Überlebenschancen

Otmar Issing, ehemaliges Direktoriumsmitglied der EZB, gab der FAZ ein längeres Interview, in dem er die guten Überlebenschancen des Euro betonte. Das war nicht im Sinne der Herausgeber, aber es blieb ihnen nichts anderes übrig, als es zu akzeptieren. Als Überschrift war vorgesehen “Der Euro wird überleben”. Das gefiel den euroskeptischen Herausgebern nicht, und sie schlugen vor: “Der Euro wird mich überleben.” Das wiederum schien Issing in Anbetracht seines Alters nicht emphatisch genug. Am Ende einigte man sich auf “Der Euro wird mich lange überleben.”

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Der Entdecker Europas

Er hatte viele Namen, wie es in seinem Volk, den Eora, üblich war: Wogetrowey, Boinba, Bundabunda. Am liebsten nannte er sich Woollarawarre. Bekannt wurde er unter dem Namen Bennelong: der berühmteste Ureinwohner Australiens. Er lernte Englisch, reiste nach London und suchte einen Ausgleich mit den britischen Kolonisten. Er war ca. 25, als er die ersten weißen Eroberer sah. Als er starb, 1813, gehörte das Land, auf dem er zuletzt gelebt hatte, nicht mehr seinem Clan, sondern einem britischen Hühnerdieb namens James Squire. Der betrieb auf dem Gelände einen Pub, und Bennelong soll in den letzten Lebensjahren einer seiner besten Kunden gewesen sein. Dass er in einem von Squires Sudfässern ertrunken ist, ist allerdings wohl ein Gerücht. Er interessierte sich für die Lebensart der Fremden, versuchte aber auch, ihnen mit Tanz und Gesang die Kultur seines Landes nahe zu bringen. Und er erzählte von den rituellen Schlachten der Eora und den Eroberungen clanfremder Frauen. Besonders gut verstand er sich mit dem britischen Gouverneur Arthur Philipp. Sie tauschten ihre Namen aus, eine große Ehre. Philipp durfte sich jetzt Woollarawarre nenne, Bennelong durfte sich Gouvernour nennen. (Bielicki, Jan: “Der Entdecker Europas”, in: Süddeutsche Zeitung 10/2013: V2/9)

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August der Kenner

August der Starke war ein begeisterter Porzellansammler und wurde zu einem Kenner auf dem Gebiet. Im Laufe seines Lebens stellte er eine Sammlung von 24.000 Einzelstücken zusammen. Er besaß einen scharfen Blick für Qualität. Besonders angetan hatte es ihm das Kakiemon-Porzellan, das aus Japan stammte, dort aber gar nicht so hoch im Kurs stand. Dort stand man auf Keramik! Beim Kakiemon sind die Motive meist Tiere und Pflanzen. Sie sind der Gefäßform angepasst und nehmen nur so viel Platz ein, dass sich auch das strahlende Weiß des Untergrunds entfalten kann. Die Dekoration ist nicht weiß-blau (wie beim traditionellen chinesischen Porzellan), aber auch nicht überbordend farbig (wie beim Imari-Porzellan). Und es unterscheidet sich auch von der Mode des europäischen Barock, bei der es vor allem um dekorative Dichte und um farbige Vielfalt ging. (Clewing, Ulrich, “Nur Eisenrot, Hellblau und Türkisgrün”, in: Süddeutsche Zeitung 10/2012: 16)

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Mildernde Umstände

Welche Ergebnisse man bei Umfragen erhält, hängt auch von der Reihenfolge der Fragen ab. Die ersten Fragen erzeugen eine unbewusste Grundstimmung: Wer Menschen fragt, ob sie einen Ladendiebstahl begehen würden, bekommt mehr Geständnisse, wenn vorher über mildernde Umstände gesprochen wurde. (Schrader, Christopher, “Der unfassbare Wähler”, in: Süddeutsche Zeitung 10/2013: 20)

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Na, dann Prost!

Frank Meyer, der Trierer Stadtschreiber 2012, erzählt am Rande einer Autorenlesung folgende Episode aus seiner Studentenzeit: Er hatte in Oxford Walisisch gelernt und eine ganz gute Lesefertigkeit erworben, und beim Sprechen reichte es immerhin für die elementaren Funktionen wie Grüßen, sich Vorstellen, wichtige Informationen austauschen. Er fuhr dann in den Ferien nach Wales und war dort als junger Student, der Walisisch konnte, ein gern gesehener Gast und wurde abends im Pub von den Einheimischen zu dem einen oder anderen Bier eingeladen, einem dunklen Bier, das ihm nicht besonders schmeckte, jedenfalls am Anfang nicht. Er bemühte sich, Walisisch zu sprechen, und prostete seinen Gastgebern auf Walisisch zu: Ychy fi! Und löst damit bei denen große Erheiterung aus. Irgendwie fand er “Diese Leute sind aber leicht zu belustigen”, dachte sich aber weiter nichts dabei und prostete weiter kräftig auf Walisisch. Schließlich stellte es sich heraus, dass er Iechyd da, ‚Prost‘, verwechselt hatte mit Ichy fi, was so etwas wie ‘Igittigitt’ heißt. Das war ihm peinlich, aber die Waliser hatten ihre Freude daran. Sie verstanden es als eine ironische Bemerkung zu der Qualität des Bieres und interpretierten sein Prost als so etwas wie „Hau weg das Zeug“.

 

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Wohin geht die Reise?

Im Flugzeug habe ich dieser Tage mitgehört, wie ein Kubaner, der kein Deutsch sprach, und ein Deutscher, der kein Spanisch sprach, sich vor dem Abflug “unterhielten”. Der Kubaner wollte wissen, was das Reiseziel des Deutschen war, und konnte nicht verstehen, warum der Deutsche ihn nicht verstand. Dabei hatte er die Frage nach ein oder zwei Versuchen auf ein einziges Wort reduziert: Havanna? Aber dieser Deutsche verstand einfach nicht. Kein Wunder, dass der nicht verstand. Havanna heißt auf Spanisch La Habana: Es hat einen Artikel, das /h/ ist stumm, es hat /b/ statt /v/, und der betonte Vokal ist offener als im Deutschen. Das “verstellt” den Namen ganz gehörig. Außerdem wird der Artikel, der auf dem gleichen Laut endet, wie das nächste Wort (phonetisch) anfängt, apokopiert. Der Deutsche muss also so etwas wie Labaana gehört haben. Und sich gefragt haben, um was für eine komische Sache es sich da handelt. Kein Wunder, dass er nicht verstand. Umgekehrt hätte der Kubaner auch Havanna nicht verstanden!

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Ende der Kunst

In einem Roman, den ich gerade lese, gehen die Protagonisten des Buchs, ein junges Berliner Ehepaar, mit Begeisterung in das neue Kino, das gerade errichtete Universum: klare Formen, kein Schnickschnack, gute Sicht von allen Plätzen, eine Fassade mit rasantem Schwung. All das steht für Modernität. Gleichzeitig kommt der Tonfilm. Und eine Welle von Protesten. Vor dem Kino werden Flugblätter verteilt: Tonfilm ist Kitsch! Tonfilm ist einseitig! Tonfilm vernichtet Arbeitsplätze! 100% Tonfilm = 100% Verflachung. Der Tod des Kinos, das Ende der Kunst, die Niedergang der Kultur: der Tonfilm! (Krechel, Ursula: Landgericht. Salzburg und Wien: Jung und Jung, 2012: 218)

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Wie viel ist eine Billion?

Große Zahlen können wir uns nicht vorstellen. Wir sind einfach nicht dafür geschaffen. Maximal kann man sieben Objekte auf einen Blick erfassen. Etwas größere Zahlen kann man wenigstens veranschaulichen: Mit einem Feld von 5 x 5 lässt sich 25 darstellen. Größere Zahlen können wir allenfalls noch einordnen, indem wir sie mit etwas anderem vergleichen: dem Preis eines Autos, unserem Gehalt, der Zuschauerzahl bei einem Fußballspiel, aber richtig vorstellen können wir uns sie nicht. Und noch größere Zahlen sowieso nicht. Was eine Million oder eine Milliarde ist, können wir nicht erfassen. Hilfestellung geben uns Mathematiker, indem sie die abstrakte Zahl in Beziehung zu etwas anderem Stellen: Fläche, Volumen, Zeit, Gewicht, Länge. Aber auch das kann eine Herausforderung an unsere Vorstellungskraft sein: Wenn man eine Billion Euro, so habe ich in einem Zeitungsartikel gelesen, in 5-Euro-Scheinen hat, kann man damit ein ganzes Fußballstadion bis auf eine Höhe von  30 Metern füllen. Jetzt wird es noch toller: Wie lange würde es dauern, diesen Stapel zu errichten? Angenommen, 20 Menschen stapeln im Sekundentakt Bündel von je hundert Scheinen und arbeiten Tag und Nacht, ohne Unterbrechung? Das dauert 20 Jahre! Tut mir leid, aber da versagt meine Vorstellungskraft. Muss das nicht schneller gehen? Sollte man mal ausprobieren.                   (Hoffmann, Catherine: “Wie viel ist eine Billion?”, in: Süddeutsche Zeitung 297/2012: 24)

 

 

 

 

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Der erfundene Weihnachtsmann

Dass Coca-Cola den Weihnachtsmann erfunden habe, ist ein Gerücht, das sich hartnäckig hält. Die Vorstellung vom Weihnachtsmann hatte sich längst im 19.  Jahrhundert entwickelt, bevor Coca-Cola, in den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, ins Spiel kam. Es gab die Zeichnung “Herr Winter” von Moritz von Schwind, Gedichte und Zeitschriftenillustrationen und “Jingle Bells” (in dem der Schlitten noch von einem Pferd gezogen wird). Die spätere Werbekampagne von Coca-Cola verbreitete lediglich das Image weltweit und standardisierte es. (Schloeman, Johan: “Alle Jahre wieder”, in: Süddeutsche Zeitung 297/2012: 14)

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Kernfragen

Im Radio ist von den Kernfragen der Energieversorgung der Zukunft die Rede. So kann man es sagen.

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Fremdartige Speise

Manchmal erzähle ich im Seminar folgende Episode aus meiner Studentenzeit: Ein Kommilitone fragte: Hast jemand Lust, mitzugehen? Wir wollen eine Pizza essen. Meine Antwort war: Was ist das? Ich hatte keine Ahnung. Von Pizza hatte ich noch nie gehört. Heute kennt jedes Vorschulkind das Wort. In einem Zeitungsartikel finde ich jetzt diese Beschreibung von Anna Seghers, die genauso verblüfft war wie ich, als sie zum ersten Mal eine Pizza gegessen hatte (allerdings 30 Jahre früher): Rund und bunt wie eine Torte. Man erwartet etwas Süßes. Da beißt man auf Pfeffer. Man sieht sich das Ding näher an; da merkt man, dass es nicht mit Kirschen und Rosinen gespickt ist, sondern mit Paprika und Oliven. Man sieht an der Beschreibung auch den relativ bescheidenen, italienischen Belag, anders als später bei der Wohlstandspizza der prosperierenden Bundesrepublik. Nicht nur die Pizza war anders, auch das Wort. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: Pizza ist Pizza, sollte man meinen. Aber im Deutschen klingt Pizza anders als im Italienischen und wiederum anders als im Englischen. Und auch der Plural ist anders: Pizzen und pizze und pizzas. Nicht nur außerhalb Italiens musste sich die Pizza erst durchsetzen. Auch in Italien war sie lange nicht gang und gäbe. Mitte der 50er Jahre soll es in Italien außerhalb von Neapel nur zehn Pizzerien gegeben haben. In Deutschland konnten sich die Pizzerien und italienischen Restaurants gegen die Konkurrenz aus Griechenland, Jugoslawien und China durchsetzen, weil Italien zur EWG gehörte und italienische Restaurantbetreiber nicht erst die Bedarfsprüfung überstehen mussten, die sonst vorgeschrieben war. Die fiel später weg.  (Staas, Christian: “Deutschland al dente”, in: Die Zeit 52/2012: 18)

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Chinesische Weisheitszähne

Ein chinesischer Austauschstudent erzählte mir, er habe sich in Deutschland die Weisheitszähne ziehen lassen, gleich drei auf einmal. Der Zahnarzt habe ihm dazu geraten. Das sei eine Tortur, und es wäre besser, zu klotzen als zu kleckern. Als er mir davon erzählte, kamen wir auf das Wort Weisheitszahn zu sprechen. Und es stellte sich heraus, dass die Weisheitszähne auch im Chinesischen Weisheitszähne heißen. Dabei kam mir schon wisdom teeth immer komisch vor. Als ich das einem Freund erzählte, fügte der hinzu, dass auch der Blinddarm Blinddarm heißt. Das klang noch unwahrscheinlicher. Im Englischen appendix ist von blind nicht die Rede. Warum sollten Chinesisch und Deutsch etwas miteinander gemeinsam haben, aber nicht die anderen europäischen Sprachen? Auch dafür gibt es eine Erklärung: Bei der Meiji-Refom entschloss sich Japan, seine Isolation aufzugeben und vom Westen zu lernen. Für jede Disziplin wurde ein Land ausgewählt, welches zum besten “Lehrmeister” gekürt wurde. Zum Beispiel wurde Frankreich zum Lehrmeister für Recht. Und Deutschland für Medizin. Noch heute ist Deutsch Pflichtfach für japanische Medizinstudenten (wobei allerdings das Englische dabei ist, diese Vorrangstellung infrage zu stellen). Damit einher ging die Übernahme medizinischer Begriffe aus dem Deutschen. China wiederum lernte über Europa durch die Vermittlung Japans, und so gelangten japanische Wörter ins Chinesische. So einfach. Auch der deutsche Blinddarm ist nicht einfach vom Himmel gefallen. Der medizinische Fachausdruck für den Blinddarm ist Caecum, lat. ‘blind’. Im Japanischen heißen die Weisheitszähne nur noch im medizinischen Fachjargon so. In der Alltagssprache heißen sie oyashirazu, ‘kennt seine Eltern nicht’.

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Ungewöhnlicher Bayer

Kürzlich mal wieder mit der Bahn gefahren. Die Titelgeschichte der neuesten Ausgabe von Mobil, dem Magazins der Bahn, ist über Philipp Lahm. Das Magazin betitelt die Ausgabe, offensichtlich ohne ein Ohr für die Ironie: “Ein Bayer mit Weitblick”.

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Wer ist Bi Sheng?

Beim Besuch des Gutenberg-Museums in Mainz landete ich irgendwie auch in den oberen Stockwerken. Dort war wenig Betrieb. Dennoch war dort von einem wichtigen Mann die Rede, der hier kaum bekannt ist: Bi Sheng. Das ist der chinesische Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, im 12. Jahrhundert, 300 Jahre vor Gutenberg!

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Gespür für Fremdgänger

Frauen haben ein besseres Gespür für fremdgehende Männer als Männer für fremdgehende Frauen. Jedenfalls einem Experiment zufolge. Männer folgen der einfachen Regel Je attraktiver, umso untreuer. Das stimmt aber nicht. Frauen trauen dagegen eher besonders männlich aussehenden Männer den Seitensprung zu. Und das stimmt. Allerdings folgen Frauen auch ihrem Wunschdenken. Männer, die ihnen besonders gefallen, halten sie für besonders treu. Das sind die aber nicht. (Schnabel, Ulrich: “Des Luders Koeffizient”, in: Die Zeit 50/2012: 47)

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