister Anton in Maria Magdalena. Er wollte danach den ganzen Tag nicht mehr davon trinken, so habe es ihn geekelt. So ist es. Genau hinschauen offenbart eine andere Wirklichkeit, und schön ist die nicht unbedingt.

 

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Ich habe zu fragen, nicht Er

Marinelli ist in Emilia Galotti der Kammerherr des Prinzen. In einem Dialog im ersten Akt geht es um Emilia Galotti: „Sie irren sich in dem Namen“, sagt der Prinz. Und auch später sagt er Sie. Dann stellt Marinelli eine Frage, und der Prinz antwortet: „Ich habe zu fragen, nicht Er.“ (15) Mit einem Mal ist das alte, asymmetrische Verhältnis wieder hergestellt. Aus dem Vertrauten wird wieder der Untertan. Seit dem Aufkommen von Sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Er gebräuchlich gegenüber Angehörigen weniger vornehmen Standes (92). Odoardo, Emilias Vater, spricht Claudia, seine Ehefrau, mit du an, sie sagt durchgängig Sie zu ihm (21-22). Sie selbst sagt Sie zu Marinelli, bis sie merkt, dass der am Tode ihres Mannes beteiligt oder sogar dafür verantwortlich ist. Dann wechselt sie in einer leidenschaftlichen Rede zum du: “Abschaum aller Mörder! Was ehrliche Mörder sind, werden dich unter sich nicht dulden! Dich! Denn warum soll ich dir nicht alle meine Galle, allen meinen Geifer mit einem einzigen Worte ins Gesicht speien: Dich! Dich Kuppler!” (53) Es sind soziale und situative Kriterien, die die Variation bedingen. (Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti, hrsg. von Jan-Dirk Müller. Stuttgart: Reclam, 2001)

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Pistolen zur Belohnung

In Lessings Emilia Galotti kommt Angelo, ein für vogelfrei erklärter Mörder, heimlich in das Haus der Galotti und schleicht sich zu Pirro, einem Diener des Hauses. Er habe, sagt er, hundert Pistolen für den letzten Auftrag erhalten und sei gekommen, Pirro seinen Anteil zu überbringen. Er hält ihm einen Beutel hin. Als Leser ist man baff. Was macht man mit so vielen Pistolen? Wie passen die alle in einen Beutel? Die Erklärung findet man nur in den Anmerkungen: Bei den Pistolen handelt es sich um eine von Philipp II. eingeführte Münzeinheit, die in allen europäischen Ländern nachgeprägt wurde. (Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti, hrsg. von Jan-Dirk Müller. Stuttgart: Reclam, 2001: 23 + 94)

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Schulkameraden

In einer dramatischen Szene in Maria Magdalena erscheint Friedrich, der Sekretär, mit zwei Pistolen im Haus von Leonard, dem Kassierer, um ihn zum Duell aufzufordern. Während des gesamten Dialogs sagt Friedrich du, Leonard Sie. Der wundert sich ganz offen, dass Friedrich du sagt. Und das, obwohl sie Schulfreunde gewesen sind. Dennoch scheint es gang und gäbe zu sein, danach zum Sie überzugehen. Friedrich sagt du, erstens, weil er der ranghöhere ist, zweitens, weil er damit seine Verachtung für Leonard und dessen Verhalten Klara gegenüber ausdrücken will. Das du ist sozial und situativ bedingt. (Hebbel, Friedrich: Maria Magdalena. Stuttgart: Reclam, 2002: 85-86)

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Der kleine Unterschied

Bei der Besichtigung im Georgian House in Dublin und bei der Besichtigung im Sommerhaus Linnès in Linnès Hammarby wurde jeweils auf ein Paar Schuhe verwiesen. Nichts Spektakuläres. Aber nur auf den ersten Blick. Tatsächlich waren die Schuhe in einem ganz zentralen Punkt anders als unsere Schuhe: Rechts und links waren gleich! Was uns heute selbstverständlich anmutet, die durch die naturbedingte Fußform vorgegebene spiegelsymmetrische Form der Schuhe, war lange keine Selbstverständlichkeit. Die Rechst-Links-Unterscheidung (die es früher schon gegeben hatte) wurde erst wieder eingeführt, als Mediziner auf die Fußschäden aufmerksam machten, die durch die gleiche Schuhform entstanden. In den USA wirkten Kriegsministerium und Schuhindustrie zusammen, um die Soldaten der Nordstaaten mit Schuhe mit Rechts-Links-Unterscheidung auszustatten. Es heißt, dass die Nordstaaten auch deshalb den Bürgerkrieg gewannen, weil ihre Soldaten in den Schuhen schneller und weiter wandern konnten!

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Auf Nummer Unsicher

Warum drückt man den Daumen, wenn man jemandem Glück wünscht? Der Daumen ist ein Dämon, und den hält man fest, damit er nicht zur Geltung kommt. Das ist uralt, und auch bezeichnend für die alten Formen vor Aberglauben, die eher darauf abzielen, Unglück abzuwenden als Glück zu bringen. Die meisten Glücksbringer (wie der Schornsteinfeger) sind neueren Datums, mit Ausnahme des vierblättrigen Kleeblatts. Die meisten Glücksbringer sind heute etwas individualisiert, wie die Alltagsgegenstände, Tierfiguren oder Erinnerungsstücke, die Studenten mit zur Klausur bringen. Auf den ersten Blick überraschend, man würde Glücksbringer bei Akademikern eher nicht erwarten. Aber sie geben Sicherheit, ein gutes Gefühl. Ich habe alles getan, um die Klausur zu bestehen, aber es gibt an Rest an Unsicherheit, der außerhalb meiner Kontrolle liegt. Da kommt der Glücksbringer ins Spiel. Soweit verständlich, nur: Warum verlässt man sich ausgerechnet auf so etwas Unsicheres, um Sicherheit zu generieren? Und was, wenn die Klausur dennoch daneben geht? Haben die Glücksbringer dann ausgedient? Vermutlich nicht. Das ist wie mit Weltuntergangspropheten, die für einen bestimmten Tag den Weltuntergang vorhersagen. Wenn der dann nicht eintrifft, stürzt nicht etwa das ganze Gebäude zusammen. Im Gegenteil, die Gruppe rückt noch näher zusammen. (SWR 2: “Hasenpfote und Daumendrücken. Wie abergläubisch ist der moderne Mensch?”, in: Forum, 17/12/2014)

 

 

 

 

 

 

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Auswärtiges Bier

Wie nennt man ein helles Bier, das in einem Ort namens Fucking hergestellt wird? Fucking Hell! So jedenfalls hatte es die mit der Eintragung des Namens beauftragte Marketingfirma geplant. Das wurde zunächst von dem Europäischen Markenamt zurückgewiesen, mit dem Argument, Namen dürften nicht blasphemisch oder abfällig sein. Dann wurde aber dem Einspruch stattgegeben, mit der Begründung, ein Markenname könne nicht deshalb vereitelt werden, nur weil er in einer anderen Sprache eine andere Bedeutung habe. Die Sache hat aber einen Haken, oder besser zwei. Das Bier wird nämlich gar nicht in Fucking, einer österreichischen Stadt nahe Salzburg, hergestellt! Eine Brauerei bei Fucking hatte es sogar abgelehnt, das Bier abzufüllen. Und es handelt sich auch nicht um ein Helles im klassischen Sinne. Die Idee entstand, passend genug, aus einer Bierlaune heraus. Drei Freunde saßen abends beim Bier zusammen und witzelten. Einer von ihnen stammte aus Reichenhall, unweit von Fucking. So kam der Name auf. Und aus der Schnapsidee wurde eine patentierte Biermarke. Es wurde ein voller Erfolg. Die ersten Bestellungen gab es schon, bevor das Bier in Produktion ging. (Klohr, Markus: “Ein Bier mit Geschmäckle” in: Stuttgarter Zeitung 14/05/2013: 17;  437)

 

 

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Das schwarze Wunder

Was hat der Roggen mit der Verstädterung zu tun oder mit der Papiermühle oder mit Reiterheeren? Eine ganze Menge. Die Verbindungen werden aufgezeigt in einem Zeitungsartikel, auf den ich jetzt halb freiwillig gestoßen bin. Roggen war (genauso wie Hafer) bereits im Altertum bekannt, galt aber als Unkraut. Im mediterranen Kulturraum gab es die klassische Trias von Ölbaum, Weizen und Wein. Als sich der europäische Kulturraum mit dem Frankenreich weiter nach Norden und Osten erweiterte, brauchte man Alternativen. Für den Ölbaum gab es klimatische Barrieren. Der Anbau von  Weizen und Wein wurde – schon wegen der religiösen Bedeutung für das Christentum – bis zu den äußersten Grenzen getrieben, aber man brauchte Alternativen für das feucht-kühle Klima im Nordwesten des Reichs. Dazu gehörten Roggen und Hafer. Der Roggen trieb die Brotproduktion an. Das führte zu einem erhöhten Mahlbedarf einerseits und zu Bevölkerungswachstum andererseits und damit zu Verstädterung und Kolonisation.  Durch systematische Rodung und Neubesiedlung wurde die Kulturlandschaft immer weiter ausgedehnt.  Der Mahlbedarf, zusammen mit den günstigen klimatischen Bedingungen, führte zur Weiterentwicklung der Wassermühle, die bereits in der Antike bekannt war, aber im Mittelmeerraum wegen der langen Trockenzeiten oft nicht zur Verfügung standen. So kam die Wassermühle erst im Frühmittellalter und erst in Mitteleuropa zu Bedeutung. Von der Getreidemühle ausgehend erfolgte dann eine gewerbliche Diversifizierung in unterschiedliche Produktionsbereiche und zur Entwicklung der Sägemühle, der Papiermühle, der Hammermühle, der Walkmühle. Neben dem Roggen wurde in der Dreifelderwirtschaft Hafer angebaut. Der lieferte Nahrung für die Pferde. Der vermehrte Haferanbau führte zur verstärkten Pferdehaltung und letztlich zu den Panzerreiterheeren der Karolingerzeit.  Und die Pferde ermöglichten das Pflügen des Bodens mit dem schweren Pflug  und lieferten gleichzeitig Dünger für die Felder während der Brache.  Und so entwickelte sich ein Europa des „schwarzen Brotes“ als Gegenentwurf zum Europa des „weißen Brotes“, eine bipolare Struktur, die noch bis heute nachwirkt.  (Mitterauer, Michael: „Das dunkle Brot machte die Menschen satt“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 26/02/2012)

 

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Schlechte Sprache sozusagen

“Das ist natürlich auch ein Ventil, wo sich Unzufriedenheit sozusagen … oder wo sie sichtbar wird, wo sie sich eben nicht sozusagen manifestiert, aber es ist trotzdem sozusagen, Protestwahl, Nichtwahl hat oft ähnliche Hintergründe.” Der letzte Satz aus einer Gesprächsrunde im Radio (gesprochen von einem Parteienforscher), wie die ganze Sendung ein einziges Festival von sozusagen (wie hier dreimal in zwölf Sekunden) und unglücklichen Formulierungen, krausen Ausdrücken, verworrener Syntax. Kaum mal ein einfacher, schnörkelloser Satz. Und das von Menschen, die sich beruflich mit Sprache beschäftigen: einem Journalisten, einem Radioredakteur und einem Universitätsprofessor.

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Gipfel der Verzweiflung

Zitate wie “Ich schreibe nur in Augenblicken, in denen ich absolut verzweifelt bin” oder “Die Tatsache, dass ich lebe, beweist, dass die Welt keinen Sinn hat”, Buchtitel wie Auf den Gipfeln der Verzweiflung oder Die verfehlte Schöpfung,  Sterben, Tod und Freitod als lebenslange Obsessionen (erst die Möglichkeit des Selbstmords macht das Leben erträglich), ein radikaler Skeptiker mit Einsicht in die bodenlosen Abgründe des menschlichen Lebens, illusionslos, sarkastisch, massiv ungerecht in seinen Wertungen, die Sicht der Schöpfung als Werk eines bösen Demiurgen, die Wertung von Erfahrungen als Synonym für fortlaufende Enttäuschungen, Fundamentalkritik von Elternschaft, konsequente Ablehnung aller öffentlicher Ehrungen und Preise, da stellt man sich einen hasserfüllten Misanthrop vor. Statt dessen ein umgänglicher, liebenswürdiger, hilfsbereiter Mensch, der gerne und viel lacht: E.M. Cioran. Er schreibt zunächst auf Rumänisch, dann lange gar nichts mehr und dann, nach einem sehr harten, intensiven und jahrelangem Studium des Französischen, auf Französisch. Darin bringt er es zur Meisterschaft. Er firmiert immer als E.M Cioran. Die Initialen werden nie ausgeschrieben. E steht für Emile, aber was M bedeutet, bleibt unklar. Er selbst hat sich nie eindeutig dazu geäußert. Einige sagen, es stehe für Michel, andere, er habe es sich einfach zugelegt, weil E.M. Cioran einfach besser klinge als E. Cioran. (“‘Prometheus und Adler’. Der rumänische Schriftsteller und Philosoph E.M. Cioran”, in: SWR2 Wissen: 18/10/2012)

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