Hyazinthe und Labyrinth

Drei Schlüsselwörter: Hyazinthe, Minze, Labyrinth. Es sind die ältesten erkennbaren europäischen Wörter. Alle drei stammen aus Kreta, aus dem minoischen Kreta.  Sie sind sprachliche Ablagerungen, in denen sich der Tatbestand bewahrheitet, dass Kreta die Wiege Europas ist. Sie sind die sprachliche Parallele zu dem Mythos, in dem Zeus Europa auf Kleinasien entführt und sie nach Kreta bringt. (vgl. Chaniotis, Angelos: Das antike Kreta. München: Beck, ²2014: 7)

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Qualifikationsnachweis

Leone Leonie wurde wegen Münzfälscherei angeklagt und verurteilt. Später wurde er Leiter der kaiserlichen Münze. (“Zwischen Genialität und Grausamkeit. Der Künstler als Verbrecher”, in: Forum, SWR2: 09/01/2015)

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Gewaltige Erfahrungen

Entweder vor oder nach der Tat. So wird die Tötung Holofernes durch Judith in der Malerei meistens dargestellt. Holofernes hatte versucht, sie zu vergewaltigen. Die unmittelbarste Darstellung der Tat, den Moment der Tat erfassend, in all seiner Grausamkeit, stammt ausgerechnet von einer Malerin, von Artemisia Gentileschi, einer der wenigen bekannten Malerinnen. Gentileschi wurde als junge Frau selbst vergewaltigt. Sie brachte die Vergewaltigung zur Anzeige, der Täter bekam seine Strafe. Und dann heiratete Gentileschi ihn! Man hat immer wieder versucht, eine Verbindung zwischen der persönlichen Erfahrung der Gewalt und deren Darstellung in ihren Bildern zu sehen. Aber es gibt natürlich keine 1:1-Entsprechung. Die psychologische Disposition ist im Werk nicht unmittelbar zu erkennen. Viele Künstler, die Exzesse darstellten, hatten eine ruhige, bürgerliche, friedvolle Existenz. Dennoch könnten die Erwartungen an den Künstler und die Selbsterwartungen des Künstlers, dem eine besondere Erfahrungstiefe zugetraut wird, eine Disposition zur Transgression von Normen fördern. (“Zwischen Genialität und Grausamkeit. Der Künstler als Verbrecher”, in: Forum, SWR 2: 09/01/2015)

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Künstlerglück

Bernini hatte eine Affäre mit Constanza Bonarelli, der Ehefrau eines seiner Mitarbeiter. Die wiederum hatte eine Affäre mit seinem Bruder. Bernini entdeckte das. Rasend vor Wut lief er hinter dem Bruder her und ergriff eine auf einer Baustelle herumliegende Eisenstange. Damit brach er ihm zwei Rippen. Er ging nach Hause und befahl einem Diener, dem er zwei Flaschen und ein Messer gab, Constanzes Gesicht zu entstellen. Das tat der. Bernini nahm einen Degen und verfolgte seinen Bruder. Der flüchtete sich in eine Kirche, nach Santa Maria Maggiore. Dort konnte er sich sicher fühlen. Doch Bernini ließ sich davon nicht zurückhalten und lief mit gezücktem Degen dem Bruder hinterher und schlug bei der Gelegenheit gleich noch ein paar Priester nieder, die sich ihm in den Weg stellten. Diese Vergehen hätten eine schwere Strafe, vielleicht sogar die Todesstrafe zur Folge haben müssen. Und Berninis Mutter bat den Neffen des Papst in einem bewegenden Brief, ihren Sohn, der völlig außer Rand und Band war und nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden könne, zu bestrafen. Bernini wurde zu einer empfindlichen Geldstrafe verurteilt, aber die wurde ihm vom Papst erlassen, mit einer feierlichen Urkunde, in der es hieß, Bernini sei „ein Mensch von sublimer Begabung, durch göttliches Wirken geboren, um zum Ruhme Roms Licht in dieses Jahrhundert zu tragen.“ (Karsten, Arne: Bernini: Der Schöpfer des Barocken Rom. München: Beck, 2007: 93-97).

 

 

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Schöne, weite Welt

Eine Zimmerwirtin auf Ischia ist ganz entzückt, als sie erfährt, dass ihr französischer Gast aus Paris stammt. Gast sagt, als sie erfährt, dass ihr Gast aus Paris komme: Ah, schöne Stadt, Paris. Ob sie jemals da gewesen sei? Nein, nie gesehen. Sie sei bisher nur bis nach Florenz gekommen, auf der Hochzeitsreise. (Mura, Gianni: Ischia. Milano: Feltrinelli, 2012: 33)

 

 

 

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Alter Knacker

Magrite, der französische Kommissar, rasiert sich nach der ersten gemeinsamen Nacht mit seiner neuen Freundin während eines Urlaubs auf Ischia den Schnäuzer ab. Als sie wissen will, warum, antwortet er: Ich wollte nicht wie ein alter Knacker aussehen. Die erwidert, jetzt sehe er wie ein alter Knacker aus, der jünger aussehen wolle. Der Schnäuzer habe etwas Erotisches gehabt. (Mura, Gianni: Ischia. Milano: Feltrinelli, 2012: 31)

 

 

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Carabiniere und Commissario

Ein französischer Kommissar, Margrite, verbringt seinen Urlaub auf Ischia. Während des Urlaub wird er als Zeuge eines Verbrechens auf dem Kommissariat vernommen. Der Carabiniere fragt ihn nach seinem Namen und bittet ihn dann, ihn zu buchstabieren: “Michel, André, Gustave …” Der italienischen Kommissar glaubt, man wolle ihn auf den Arm nehmen: “Mi sta prendendo per il culo?” Keineswegs. Es gibt hier ein kulturelles Missverständnis: Im Französischen benutzt man im Buchstabieralphabet Personennamen, aber das weiß der Carabiniere nicht, im Italienischen Städtenamen, aber das weiß der Kommissar nicht. (Mura, Gianni: Ischia. Milano: Feltrinelli, 2012: 118)

 

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Schlechte Bereicherung

In einer Umfrage für eine Seminararbeit wurden den Probanden folgende Aussagen zu Anglizismen im Deutschen vorgelegt.

Ich glaube, dass die Verwendung englischer Wörter

  • schlecht für die deutsche Sprache ist
  • eingeschränkt werden sollte
  • die deutsche Sprache bereichert
  • das Leben einfacher macht
  • ein normales Phänomen ist
  • die deutsche Kultur zerstört

Es konnten mehrere Antworten angekreuzt werden. Zur Verblüffung der Studentin – und zu meiner Verblüffung – wurden „sollte eingeschränkt werden“ und „zerstört die deutsche Kultur“ häufig in Verbindung mit „ist ein normales Phänomen“ genannt.  Auch „ist schlecht für die deutsche Sprache“ und „macht das Leben einfacher“ wurden zusammen genannt, ebenso „sollte eingeschränkt werden“ und „macht das Leben einfacher“. In mindestens einem Falle wurden auch  „ist schlecht für die deutsche Sprache“ und „bereichert die deutsche Sprache“ zusammen genannt. Man kann sich vorstellen, wie machtlos Argumente gegenüber solchen Instinkten sind.

 

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Doppelsieg

1956 erhielt Romain Gary den Prix Goncourt für seinen Roman Les racines du ciel. Roman Gary war ein Pseudonym. Sein eigentlicher Name war Roman Kacew. Unter diesem Namen war er in Vilnius, im heutigen Litauen, damals zu Russland gehörend, geboren. Als Jugendlicher war er mit seiner Mutter nach Frankreich gekommen. 1977 erhielt der Roman La vie devant soi den Prix Goncourt. Die Identität des Autors war unbekannt. Er schrieb unter einem Pseudonym. Roman Kacew beging 1980 in Paris Selbstmord. Erst dann enthüllte er, dass es sich bei Roman Gary und Emile Ajar um ein und denselben Autor handelte. Damit ist er der einzige Autor, der den Prix Goncourt, der immer nur einmal im Leben vergeben wird, zweimal erhielt! Auf eine sehr subtile, von ihm selbst nie offen gelegte Weise hat Gary den Lautwert seines französischen Pseudonyms zum Kunstnamen seines Doppelgängers in Beziehung gebracht: Ajar kann als Anagramm zum Russischen жара gelesen werden (žará, gesprochen wie frz. jará), und das bedeutet ‘Hitze’, ‘Glut’, und Gary entspricht dem Russischen гори (garí), dem Imperativ von горе́ть, und das heißt ‘brennen’! (Ingold, Felix Philipp: Im Namen des Autors. München: Wilhelm Fink, 2004: 309)

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Hamburger Sie, Münchner Du

Es gibt Konventionen, aber keine feste Regeln für den Gebrauch von du und Sie. Dazu kommt, dass sich der Gebrauch verändert. Das bringt Unsicherheiten mit sich. In vielen Situationen findet man Sie zu distanziert, du zu burschikos. In einem Artikel (Trotier, Kilian: “Spricht für Stil. Das Hamburger Sie: distanziert, versiert, verbindlich” in: Zeit Online: 15/07/2014) finde ich jetzt ein Plädoyer für das “Hamburger Sie”, so wie Helmut Schmidt es gleich zu Anfang des Gesprächs mit Peer Steinbrück gebrauchte: “Wann sind wir uns eigentlich das erste Mal begegnet, Peer? In welcher Abteilung des Kanzleramtes haben Sie gearbeitet?” Es drücke Sympathie aus, sei aber nicht aufdringlich. Ein Mittler zwischen den Polen. Und dem “Münchner Du” (das du mit Herr/Frau kombiniert) in Form und Moral weit überlegen. Mag sein, aber wenn das “Münchner Du” wirklich aus München stammt, hat es seinen Siegeszug durch die ganze Republik angezogen. Ich höre es ständig in Geschäften unter den Angestellten: “Frau  Oberhausen, kannst Du mir mal ne Rolle Fünfziger besorgen?”

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Sie und Du und Du und Sie

Der russische Adel, zweisprachig aufgewachsen mit Französisch als Zweitsprache, hatte im 19. Jahrhundert gleich die vierfache Wahl: Man konnte jemanden mit ты oder Вы anreden oder mit tu oder vous, hatte also gleich die doppelte Auswahl. Und die musste man ständig treffen. Es gab nämlich keine einmal festgelegte Form. Man duzte oder siezte ein und dieselbe Person je nach Situation und Stimmungslage. Und es gab keine Gleichung ты und tu oder Вы und vous. So entscheidet sich  Alexej Alexandrowitsch (in Anna Karenina) in seinem Schreiben an Anna, seine Ehefrau, für Sie und für Französisch, um das russische Sie zu vermeiden, das noch förmlicher klingen würde.

 

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Latein für alle Fälle

Jin Ping Mei ist einer der fünf berühmtesten klassischen chinesischen Romane, unter anderem bekannt für seine expliziten erotischen Passagen. Die erste komplette Übersetzung ins Englische von Clement Egerton (The Golden Lotus) stammt aus dem Jahre 1939, eine komplette Übersetzung der Ausgabe von 1695. Allerdings wurde nicht alles auf Englisch übersetzt. Die als anstößig geltenden Passagen wurden ins Lateinische übersetzt!

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Du, Frau Zoe …

In einem modernen griechischen Roman spricht eine der Protagonistinnen, Arin, eine junge Mutter, die Frau, die tagsüber auf ihre Kinder aufpasst, mit Frau Zoe, aber mit du an: Βεβαίως, κύρία Ζωή. Πήγαινε στην οικογένεια σου να ξεκουραστείς κι εσί. Σε ευχαριστώ πολύ! – Sicher, Frau Zoe. Geh zu deiner Familie und ruh du auch ein bisschen aus. Ich danke dir sehr. (Τέκου, ΙφιγένειαΕιρηνη, Μνήμες χαμένες στην άμμο. Αθήνα: Κέδρος, 2014: 218)

 

 

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Ankunft USA

Wer schon einmal in die USA eingereist ist, kann die Schilderung der Ankunft am Flughafen nachvollziehen, wie man sie bei Irene Runge findet: Angekommen auf New Yorks Flughafen steht vor der Passkontrolle auf einem Schild We are the face of our nation. Vigilance – Service – Integrity. Das Wort wir schafft eine corporate identity, ist die gemeinschaftsstiftende Philosophie. Am Eingang des Landes repräsentieren das die Uniformierten in den kleinen Abfertigungsboxen. Wachsam, hilfsbereit, integer. So sieht das multiethnische Gesicht der Nation aus. Sie lächeln herzlich, der professionelle Blick bleibt streng und prüfend. (Runge, Irene: Wie ich im jüdischen Manhattan zu meinem Berlin fand. Berlin: Kulturmaschinenverlag, 2012: 10)

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Lost Boys

Wenn sie nicht bei den Attacken der arabischen Milizen auf ihr Dorf in den Hütten verbrannt waren, wenn sie dann auf ihrem Treck nicht von Löwen gefressen wurden oder von Krokodilen, wenn sie nicht an Malaria starben oder an Typhus, wenn sie nicht an Überanstrengung oder an Hunger starben, wenn sie nicht ertranken oder in einen Krater fielen, wenn sie sich nicht bei den nächtlichen Märschen im Wald verirrten und den Kontakt zu der Gruppe verloren, wenn sie nicht im Training der SPLA zu Tode gehetzt wurden, wenn sie nicht von Flugzeugen der Regierungstruppen aus beschossen wurden, wenn sie nicht von Soldaten der SPLA einfach abgeknallt oder als Verräter hingerichtet wurden, und wenn sie dann wirklich den Gilo, den Grenzfluss nach Äthiopien überqueren konnten, dann konnten sich die Lost Boys aus dem Süden Sudans einige Monate schlecht und recht im Flüchtlingslager von Pinyudo durchschlagen. Wenn sie dann nicht bei den Massakern durch die lokale Bevölkerung umgekommen und, nach dem Machtwechsel in Äthiopien, bei der Vertreibung der Flüchtlinge nicht erschossen wurden und es wieder über den Grenzfluss schafften, und wenn sie dann auch noch den nächsten Gewaltmarsch überstanden, dann landeten die Lost Boys in Kenia, in einem neuen Flüchtlingslager, quasi einer improvisierten Stadt mit 40.000 Flüchtlingen und verschiedenen Stadtteilen. Dieses Flüchtlingslager, Kakuma, blieb für Jahre ihre Heimat. Kakuma hatte keinen Fluss, Kakuma hatte keinen Wald, wie sie es aus dem Sudan und aus Pinuydo kannten. Kakuma war heißer, trockener, windiger, staubiger. Kakuma war, wie sie erfuhren, dass kenyanische Wort für ‚Nirgendwo‘.

 

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