Hamburger Sie, Münchner Du

Es gibt Konventionen, aber keine feste Regeln für den Gebrauch von du und Sie. Dazu kommt, dass sich der Gebrauch verändert. Das bringt Unsicherheiten mit sich. In vielen Situationen findet man Sie zu distanziert, du zu burschikos. In einem Artikel (Trotier, Kilian: “Spricht für Stil. Das Hamburger Sie: distanziert, versiert, verbindlich” in: Zeit Online: 15/07/2014) finde ich jetzt ein Plädoyer für das “Hamburger Sie”, so wie Helmut Schmidt es gleich zu Anfang des Gesprächs mit Peer Steinbrück gebrauchte: “Wann sind wir uns eigentlich das erste Mal begegnet, Peer? In welcher Abteilung des Kanzleramtes haben Sie gearbeitet?” Es drücke Sympathie aus, sei aber nicht aufdringlich. Ein Mittler zwischen den Polen. Und dem “Münchner Du” (das du mit Herr/Frau kombiniert) in Form und Moral weit überlegen. Mag sein, aber wenn das “Münchner Du” wirklich aus München stammt, hat es seinen Siegeszug durch die ganze Republik angezogen. Ich höre es ständig in Geschäften unter den Angestellten: “Frau  Oberhausen, kannst Du mir mal ne Rolle Fünfziger besorgen?”

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Sie und Du und Du und Sie

Der russische Adel, zweisprachig aufgewachsen mit Französisch als Zweitsprache, hatte im 19. Jahrhundert gleich die vierfache Wahl: Man konnte jemanden mit ты oder Вы anreden oder mit tu oder vous, hatte also gleich die doppelte Auswahl. Und die musste man ständig treffen. Es gab nämlich keine einmal festgelegte Form. Man duzte oder siezte ein und dieselbe Person je nach Situation und Stimmungslage. Und es gab keine Gleichung ты und tu oder Вы und vous. So entscheidet sich  Alexej Alexandrowitsch (in Anna Karenina) in seinem Schreiben an Anna, seine Ehefrau, für Sie und für Französisch, um das russische Sie zu vermeiden, das noch förmlicher klingen würde.

 

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Latein für alle Fälle

Jin Ping Mei ist einer der fünf berühmtesten klassischen chinesischen Romane, unter anderem bekannt für seine expliziten erotischen Passagen. Die erste komplette Übersetzung ins Englische von Clement Egerton (The Golden Lotus) stammt aus dem Jahre 1939, eine komplette Übersetzung der Ausgabe von 1695. Allerdings wurde nicht alles auf Englisch übersetzt. Die als anstößig geltenden Passagen wurden ins Lateinische übersetzt!

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Du, Frau Zoe …

In einem modernen griechischen Roman spricht eine der Protagonistinnen, Arin, eine junge Mutter, die Frau, die tagsüber auf ihre Kinder aufpasst, mit Frau Zoe, aber mit du an: Βεβαίως, κύρία Ζωή. Πήγαινε στην οικογένεια σου να ξεκουραστείς κι εσί. Σε ευχαριστώ πολύ! – Sicher, Frau Zoe. Geh zu deiner Familie und ruh du auch ein bisschen aus. Ich danke dir sehr. (Τέκου, ΙφιγένειαΕιρηνη, Μνήμες χαμένες στην άμμο. Αθήνα: Κέδρος, 2014: 218)

 

 

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Ankunft USA

Wer schon einmal in die USA eingereist ist, kann die Schilderung der Ankunft am Flughafen nachvollziehen, wie man sie bei Irene Runge findet: Angekommen auf New Yorks Flughafen steht vor der Passkontrolle auf einem Schild We are the face of our nation. Vigilance – Service – Integrity. Das Wort wir schafft eine corporate identity, ist die gemeinschaftsstiftende Philosophie. Am Eingang des Landes repräsentieren das die Uniformierten in den kleinen Abfertigungsboxen. Wachsam, hilfsbereit, integer. So sieht das multiethnische Gesicht der Nation aus. Sie lächeln herzlich, der professionelle Blick bleibt streng und prüfend. (Runge, Irene: Wie ich im jüdischen Manhattan zu meinem Berlin fand. Berlin: Kulturmaschinenverlag, 2012: 10)

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Lost Boys

Wenn sie nicht bei den Attacken der arabischen Milizen auf ihr Dorf in den Hütten verbrannt waren, wenn sie dann auf ihrem Treck nicht von Löwen gefressen wurden oder von Krokodilen, wenn sie nicht an Malaria starben oder an Typhus, wenn sie nicht an Überanstrengung oder an Hunger starben, wenn sie nicht ertranken oder in einen Krater fielen, wenn sie sich nicht bei den nächtlichen Märschen im Wald verirrten und den Kontakt zu der Gruppe verloren, wenn sie nicht im Training der SPLA zu Tode gehetzt wurden, wenn sie nicht von Flugzeugen der Regierungstruppen aus beschossen wurden, wenn sie nicht von Soldaten der SPLA einfach abgeknallt oder als Verräter hingerichtet wurden, und wenn sie dann wirklich den Gilo, den Grenzfluss nach Äthiopien überqueren konnten, dann konnten sich die Lost Boys aus dem Süden Sudans einige Monate schlecht und recht im Flüchtlingslager von Pinyudo durchschlagen. Wenn sie dann nicht bei den Massakern durch die lokale Bevölkerung umgekommen und, nach dem Machtwechsel in Äthiopien, bei der Vertreibung der Flüchtlinge nicht erschossen wurden und es wieder über den Grenzfluss schafften, und wenn sie dann auch noch den nächsten Gewaltmarsch überstanden, dann landeten die Lost Boys in Kenia, in einem neuen Flüchtlingslager, quasi einer improvisierten Stadt mit 40.000 Flüchtlingen und verschiedenen Stadtteilen. Dieses Flüchtlingslager, Kakuma, blieb für Jahre ihre Heimat. Kakuma hatte keinen Fluss, Kakuma hatte keinen Wald, wie sie es aus dem Sudan und aus Pinuydo kannten. Kakuma war heißer, trockener, windiger, staubiger. Kakuma war, wie sie erfuhren, dass kenyanische Wort für ‚Nirgendwo‘.

 

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Messer – Gabel – Löffel

Messer, Gabel, Löffel: ein gutes Beispiel für die ziemlich willkürliche Zuordnung der deutschen Substantive zu den grammatischen Geschlechtern: das Messer, die Gabel, der Löffel – sächlich, weiblich, männlich. Wenn ich meine Studenten damit konfrontiere, versuchen die, jedenfalls die deutschen, unbedingt eine logische Begründung dafür zu finden, und schaffen es auch, sich selbst zu überzeugen. Nicht aber mich und die ausländischen Studenten. Der Blick über den Tellerrand, d.h. über die eigene Sprache, hinaus, belegt, dass man der Sache mit Logik nicht beikommen kann:
  • Messer – Gabel Löffel
  • coltello forchetta cucchiaio
  • cuchillo tenedor cuchara
  • couteau fourchette cuillère
  • μαχαίρι – πιρούνι – κουτάλι
  • нож – ви́лка – ло́жка

 

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Karthago, zum Dritten

Ein Manifest, das er 1951 verfasste, beschloss Brecht mit den Worten: Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten. (Kesting, Marianne: Brecht. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 81998: 138-139)

 

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Mädchen, Mäuse und Männer

In einem Seminar sagte einmal eine Studentin auf die Frage, wie denn im Deutschen der Plural von Substantiven gebildet werde: “Durch Anfügen von –s“. Die Aussage blieb unwidersprochen und mir als Ausweis der unfassbaren Ignoranz der Menschen über ihre eigene Sprache in Erinnerung. Ich habe daraufhin mal, ohne Nachschlagewerke zu konsultieren, eine vorläufige Liste von alltäglichen Wörtern gemacht, die mir spontan in den Sinn kamen und sie versuchsweise geordnet:

  • Schritt > Schritte, Pfad > Pfade, Tisch > Tische, Arm > Arme, Bein > Beine, Spiel > Spiele
  • Katze > Katzen, Blume > Blumen, Lage > Lagen, Name > Namen, Rolle > Rollen, Sünde > Sünden, Gabel > Gabeln, Auge > Augen, Seite > Seiten, Runde > Runden
  • Frau > Frauen, Held > Helden, Herz > Herzen
  • Feld > Felder, Kind > Kinder, Rind > Rinder
  • Drucker > Drucker, Richter > Richter, Mädchen > Mädchen, Esel > Esel, Messer > Messer, Löffel > Löffel, Förster > Förster, Fächer > Fächer
  • Star > Stars, Band > Bands, Taxi > Taxis
  • Maus  > Mäuse, Stuhl > Stühle, Kuh > Kühe, Gast > Gäste, Korb > Körbe, Ball > Bälle, Band > Bände
  • Vogel > Vögel, Laden > Läden, Vater > Väter, Mutter > Mütter, Acker > Äcker
  • Mann > Männer, Haus > Häuser, Holz >Hölzer, Fach > Fächer, Band > Bänder Die Liste zeigt:
  • die Komplexität der Pluralbildung
  • dass es neben einfachen Formen – Veränderung des Grundvokals, Anfügen von Endungen – auch Mischformen gibt: Mann > Männer
  • dass ein Singular verschiedene Pluralformen haben kann: Band > Bands, Band > Bänder, Band > Bände
  • dass zwei unterschiedliche Singularformen denselben Plural haben können: Fach > Fächer, Fächer > Fächer
  • dass der Plural oft morphologisch nicht markiert wird: Richter > Richter
  • die marginale Rolle des von der Studentin angesprochenen Musters, des Anfügens von –s. Selbst bei modernen Anglizismen, wo man das Muster vielleicht erwarten würde, trifft es nicht ein: Computer > Computer

 

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Kinder-Los

James Cook hatte sechs Kinder. Als er von seiner zweiten großen Entdeckungsfahrt zurückkam, war seine Tochter Elizabeth gestorben. Sie war noch ein Kind. Während der Reise war sein Sohn Joseph geboren worden. Es starb noch in demselben Jahr. Cook hat ihn nie gesehen. Während der Vorbereitungen zur dritten Reise starb sein Sohn George. Er wurde nur vier Monate alt. Sein Sohn Nathaniel starb als Seemann in einem Hurrikan in Jamaika. Sein Sohn Hugh, zum Geistlichen bestimmt, starb während des Studiums in Cambridge. Sein Sohn James, Commander bei der Marine, ertrank während des Dienstes. Cook überlebte sie alle. Seine Frau starb erst 1835. Sie überlebte ihren Mann um fünfzig Jahre. (Emersleben, Otto: James Cook. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1998)

 

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Mensch denkt. Wer lenkt?

An Bord der Caldas, eines kolumbianischen Zerstörers, der zu Reparaturarbeiten in Mobile in den USA gewesen war, befanden sich ein Seemann, der gar nicht zur Besatzung gehörte und nur zufällig auf die Caldas gestoßen war, weil er nach Kolumbien zurückwollte; ein Seemann, der während des Aufenthalts in Mobile keinen Penny für Vergnügungen ausgegeben und alles in Geschenke für seine Frau investiert hatte, die in Cartagena auf ihn wartete; ein Seemann, der in Mobile einen Film über einen Sturm gesehen und sich geschworen hatte, nach der Rückkehr nach Kolumbien nie wieder zur See zu fahren. Die Caldas erlitt Schiffbruch. Keiner der drei überlebte. (García Márquez, Relato de un náufrago. Bogotá, Barcelona u.a: Verticales de Bolsillo, 2008: 18-20)

 

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Gandhis anderes Gesicht

Gandhi zu mögen, dazu gehört nicht viel: der gewaltlose Widerstand, die Armut, seine Bescheidenheit, seine Persönlichkeit, das ist schon was. Dem kann man sich nicht so leicht entziehen. Gandhi zu kritisieren ist viel schwerer. Das tut jetzt Arundhati Roy, immer unerschrocken, immer selbständig im Denken. Sie klagt Gandhi an, das Kastensystem unterstützt zu haben. In einer Antwort auf eine (nie gehaltene, aber veröffentlichte) Rede von Bhimrao Ramji Ambedkar, einem Mitglied der Dalits, der untersten Kaste und einem der Kritiker Gandhis, in dem er den Hinduismus verwirft und das Kastensystem als brutale hierarchische Ordnung verwirft, antwortete Gandhi mit einer Verteidigung des Kastensystems. Arundhati Roy verfolgt Gandhis Meinungen zur Kastenfrage zurück auf seine Meinungen zur Rassenfrage, die er in Südafrika vertreten hat. Als Gandhi in der berühmten Szene in Pietermaritzburg aus dem Zug geworfen wurde, hat er sich nicht über die Rassentrennung an sich empört. Er saß in einem Abteil der Weißen, weil er glaubte, als Inder und Angehöriger einer höheren Kaste habe er ein Recht dazu. Er wollte nicht mit den Kaffern, wie er sie nannte, in einem Abteil reisen. Gandhi schrieb mit viel Verachtung über Afrikaner, Leibeigene, Unberührbare, Sklaven und Frauen. Er verbrachte die meiste Zeit in Südafrika damit, die Freundschaft des weißen Regimes zu werben. Arundhati Roy sieht in Gandhi nicht einmal nur einen sympathischen Spinner, sondern sieht da etwas Bösartiges am Werk. Gandhi beschränkte sich in seiner Kritik auf das Thema der Unberührbarkeit, griff aber nicht das System an. Das beinhaltet viel mehr als Unberührbarkeit: Recht auf Land, Dienstleistungen, Bildung. Gandhi hat darauf bestanden, dass keine Kaste als nobler gelten solle als eine andere, aber auch darauf, dass jede Kaste bei ihrer ererbten Arbeit bleiben sollten. In einer Antwort auf Ambedkar schrieb er über die idealen Qualitäten der Kaste der Latrinenarbeiter. Er glaubte, es wäre ihre göttliche Pflicht, anderer Leute Exkremente zu beseitigen. Sie sollten das für den Rest ihres Lebens tun und nicht daran denken, mit ihrer Arbeit Profit zu machen. So unterstützte er, Roy zufolge, ein angeblich gottgewolltes System, das ein Reservoir an billigen Arbeitskräften generiert und den Untersten sogar noch suggeriert, sie sollten sich über ihre Stellung freuen. (Ross, Jan: „Gandhis vergiftetes Erbe“. Interview mit  Arundhati Roy, in: Die Zeit 40/2014: 50)

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Anpassungsfähig

Eigentlich haben Störche im salzigen Wasser der Nordsee nichts zu suchen. Das ist in keinem zoologischen Fachbuch vorgesehen. Störche fischen in Seen und Flüssen, im Süßwasser, nach Würmern und Fröschen. Tiere, die sich ausschließlich von Meerestieren ernähren, haben in der Regel spezielle Drüsen, um überschüssiges Salz wieder auszuscheiden. Der Stoffwechsel des Storchs ist auf salzige Nahrung nicht eingestellt. Dennoch gibt es Störche auf Föhr, die ihre Nahrung im Wattenmeer suchen. Ihre Vorfahren sind „Romeo und Julia“, ein Storchenpaar, das von einem Tierschützer gepflegt und aufgezogen worden war. Beide waren vorübergehend flugunfähig. Julia war verletzt, und Romeos Flügel waren von seinem Besitzer gestutzt worden. Da sie ohne Eltern aufwuchsen, wussten sie nicht, was sich „gehört“, und als sie wieder fliegen konnten, haben sie sich das Nächstliegende ausgesucht: das Wattenmeer. Ihren Nachkommen haben sie die Vorliebe für Meerestiere mitgegeben. Heute leben 25 Störche auf Föhr. Und haben es mit ihrer ungewöhnlichen Vorliebe in die akademische Literatur gebracht. Im Herbst fliegen einige von ihnen Richtung Afrika, aber andere bleiben selbst in der kalten Jahreszeit im Norden. Im Gegensatz zu Seen und Flüssen friert das Meer nicht zu. Warum Tausenden Kilometer in den Süden fliegen? (Bäurle, Anne: „Romeo und Julia auf Krabbenfang“, in: Die Zeit 39/2014: 40)

 

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Weibliche Gefahr

Hurrikans mit weiblichen Namen sind gefährlicher als solche mit männlichen Namen. Jedenfalls fordern sie mehr Todesopfer. Das haben Forscher von der University of Illinois festgestellt. Das ist kein Zufall. Nähert sich ein Hurrikan mit weiblichem Namen, tendieren wir dazu, die Gefahr zu unterschätzen. Frauen gelten als weniger aggressiv. Am schlimmsten sind Hurrikans mit besonders femininen Namen, wie Belle oder Cindy. Sie fordern die meisten Todesopfer.

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Für dich, Professor!

In einer Kurzgeschichte von Moravia wird ein Mädchen vom Lande, eine Ciociara, an einen alten Professor der Archäologie als Hausmädchen vermittelt. Als sie zum ersten Mal, in Begleitung des Portiers, der sie vermittelt hat, das Haus des Professors betritt, übergibt sie ihm ein Körbchen mit frischen Eier als Gastgeschenk und sagt: “Tie’, professore, prendi, t’ho portato l’ova fresche”.  Der Portier ermahnt sie, man dürfe den Professor nicht duzen. Der aber nimmt das ganz gelassen hin. Die alten Römer hätten sich schließlich auch alle geduzt, wie in einer großen Familie. Sie hätten das Sie nicht gekannt. In einer weiteren Kurzgeschichte schickt Tullio, ein Mann vom Lande, einem jungen Städter, Remo, der sich gerade von einer Krankheit erholt, einen Brief und bietet ihm einen Sommeraufenthalt in seinem Haus auf dem Lande an. Dabei duzt er ihn. Remo nimmt das als sicheres Zeichen für die Unkultiviertheit von Tullio. Das Duzen scheint alles zu bestätigen, was er von den Landleuten erwartet: rustikale Trampel, die mit dem Blasebalg am Kohleofen stehen, die Schönheit von Eseln besitzen und sich zwischen Kastanienbäumen vor Langeweile verzehren. (Moravia, Alberto: Racconti romani. Römische Erzählungen. München: Dtv, 9/2011: 40 + 66-68)

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