“Bei Diamir haben die Reisenden ihre Reise gebucht gehabt.” Diesem Satz bin ich dieser Tage im Fernsehen begegnet, und zwar bei der ARD, bei einem Bericht über das havarierte Kreuzfahrtschiff. Es handelt sich wohl um eine verstärkte Perfekt-Form, die mir bisher nur aus Unterhaltungen mit meinen Lauffreunden geläufig war. Sie scheint jetzt aber Einzug zu halten in formalere Diskurse. Was genau dahinter steht, ist schwer zu sagen, vielleicht ein Bedürfnis nach Emphase oder das Gefühl, dass da noch etwas fehlt. Ganz aus dem Nichts kommt die Form ja nicht. Die Versatzstücke sind vorhanden, und haben … gehabt ist ja eine völlig normale Perfektform. Da scheint das zusätzliche Partizip nicht weiter zu stören. Es kann wie eine Ergänzung behandelt werden, in Analogie zu haben Glück gehabt oder haben es schön gehabt. Die Steigerung dieser Form wäre der Ersatz des Perfekts durch das Plusquamperfekt: “Bei Diamir hatten die Reisenden ihre Reise gebucht gehabt.” Auch das ist eine Erscheinung, die außerhalb der Standardsprache längst anzutreffen ist. Einige meiner Lauffreunde berichten über ihren gesamten Tagesablauf ausschließlich im Plusquamperfekt: “Ich war heute morgen in Mayen gewesen. Da hatte ich mit dem Ortsvorsitzenden gesprochen.” Sprache im Wandel? – Dies war der Stand der Dinge, bis mir eine aufmerksame Leserin einen Artikel zu lesen gab der mir die Augen öffnete: Das Phänomen ist alles andere als neu. Es wurde in metalinguistischen Beschreibungen schon vor Jahrhunderten erwähnt, zum ersten Mal vermutlich 1574, und wurde dann zu einem Bestandteil vieler deutscher Grammatiken der frühen Neuzeit. Die traditionelle Interpretation besagt, dass es ein Ersatz für das Präteritum ist, das aus der mündlichen Sprache, vor allem im Oberdeutschen, mehr und mehr verschwand und eine Lücke hinterließ, die jetzt von dem Doppelperfekt geschlossen wurde. Der Artikel argumentiert, dass es aber auch Beispiele aus dem Niederdeutschen gibt, aus einer Zeit, als das Präteritum noch nicht auf dem absteigenden Ast war. Er bietet deshalb auch eine andere Interpretation: Bei dem Doppelperfekt handele es sich um eine Aspekt-Unterscheidung: “Sie sagte, er habe das Buch im Sommer 2005 gelesen” sei nicht dasselbe wie “Sie sagte, er habe das Buch im Sommer 2005 gelesen gehabt”. Nur durch das Doppelperfekt könne der Abschluss der Lektüre im Sommer 2005 deutlich erkennbar werden. Das würde bedeuten, dass der Sprecher intuitiv das Bedürfnis habe, einen Aspektunterschied zu markieren, so wie man das auch in anderen Sprachen, z.B. im Russischen tun kann. Eine interessante These, die allerdings ein paar Fragen offen lässt: Lassen sich ähnliche Argumente auch für die Doppelformen in anderen Zeiten anführen, die der Artikel selbst diskutiert? Und machen meine Freunde vom Lauftreff, je nach Aspekt, Gebrauch von der einen und der anderen Form, oder variieren sie frei oder hat das Doppelperfekt das Perfekt einfach in allen Kontexten ersetzt? (Rödel, Michael: “New Perspectives on Double Perfect Constructions in German,” in: Musan Renate & Rathert, Monika (Hg.): Tense across Languages. Berlin: de Gruyter, 2011: 127-146)